äseR Gr landexpress Das grüne Gold Ernährung • • • • • • • • • • • ab Seite 2 Coq au Grüental Skyfood – Nahrungsmittel mit Zukunft Tofu toppt Tatar Die Extrawurst Was die Massentierhaltung mit der Medizin zu tun hat Steak oder Gemüse Gegen Wind und Zeit Ein Pilz bedroht die Kornkammern Fleischkonsum im Vergleich Eine grosse Portion, bitte! Mais: Populationssorten Sommer 2015 Insekten – Fleisch der Zukunft? Grilliert, frittiert oder gedämpft – in vielen Ländern der Welt werden Insekten ganz ohne Weiteres gegessen, denn Schabenkoteletts und Madenschnitzel sind reich an Nährstoffen. Als umweltfreundliche Alternative zu Fleisch sollen sie künftig auch unsere Speisezettel bereichern. Seite 3 Energie und Rohstoffe ab Seite 12 • Mach es wie Popeye • Schilf – ein Gras, das unsere Vorstellung sprengt und beflügelt Kulturgeschichte ab Seite 14 • Die Entwicklung der Getreidesorten • Von Landsorten, alten Sorten und Zuchtsorten • Grasmusik • Milpa • Ackerbegleitflanzen Grünraumgestaltung ab Seite 20 • Gräser, die kein Schattendasein fristen • Annuelle Schönheit einen Sommer lang • Das Grün des Rasens Aus dem Gräserland Ein Fussballfeld pro Familie; Vegetarisch essen ist gesünder für die Umwelt; Es wird eng; Was tanke ich heute; Gerste – Rohstoff für Bier und Whisky; Woher kommt der Weizen?; Vom Urmais zum Hybridmais; Reis: das Brot Asiens; Bambus als natürliche Superfaser; Papyrus – das Papier der Antike; Zuckerrohr – die süsse Droge; Experimentelle Drifts; Gestalten mit Gräsern; Gräser, App und Boxen; Hecken am laufenden Meter Gärten im Grüental ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) Campus Grüental, CH-8820 Wädenswil Telefon +41 58 934 55 85 E-Mail: [email protected] www.zhaw.ch/iunr/gaerten Algen für Popeye Grasmusik Statt des Kräutergartens sollen dereinst Mikroalgen auf dem Balkon wachsen. Doch bis diese Vision Realität wird, haben die Forschenden an der ZHAW noch etliche Fragen zu klären. Seite 12 Wer weiss noch, wie man mit einem zwischen die Finger geklemmten Grashalm ein Reh anlockt? Gras liefert nicht nur Kalorien, sondern durch Oboe, Schalmei oder Panflöte auch ganz verschiedene Töne. Seite 16 Die Zeitung zum Gräserland der ZHAW in Wädenswil 2 Ernährung Inkareis vom Jurasüdfuss Am Jurasüdfuss, bei Familie Lüthi auf dem Aarhof in Bellach, wird öfter was ausprobiert. Lüthis pflanzten im letzten Jahr erstmals 130 Aren Quinoa (Chenopodium quinoa oder eben «Inkareis») im Rahmen eines IP-SUISSEFeldversuchs. Die ursprüngliche Idee, zusammen mit Migros ein Quinoabrot herzustellen, muss allerdings vorerst noch ein bisschen verschoben werden. Denn leider war auf dem Feld der Unkrautdruck sehr gross, so dass beim Reinigen in der Mühle der Ernteverlust ziemlich hoch war. Zum Schluss blieben lediglich 750 kg gereinigte Quinoakörner übrig – eine zu geringe Menge, um bei Migros ein solches Projekt zu starten. Ein zweiter Punkt, der im Moment noch nicht gelöst ist, sind die in den Körnern enthaltenen Saponine oder Bitterstoffe. In Südamerika, wo Quinoa bis ins Hochgebirge der Anden angebaut wird, wässern die Bauern das Pseudogetreide, indem sie es in Leinensäcke abfüllen und so lange im Fluss auswaschen, bis die Bitterstoffe aus den Körnern gewaschen sind. Danach wird es an der Sonne ausgelegt und getrocknet. Für die Entbitterung ihres Quinoas müssen Lüthis noch ein bisschen tüfteln – denn eine solche «Auswaschung» dürfte bei uns wohl kaum bewilligt werden, auch wenn die Aare gleich neben ihrem Bauernhof vorbeizieht. Dennoch lassen sich Lüthis nicht von solchen Startschwierigkeiten abschrecken und werden dieses Jahr nochmals 50 Aren Quinoa anbauen. In Schaffhausen wird von einem anderen Betrieb ebenfalls 60 Aren Quinoa im Rahmen des IP-SUISSE-Projekts angebaut. trrr Sommer 2015 / GräseRLandexpress Coq au Grüental An der ZHAW wird nicht nur graue Theorie, sondern auch die wissenschaftliche Praxis vermittelt. Deshalb untersuchen Studierende hier jedes Frühjahr verschiedene Aspekte der Hühnermast – vom Ei bis zum grillierten Poulet. Die Tage werden länger, doch am frühen Morgen kräht kein Hahn. Noch nicht. Wie jedes Frühlingssemester werden auch dieses Jahr die Studierenden im Grundlagenmodul für Biologische Landwirtschaft und Hortikultur Eier ausbrüten. Nicht selber, klar, dazu gibt es einen Brutapparat. Es gilt jedoch, Luftfeuchtigkeit und Temperatur optimal zu regulieren, damit die Küken nach drei Wochen mit ihrem Eizahn die Schale aufbrechen. Wieso wir Hühner halten? Am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) legen wir Wert auf die Verknüpfung von theoretischem Wissen mit praktischen Erfahrungen. In Dreiergruppen bearbeiten deshalb die Studierenden einen Praxisauftrag in Pflanzenbau, Feldbiologie oder in Tierhaltung. ▲ Beim Schlachten dürfen die Studierenden nach fachkundiger Anleitung selber Hand anlegen. (Bild: Hansruedi Keller) ▲ Strukturelemente im Auslauf werden von den Hühnern häufig genutzt. (Bild: Monika Hutter) Bei der Hühnerhaltung werden konventionelle, schnellwachsende Masttiere mit langsamer wachsenden Masthybriden verglichen. Letztere sind auch auf Biobetrieben zugelassen. Wichtig sind dabei die Aspekte Verhalten, Wesenskunde und Haltung wie auch Fütterung, Tiergesundheit und Zucht. Woher stammen denn unsere Haushühner (Gallus gallus)? Wie ist ihr Verhalten im natürlichen Lebensraum? Aus dem in der Literatur gesammelten Wissen sollen Strukturelemente für den Auslauf und die Stalleinrichtung abgeleitet und gebaut werden, damit sich die Tiere möglichst arttypisch verhalten können. Ob sie sich tatsächlich normal verhalten, wird durch eine Gruppe anhand einer Verhaltensstudie beobachtet. Andere Studierende vergleichen die unterschiedliche Entwicklung der intensiven und der extensiven Tiere. Dabei interessiert auch der Unterschied in der Gewichtszunahme zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Da das Ziel einer Mast das Fleisch ist, fokussiert eine Gruppe darauf. Am Ende der Mastzeit von etwa 70 Tagen bei den Bio-Hühnern und 40 Tagen bei den konventionellen Hybriden, werden die Tiere geschlachtet. Die Studierenden beurteilen nach einer Einführung das Fleisch sensorisch in einem Blindtest. Und als Abschluss des Grundlagenmoduls geniessen wir das Fleisch an einem Grillfest, zusammen mit den Erdbeeren aus den Praxisaufträgen in Pflanzenbau. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Hortikultur: Monika Hutter, [email protected] Kurznachrichten Weizenhandel in der Jungsteinzeit ▲ Quinoa oder Inkareis. (Bild: Colourbox) In einem ungefähr 8000 Jahre alten Meeressediment aus der Nähe der Isle of White haben Archäologen DNASpuren von Einkorn gefunden. Einkorn ist der ursprüngliche Vorfahre von Weizen, welcher zuerst im Nahen Osten angebaut wurde. Dass der Weizen nun in so alten Proben in Grossbritannien gefunden wurde, ist sehr überraschend, denn die Untersuchungen von fossilen Pollenproben haben bis jetzt gezeigt, dass der Ackerbau, und somit auch der Weizen, erst vor etwa 6000 Jahren nach Grossbritannien kamen. Die Forschenden gehen deshalb davon aus, dass der Weizen durch Handel über die damals noch bestehende Landverbindung zu Europa nach England gelangt sei. Dieser Handel muss über viel grössere Distanzen, möglicherweise bis in den Nahen Osten, funktioniert haben, als bisher angenommen wurde. bape Science 347, 924 + 946 und 998 – 1001 (2015) ▲ Mahlstein. (Bild: Wikimedial) Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress 3 Skyfood Nahrungsmittel mit Zukunft Der Schweizer Bundesrat will 2016 erste Insektenarten in einen Entwurf zum neuen Lebensmittelgesetz aufnehmen. Mit gutem Grund: Insekten sind mehrfach effizienter und ökologischer als Fleisch von Kühen, Schweinen, Vögeln und sogar von Fischen. Sie sind hochwertig und gesund. Ausserdem fressen Insekten nicht den Menschen die Grundnahrungsmittel weg: Ein Geschenk des Himmels. Insekten waren die ersten fliegenden Lebewesen unseres Planeten. Sie haben den Himmel schon im Karbon bevölkert, 150 Millionen Jahre vor den ersten Flugsaurieren und Vögeln. Und sie standen schon immer auf dem Speisezettel von Menschen – wie auch heute übrigens noch die Mehrheit der Weltbürger Insekten isst, nur nicht in westlichen Kulturen. Heute haben die Zerstörung von Regenwäldern, der Ausstoss von Treibhausgasen und die unglaubliche Verschwendung von Wasser für die Fleischproduktion ein so erschreckendes Ausmass angenommen, dass die Welternährungsorganisation (FAO) 2013 Alarm schlägt. In ihrem Bericht «Edible insects: future prospects for food and feed security», wird gezeigt, dass heute 70 % der weltweiten Ackerfläche für den Anbau von Futtermitteln (inkl. Fleischproduktion) verwendet wird. Ernährungssicherheit, Stopp des Klimawandels und ein Ende der unumkehrbaren Zerstörung natürlicher Ressourcen können nur erreicht werden, wenn ein Wandel stattfindet hin zur Deckung des Bedarfs an tierischen Proteinen mit Insekten. Und übrigens: Der Hauptgrund, weshalb Menschen Insekten essen, ist, weil sie gut schmecken. Sie sind also keineswegs Hungernahrung. Im Gegenteil, vielerorts sind Insekten eine begehrte und teure Delikatesse. Entomophagie – die geniale Art der Schädlingsbekämpfung Auch in der Schweiz mussten bis nach dem 2. Weltkrieg Schulkinder ausrücken, um Maikäfer einzusammeln, die als Wurzelschädlinge für grosse Ernteausfälle verantwortlich waren. Und es gibt sogar vereinzelt Hinweise, dass mancherorts daraus nahrhafte Maikäfersuppen hergestellt wurden. Genau das wird heute noch in ostasiatischen Ländern mit den Junebeetles gemacht. Diese geniale Verbindung von Schädlingsbekämpfung und Ernährung wurde Jahrtausende lang gepflegt, indem Dorfgemeinschaften beim Einfall beispielsweise von Heuschrecken in die Felder zogen, um diese Insekten einzusammeln und festlich zu verspeisen. Dies ist heute kaum mehr möglich, weil durch den Einsatz von Insektiziden wildgefangene Tiere für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet sind. Deshalb werden in Asien heute die meisten essbaren Insekten gezüchtet: Sagowurm, Bambuswurm, Heuschrecken, Grillen, Wasserkäfer und Skorpione – aber Halt, Skorpione sind ja keine Insekten. Der Götterbaumspinner Die ältesten von Menschen gezüchteten Insekten sind die Honigbienen und die Seidenraupen. Beide werden seit Jahrtausenden kultiviert für ihren Honig und die wertvolle Seide. Dabei wurden als Nebenprodukte vor allem die begehrten Bienenmaden und die Puppen der Seidenraupen Bombyx mori gegessen. ▲ In Asien werden Insekten verkauft wie bei uns Antipasti. (Bild: Daniel Ambühl) Doch das Insekt, welches seit Jahrhunderten in den grössten Mengen gezüchtet wird, ist der ursprünglich aus Asien stammende Götterbaumspinner Samia cynthia. Dieser ist der Verbreitung seiner Futterpflanzen gefolgt, dem Götterbaum und dem Rizinus. So ist er heute fast weltweit verbreitet und auch im Tessin und Südeuropa heimisch geworden. In Thailand, wo an der Universität von Khon Kaen seit Jahrzehnten über die vielseitige Verwendung der Produkte dieses Insekts geforscht wird, kennt man eine Vielzahl verschiedener Anwendungen: Aus der Seide wird Stoff hergestellt, aus dem Klebereiweiss, welches den Seidenfaden umgibt, entstehen Kosmetika, Shampoo oder Seifen, die Kokons werden als teure, exklusive Gesichtsreinigungspads nach Japan exportiert und die Puppen werden zur Zucht von medizinisch hochbegehrten Keulenpilzen verwendet oder frisch zu Chips und Snacks verarbeitet. Der Götterbaumspinner hat aber noch viele weitere Vorteile: Im Unterschied zu den empfindlichen und heiklen Seidenraupen (Bombyx mori) ist der Götterbaumspinner robust und kann mit einer Vielzahl von Pflanzen ernährt werden. Er frisst Pflanzen, die für Menschen giftig sind, wie zum Beispiel Rizinus, und ist somit kein Nahrungskonkurrent des Menschen. Und vielleicht sein grösster Vorteil gegenüber den Grashüpfern, Grillen und Mehlwürmern: Die Puppen des Götterbaumspinners besitzen keinen Darminhalt. Somit besteht beim Konsum durch den Menschen keine Gefahr, über den Darminhalt des Tieres unhygienische und giftige Nahrung aufzunehmen. Forschung in der Schweiz An der ZHAW in Wädenswil, einem eigentlichen Hotspot dieser Forschung, laufen zurzeit mehrere Projekte zum Thema «Essbare Insekten». So wird zum Beispiel auch am Götterbaumspinner geforscht. Und unter dem Titel «Food from Wood» wird versucht, den Kompostierungsprozess von holzhaltigen Pflanzen so umzuorganisieren, dass dabei in Form von Pilzen und essbaren Insekten wertvolle Nahrungsmittel anfallen. Trotz der Unterstützung der FAO ist es schwierig, für solch innovative Pro- jekte Stiftungsgelder zu erhalten. Insekten als Nahrungsmittel sind wirklich ein ganz neues Thema und daher in den Zweckparagraphen von Stiftungen noch nirgends anzutreffen. Bis zur definitiven Einführung von Insekten als Nahrungsmittel im Schweizer Lebensmittelgesetz, dürfte noch einige Zeit vergehen. Solange können Insekten in der Schweiz zwar nicht in Handel und Gastronomie kommen, der private Konsum und die private Zucht von essbaren Insekten für den Eigengebrauch sind aber erlaubt. Insekten zu essen ist also nicht illegal. Es braucht jedoch noch tatkräftige Unterstützung von Seiten der Bürgerinnen und Bürger, Behörden und Politik, bis sichere, gesunde und nachhaltig in der Schweiz produzierte Insekten bei uns auf den Tisch kommen. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Phytomedizin, Prof. Dr. Jürg Grunder, [email protected] und Daniel Ambühl, externer Experte, www.danielambuehl.ch Skyfood Wer sich einen Überblick zum Thema «Essbare Insekten» in der Schweiz verschaffen, und dabei auch noch das prächtige Gräserland in den Gartenanlagen des Campus Grüental besuchen möchte, der macht am besten im Frühherbst einen Ausflug an den Zürichsee. An der ZHAW Wädenswil findet am 3. September 2015 die Skyfood-Tagung zum Thema Essbare Insekten in der Schweiz statt. Erstmals 2014 veranstaltet, fand diese Tagung in den Medien ein grosses Echo. Sie ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Wir hoffen auf rege Teilnahme, denn Insekten sind das Nahrungsmittel mit Zukunft und das Vieh der Urban Farmer. Als Mikrolivestock sind Insekten im städtischen Raum die sinnvollsten Produzenten von hochwertigen tierischen Nährstoffen. Die Zukunft hat schon begonnen: Insekten können zwar noch nicht als Handelsware, doch bereits heute für den Eigenbedarf produziert werden. 4 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Tofu toppt Tatar Rindfleisch hat heutzutage einen schweren Stand. Tier- wie Umweltschützer rücken dem Rindfleisch zu Leibe mit dem einen Ziel, dessen weltweiten Verzehr zu reduzieren. Stattdessen soll die Proteinzufuhr durch pflanzliche Produkte wie Tofu erfolgen. Der Proteingehalt von Tofu ist fast so hoch wie derjenige von Rindfleisch. Doch ist Tofu wirklich umweltfreundlicher als Rindfleisch? Der Vergleich der Klimaauswirkung von einem Kilogramm Schweizer Rindfleisch mit derjenigen von einem Kilogramm Tofu zeigt, dass Rindfleisch rund 28-mal mehr Treibhausgasemissionen verursacht als Tofu; pro Kilogramm Rindfleisch 15.4 kg CO2-Äquivalente und pro Kilogramm Tofu nur gerade 0.6 kg CO2Äquivalente (siehe Abbildung). Aus der Grafik wird ebenfalls ersichtlich, dass die von den Rindern direkt ausgestossenen Klimagase – hauptsächlich Methan aus der Verdauung – mit 69 % der klimaschädlichste Faktor sind, gefolgt von den Treibhausgasemissionen, die durch die Futterproduktion (Rau- und Kraftfutter sowie Milchpulver in der Kälbermast) verursacht werden. Bei Betrachtung des Landverbrauchs der beiden Produkte ist es wiederum schlecht um das Rindfleisch bestellt. Die Herstellung von einem Kilogramm Tofu benötigt eine Fläche von 0.5 m2. Die Produktion der gleichen Menge Schweizer Rindfleisch (IP Suisse) benötigt eine Landfläche von 15.2 m2, also rund 30-mal mehr. Dies ist einerseits durch den Platzbedarf der Tiere selber (Hof und Weide), aber auch durch den Flächenverbrauch im Getreideanbau für die Herstellung von Raufutter (Gras- und Maissilage, Heu) und Kraftfutter (Getreidemischung aus Gerste, Hafer, Weizen, Raps, Mais, Sonnenblumen) zu erklären. Würde man auf der Fläche, die es braucht um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, stattdessen Soja anbauen, so könnte man 16 kg Sojabohnen ernten und daraus – unter Zugabe von Wasser – 29 kg Tofu herstellen. Natürlich sind Klimawandel und Landverbrauch nicht die einzigen Umweltaspekte. Die BAFU-Methode der ökologischen Knappheit 2013 berücksichtigt daher 19 verschiedene Umweltaspekte von radioaktiver Strahlung bis zum Einsatz von toxischen Pestiziden. Bei Bewertung mit dieser umfassenden Methode schneidet Tofu rund 11-mal besser ab als Rindfleisch. Die wissenschaftliche Begründung für Tofu in der Ernährung ist also gegeben. Nun braucht es kreative Köche und schmackhafte Rezepte für einen Einzug von Tofu in die Schweizer Speisekarten. 20 15 10 Rest Transport Sojabohnen Tierfutter Tieremissionen 5 0 1 kg Rindfleisch 1 kg Tofu ▲ Treibhausgasemissionen in kg CO2Äquivalente von 1 kg Rindfleisch und 1 kg Tofu. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Erneuerbare Energien, Matthias Stucki, [email protected] und Sarah Kreuzer, [email protected] Wie wir morgen essen werden Sechs Food-Trends vom Zukunftsinstitut Fleischverzehr wieder zu etwas Besonderem werden, das man mit Genuss statt schlechtem Gewissen zelebriert. passt, ihm schmeckt, moralisch vertretbar ist und ihn gesund hält. Trendprognose 4 Trendprognose 2 Sensual Food Geschmack wird zur Orientierung im Lebensmittelüberfluss immer wichtiger. Die Aufwertung von Geschmack eröffnet ein gewaltiges upselling Potential – vom Lagenkaffee über Himalajasalz bis zum Sommelierbier. Geschmack ist individuell und erfordert eine Verfeinerung und Weiterentwicklung einer Genusssprache, die uns hilft, sensorische Eindrücke besser zu verbalisieren und ins Bewusstsein zu holen. Trendprognose 1 Trendprognose 3 Flexitarier Immer mehr Menschen lassen das «Hauptelement» Fleisch an drei oder mehr Tagen pro Woche weg. Die Teilzeitvegetarier machen bereits einen Markt mit ähnlichen Dimensionen wie «Bio» aus. Der Flexitarier verbindet Genuss mit Welt- und Selbstverantwortung. Auf diese Weise kann Curated Food Im Umgang mit Nahrung zählt künftig nur noch die richtige Auswahl. Es gibt alles – und von allem zuviel. Noch mehr Wahlmöglichkeiten schaffen nicht mehr Konsum, sondern Desorientierung und Verdruss. Der Stress steigt. Dabei sucht der Konsument ja nur nach einem Produkt, das zu ihm New Gardening Selbst gezogen und selbst gepflückt – der Trend zum Urban Farming/Gardening erobert Städte, Dächer und Restaurants. Statt Lebensmittel über lange Wege zu transportieren, sollen die Städter sie selbst vor Ort produzieren. Urban Farming/Gardening vereint mehrere Wünsche: Sehnsucht nach Natur und dem Ursprünglichen, nach authentischen, lokalen Nahrungsmitteln mit dem Bedürfnis, autark zu sein, angesichts von Wirtschafts- und Lebensmittelkrisen Versorgung selbst sichern zu können. Trendprognose 5 Küchenchefs Sie sind die Supermodels der 2010erJahre, denn sie weisen den Weg zu verantwortungsvollem Umgang mit Körper, Nahrungsmitteln und Umwelt. Innovative Küchenchefs müssen heutzutage über sinnliche Erlebnisse Sinn erzeugen, Zusammenhänge klarmachen, Geschichten erzählen. Denn ein Grundbedürfnis der Gäste von morgen ist besonders beim Essen echtes Verstehen und intuitives Vertrauen in die Küchenphilosophie eines Restaurants bezüglich Qualität, Herkunft der Produkte, Zubereitung und Inszenierung. Trendprognose 6 Re-use Food Ein Umdenken setzt ein. Sharing heisst beim Thema Food neue Kreisläufe eröffnen für das, was derzeit noch in den Müll wandert. Der sorgsame Umgang mit Nahrung und die Vermeidung von Abfällen ist im Alltag oft nicht leicht. Unsere Lebenshaltung ist paradox – für viele Konsumenten ist es selbstverständlich, alles was das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat, sofort wegzuwerfen. Inspiriert durch die Natur, in der es keine Probleme mit Abfällen gibt, wird das Prinzip von «Cradle to Cradle» zum neuen Paradigma einer müllfreien Gesellschaft. trrr Gekürzt aus trend-update 2/2014, www.trend-update.de Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress 5 Die Extrawurst Seit 22 Jahren bin ich Vegetarierin. Mit neun Jahren entschied ich von heute auf morgen, kein Fleisch mehr zu essen. Der Grund dafür lag am fehlenden Hintergrundwissen zu den in den Supermärkten prächtig präsentierten Fleischwaren. Wie wurde das Tier gehalten, wie wurde es transportiert, wie wurde es geschlachtet? Selbstverständlich werde ich oft gefragt, wieso ich kein Fleisch esse. Gerne stelle ich dann die etwas provokative Gegenfrage: Würdest du denn dein Kaninchen essen? Oder das Pferd auf der Weide dort drüben? Die Antwort ist dann meistens: Nein, nein, das nicht, aber ein Stück Poulet aus Australien schon. Aber wie geht das auf? Man belächelt jemanden, der aus Mitleid ein Huhn verschmäht, aber verurteilt Menschen, die Hunde essen. Ich selber habe ein Pflegepferd und bin mit Haustieren aufgewachsen. Aber warum sollen diese Tiere mehr Wert haben als ein Rind oder ein Schwein? Ich mag Fleisch. Und beim Anblick eines Käse-Wurst-Salats läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Apropos Wurst, als Extrawurst fühle ich mich oft. Ob an Familientreffen, Geburtstagsfeiern oder sonstwo: Immer 720 Hühner 390 Fische 33 Schweine 25 Hasen 8 Kühe 6 Schafe 4 Rehe ▲ Ein Schweizer Bürger frisst während seines Lebens durchschnittlich 1185.5 Tiere. 2 Hirsche ½ Pferd (Quelle: www.swissveg.ch/tierkonsum) braucht es für mich ein Extramenü. Noch schwieriger kann die Problematik in anderen Ländern sein und vor allem die ältere Generation ist mit mir überfordert. Ich setzte mich durch die ewige Fragerei und mein Studium vertieft mit dem Thema Vegetarismus ausein- ander. Es gibt verschiedenste Gründe, vegetarisch zu leben. Diese können ethischer, gesundheitlicher, politischer oder ökologischer Natur sein. Wobei Letztere mich in meiner Entscheidung noch mehr bestätigt, wenn man bedenkt, dass die Massentierhaltung für einen grossen Anteil der CO2 Emissionen verantwortlich ist und man für ein Kilogramm Rindfleisch gut 27 m2 Land benötigt (internationaler Durchschnitt). Oder, dass ein Schweizer Bürger in seinem Leben gemäss swissveg.ch 1188.5 Tiere isst. Vor ein paar Jahren bekam ich die Chance, einen einheimischen Jäger auf der Pirsch zu begleiten. Ich war erstaunt, wie mich diese ursprüngliche Art an Fleisch zu kommen, faszinierte. Mit eigenen Augen sah ich, wie das Tier kurz vor seinem Tod lebte und wie es erlegt wurde. Ich konnte einen Beitrag leisten, indem ich half, es auszuweiden und ins Tal zu bringen. Der Respekt, welcher der Jäger dem Tier entgegenbrachte, war spürbar. Es wäre schön, wenn wir vor unserem eigenen Fleischkonsum und dem Verlangen nach ständiger Verfügbarkeit auf Kosten anderer Lebewesen nicht einfach die Augen verschliessen würden. Wir können in der westlichen Welt frei entscheiden, ob und in welcher Form wir Fleisch essen wollen. Und eine Vegiwurst tut es zwischenzeitlich auch. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Studiengangsleitung (IZA, Erasmus), Diana Haller, [email protected] Aus dem Gräserland Vegetarisch essen ist gesünder für die Umwelt Rindsschmorbraten Burgunderart mit Pommes Frites Essen verursacht fast einen Drittel der Bodenschadstoffe Luftschadstoffe Wasserschadstoffe Ressourcen 4430 2916 650 1840 Andere 270 10106 Umweltbelastung einer durchschnittlichen Privatperson in der Schweiz. Denn bis die Gemüselasagne auf dem Tisch steht, muss Ökobilanzen 11000 ein Bauer Gemüse und Getreide anbauen, muss düngen und die Pflanzen vor Insekten 8250 und Krankheiten schützen. Die Ernte wird transportiert, zu Teigwaren verarbeitet oder 5500 direkt in den Laden gebracht. Und dann muss die Lasagne noch gekocht werden. Rechnet man all diese Faktoren zusammen, 2750 so ist die Gesamtumweltbelastung eines Rindsschmorbratens fast viermal so hoch, 0 wie die einer Gemüselasagne. Ganz allgemein kann man sagen, dass Fleisch- und Fischmenüs die Umwelt deutlich stärker Bodenschadstoffe Wasserschadstoffe Andere Luftschadstoffe Ressourcen belasten als vegetarische Menüs. ▲ Ökobilanz von Rindsschmorbraten Burgunderart mit Pommes Frites in Umweltbelastungspunkten (UBP) Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Erneuerbare Energien: Matthias Stucki, [email protected] (blau = Bodenschadstoffe, grün = Luftschadstoffe, gelb = Wasserschadstoffe, rot = Ressourcen, violett = Andere. Illustrationen: Lars Baggenstos) Alle Auswirkungen auf die Umwelt oder den Menschen werden in einer Ökobilanz gesammelt und entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet. Durch eine standardisierte Methode entstehen daraus sogenannte Umweltbelastungspunkte. Durch diese Zahl lassen sich verschiedene Umweltbelastungen miteinander vergleichen. Das CO2 -Äquivalent dient als Mass für den relativen Beitrag eines Treibhausgases zur globalen Erwärmung. Als Vergleichswert dient Kohlendioxid. 6 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress ▲ Hühner in Massentierhaltung. (Bild: Colourbox, Vladimir Gerasimo) Was die Massentierhaltung mit der Medizin zu tun hat Die Entdeckung der Antibiotika vor rund hundert Jahren gehört zu den wichtigsten Ereignissen der Medizingeschichte. Viele zuvor tödliche Krankheiten waren damit besiegt. Doch in den letzten Jahrzehnten wurden diese Wundermittel sehr sorglos eingesetzt – auch zur Produk­ tion von immer mehr Fleisch. Nun könnten die Bakterien wieder die Oberhand gewinnen. Antibiotika sind unverzichtbare Medikamente gegen viele menschliche Krankheiten. Dass bei immer mehr Krankheitserregern eines oder gar mehrere Antibiotika nicht mehr wirksam sind, ist deshalb äusserst beunruhigend. Werden gewöhnliche Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen von diesen sogenannten ‹resistenten› Bakterien ausgelöst, sind diese schwierig zu behandeln. Bereits heute fordert die Ausbreitung von resistenten Krankheitserregern immer häufiger Menschenleben. Neue Antibiotika sind nicht in Sicht, denn die Entwicklung neuer Medikamente ist zeit- und geldaufwendig. Grundsätzlich ist die Resistenz­ entwicklung eine natürliche Anpassungsstrategie der Bakterien. Resistente Bakterien können deshalb überall in der Umwelt gefunden wer- den. Doch wird diese Resistenzentwicklung durch den übermässigen und unsorgfältigen Gebrauch von Antibiotika gefördert. Diesen gilt es möglichst zu verhindern. Antibiotika-Einsatz in der Tierproduktion Erkrankt ein Tier im Stall, wird dieses behandelt – wenn nötig auch mit Antibiotika. Allerdings dürfen Medikamente nur gezielt und nach Verschreibung durch den Tierarzt verwendet werden. So sind Antibiotika auch in der biologischen Landwirtschaft erlaubt. Doch ist in der Schweiz und in der EU der vorbeugende Einsatz von Antibiotika zur Leistungsförderung verboten. Dies war früher noch möglich. Trotzdem wurden im Jahr 2013 in der Schweiz insgesamt 53 384 kg Antibiotika für die Veterinärmedizin verkauft. Was nach sehr viel tönt, ist bereits eine Verbesserung: Nur fünf Jahre zuvor wurde gar noch ein Viertel mehr Antibiotika verteilt. Die Antibiotika an sich sind für die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten kein Problem, denn aufgrund von strengen Regelungen dürfen tierische Produkte erst nach einer vorgeschriebenen Wartezeit in den Verkauf gelangen. Gesundheitliche Risiken aufgrund von Antibiotikarückständen sind deshalb in Schweizer Produkten nicht zu befürchten. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung kann aber die Resistenzbildung begünstigen. Da viele Antibiotika sowohl bei Tieren wie auch bei Menschen eingesetzt werden, hat dies einen direkten Einfluss auf die Wirksamkeit unserer Medikamente. Gegenmassnahmen Oberstes Ziel des neuen nationalen Programmes ‹Strategie Antibiotikaresistenzen› ist es deshalb, die Wirksamkeit der Antibiotika für Mensch und Tier langfristig zu erhalten. Wichtige Massnahmen sind die genaue Überwachung des Antibiotikaverbrauchs und der Verbreitung der resistenten Keime, die Verbesserung der Prävention und das Entwickeln von besseren DiagnoseMethoden, damit in Zukunft Antibiotika wirklich nur gegen Bakterien eingesetzt werden und nicht gegen Viren. Dagegen sind sie nämlich wirkungslos. Auch eine artgerechtere Tierhaltung in der Landwirtschaft kann zu einer Verminderung von resistenten Keimen beitragen. Werden Tiere in grossen Gruppen gehalten, so werden häufig alle Tiere behandelt, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Kleinere Gruppen oder eine rasche Isolation der kranken Tiere könnten hier den Einsatz von Antibiotika verringern. Auch eine verbesserte Krankheitprävention durch Seuchenbekämpfungsprogramme und verbesserte Tierhygiene können helfen, Tiere gar nicht erst krank werden zu lassen. Je mehr Krankheiten verhindert werden können, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass Medikamente unsachgemäss eingesetzt werden. Und wie können Sie sich schützen? Resistente Keime können über Lebensmittel oder über den direkten Kontakt zu Tieren auch auf die Konsumentinnen und Konsumenten gelangen und unter Umständen Krankheiten auslösen. Doch lässt sich dies leicht vermeiden, wenn Sie folgende Regeln beachten: •Fleisch gekühlt aufbewahren, damit sich Keime nicht vermehren können. •Fleisch schnell in die Pfanne geben •Fleisch gut durchbraten, damit alle Keime abgetötet werden. •Zum Schneiden von Fleisch ein Kunststoffbrett oder einen Teller verwenden, kein Holzbrett, da sich dieses nur schlecht reinigen lässt. •Schneidebrett und Messer mit heissem Wasser und Seife oder noch besser in der Abwaschmaschine reinigen. •Hände gut mit Seife waschen. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation: Dr. Petra Bättig, [email protected] Informationen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen: www.blv.admin.ch/ gesundheit_tiere/ 7 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Steak oder Gemüse – was wächst in unserem Land? SH TG BL/BS JU SO AG AR/AI ZH SG ZG LU NE SZ (Futtermittel) Futterrüben Futtergetreide Silo-, Grünmais, Eiweisserbsen Wiesen und Weideland Brotgetreide Raps und weitere Ölsaaten Reben Zuckerrüben Kartoffeln Obst Gemüse VD GL NW OW UR FR GR BE TI GE VS Landwirtschaftsflächen 3 km ∆ 3 km Fläche für pflanzliche Nahrungsmittel Fläche für tierische Nahrungsmittel ▲ Landnutzung in der Schweiz (links). Die Karte rechts zeigt für jeden Schweizer Kanton den jeweiligen Flächenverbrauch für die Produktion pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel. Die Fläche der Balken entspricht hierbei dem Flächenverbrauch pro Kanton. (Stand 2014) Pro Person stehen uns in der Schweiz 0.3 ha landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung. Damit erreichen wir jedoch lediglich einen Selbstversorgungsgrad von 60 %. Die Grafik zeigt uns, dass wir den Grossteil der Agrarflächen für die Produktion tierischer Lebensmittel, also Fleisch, Eier und Milch, verwenden. Ist das sinnvoll? Oder sollten wir unser Land anders nutzen? Nur gerade eine Fläche so gross wie der Kanton Freiburg wird in der Schweiz für den Anbau pflanzlicher Nahrung genutzt. Hauptsächlich wird Weizen für Brot angebaut, dazu kommen Rapsöl, Zucker und Reben. Nur ein kleiner Teil dieser Fläche wird mit Kartoffeln, Gemüse und Obst bepflanzt. Viel Land für tierische Produkte Die tierische Nahrungsmittelproduktion beansprucht hingegen rund einen Viertel der gesamten Fläche der Schweiz. Das ist so viel wie die Kantone Freiburg und Graubünden zusammen und rund fünfmal mehr, als für pflanzliche Nahrungsmittel. Wieso wird so viel mehr Land benötigt, um Fleisch, Eier und Milchprodukte zu produzieren, als für Getreide und Gemüse? Essen wir Schweizer viel mehr tierische Nahrungsmittel? Tiere brauchen Auslauf und vor allem Futter, beides beansprucht viel Fläche. Die Viehhaltung weltweit braucht etwa 80 % der gesamten Landwirtschaftsflächen. Zudem geht beim ‹Umweg› durch das Tier viel Energie verloren. Generell nimmt man an, dass pro tierische Kalorie bis zu 7-mal mehr Anbaufläche nötig ist als für pflanzliche Kalorien. Der grössere Flächenbedarf ist allerdings nicht der einzige Grund für die ungleiche Verteilung der Produktionsflächen in der Schweiz. Während Weideflächen fast überall gedeihen, braucht es für den Anbau von Gemüse, Obst und Kartoffeln fruchtbares Ackerland. Dieses ist begrenzt und wird immer knapper: einerseits aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte in den Mittellandregionen und die dadurch wachsende Siedlungsfläche, andererseits wegen den grossen unproduktiven Brachen und dem wachsenden Wald im Alpenraum. Import von Ackerland Das mangelnde Ackerland wird in Form von Obst, Gemüse und Getreide sozusagen importiert. Mehr als Dreiviertel der pflanzlichen Produkte kommen aus dem Ausland. Bei den tierischen Produkten sind es weniger als ein Sechstel des Gesamtverbrauchs – pro Person sind das jährlich gerade einmal 16 kg. Allerdings müssen diese Zahlen ge­nauer betrachtet werden, denn ein Grossteil der importierten pflanzlichen Produkte wird den Tieren verfüttert. Dies sind vor allem eiweisshaltige Futtermittel wie z. B. Soja. Werden diese mitberücksichtigt, so beziehen wir die Hälfte unserer Nahrungsmittel aus dem Ausland. Würden wir Schweizer mehr Gemüse als Steak essen, könnte der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz erhöht werden. Denn so müssten weniger Futtermittel importiert werden und die knappen fruchtbaren Ackerflächen könnten direkt genutzt werden, um mehr Gemüse, Brotweizen und Früchte anzubauen. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Geography of Food, Isabel Jaisli, [email protected] Aus dem Gräserland Ein Fussballfeld pro Familie Ursprünglich wurden Nutztiere von In Europa isst eine vierköpfige Familie Hausratsabfällen ernährt oder auf somit pro Jahr Lebensmittel, welche auf Weiden gehalten, welche sich nicht als der Fläche eines Fussballfeldes produ- Ackerland eignen. Doch heute wird fast ziert werden. Auf rund einem Zehntel die Hälfte der Getreideernte an Tiere der Fläche wird Gemüse, Obst, Kartoffeln verfüttert. Während es lediglich 4 m2 und Brot angebaut. Ein weiteres Zehntel braucht, um ein Kilogramm Brot (ca. wird in Form von Bier, Wein, Kaffee und 2000 kcal) herzustellen, sind für ein Tee konsumiert, einen Drittel braucht es Kilogramm Rindfleisch (ca. 1500 kcal) für Snacks und fast die Hälfte des Fuss- gut 27 m Land nötig (internationaler ballfeldes braucht es zur Produktion von Durchschnitt). Fleisch und Milchprodukten. bape 2 Gemüse, Obst, Brot, Kartoffeln Fleisch, Milchprodukte Schokolade, Guetzli, Junkfood Bier, Wein, Kaffee, Tee 8 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Gegen Wind und Zeit Wie ein mutierter Pilz die Kornkammern der Welt bedroht Uganda Ende der 1990er Jahre: Der Weizenpilz Puccinia graminis, bekannt unter dem Namen Schwarzrost, mutiert und überwindet so ein Resistenzgen, welches sich in 90 % des weltweit angebauten Weizens findet. Die betroffenen Pflanzen sind der Krankheit nun schutzlos ausgeliefert. Um eine ernsthafte Ernährungskrise abzuwenden, sind Forscher weltweit auf der Suche nach neuen Resistenzen. Pflanzenkrankheiten, welche grosse Teile der Ernten vernichten und zu Hungernöten führen, begleiten die Menschheit seit Beginn der Landwirtschaft. Eine der gefürchtetsten Krankheiten ist der Schwarzrost, welcher vor allem Weizen befällt. Er greift den Halm des Weizens an und unterbricht die Wasser- und Nährstoffversorgung der Ähren. Pflanzen werden meist kurz vor Erntereife angesteckt, wonach der Pilz ein ganzes Feld innerhalb von zwei bis drei Wochen zerstören kann. Übrig bleiben schwarz-grüne Pflanzenreste. Die letzte Schwarzrostepidemie ereignete sich zwischen 1950 und 1954 in den USA, wo der Pilz 40 % der gesamten Ernte vernichtete. Aufgeschreckt durch die grossen Verluste, kam es zur ersten internationalen Züchtungszusammenarbeit. Erfolg auf Zeit Im Zuge der «Grünen Revolution» in den 1960er-Jahren wurde versucht, Hunger und Krankheiten mit modernen Züchtungen und Anbautechniken zu überwinden. Dabei kreuzte Norman Borlaug, der Vater der «Grünen Revolution», unter anderem das Schwarzrost-Resistenzgen Sr31 erfolgreich in Weizen ein. Da der Weizen so neu einen natürlichen Schutz vor dem Pilz aufwies, konnte der Ernteverlust durch Weizenrost praktisch auf null gesenkt werden. Für diese und weitere Errungenschaften erhielt Norman Borlaug den Friedensnobelpreis. Seit kurzem hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Denn eine Variante des Schwarzrosts, welche erstmals 1999 in Uganda nachgewiesen wurde, kann Weizenpflanzen trotz des Resistenzgens Sr31 infizie- ▲ Mit Schwarzrost befallener Weizenstängel. (Bild: Wikimedia) ren. Dieser Pilz wurde nach seinem Entdeckungsort Ug99 benannt. Dort ist er allerdings nicht geblieben: Seither wurde er nacheinander in Kenia, Äthiopien, im Jemen und Sudan, im Iran sowie Südafrika und Zimbabwe nachgewiesen. In Kenia wurde allein 2007 ein Viertel der Ernte zerstört. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Pilz sich weiter nach Indien und Europa verbreitet und somit einige der grössten Weizenanbaugebiete der Welt bedroht. Experten schätzen, dass Ug99 zu weltweiten Ernteverlusten von sechzig Millionen Tonnen führen könnte, mehr als die USA als drittgrösstes Produktionsland jährlich an Weizen anbaut. Internationale Initiativen im Wettlauf gegen die Zeit Als Reaktion auf die drohende Krise sind Wissenschaftler weltweit auf der Suche nach Resistenzen gegen den Schwarzrost, um neue, widerstandsfähige Weizenlinien zu züchten. Seit 2001 wird im Kenya Agricultural Research Institute (KARI) nach solchen Sorten und den dafür verantwortlichen Resistenzgenen gesucht. Neben dem KARI betreiben vor allem das International Maize and Wheat Improvement Center (CIMMYT) in Mexiko und das US Department of Agriculture’s Cereal Disese Laboratory (CDL) in Minnesota Forschung zu Ug99. Norman Borlaug gründete zudem 2005 die Global Rust Initiative (BGRI) zur Entwicklung einer transgenen Weizenpflanze sowie das Durable Rust Resistance in Wheat Project, welches die Forschungs- und Züchtungseinrichtungen weltweit vereinen soll. Damit hat ein Wettrennen gegen den Pilz und gegen die Zeit begonnen. Bereits im Jahr 2006 mutiert der Pilz weiter und kann so weitere Resistenzgene überwinden. Heute ist die Hälfte des bisher als restistent geltenden Weizens anfällig. Natürlich könnte man Schwarzrost auch mit Fungiziden bekämpfen. Dies ist jedoch eine teure Lösung und wird als nicht praktikabel eingeschätzt. Resistente Sorten dringend gesucht Dank der intensiven Forschung ist heute bekannt, dass etwa 10 % der Weizensorten natürlich immun gegen Ug99 sind. Mittlerweile sind auch rund 60 Resistenzgene bekannt, welche zu dieser Immunität führen. Jedoch bietet keines davon denselben starken Schutz wie das Sr31-Gen bot. Zudem kann der Pilz wegen seiner grossen Anpassungsfähigkeit die Resistenz eines einzelnen Gens leicht durchbrechen. Man versucht deshalb, verschiedene solcher ‹schwachen› Gene zu kombinieren, um einen längerfristigen Schutz zu garantieren. Bisher liefern jedoch alle diese Neuzüchtungen schlechtere Erträge als die bisherigen Weizensorten. In verschiedenen Zentren werden daher auch Versuche mit gentech- nisch veränderten Sorten durchgeführt. Damit könnten Resistenzgene nicht nur aus anderen Weizensorten verwendet werden, sondern auch Gene aus Reis, Gerste und anderen Gräsern. Hoffnung versprechen mehrere Bündner Gerstensorten, welche stets dem Schwarzrost ausgesetzt waren. Diese lassen sich jedoch nur schwer in Weizen einkreuzen. Nun wird fieberhaft nach den dafür verantwortlichen Resistenzgenen gesucht. Ob durch traditionelle Kreuzung oder mit Hilfe neuer Methoden, die Entwicklung einer resistenten Sorte dauert zwischen fünf und zehn Jahren. Doch sind solche neuen, hochresistenten Sorten die einzige Möglichkeit, um Ertragsausfälle durch Ug99 auf ein Minimum zu reduzieren. Damit sich Ug99 nicht weiter verbreitet und eine globale Ernährungskrise abgewendet werden kann, muss jetzt rasch gehandelt werden. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Studiengangsleitung, Urs-Christian Handschin, [email protected] Daum, M. (2010). Polio der Landwirtschaft. Neue Zürcher Zeitung. Meister, F. (2008). Wenn Wind Hunger bringt. WOZ, 26/08. Grens, K. (2014). Putting up Resistance. The Scientist. CGIAR, (2010). Virulent New Strains of Ug99 Stem Rust, a Deadly Wheat Pathogen. ScienceDaily. http://www.sciencedaily.com/releases/2010/05/100526134146.htm Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Fleischkonsum im Vergleich: ein kleiner Streifzug durch drei Generationen Jeder Mensch muss zu seinem Überleben essen und trinken. Obgleich diese Selbstverständlichkeit für jeden Menschen, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt, gültig ist, essen Menschen in jeder Kultur und zu jeder Zeit doch sehr unterschiedlich. Ob und wie viel Fleisch und daraus hergestellte Produkte verzehrt werden, wird von dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext beeinflusst. Studierende von vier Hochschulen aus Deutschland und der Schweiz sowie deren Eltern und Grosseltern wurden zu Themen rund um Essen befragt. Fleisch und Fleischprodukte werden in der Schweiz als wertvolle und herausragende Lebensmittel angesehen. Der Fleischkonsum wird – abgesehen von den gesundheitlichen Aspekten – jedoch zunehmend von Konsumentinnen und Konsumenten kritisch hinterfragt, dies auch wegen den Auswirkungen des Fleischkonsums auf Umwelt, Gesundheit, soziale und (tier-)ethische Belange. Es lässt sich derzeit beobachten, dass es eine steigende Anzahl von vor allem jüngeren Menschen gibt, die ihren Fleischkonsum einschränken, (teil) vegetarisch leben oder gänzlich auf tierische Produkte verzichten. Verlässliche Zahlen zur Anzahl von Menschen mit vegetarischer/veganer Ernährungsweise in der Schweiz gibt es bislang nicht. Unklar ist dabei auch, ob Fleisch und Fleischprodukte in allen Altersgruppen ähnlich häufig verzehrt (oder gemieden) werden und ob sich der Konsum im Generationenverlauf (F1 = Grosselterngeneration, F2 = Eltern, F3 = Kinder) ändert. Dies herauszuarbeiten, war Ziel, der hier vorgestellten Studie. Insgesamt haben 249 Personen an der Umfrage teilgenommen, von welchen 24 % männlich und 76 % weiblich waren. Generation F1 bildete mit insgesamt 53 Teilnehmenden im Alter von 58 bis 91 Jahren die kleinste Gruppe. Die Generationen F2 und F3 waren mit 96 und 100 befragten Personen etwa zu gleichen Teilen vertreten. Der Altersrange bei F1 lag zwischen 78 und 91 Jahre, der F2 zwischen 44 9 Welternährung transparent – Word Food Clock Dank der interaktiven Webseite www. worldfoodclock.com lässt sich erkennen, wie gross der Welthunger zur Zeit genau ist. Diese «Uhr» zeigt für jede Sekunde jeden Tages, wie viel Essen die gesamte Menschheit produziert, konsumiert und verschwendet. Die Kosten der Lebensmittelproduktion, die dafür gebrauchten Nutzflächen und wo die grösste Verschwendung entsteht, wird dem Besucher der Seite ebenfalls mit vor seinen Augen rapide steigenden Zahlen erläutert. Eine sehr effektive Möglichkeit, um den weltweiten Lebensmittelverbrauch besser zu verstehen. trrr (aus: trend-update 10/2014) ▲ Die Vielfalt von Fleischprodukten ist gewaltig. (Bild: Colourbox) Fürs Büchergestell und 68 Jahren und bei F3 zwischen 16 und 36 Jahren. Was wir früher gegessen haben und was wir heute essen Die Teilnehmenden wurden nach der Häufigkeit des Verzehrs von sechs Lebensmittelkategorien in ihrer Kindheit und heute befragt. Die sechs Kategorien umfassten Früchte und Gemüse, Milch und Milchprodukte, Vollkornprodukte, Fisch und Meeresfrüchte, alkoholische Getränke sowie Fleisch und Wurstwaren. Es wurde zwischen den sechs Antwortmöglichkeiten «täglich», «4- bis 6-mal pro Woche», «1- bis 3-mal pro Woche», «1- bis 3-mal pro Monat», «weniger als 1-mal pro Monat» und «nie» unterschieden. Die Daten wurden pro Lebensmittelkategorie in sechs Gruppen (F1, F2, F3 Kindheit und F1, F2, F3 heute) aufgeteilt und miteinander verglichen. Milchprodukte, Alkohol und Fisch wurden von allen drei Generationen in der Kindheit gleich häufig gegessen. Dagegen wurden Früchte und Gemüse, Vollkornprodukte und Fleisch unterschiedlich häufig verzehrt, wobei die jüngste Generation in ihrer Kindheit am meisten von diesen Produkten konsumierte. Heute werden Fleisch und daraus hergestellte Produkte in der Grosselterngeneration häufiger konsumiert als in deren Kindheit. Umgekehrt ist es bei der jüngsten Generation: Fisch und Fleischprodukte werden im Vergleich zur Kindheit seltener verzehrt. Für die F1 und auch F2 Generation sind Fleisch und daraus hergestellte Produkte hochpreisige, eher «rare» und damit sehr geschätzte Lebensmittel, deren Verzehr in der Kindheit meist nur den Sonn- und Feiertagen vorbehaltenen war. Diese Lebensmittel werden noch heute sehr geschätzt, deren Konsum «gönnt» man sich heute. Seit der Kindheit der F1- und F2-Generation haben sich die Produktionsbedingungen und auch -mengen der Fleisch und Fleischprodukte grundlegend verändert (nicht jedoch deren Wertschätzung!) mit der Folge, dass heute Fleisch und Fleischprodukte nicht nur im Überfluss angeboten werden, sondern meist auch als (preiswerte) Massenprodukte in einem hochtechnisierten Prozess hergestellt werden. Diese Produktions­ weisen werden zunehmend, vor allem von jüngeren Menschen, hinterfragt. Auch der Gesundheitswert oder tierethische Belange (Tiertransporte, Schlachtbedingungen etc.) sind wichtige Auslöser einer fleischarmen oder fleischfreien Ernährungsweise. Hierbei scheinen sich mehr jüngere als ältere Menschen diesen Fragen zu stellen, womit sich – mit Vorsicht interpretiert – die geringeren Verzehrhäufigkeiten von Fleischprodukten in dieser explorativen Studie erklären lässt. Institut für Lebensmittel und Getränkeinnovation, Fachstelle Ernährung: Prof. Dr. Christine Brombach, [email protected] Tiere essen von Jonathan Safran Foer Der Bestsellerautor Jonathan Safran Foer war immer mal wieder Vegeta­ rier. Doch erst die Geburt seines Sohnes hat ihn dazu bewegt, sich vertieft mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen. Welche Geschichten übers Essen wollte er seinem Sohn mit auf den Weg geben? Wieso essen wir ein Schwein aber keinen Hund? Seine ganz persönliche Auseinandersetzung mit diesem Thema hat er spannend und ohne Zeigefinger festgehalten. Trotzdem wird ein Stück Fleisch nach der Lektüre dieses Buches nie mehr dasselbe sein. bape 10 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Eine grosse Portion, bitte! Wir kennen es alle: Der Magen knurrt, man langt kräftig zu und ist dann doch schon nach der halben Portion satt. Was man dann nicht so mag, bleibt auf dem Teller liegen und wandert schliesslich in den Müll. Ist nicht weiter schlimm? Wenn man es zusammenzählt, eben doch! Jede Person wirft pro Tag durchschnittlich 320 Gramm Lebensmittel weg – so viel wie eine ganze Mahlzeit. Akkumuliert ergeben diese scheinbar geringen Mengen ein erstaunliches Ergebnis: Von den 2.3 Mio. Tonnen Lebensmittelabfällen in der Schweiz entsteht die Hälfte in den Haushalten. Aber weshalb ist das so? Und weshalb sollen wir unseren Wohlstand nicht einfach geniessen? In der Schweiz wird mit knapp 7 Prozent nur ein sehr geringer Anteil des Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgegeben und Lebensmittelabfälle sind somit erschwinglich geworden (im Vergleich dazu: in Kamerun sind es 45 Prozent). Ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln ist in den vergangenen Jahrzehnten durch Wachstum und Wohlstand weitgehend abhanden gekommen. Wir reflektieren selten, welche Ressourcen in die Produktion unserer Lebensmittel investiert wurden und woher sie stammen. Die permanente foodwaste.ch foodwaste.ch ist die unabhängige Plattform zur Reduktion von Lebensmittelabfällen in der Schweiz. Wir informieren, sensibilisieren und aktivieren die Öffentlichkeit über Publikationen und Veranstaltungen und garantieren eine unvoreingenommen Sicht aufs Thema. Aus Liebe zum Essen. Mehr Informationen über die Aktivitäten von foodwaste.ch und Wissenswertes zum Thema Food Waste finden Sie unter: www.foodwaste.ch ▲ Durchschnittlich werfen wir eine Mahlzeit pro Tag in den Abfall. (Bild: Colourbox, HighwayStarz) Angebotsfülle suggeriert zudem eine uneingeschränkte Verfügbarkeit von Produkten – alles ist überall und jederzeit erhältlich. Aber wie lange noch? Jeder von uns isst 3400 Liter Wasser pro Tag Zur Produktion unserer Lebensmittel werden wertvolle Ressourcen eingesetzt. Allein um die Lebensmittel zu produzieren, die jeder von uns täglich isst, werden 3400 Liter Wasser gebraucht. Unsere Lebensmittel werden zum Teil in sehr trockenen Gegenden angebaut, wie in den Anbaugebieten im Süden Spaniens. Das führt dazu, dass knappe Wasserressourcen für die Produktion von Exportgütern viel zu intensiv genutzt werden und lokal nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn die Lebensmittel dann nicht konsumiert, sondern weggeworfen werden, ist dies eine unnötige Verschwendung der eingesetzten Ressourcen. Insgesamt verursacht die Produktion von Lebensmitteln rund 30 Prozent aller Umweltbelastungen. Weggeworfene Lebensmittel belasten nicht nur die Umwelt, sondern auch die privaten Haushaltsbudgets unnötig. So gibt jeder Haushalt jährlich ca. CHF 1000 für Lebensmittel aus, die nicht gegessen werden. Gleichzeitig wird wegen unseres hohen Konsums das weltweite Angebot an Lebens- mitteln knapper. Nach wie vor leiden rund eine Milliarde Menschen an Mangel- oder Fehlernährung. Was können Konsumentinnen und Konsumenten gegen Food Waste tun? Um die eigenen Abfälle zu verringern, gilt es die täglichen Routinen zu hinterfragen. Wie kaufe ich ein? Weiss ich, was noch im Kühlschrank liegt? Besonders wichtig im Alltag sind überlegtes Einkaufen und Zurückhaltung bei Schnäppchen und Sonderangeboten. In der Küche angekommen sind die Mengenplanung beim Kochen und die Wiederverwendung von Kochüberschüssen einfache, aber zentrale Elemente. Weiter gilt es, nicht alle Produkte, welche das Mindesthaltbarkeitsdatum überschreiten, gleich wegzuwerfen. Es ist wichtig, sich auf seine eigenen Sinne zu verlassen, denn viele Produkte sind lange über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus geniessbar. Das Wichtigste jedoch ist, bewusst mit Lebensmitteln umzugehen. Denn wer weiss, woher sein Essen kommt und wie viel Ressourcen mit dessen Herstellung verbunden sind, trägt entsprechend Sorge dazu. Dominique Senn, foodwaste.ch Die wichtigsten Massnahmen zur Vermeidung von Verlusten im Haushalt • Bewusstere Mengenplanung: Wochen-Menüplanung, Einkaufslisten, Kochmengen­ planung. • Späteres Verwerten von Koch­überschüssen und Produkteresten durch neue Kombinationen und kreative Menüs. • Optimierung der Lagerung, um die Lebensdauer der Produkte zu verlängern. Lebensmittel luftdicht verschlossen oder kühl aufbewahrt halten länger. • Frischprodukte lieber häufiger, dafür gezielter einkaufen, statt grosse Wocheneinkäufe tätigen. • Zuerst testen, ob abgelaufene Produkte wirklich nicht mehr geniessbar sind. Viele Produkte wie Reis, Guetzli, Joghurt und Käse können lange über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinweg genossen werden. Aufpassen heisst es hingegen bei Fleisch! 