Einleitung 1 1. Einleitung 1.1 Problemstellung Consumer-Auktionen im Internet gehören zu den beliebtesten Aktivitäten der Internet-Nutzer (vgl. BBE 1999, S. 95; Bullinger 2000, S. 253; Fritz 2001a, S. 54). In Internet-Auktionen sind so einzigartige und faszinierende Dinge versteigert worden wie das gesamte Wembley-Stadion in Einzelteilen, Stücke der Berliner Mauer, ein Tag mit Tiger Woods, ein Urlaub auf Schloß Balmoral, der Audi von Michael Ballack, eine Erdölraffinerie oder Captain Kirks Kommandosessel. Außer Sammlerstücken können aber auch alltägliche Gebrauchsgegenstände ersteigert werden, z.B. Computer, Bücher, CDs oder Kleidung. Dabei werden nicht nur Gebraucht-, sondern auch Neuwaren, insbesondere Markenartikel, angeboten. 1999/2000 war allerdings auch schon vom „Ende des Auktionshypes“ die Rede (vgl. Morschheuser 1999, S. 249; BBE 1999, S. 179; de.news.yahoo.com 2000f), da bei der Vermarktung bestimmter Güter Grenzen vermutet wurden, die Kunden angeblich das Interesse verloren und auf dem Auktionsmarkt ein Verdrängungswettbewerb einsetzte. Ein Nachlassen des Booms kann aber nicht festgestellt werden: Internet-Auktionen wachsen weiter und haben eine Größenordnung erreicht, die sie über den Status einer wirtschaftlichen Randerscheinung bei weitem hinausheben. Sie gelten heute selbst einem Skeptiker wie Porter als Musterbeispiel der Netz-Ökonomie (vgl. Porter 2001, S. 69). Dennoch ist ihre Bedeutung von Ökonomen lange Zeit unterschätzt worden. So wird in einem Interview Hal Varian, Dean der School of Information Management and Systems an der University of California, Berkeley mit den Worten zitiert: „EBay was a blind spot for us economists. [...] We don’t think in terms of flea markets“ (Varian, zitiert nach Schrage 2000, S. 92). Das von Varian genannte amerikanische Unternehmen eBay gilt als Paradebeispiel für Internet-Auktionen und ist mittlerweile geradezu zum Synonym für das ganze Geschäftsmodell geworden. Längst ist eBay auch in Deutschland in aller Munde. Auf der Suche nach einem konkreten Gut hört man noch vor dem Ratschlag „Geh doch zu Karstadt!“ immer öfter „Hast Du schon mal bei eBay geguckt?“ Interessanterweise stammt diese Empfehlung nicht nur von anderen Konsumenten, sondern zunehmend auch von Händlern. eBay wird ein regelrechter „Kultstatus“ zugeschrieben; das Unternehmen gilt nicht zu Unrecht als „Vorzeigeunternehmen der New Economy“ (Schlösser 2000). In der Tat kann eBay als eines von sehr wenigen ECommerce-Unternehmen praktisch seit seiner Gründung schwarze Zahlen vorweisen und blieb auch profitabel, als andere „Dotcoms“ in eine schwere Krise gerieten (vgl. Schneider/Gerbert 1999, S. 65; Picot/Reichwald/Wigand 2001, S. 336). Von allen Internet-Auktionshäusern, die sich an Konsumenten wenden, ist eBay nicht nur das mit Abstand größte, sondern auch das mit den meisten Funktionen. In dieser Arbeit dient eBay daher sehr oft als Beispiel. 2 Einleitung Internet-Auktionen mit Konsumenten treten in zwei Formen auf, von Unternehmen zu Konsumenten (B2C) und von Privat zu Privat (C2C). Bevor es C2C-Auktionen gab, war Handel zwischen Privatleuten praktisch nur über Kleinanzeigen, Flohmärkte o.