Die Shakuhachi Geschichte und Entwicklung von Kamisangô Yûkô 1. Die verschiedenen Arten der Shakuhachi in Japan Die Shakuhachi und die ihr eigene Musik haben sich über fünf verschiedene Epochen japanischer Kultur hinweg entwickelt. Gagaku Shakuhachi: Der erste Typ der Shakuhachi, der nach Japan überliefert wurde, hat sechs Grifflöcher und ist ein schlanker, feinerer Vorläufer der späteren fünflöchrigen Shakuhachi. Das Instrument wurde im frühen Gagaku-Hoforchester gespielt. Mehrere dieser Shakuhachi, die sich in exzellentem Zustand befinden, werden im Shôsô-In, den kaiserlichen Sammlungen in Nara, aufbewahrt. Tempuku: Obwohl sie nicht Shakuhachi genannt wird, da sie ein vollständig anders geformtes Mundstück hat, ist die Tempuku, was die Form sowie der Anordnung der fünf Grifflöcher betrifft, der Shakuhachi zu ähnlich, um nicht als solche bezeichnet zu werden. Aus dünnem, leichten Bambus gefertigt erlebte die Tempuku ihre Blütezeit in Satsuma (heute Präfektur Kagoshima) während des Mittelalters (12.-15. Jahrhundert). Heute gibt es nur noch wenige Spieler, die diese Tradition aufrecht erhalten. Hitoyogiri Shakuhachi: Sie wird gelegentlich auch Hitoyogiri genannt. Der Name stammt offenbar von der Tatsache, daß dieses Instrument aus einem Stück Bambus zwischen zwei Nodien gebaut wurde (jap. Hito: eins, Yo: Nodium, Giri: Schnitt). Die fünflöchern wurde Hitoyogiri wurde während der Muromachi-Zeit (1392-1568) in verschiedenen Längen und Stimmungen gebaut, doch vom Ende des 16. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts war die Stimmung in Ôshiki (etwa der Ton A4) am verbreitetesten. Gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts starb die Hitoyogiri aus. Ein Versuch im frühen 19. Jahrhundert, sie wieder aufleben zu lassen, misslang. Fuke-Shakuhachi: Der unmittelbare Vorgänger der heutigen Shakuhachi war über weite Strecken der Edo-Zeit die ausschließliche Domäne der komusô-Mönche von der Fuke-Sekte des Zen-Buddhismus. Dieses Instrument wird deshalb auch oft als komusô-Shakuhachi bezeichnet. Seine Bauart bezieht auch das schwere untere Ende mit den Wurzelnodien in den Korpus des Instrumentes mit ein. Wie die Tempuku und die Hitoyogiri hat auch die Fuke-Shakuhachi fünf Grifflöcher. Tempuku, Hitoyogiri und Fuke-Shakuhachi gelten als Variationen desselben Prototyps. Experimentelle Shakuhachi des 20. Jahrhunderts: Zu dieser Form der Shakuhachi, die als Ergebnis von Experimenten in der frühen Shôwa-Ära (1925-1988) gebaut wurden, gehören auch Shakuhachi mit sieben oder neun Grifflöchern sowie die Ôkuraulo, eine Shakuhachi, die Elemente der westlichen Flöte aufweist. Die zusätzlichen Löcher und das Klappensystem wurden hinzugefügt, um das Spielen der chromatischen Skalen und Halbtönen zu erleichtern. 2. Die alte Shakuhachi Der Ursprung der Shakuhachi in der T’ang-Dynastie Die Shakuhachi stammt aus dem China zu Beginn der T’ang-Dynastie (frühes 7. Jahrhundert). Einer der ersten Hinweise ist ein Abschnitt aus dem „Lü Cai Chuan“ (Chronik von Lü Cai) in den „T’ang Shu“ (Dokumente der T’ang): „Lü Cai (jap. Rosai) baute zwölf Shakuhachi, die unterschiedlich lang und in den zwölf Halbtönen gestimmt waren“. Er erneuerte so die Musik in China zwischen 627 und 649. Vorher wurden die vertikal geblasenen Flöten in zwei Arten unterschieden, der „kurzen“ und der „langen“ Flöte. Die „lange“ Flöte war vorherrschend und wurde in zwölf verschiedenen Längen gebaut – eine für jeden Ton des chinesischen Tonsystems. „Kurze“ Flöten gab es im Gegensatz dazu nur in einer begrenzten Anzahl von Längen. Lü Cai verbesserte die „kurze“ Flöte, indem er sie in allen zwölf Stimmungen baute. Die Flöte