Abteilung: Sendereihe: Sendedatum: Kirche und Religion Gott und die Welt 22.05.2016 Redaktion: Autor/-in: Sendezeit: Anne Winter Jürgen Hanefeld 9.04-9.30 Uhr/kulturradio Eine Sendung vom Norddeutschen Rundfunk vom 28.03.2016 _____________________________________________________________________________ Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt; eine Verwertung ohne Genehmigung des Autors ist nicht gestattet. Insbesondere darf das Manuskript weder ganz noch teilweise abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Eine Verbreitung im Rundfunk oder Fernsehen bedarf der Zustimmung des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg). _____________________________________________________________________________ GOTT UND DIE WELT "Glauben als Glücksache" - Shinto und Buddha in Japan Es sprachen: Birgit Meyer, Thor Müller, Gerhard Hinze und Michael Harck Regie: Birgit Meyer 2 Atmo 1 Kneipe Autor: Es ist Sonntagabend, das winzige Lokal im Kneipenviertel Yotsuya ist proppenvoll. Hinterm Tresen schenken schmale junge Männer mit kahlgeschorenen Köpfen edle japanische Whiskys aus und mixen Cocktails. In der Karte, gefaltet wie ein Leporello mit heiligen Texten, finden sich Getränke mit seltsamen Namen: "Höllenfeuer", "Vollkommene Seligkeit" und "Versklavung durch Liebe und Lust". Die Barkeeper tragen schlichte, graue Gewänder und lächeln. Einer von ihnen kündigt das musikalische Programm an - und dann geht's los. Atmo 2 Musik Titelsprecherin: "Glauben als Glücksache" - Shinto und Buddha in Japan Eine Sendung von Jürgen Hanefeld Autor: Was die "Vows"-Bar von 10.000 ähnlichen Etablissements in Tokio unterscheidet: Sie wird von buddhistischen Mönchen betrieben. Ihr Name leitet sich von "bozu" ab, zu Deutsch "Bonze", eine leicht abfällige, ironische Bezeichnung für die kahlgeschorenen Gottesmänner. Atmo 2 Musik O-Ton 1 Übersetzer 1 Ich schreie den Leuten ins Gewissen! Ich peitsche ihnen Moral in die Haut. Ich mische die angesagte Jugendsprache mit alten buddhistischen Texten. Autor: Der 39-jährige Sänger Yoshinobu Fujioka erklärt, es gehe in diesem Lied um "Reue". Sein Name als Mönch ist Sen Nen, was so viel bedeutet wie "guter Vorleser", doch 3 eigentlich liest er dem deutlich jüngeren Publikum nicht vor, sondern die ... Leviten. "Denkt über euer Leben nach", ist seine Botschaft. O-Ton 2 Übersetzer 1 Die Leute suchen Orientierung in einer konfusen Welt. Aber sie kommen nicht mehr in den Tempel. Also müssen wir uns anpassen. Wenn wir nur im Tempel warten, verlieren wir den Kontakt zu jungen Leuten. Außerdem können wir nicht mehr nur von Zeremonien leben. Viele glauben, der Buddhismus sei nur für Trauerfeiern zuständig, für das Jenseits. Aber das ist falsch. Gerade junge Leute suchen nach seelischem Beistand. Und die treffen uns hier! Autor: Eine Frau im Minirock nippt an ihrem Cocktail. Sie sei jetzt zum zweiten Mal hier, erzählt die 30-jährige: O-Ton 3 Übersetzerin 1 Am Tresen zu sitzen und mit einem Barkeeper zu plaudern, ist ja normal. Aber wenn der in Wahrheit ein Mönch ist! Das war am Anfang komisch. Da geht es nämlich immer gleich um das Leben als solches. Aber dann dachte ich, welch einmalige Gelegenheit, meine Seele zu reinigen. Autor: Und die 28-jährige Akita sagt: O-Ton 4 Übersetzerin 2 Hier hat man die seltene Chance, ganz ungezwungen mit Mönchen zu sprechen. Da gibt es keine Hemmschwelle wie im Tempel. Ich arbeite ja selbst dort, verkaufe Glücksbringer und sowas. Aber da traut man