11 Ernährung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Mais: Populationssorten Aus dem Gräserland Es wird eng Wir verfügen über 148 000 000 km2 Land auf dieser Welt, wovon etwa ein Zehntel landwirtschaftlich genutzt werden kann. In der Schweiz reduziert sich diese Fläche pro Sekunde um 1.27 m2. Grund dafür sind vor allem unsere wachsenden Ansprüche an Wohnraum, Freizeit und Mobilität. Auch weltweit ist die Abnahme von landwirtschaftlichem Land oft auf die Ausbreitung der Wohnfläche zurückzuführen. Trotz dieser Verluste ist die ▲ Verschiedene Maissorten. (Bild: Colourbox, Siripong Jitchum) Welternährungsorganisation FAO zuversichtlich. Zwischen 1960 und 1990 sei die Fläche an Kulturwährend sich die Bevölkerung verdoppelt habe. Da gleichzeitig auf weniger Fläche mehr Ernte erzielt wurde, sind die Lebensmittelpreise gesunken und die Ernährung wurde verbessert. Damit auch in Zukunft, unter erschwerten klimatischen Bedingungen, genügend Nahrung produziert werden kann, braucht es weitere Forschung und sinnvolle gesetzliche Rahmenbedingungen. bape 0.86 0.49 0.5 Schmidt, W.: Ökozüchtung – Für alle ein Gewinn. bioland 07/2008 0 Getreidezüchtung Peter Kunz Die Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK) konnte 2014 ihr 30jähriges Jubiläum feiern. Seit dem Jahr 2000 firmiert die GZPK als gemeinnützig anerkannter Verein. Die GZPK züchtet neben Getreide (Dinkel, Weizen und Triticale) Erbsen, Sonnenblumen und Mais nach biodynamischen Richtlinien und setzt sich für die Verbreitung dieses Wissens ein. Getreidezüchtung Peter Kunz Verein für Kulturpflanzenentwicklung Seestrasse 6 8714 Feldbach (ZH) www.getreidezuechtung.ch unproduktive Flächen 1 m2 Alpwirtschaftsflächen Stefanie Rost ([email protected]) arbeitet seit Juli 2013 bei der GZPK mit dem Schwerpunkt Mais und studiert seit dem HS 2014/15 Umweltingenieurwesen mit der Vertiefung BLH. land um lediglich 11 % gestiegen, Landwirtschaftsflächen ren OPM-Maispopulationen beteiligt. Insofern kann man die jahrelangen Bemühungen um die Zulassung unserer Maispopulation OPM.10 schon als Teilerfolg verbuchen. In der Schweiz können die Populationen problemlos als Nischensorten zugelassen und vertrieben werden. In den nächsten Jahren muss die OPM.12-Population kontinuierlich züchterisch weiterbearbeitet werden, um die Leistungsfähigkeit weiter zu verbessern oder zumindest den aktuel­len Stand zu gewährleisten. Wald Bei den heute verfügbaren Maissorten handelt es sich fast ausschliesslich um Hybriden, die unter konventionellen und meist hoch intensiven Anbaubedingungen getestet wurden. Hybridsorten werden im Biolandbau jedoch kontrovers diskutiert und für die biodynamische Züchtung (Demeter-Standard) ist die Hybridzüchtung als Methode ausgeschlossen. Ein wichtiges Argument gegen die Hybridzüchtung ist die Tatsache, dass die Sorten nicht weiter vermehrt werden können und die Landwirte das Saatgut jedes Jahr neu erwerben müssen, womit eine direkte Abhängigkeit von den Zuchtfirmen besteht. Bei der Saatgutgewinnung werden ausserdem männlich sterile Inzuchtlinien, die keinen eigenen Pollen produzieren können, eingesetzt. Eine Methode, die auch in der Maiszüchtung Anwendung findet und im Biolandbau ebenfalls kontrovers diskutiert wird. Neuere Studien haben gezeigt, dass unter intensiven Anbaubedingungen gezüchtete Maissorten nicht notwendigerweise die besten Sorten für den Biolandbau sind, da zusätzliche Merkmale, wie z. B. Unkrautunterdrückung und Resistenz gegen Keimlingskrankheiten, relevant für einen erfolgreichen Maisanbau unter Biobedingungen sind. Die Getreidezüchtung Peter Kunz (www.gzpk.ch) erachtet den Aufbau einer Maiszüchtung für den Biolandbau als dringende Notwendigkeit; einerseits um der Abhängigkeit zu entgehen und andererseits, um den Zugang zu hochwertigem, nicht gentechnisch verändertem Zuchtmate­ rial für die Zukunft sicherzustellen. Das Hauptziel der Mais-Projekte ist, eine breite mitteleuropäische Basispopulation aufzubauen und damit die genetischen Ressourcen in einer gemeinnützigen Trägerschaft der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Ein grosses Problem ist jedoch die Zulassung dieser Populationen auf dem europäischen Markt. Bei Populationen ist die Heterogenität die Basis ihrer Leistungsfähigkeit. Das Endprodukt einer Populationszüchtung ist im Gegensatz zur klassischen Züchtung eine mehr oder weniger heterogene Mischung von einzelnen Pflanzen. Aufgrund der fehlenden Homogenität bei irrelevanten Ertragsfaktoren (wie z. B. Wuchshöhe, Blattstellung, etc.), welche bei der herkömmlichen sogenannten ‹Linienzüchtung› gegeben ist, besteht weiterhin Diskussionsbedarf. Um in Zukunft die Prüf- und Zulassungsverfahren für Populationssorten anzupassen und von Hybridsorten zu trennen, startet 2015 ein mehrjähriges EU-Populationssortenprojekt, an dem sich die GZPK mit ih- Siedlung Die Getreidezüchtung Peter Kunz findet es dringend nötig, beim Mais den freien Zugang zu hochwertigem Zuchtmaterial zu ermöglichen. Dazu werden nicht einzelne Pflanzen verbessert, sondern mehrere Pflanzen mit gewünschten Eigenschaften kombiniert und so zu Populationen zusammengefasst. Da Saatgut in der Regel sehr uniforme Pflanzen liefert, ist der Zulassungsprozess für solch heterogene Populationen noch schwierig. – 0.21 – 0.5 – 0.51 – 0.86 – 1 m2 ▲ Bodennutzungswandel in m2 pro Sekunde 1979 / 85 – 1992 / 97. (Quelle: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/ themen/02/03/blank/data/gemeindedaten.html) Zitate Ich esse nichts, was ein Gesicht hat. Paul McCartney, britischer Popmusiker, *1942 12 Energie und Rohstoffe Sommer 2015 / GräseRLandexpress Mach es wie Popeye ... Nicht nur der Comic-Matrose, auch Forscher der ZHAW, sähen gerne mehr Grünzeug auf unseren Tellern. Allerdings ganz spezielles. Maul auf, eine Dose Spinat geschluckt, und schon wachsen die Muskeln. So einfach? Nun, hier im Grüental (welch passender Name!) gedeiht eine Suppe von gleicher Farbe, der so mancher Wissenschaftler auch wundersame Kräfte zuschreibt. Mikroalgen ist das Zauberwort, und wenn man danach googelt, dann könnte man meinen, sie seien ein «Super-Food» und die Lösung all unserer Probleme: Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien, Proteine – was auch immer als neuster Ernährungstrend angepriesen wird, die Mikroalgen sind dabei. Doch wer im Supermarkt nach einer Dose Algen sucht, der wird nicht fündig. Einzig im Reformhaus finden sich Chlorella- und Spirulinapillen, aber dann zu gesalzenen Preisen. Da gibt es günstigere Möglichkeiten, satt zu werden. Und ein Apfel ist ja auch gesund. Warum sollte ich mich also für Mikroalgen interessieren? Und vor allem, warum interessieren sich Wissenschaftler der ZHAW dafür? Das ist doch alles Humbug! Die Welt braucht jedes Jahr 100 Millionen Tonnen Eiweiss Nun, die Antwort ist ein wenig komplizierter als die Versprechungen im ▲ So gefällt es den Mikroalgen: Ausgebreitet an der Sonne, gut gedüngt und in ständiger Bewegung. (Bild: Dominik Refardt) Internet. Sie beginnt in den Meeren und Regenwäldern unseres Planeten. Dort wird gefischt und gerodet, damit wir satt werden. Fischmehl und Soja liefern das Eiweiss für Futtermittel, auch für das Kraftfutter in unseren Bauernhöfen. Die Hälfte des Eiweisses in Schweizer Futtermitteln stammt aus Soja und für jedes Kilo Fisch aus der Fischzucht muss dieselbe Menge an wildgefangenem Fisch als Futter eingesetzt werden. Und der Bedarf an Eiweiss (Protein) nimmt zu, denn immer mehr Menschen auf unserem Planeten möchten Fleisch und Fisch auf ihrem Teller. Um den Hunger der Welt nach Eiweiss zu stillen, müssen Regenwälder neuem Ackerland weichen und die Weltmeere werden intensiv befischt. Es wird eng. Wichtige Ökosysteme werden geopfert und die Folgen sind bereits absehbar. Die fehlenden Wälder verändern das Klima, Arten ster- ben aus, Urvölker verlieren ihre Heimat. Wenn wir nur neues Brachland fänden, auf dem man Proteine ernten könnte, ohne dass deswegen Wälder gerodet oder Meere überfischt werden müssten! Mikroalgen wachsen auch dort, wo sonst nichts mehr wächst Und genau hier erhofft man sich eine Lösung mit Mikroalgen: Damit Algen gedeihen, braucht man einzig Wasser, Dünger und Sonne. Es braucht keinen Boden, denn Algen haben keine Wurzeln. Eine sonnige, karge Gegend genügt, sei es in der Wüste New Mexicos oder auf dem Flachdach nebenan. Und weil Algen keine Wurzeln, Äste und Blätter bilden, sondern nur einfache, einzelne Zellen, vermehren sie sich rasch. Auf einem einzigen Quadratmeter können jedes Jahr 50 kg frische Algen geerntet werden, und auch wenn Algen zu einem Grossteil aus Wasser bestehen, ist das immer noch sehr viel. Sogar die besten Sojafelder Brasiliens geben höchstens ein Zehntel davon her. Auf einem Dach eines Einfamilienhauses könnte problemlos der Eiweissbedarf der ganzen Familie gedeckt werden. Mehr noch: Wenn sich die Algenkultur an der Sonne erwärmt, kann damit auch dem Haus Wärme zugeführt werden und es braucht weniger Öl und Gas. Und sollte doch eine Heizung Abgas produzieren, so könnte dieses gleich durch die Algen gesprudelt werden. Mit dem Kohlendioxid im Abgas wird das Wachstum der Algen zusätzlich beflügelt und weniger Treibhausgase gelangen in die Atmosphäre. Doch eine solche Vision liegt noch Jahre in der Zukunft. Ein Produktionssystem für Mikroalgen ist komplex, denn es ist lebendig und bedarf viel mehr Aufmerksamkeit als eine Batterie von Solarzellen. Das treibt den Preis für Mikroalgenprotein auf das Zehnfache von Soja. Hier am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen arbeiten wir daran, den Anbau von Mikroalgen besser zu verstehen und leichter zu gestalten. Unsere Vision ist es, dass diese nachwachsende Ressource dereinst so selbstverständlich ist, wie es heute der Kräutergarten auf dem Balkon ist. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Ökotechnologie: Dr. Dominik Refardt, [email protected] Aus dem Gräserland Was tanke ich heute – Benzin oder Bioethanol? 20 000 km/ha Der Verkehr verursacht in der So belastet die Fahrt mit Bioethanol Schweiz 44 % der CO2 Emissionen, aus Mais die Umwelt dreimal mehr deshalb ist die Idee, nachwachsende als die Fahrt mit Benzin. Rohstoffe wie Mais zu verbren- In der Schweiz gelten deshalb stren- nen, auf den ersten Blick attraktiv. ge Vorschriften. Biotreibstoffe müs- Doch zeigt sich, dass Biotreibstoffe sen vom Anbau bis zum Verbrauch gesamtheitlich betrachtet selten mindestens 40 % weniger Treibhaus- besser sind als konventioneller gasemissionen erzeugen als fossiles Treibstoffe. Zwar sind wie erwartet Benzin, sie dürfen die Umwelt nicht die Treibhausgasemissionen bei erheblich mehr belasten und der Biotreibstoffen oft deutlich geringer, Anbau der erneuerbaren Rohstoffe betrachtet man jedoch die gesamte darf die Erhaltung der Regenwälder Umweltbelastung (z. B. Überdüngung und die biologische Vielfalt nicht oder Biodiversitätsverlust), schneidet gefährden. bape Benzin nicht immer schlechter ab. 40 000 km/ha 60 000 km/ha 80 000 km/ha 100 000 km/ha 120 000 km/ha 1 326 000 km/ha Elektro-Auto (Photovoltaik) 208 UBP/km 72 000 km/ha Bio-Ethanol (Gras) 235 UBP/km 62 000 km/ha Bio-Gas (Silagemais) 416 UBP/km 45 000 km/ha Bio-Ethanol (Mais) 757 UBP/km Benzin 282 UBP/km 200 UBP/km 400 UBP/km 600 UBP/km 800 UBP/km 1000 UBP/km 1200 UBP/km ▲ Energiebilanz: Kilo­meter Leistung pro Umweltbelastungspunkte (UBP) und Kilometer pro Hektare mit Biotreibstoffen im Vergleich zu konventionellem Treibstoff. Energie und Rohstoffe Sommer 2015 / GräseRLandexpress 13 ▲ Pflanzenkläranlage zur Nachreinigung von kommunalem Abwasser: Aqualân Grou, Niederland. (Bild: Andreas Schönborn) Schilf – ein Gras, das unsere Vorstellung sprengt und beflügelt Das Schilfrohr (Phragmites communis) ist eine Pflanze mit ganz besonderen Eigenschaften. Es ist eine Art «Zwischenwesen»: keine Land-, aber auch keine Wasserpflanze, sondern ein Pionier der Übergänge zwischen beiden. Es hat stabile, biegsame, wasserfeste, verholzte Stängel, aber es ist weder Baum noch Strauch, sondern – ein Gras. Es lebt dort gerne, wo wir Europäer nichts mehr anbauen, weil der Boden zu weich und zu nass ist, auch im flachen Wasser, und das so erfolgreich, dass es alle anderen Pflanzen verdrängen und über viele Quadratkilometer eine natürliche Monokultur bilden kann. Es ist ein Gras, das, wie der Bambus, unsere Vorstellung sprengt, wie ein Gras zu «sein hat». Insistieren der Insekten, die auf ihre nächste Blutmahlzeit hoffen. Später hören (und manchmal sehen …) wir Vögel, die im Schutz des Dickichts brüten. Es gibt auch Schlangen, Schildkröten, Amphibien, kleinere und grössere Säugetiere. Wäre dieser Mini­ dschungel im Norden Europas, oder in Nordamerika, so könnten wir sogar unvermittelt auf einen Elch treffen. Wir Menschen nutzen das Schilf seit Jahrtausenden. Unsere überlieferten und modernen Mythologien sind voll von Geschichten über das Schilf – von den Upanishaden, über die Bibel bis zum Herrn der Ringe. In den Riedgebieten wurde früher Einstreu für das Vieh gewonnen. Traditionelle Häuser im Norden Europas werden noch heute mit Schilf gedeckt (Reetdächer). Schilfstängel wurden auch für Flöten, als Verputzunterlage und für vieles mehr verwendet. Auch Dämmstoffe lassen sich daraus machen. unterstützt. Dazu wird das Abwasser in einem, zu den tiefereren Schichten abgedichteten, Boden- oder Sandkörper geleitet. Die Bodenbakterien, die dort leben, zerlegen die Schmutzstoffe in ihre Einzelteile und wandeln sie in Nährstoffe um. Das Schilf nimmt sie auf und reagiert mit starkem Wachstum. Es gibt den Bodenbakterien dafür auch einiges zurück: Schatten, gleichmässige Feuchtigkeit, Schutz vor Hitze und Frost, aber auch Wurzelausscheidungen (wie z. B. Zucker), die sie brauchen. Wir Menschen können diese (fast) perfekte Symbiose ausnutzen, um Abwasser im Idealfall ganz ohne (Betriebs-) Energieaufwand zu reinigen. Mit Pflanzenkenntnis, Systemkenntnis und geschicktem Ingenieurdesign entsteht so eine gelungene und ziemlich nachhaltige «Öko»technologie. Die ältesten, gut designten Anlagen sind inzwischen ca. 30 Jahre alt. Ausgedehnte Schilfflächen üben seit jeher eine besondere Faszination auf den Menschen aus. In einem ausgewachsenen Schilfbestand zu stehen ist, wie in einem Urwald zu sein. Die Stängel werden bis zu 4 Meter hoch. Wie in einem Urwald, so könnte man sich auch in einem Schilfbestand dramatisch verlaufen. Wegmarken gibt es keine, und kein Schritt im matschigen Nass scheint uns weiter zu bringen, weil alles für unsere Augen gleich aussieht. Bei jedem neuen Schritt ziehen wir zuerst den Gummistiefel schmatzend aus dem Morast. Wird er am Fuss bleiben? Bald merken wir, dass das Dickicht sehr belebt ist – zunächst am leisen Pflanzenkläranlagen aus Schilfrohr Die immense Wuchskraft von Phragmites und seine Fähigkeit, an nassen, nährstoffreichen Orten zu leben, lässt sich auch nutzen, um die Reinigung menschlicher Abwässer zu unterstützen, solange diese abbaubare und keine allzu giftigen Stoffe enthalten. Normales häusliches Abwasser – aus Küche, Bad, Waschmaschine oder Toilette – enthält in der Regel meist solche gut abbaubaren Schmutzstoffe. In einer sogenannten Pflanzenkläranlage – präziser ist der Fachbegriff «bewachsener Bodenfilter» – wird der Abbau von Schmutzstoffen durch die Mikroorganismen von der beschirmenden Wirkung des Schilfs Lernen von der Natur Von den «Schilf»-Kläranlagen können wir Menschen im Kleinen lernen, was auch im Grossen gilt: Die Natur erbringt gewisse «Leistungen» für uns dauerhaft, verlässlich und abgesehen von etwas Wartung praktisch gratis. Wir müssen aber ihre Grenzen kennen, würdigen und bereit sein, zu lernen. Am Beispiel der Pflanzenkläranlagen: Überlastete Anlagen können verstopfen und ihren Betrieb einstellen. Zu viele Nährstoffe verträgt auch der Alleskönner Phragmites nicht. Wenn Duftstoffe, zum Beispiel aus Waschmitteln, in der Umwelt schlecht abbaubar sind, kann man das im Auslaufschacht noch riechen und «sinnlich» erfahren. Die Ein- leitung von Giftstoffen kann solche Anlagen regelrecht «ermorden». Und sie brauchen pro Person ausreichend – das heisst mindestens 2 bis 4 m2 – Platz. Für mich der wichtigste Punkt ist aber dieser: Diese Anlagen können uns vor Augen führen, wie gross unser ökologischer Fussabdruck heute tatsächlich ist. Eine Stadt der Grösse von Wädenswil (20 000 Einwohner) bräuchte nach obiger Rechnung mindestens 4 bis 8 Hektaren Land, allein um ihr häusliches Abwasser mit dieser Ökotechnologie zu reinigen. Dieses Land ist natürlich in Wädenswil nicht (mehr) vorhanden. Die Strategie, an die wir uns gewöhnt haben, ist, das fehlende Land mit High-TechARAs und Energieeinsatz zu kompensieren. Dies hat seinen Preis, funktioniert auch ganz ordentlich, aber es ist nicht der einzig mögliche Weg. Ich stelle mir vor: In 50 oder 100 Jahren haben wir gelernt so zu wirtschaften, dass praktisch alle Stoffe im Kreislauf gehalten werden. Auch die, die wir heute mit dem Abwasser wegspülen. Dank schlauer Innovationen und etwas High-tech würde fast kein Abwasser mehr entstehen. Die ARAs würden irgendwann einfach abgeschaltet. Der Zürisee wäre sauberer denn je. Für das bisschen Restwasser würde pro Quartier ein Beet voller Schilfrohr ausreichen, in dem die Quartierkinder im Sommer Dschungel spielen, wenn es die Eltern gerade nicht merken … Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Ökotechnologie, Fachgruppe Wetlands: Andreas Schönborn, [email protected] 14 Kulturgeschichte Aus dem Gräserland Gerste – Rohstoff für Bier und Whisky Die Gerste stammt aus Ostasien und ist vermutlich das älteste angebaute Getreide. Bereits die Sumerer und Ägypter verwendeten es für die Herstellung von Bier. Durch den Gärprozess wurde das Wasser konserviert und dadurch länger geniessbar gemacht. Für die Bierherstellung wird die geschrotete Gerste mit warmem Wasser zur Maische angesetzt. Aus der Getreidestärke entsteht Malzzucker, der sich während des Gärungsprozesses mit Hilfe von Hefe in Alkohol umwandelt. Bis 1516 dienten Rinden, Kräuter, Wurzeln und Honig als Würze. Dann legte das Reinheitsgebot fest, dass Bier nur aus hophin, malcz und wasser bestehen dürfe. Ein weiteres bedeutendes Gerstenprodukt ist der schottische Whisky. Dieser wird aus Gerste, schottischem Quellwasser und Hefe zubereitet. Für das Trocknen der eingeweichten Gerstenkörner wird Torf verwendet, dessen Rauch Geschmacksnoten hinterlässt. Auf die Gärung im Gärtank folgen die zweifache Destillation und anschliessend eine mindestens dreijährige Reifezeit in Eichenfässern. voln Zitate So lebe ich fleischlos, fettlos, fischlos dahin, fühle mich aber ganz wohl dabei. Fast scheint mir, dass der Mensch nicht als Raubtier geboren ist. Albert Einstein, deutsch-schweizerischer Physiker und Nobelpreisträger, 1879 – 1955 Sommer 2015 / GräseRLandexpress Die Entwicklung der Getreidesorten der Schweiz am Beispiel Gerste Trotz ihrer geringen Fläche weist die Schweiz einen beeindruckenden Reichtum an Nutzpflanzen auf. Begünstigt durch die verschiedenen ökologischen Standorte konnte im Laufe der Zeit eine grosse Vielfalt lokaler Sorten entstehen. Bei der Entwicklung der Getreidesorten spielt die Natur eine wichtige Rolle. Das Klima, Bodenbeschaffenheit, Krankheiten und Schädlinge bestimmen die Eigenschaften der Pflanzen. Denn wer bestimmte Bedingungen nicht überlebt, kann keine Samen produzieren und stirbt aus. Aber nicht nur die Natur, auch die Technik hat durch Anbau, Düngung, Bewässerung, Ernte und Lagerung Eigenschaften geprägt. Und nicht zuletzt hat der Mensch durch gezielte Auslese bestimmte Ausprägungen in Bezug auf Geschmack, Verarbeitung oder Lagerung stärker vermehrt als andere. Erst seit 250 Jahren ist der Ertrag als Auslesekriterium immer wichtiger geworden. Um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, wurden alte durch neue Sorten ersetzt oder weniger produktive Standorte aufgegeben. Dieser Prozess verlief regional sehr unterschiedlich. In den Alpenregionen zum Beispiel versagten die neuen Sorten, weshalb die Bevölkerung an den lokal angepassten Pflanzen festhielt, bis sie den Ackerbau als Ganzes aufgab und sich der reinen Viehwirtschafts widmeten. Lokal wurden zum Teil ganz unterschiedliche Pflanzen angebaut. Oft gab es nicht nur für die Talsohle andere Sorten als für die Hänge, sondern gar andere Sorten für Nordhänge als für Südhänge. So war und ist das Arten- und Sortenspektrum der Nutzpflanzen in ständiger Bewegung. Anbauflächen dehnten sich aus und verschwanden. Sorten und Arten wurden ausprobiert und gingen verloren. In den letzten 15 Jahren hat die Schweiz viel getan, um alte Sorten zu sammeln und ihre Erhaltung in der nationalen Genbank in Changins sicher zu stellen. Aktuell enthält die Samenbank rund 8000 Pflanzen, die für die Schweiz von Bedeutung sind. Sie sind Teil des kulturellen Erbes der Schweiz. Wie viel der ursprünglichen Vielfalt erhalten geblieben ist, bleibt allerdings offen. Die Geschichte der Gerste Die Gerste gehört mit Einkorn und Emmer zu den ältesten Kulturpflanzen der Schweiz. Ursprünglich kommt die Gerste aus Südwest Asien, insbesondere dem Mittleren Osten. Die wilde Verwandte unterscheidet sich durch eine brüchige Spindel und durch ihre Blüten. Die Verbreitung der Samen erfolgt bei der Wildpflanze hauptsächlich durch Tiere, denn die Früchte können dank der für die Wildpflanze typische borstenförmige Behaarung der Spindelachse und der zähen Granne am Fell der Tiere haften und so transportiert werden. Vor ca. 10 000 Jahren wurde Gerste erstmals kultiviert und vor rund 7000 Jahren ist die Gerste in der Schweiz angekommen. Die Gerste gehörte früher, als die meisten Menschen noch Selbstversorger waren, in vielen Regionen zu den wichtigsten Nahrungspflanzen für den Menschen. Dank ihrer Frühreife und Anpassungsfähigkeit konnte Gerste von den tiefsten Lagen bis in hoch gelegene Alpentälern angebaut werden. Die Vielfalt der Formen war gross, ebenso vielfältig war die Verwendung: für Bier, Brot, Brei, Einbrenne und Grütze oder als Bestandteil von Suppen wurde Gerste verwendet. Doch mit dem Übergang vom Brei zum Brot hat die Gerste stark an Bedeutung eingebüsst. Der Anbau in den Randregionen wurde aufgegeben und in günstigen Lagen wurden schweizerische Sorten durch ausländische Sorten ersetzt. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg hat man die Gerstenzüchtung in der Schweiz ganz eingestellt. Heute wird sie fast nur noch als Futtergetreide angebaut. Schweizer Gerste in den USA In der europäischen Gerstenzüchtung spielten die Schweizer Sorten keine Rolle, dafür wurden sie in der amerikanischen Gerstenzüchtung sehr geschätzt. Eine Sorte aus der Region Sempachersee rettete sogar den für die Produktion von Bier wichtigen Gerstenanbau des Mittleren Wes- tens. Die Gerste dieser Region wurde Mitte der dreissiger Jahre von einer verheerenden Schwarzrostepidemie heimgesucht. Nur eine einzige Pflanze konnte der Krankheit widerstehen – und sie stammte von einer Schweizer Landsorte ab. Mit ihr konnte ein aufmerksamer Landwirt das Problem lösen. Auch als in den neunziger Jahren in der gleichen Region grosse Probleme mit Fusarium, einem weiteren Pilz, auftraten, konnten die Züchter diese Epidemie mit Hilfe von Schweizer Landsorte entschärfen. Damit diese Sorten auch in Zukunft für die Züchtung zur Verfügung stehen, werden in der Schweizer Samenbank neben Gerstensorten, die vermutlich von den ersten in der Schweiz angebauten Sorten abstammen, zahlreiche weitere alte und neue Sorten aufbewahrt. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation: Friederike Kasten, [email protected] Die Positivliste Gerste beinhaltet viele Linienselektionen aus dem ehemaligen Züchtungsprogamm von Agroscope Rechenholz: www.bdn.ch/lists/1312/content/?page=5 Die Gerste ist eine einjährige Gräserart mit zwei und mehrzeiligen Ähren. Die zweizeiligen Formen haben pro Ansatz nur ein Korn, bei mehrzeiligen Formen treten drei Körner pro Ansatzstelle auf, die sich schwächer entwickeln. Sie ist von allen Getreidearten am frühesten reif. Das liegt daran, dass sie bereits beim Hervorschieben der Ähren blüht, weshalb sich die Vegetationszeit verkürzt. Meistens öffnen sich die Staubbeutel bereits in den noch geschlossenen Blüten, nur selten ragen sie aus den Blüten heraus. Die Gerste ist ursprünglich eine Pflanze der Sommertrockenheit. Die extrem langen Grannen assimilieren sogar noch, wenn die Blätter die Assimilation wegen Trockenheit bereits eingestellt haben. Ein Grossteil der Kornsubstanz wird direkt von den Grannen gespiesen, Gerste ist das Grannengetreide schlechthin. Kulturgeschichte Sommer 2015 / GräseRLandexpress Von Landsorten, alten Sorten und Zuchtsorten Die Vielfalt von alten, lokalen Sorten ist die Grundlage unseres heutigen Getreideanbaus. Da niemand weiss, welche Eigenschaften in Zukunft gebraucht werden, ist es wichtig, die grosse Vielfalt der alten an lokale Bedingungen angepassten Sorten für neue Züchtungen zu erhalten. Die modernen Weizensorten sind auf Einheitlichkeit getrimmt. Neue Sorten müssen eine Zulassungsprüfung bestehen. Bei dieser Prüfung werden die Pflanzen genau beschrieben: Ährenhaltung, Ährenlänge, Farbe der Spelzen, Begrannung oder Form der Spelzen. So kann die Sorte später auf den Feldern wieder erkannt werden. Ist die angemeldete Sorte uneinheitlich, unterscheiden sich die Pflanzen im Feld zum Beispiel in der Ährenlänge, dann besteht sie die Prüfung nicht, egal wie gut sie sonst abschneidet. Einheit statt Vielfalt ist die Devise auf dem Weizenfeld. Dies war nicht immer so. Noch vor zweihundert Jahren waren Weizenfelder vielfältig. Es gab wüchsigere und weniger wüchsige Pflanzen, kurz- und langjährige, begrannte und unbegrannte. Manche Ähren waren bei der Ernte bräunlich, andere weiss­ lich gefärbt, es gab rötliche und weiss­ lich Körner. Geringe Vielfalt zu Beginn Diese grosse Mannigfaltigkeit gab es nicht von Anfang an. Die ersten Brotweizensorten der Steinzeit hatten kurze, gedrungene Ähren, weswegen man diese Zwergweizen nannte. Die Pflanze selber wurde allerdings schnell eineinhalb Meter hoch. Es ist nicht bekannt, ab wann andere Ährenformen auftraten, sicher ist, dass um 1800 die Weizenbestände die grösste Vielfalt aufwiesen. Dank dieser Vielfalt hatten die Landwirte sichere Erträge. Je nach Jahr, ob trocken oder nass, kalt oder warm, mit viel oder wenig Krankheitsdruck, immer gab es im Bestand Pflanzen, die mit den herrschenden Bedingungen fertig wurden. In einem trockenen Jahr waren das andere als in einem nassen Jahr. Durch diese natürliche Auswahl veränderte sich der Bestand von Jahr zu Jahr. Die damaligen Bauern hatten zwar keine Spitzenerträge, dafür war ein Ertrag garantiert. 15 Aus dem Gräserland Woher kommt der Weizen? ▲ Bewirtschaftung eines Getreidefeldes um 1960. (Bild: Wikimedia) Der Ursprung des Weizens liegt in Mesopotamien, wo vor rund Umbruch Die moderne Züchtung beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts. Züchter testeten die Nachkommen einzelner Ähren und suchten Pflanzen, die unabhängig von den Bedingungen während des Jahres gute Erträge lieferten und gute Verarbeitungseigenschaften aufwiesen. Man suchte also das Beste aus der Vielfalt einer Landsorte in einer einzelnen Pflanze. So entstanden die alten Zuchtsorten, wie Plantahof oder Mont Calme. Diese ersten Zuchtsorten verdrängten im Mittelland bald die lokalen Sorten. Als sich durch Auslese keine weiteren Erfolge erzielen liessen, erstellten die Züchter durch Kreuzung neue Kombinationen aus verschiedenen Sorten von Weizen. Dabei werden die Eigenschaften vermischt und ab der zweiten Generation ergibt sich eine Vielfalt von Formen. Die Züchter benutzen diese Vielfalt, um neue, bessere Sorten zu entwickeln. Die schweizerische Züchtung folgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht dem im Ausland vorherrschenden Trend, in den Zuchtparzellen Spritzmittel gegen Blatt- und Ährenkrankheiten einzusetzen. Man vertrat die Ansicht, dass die neuen Sorten resistent gegen diese Krankheiten sein sollten. So erhielt man Sorten mit mehreren Resistenzen. Bei den lokalen alten Sorten waren solche Resistenzen zwar bereits vorhanden, aber jeweils auf einzelne Pflanzen verteilt. Dank der Kreuzungszucht konnten diese Resistenzen in einer einzelnen Pflanze kombiniert werden. Zuchtsorten angepasster als alte lokale Sorten Die Weizenlandsorten aus der Zeit um 1800 sind verloren gegangen. Nur einzelne Typen, einzelne Linien sind erhalten geblieben. Dazu gehören auch die alten Zuchtsorten. Es gibt nur wenige alte lokale Sorten von denen mehr als eine Linie erhalten geblieben ist. Die meisten Sorten aus der Genbank stammen aus dem Berggebiet und wurden zwischen 1940 und 1965 gesammelt. Seitdem hat die Bodenfruchtbarkeit in der Landwirtschaft, auch in der biologischen Landwirtschaft, zugenommen. Die Weizen in der Samenbank haben diese Änderungen nicht erlebt und haben sich nicht an diese angepasst. Deswegen sind die modernen Sorten, so widersprüchlich es auch klingt, oft angepasster als alte Zuchtsorten. Nur noch ganz wenige alte Sorten können heute in der Praxis angebaut werden. 10 000 Jahren Jäger und Sammler durchs Land zogen und nach Samenkörnern von Wildgräsern suchten. Sie bevorzugten Gräser, deren Samen an der Ähre blieben und so einfacher gesammelt werden konnten. Mit zunehmender Sesshaftigkeit förderten die Menschen aufgrund ihrer Vorliebe diese Eigenschaft. Rund 8000 v. Chr. entstanden erste Übergangsformen zu Kulturformen des Einkorns sowie der Emmer. Etwa 5000 v. Chr. gelangten Einkorn und Emmer vom Irak und der robuste Dinkel vom Kaukasus nach Mitteleuropa. Der Nacktweizen, wie z. B. Hartweizen, begann sich erst ca. 2000 Jahre später zu verbreiten. Während die Ziele der modernen Weizenzüchtung noch immer Widerstandsfähigkeit und hohe Bleibende Bedeutung der alten Sorten für die Züchtung Doch die Züchtung kann nicht auf die alten Sorten verzichten. Die Anforderungen von den Konsumenten an die Getreide ändern sich, die biologische Landwirtschaft braucht eigene Sorten oder unbehandeltes Saatgut und neu braucht es wegen der Klimaerwärmung neue Sorten, die besser an Trockenheit und Wärme angepasst sind. Nicht zuletzt wird die Problematik um die immer weiter verbreitete Glutensensitivität auch Folgen für die Züchtung haben. Die Vielfalt muss deshalb für die zukünftige Züchtung dringend erhalten bleiben. Peer Schilperoord, [email protected] Der Biologe Peer Schilperoord befasst sich seit über 30 Jahren mit Berggetreide. Er arbeitete von 1989 bis 2000 als Geschäftsführer der landwirtschaftlichen Genossenschaft Gran Alpin. Seit 2013 gibt er die Schriftenreihe «Kulturpflanzen in der Schweiz» heraus. Erträge sind, haben sich die Verfahren in den letzten Jahren verändert. Moderne Methoden ermöglichen eine viel präzisere Züchtung, aber auch die Entschlüsselung der Erbinformationen. Zwar wird noch kein gentechnisch veränderter Weizen kommerziell auf dem Markt angeboten, doch werden in Europa und den USA Feldversuche durchgeführt. voln Zitate Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung. Albert Einstein, deutsch-schweizerischer Physiker und Nobelpreisträger, 1879 – 1955 16 Kulturgeschichte Aus dem Gräserland Vom Urmais zum Hybridmais Das Wildgras Teosinte gilt als Vorfahre unseres Mais. Die Kultivierung des Mais breitete sich von Südmexiko aus, wo er bereits vor 7000 Jahren angebaut wurde. Als die Siedler nach Nordamerika kamen, war der indianische Mais bereits weit verbreitet. Die Bauern erprobten schon früh Kreuzungen und züchteten diese durch Paarung mit genetisch nahen Verwandten weiter. Der Durchbruch in der Maiszüchtung gelang Züchtern 1917 in den USA. Die Kreuzung von Neuzüchtungen mit unterschiedlichen Eigenschaften führte zu enormen Erträgen, allerdings nur in der ersten Pflanzengeneration. Die Zuchtsorten – sogenannte Hybridmaissorten – fanden enorme Verbreitung. Auch die meisten anderen Kulturpflanzen sind heute als Hybridsorten erhältlich. Diese Entwicklung hat die Landwirtschaft weltweit revolutioniert und Grasmusik Spannt man ein Grasblatt zwischen die Glieder der aneinandergelegten Daumen und bläst kräftig hindurch, so gerät das Blatt in Schwingung und erzeugt einen schrillen Ton. «Sirre» wird das weitherum bekannte Blattblasen im aargauischen Seetal gemäss dem im letzten Jahrtausend erschienenen Handbuch der europäischen Volksinstrumente genannt, «gägga» im Goms und «siffler lʹherbe» in der Romandie: «Das allgemein verbreitete Kinderspiel dient dem Jäger vor allem im Kanton Graubünden als Lockinstrument. Im Kanton Bern ist es üblich, vor der Heuernte mit dem Spiel auf einem Grashalm die Rehkitze aus den Wiesen zu locken, um Unfälle mit den Mähmaschinen zu verhüten.» – Wie soll das gehen? – Ein Bündner Jäger gibt Auskunft: «Wenn man über einen Grashalm zwischen seinen Fingern bläst, tönt das in etwa gleich wie ein Rehkitz, das nach seiner Mutter ruft (der Ruf wird «Fiepen» genannt). Wildhüter machen sich den Trick zunutze, um Rehkitze zu markieren: Indem sie nach der Rehmutter fiepen, verleiten sie diese dazu, den letzten Standort ihres im Gras abgelegten Kitzes aufzusuchen, um nach dem Jungen zu sehen. Die Rehgeiss orientiert sich dabei nämlich nicht primär nach der Richtung des Fieplauts, sondern nach dem letzten ihr bekannten Standort ihres Kitzes. Damit verrät sie dem Wildhüter den Standort des Rehkitzes.» industrialisiert, aber auch Abhängigkeiten geschaffen. Denn die Bauern müssen das Saatgut jedes Jahr neu kaufen, wenn sie sinkende Erträge vermeiden wollen. voln Zitate Am raschesten wäre wohl das Problem des Fleischessens gelöst, wenn jedermann das Tier, dessen Fleisch er verzehrt, vorerst selbst zu diesem Zwecke schlachten müsste. Max Otto Bruker, deutscher Arzt und Sachbuchautor, 1909 – 2001 Sommer 2015 / GräseRLandexpress ▲ Kazoo-ähnliches Instrument aus einem Stück Pfahlrohr (Süditalien). (Bild: Stefan Ineichen) ▲ Grasblattblasen. (Illustration: Dani Burkart aus: Die Volksmusikinstrumente der Schweiz. Atlantis, Zürich 1981) Rohrblätter zur Erzeugung des Tons Auch wenn sich Wildhüter, Bauer und Jäger nach getaner Arbeit einen Klarinettenländler aus dem Autoradio zu Gemüte führen, ist Gras im Spiel: Sowohl bei Einfachrohrblatt-Instrumenten wie Klarinetten und Saxophonen als auch bei Oboe, Schalmei, Fagott und anderen Doppelrohblatt-Instrumenten erfolgt die Tonerzeugung dadurch, dass speziell zugeschnittene Zungen aus dem Holz des Pfahlrohrs (Arundo donax) zum Vibrieren gebracht werden. Diese besonders im Mittelmeergebiet und in subtropischen Regionen verbreitete Grasart – auch Spanisches Rohr, Riesenpfahlrohr oder Riesenschilf genannt – wird damit zur Mutter einer ganzen Instrumentenfamilie. Nicht nur Rohrblätter werden aus dem getrockneten Holz der bis zu fünf Meter hohen Graspflanze gefertigt: Die langen, geraden Abschnitte zwischen den Knoten dienen auch zur Herstellung von Flöten und weiteren Instrumenten. Der ziegenfüssige Hirtengott Pan aus der griechischen Mythologie erfand die nach ihm benannte Flöte, nachdem sich an einem Flussufer eine von ihm verfolgte Nymphe in eine Riesenschilfpflanze verwan- delt hatte. Aus zusammengebundenen Stücken des im Wind klagenden Nymphen-Pfahlrohrs baute sich Pan darauf eine Flöte. Panflöten werden auch aus den verholzten Halmen anderer Gräser hergestellt: In Südamerika, Afrika und Asien bestehen Panflöten meist aus Bambusrohren. Besonders die asiatische Musiklandschaft ist ohne Bambus undenkbar. Sowohl die japanische Shakuhachi als auch chinesische und indische Flöten bestehen aus Bambus, die Schüttelinstrumente der indonesischen Angklung-Orchester werden ebenso aus Bambus gefertigt wie verschiedene Mundorgeln, Schlitztrommeln, Xylophone und Maultrommeln aus Ostasien und Ozeanien. Bei allem Respekt vor dem Stellenwert der Gräser in der Weltmusik – es gibt auch Musik, die ohne Gräser auskommt. So der von Geige, Banjo, Gitarre und Mandoline dominierte Sound, den Bill Monroe in den 1930er Jahren entwickelte und nach dem für seine Heimat Kentucky typischen Wiesenrispengras (Poa pratensis) benannte: Bluegrass. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Wildtiermanagement: Stefan Ineichen, [email protected] Kulturgeschichte Sommer 2015 / GräseRLandexpress Milpa Milpa ist ein traditionelles landwirtschaftliches System, in welchem Mais, Bohnen und Kürbis gemeinsam angebaut werden. Diese Kombination von Pflanzen hilft bei der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, ist weniger anfällig für Schädlinge die Monokulturen plagen und sorgt für eine ausgewogene Ernährung. Schon vor mehr als 4000 Jahren wurde Milpa in Mesoamerika kultiviert. In Nahuatl (eine aztekische Sprache) bedeutet Milpa «neuer sauberer Bereich» oder «Feld im gerodeten Wald». Damals wurde das ausgewählte Feld durch «Roza-tumba-quema», also durch «roden-fällen-brennen» vorbereitet. Die verkohlten Pflanzenteile und zurückgebliebene Asche dienten als Substrat für den Anbau. Milpa war mit komplexen Interaktionen und Beziehungen zwischen den Göttern, Menschen, sowie der Na- Probieren Sie es doch einmal selber aus … Auch auf einer kleinen Fläche, welche im Frühjahr mit Kompost verbessert wurde, können Sie eine Gemeinschaft von «Drei Schwestern» gründen. Ab Mitte Mai, wenn der letzte Frost vorbei ist, kann man mit dem Anbau beginnen. Zuerst wird der Mais in einem Abstand von 45 bis 60 cm zueinander gepflanzt. Es empfehlen sich hochwüchsige Sorten, welche den Bohnen als Stütze dienen. Zwischen dem Mais nehmen die Kürbisse platz. Denken Sie daran, dass je nach Sorte diese bis zu drei Meter lange Ranken bilden können. Dementsprechend sollten die Kürbisse in grosszügigem Abstand voneinander verteilt werden. Zuletzt, rund 2 bis 3 Wochen später, werden die Bohnen ausgesät, da diese schneller wachsen und kleine Maispflanzen rasch überwuchern könnten. Zu jeder Maispflanze stecken Sie drei Bohnensamen in den Boden. Bei liebevoller Pflege kann man sich so schon bald auf eine ertragreiche Ernte freuen. … oder lassen Sie sich dieses Jahr in unserem Gräserland inspirieren! 