für den Ton Huangzhong (jap. Kôsho) hatte die Länge von einem Shaku und acht Sun (Shaku war das offizielle Längenmaß im alten China und später in Japan, und wird in zehn Sun unterteilt), oder ein Shaku und hachi (acht) Sun, weshalb sie „Shakuhachi“ genannt wurde. Die Pfeifen, die im alten China benutzt wurden, um die Tonhöhen festzulegen, wurden Lü genannt und waren am unteren Ende wie bei der Panflöte geschlossen. Die Pfeife für den Ton Huangzhong hatte die Länge von neun Sun. Da vertikal geblasene Flöten wie die Shakuhachi an beiden Enden offen sind, müssen sie doppelt so lang wie die Stimmpfeifen (Lü) sein – ein Shaku und acht Sun (18 Sun) – um die gleiche Tonhöhe zu erzeugen. Obwohl das Shaku eine offizielle Maßeinheit in China war, änderte es sich deren Länge mit jeder Dynastie. Deshalb ist das Shaku der T’ang-Dynastie, bekannt als Ritsu-Shaku, nicht von der gleichen Größe wie das in Japan seit der Edo-Zeit, das Kane-Jaku genannt wird. Die längste der im Shôso-In aufbewahrten Shakuhachi ist 43,7 cm lang, fast genau die Länge des Shaku zur Zeit der T’ang-Dynastie. Die Gagaku-Shakuhachi Musik, Kunst, Religion und die Sprache der hochentwickelten T’ang-Dynastie übten auf Japan einen starken Einfluß aus. Das Gagaku gelangte gegen Ende des 7. Jahrhunderts nach Japan. Die T’ang-Shakuhachi war eines der Instrumente des Gagaku-Ensembles, zusammen mit der Querflöte Ryûteki, dem Doppelrohrblattinstrument Hichiriki, der Mundorgel shô, der biwa, dem koto und den verschiedenen Perkussionsinstrumenten. Die Shakuhachi wurde in China von anderen Flöten verdrängt und starb nach und nach aus. Während der Sung-Dynastie (10. bis 13. Jahrhundert) gibt es mehrere vertikal geblasene Flöten, die keine Verwandtschaft mit der Shakuhachi aufwiesen. Die Dong Xiao, die heute noch gespielt wird, stammt aus der Yüan-Dynastie (13. bis 14. Jahrhundert). Die Shakuhachi gibt es somit seit dem 10. Jahrhundert nur noch in Japan. In japanischen Chroniken und Dokumenten aus dem 8. Jahrhundert finden sich mehrere Hinweise auf die Gagaku-Shakuhachi. Das „Saidai-ji Shiryô Zai“ (Katalog der Schätze des Tempels Saidai-ji), 780 zusammengestellt, zählt acht Shakuhachi auf – eine davon aus Bambus – die zu einem Satz von Instrumenten aus dem China der T’ang gehören. Eine Anweisung des Staatsrates der Heian („Gagakuryô Gakushi no Jô“) aus dem Jahr 804 enthält den Hinweis, daß unter den zwölf offiziellen Musikern des Tôgaku (Gagaku)-Ensembles ein Shakuhachilehrer sein muß. Eine andere Anweisung aus dem Jahr 848 enthält die Klausel, daß die Anzahl der Shakuhachispieler von drei auf zwei zu verringern sei. Die Hinweise zeigen an, daß die Shakuhachi mindestens bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts im Gagaku-Ensemble gespielt wurde. Das Shôsô-In, ein Gebäude zur Aufbewahrung der Schätze des einflußreichen Tempels Tôdai-ji in Nara, wurde um 756 errichtet. Unter den vielen kostbaren Kunstwerken, die im Shôsô-In aufbewahrt werden, befinden sich auch acht Shakuhachi. Fünf dieser Instrumente werden in einem Dokument, dem „Tôdai-ji Kenmotsu Chô“ (Inventar der Spenden: Tôdai-ji – eine Liste von Gegenständen, die die Kaiserin Komyô nach dem Tode ihres Ehemannes, Kaiser Shômu, dem Tôdai-ji geschenkt hat) erwähnt. Vier von diesen fünf Shakuhachi erhielt der kaiserliche Hof von König Ui-Cha-Wang von der Paekche-Dynastie (koreanische Halbinsel, Mitte des 7. Jahrhunderts) als Geschenk. Die Shakuhachi des Shôsô-In, die sich in exzellentem Zustand befinden, sind spielbar und wurden damals möglicherweise im Gagaku-Ensemble verwendet. Angesichts der Tatsache, daß die Shakuhachi in China ausstarb, sind diese Instrumente