sich ja nicht, einen Mönch anzusprechen. Hier ist das anders. Im Tempel sind außerdem nur alte Leute. In 30 Jahren ist der 4 Buddhismus tot, wenn es nicht solche Orte gäbe wie den hier. Diese Bar ist seine Überlebenschance! Atmo 3 (Mönchsgesang) Autor: Das klingt so ernst wie es ist. Zwar sind nominell 87 Millionen Japaner Buddhisten also zwei Drittel der Bevölkerung und ein Sechstel aller Buddhisten weltweit - aber die Anzeichen für den Rückgang der Religion sind unübersehbar. In einem Land, wo alles gern beziffert wird, hat man 76.000 buddhistische Tempel gezählt. Doch rund 20.000 davon haben keinen Mönch mehr. Sie sind geschlossen und drohen zu verfallen. Allein in den vergangenen 10 Jahren wurden rund 500 buddhistische Tempel aufgelöst. Sprecherin: Drei Gründe sind für die Krise ausschlaggebend. Zum einen: die Landflucht. Immer mehr Japaner kündigen die Beziehung zu ihrem oft über Jahrhunderte gepflegten Familientempel auf und ziehen in die Städte. Die alten Leute, die in den Dörfern bleiben, können sich den Unterhalt der Tempel nicht mehr leisten. Autor: Zum zweiten gibt es immer weniger junge Buddhisten, die sich der langwierigen Ausbildung zu Nonne oder Mönch unterziehen wollen. In ihrer Personalnot haben einige Sekten damit begonnen, Ruheständler im Schnellverfahren als Hilfsmönche anzulernen. Andere helfen bei der Suche nach Heiratspartnern oder sind sonst wie bemüht, das Leben als Mönch attraktiver zu gestalten. Sprecherin: Und schließlich: In Japan gibt es keine Kirchensteuer. Religionsgemeinschaften sind zwar von der Steuer befreit, aber das Geld für Tempel und Personal müssen sie selbst erwirtschaften, hauptsächlich durch Spenden und Gebühren. Und die sind vielen Japanern zu hoch geworden. Es ist ihnen zu teuer, die Tempel zu unterstützen. 5 Autor: Das alles hänge zusammen, beklagt Gyoen Saito, der Abt des Tempels Syunkei-ji in Tokio. O-Ton 5 Übersetzer 2 Nicht der Buddhismus ist schuld an dieser Entwicklung, es sind die äußeren Bedingungen. Das Problem begann mit der Auflösung der Großfamilien nach dem Zweiten Weltkrieg und hat sich immer weiter verschärft. Trotzdem ist der Glaube an sich fest in den Herzen der Japaner verankert. Wir müssen sie nur erreichen. Autor: Gyoen Saito ist eine würdige Gestalt. Auf der Visitenkarte des 63-Jährigen steht, er sei der 27ste Abt des 1615 gegründeten Tempels der Nichiren-Sekte. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist damit vergleichsweise jung. Sprecherin: Die ersten Buddhisten kamen im 6. Jahrhundert nach Japan. Zu diesem Zeitpunkt war die Lehre des historischen Prinzen Siddharta Gautama bereits 1000 Jahre alt und auf ihrem Weg von Indien über China und Korea mit zahllosen Ergänzungen und Ausschmückungen versehen worden. Über die Jahrhunderte wurden Dutzende Schulen gegründet und abgespalten, so dass der Buddhismus in Japan heute in vielerlei Varianten existiert - von den volksnahen Amida-Schulen über esoterische Sekten bis hin zum strengen, asketischen Zen-Buddhismus. Autor: Ebenso wie Christen nicht einfach Christen sind und nicht alle Muslime gleich, sind auch Buddhisten sehr unterschiedlich. Was sie verbindet, ist der Glaube an die Wiedergeburt der Seele auf der Erde oder im Himmel. Ihre Tugenden sind das Streben nach Bedürfnislosigkeit und ein Leben ohne Begierden. 