ä. möglich. Die Ineffizienz solcher Märkte wird durch Internet-Auktionen überwunden. „One effect of [internet auctions] is to ‚drag‘ a large sector of the submerged, informal c2c economy into a mainstream market economy. [They] show that the transaction inefficiency of these old bazaar-like informal markets can be reduced and that new, vastly bigger, formal markets can be created in their place“ (Lührig/Dholakia 2002, S. 120). Ein Handelsvolumen von über 380 Mio. USD bei eBay Deutschland im vierten Quartal 2001 zeigt das enorme Potential dieses Markts und seine Relevanz für unternehmerische Entscheidungen kommerzieller Anbieter. Einzelne theoretische und anwendungsbezogene Aspekte der Internet-Auktion werden in der Literatur diskutiert. Im Marketing werden dabei vor allem das Potential von Internet-Auktionen als neuer Vertriebsweg sowie die dynamische Preisbildung thematisiert. Aus Anbietersicht sind die Vorteile von Auktionen naheliegend. Die Auktionstheorie nennt zwei Anlässe für Auktionen, die beide auf der Uninformiertheit des Anbieters beruhen: Entweder weiß er, daß der Gegenstand einen objektiven Wert hat, kennt ihn aber nicht, oder aber er weiß, daß die Käufer den Gegenstand sehr verschieden bewerten und will denjenigen ermitteln, der am meisten zahlt. Auktionen dienen als Instrument der Preisfindung in einer extrem variablen Umwelt, in der zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Situationen jeweils auch besondere Preisbereitschaften existieren. Die Gründe für die Beliebtheit bei den Kunden werden in der vorliegenden Literatur jedoch kaum angesprochen, von einer systematischen Analyse der Kundenperspektive ganz zu schweigen. Diese Einschränkung der Sicht auf die Verkäufer bzw. Veranstalter von Auktionen hat ihre Ursprünge schon in der klassischen Auktionstheorie, in der sich nur ein einziger Zeitschriftenbeitrag mit dem „buyer’s point of view“ beschäftigt (vgl. Matthews 1987). Auch im Marketing liegt der Fokus auf Chancen und insbesondere Risiken der Anbieter (vgl. z.B. BBE 1999, S. 95). Über die Teilnehmer an InternetAuktionen werden in der Praxis und teils auch der Wissenschaft nur implizite, meist unbegründete Annahmen getroffen, die den Kunden meist als risikobereiten, erlebnisorientierten Schnäppchenjäger darstellen. Diese Vorstellungen entbehren jeder Grundlage in der Auktionstheorie, deren rationalen Bieterkonzepten sie zum Teil diametral entgegengesetzt sind. Folgende Erklärungen lassen sich dafür finden: • Internet-Auktionen lassen zunächst an klassische Auktionen denken. Da diese im Konsumentenbereich eher unüblich sind, werden Parallelen zu Auktionshäusern wie Sotheby’s oder Christie’s gezogen, bei denen in glanzvoller Atmosphäre seltene und teure Luxusgüter unter einem exklusiven Publikum versteigert werden; • Auktionen mit privaten Endkunden weisen auch zu anderen Geschäftsmodellen für den Handel mit und zwischen Konsumenten Ähnlichkeiten auf, beispielswei- Einleitung 3 se zu Flohmärkten oder Basaren. Der Einkauf auf diesen Märkten hat hohen Erlebniswert, aber nur geringe Alltagsrelevanz; diese und andere Eigenschaften werden übergeneralisiert und auf die Internet-Auktion zurückübertragen; • Was am Auktionsmodell sofort ins Auge springt, ist die Art der Preisbildung, die so ungewöhnlich zu sein scheint, daß als einziger Vergleich wieder nur der Basar zur Verfügung steht (vgl. z.B. Klein 2000a, S. 449). Zudem gelten die Erhöhung der Preistransparenz und ein daraus folgender Preiskampf als Kernmerkmale des Internet. Bei einem preisbetonten Geschäftsmodell wie der Auktion drängt sich daher aus Anbietersicht die Annahme preisorientierter Konsumenten besonders auf und verstellt den Blick auf mögliche andere Teilnahmemotive; • Das erhebliche Risikopotential von Internet-Auktionen wie die Unsicherheit über den Erhalt des Zuschlags, über den Zuschlagpreis sowie über die Eigenschaften der Ware und des Anbieters suggeriert, daß nur risikobereite Menschen sich darauf einlassen, denen stereotypisierend gleichzeitig weitere Merkmale wie Erlebnis- und Preisorientierung zugeschrieben werden. Nach allgemeiner Ansicht sind Auktionen zwar beliebt, aber nur für bestimmte Kundentypen oder gelegentliche