besonders wertvoll. Von diesen acht Flöten sind nicht alle aus Bambus. Einige sind aus Jade, Stein oder Elfenbein – obwohl sie in der Form des Bambus geschnitzt sind, was nahelegt, daß sie nach Vorbildern aus Bambus gestaltet wurden. Diese Instrumente haben vier verschiedene Längen und sind im Abstand von jeweils einem Halbton gestimmt. Jedes hat sechs Grifflöcher, die ähnlich angebracht sind. Neben den acht Shakuhachi aus dem Shôsô-In gibt es eine aus der gleichen Zeit, die dem Hôryû-ji Tempel gehört (das Instrument befindet sich als Dauerleihgabe im Nationalmuseum Tokyo). Der Legende zufolge befand sich dieses Instrument im Besitz des Prinzen Shôtoku (Shôtoku Taishi, 574-622, wird in Japan sehr verehrt, da er sich für den Buddhismus als Staatsreligion einsetzte) und wurde auch von ihm gespielt, wofür es allerdings keinen Beweis gibt. Obwohl Shakuhachi aus dem 7. und 8. Jahrhundert bis heute erhalten sind, weiß man nur sehr wenig über die Musik, die auf diesen Instrumenten gespielt wurde. Es sind weder Manuskripte noch Noten erhalten, aus welchen sich Rückschlüsse auf die Spieltechnik ziehen ließen. Während der Regierungszeit des Kaisers Nimmyô (Mitte des 9. Jahrhunderts) wurde die Musik des kaiserlichen Hofes einer umfassenden Erneuerung unterzogen. Die importierte Musik aus China und jene der koreanischen Halbinsel wurden der einheimischen eingegliedert und eingerichtet, um mit der japanischen Ästhetik und den Vorlieben des kaiserlichen Hofes übereinzustimmen. Deshalb kamen verschiedene Instrumente des Gagaku aus China (wie etwa die u, eine große Version der Mundorgel shô, und die Ôchiriki, eine Hichiriki im Bassregister) außer Gebrauch. Man nimmt an, daß die Gagaku-Shakuhachi ebenfalls dieses Schicksal ereilt hat und um diese Zeit verschwunden ist. Obwohl sie vom 9. Jahrhundert bis zum Ende der Heian-Zeit (12. Jahrhundert) nicht im Gagaku gespielt wurde, verweist eine Reihe von Dokumenten auf das Instrument. Das „Kojidan“ (Erörterung der Alten Dinge, 1215) und das „Taigen Shô“ (Abhandlung über das Gagaku, 1215) stellen fest, daß der Mönch Ennin (794-864, der 838-847 im China der T’ang den Buddhismus studierte und das Shômyô der Tendai nach Japan brachte) die Shakuhachi beim Rezitieren des Sutra „Amida Kyô“ spielte, da der Gesang nicht laut genug war. Es ist schwer zu sagen, ob die Begleitung der Sutrenrezitation mit der Shakuhachi zu dieser Zeit weiter verbreitet oder nur ein Einzelfall war. Wenn man diesen Abschnitt für wahr nimmt, dann bedeutet das, dass die Shakuhachi von einer hochangesehenen Person in sehr früher Zeit bei buddhistischen Zeremonien verwendet wurde. Das „Ryûmei Shô“ (eine umfangreiche Abhandlung über die Flöte Ryûteki des Gagaku und deren Musik, 1133) erwähnt, daß der berühmte Gagaku-Musiker Prinz Sadayasu (Sohn des Kaisers Seiwa, der von 858-876 regierte) das Gagaku-Stück „Oshôkun“ mit Hilfe einer Shakuhachi-Stimme rekonstruierte. Ein anderer bedeutender Hinweis auf die Shakuhachi aus dieser Zeit findet sich im „Genji Monogatari“. Während die oben erwähnten Texte Tatsachen berichten oder Aufzeichnungen aus Katalogen wiedergeben, ist das „Genji Monogatari“ (entstanden etwa zu Beginn des 11. Jahrhunderts) Literatur und vermittelt deshalb einen eher subjektiven Blick auf die Shakuhachi und andere Instrumente des Gagaku aus dieser Zeit. In Kapitel 6, „Die Suetsumu-Blüte“ wird die „Shakuhachi-Flöte“ erwähnt. Die Instrumente des Gagaku, Ryûteki, Hichiriki, biwa, koto und die verschiedenen Perkussionsinstrumente sind wichtige musikalische Metaphern, die das ganze „Genji Monogatari“ durchziehen. Aufgrund der Tatsache, daß die Shakuhachi in die Reihe der