17 Aus dem Gräserland Reis: das Brot Asiens ▲ Die drei Schwestern: Mais, Kürbis und Bohnen. (Bild: www.motherearthnews.com) tur, Pflanzen und Böden verbunden. Bei den indigenen Völkern wurde alles, von der Standortwahl bis zur Ernte, in Gemeinschaftsarbeiten durchgeführt. Eine wichtige Rolle spielten traditionelle und spirituelle Rituale wie Gebete für Regen, Schutz vor Verschwörungen von Fremden und Dankzeremonien für gute Ernten. All das zeigt, dass Milpa nicht nur als landwirtschaftliches System wichtig war, sondern auch hohe kulturelle und spirituelle Bedeutung hatte. Zudem garantierte Milpa die Erhaltung einer grossen Vielfalt von Mais. Denn Milpa-Bauern haben viele verschiedene Maissorten in den unterschiedlichsten Standortbedingungen entwickelt und damit ihre Biodiversität gefördert und bewahrt. Der Ursprung der Reisanbaugebiete liegt in China: Bereits 7000 v. Chr. wurden dort erste Reissorten domestiziert. Die Pflanze breitete sich aus, erreichte aber erst im 10. Jahrhundert Europa und im 17. Jahrhundert die USA. Ursprünglich wurde die einjährige Gräserart auf trockenem Boden angebaut, heute zu 80 % als so genannter Nassreis, der bis zu drei Ernten pro Jahr ermöglicht. Der Nassreis ist – ebenso wie Langkorn- und Rundkornreis und die zahlreichen Untersorten – eine Folge von Züchtungen. Die grössten Produzenten sind heute China und Thailand, wo der Reis noch immer hauptsächlich von Hand geerntet wird. Reis ist ein Grundnahrungsmittel Die Pflanzen der Milpa Im Herz der Polykultur stehen Mais, Kürbis und Bohnen, welche oft als «Drei Schwestern» bezeichnet werden. Diese sind eine wichtige Quelle von Kohlenhydraten, Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen und decken viele Nährstoffbedürfnisse des menschlichen Körpers ab. Mais wird noch heute als glutenfreies Lebensmittel mit vielseitiger Verwendung in der Küche geschätzt. Die drei Schwestern unterstützen sich in der Milpa gegenseitig. So bietet Mais den Bohnen eine natürliche Kletterstütze und im Gegenzug versorgen die Bohnen den Mais mit zusätzlichem Stickstoff. Die Wurzeln der Bohnenpflanze leben in Symbiose mit Bakterien, die den Stickstoff aus der Luft binden können. Der Kürbis wächst horizontal, unterdrückt so Unkräuter, sorgt für Beschattung des Bodens und schützt diesen gleichzeitig vor Erosion. Die Pflanzen ergänzen sich somit ideal und können auf einer kleinen Fläche sehr viel Ertrag liefern. Nebst den «Drei Schwestern» können auch andere Pflanzenarten wie und steht bei über der Hälfte der Weltbevölkerung täglich auf dem Speisezettel. Daneben dient die Pflanze unter anderem der Herstel▲ Die Mayas waren bemerkenswerte Landwirte. Ihre fortschrittlichen Pflanzen- und Astronomie Kenntnisse erlaubten es ihnen, einen landwirtschaftlichen Kalender zu erstellen, der Wetterlagen berücksichtigte. Die Mayas nutzten Milpa für den Anbau von Mais und anderen Lebensmitteln. Sie kannten weder das Rad, den Pflug noch tierische Bodenbearbeitung. Trotzdem entwickelten sie eine effiziente Landwirtschaft, die aus Abholzen, Trocknen und Brennen der Vegetation bestand. Nach der Pflanzung wurde mit Hacken gejätet. Da der Anbau den Boden erschöpfte und so zu vermindertem Ertrag führte, wurde das Land für rund 8 Jahre brach liegen gelassen. Danach konnte der regenerierte Boden erneut landwirtschaftlich genutzt werden. (Bild: artcorp.org; Text: www.socialhizo.com) Chili, Tomaten, Kräuter oder Amarant angebaut werden. Die Wahl der Pflanzen variiert je nach Region und Klima. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation: Eva Bartosová, [email protected] lung von Reisschnaps, -wein, -bier und -mehl. Der Erfolg der Pflanze ist nicht zuletzt auf ihre Nährwerte zurückführen: Der Kohlehydratgehalt ist grösser als in Teigwaren, Kartoffeln oder Mais. Allerdings fehlen dem Reis wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Mittels Züchtungen wird dieses Manko kompensiert. voln Zitate Wahre menschliche Kultur gibt es erst, wenn nicht nur Menschenfresserei, sondern jede Art des Fleischgenusses als Kannibalismus gilt. Wilhelm Busch, deutscher Schriftsteller und Humorist, 1832 – 1908 18 Kulturgeschichte Sommer 2015 / GräseRLandexpress Ackerbegleitpflanzen Bei den Gedanken an Ackerbegleitpflanzen kommen sie wohl vielen von uns in den Sinn: Die farbigen Bilder der Getreidefelder die Monet, Van Gogh und andere Impressionisten malten, in denen Mohn und Kornblumen in reifen Getreidefeldern den Blick auf sich lenken. Betrachtet man heute die Getreidefelder in den landwirtschaftlich geprägten Regionen Mitteleuropas, dann findet man nur mancherorts noch reich von Mohn- und Kornblumen und anderen Vertretern dieser Pflanzengruppe durchzogene Getreidefelder. Vor der Bewirtschaftung der Äcker mit modernen Landbaumethoden, war ein Reichtum von ca. 300 verschiedenen Arten auf den Ackerflächen zu finden. Neben den bekannten ‹Klassikern› wie rotem Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) und Kornblume (Centaurea cyanus) gab es noch zahlreiche andere Arten: Acker-Rittersporn (Consolida regalis), Venusspiegel (Legousia speculumveneris), Kornrade (Agrostemma githago), Acker-Adonisröschen (Adonis aestivalis). Dies sind nur einige Vertreter der selten gewordenen Ackerbegleitflora. Über viele Jahrhunderte waren diese Pflanzen allgegenwärtige Begleiter des Getreideanbaus in der Schweiz und bereicherten die hiesige Flora. Heute stehen viele dieser Arten auf der Roten Liste. Sie bilden die natürliche Blütenvielfalt auf dem Acker. Und an diese natürliche Blütenvielfalt sind über 1200 Tierarten angepasst. Als Landwirt gilt es zu beobachten, welche Wildkräuter man auf dem Acker hat und abzuwägen, ob man diese durch unterstützende Massnahmen fördern kann und will. Wichtig ist, dass ein Samenpotenzial der unproblematischen Kräuter vorhanden ist und keine Problemunkräuter vorkommen. Nicht jedes Wildkraut auf Werden die Felder statt im Herbst im Frühjahr gepflügt oder in Fettwiesen umgewandelt, verschwindet die Art. ▲ Kornblume in einem Getreidefeld. (Bild: Flickr, Harald Hoyer) dem Acker ist auch ein Unkraut und nicht jedes Ackerwildkraut auf der Roten Liste! Problemunkräuter sind z. B. Ackerkratzdistel, Quecke oder Weisser Gänsefuss. Sie sind konkurrenzstark und beeinträchtigen den Wuchs der Kulturpflanzen oder behindern die Ernte. Die meisten Kräuter stellen für den Landwirt jedoch kein Problem dar, so z. B. Acker-Stiefmütterchen, Acker-Frauenmantel, Acker-Vergissmeinnicht, Acker-Gauchheil oder Ackerröte. Sie können toleriert werden und bereichern mit ihren zahlreichen ▲ Ackerbegleitflora war auch bei grossen Malern ein beliebtes Sujet: Mohnfeld von Claude Monet (links) und Weizenfeld mit Gewitterhimmel von Vincent van Gogh. kleinen Blüten den Speisezettel der Insekten. Regionaltypische Walliser Begleitflora Wenn es um Ackerbegleitflora geht, dann denkt man in erster Line an die kurzlebigen einjährigen, bekannten Vertreter wie Mohn und Kornblume, weniger an ausdauernde Pflanzen wie Tulpen, Narzissen oder Gladiolen. Im Walliser Binnthal beispielsweise, gibt es die Grengjer Tulpe (Tulipa grengiolensis). Sie gedeiht vorzugsweise als Teil der Begleitflora in Getreideäckern mit Winterroggen sowie in den umliegenden mageren Weiden und Wiesen und ist auf die traditionelle Bewirtschaftung angewiesen. Das Pflügen der Winterroggenfelder im Herbst begünstigt die Vermehrung der Tulpe. Die Nebenzwiebeln werden abgetrennt und durch die Bodenbearbeitung in der Fläche verteilt. So dient die Bodenbearbeitung der Verbreitung und dem Erhalt der Tulpe. Ackerschonstreifen zur Förderung der Begleitflora Um den Erhalt und Schutz der Ackerbegleitflora bemüht man sich in der Schweiz seit einigen Jahren gezielt mit der Einrichtung von Ackerschonstreifen. Hierbei ist es ebenso wichtig, den Rhythmus Bodenbearbeitung – Bestellung einzuhalten, da es sonst zu einer Entwicklung der sogenannten Brachevegtation kommt. Dabei kann es besonders an Standorten mit nährstoffreicheren Böden schnell zu einer Massenentwicklung dominanter Arten kommen. Die Bewirtschaftung von Ackerschonstreifen oder Schutzäckern hängt also von vielen Faktoren ab. Standort und Niederschlag sind ebenso zu berücksichtigen wie die technischen Bearbeitungsverfahren. Wichtige Grundsätze, die auf die jeweilige Situation zugeschnitten werden müssen, und praktische Erfahrungen sind unverzichtbar. Besonders bei Wintergetreide (Roggen, Emmer, Einkorn und Dinkel, Triticale und Weizen) mit geringen Bodenansprüchen ist der Aufwuchs der farbenfrohen und vielfältigen Ackerbegleitflora begünstigt. Raps und Wintergerste sind in der Jugendentwicklung zu nährstoffbedürftig und daher problematisch, auch bildet Raps später einen sehr dichten Bestand und ist für Wildkräuter zu dunkel. Stark zehrender Hackfruchtanbau (Kartoffeln, Zuckerrüben, Futterrüben, Feldgemüse, Mais) erfordert hohe Düngergaben, daher sollte der Anbau dieser Kulturen auf Flächen mit hohem Potenzial an Ackerbegleitflora unterbleiben. Nachhaltige Landwirtschaft basiert auf dem jährlichen Wechsel der Kulturarten, da dies die Ausbreitung von Problemunkräutern unterdrückt und die selteneren Ackerbegleitpflanzen fördert. Falls der Schutz und Erhalt einer reichhaltigen, standort- und regionaltypischen Ackerbegleitflora nach­haltig gesichert werden kann, dann ist es möglich, dass die Gemälde der Impressionisten auch gegenwärtig und zukünftig noch in der Kulturlandschaft «begehbar» sind. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation: Friederike Kasten, [email protected] Kulturgeschichte Sommer 2015 / GräseRLandexpress 19 Aus dem Gräserland Aus dem Gräserland Aus dem Gräserland Bambus als natürliche Superfaser Papyrus – das Papier der Antike Zuckerrohr – die süsse Droge Die schriftlich überlieferte Geschichte begann mit dem Übergang von den Felsmalereien zur Erfindung der Schrift und eines beschreibbaren Stoffes. Die Ägypter waren es, die parallel zur kunstvollen Hieroglyphenschrift eine Kursivschrift entwickelten. Um die Zeichen niederzuschreiben, benötigten Bereits seit 1000 n. Chr. ist Zucker sie eine Schreibgrundlage: Der Papyrus – gut beschreibbar und in grossen in Mitteleuropa bekannt. Zunächst Mengen verfügbar – erfüllte die Anforderungen. war er Königs- und Fürstenhäusern Für die Herstellung des «antiken Papiers» wurde das Mark des Pflanzenstän- vorbehalten; später breitete er sich gels in Streifen geschnitten und übereinander gelegt. Durch das Quetschen aus, blieb aber lange Zeit der geho- der Stängel trat Stärkesaft aus, der die Streifenlagen miteinander verklebte. benen Gesellschaftsschicht vorbe- Es entstanden Papyrusblätter, die mit Steinen glattgeschmirgelt und je nach halten. Bis Mitte des 18. Jahrhun- Verwendungszweck zu Papyrusrollen aufgewickelt wurden. Über 700 000 derts wurde Zucker ausschliesslich Papyrusrollen enthielten einen grossen Teil des gesamten Wissens der grie- aus Zuckerrohr gewonnen, der in chischen und ägyptischen Antike. Papyrusblätter zählten zu den wichtigsten Mittel- und Südamerika durch af- Grabbeigaben und sind heute noch in gutem Zustand erhalten. voln rikanische Sklaven unter härtesten Bedingungen geerntet wurde. 1747 entdeckte ein Chemiker den Zuckergehalt der Runkelrübe und es Fürs Büchergestell gelang, daraus die Zuckerrübe und Schriftenreihe: Kulturpflanzen in der Schweiz damit einen weiteren Zuckerlieferanten zu züchten. In Burma und Bangladesh diente Heute stammen vier Fünftel der Bambus als wichtigster Baustoff, Weltproduktion aus Zuckerrohr bis er aufgrund des westlichen Ein- und ein Fünftel aus der Zucker- flusses durch Stahl und Beton ver- rübe. Die beiden Sorten sind drängt und zum Baustoff für arme chemisch identisch. Im Durch- Leute wurde. Inzwischen gewinnt schnitt konsumieren Herr und Frau Bambus dank seiner vielen Vorzüge Schweizer 120 Gramm Zucker pro wieder an Terrain. So besticht er Tag respektive 44 kg pro Jahr. Das in Sachen Nachhaltigkeit und Um- ist mehr als das Doppelte der emp- weltverträglichkeit. Keine andere Pflanze produziert in so kurzer Zeit so viel Biomasse. Bambusbestände können jedes Jahr um zehn Prozent ausgelichtet werden, ohne den Bestand zu gefährden. Der schnell wachsende Rohstoff bindet enorme Mengen von CO2 und produziert mehr Sauerstoff als die meisten anderen Pflanzen. Als Baustoff eignet sich Bambus nicht nur aus ästhetischer, sondern auch aus funktioneller Sicht. Der Härtegrad entspricht jenem von fohlenen Menge. Die Folgen sind Die zweisprachige Schriftenreihe gibt eine Übersicht über die Geschichte der Kulturpflanzen in der Schweiz. Sie thematisiert die Vielfalt der Sorten, ihre agronomischen Eigenschaften, ihre Nutzung und ihre Verwendung in der Züchtung bis hin zu ihrer Erhaltung. Bis heute sind die Hefte zu Weizen, Dinkel, Gerste, Mais und Kartoffeln entstanden. Autor und Herausgeber ist der Biologe Peer Schilperoord, der sich seit über dreissig Jahren mit alpinem Getreide und alpinen Kulturpflanzen ders geeignet ist er als Baustoff in Erdbebengebieten, weil Bambus bei Erdbeben viel beständiger ist als Backstein. voln ne Herz-Kreislauf-Erkrankungen. voln Zitate Tiere sind meine Freunde, und ich esse meine Freunde nicht. Georg Bernhard Shaw, irischer Dramatiker, 1856 – 1950 Karlheinz Deschner, Philosoph und Schriftsteller, 1924 – 2014 biegefähig, zug- und druckfest sich ändernder Feuchte. Beson- Fettleibigkeit und damit verbunde- Es wird die Zeit kommen, in welcher wir das Essen von Bestellungen im Buchhandel oder Tieren ebenso direkt bei [email protected] verurteilen, wie wir heute das Essen von Zitate unseresgleichen, die Fleisch macht das Essen Menschenfresserei, nicht schlechter, aber verurteilen. den Esser. Eichenholz. Ausserdem ist Bambus sowie vergleichsweise stabil bei befasst und viele Jahre als Geschäftsführer der Genossenschaft Gran Alpin tätig war. Die schön gestalteten Hefte der Schriftenreihe haben inhaltlich einen direkten Bezug zu den erhaltenen Sorten und berücksichtigen die Daten und Informationen, die in der Nationalen Daten Bank (NDB) enthalten sind. (Siehe auch den Beitrag zu den alten Landsorten auf Seite 15) Zitate Leonardo da Vinci, italienischer Maler, Bildhauer und Universalgelehrter, 1452 – 1519 20 Grünraumgestaltung Aus dem Gräserland Experimentelle Drifts Zu dieser Bepflanzung inspirierte uns der weltberühmte holländische Gartengestalter Piet Oudolf, der mit seinen naturalistischen Pflanzungen die zeitgenössische Pflanzenverwendung massgeblich prägte. Sein Ansatz, Gartengestaltung mit Ökologie zu verknüpfen, entspricht der Idee einer nachhaltigen Gartengestaltung, die in Partnerschaft mit der Natur steht. Die Verwendung langlebiger und Gräser, die kein Schatten Pflanzideen für schwierige Gartenstandorte Dank ihrer natürlichen Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten Lebensräume lassen sich Gräser im Garten oder im öffentlichen Grün an Extrem­ standorten verwenden. Solche schwierigen Bereiche sind zum Beispiel der trockene Schatten unter ausgewachsenen Bäumen. Wurzelkonkurrenz, Trockenheit und Lichtmangel zeichnen diese Standorte aus. Was macht Gräser neben ihrer Anspruchslosigkeit so unersetzbar und wertvoll für den Garten? züchterisch wenig beeinflusster Stauden und Gräser bilden die Grundlage all seiner Pflanzungen. Unsere Pflanzung im Gräserland ist auf unterschiedlich langen und fliessenden Bändern, sogenannten Drifts, aufgebaut. Innerhalb der Drifts experimentierten wir mit unterschiedlichen Pflanzenkombinationen, Höhenstaffelungen, Pflanzencharakteren sowie der Dichte der Bepflanzung. Gräser übernehmen dabei die Funktion von Leitstauden, die im Wechsel von Rhythmus und Auflösung eine gewisse Ordnung in die Bepflanzung bringen. Bei der Auswahl der Stauden haben wir Arten ausgewählt, die den Wildformen nahe stehen und dadurch ein Grüne Blattlinien statt bunter Blüten Eine der höchsten Qualitäten der Gräser liegt in ihren linearen Blättern. Die endlose Wiederholung dieser Linien schafft wertvolle Strukturen. Wenn diese dann auch noch immergrün sind und in den verschiedenen Grüntönen selbst im Winter leuchten, sind sie unverzichtbar für den Garten. Vor allem die Gattung Carex, aus der Familie der Seggen, hat viele wintergrüne Vertreter. Die Segge wurden wegen ihrer Vielseitigkeit deshalb vom Bund der Deutschen Staudengärtner 2015 zur Staude des Jahres erklärt. Neben verschiedenen Grüntönen gibt es auch weissbunt gestreifte Vertreter. Die heimische Berg-Segge (Carex montana) natürliches Bild ergeben. Unterschiedliche Wuchsformen, wie beispielsweise die aufrechten Kerzen des Knöterichs oder des Seggen, Binsen und Süssgräser Blutweiderichs wechseln sich mit gleichrangig verzweigten Blüten wie die des Sonnenhuts, Astern oder der Fetthenne ab. Vernetzende Funktionen haben Stauden wie die filigranen Blüten der Prachtkerze oder die Dolden des Haarstrangs. Der Gesamtcharakter der Bepflanzung soll dabei heiter wirken und eine gewisse Leichtigkeit haben. trrr Sommer 2015 / GräseRLandexpress Für die Botaniker sind die Seggen (Cyperaceae) und die Binsen (Juncaceae) keine «echten Gräser». Weil sich Seggen und Binsen im morphologischen Aufbau und in der Blüte von den sogenannten «echten Gräsern», den Süssgräsern (Poaceae) unterscheiden, werden sie zu eigenen Familien zusammengefasst. hat sommergrüne, schmale Blätter und eine wunderschöne, leuchtend goldbraune Herbstfärbung Sie wächst bei uns auf dem Campus Grüental auf einem Föhrenhügel im Pinetum und verträgt den trockenen Schatten sehr gut. Licht einfangen Wer es ein bisschen poppiger mag, kann eine der weiss