Spontankäufe interessant, nicht aber für jedermann und nicht als ständige Form des Einkaufs. Die Reduktion der Auktion auf ihren Preisbildungsmechanismus und ihr Einsatz bei spektakulären Einzelfällen lassen übersehen, daß zu einer Internet-Auktion wesentlich mehr gehört als nur das Mitsteigern auf dem virtuellen Parkett. Gerade im Internet, wo es sehr leicht ist, sich simultan an vielen Auktionen zu beteiligen, artet die anschließende Abwicklung der Käufe schnell in Arbeit aus: „Taking part in online auctions is time-consuming (and nerve-wrecking)“ (The Economist, nach Herschlag/Zwick 2000, S. 164). Zudem ist der niedrige Startpreis vieler Auktionen nicht gleichbedeutend mit einem niedrigen Endpreis; die suggerierte Preisgünstigkeit mancher Auktionsangebote entpuppt sich gerade durch die Auktion im nachhinein vielfach als Illusion. In Anbetracht des zusätzlichen Aufwands und der oft nur scheinbaren Preisgünstigkeit ist kaum damit zu rechnen, daß sich Erlebnishungrige oder Preisbewußte dauerhaft auf Auktionen einlassen. Stammkunden dagegen dürften an Internet-Auktionen wohl andere Nutzenkomponenten schätzen als die bislang genannten. Aus Marketing-Sicht ist die fehlende Aufmerksamkeit für das Kundenverhalten in Internet-Auktionen ein schweres Versäumnis. Das ergibt sich gleich aus mehreren Marketing-Konzeptionen: Versteht man Marketing als marktorientierte Unternehmensführung, müssen die unternehmerischen Aktivitäten eine umfassende Kundenund Wettbewerbsorientierung erfahren (vgl. Fritz/von der Oelsnitz 2001, S. 18f.). Zur Erzielung eines dauerhaften, wahrgenommenen und wichtigen Wettbewerbsvorteils, eines sog. komparativen Konkurrenzvorteils (vgl. Backhaus 1999, S. 34), ist es u.a. notwendig, die Kundenwünsche und das Kundenverhalten systematisch zu erforschen. Die Maximierung des Kundennutzens geschieht stets unter der Neben- 4 Einleitung bedingung der Wirtschaftlichkeit für den Anbieter (vgl. Backhaus 1999, S. 31); eine weitere Nebenbedingung ist die Vorteilhaftigkeit bzw. Effizienz des Leistungsangebots für den Nachfrager (vgl. Fritz/von der Oelsnitz 2001, S. 107). Nach diesem pragmatischen Ansatz kann Marketing auch als die Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften für lohnende Nutzenvorteile verstanden werden. Auch dieses Ziel kann nicht erreicht werden, ohne die Nutzenvorstellungen der Abnehmer zu kennen und das Leistungsangebot entsprechend zu gestalten. Das umfassendste Verständnis von Marketing als Herbeiführung und Gestaltung von Austauschbeziehungen (vgl. Kotler/Bliemel 2001, S. 12; Fritz/von der Oelsnitz 2001, S. 19) schließlich gestattet eine Ausdehnung des Marketing auch auf den nichtkommerziellen Objektbereich und damit auf C2C-Transaktionen wie bei Internet-Auktionen. Marketing wird im Zusammenhang mit Internet-Auktionen häufig auf (konsumentengerichtete) Promotion reduziert (vgl. Reichwald/Herrmann/Bieberbach 2000, S. 550; Lührig/Dholakia 2002, S. 120). Die Bedeutung des Marketing für InternetAuktionen (und umgekehrt) ist aber viel umfassender. „Online-Auktionen sind kein Marketing-Gag, der nach kurzfristigem Hype wieder in der Versenkung verschwindet. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, daß der Handel dynamischer wird“ (www.electronic-commerce.org 1999b). Bei diesem Bemühen erweist sich die Kundenorientierung als zentraler Faktor: „Nachdem der Höhenflug der Branche ein Ende gefunden hat, wird gegenwärtig der Online-Kunde [...] wiederentdeckt. [...] Im ewigen Spiel evolutionärer Auswahlprinzipien und -prozesse sehen sich die E-Commerce-Anbieter vor die Aufgabe gestellt, schnell zu lernen, sich an die Bedürfnisse, Erfahrungen, Ansprüche und Motive ihrer Kunden anzupassen“ (Korff 2001). Die Schaffung einer Informationsbasis für das Marketing für und mit Internet-Auktionen durch gezielte Erforschung ihrer Kunden ist daher von großer Bedeutung. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, Internet-Auktionen aus der Kundenperspektive zu betrachten. Dabei wird von der Grundthese ausgegangen, daß an ihnen nicht nur erlebnisorientierte Schnäppchenjäger, sondern auch andere, pragmatische Kundentypen interessiert sein müssen. Es ergeben sich folgende Teilziele: • Theoretische Aufarbeitung des defizitären Kenntnisstands über Internet-Auktionen und ihre Nutzer: Diese umfassen die Darstellung der Besonderheiten von Auktionen aus Kundensicht, die Einordnung von Auktionen in das Marketing sowie die Ableitung von Verhaltensgrundlagen der Auktionsteilnehmer. • Empirische Untersuchung der Kundenperspektive in Internet-Auktionen: Am Anfang steht hier die Beobachtung grundlegender Merkmale von Internet-Auktionen. Eine Kundenbefragung dient der Erkenntnisgewinnung über Art, Ausmaß und Determinanten der Auktionsteilnahme und die mit Auktionen verbundenen Nutzenkomponenten. Weitere Teilziele sind die Identifikation von Kundentypen und die Analyse ihrer Einstellungen, Motive und Verhaltensweisen sowie eine Abschätzung des zukünftigen Marketing-Potentials von Internet-Auktionen. Einleitung 5 1.2 Abgrenzung des Themas Gegenstand dieser Betrachtungen sind primär Internet-Auktionen im Konsumentenbereich. Anbieter können dabei sowohl Unternehmen (B2C-Internet-Auktionen) als auch Privatleute sein (C2C-Internet-Auktionen). Beiden Formen ist das „2C“ gemeinsam, weshalb sie auch als Internet-Auktionen für Endkunden oder ConsumerAuktionen bezeichnet werden können. Die Grenzen zwischen beiden Teilbereichen des hier betrachteten Consumer-Auktionsmarkts verwischen zunehmend. Für diese Entwicklung sind die Annäherung der Geschäftsmodelle beider Bereiche (vgl. dazu näher 3.2.2.1) sowie die steigende Professionalisierung privater Anbieter (vgl. dazu näher 2.5.1.1) verantwortlich. In C2C-Auktionen sehen sich Konsumenten vor der Notwendigkeit, Marketing-Aufgaben zu übernehmen. Privatleuten wird mit Ausnahme sehr allgemeiner Marketing-Konzeptionen (vgl. z.B. Kotler/Bliemel 2001, S. 12) aber kein Marketing-Management zugebilligt; ein eigenständiges „C2C-Marketing“ existiert nicht. Das Anbieterverhalten von Privatpersonen ist von der betriebswirtschaftswissenschaftlichen Forschung bislang kaum untersucht worden, aber z.B. für Anbieter von Neuware interessant, wenn Nachfrage auch über den Gebrauchtmarkt gedeckt werden kann und die eigenen Kunden zu Konkurrenten werden (vgl. Ohlwein 2000, S. 297). In der vorliegenden Arbeit wird das Anbieterverhalten ebenfalls nur am Rande thematisiert; das Nachfragerverhalten steht im Mittelpunkt. Der Großteil des elektronischen Handels zwischen Unternehmen findet auf eigenen B2B-Marktplätzen statt, die u.a. auch Internet-Auktionen veranstalten (vgl. Wirtz/ Mathieu 2001, S. 1336; ECC-Handel 2001, S. 39f.). Anders als bei vielen B2CMarktplätzen handelt es sich dabei oftmals um geschlossene Systeme, die auch zu Forschungszwecken nicht leicht zugänglich sind. Wegen der Besonderheiten organisationaler Nachfrager, der Güter und der Marktprozesse erfordert die marketingorientierte Betrachtung von B2B-Internet-Auktionen wie das gesamte Industriegütermarketing darüber hinaus einen eigenständigen Ansatz (vgl. Backhaus 1999, S. 44) und ist daher nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Daher fehlt beispielsweise im Abschnitt 3.3 der nach der Systematik zu erwartende Aktionsbereich der Beschaffung. B2B-Internet-Auktionen werden nur thematisiert, wenn viele Überschneidungen