4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung Seite 89 (4) Mediale Sozialisation Ziel von Teil 4.1 Hier soll gezeigt werden, dass erst mit Computerspielen und medialer Werbung die neuen Medien fraglich werden... ..weil hier versucht wird, gesellschaftliches Wissen zu implementieren 4.2 Computerspiele und Werbung Übersicht: 1.) Präsentation von sozialen Mythen 2.) Zwischen Faszination und Indoktrination þ Computerspiele þ Werbung 3.) Offene Fragen/Resumee 1.) Präsentation von sozialen Mythen 4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung 1.) Präsentation von sozialen Mythen Seite 90 a) Sozialisierung gesellschaftlichen Wissens durch ”Weltbilder” ! Fraglich können die neuen Medien nur werden, wenn sie a) problematische Weltbilder vermitteln oder b) Weltbilder auf problematische Weise lancieren ! Weltbilder bestehen heute nicht mehr aus großen Entwürfen, sondern nur noch aus einer Summe von sozialen Mythen Nach Roland Barthes 1. Er unterscheidet zwischen Form, Inhalt und Bedeutung 2. Die Bedeutung ergibt sich aus der Relation zwischen Form und Inhalt als “Gemeintes”, als “Metastruktur” Ein Beispiel: Ich warte vor der Ampel ! Gesellschaftsbilder werden so zu Bildern verdichtet, dass sie zu einer ubiquitär nutzbaren Botschaft gerinnen, zu sozialen Mythen Form >rote Ampel< Inhalt >Halt!< Bedeutung / Form >Ich halte ordentlich an< Inhalt >ordentlich< Bedeutung >Inkarnation einer bürgerlichen Gesellschaft< 4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung 1.) Präsentation von sozialen Mythen Seite 91 b) Soziale Mythen in den Medien ! Beispiele für häufig in den Medien präsentierte soziale Mythen (Vgl. Baecker 1992, 122ff.) Thema: Form Inhalt Bedeutung / Botschaft Auto Computer Sport Schnittiges Fahrzeug Neu, aktuelle Ausstattung PS, km/h, Hightech Geschwindigkeit, Hochleistungsmaschine Kapazität Macht und Hegemonie Kompetenz Hauteng gestylt, windschlüpfrig Geltungsanspruch ! Sie lassen sich durch die Medien hervorragend transportieren und haben sogar eigene Formate entwickelt a) Computerspiele þ das Problem mit der Botschaft: problematisches Weltbild? b) Werbung þ das Problem mit der Botschaft: auf problematische Weise lanciertes Weltbild? 4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung 2.1)Zwischen Faszination und Indoktrination Seite 92 2.1) Zwischen Faszination und Indoktrination þ Computerspiele a) Gewaltgeprägte Soziale Mythen (þ problematische Botschaft?) ! Diskutiert werden bei Computerspielen vor allem solche Mythen, die von Gewalt und Sexismus geprägt sind, weil sie einerseits besonders problematisch erscheinen und anderseits besonders präsent sind ! Nach dem bisherigen Stand der Medienwirkungsforschung gibt es vier grundlegend verschiedene Theorieansätze zu Gewalt in den Medien: þ þ þ þ Nach der Stimulationstheorie sollen aggressive Computer-Spiele die Aggressionsbereitschaft fördern Die Inhibitionstheorie besagt hingegen, dass aggressive Computer-Spiele Angst erzeugen und die Aggressionsbereitschaft hemmen Nach der Habitualisierungstheorie sollen aggressive Computer-Spiele abstumpfend und gewöhnend wirken Und nach der Katharsistheorie können aggressive Computer-Spiele Spannungen abbauen und dadurch die Aggressionsbereitschaft mindern ! Nach der Botschaft wird hier überhaupt nicht gefragt b) Gewaltgeprägte Soziale Mythen: Eine problematische Botschaft ? ZDF - Frontal21 Gewalt ohne Grenzen: Brutale Computerspiele im Kinderzimmer Eine riesige Fangemeinde Jugendlicher verbringt ihre Freizeit mit Prügeln und Töten am PC. Über eine Million Kinder und Jugendliche nutzen Killerspiele regelmäßig. Das Problem: Die meisten Brutalspiele sind nicht indiziert und dürfen frei verkauft werden. Rainer Fromm und Thomas Reichart, 26.04.2005 Manfred Spitzer, Vorsicht Bildschirm: Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 2005 4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung 2.1)Zwischen Faszination und Indoktrination Seite 93 "Also, da muss man sehr klar sagen, dass es diese Zusammenhänge gibt und dass die auch erforscht sind. Wir wissen heute, dass virtuelle Gewalt entweder passiv übers Fernsehen rezipiert wird oder noch schlimmer, aktiv eingeübt am Videospiel, tatsächlich gewalttätig macht", erklärt Spitzer. "Ein friedfertiger Mensch, der viel Videospiele spielt, ist am Ende gewaltbereiter als ein eher gewaltbereiter Mensch, der gar nichts spielt." ! Aber: Aus konstruktivistischer Sicht kommt es auf die “Verhandlungspartner”, was der Spieler erwarten kann und will und was das Spiel anbieten kann und will - also auf die Bedeutung 1. Erwartet und angeboten werden kann nur Virtualität 2. Erwartung und Angebot sind offen 3. Erwartung und Angebot stehen in einem jeweils unverfügbaren Kontext 4. Aber leichter als sonst sind kognitive “Uminterpretationen” (Ent-Virtualisierung) möglich 4) Mediale Sozialisation Gewaltgeprägte Soziale Mythen: 4.2 Computerspiele und Werbung Eine leicht zu enteignende Botschaft ? 