Instrumente mit einbezogen ist, wäre es möglich, daß sie um die Mitte des 10. Jahrhunderts am kaiserlichen Hof noch gespielt wurde. Gegen Ende der Heian-Zeit hielt der Kaiser Go-Shirakawa ein Bankett zur Feier des Neujahrsfestes (1158) ab. Das „Imakagami“ (historische Geschichten, 1170) hält fest, daß der Kaiser anlässlich dieses Bankettes den Befehl erließ, die Shakuhachi, die schon lange außer Gebrauch gekommen war, wieder aufleben zu lassen. Das „Taigen Shô“ und das „Zoku Kyôku Shô“ erwähnen dieses Ereignis ebenfalls. Auch das „Shinzei Kogakuzu“, ein Rollbild, das angeblich von Fujiwara Michinori (?-1159) gemalt wurde, schildert Szenen mit Musikern, unter denen sich auch ein ShakuhachiSpieler im Gagaku-Kostüm befindet. Dies belegt, daß die Gagaku-Shakuhachi bis ins 12. Jahrhundert gespielt wurde, doch handelt es sich dabei um die letzten deutlichen Hinweise. 3. Die Shakuhachi im Mittelalter Der Ursprung der Shakuhachi nach dem „Taigen Shô“ Im Gegensatz zur Shakuhachi des Gagaku hatte die Shakuhachi des Mittelalters fünf Grifflöcher. Wie schon erwähnt stammen die Tempuku, die Hitoyogiri und die FukeShakuhachi von der Shakuhachi mit fünf Grifflöchern ab, die im Mittelalter erschienen war. Später entwickelte sich jedes dieser Instrumente aufgrund unterschiedlicher Einflüsse und Umstände in eine andere Richtung. Wirft man einen Blick auf die Schriften der Kamakura-Zeit (1185-1333), entdeckt man im „Kyôkun Shô“ (einer allgemeinen, umfassenden Abhandlung über das Gagaku, 1233) einen Hinweis der besagt, daß die Shakuhachi von blinden Mönchen und Schauspielern des Sarugaku (volkstümliche Theaterstücke, aus welchen später das Nôh-Theater entstand) gespielt wurde. Das „Yoshino Shûi“ aus dem Jahre 1358 („Nachlese von Yoshino“ – eine Zusammenstellung von Ereignissen am kaiserlichen Hof, der kurz davor vom Kaiser Go-Daigo in den Bergen von Yoshino errichtet wurde) erwähnt, daß der Sohn des Kaisers Go-Daigo, der kaiserliche Prinz Kanenaga, ein anerkannter Shakuhachi-Spieler war, und im Tagebuch des Aristokraten Yamashina no Noritoki („Yamashina no Noritoki Kyô Nikki“) findet sich ein Eintrag, datiert auf den 24. März 1408, in dem es heißt, daß dieser den Kaiser Go-Komatsu in Begleitung von Sôga (eine Art Gesang/Tanz, der von der Trommel begleitet wird und im Mittelalter am kaiserlichen Hof sehr beliebt war) die Shakuhachi spielen hörte. Yamashina no Noritoki beschreibt in seinem Tagebuch Ereignisse und Personen seiner Umgebung, weshalb seine Darstellungen als aufrichtige Schilderungen des aristokratischen Lebens im 15. Jahrhundert gelten können. Keine seiner Aufzeichnungen jedoch besagt, um welche Art von Shakuhachi es sich dabei handelt. Ein Kapitel im „Taigen Shô“ gibt jedoch einen Hinweis, um welche Art von Shakuhachi es sich in dieser Zeit gehandelt haben könnte. Das „Taigen Shô“ ist eine umfassende musikalische Abhandlung, die 1512 von dem damals führenden Musiker Toyohara no Muneaki (1450-1524) geschrieben wurde und in dessen Kapitel „Shakuhachi“ Diagramme von fünf Shakuhachi in den Stimmungen auf Hyôjô (E4), Soja (G4), Ôshiki (A4) und Banshiki (B4) abgebildet sind. In den Erklärungen zu der Abbildung heißt es: „Im Hause Toyohara zeichnete sich Kazuaki (der Urgroßvater des Autors) im Spiel der Shakuhachi aus. Er war Schüler von Toyohara no Atsuaki aus einer Nebenlinie des Familienstammbaumes, so wie Zoamie (15. Jahrhundert), der Schauspieler des Dengaku. Nichts ist wahr, was die Dengaku-Schauspieler sagen, wenn sie davon sprechen, daß die Shakuhachi das ihnen eigene Instrument ist...