mit B2C-Auktionen auftreten (z.B. Geschäftsmodelle, Nutzen und Möglichkeiten der Teilnehmer). Um den Rahmen nicht allzusehr zu sprengen, wird der Gegenstandsbereich auf den deutschsprachigen Raum eingeschränkt, wobei es gelegentlich nötig sein wird, insbesondere praktische Beispiele aus dem US-amerikanischen Markt heranzuzuziehen, da – wie viele E-Commerce-Angebotsformen – auch Internet-Auktionen dort bereits eine längere Tradition aufweisen. Herkömmliche Auktionen sind bereits aus verschiedenen Perspektiven Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gewesen und bilden einen Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Hier sind vor allem die Arbeiten von Cassady (1967), Smith (1989), 6 Einleitung Milgrom/Weber (1982) und McAfee/McMillan (1987) sowie aus jüngerer Zeit und dem deutschen Umfeld die Dissertationen von Kräkel (1992) und Beckmann (1999) zu nennen. An der Forschung zu Auktionen sind viele Disziplinen beteiligt, ohne daß jedoch jemals ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt worden wäre. Entsprechend zersplittert stellt sich die Erkenntnislage für denjenigen dar, der sich Internet-Auktionen als Forschungsgegenstand wählt. Es wird im Verlauf dieser Arbeit immer wieder nötig sein, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen klassischen Auktionen und Internet-Auktionen herauszuarbeiten, dabei die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Disziplinen zu klären und auf die Zwecke des Marketing anzuwenden; nur insofern sind klassische Auktionen Thema der hier angestellten Überlegungen. Schließlich wird die Betrachtung auf Auktionen im WWW begrenzt, da diese das heutige Begriffsverständnis von Internet-Auktion am besten wiedergeben (vgl. dazu vertiefend 2.1). Auktionen sind auch in anderen Diensten des Internet möglich, werden hier aber ebenso wie Auktionen in anderen elektronischen Netzen nur aus historischem Interesse erwähnt (vgl. 2.2). Andere Internet-Dienste, z.B. E-Mail, werden nach diesem Verständnis als Hilfsfunktionen der Web-Auktionen angesehen. Im Marketing lassen sich drei grundlegende Paradigmen mit spezifischen Stärken und Schwächen feststellen, die sich bei einzelnen Fragestellungen teils ergänzen, teils aber auch miteinander konkurrieren (vgl. Kaas 2000, S. 60ff., S. 72). Die klassische Auktionstheorie läßt sich dem neoklassischen Paradigma zuordnen. Dieser Ansatz geht jedoch von stark idealisierenden Annahmen wie vollständiger Information und vollkommener Rationalität aus, die bei Auktionen problematisch sind. Viele Fragestellungen bei Auktionen und Internet-Auktionen lassen sich daher besser nach dem neoinstitutionellen Paradigma konzipieren, das diese Annahmen aufhebt. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die Transaktionskostentheorie, die Principal-Agency-Theorie sowie die Informationsökonomik (vgl. dazu im einzelnen Gümbel/Woratschek 1995; Kaas 1995a; Kaas 1995c). So entstehen Auktionatoren als Marktinstitution offenbar gerade, weil reale Märkte nicht friktionslos und vollständig informiert sind, und ihr Auftreten verändert die Transaktionskosten auf einem Markt; zugleich verfolgt der Auktionator eigene wirtschaftliche Interessen, die sich mit denen seiner Auftraggeber nicht immer decken (vgl. Erlei/Leschke/Sauerland 1999, S. 49). Auch Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern können auf Auktionsmärkten Probleme verursachen, die als adverse Selektion bezeichnet werden (vgl. McAfee/McMillan 1987, S. 732f.). Da die Käufer als schlechter informierte Seite nicht ohne weiteres in der Lage sind, vor dem Kauf die Qualität der Anbieter zu beurteilen, sind sie nur zu einem Durchschnittspreis für eine vermutete