RICHARD STRAUSS

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FERRUCCIO BUSONI
(1866 - 1924)
Er war ein ganz eigenartiger Künstler, ein Feuergeist mit prophetischen Visionen, Mittler
zwischen Italiens und Deutschlands Musikwelt, zwischen Romantik und Neoklassik,
zwischen Empfindung und glasklarem, ja manchmal glashartem Verstand. Er sagte
grundgescheite Dinge über den Sinn der Musik, über die Zukunft der Oper, über die Aufgabe
der Künstler; er komponierte eine Reihe höchst fesselnder Bühnenwerke, wurde Führer einer
avantgardistischen Bewegung und war zudem noch einer der brillantesten Klaviervirtuosen
der internationalen Konzertsäle. In Empoli bei Florenz geboren – als Sohn eines italienischen
Musikers und einer deutschen Pianistin- schlug er seinen Wohnsitz zumeist in Berlin auf.
Dorthin kehrte er auch 1920, nach einem durch den Krieg bedingten Exil in der Schweiz,
zurück. Er leitete bis zu seinem Tode dort eine Meisterklasse an der Akademie. An die Oper
stellte Busoni die Forderung, sie „solle eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder in
einem Zauberspiegel oder in einem Lachspiegel reflektiert, und bewusst das geben, was im
wirklichen Leben nicht zu finden ist. Lasset Tanz und Maskenspiel und Spuk
miteingeflochten sein, auf dass der Zuschauer der anmutigen Lüge auf jedem Schritt gewahr
werde und sich ihr nicht hingebe wie einem Erlebnis.“ Und seine Idee, dass der
Bühnendarsteller – Schauspieler oder Sänger – „spielen“ und nicht erleben solle, rückt ihn
über Jahrzehnte in die Strömungen nach dem Zweiten Weltkrieg, wo etwa Bertold Brecht
ähnliche Ansichten über Bühnenkunst äussert. „Geistiges Empfangen“ wird für Busoni die
Hauptforderung an den Zuhörer, also nicht sinnliches Miterleben, wie sie die Opernkunst
seiner Zeit, der schrankenlose Verismus Italiens (Puccini, Leoncavallo, Mascagni) und
Deutschlands (Richard Strauss: „Salome“ und „Elektra“) auf sein Papier geschrieben hatte.
Mit 22 Jahren beendete er eine nie aufgeführte Oper: „Sigrune“. Erst viel später (1912)
gewann er mit „Die Brautwahl“ erstmalig die Bühne. Es ist ein seltsames Werk, dessen Text
er sich nach E.T.A. Hoffmanns gleichnamiger Novelle aus den „Serapionsbrüdern“ selbst für
die Bühne verarbeitet hat. Drei Männer bewerben sich um die Gunst eines Mädchens; sie
sind einander völlig unähnlich, und jeder verfügt über einen „Helfer“, der in zwei Fällen aus
„unwirklichen“, gespenstischen Sphären kommt. Das Werk ist einem breiteren Publikum nur
schwer zugänglich, weist aber faszinierende Szenen und Ideen auf.
In Zürich erblickte (11. Mai 1917) seine Oper „Turandot“ erstmalig das Rampenlicht. Sie
verarbeitet den gleichen Stoff (nach Gozzi), den Puccini nur wenig später zu seiner letzten
Oper gestaltete: die berühmten drei Rätsel, welche die chinesische Prinzessin Turandot
ihren Freiern aufgibt (und die bei Busonis Textbearbeitung eine andere Deutung ergeben als
im Werke Puccinis: abstrakte Begriffe gegenüber den sinnlichen bei Puccini). Der
unbekannte Prinz errät sie als erster und rettet sich so vor dem Henker, der allen seinen
Vorläufern das Leben nahm. Truffaldino, Chef der Palastdiener, belauscht den Schlaf des
Prinzen, aber auch er kann den Namen des Fremden nicht erfahren; nur einer Freundin
Turandots, Adelma, gelingt dies durch eine List. Doch im letzten Bild kann Turandot sich
nicht entschliessen, von diesem Wissen tödlichen Gebrauch zu machen: sie reicht Kalaf,
dem nun nicht mehr unbekannten Prinzen, die Hand zum Lebensbunde. Es gibt, wie hier
schon angedeutet, gewichtige Unterschiede zwischen der Textauffassung Busonis und jener
der Oper Puccinis. Natürlich ist Puccinis Werk pathetischer, hochdramatischer, von tieferer
Spannung erfüllt, wie es Puccinis veristischem, wenn auch romantisch verklärtem
Theaterblut entspricht. Busoni biegt den Stoff – seinen Ideen gemäss – mehr zu einer
Spieloper um, mischt viel Heiteres, Groteskes (das bei Puccini auf die kurzen Szenen der
drei Minister beschränkt bleibt), Spielerisches und Geistreiches in die das Tragische
streifenden Szenen.