6 O-Ton 6 Übersetzer 2 Wir glauben an den Wandel. Das wahre Glück für uns Buddhisten ist die Freiheit, sich in einen friedliebenden und zufriedenen Menschen zu verwandeln, der zum Frieden der gesamten Welt beiträgt. Das erreichen wir aber nicht, in dem wir das Niveau für die Ausbildung der Mönche senken, Bars eröffnen oder erlauben, dass man Mönche für häusliche Rituale über "Amazon" bestellt. Da bin ich total dagegen! Buddhismus ist keine Dienstleistung. Buddhismus ist Religion! Atmo 4 - (Tempelglöckchen) Die Wirkungsstätte des Abtes liegt mitten in Tokio. Von außen ist sie kaum als Gotteshaus zu erkennen. Der 5-stöckige Betonklotz gehörte früher einer Lebensversicherung, was seine eigene Ironie entfaltet, wenn man bedenkt, dass buddhistische Tempel sich vorzugsweise aus Gebühren für Trauerfeiern finanzieren und für Zeremonien zu Ehren der Vorfahren. Der Ahnenkult findet im Keller statt. Atmo 5 - (Urnenkarussell) Autor: In dem schnörkellosen Raum sind drei verglaste Nischen abgeteilt, davor jeweils ein Schlitz für die Codekarte. Alles erinnert an Geldautomaten. Auf Tastendruck befördert ein unsichtbarer Mechanismus die gewünschte Urne in ein Fach, das einem Speisenaufzug ähnelt. Eine Glastür öffnet sich, und das Gefäß mit der Asche ist sichtbar, eingerahmt von einer Tafel mit dem Namen des Verstorbenen und einem Blümchen. O-Ton 7 Übersetzer 2 Japaner hängen an der Asche ihrer Vorfahren. Weil es in Tokio kaum mehr Platz für Friedhöfe gibt, haben wir dieses automatische Kolumbarium erfunden. Wir bringen darin 1.500 Urnen unter. Die Verwandten können kommen und gehen, wann sie 7 wollen, es dauert genau 50 Sekunden, bevor die Urne vor ihnen steht. Eine praktische Idee, sie hält uns finanziell über Wasser. Sprecherin: 580.000 Yen kostet diese Art von Bestattung, knapp 4.500 Euro, einschließlich Trauerfeier, Einäscherung und Codekarte, die den Zugang zur Urne für 33 Jahre erlaubt. Danach, so glauben japanische Buddhisten, steigt die Seele des Verstorbenen ins Nirwana auf. Autor: Eine Beerdigung mit Grabstein draußen auf einem Friedhof wäre viermal so teuer. Atmo 6 (Chor in Futamigaura) O-Ton 8 (Chorleiter) Übersetzer 1 Das Lied ist sehr alt, wie alt, weiß keiner. Es gehört dazu, wenn wir diese Reinigungszeremonie vollziehen. Wir beruhigen das Meer und begrüßen die Sonne. Autor: Das - ist Shinto. Atmo 7 (Gebet und Rasseln) Autor: Am Strand von Ise segnet ein Priester zu Rollen gewickelte Seile aus Reisstroh. 40 Kilo wiegt jedes Stück, das anschließend nach draußen getragen wird. Durch hunderte Hände gleiten die armdicken Taue zu den Felsen im Meer, wo starke Männer sie befestigen. Sprecherin: Dreimal im Jahr findet diese Zeremonie statt. Jedes Mal werden die beiden Felsbrocken mit den Seilen verbunden - als Symbol der Ehe zwischen Izanagi und Izanami, den mythologischen Eltern der Inseln, aus denen Japan besteht. 8 Autor: Diesem Bündnis entwuchs die wichtigste Gottheit des Landes, erklärt Professor Noboru Okada, Experte in alter japanischer Geschichte: O-Ton 9 Übersetzer 3 Shinto ist der Weg der Götter. Die höchste Gottheit im Shinto ist die Sonnengöttin Amaterasu Omikami. Sie ist die Urahnin des Kaiserhauses. Sprecherin: Japans Gründungsmythos ist leicht nachzuvollziehen. Vom Strand aus gen Osten sieht man nur das endlose Meer und - daraus aufsteigend - die Sonne. Nihon, das eigentliche Wort für Japan, bedeutet "Ursprung der Sonne". Verehrt wird die Sonnengöttin im Schrein von Ise. Atmo 8 (Schrein) Autor: Jedem Japaner obliegt es, diesen Schrein einmal im Leben zu besuchen, und immerhin jeder sechste tut es auch. Die Anlage besteht aus zwei Gebäuden. Im Geku Jingu wird