“ Gemäß dieser Aussage kann man feststellen, daß die Shakuhachi im 15. Jahrhundert von den Musikern des Gagaku und den Schauspielern des Dengaku gespielt worden ist und sogar Dispute abgehalten wurden, wessen Domäne die Shakuhachi nun eigentlich sei. Da diese spezielle Art der Shakuhachi aus einem einzigen Bambusstück zwischen zwei Nodien gemacht wurde und fünf Grifflöcher hatte, war sie eine Hitoyogiri im weiteren Sinn des Wortes. Zu jener Zeit war aber dieses Wort noch nicht in Gebrauch. Damals wurden Flöten in fünf verschiedenen Stimmungen gespielt (die längste war in Hyôjô, E4, gestimmt), weshalb man diese Flöten mit der HitoyogiriShakuhachi (die immer in A4 gestimmt war), die in der Literatur und den Quellen späterer Zeiten erwähnt wird, nicht verwechseln darf. Obwohl die Shakuhachi, die, wie schon im „Kyôkun Shô“ erwähnt, von blinden Priestern und Bettlern gespielt wurde, von anderer Art gewesen sein mag, kann man zumindest feststellen, daß die Shakuhachi, die im Tagebuch von Yamashina no Nortoki erwähnt wird, derjenigen aus dem „Taigen Shô“ sehr ähnlich ist. Die Schriften des Mönchs Ikkyû gehören zu den wichtigsten und schillerndsten Berichte über die Shakuhachi. In der Zeit, in der Ikkyû (1394-1482) lebte, war das Zen in der Hauptstadt Kyoto erblüht; Macht und Kultur der Hauptstadt sammelten sich um die fünf größten Zen-Tempel (diese Zeit ist auch unter dem Namen „Gozan Bunka“ bekannt). Trotz allem Wohl und aller Reinheit des Zen besteht aber kein Zweifel darüber, daß damals auch politische Intrigen und Machtspiele herrschten. Ikkyû verwandte seine Energie darauf, die Menschen von den Illusionen der weltlichen Macht und der materiellen Wohlfahrt zu erwecken und wandte sich dabei auch gegen die herrschende Gewalt. Sein Vermächtnis und seine Unterweisung ist ein Buch mit Gedichten im chinesischen Stil, das „Kyôun Shû“ (Gedichte der verrückten Wolke). Unter den Gedichten dieser Sammlung gibt es mehrere, die die Shakuhachi erwähnen oder sie zum Thema haben. Aus dieser und anderen Quellen gilt es als sicher, daß Ikkyû die Shakuhachi auf seinen Wanderungen und bei seiner Unterweisung mit sich führte und darauf spielte. Es gibt sogar ein Stück der FukeMönche aus der Edo-Zeit, von dem gesagt wird, daß es von Ikkyû überliefert worden ist, ohne daß dies jedoch bewiesen wäre. Erzählungen von Ikkyûs Shakuhachi finden sich in mehreren Werken der Edo-Zeit (Ikkyû war damals soetwas wie ein Volksheld). Sie gruppieren sich um zwei Legenden. Die erste berichtet davon, daß Ikkyû und ein befreundeter Mönch, Ichirosô, abgeschieden von der Welt in einer Hütte bei Uji lebten, Bambus schnitten, um daraus Shakuhachi zu bauen, und das Instrument spielten. Die andere Legende berichtet von einem fremden Mönch namens Rôan, der enge Beziehungen zu Ikkyû pflegte und in einer Hütte lebte, die er „Kyûean“ nannte. Wegen seiner Vorliebe für die Shakuhachi nannte er sich „Fûketsu Dô Sha“ („Ein Suchender auf dem Weg des Windes und der Löcher“) und war somit der erste komusô. Beide Legenden scheinen Variationen desselben Themas zu sein, möglicherweise sind Ichirosô und Rôan auch ein und dieselbe Person, wofür es aber ebenfalls keine Bestätigung gibt. Die Person des Rôan spielt auch eine große Rolle in den Legenden über die Entstehung der Hitoyogiri und der komusô-Tempel. Eine berichtet, daß der fremde Mönch Rôan die Hitoyogiri aus Übersee brachte, und in einer anderen heißt es, daß Kyochiku Zenji (der Gründer des Tempels Myôan-ji), eigentlich Rôan ist. Beide Legenden sind jedoch jüngeren Datums und wurden möglicherweise aus eher praktischen Erwägungen denn aus historischer Wahrheit in die Welt gesetzt (etwas, was in der Edo-Zeit in Dingen, die die Shakuhachi betrafen, gang und gäbe war). Die Legende, in