Als die Weltmacht in die Finanzkrise rutschte von Maximilian Pisacane Wie sich die Bilder gleichen: Vor zwei Jahrtausenden wurde Rom, das Zentrum der antiken Welt, von einer schweren Finanzkrise erschüttert, die an den Immobilienmärkten ihren Ausgang nahm. Die antike Supermacht reagierte mit einer drastischen Rettungsmaßnahme. Roms Elite fiel wie Heuschrecken über die neue Provinz her. Foto: apLupe Roms Elite fiel wie Heuschrecken über die neue Provinz her. Foto: ap DÜSSELDORF. Die New Yorker Börse sieht nicht ohne Grund aus wie ein antiker Tempel. Die Geldgeschäfte der Römer standen unter dem Schutz der Göttin Juno Moneta, ihr Tempel auf dem Forum Romanum war so etwas Ähnliches wie eine Börse. Und was dort in den Jahren vor 66 v. Chr. passierte, erinnert an die Gegenwart: eine von den Immobilienmärkten ausgehende Finanzkrise. Auch damals bangten Anleger um ihr Vermögen. Auch damals waren nicht nur die unmittelbaren Immobilienbesitzer und die beteiligten Finanziers betroffen. Auch damals ließ sich das Problem nicht regional begrenzen. Ein prominenter Zeuge berichtet: "Als sehr viele Leute große Vermögen in Asien verloren hatten, brach das Kreditgeschäft in Rom wegen der geminderten Zahlungsfähigkeit zusammen. Es ist nämlich unmöglich, dass viele Menschen Hab und Gut einbüßen, ohne dass sie noch andere mit sich ins gleiche Unglück reißen. Bewahrt den Staat vor dieser Gefahr! Es sind nämlich - glaubt mir dieses, weil ihr es selbst seht - dieses Kreditwesen und dieser Finanzmarkt, welcher in Rom auf dem Forum seinen Mittelpunkt hat, mit dem Geldwesen in Asien eng verflochten. Jene Dinge dort in Asien können nicht zusammenbrechen, ohne dass die hiesige Finanzwirtschaft von derselben Erschütterung erfasst wird und ebenfalls zusammenbricht." So klagte 66 v. Chr. der Anwalt und Senator Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) in einer Rede vor dem Senat. Die Maßnahme, die er dagegen zu ergreifen forderte, war weit drastischer als heutige Rettungspakete: Krieg – ein Mittel, das die Römer besser beherrschten als alle anderen. Begonnen hatte alles - für römische Verhältnisse - ungewöhnlich friedlich: Nach dem Tode des Königs Attalos III. fiel sein Reich Pergamon im Westen der heutigen Türkei 133 v. Chr. an Rom. Es war ein reiches Land. Reich an Agrar-Erträgen und Bodenschätzen, vor allem Edelmetallen. Die Lyder hatten dort im 7. Jahrhundert v. Chr. die ersten Münzen geprägt. Die Römer nannten ihre neue Provinz "Asia". Viele Patrizier, darunter nicht wenige Senatoren, und Bankiers aus dem Ritterstand, fielen wie Heuschrecken über die neue Provinz her. Sie kauften Land und bauten Villen und Latifundien (Landgüter). "Seit dem 3. Jahrhundert war die römische Nobilität nicht mehr im Handel aktiv; das führte dazu, dass sie mehr auf Landeigentum setzte", sagt Burkhard Meißner, Professor für Alte Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Meist hatten sie Hypotheken für den Erwerb aufgenommen: "Sich zu verschulden gehörte im antiken Rom fast zum guten Ton, um ein politisches Amt zu erreichen", weiß Meißner. Besonders unbeliebt bei den alteingesessenen Griechen in Asia waren die Steuerpächter (publicani). Mit heutigen Finanzbeamten sind sie nicht vergleichbar. Sie waren private Steuerunternehmer. Risiko und organisatorischer Aufwand lagen ganz bei ihnen. Das Recht auf Steuererhebung in einem Gebiet ersteigerten sie sich beim Staat - meist auf