allmorgendlich vor Sonnenaufgang mit einem Stöckchen ein Feuer entfacht. Dort wird das Frühstück für jene Geister zubereitet, die für die Speisung der Göttin zuständig sind. Denn sie muss zufrieden sein. Wenn Amaterasu Bauchweh hat, so heißt es, folgen Erdbeben und Vulkanausbrüche. Atmo 9 (Kieselknirsch / Wasser) Sprecherin: Amaterasu selbst ist im vier Kilometer entfernten Naiku Jingu zuhause. Der Waldweg gehört zu den schönsten Pilgerrouten Japans. Er führt vorbei an weiteren Schreinen, die den Geistern von Wasser und Wind geweiht sind, und zu einer Stelle am Ufer, wo sich die Gläubigen symbolisch reinigen, bevor sie das Allerheiligste erreichen. Atmo 10 (Tempelmusik 9 Autor: Den Schrein selbst dürfen Laien nicht betreten, und selbst einfachen Priestern ist das nicht erlaubt. Die Zeremonie mit ihren geheimnisvollen Klängen, erzeugt auf archaischen Instrumenten, findet in einem gesonderten Gebäude statt. Zwei Tempeljungfrauen begleiten mit gemessenen Gebärden den Oberpriester, der mit sparsamen Gesten den mit Tatami, Reisstrohmatten ausgelegten Raum durchschreitet. Ein immergrüner Zweig, ein Opferbehälter und ein Fläschchen Reiswein, das sind die Gaben für die unsichtbare Göttin. Atmo 10 Sprecherin: Die heiligste Stätte Japans ist kein Petersdom, der Schrein strahlt keinen Prunk aus. Es ist ein strohgedecktes, aus edlem Zedernholz errichtetes Haus, das alle zwanzig Jahre in einer großen Feier neu gebaut wird - am selben Ort, gleich nebenan. Dieses Ritual vollzieht sich seit 1.500 Jahren auf immer dieselbe Weise, zuletzt 2013. Form und Material sind immer gleich. Lokale Zimmerleute, in einer Art Bruderschaft vereinigt, setzen den Schrein aus 13.800 Zedernstämmen zusammen. Das Holz des abgebrochenen Schreins wird an anderen heiligen Stätten in ganz Japan verbaut, so dass sich der Geist der Göttin gleichsam stufenweise über das ganze Land verteilt. Deshalb wirkt kein Schrein in Japan antik. Es geht nicht darum, Altes zu bewahren, sondern Beständigkeit im Umgang mit der Natur und ihren Geistern zu pflegen. Atmo 11 Matsuri (Straßenfest) Autor: Die volkstümliche Variante des Shinto findet auf der Straße statt. Zu bestimmten Feiertagen werden die unsichtbaren Götter in ihren prunkvollen Kästchen von bierseligen Frauen und Männern durchs Viertel geschleppt. Es sind Volksfeste vergleichbar mit Karneval, ob in Dörfern oder Städten. Doch die Kami, wie die Götter heißen, benötigen keinen Ausgang. Sie sind ewig, überall und unsichtbar. Bäume, Blumen, Berge und Insekten, aber auch Stofftiere und Spielkonsolen sind Wohnsitze der Götter, nicht aber die Götter selbst. Man findet sie in Hausaltären, in Hochhaus- 10 schluchten und auf den Dächern von Büroblöcken. Angeblich gibt es noch mehr Schreine als buddhistische Tempel, in Tokio allein 1800, in Japan 81.000. Sprecherin: In ihrer Vielzahl ähneln die Kami dem Pantheon der Hindus oder Griechen, viele mit überaus menschlichen Charakterzügen. Sie können Wut und Liebe, Trauer und Rachedurst empfinden. Und sie sind - auch darin katholischen Heiligen vergleichbar zuständig: für Fruchtbarkeit und gute Ernte, für das gelungene Examen oder eine sichere Reise. Atmo 12 (Tempelglöckchen) Autor: Auch im buddhistischen Syungkei-ji Tempel in Tokio gibt es einen Shinto-Schrein. Für den Abt Gyoen Saito kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung: O-Ton 10 Übersetzer 2 Der Shintoismus ist aus dem Respekt vor der unbeherrschbaren Natur entstanden. Buddhismus ist die