der Rôan die Hitoyogiri aus Übersee nach Japan importiert, führte zu dem Versuch einer Erneuerung der Hitoyogiri im frühen 19. Jahrhundert durch den Arzt Kamiya Juntei (siehe unten). Unglücklicherweise scheint es so gewesen zu sein, daß Kamiya, in der Hoffnung, seinen Anstrengungen damit die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen, aus verschiedenen Geschichten die Legende um Rôan erschaffen hat. Diese ist aus verschiedenen Gründen zu bezweifeln. Erstens war, obgleich es gesichert ist, daß Ikkyû und Rôan Shakuhachi-Spieler waren, das Instrument, das diese gespielt haben, nicht nur die Hitoyogiri-Shakuhachi, die auf A4 gestimmt und im 16. Jahrhundert so verbreitet war. Und wenn zweitens eine Person wie Rôan eine neue Flöte aus Übersee mitgebracht hätte, gäbe es darüber sicherlich Querbezüge in der Literatur und anderen Aufzeichnungen, was aber nicht der Fall ist. Da die Shakuhachi seit früher Zeit in Japan existierte, gibt es keinen plausiblen Grund zu glauben, daß sie erneut von Rôan eingeführt worden ist. Welche Beziehung gibt es zwischen Ikkyû aus dem 15. Jahrhundert und der FukeSekte des 18. Jahrhunderts? Die Shakuhachi, die von Ikkyû gespielt wurde, war möglicherweise der gleiche Typ wie der aus dem „Taigen Shô“ und kann, obwohl anders als die spätere Hitoyogiri oder die Fuke-Shakuhachi der Edo-Zeit, als eine Art Archetyp bezeichnet werden. Es ist gut möglich, daß Ikkyû mit einem Ordensbruder namens Ichirosô oder Rôsan nahen Kontakt pflegte, daß sie zusammen Zazen praktizierten, auf Wanderschaft gingen und die Shakuhachi spielten. Darüber hinaus war Ikkyû ein Mitglied der Rinzai-Sekte, und die spätere Fuke-Sekte war ebenfalls der Rinzai-Sekte angeschlossen. Wichtiger als der Versuch, zwischen Ikkyû und der Fuke-Sekte eine verifizierbare Beziehung herzustellen ist es jedoch, den Zweck von Ikkyûs Shakuhachi-Spiel und seine Philosophie über den Ton des Instrumentes als ein Werkzeug auf dem Weg der Erweckung zu untersuchen, um diese Haltung dann mit der der Fuke-Sekte zu vergleichen, wie sie in deren offiziellen Annalen, dem „Kyotaku Denki Kokuji Kai“, dargelegt ist (siehe unten). Die Gedichte des „Kyôun Shû“ sind durchdrungen von Bildern über Musik und Klänge und zeigen damit, daß Ikkyû diesen eine große Bedeutung beimaß. Die Fuke-Mönche betrachteten das Spielen der Shakuhachi ebenfalls als eine Disziplin und den Klang der Flöte als ein hilfreiches Mittel auf dem Weg der Erweckung. Von einer Shakuhachi, die im Hôshun-In, einem kleinen Tempel im Bezirk des großen Tempels Daitoku-ji in Kyoto aufbewahrt wird, wird gesagt, daß sie von Ikkyû gespielt worden ist. Wie aus deren Form und Stimmung (A4) zu schließen ist, handelt es sich dabei jedoch um eine der Hitoyogiri, wie sie später in Mode waren. Aus der Zeit des „Taigen Shô“ gibt es noch ein anderes wichtiges Werk. Das „Kangin Shû“ (1518) ist ein Sammlung von Kouta-Gedichten: Lieder, wie sie im Mittelalter auf dem Theater vorgetragen wurden. Die Shakuhachi ist ein wichtiger Topos in diesen Gedichten. Im Vorwort schreibt der Herausgeber: „Die Shakuhachi ist mein Freund...“ Die Shakuhachi des „Kangin Shû“ hat nicht die religiöse Bedeutung wie jene von Ikkyû, die Worte vermitteln uns jedoch Eindrücke aus der Welt des Dichters: Dengaku Ich nehme die Shakuhachi aus meinem Ärmel spiele sie, während ich warte und der Wind durch die Kiefern wehtBlumen zerstreut, als wäre es ein Traum Wie lange werde ich noch spielen müssen bis mein Herz die Ruhe wieder findet? Kôuta (kurzes Lied) Meine Shakuhachi ist ganz rein und doch werfe ich sie auf das Kopfkissen. Ein trügerischer Klang, als sie auf den hölzernen Rand schlägt und