Durchschnittsleistung bereit. Die besseren Anbieter verlassen daher den Markt, sofern sie können, so daß nur die schlechteren mit den von ihnen angebotenen „Zitronen“ übrigbleiben (vgl. Akerlof 1970). Wenn Einleitung 7 dieser Prozeß anhält, kann er zu Marktversagen führen. Andere, auf asymmetrische Information zurückgehende Probleme der Austauschbeziehungen zwischen Anbieter (Agent) und Käufer (Prinzipal) lassen sich insbesondere bei Leistungsversprechen nach dem Principal-Agency-Paradigma konzipieren (vgl. Weiber/Adler 1995a, S. 50f.). Dies gilt auch in Internet-Auktionen, wo der Zuschlag zunächst nur ein solches Versprechen darstellt, zu dessen Erfüllung dem Verkäufer ein gewisser Handlungsspielraum bleibt, wobei der Käufer darauf vertrauen muß, daß er für sein Geld eine entsprechende Leistung erhält. Da auch die Güter selbst unter informationsökonomischen Aspekten betrachtet werden können (vgl. Kaas 1995b, S. 23ff.; Weiber/ Adler 1995a; Weiber/Adler 1995b), ergeben sich für Auktionen gerade im Rahmen des E-Commerce und des Kaufverhaltens von E-Consumern vielfältige theoretische Ansatzpunkte, deren konsequente Integration den Rahmen dieser Arbeit allerdings erheblich überschreiten würde. Auf klassische Auktionen wurde die Informationenökonomik schon von deutschen Autoren anderer betriebswirtschaftlicher Disziplinen angewendet (vgl. z.B. Kräkel 1992; Beckmann 1999). Marketing bedeutet nach diesem Ansatz die Förderung von Transaktionen durch Überwindung von Informations- und Unsicherheitsproblemen (vgl. Kaas 1995a, S. 5). Daraus ergeben sich konkrete Marketing-Aufgaben, die u.a. in der Leistungserstellung und -überbringung, der Kommunikation und der Bewältigung opportunistischer Verhaltensweisen der Marktpartner bestehen (vgl. Kaas 1995c, Sp. 974; Mattmüller/Tunder 1999, S. 437). Die Neue Institutionenökonomik kann in einer Marketingarbeit dennoch nicht im Mittelpunkt stehen, da die konkrete konzeptionelle Integration beider Ansätze erst am Anfang steht (vgl. Mattmüller/Tunder 1999, S. 436). Zudem ist ihr phänomenologischer Erklärungswert zwar hoch, der empirische Gehalt aufgrund von Quantifizierungs- und Operationalisierungsschwierigkeiten z.B. bei der Messung von Transaktionskosten jedoch gering (vgl. Kaas 2000, S. 63). Neben den bisher genannten beiden mikroökonomischen Paradigmen bleibt noch ein drittes, das verhaltenswissenschaftliche Paradigma. Dieses Paradigma muß sich gegen die beiden anderen immer wieder behaupten und nimmt anders als in den USA auch heute in Deutschland keine Vorrangstellung ein (vgl. Gröppel/Weinberg 2000, S. 81). Seine Vertreter verstehen es als interdisziplinär, empirisch-positivistisch und anwendungsorientiert (vgl. Kaas 2000, S. 63f.). Die Stärken dieses Paradigmas liegen vor allem in der Ausdifferenzierung der psychischen und sozialen Verhaltensdeterminanten der Konsumenten (vgl. Kaas 2000, S. 63ff.; GröppelKlein/Weinberg 2000, S. 80). Die Konsumentenforschung ist eine der Kernaufgaben des Marketing bzw. der Marketing-Forschung (vgl. Meffert 1992, S. 22; KroeberRiel/Weinberg 1999, S. 3f.). Dabei wird nicht nur das Verhalten von Konsumenten beim Kauf bzw. Konsum von Gütern betrachtet (Konsumentenverhalten im engeren Sinne), sondern ganz allgemein das Verhalten der Letztverbraucher über den Kaufbzw. Konsumakt hinaus (Konsumentenverhalten im weiteren Sinne; vgl. KroeberRiel/Weinberg 1999, S. 3f.). Da die beiden anderen Paradigmen nur unbefriedigende 8 Einleitung Ansatzpunkte zur Konzeptualisierung des Verhaltens der Auktionsteilnehmer bieten, ist für die vorliegende Fragestellung das verhaltenswissenschaftliche Paradigma in besonderem Maße geeignet. 