gestreiften Seggen verwenden. Gerade im dunklen Schatten sind diese Gräser sehr wertvoll, da sie diese Plätze aufhellen und Abwechslung ins dunkle Einheitsgrün bringen. Man sollte sie allerding nur sparsam in kleinen Gruppen verwenden oder Bänder mit ihnen ziehen. Dann wirken sie weniger aufdringlich und bilden wertvolle Kontraste zu den eher mattgrünen Schattenstauden oder Farnen. Die immergrüne JapanSegge (Carex morrowii 'Ice Dance') hat am Blattrand hellere Randstreifen. Für den Garten ist sie eine der schönsten immergrünen Gräser, die uns in den langen Wintermonaten zwischen blattlosen Gehölzen erfreut. Luzula nivea ▲ Das Pinetum in den Gärten im Grüental. (Bild: Erich Stutz) Rand weiss bewimperten, immergrünen Blättern bilden. Da sie kniehoch wird, eignet sie sich hervorragend mit ihrer aufrechten, luftigen Gestalt zum Auflockern von strukturarmen Schattenpartien. In Pflanzungen mit teppichartigen Bodendeckern kann man mit ihr Bänder ziehen, Höhenstaffelungen vornehmen oder durch unterschiedlich dichtes Auspflanzen Beete rhythmisieren. Akzente schaffen und rhythmisieren Auch die zweite Familie der «unechten Gräser», die Binsengewächse (Juncacae) kommen wie die Seggen (Cyperaceae) häufig an schwierigen Standorten auf nassen oder verdichteten Böden vor. Einige Binsen haben sich sogar in den dunklen Wald geflüchtet. Die Arten der Gattung Luzula bevorzugen trockene Böden und schattige Standorte in Wäldern und Gebüschen. Sehr wertvoll für den Gärtner ist die bei uns in Bergwäldern heimische Schnee-Marbel (Luzula nivea). Sie erfreut uns mit ihren schneeweissen, watteartigen Blüten, die einen schönen Kontrast zu den schmalen, am Farbdreiklänge im Schatten Die meisten der «echten Gräser» (Poaceae) wachsen auf sonnigen, nährstoffreichen Wiesen oder in der baumlosen nordamerikanischen Prärie. Einige Vertreter begnügen sich aber auch mit schattigen Standorten an Wald- ▲ Carex montana mit Cyclamen. ▲ Verschiedene Blattstrukturen. Zitate Sie sollen sich lieber an den gesunden Kohl und an Getreidebrei halten als an Fasane und Perlhühner. Plinius der Ältere, römischer Gelehrter und Schriftsteller, 23 oder 24 – 79 ▲ Seggen sind immer an den V-förmig eingeschnittenen Blättern zu erkennen, anders als die nahezu flachen Blätter der Süssgräser (rechts). Die Blätter der Binsen dagegen sind flach, aber zum Halm hin eingerollt (Mitte). (Bild: Céline Derman-Baumgartner) (Bild: Pablo Dietzen) Grünraumgestaltung Sommer 2015 / GräseRLandexpress endasein fristen rändern, wo sie mit anderen Pflanzen um Licht, Wasser und Nährstoffe konkurrieren müssen. Diese Süssgräser zeichnen sich zwar nicht durch immergrüne Blätter, wie die Binsen oder Seggen aus, dafür bringen sie Blätter in leuchtenden Grüntönen hervor. So lassen sich im eher tristen Schatten Farbeffekte erzielen und dunkle Stellen aufhellen. Sie harmonieren dabei sehr gut zu blau blühenden Frühjahrsblühern wie zum Beispiel den Waldanemonen (Anemone blanda). Dank der hellgelben Grasblätter können Farbdreiklänge geschaffen werden. Einige der zu empfehlenden Arten aus dieser Gruppe sind das Plattährengras (Chasmantium latifolium), das Japanische Berg-Gras (Hakonechloa macra) und das ▲ Blütenstände von Luzula nivea. (Bild: Pablo Dietzen) zitronengelb leuchtende Gold-Flattergras (Milium effusum 'Aureum'). Pflanz- und Pflegetipps Die beste Pflanzzeit für Schattengräser und ihre Partner ist der Frühherbst. Zu dieser Jahreszeit wachsen die Bäume nicht mehr und entziehen dem Boden weniger Wasser und Nährstoffe. Zusätzliche Kompostgaben fördern die Wurzelbildung und speichern das Wasser. Im ersten Jahr sollte bei Trockenheit gegossen werden, ansonsten muss man sich um die Pflege an solchen Extremstandorten keine grösseren Gedanken mehr machen. Herabfallendes Laub oder Nadeln sollten liegen gelassen werden, so dass sie sich in wertvollen Humus um- ▲ Carex morrowii 'Ice Dance'. (Bild: Pablo Dietzen) 21 Aus dem Gräserland wandeln. Auf diese Weise lassen sich stabile, artenreiche und pflegearme Krautschichten etablieren, die relativ stresstolerant sind, aber empfindlich auf Störungen durch Bodenbearbeitung, wie zum Beispiel Hacken, reagieren. Geeignete Partner für die Schattengräser sind viele im Frühjahr blühende Waldbodenpflanzen, Farne und Geophyten, wie zum Beispiel: Anemone nemorosa, Arum maculatum, Arum italicum, Epimedium spp., Latyrus vernus, Alpenveilchen, Helleborus spp. Ein Rückschnitt ist bei den immergrünen Seggen und Binsen nicht erforderlich. Falls die alten Halme und Blätter stören, kann man sie mit einem Laubrechen im Frühjahr auskämmen und so das alte Laub entfernen. Die im Herbst braun werdenden Süssgräser sollten natürlich erst im Frühjahr zurückgeschnitten werden. Denn auch sie gehen, wie ihre immergrünen Verwandten, mit ihrer lockeren Gestalt wie Skulpturen in den Winter. Wenn dann die Gräser mit Raureif überhaucht werden, gehören sie zu den wenigen Stauden, die selbst im Winter noch reizvolle Gartenbilder in den sonst eher tristen Garten malen. Gestalten mit Gräsern Gräser sind die Leitpflanzen des zeitgenössischen Gärtnerns und begeistern wegen ihrer filigranen Leichtigkeit, ihrer Transparenz und ihrer bewegten Lebendigkeit. Die Art und Weise der jahreszeitlichen Veränderungen und die Zwanglosigkeit, mit der sie sich in einem Garten einfügen, machen sie zu hochgeschätzten Gartenpflanzen. Unter allen Gartenpflanzen gehören sie zu den vielseitigsten bezüglich Grösse, Form, Farbe, Textur und Blütezeit. Sie stehen im Garten dort am besten, wo sich die Linearität ihrer Halme gut abhebt oder Kontraste setzt – etwa vor dunklen Gebäudewänden oder in der Nähe von Pflanzen mit grossen Blättern. Naturalistische Pflanzungen entstehen, wenn man Gräser beispielsweise mit den schirmförmigen Blütentellern der Doldengewächse oder anderen individuellen Wuchsformen von Stauden kombiniert. Im Allgemeinen werden Gräser vor allem aufgrund ihrer dekorativen Blüten- und Samen- Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation Thomas Kimmich, [email protected] stände und wegen ihrer attraktiven Wintersilhouette ausgewählt. Ihre einzigartige Schönheit erlangen Gräser dann, wenn im Morgentau die Sonnenstrahlen ihre Blüten und Gräser sind die häufigsten Pflanzen auf der Erde. Das macht Gräser nicht nur zu den weitest verbreiten Pflanzen sondern auch zu den erfolgreichsten. Sie kommen in allen Klimazonen vor. Man findet sie an den Meeresküsten bis hinauf zum Hochgebirge, vom Äquator bis zu den Polarkreisen. Dabei besiedeln sie unterschiedliche Standorte von grosser ökologischer Bandbreite. Sie wachsen in nährstoffarmen, sauren Mooren Nordeuropas, in trockenen basischen Sandböden der afrikanischen Savanne oder im tiefen Schatten borealer Nadelwälder in der »dunklen Taiga». Dabei dominieren Gräser auch das Schweizer Landschaftsbild. Sie sind die meisten Pflanzen in den Wirtschaftsweiden des Mittellandes und sie sind auch die häufigsten Pflanzen auf den alpinen Matten der höchsten Schweizer Bergspitzen. Samenstände einfangen und diese zu glitzern und leuchten beginnen. Im Garten lassen sich die Beete mit streng aufrechten Gräsern als wiederholendes Element rhythmisieren, so dass die Bepflanzung für den Betrachter eine optische Stabilität bekommt. Die meisten Gräser sind sehr robust und sind im Garten sogar für schwierige Bedingungen geeignet. Am richtigen Standort gepflanzt, können Gräser jahrelang und ohne grosse Pflegemassnahmen wachsen. trrr Zitate Viele Ausdauersportler sind Vegetarier, sie lehnen sogar das Sitzfleisch ab. Gerhard Uhlenbruck, deutscher Mediziner und Aphoristiker, *1929 22 Grünraumgestaltung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Annuelle Schönheit einen Sommer lang Was ist das Besondere an den annuellen Pflanzen, das Faszinierende an ihnen? Ist es diese unbändige Lust am Blühen? Dieses Feuerwerk der Farben? Auf jeden Fall scheint es, dass sie in der kurzen Zeitspanne in der sie blühen, alles geben. Sie tanzen einen Sommer lang durch die Gärten und lassen sich nieder, wo Platz ist und wo sie nicht verdrängt werden von starkwüchsigeren Arten. Dort beschenken sie den Pflanzenfreund mit einer überreichen Blütenfülle. Gerade für Ungeduldige, die schnell Erfolge sehen möchten, sind die Annuellen sehr dankbar. Für Verspielte sind sie ein Experimentierfeld. Ein Augenschmaus für alle Betrachter! Zahlreiche Sommerblumen können an Ort und Stelle gesät werden, was ihre Verwendung sehr einfach macht. Entweder wird die Gesamtfläche mit Sommerblumen bespielt oder sie können bei einer neuen Staudenfläche einfach dazwischen gesät werden, damit die Anwachszeit der Stauden überbrückt wird mit der Blüte der Annuellen. Sie werden sozusagen als ‹Lebendmulch› eingesetzt. Die offene Fläche ist besetzt mit ihnen, mit etwas Lebendigem und nicht, wie üblich beim Mulchen, mit leblosem Material. Sie besetzten mit ihrer Grün- und Wurzelmasse die freie Fläche, bilden einen dichten Teppich und lassen unerwünschtem Spontanaufwuchs kaum eine Chance. Sie steigern den farblichen Wert im ersten Jahr und die Textur. Nach der Aussaat braucht es ein wenig Geduld bis etwas zu sehen ist, Mut zur Abkehr vom exakt Geplanten und Lust auf das aufregende Jäten – wie ein Spion: Immer mit der Frage im Hinterkopf, welches sind die Einjährigen, welches die Wilden? Dafür sind Samen viel günstiger im Preis im Vergleich zu Sommerblumen in Töpfen. Die Kalkulation ist mit ihnen ein Kinderspiel! Ein gestalterischer Kosmos tut sich auf Eine wunderschöne Ergänzung zu den Sommerblumen sind einjährige Getreide und Ziergräser. An der ZHAW wur- ▲ Bepflanzung mit Annuellen im Gräserland 2014. (Bild: Erich Stutz) den Gräser nach verschieden Kriterien wie Keimfähigkeit, Aussehen, Praxis­ tauglichkeit, getestet. Welche einjährigen Gräser eignen sich für die Verwendung in funktionalen Pflanzungen? Welche Kombinationen mit blühenden Einjährigen bewähren sich? Ein Gersten- oder Weizenfeld mit verschiedenen Mohnarten. Ein Sommerweizenfeld kombiniert mit Dill, Lein und Kornblumen. Zwerghirse (Eragrostis tef) kombiniert mit Tagetes und Kosmeen. Einjährige Gräser sind markante Gestalten mit verschiedensten Färbungen. Gerade Getreide weist eine sehr schöne Struktur und Textur auf und ist im frischen wie auch in getrocknetem Zustand auffallend schön. Hier kommt die Pflege als Gestaltungsmittel ins Spiel: Getreide im Spätherbst ansäen und es blüht im Frühsommer. Mäht man dann einen Teil des Getreides ab und sät Lein ein, erzeugt man im Spätsommer ein atemberaubendes Bild aus bereits trockenem Getreide und wunderbar ineinander verwoben blühendem Lein. Wie viele Jätdurchgänge es braucht, entscheidet einerseits die Bodenvorbereitung der Fläche, andererseits die ästhetische Haltung des Pflanzenverwenders und seiner Zielgruppe. Das Jäten in einer Fläche mit Gräsern ist keineswegs eine Tätigkeit, die man einer ungelernten Hilfskraft überlassen darf, da man Artenkenntnis haben und wirklich sehr genau hinschauen muss, um das Unerwünschte vom Gewünschten zu unterscheiden. In dieser Hinsicht ist es einfacher, eine reine Sommerblumenfläche zu jäten als ein Gräserfeld. Die Bedenken von Gärtnern, Unkraut könnte sich stark vermehren, wenn die eigentliche Ansaat nicht erkannt und daher beim Jäten zu zaghaft vorgegangen wird, sollte durchaus ernst genommen werden. Ideal für die temporäre Nutzung in der Stadt Die Thematik der temporären Nutzungen von Räumen in der Stadt gewinnt in den letzten Jahren stetig an Bedeutung. Ideen werden unkompliziert und direkt umgesetzt. Eine Art spielerische Erkundung und Entdeckung eines Ortes mit seinen Menschen. Welche Rolle spielen Pflanzen dabei? Welchen Beitrag können sie leisten? An diesem Thema arbeitet die Forschungsgruppe Pflanzenverwendung. Das Wesen der Pflanze als dynamischer Baustoff wird genutzt, damit Orte eine veränderte Aufmerksamkeit erfahren. Das Unerwartete der Inszenierung bringt eine Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen Bedingungen. Die daraus entstehenden Überraschungen, die zur Poesie des Alltäglichen beitragen. Gerade Annuel­le machen den Charakter des Temporären am besten sichtbar. Wel- che Abläufe ergeben sich? Wie kann die Erfahrung aus dem Temporären für die Entwicklung von Dauerhaftem genutzt werden? Alle Projekte folgen der gleichen Vision, die getroffenen Massnahmen sind individuell auf den jeweiligen Ort abgestimmt. Die sozialen Prozesse werden gefördert, jedoch nicht erzwungen. Sich auf einen Prozess einzulassen und sich treiben lassen öffnet neue Türen. Dafür benötigt es Mut, Ausdauer und die Bereitschaft, seinen eigenen Standpunkt immer wieder zu reflektieren. Das Gespräch mit anderen zuzulassen. Die annuel­ len Pflanzen weisen eine Dynamik auf, die erfrischend wirkt. Diese Frische in das Stadtleben einzubringen, lohnt sich. Planen mit offenem Ziel – mit einer Vision, die jedoch nicht bis ins Detail ausformuliert ist. Dies benötigt Flexibilität bei den Planern. Und welchen Beitrag leisten die Pflanzen? Was sicher ist: Sie wecken Emo­tionen bei den allermeisten Menschen. Die Bandbreite ist gewaltig und spannend zugleich. Ästhetische Vorstellungen, Standpunkte und kulturelle Prägungen treffen aufeinander – was sicher dabei entsteht, sind Gespräche. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Pflanzenverwendung, Doris Tausendpfund, [email protected] Grünraumgestaltung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Das Grün des Rasens Rasen ist eine Vegetationsdecke aus niedrig wachsenden Gräsern, die durch regelmässiges Mähen eine dichte, trittfeste Matte bildet. Er ist sowohl im Privatgarten wie auch im Stadtpark allgegenwärtig und begleitet uns fast in jeder Lebenslage. Er lässt sich bespielen, betreten, beliegen, beschauen, mähen oder sogar künstlerisch bearbeiten. In perfektionierter und überaus intensiv gepflegter Version dient er als Golfcourt in Wädenswil, zum Fussballspiel im St. Jakob-Stadion oder für Tennismatches in Wimbledon. 23 Aus dem Gräserland Hecken am laufenden Meter Hecken aus hochwachsenden Blütenstauden und Gräsern sind eine willkommene Alternative zu immergrünen Gehölzhecken. Seit 2007 untersucht die Forschungsgruppe Pflanzenverwendung verschiedene Kombinationen von Staudenhecken auf ihre Eignung als raumbildende, pflegearme und gut funktionierende Vegetationssysteme. Die schmalen Hecken sind gerade in verdichteten Rasen bedeutet schnelles und intensives Grün bei geringen Herstellungskosten. Deshalb erstaunt es nicht, dass durch die starke Verdichtung des urbanen Raums ein Grossteil der Aussenflächen im Siedlungsgebiet aus Rasenflächen besteht. Im Hinblick auf die heute immer schnellere Versiegelung von Bodenoberflächen bekommt er gerade in der Stadt eine immer wichtigere Bedeutung. Doch fehlen gerade im Siedlungsraum oft vielfältige und strukturbildende Gehölz- und Staudenbepflanzungen als Ergänzung zu den Rasenflächen. Deshalb erscheinen solche Freiflächen eintönig und verwechselbar und machen ihrem Namen «Grünflächen» alle Ehre. Dabei steigern Blütenpflanzen die Lebensqualität im urbanen Raum und beglücken nebst dem Menschen auch Bienen, Tagfalter, Fliegen und viele andere Organismen, wie mehrere wissenschaftliche Arbeiten, auch solche der ZHAW, belegen. Es gibt ausreichend viele Argumente, herkömmliche reine Rasenmischungen durch artenreichen Blumen- oder Kräuterrasen zu ersetzen. Blumen-, Schotter- oder Magerrasen sind wertvolle alternative Vegetationstypen, welche an geeignetem Standort viele ästhetische, ökologische aber auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Rasentypen im Vergleich Im Gräserland der ZHAW können mehrere Rasenmischungen, mit denen Privatgärten und öffentliche Anlagen begrünt werden, verglichen werden. Der Erfolg einer Rasenfläche – ob mit oder ohne Blumen – liegt jedoch nur teilweise in der Beschaffung des standortgerechten Samens. Mindestens so entscheidend sind das Herrichten der Stadträumen ideal, um platzsparend und dennoch vielfältig den ganzen Sommer einen Sichtschutz zu bieten. Für die Konzipierung der Staudenhecken wurden hohe Beetstauden und Gräser extrem dicht gepflanzt, so dass sie untereinander konkurrieren und entsprechend ihrer geneti▲ Rollrasen. (Bild: Colourbox, Turf strip) schen Wuchsstrategie schnell in die Höhe wachsen. Das Prinzip ist den Nordamerikanischen Hoch- Saatfläche sowie die Folgepflege. Blumenmischungen benötigen in der Regel nährstoffarme Böden und dürfen nicht zu tief in den Boden eingearbeitet werden. Nach den ersten Unkrautschnitten werden sie nur wenige Male pro Jahr gemäht. Zier-, Spiel- und Sport­ rasen hingegen werden mit zusätzlichen Nährstoffen versorgt und in regelmässigen Abständen auf eine Länge von 4 bis 6 cm gekürzt. Unebenheiten, Beikräuter und oberflächliche Steine werden ungern gesehen. Ziele sind eine dichte Grasnarbe, sattes Grün sowie maximale Tritt- und Scherfestigkeit. Diese werden oft mit Hilfe chemischsynthetischer Düngemittel erreicht. Stickstoff, Phosphor und Kali fördern als Hauptnährstoffe die Wuchskraft der Gräser, stärken die Pflanzengesundheit und regulieren den Stoffwechsel. Calzium und Magnesium sind für den Aufbau der Zellwände und das Blattgrün nötig. Kunstdünger wird aber mit grossem Energieaufwand produziert. Rohstoffe wie Erdöl und Phosphor, aus denen sie produziert werden, stammen aus nicht erneuerbaren Quellen, welche teilweise bereits in naher Zukunft erschöpft sind. dukten verfügen pflanzliche und tierische Düngemittel über ähnliche Qualitäten wie die künstlich hergestellten Industrieprodukte. Reifer Kompost beispielsweise weist einen sehr hohen Phosphorgehalt auf. Zudem reichert er den Boden mit organischer Materie an. Die dadurch gesteigerte Bodenaktivität beschleunigt den Mineralisierungsprozess, dank dem die einzelnen Nährstoffe überhaupt pflanzenverfügbar werden. Ob Kompost, Hühnermist oder sonstige natürliche Produkte – durch den fachgerechten Einsatz werden sie alle im Kreislauf gehalten, was einem nachhaltigen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen gerecht wird. Mehrjährige Feldversuche mit biokonformen Rasendüngern in Parkanlagen Basels sowie auf insgesamt fünf Trainingsplätzen des Fussballclubs Luzern, brachten bislang ausschliessliche positive Ergebnisse. Einer naturnahen Rasendüngung steht somit nichts im Wege. Durch biokonforme Düngemittel wird deshalb die Ökobilanz einer Rasenfläche grüner – und mit einer artenreichen Blumenrasenmischung treibt es sogar ein Rasen bunt. Organische Dünger für eine bessere Ökobilanz Neben natürlichen mineralischen Pro- Institut Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Freiraummanagement: Felix Rusterholz, [email protected] grasprärien abgeschaut, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher, meist straff aufrecht wachsender Stauden und Gräser, im ständigen Wettbewerb miteinander gedeiht. trrr Zitate Wer immer unseren Planeten retten will, braucht nur mit dem Fleischessen aufzuhören. Das ist die allerwichtigste Massnahme, die man dafür treffen kann. Es ist umwerfend, wenn man darüber nachdenkt: Der Vegetarismus stellt für so vieles eine sofortige Lösung dar: Umwelt, Hungersnot, Grausamkeit. Paul McCartney, britischer Popmusiker, *1942 24 Grünraumgestaltung Sommer 2015 / GräseRLandexpress Die Begeisterung für Gräser kennt keine Gräser, App Grenzen und Boxen! Aus dem Gräserland Der Bund Deutscher Staudengärtner kürt die Gattung Carex zur Staude des Jahres 2015. Das gewählte Motte «Die Segge – ein Gras für alle Fälle» ist ein grosses Versprechen, welches von zahlreichen eleganten und farbenprächtigen Arten eingehalten wird. Farbenprächtig? Genau, auch Gräser, ob süss oder in diesem Fall sauer, sind längst nicht nur grün und bereichern unsere Gärten auch ohne opulente Blütenpracht. Saftige Wiesen und Weiden durchziehen die Schweiz und sind die Basis unserer Milchwirtschaft. Doch hinter dem scheinbar einheitlichen Grün verbergen sich Dutzende verschiedene Grasarten und auch in anderen Lebensräumen spielen Gräser eine wichtige Rolle. Die an der ZHAW entwickelte iPhone App «iGräser» ist eine grosse Hilfe bei der Gräserbestimmung. Zur Identifikation einer Art geben Sie einfach den Standort (Lebensraum) und beliebige weitere auffällige Merkmale einer Graspflanze ein. Zahlreiche Fotos, ein ausführliches Glossar, Detailbeschriebe und Vergleiche mit ähnlichen Arten bieten zusätzliche Orientierung. Lernen Sie bei den roten Boxen Die Seggen sind eine grosse Pflanzengattung von weltweit ca. 2000 Arten, die vor allem in den kühleren und gemässigten Zonen der Erde vorkommen. Von den rund 90 in der Schweiz vorkommenden Arten, finden sich Vertreter von nassen bis trockenen und von schattigen bis sonnigen Standorten, die auch in verschiedensten Pflanzengesellschaften anzutreffen sind. Dementsprechend unterschiedlich sind ihre Ansprüche, aber auch ihre Verwendungsmöglichkeiten. Für den Garten empfehlen wir unser Top 10 Carex-Sortiment. Ausführliche Informationen zu den Arten finden Sie auf der Seite: www.staudedes-jahres.de. Das Bestimmen von Seggen gilt noch immer als Königsdisziplin unter den Feldbotanikern. Wer schon einmal nachgeschaut hat, ob die Zähne des Schnabels gespreizt sind oder ob die Deckspelze eine hellere Mittellinie hat, weiss, wovon die Rede ist und kauft Carex nur mit Etikette und bei einem vertrauensvollen Gärtner. Typische Gattungsmerkmale wie die dreizeilige Blattstellung und die eingeschlechtlichen Blüten, welche einhäusig am meist dreikantigen Stängel stehen, sind da schon klarer. Die Pflege beschränkt sich im Allgemeinen auf den Rückschnitt im zeitigen Frühjahr. Sommergrüne Arten schneidet man bodeneben ab, wintergrüne und immergrüne Arten werden geputzt, unschöne Blätter und alte Blütentriebe entfernt. Bei stark versamenden Arten lohnt sich das Schneiden der Blütentriebe im Sommer und Herbst. Ebenso kann es sinnvoll sein, allfällige Ausläufer zu entfernen und zu gross gewordene Horste und Polster zu teilen. Vorsicht geboten ist bei Arten mit scharfkantigen Blättern. Das Tragen von Handschuhen wird generell empfohlen. Zum Glück für den Gartenbesitzer sind keine Krankheiten und Schädlingen bekannt und auch Schnecken lassen die Seggen links liegen. Fürs Büchergestell Das OmnivorenDilemma von Michael Pollan (Goldmann Verlag 2013) Wie sich die Industrie der Lebensmittel bemächtigte und warum Essen so kompliziert wurde. Ausgehtipp Institut Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation: Moritz Vögeli, [email protected] im Gräserland 20 einheimische Grasarten aus fünf verschiedenen Lebensräumen (Wald, alpin, nährstoffreich, feucht, trocken) mit ihren typischen Grasbestimmungsmerkmalen kennen. Dies können Sie anhand der Beschilderung tun oder idealerweise gerade mit der App «iGräser». Die LITE-Version enthält alle 20 Arten der Gräserboxen und ist gratis im App-Store erhältlich. Übrigens: Seit Neustem funktioniert die geografische Verifikation in «iGräser» (Überprüft, ob das bestimmte Gras bereits in der Nähe des aktuellen Standorts gefunden wurde) auch in Deutschland und die deutschen Verbreitungskarten sind neu ebenfalls in der aktualisierten App integriert. Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Forschungsgruppe Vegetationsanalyse: Daniel Hepenstrick, [email protected] Die TOP 10 Carex-Arten Botanisch Deutsch Höhe Blüte Besonderes Carex buchananii FuchsroteSegge 40 cm VII frische, sonnige Standorte Carex comans 'Branco' Schopf-Segge 30 cm VII – IX frische, sonnige Standorte Carex hachijoensis 'Evergold' JapanGold-Segge 30 cm IV – V trockene, schattige Standorte Carex morrowii 'Variegata' Japan-Segge 40 cm VI – VII feuchte Gehölzränder Carex morrowii 'Ice Dance' TeppichJapan-Segge 50 cm IV – V frische, schattige Standorte Carex muskingumensis PalmwedelSegge 70 cm VI – VIII nasse, halbschattige Standorte Carex pendula Riesen-Segge 100 cm VI – VII feuchte, schattige Standorte Carex plantaginea BreitblattSegge 40 cm V – VI trockene, schattige Standorte Carex sylvatica Wald-Segge 50 cm V – VI frische bis feuchte, schattige Standorte Carex umbrosa SchattenSegge 20 cm IV – V frische, schattige Standorte Das etwas andere «NutztierErlebnis» … … erkunden Sie mit der Packgeis das urchig-wilde Val Medel! Die Ziegen tragen nicht nur das Gepäck, sondern sorgen mit ihrer verschmusten und neugierigen Art auch für Abwechslung und Unterhaltung beim Wandern durch die wunderschöne Berglandschaft. Ein ganz besonderes Erlebnis für Kinder von 6 bis 80 Jahre. www.geissherz.ch Kinderseite Sommer 2015 / GräseRLandexpress 25 Pflanzenzüchtung Auf den Äckern der Bauern wachsen andere Pflanzen als in der freien Natur. Wie du bestimmt weisst, wurden die Pflanzen auf den Feldern von Menschen gezüchtet. Wie funktioniert die Pflanzenzüchtung? Wie können neue Pflanzen entstehen? Auslesezüchtung Kombinationszüchtung In der Jungsteinzeit begannen die ersten Menschen Gräser anzupflanzen. Aus den Samenkörnern der Gräser konnte man Brei, Suppen und Brot machen. Ein paar der gesammelten Körner assen sie nicht, sondern steckten sie in die Erde. Daraus wuchsen neue Pflanzen. Mit der Auslesezüchtung schafften es die Ackerbauern aber nicht immer, Pflanzen so zu züchten, wie sie wollten. Manchmal mussten sie die Eigenschaften zweier verschiedener Pflanzen miteinander kombinieren. Einige wurden grösser, andere kleiner, einige hatten mehr Samenkörner und andere weniger. Bald fiel den ersten Bauern auf, dass es Pflanzen gab, die bessere Eigenschaften aufwiesen als andere. Am besten gefielen ihnen Pflanzen, welche viele und grosse Samenkörner lieferten. Eine gute Pflanze musste stark sein und durfte nicht schnell absterben. Die eine dieser Pflanzen ist stark und wird nicht schnell krank, dafür hat sie nur kleine Samenkörner. Die andere liefert grosse Körner, erkrankt aber sehr schnell. Die Bauern wollten eine Pflanze, die viel Nahrung liefert und stark ist. Um dies zu erreichen, wurden die beiden Pflanzen miteinander gekreuzt. Im nächsten Jahr steckten die Bauern nur die Samen der «guten» Pflanzen in den Boden. Alle anderen Pflanzen wurden ausgeschlossen. Bei der Kreuzung der Pflanzen vermischen sich die Eigenschaften. Hatten die Bauern Glück, entstand die Kombination, die sie sich wünschten: Eine Pflanze, die viel Nahrung liefert und nicht schnell krank wird. Oft müssen Pflanzen mehrmals gekreuzt werden, bis die gewünschte Kombination auftritt. Diese Art der Zucht nennt man Kombinationszüchtung. Bis heute sind Menschen damit beschäftigt, Pflanzen weiter zu züchten, um «bessere» Pflanzen zu erschaffen. Illustrationen: Philipp Stauffer Deshalb wuchsen im nächsten Jahr insgesamt stärkere Pflanzen, die mehr Samenkörner lieferten. Über viele Jahre hinweg entstanden so die ersten kultivierten Nutzpflanzen. Diese Art der Zucht nennt man Auslesezüchtung. Gras einma l ganz ande ... rs erleben Wer hat Lu im duftenden Bauer oder st Stroh v Bä u in mehr als 15 erin zu träumen? Mögom Leben als lich ist das 0 v erschied nen Bauernhöfen in der Schweeiz : www.agrotou ri sm us.ch/s hlafe penunterkue n-im-stroh-gru nfte-und-wecit pere/ 26 In eigener Sache Sommer 2015 / GräseRLandexpress Öffentliche Führungen im Gräserland Möchten Sie das Gräserland unter kundiger Führung unserer Expertinnen und Experten entdecken? Wir führen regelmässig öffentliche Führungen und Vorträge durch. Für Gruppen machen wir auf Anfrage Spezialführungen: Auf Wunsch im ganzen Gräserland inklusive dem neuen Pavillon zum nachhaltigen Fleischkonsum oder mit Fokus auf ein einzelnes Themengebiet. Zudem bieten wir interaktive Führungen für Schulklassen der Mittelstufe, Sekundarstufe und Gymnasium an. Melden Sie sich bei uns unter [email protected] oder über die Website www.zhaw.ch/iunr/graeserland Wir freuen uns über Ihr Interesse! Impressum Herausgeber Forschungsbereich Nachhaltigkeitskommunikation, Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) der ZHAW in Wädenswil Projektleitung: Regula Treichler; [email protected] Texte Petra Bättig (bape), Regula Treichler (trrr), Monika Hutter (humo), Jürg Grunder (grng), Matthias Stucki (stck), Sarah Kreuzer (krez), Diana Haller (hllr), Isabel Jaisli (jais), Urs-Christian Handschin (hanc), Dominik Refhardt (refa), Andreas Schönborn (sand), Esther Volken (voln), Friederike Kasten (kasf), Stefan Ineichen (inei), Eva Bartosová (bart), Thomas Kimmich (kimm), Doris Tausendpfund (tund), Felix Rusterholz (rush), Daniel Hepenstrick (hepe), Moritz Vögeli (voem), Maurus Jenny (xjey) Daniel Ambühl, Christine Brombach (ILGI), Dominique Senn (foodwaste.ch), Stefanie Rost (Getreidezüchtung Kunz), Peer Schilperoord GESTALTUNG Erich Stutz Druck CO2-kompensiert auf 100 %-Recyclingpapier, Theiler Druck AG Auflage 4000 In eigener Sache Forschungsbereich Nachhaltigkeitskommunikation 27 Eröffnung des Gräserland Pavillons Fleisch, aber Freitag, 5. Juni 2015 um 15 Uhr Gräserland in den Gärten im Grüental der ZHAW in Wädenswil Essen Sie gern Fleisch oder greifen Sie eher zum Vegischnitzel? Der neue Pavillon bietet Besucherinnen und Besuchern Gelegenheit, sich differenziert mit dem Konsum von Fleisch auseinanderzusetzen. Themen wie Tierhaltung, Fleischproduktion und die Folgen für das Klima, die Kuh als Grasverwerterin, die Preisentwicklung von Fleisch oder der Einsatz von Kraftfutter werden aufgezeigt. Anhand einer dialogischen Inszenierung erfahren Sie, welche Auswirkungen der steigende Fleischkonsum hat und welche vielfältigen Alternativen sich dazu anbieten. Wir laden Sie herzlich zum Eröffnungsanlass mit anschliessendem Apéro ein. Der Gräserland-Express, das Gräserland und die Gärten im Grüental werden vom Forschungsbereich Nachhaltigkeitskommunikation entwickelt, realisiert, kommuniziert und gepflegt. Wir bedanken uns für Ihre Unterstützung und Ihren Besuch in den Gärten im Grüental. Gerne unterstützen wir auch Sie: Wir prüfen, ob Ihre Botschaften auch ankommen! Mit Ihrem Bildungsangebot, Ihrer Ausstellung oder Kampagne wollen Sie Menschen dazu bringen, umweltfreundlicher zu handeln. Vielleicht möchten Sie die Biodiversität fördern, Jugendliche dazu bewegen, weniger Fleisch zu essen oder Firmen zu einem nachhaltigeren Mobilitätsverhalten aufrufen. Doch kommen Ihre Botschaften an? Und findet wirklich eine Veränderung statt? Der Forschungsbereich Nachhaltigkeitskommunikation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil führt unabhängige Wirksamkeitsanalysen durch oder unterstützt Projektverantwortliche dabei, aussagekräftige Evaluationen methodisch korrekt durchzuführen. Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln Bus 123 oder 126 ab Bahnhof Wädenswil bis Haltestelle «Campus Grüental» Informationen ZHAW Life Sciences und Facility Management Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) Campus Grüental CH-8820 Wädenswil Telefon +41 58 934 55 85 E-Mail: [email protected] Die Ausstellung «Fleisch, aber» wird von der Stiftung Mercator Schweiz unterstützt. Forschungsbereich Nachhaltigkeitskommunikation ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) Campus Grüental CH-8820 Wädenswil www.zhaw.ch/iunr/nachhaltigkeitskommunikation Bachelor-Studium Umweltingenieurwesen Mit der globalen Herausforderung zur nachhaltigen Entwicklung entstehen neue und spannende Berufsfelder, auf die das Studium Umweltingenieurwesen vorbereitet. Im Zentrum stehen dabei der schonende Umgang und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, der Respekt sowie die ganzheitliche Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt. Das Studium kombiniert naturwissenschaftliche Fächer mit ingenieur-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Nebst grundsätzlichem Interesse für Pflanzen, Natur und Umwelt sind Kommunikationsfähigkeiten, Technikverständnis, wissenschaftliches Arbeiten, Kreativität und vernetztes Denken gefragt. Das Studium bietet fünf Vertiefungsrichtungen: Biologische Landwirtschaft und Hortikultur, Landschaft – Bildung – Tourismus, Nachwachsende Rohstoffe und Erneuerbare Energien, Naturmanagement, Urbane Ökosysteme www.zhaw.ch/iunr/bachelor für Angewandte Wissenschaften Life Sciences und Facility Management Grüental, Postfach CH-8820 Wädenswil SO B- Tel. +41 58 934 50 00 Fax +41 58 934 50 01 www.lsfm.zhaw.ch [email protected] Lin ie els RC – RV ss tra Etz s ler ied ns Ei DAS Gräserland der ZHAW in Wädenswil GRÄSERLAND CAMPUS GRÜENTAL Campus Reidbach tra e sse Campus Grüental RE GA – GX ag ro s co pe Fabrikbeiz RU (G S) GD RK RH RV RS RT Haupteingang Empfang GA GP ras LEGENDE GB Ernährung Energie und Rohstoffe Kulturgeschichte n Weizen Bambus Zuckerrohr ReidbachWeiher Papyrus ert vollabgemag Mais Gräser und grasartige Bepflanzung Reis Flächenvergleiche 1 kg Nahrungsmittel Gerste Schweinefl Rindfleisc eisch Gebrauchsrasen h und Poulet Brot GG Getreidevielfalt 27 m² m² m² Mais 2 m² Milch 1 m² 1960 2025 9 4 zur Verfügung stehende Kulturfläche pro Person Kreuzungszüchtung Pavillon «Fleisch, aber» 1990 Foodwaste Ursprung Mais Schotterrasen Hochsitz Staudenhec ke Einjährige Gräser und Sommerflor Blumenrasen Gräser App Sportrasen Ethanol Gras PV Freifläche Ethanol Gras Biogas Mais Umwelt Benzin Silagemais Ethanol Entwicklung Gerste pro belastun km g Sortimentsvielfalt Ziergräser Raps Mais Silagemais Ethanol Elektro weltweit konsumierte Kalorien pro rleistung ha Biodiesel Biogas Milpa oder Drei-Schwestern-Wirtschaft Kilomete Vegi vs. Fleisch Ernährung Experimentelle Drifts pen Wiesenty Blumenrase Grünraumgestaltung ene se gert alst LEGENDE Sammelplatz GRÄSERLAND CAMPUS GRÜENTAL halbabgema ent Haupteingang Empfang F Verschied Grü RC g we s us Energie und Rohstoffe Pseudogetreide GF GX GC GE Kulturgeschichte GH GT GT 100 m Grünraumgestaltung Stand Juni 2014 Änderungen vorbehalten Einstellhalle Ost RA Gebäude ZHAW, Seestrasse 55 RU RV Untere Shedhalle, Einsiedlerstrasse 29 Hörsaal, Einsiedlerstrasse 34a Blu m en ras en Gewerbehalle, Einsiedlerstrasse 31a Büros, Einsiedlerstrasse 28 Fabrikgebäude, Einsiedlerstrasse 34 Alte Kantine, Einsiedlerstrasse 32 Obere Shedhalle, Einsiedlerstrasse 29 Hauptgebäude Empfang Experimentelle Reidbach, Einsiedlerstr. 31 Drifts31 Mensa Vista ( 5. Stock ), Einsiedlerstrasse Weizen W ies GH RC RE RH RK RS RT en Pavillon yp GP Empfang Grüental derGS Schloss (agroscope) Der Campus Grüental ZHAW ist mit öffentlichen GB Technologie GT Hochtunnel Verkehrsmitteln sehr gut erschlossen. Die Fahrt mit GC Hortikultur GX Pavillon (Strickhof) dem Ortsbus dauert ca. 5 bis 10 Minuten und ist GD Mensa Grüental aufGE die Zugs­ verbindungenP abgestimmt: ab Bahnhof Bibliothek Zentrale Parkuhr Wädenswil Ortsbus Nr. 123 oder 126 bis Haltestelle GF Kinderkrippe, Büros GG Einstellhalle West Campus Grüental. en t Anreise GA Hauptgebäude ied ha lba en bg e em ag ert Bambus Ve r sc h Zuckerrohr Papyrus ert Mais Gräser und grasartige Bepflanzung Flächenvergleiche 1 kg Nahrungsmittel Gerste bg em ag Reis Sc hw lla ein Ri nd vo efl Gebrauchsrasen ch un d Po ul Br ot zur Verfügung stehende Kulturfläche pro Person Kreuzungszüchtung Pavillon «Fleisch, aber» Getreidevielfalt et 4 m 9 isc h 27 m ² m ² ² Mais 2 m² Milch 1 m² 1960 2025 fle eis 1990 Foodwaste Ursprung Mais Schotterrasen Hochsitz St au de nh ec ke Einjährige Gräser und Sommerflor Blumenrasen Gräser App sS Eth o PV Eth Fre iflä an Bio sS il Entwicklung Gerste ol as s is ch e Gr as nz ag an ol Be ga Eth ma Gr ap is Ki Sortimentsvielfalt Ziergräser ol ge lR Ma Um we pr ltbe o l km astu ng weltweit konsumierte Kalorien ktr ol ila an Ele se an ga Milpa oder Drei-Schwestern-Wirtschaft die Eth Bio g Sportrasen Bio lom e pr terle o ha istu n Vegi vs. Fleisch em in Ma ais is N Pseudogetreide 1 m Aktuelle Informationen und Veranstaltungen sowie die vollständigen Pflanzenlisten finden Sie unter: www.zhaw.ch/iunr/graeserland 5 m