Kredit. Entsprechend pressten sie oft Land und Leute aus, um die Kredite bedienen zu können, mit denen sie ihr Amt gekauft hatten. Die Bankiers und Steuerpächter schlossen sich zu Gesellschaften zusammen, "societas publicanorum", laut Meißner "vergleichbar einer heutigen Genossenschaft oder einem Banken-Konsortium". Diese dienten der Risikostreuung. Es gab sogar Anteilsscheine, weiß Meißner, "die beliehen oder weiterverkauft wurden". Die Strukturen seien durchaus mit heutigen vergleichbar. Jedoch waren die Geschäfte nicht öffentlich. "Hier zeigt sich das römische Patronagesystem - die Bankiers handelten, soweit wir wissen, nur untereinander." In jener prosperierenden Zeit schoss der Wert der Steuerpächteranteile, die im Foyer des Juno-Tempels auf dem Forum Romanum gehandelt wurden, vermutlich in die Höhe. Damit war es vorbei, als die einheimischen Griechen in der Provinz Asia im Jahre 88 v. Chr. gegen die römische Herrschaft revoltierten und in der "Vesper von Ephesos" rund 80 000 Römer - viele davon Steuerpächter ermordeten. Mithridates, der König des Nachbarreichs Pontus im Kaukasus, hatte sie dazu angestachelt. Dieses Massaker führte zu den ersten zwei Mithridatischen Kriegen (89-84 und 83-81 v. Chr.). Die römische Herrschaft in Kleinasien konnte erst nach jahrelangen Kämpfen wiederhergestellt werden. "Die Region Asia war eine der wichtigsten Steuerprovinzen für Rom", sagt Friedrich Burrer, der frühere Leiter des Forschungsprojekts "Antike Kriegskosten" an der Uni Mannheim: "Die Unabhängigkeitbestrebungen der kleinasiatischen Griechen brachten demnach erhebliche Steuereinbußen." Doch die Folgen bekamen auch die privaten Investoren zu spüren. Infolge der Kriegswirren litt der Handel mit Kleinasien, der Wert der dortigen hypothekenbelasteten - Immobilien und der im Juno-Tempel gehandelten Steuerpächteranteile muss dramatisch geschmolzen sein. "Die Römer finanzierten - ähnlich wie die USA ihren Irak-Krieg - ihre Feldzüge auf Pump, indem sie sich unter anderem bei den Bankiers aus dem Ritterstand Geld liehen; das verschärfte das Hypothekenproblem noch", erklärt Burrer. Und da die römischen Steuereinnahmen unmittelbar vom Wohlergehen der privaten Steuerpächter abhängig waren, ist es verständlich, dass Cicero deren Schutz und Unterstützung fordert: "Was die Güter der vielen römischen Bürger betrifft; auf diese müsst ihr eurer Weisheit entsprechend sorgfältig Rücksicht nehmen. Denn die Steuerpächter, äußerst ehrenhafte und ruhmreiche Männer, brachten ihre Investitionen und ihr Vermögen in jene Provinz, und deren Kapitalanlagen müssen euch um eurer selbst Willen am Herzen liegen." Auch vor 2 075 Jahren wurde die finanzielle Rettung Einzelner damit begründet, dass "das Unheil vieler Bürger nicht von dem des Staates getrennt werden kann". Schließlich bekam Cicero, was er in dieser berühmten Rede "De imperio Cn. Pompei" ("Über den Oberbefehl des Gnaeus Pompeius") forderte: einen Krieg als Rettungsmaßnahme für die Investoren. Pompeius, der spätere Mitkonsul und Rivale Caesars, erhielt das Kommando über das Heer und vernichtete im Dritten Mithridatischen Krieg das Reich des Königs, der die römische Finanzkrise ausgelöst hatte. "Anders als heutzutage war in der Antike nicht eine Marktüberhitzung der Grund für die Krisen, die Finanzmärkte brachen wegen der fehlenden politischen Stabilität zusammen", sagt Meißner. Der Krieg, nicht der Markt, war noch der Vater aller Dinge.