doch, der Klang vertreibt nicht Einsamkeit und Trauer, da ich alleine schlafe. Kôuta (kurzes Lied) Ich spiele auf dir während ich warte auch später noch und aus Enttäuschung – wertlose Shakuhachi! Die Shakuhachi wird auch oft in einer Sammlung von Kouta erwähnt, die Takami Ryûtatsu (1517-1611) aus Sakai, dem damaligen wirtschaftlichen Zentrum von Osaka zusammengestellt hat. Die Lieder seiner Sammlung wurden in jener Zeit mutmaßlich von der Shakuhachi und einer Handtrommel begleitet. Das Aufkommen der bettelnden Shakuhachi-Spieler – die Komosô Etwa vom Beginn des 17. Jahrhunderts an war die Shakuhachi das Instrument bettelnder Mönche, Komosô genannt. Auch einfach als Komo bezeichnet waren sie die Vorgänger der Komusô der Edo-Zeit. Ihr Name kommt von Komo, einer einfachen, geflochtenen Strohmatte, die diese Bettler trugen, um sich vor Regen und Kälte zu schützen. Diese Mönche wurden auch als Boro, Boroboro, Boronjin, Bonji oder Kanji bezeichnet, alles Wörter mit religiösem Anklang, die auch Untertöne von Bettelei und Armut in ihrer Bedeutung tragen. Diese Bettelmönche werden bereits im 14. Jahrhundert erwähnt, im „Tsurezure Gusa“ (Betrachtungen aus der Stille) von Yoshida Kenkô. Weder war damals der Name Komosô gebräuchlich, noch wurde er mit dem Spielen der Shakuhachi in Zusammenhang gebracht. In der Mitte des 16. Jahrhunderts scheint die Verbindung von Shakuhachi und Komosô gesichert zu sein. In einer Sammlung von Waka-Gedichten („Sanjûniban Shokunin Uta Awase“ – Gedichtwettbewerbe, die regelmäßig abgehalten wurden) findet sich eine Eintragung mit dem Titel „Komosô“: Inmitten der Frühlingsblumen, wer sorgt sich da um das Wehen des Windes? Es ist nicht der Wind, sondern die Shakuhachi der Komo. Der Kommentar zu diesem Gedicht erläutert, daß „die Komosô damit beschäftigt sind, die Häuser der Reichen und Armen zu besuchen, zu betteln und die Shakuhachi zu spielen – das ist alles, was sie tun.“ Obwohl der Name Komosô ursprünglich mit den chinesischen Schriftzeichen für Komo (Strohmatte) und Sô (Mönch) geschrieben wurde, in dem, wie bereits erwähnt, Untertöne von Bettlertum und Schäbigkeit anklingen, ist der Titel des oben erwähnten Gedichtes mit den Schriftzeichen Ko (Leerheit), Mo (Illusion) und Sô (Mönch) geschrieben, dem eher eine seriöse, religiöse Bedeutung zugrunde liegt. Auch die Verwendung des Wortes „beschäftigt sein mit“ (jap. Zanmai, sanskrit Samadhi) im Kommentar zeigt an, daß diese Mönche nicht eine Art mittelalterlicher japanischer Hippies waren, sondern sich ernsthaft mit buddhistischen Übungen beschäftigten. Umso mehr ist das der Fall bei den Komusô der späteren Edo-Zeit, die in einer Schule organisiert waren und ein Netzwerk von Tempeln im ganzen Land hatten. Die Schriftzeichen für Komusô sind richtig Ko (Leerheit), Mu (Nichts) und Sô (Mönch). Die Komusô der Edo-Zeit spielten die Shakuhachi mit dem Wurzelende, aber es ist schwierig zu sagen, welche Shakuhachi die Komosô verwendeten. Wenn man bedenkt, daß diese hauptsächlich einzeln wandernde Bettler waren, liegt es nahe, daß sie ihre Shakuhachi möglicherweise selbst bauten, ohne dabei viel Wert auf Länge, Stimmung und Form zu legen. Nach dem „Boro-no-Techo“ (Handbuch der Boro-Mönche, 1618) hatte die Shakuhachi dieser Mönche fünf Grifflöcher und drei Nodien. Im „Kanden Kôhitsu“ von Ban Kôkei (1733-1806) steht: „Heutzutage nennen wir jene, die die Shakuhachi bei sich haben und um Reis betteln Komusô,“ aber im „Kanjinshô Uta Awase“ (Sammlung der Gedichtwettbewerbe) werden sie Komosô genannt, und auf Bildern werden sie mit langem Haar und einer Strohmatte dargestellt, die sie um ihre Hüften gebunden haben. Wie in