2.1)Zwischen Faszination und Indoktrination Seite 94 “Am 20. April 1999 ermordete der 17-jährige Dylan Klebold mit seinem 18-jährigen Freund Eric Harris zwölf Schüler und einen Lehrer an der Columbine High School in Littleton, Colorado. Anschließend erschossen die Täter sich selbst. Durch das Blutbad in Littleton wurde einmal mehr die Diskussion um die Gewaltdarstellung in den Medien entfacht: Klebold und Harris waren begeisterte Doom-und QuakeSpieler. ...Dass solche Szenarien auch in Deutschland passieren können, hätte bis zum 1. November 1999 niemand vermutet. An diesem Tag aber erschoss ein 16jähriger Schlosserlehrling in Bad Reichenhall drei Passanten, seine 18-jährige Schwester und anschließend sich selbst.” c) “Bei der Suche nach Gründen für solche Gewaltausbrüche sind Video- und ComputerSpiele ein immer wieder gerne genommenes Argument: Der Öffentlichkeit wird schnell ein Schuldiger präsentiert. Unliebsame Details, die differenziertere Erklärungen nötig machen, stören da nur: etwa das Datum des Massakers in Littleton (Hitlers Geburtstag), das Portrait Adolf Hitlers im Zimmer des Schützen von Bad Reichenhall oder Spannungen zu den Eltern oder Mitschülern” ! Aus konstruktivistischer Sicht kommt es auf die “Verhandlungspartner” an, was der Spieler erwartet und was das Spiel anbietet: 1. Es muss zwischen realer Aggression und Aggression im Spiel unterschieden werden. 2. Es muss gefragt werden, welche Bedeutung tatsächlich hier eingespielt wird d) Gewaltgeprägte Soziale Mythen: Ein Spiel 4) Mediale Sozialisation 4.2 Computerspiele und Werbung 2.1)Zwischen Faszination und Indoktrination Seite 95 ! Spiele bleiben auch im Kontext der neuen Medien Spiele, sie werden allerdings leicht verfügbar und erleichtern auch eine “sekundäre” (ent-virtualisierende) Nutzung ! Zum sekundären Gebrauch von Spielen: Ein Spiel, das besonders gut zu einer sekundären Nutzung geeignet ist, ist das MONOPOLY, das mitunter Mitspieler so inszenieren, dass der Gewinner zum Schluss als der >geniale< Kapitalist dasteht... Gisela Wegener-Spöring: þ Reale Aggression dient immer dazu, das Gegenüber zu verletzen und zu schädigen. þ Kämpfe im Spiel sind reiner Selbstzweck, die beiden Parteien Spaß machen, und nicht ein Mittel, um Interessen durchzusetzen Zur Bedeutung des Mythos: “ Spiel ist Umkehrung der Wirklichkeit, Transformation, ist Irritierung und Karikatur, ist Paradoxie und Kontrafaktum und nicht Abbild der Realität” 4) Mediale Sozialisation 2.2) Zwischen Faszination und Indoktrination 4.2 Computerspiele und Werbung 2.2)Zwischen Faszination und Indoktrination þ Werbung Seite 96 ! Medial arrangierter Mythos (am Beispiel einer Zigarettenwerbung, die auch in der Kölner U-Bahn 2003 plakatiert wurde) Rauchen Form Inhalt Bedeutung Zigarette im Alltag Klassisches Beziehungsskript Die Zigarette ist Kern jeder wahren Beziehung º Mit der Werbung wird das Beziehungsskript durch die Zigarettenmarke “besetzt” º Beziehungsskript und Zigarettenkonsum interpretieren sich wechselseitig und gerinnen zu einem festen Bestand des Wissens º Über die “Besetzung” des Beziehungsskriptes wird eine attraktive Botschaft produziert, der sich der Betrachter nur schwer entziehen kann 3.) Offene Fragen/Resümee 4) Mediale Sozialisation 4.1 Neue Medien 3.) Offene Fragen/Resümee Seite 97 ! Erst wenn die neuen Medien gezielt zur Indoktrination angelegt werden, dann werden sie zu einem Problem, weil sie damit die üblichen Regeln der Interaktion außer Kraft setzen ! Das Ziel der Werbung ist das Aushebeln der üblichen Regeln der Interaktion ! Die Frage ist allerdings, wie weit das noch funktioniert, wenn das der Werbungsnutzer in Rechnung stellt ! Zum Schluss bleibt nur das Resümee, dass die neuen Medien vom Nutzer mehr und nicht weniger verlangen als eine direkte Alltagsinteraktion, weshalb vor allem Kinder und Jugendliche hier besonders herausgefordert sind Ergänzende Literaturhinweise: Baecker, J. u.a.: Sozialer Konstruktivismus. In: S.J. Schmidt (Hg): Kognition und Gesellschaft. Frankfurt 1992,116ff Barthes ,R. : Mythen des Alltags. Frankfurt 1986 u.ö. Wegener-Spöring, G.: Aggressivität im kindlichen Spiel. Grundlegung in den Theorien des Spiels und Erforschung ihrer Erscheinungsformen, Weinheim 1995 Meckel, M.: Die globale Agenda. Kommunikation und Globalisierung. Opladen 2001