Suche nach Menschlichkeit. Shinto ist auf das Diesseits gerichtet, der Buddhismus aber nicht auf den Tod, sondern auf das Leben über den Tod hinaus! Deswegen konnten die Samurai auch ohne zu zögern Harakiri begehen: Weil sie wussten, dass ihre Seele weiterlebt. Autor: Das mag erklären, warum sich zwei Drittel der Japaner zum Buddhismus bekennen, und mehr als zwei Drittel zum Shintoismus. Nach westlichem Verständnis ist dieses Rätsel nicht zu lösen. In Japan schon. Professor Nobutaka Inoue ist Shinto-Spezialist an einer von zwei Universitäten, die das Fach lehren und Priester ausbilden. O-Ton 11 Übersetzer 1 Für die meisten Japaner ist Shintoismus keine Religion, eher eine soziale Gewohnheit, eine Sitte, die mit traditionellen Bräuchen zu tun hat. Es gibt Untersuchungen, nach 11 denen 3 Prozent der Japaner Shinto als ihre Religion betrachten. Alle anderen folgen nur bestimmten Ritualen. Zu Neujahr oder wenn die Kinder 3, fünf oder 7 werden, stellt man sie den Göttern vor. Shinto ist Japans ureigene Kultur. Autor: Viel älter also als der Buddhismus. Doch die Mönche trugen ihre damals neue Lehre nicht als Revolution vor, als Aufstand gegen den Shinto-Glauben, sondern gleichsam von oben herab: Im Einvernehmen mit dem Adel, den sie zuerst überzeugten, erklärten sie die alten Götter zu anderen Erscheinungsformen Buddhas. "Shinbutsu Shugo" nennt man in Japan diese Mischform, den Synkretismus von Shinto und Buddhismus. Atmo 13 (Gebetsmusik) Sprecherin: Buddha wird in Japan als Gott verehrt, erscheint in verschiedenen Inkarnationen, ist von grimmigen Wächtern und Himmelskönigen umringt, von Gestalten aus dem Hinduismus, von Glück verheißenden Drachen aus der chinesischen Mythologie und von Kami aus dem Shinto-Glauben. Aus dieser Melange entstanden ganz eigene, typisch japanische Kunstformen in Architektur und Malerei, Teezeremonie, Gartenkunst und Ikebana. Autor: Buddhistische Sekten wurden reich und einflussreich. Erst als sie nach fast 1000 Jahren mächtiger als die weltlichen Herrscher zu werden drohten, wurden sie an die Kette gelegt. Eine Dynastie von Militärherrschern, die so genannten Shogune, verboten den Mönchen das Tragen von Waffen, wiesen ihnen stattdessen Verwaltungsaufgaben zu: Ab dem 16. Jahrhundert musste sich jeder Japaner einem Tempel zuordnen und wurde dort in einem Register erfasst. Die schriftkundigen Mönche wurden so zu Buchhaltern des Buddhismus nicht nur in Steuerfragen, sondern auch zum Aufspüren von religiösen Abweichlern: Christ zu sein war seit 1587 verboten. 12 Atmo 14 (Kaiserliche Musik) Autor: Noch viel später verlor der Buddhismus auch seine institutionelle Macht. Im Rahmen der monarchistischen Meiji-Restauration ab 1868 wurde das Shogunat aufgelöst und der Shintoismus zur Staatsreligion erhoben. Tausende Tempel gingen in Flammen auf, unzählige Kunstwerke wurden vernichtet. Der Shinto-Professor Inoue betont: O-Ton 12 Übersetzer 1 Seither gibt es im Shinto zwei Strömungen: den staatlich organisierten Shintoismus und den volkstümlichen Glauben an die beseelte Natur. Der zivile Shintoismus hat eine lange Geschichte und wird weiter existieren, unabhängig vom Schicksal der Kaiserfamilie. Die aber leitet ihre Herkunft aus dem Staats-Shinto her. Ohne den Tenno würde der staatlich geleitete Shinto-Kult großen Schaden nehmen. Sprecherin: Ein politisches Argument, das der regierende Premiermister Shinzo Abe für seine Zwecke ausnutzt. Er will den Ise-Schrein zu einer national-religiösen