1.3 Aufbau und Gang der Untersuchung Da die Internet-Auktion als solche noch recht neu ist und bislang keine Gesamtdarstellung dazu vorliegt, ordnet das folgende zweite Kapitel Internet-Auktionen in den betriebswirtschaftlichen Forschungskontext ein und erläutert sie. Zunächst wird zu diesem Zweck eine Übersicht über Definitionen gegeben und eine Arbeitsdefinition aufgestellt. Es folgt eine Darstellung der Klassifikationsmöglichkeiten und Funktionen von Auktionen. Anschließend wird aus Kundensicht eine Abgrenzung zu vergleichbaren Angebots- und Preisfindungsformen vorgenommen, wobei der Unterschied zu klassischen Auktionen im Vordergrund steht. Nach einer Übersicht über die historische Entwicklung sowie die wirtschaftliche Bedeutung von Internet-Auktionen werden deren besondere Eigenschaften als virtueller Markt geschildert. Die ausführliche Darstellung und Diskussion der konstituierenden Elemente von Internet-Auktionen (Teilnehmer, Güter, Transaktionsphasen und Regeln) beschließt das Grundlagenkapitel. Das dritte Kapitel widmet sich der Einordnung von Internet-Auktionen aus Sicht des Marketing. Hier werden zunächst grundlegende rechtliche, wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Trends der Marketing-Umwelt diskutiert, die auf die weitere Entwicklung der Internet-Auktionen bedeutenden Einfluß nehmen dürften. Der Schwerpunkt liegt dabei wegen der mehrdeutigen Rechtslage und der erheblichen technischen Komponente von Internet-Auktionen gegenstandsbedingt auf den rechtlichen und technologischen Einflußfaktoren. Es folgt eine Analyse der aktuellen Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt für Internet-Auktionen, die mit einer Untersuchung der Erfolgsfaktoren und -strategien, der Geschäftsmodelle und des aktuellen Marktgeschehens im deutschsprachigen Internet beginnt. Der Kunde als Marktteilnehmer wird in diesem Kapitel bewußt weitgehend ausgeklammert und gemäß seiner Bedeutung für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit im folgenden Kapitel separat behandelt. Schließlich werden Marketingmaßnahmen im Absatzmarketing von Herstellern und Internet-Auktionatoren betrachtet. Eine kurze Rekapitulation und Diskussion des Anwendungspotentials für Internet-Auktionen im Marketing schließt das Kapitel ab. Das vierte Kapitel befaßt sich mit den Nutzern der Internet-Auktionen. Hier wird zunächst der bisherige Erkenntnisstand über Auktionskunden wertend zusammengefaßt, der sich aus meist fragmentarischen empirischen Untersuchungen, allgemeinen Internet-Nutzertypologien und impliziten Annahmen zusammensetzt. Weitere Verhaltensgrundlagen werden aus der klassischen Auktionstheorie und dem Käuferverhalten herangezogen. Dabei soll gezeigt werden, daß sich die klassische Auk- Einleitung 9 tionstheorie nur unzureichend mit dem Verhalten von Auktionsteilnehmern befaßt hat. Im Käuferverhalten werden Kaufmotive und Kaufentscheidungstypen identifiziert, die in Internet-Auktionen zu erwarten sind. In Kombination mit den theoretischen und empirischen Grundlagen ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine eigene empirische Untersuchung. Die Studie selbst ist dann Gegenstand des fünften Kapitels. Im Rahmen einer Vorstudie werden die Konstruktion der Stichprobe erläutert und erste Indizien über die praktische Ausgestaltung der konstitutiven Auktionselemente gewonnen. Eine darauf aufbauende Web-Befragung soll die speziellen Nutzenpotentiale, Motive und Eigenschaften der Teilnehmer an Internet-Auktionen klären. Eine Diskussion der Implikationen für das Marketing von Anbietern und Auktionatoren rundet das Kapitel ab. Abschließend werden die wichtigsten Aussagen der Arbeit thesenartig zusammengefaßt und ein Ausblick auf die Zukunft gegeben.