Auch die (gemeinsam mit „Turandot“ in Zürich uraufgeführte) Farce oder Stegreifkomödie
„Arlecchino“ (Harlekin) geht damals ungewohnte Wege der Opernkunst, die aber gar nicht so
neu sind, sondern nur auf eine Wiederbelebung der „commedia dell’arte“ hinzielen, mit ihren
grotesken Figuren Harlekin und Colombina und deren ebenso unwahrscheinlichen wie
vergnüglichen Abenteuern. Und wie die alten italienischen Komödien, so schliesst scheinbar
auch diese kurze, einaktige Oper mit einem gesungenen Abschied vom Publikum, an dem
sich alle handelnden Personen beteiligen. Doch fällt der Vorhang noch nicht: Mateo, ein viel
zuviel lesender Schneider (in Bergamo, 18. Jahrhundert!), der über den Büchern sein
Geschäft und seine junge Frau vergisst, ist so in ein Buch vertieft, dass er das Ende der
Komödie nicht merkt. Im Hintergrunde beginnt Harlekin, der Schelm, der totgeglaubte, aufs
neue mit der jungen Schneidersfrau zu tanzen und Zärtlichkeiten auszutauschen. Es beginnt
gewissermassen alles wieder von vorne.....
Busonis Hauptwerk ist ohne Zweifel sein „Doktor Faust“, eine „Dichtung für Musik in sechs
Bildern“, deren Quelle nicht das Goethesche Drama, sondern das alte deutsche Puppenspiel
bildet. Der Dichter-Komponist hat der Partitur eine bezeichnende Vorrede vorausgeschickt,
in der es unter anderem heisst: „An das alte Mysterium anknüpfend, soll sich die Oper zu
einer unalltäglichen, halbreligiösen, erhebenden, dabei anregenden und unterhaltsamen
Zeremonie gestalten.“ Er hat diese Faust-Oper nicht mehr vollenden können, sein Schüler
Philipp Jarnach wusste dies aus den vorhandenen Skizzen stilgetreu zu tun. Die
Uraufführung des bedeutenden Werkes fand in Dresden am 21. Mai 1925 statt. Die
Handlung weicht ziemlich stark vom Goethe-Text – und damit natürlich auch von den FaustOpern Gounods und Boitos – ab. Das wird aus einer kurzen Inhaltsübersicht klar: Im ersten
Bild wird Faust in seiner Studierstube von drei geheimnisvollen Studenten besucht; im
zweiten beschwört er den Teufel, doch Mephistos Bedingungen erscheinen ihm
unannehmbar, bis dieser ihn gegen seine Bedränger beschützt und Faust für den Pakt
gewinnt, der ihm dessen Seele für die Ewigkeit sichern soll. Im dritten Aufzug begegnen wir
dem Bruder eines Mädchens, das Faust verführt und verlassen hat (Margarethe oder
Gretchen, die aber in dieser Oper nicht vorkommt und auch nicht namentlich genannt wird);
Faust fürchtet seine Rache und lässt ihn durch Mephisto aus dem Wege räumen; das vierte
Bild führt uns in den Palast von Parma, wo Faust als Magier auftritt und berühmte Paare der
Geschichte heraufbeschwört: Salomo und die Königin von Saba, Samson und Dalila,
Johannes und Salome. Die Herzogin verfällt dem Banne des Magiers, der mit ihr entflieht. In
einer Wittenberger Schenke spielt das fünfte Bild, in der Faust aus seinem Leben erzählt und
die ihm von Mephisto überreichte Leiche seines Kindes, das ihm die Herzogin von Parma
geboren hatte, in ein Strohbündel verwandelt, das er verbrennt. Die drei Studenten des
Beginns stehen plötzlich vor ihm und künden ihm den Tod um Mitternacht. Die Gestalt
Helenas, die aus den Flammen hervorgetreten ist, entzieht sich seinen Händen. In der
letzten Szene ist Faust auf der Flucht vor dem Tode; Gestalten seines Lebens tauchen als
gespenstische Erscheinungen vor ihm auf. Noch einmal versucht er eine grosse
Beschwörungsszene. Beim Mitternachtsruf des Nachtwächters stürzt er tot zusammen, aber
an seiner Stelle erhebt sich ein Jüngling, der, einen Blütenzweig in der Hand, leicht und
sorglos davonschreitet. Mephisto holt den Leichnam ab, aber dem ewigen Willen Fausts,
verkörpert in der Generationenfolge, kann er nichts anhaben. In diesem Werk nähert sich
Busoni am engsten dem überlieferten Opernstil, und er beherrscht auch dessen Handwerk
überzeugend. Immer ist er interessant, oftmals kühn. Auf seiner Palette ist das Lyrische
gerade so zu finden wie das Unheimlich-Gespenstische, das Heroische wie das
Volkstümlich-Tänzerische. Und doch: was mag die Ursache sein, dass seinen Opern der
wahre Publikumserfolg fehlt? Die seine ist stets eine Kunst für Feinschmecker und für
Intellektuelle, ja fast müsste man sagen: für eine geistige Elite.
Auszug aus „OPER DER WELT“ von Prof. Dr. Kurt Pahlen
ACS - Reisen AG
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