Gedenkstätte machen. Nicht zufällig sollen die Regierungschefs der G7 zu Beginn ihres Kurzbesuchs im Mai zunächst dort ihren Respekt erweisen. Atmo 15 - Mönchsgebet Autor: Die Buddhisten, heute in 13 Schulen aufgeteilt, kämpfen ums Überleben. Sie geben Meditationskurse und betreiben Hotels für Touristen, die sie unter der missverständlichen Schlagzeile "Übernachtung im Tempel" vermarkten. Sie bieten den Familien Verstorbener Rund-um-sorglos-Pakete an, in denen Grabpflege und alle damit verbundenen Dienstleistungen enthalten sind und die Angehörigen von diesen Pflichten befreit. Billiger ist es, die Asche des Verstorbenen per Post an einen Tempel schicken. Der Mönch rezitiert dann ein Sutra - einen Buddhistischen Text - und kippt die Asche in ein Sammelgrab. 13 Autor: Dabei muss es sich nicht unbedingt um menschliche Überreste handeln. Auch Puppen, Plüschtiere und Plastikmonster werden eingeäschert, sagt Sonmyo Miura, ein buddhistischer Mönch in Tokio: O-Ton 13 Übersetzer 3 In Japan ist ja alles belebt, nicht nur Menschen und Tiere. Auch Bäume können eine Seele haben, oder Dinge wie Cognac-Flaschen, Haarspangen und Nähnadeln! Atmo 16 (Mönch mit Gemeinde) Autor: In seinem Tempel feiert der Mönch einmal im Monat eine Abschieds-Zeremonie nach animistischer Tradition: O-Ton 14 Übersetzer 3 Es gibt von alters her die Sitte, eine Puppe zu nähen, wenn ein Kind geboren wird. Deswegen heißen sie Nin-yo, Puppe in Menschengestalt. Wenn das Kind krank wird, kann die Puppe die Krankheit übernehmen. Sie wird verbrannt oder im Fluss versenkt, damit sie das Böse mit sich nimmt. Die Nin-yo schützt also das Kind. Deswegen wird sie nicht weggeworfen, wenn das Kind gesund bleibt und erwachsen wird. Man dankt der Puppe und bringt sie zu einem Tempel oder Schrein. Autor: Mit dem Rauch steigt ihre Seele in den Himmel auf. In Tokio ist offenes Feuer verboten, deshalb schafft der Mönch regelmäßig Wagenladungen von Spielzeug zur Kremation ins zwei Stunden entfernte Nikko. Die Tempel leben auch vom Verkauf von Amuletten und Horoskopen. Glücksbringer eben, wie der freundliche Mönch einräumt: 14 O-Ton 15 Übersetzer 3 Die Vorstellung, die ganze Welt sei belebt, stammt eigentlich aus dem Shinto-Glauben. Mit Buddhismus hat das gar nichts zu tun. Aber wir unterstützen das. Ich denke, die ganze Zeremonie ist doch nichts weiter als ein Zeugnis der Dankbarkeit - Buddha gegenüber. Autor: Der Abt des Syunkei-ji Tempels sagt: O-Ton 16 Übersetzer 2 Japaner wollen mit ihren Ahnen und unsichtbaren Geistern zusammen leben, die sie beschützen und begleiten. Um das zu zeigen, kaufen sie Glücksbringer und Amulette. Autor: Und Professor Inoue, der Shinto-Gelehrte, sagt: O-Ton 17 Übersetzer 1 Japaner sind Animisten. Aber sie gehen mit der Zeit. Nicht nur Nadeln und Puppen haben eine Seele, auch Spielkonsolen und Roboter. Es gibt keine Grenze zwischen der belebten und der unbelebten Welt, alles ist beseelt. Autor: Deshalb hätten bewegliche Plüschtiere, die in Pflegeheimen zum Einsatz kommen, in Japan eine ganz andere therapeutische Wirkung als woanders, sagen die Hersteller dieser Automaten. Sie würden als lebendig wahrgenommen. Atmo 17 (Trommel) Sprecherin: Was Trauerfeiern für die Tempel der Buddhisten, sind Hochzeiten für Shinto-Schreine. Sehr teuer und sehr prunkvoll. Doch den Schreinen geht es nicht anders als den 15 Tempeln. Auch sie klagen über rückläufige Einnahmen, die letztendlich auf einen Rückgang der Spiritualität in der Gesellschaft zurückzuführen seien. Atmo 18 (Gebet) Autor: Vor dem populären Meiji-Schrein, einer der größten Attraktionen Tokios, vollziehen Japaner jeden Alters ihre Gebete. Das Ritual ist einfach: Eine Verbeugung, zweimal Klatschen, dann der stumm vorgebrachte Wunsch, nochmal Klatschen, und dann kullert eine Münze ins Groschengrab... Atmo 19 - O-Ton Münze ...damit der Wunsch auch in Erfüllung geht. Dabei kann es sich um Nachwuchs handeln, ein gutes Examen oder Genesung für die erkrankte Mutter. Große, attraktive Schreine mögen noch von Spenden und Gebühren leben können, die kleinen kaum. Selbst bei hohen Feiertagen wie dem Erntedankfest ist so ein Stadtteil-Schrein wie der von Shinagawa nicht überlaufen. Dabei ist es eine beeindruckende Zeremonie, wenn nach Einbruch der Dunkelheit den 8 Myriaden Kami Opfergaben gebracht werden: Atmo 20 - Atmo Musik Shinagawa-Schrein Autor: In einer Prozession werden neun verschiedene Speisen zum Altar getragen, die beiden wichtigsten vorweg: Reis und Reiswein. Der Priester Toru Kawabe sagt: O-Ton 18 Übersetzer 1: Japan ohne Reis ist nicht vorstellbar. Die Sonnengöttin Amateratsu hat die Götter an einem Seil aus Reisstroh auf die Erde geschickt. Mit Reis hat die Kultur Japans begonnen. Er hat viele Bedeutungen, zum Beispiel, dass Reis nur gemeinsam angebaut und geerntet werden kann, und dass der Mensch den Reis zwar pflanzt, aber alles andere der Sonne und der Erde überlassen bleibt. Der Mensch ist machtlos, wir müssen beten, damit uns die Götter eine gute Ernte bescheren. 16 Autor: Reis ist den Japanern heilig - und deshalb weit mehr als ein Nahrungsmittel oder ein Agrarprodukt, um das sich in internationalen Verhandlungen feilschen lässt. Doch was kümmert das junge Japaner, die Pizza und Burger verschlingen? Zu dieser essentiellen Feier sind gerade mal fünfzig Gäste erschienen, fast alles alte Männer in schwarzen Anzügen. Einer von ihnen, der 82-jährige Arai-san, sagt betrübt: O-Ton 19 Übersetzer 2 Es ist leider wahr, es kommen zu diesen Festen immer weniger junge Menschen. Seit zehn Jahren ist das schon so. Die jungen Leute sagen immer, sie hätten keine Zeit mehr für sowas, aber ich glaube, es fehlt ihnen die innere Ruhe. Autor: Die 67jährige Itsuke Hasegawa bekennt, zum ersten Mal zu einer Feier im Schrein ihres Viertels erschienen zu sein. Man habe ihr einen Zettel in den Briefkasten gesteckt mit der Bitte zu kommen. Sonst habe sie das Erntefest so begangen wie die meisten Japaner - zuhause: O-Ton 20 Übersetzerin 1 Wir Japaner haben doch alle einen kleinen Schrein im Haus und eine Buddha-Statue. Der Schrein ist für die Kami, die ich nicht anfassen kann. Sie sind außerhalb meiner Welt, in der Natur. Die Buddha-Figur steht für meine eigenen Vorfahren, zu denen habe ich eine direkte Verbindung. Jeden Morgen gebe meinem Shinto-Gott frischen Reis - und die Blume neben Buddha bekommt frisches Wasser. Atmo 21 Tempelglocke Titelsprecherin: "Glauben als Glücksache" - Shinto und Buddha in Japan Sie hörten eine Sendung von Jürgen Hanefeld Es sprachen: Birgit Meyer, Thor Müller, Gerhard Hinze und Michael Harck Ton: Philipp Kettmann 17 Redaktion: Florian Breitmeier Regie: Birgit Meyer Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks Das Manuskript der Sendung können Sie bei unserer Serviceredaktion bestellen, aus Berlin oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email [email protected] und zum Nachhören oder lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter kulturradio.de