dieser Zeichnung zu erkennen ist, ist die Shakuhachi, die dieser Komosô spielt, nicht ein kurzes Instrument in der Art der Hitoyogiri. Es scheint, daß die Hitoyogiri, die Shakuhachi der Komosô und die der Komusô miteinander verwandt sind, obwohl es im Mittelalter Instrumente in verschiedenen Längen gab. Aus diesen unterschiedlichen Instrumenten wählten die Komusô der Fuke-Sekte das massivere, längere für sich aus. Die Tempuku - Fossil unter den alten Shakuhachi Anfangs wurde die Tempuku erwähnt, ein alter Typ der Shakuhachi, den man noch in der Gegend von Satsuma (Kagoshima) finden kann. Es existieren keine Aufzeichnungen oder Legenden, die vom Ursprung der Tempuku berichten oder Erklärungen zum Namen Ten (Himmel) und Fuku (blasen) geben, aber Untersuchungen über ihre Gestalt und Bauart deuten auf eine enge Verwandtschaft mit dem Prototyp der Shakuhachi aus dem Mittelalter. Das Instrument wird aus einem dünnen, eher flachen Stück des Bambus Hotei Chiku gemacht, hat drei Nodien und misst etwa 26 cm in der Länge. Die Tempuku wird fast immer vom Spieler selber gebaut, und interessanterweise orientieren sich die Maße an keinen akustischen Gegebenheiten oder logischen Gesetzen; statt dessen bemessen sich die Abstände der Nodien nach der Fingerweite des Spielers, was bedeutet, daß es natürlich große Unterschiede bei den Instrumenten gibt. Das Mundstück ist nach innen geschnitten, nach Art der chinesischen Dông Xîao, also genau gegenteilig zur Shakuhachi. Wie die Hitoyogiri ist auch die Tempuku kürzer als die Fuke-Shakuhachi und hat deshalb eine höhere Stimmung, die relative Stimmung der Grifflöcher unterscheidet sich von der der Fuke-Shakuhachi. Die Position der Grifflöcher richtet sich ebenfalls nicht nach akustischen Erwägungen; es scheint, daß die Position der Grifflöcher eher vom Durchmesser des Instrumentes und den Stellen, an welchen sich die Nodien befinden, bestimmt wird. Obwohl die Positionen der Nodien und Grifflöcher dem Blick nach ausgeglichen sind, ist das Instrument nicht immer gut gestimmt. Die Tatsachen, daß die Tempuku der Hitoyogiri und der frühen Shakuhachi ähnlich ist, vom Spieler selbst gebaut wird, sowie das Fehlen aller akustischen und rationalen Gesetzmäßigkeiten deuten auf ein hohes Alter des Instrumentes hin. Die Shakuhachi mit fünf Grifflöchern des frühen Mittelalters fand den Weg möglicherweise in die konservative und abgelegene Gegend von Satsuma auf Kyûshû, wo sie als eine Art Fossil unter den Shakuhachi unverändert bis in die Gegenwart überliefert wurde. Die Tempuku wurde in Satsuma vorwiegend von Samurai gespielt und erreichte den Höhepunkt ihrer Beliebtheit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In Satsuma gibt es die bekannte Legende vom Gefolgsmann Kitahara Bizen no Kami, der in der großen Schlacht von Sekigahara (1600 – die Schlacht brachte den Tokugawa die absolute Macht über das ganze Land und bedeutete den Beginn der Edo-Zeit) in die Gefangenschaft der Tokugawa geriet. Vor seiner Exekution spielte er auf der Tempuku und betrauerte sein Schicksal in so schönen Tönen, daß die Generäle davon tief gerührt wurden und sein Leben schonten. Die Tempuku wurde noch in der Edo-Zeit und nach der Meiji-Restauration gespielt, doch gegenwärtig halten nur noch einige Spieler in Kagoshima diese Tradition aufrecht. Die Hitoyogiri - Prototyp der Shakuhachi im Mittelalter Über den Begriff „Hitoyogiri“ herrscht Unklarheit. Shakuhachi wurden bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in unterschiedlichen Längen gebaut (wie im „Taigen Shô“ erläutert). Zu dieser Zeit ist die Flöte mit dem Grundton A4 (Ôshiki) zum Standardinstrument der Shakuhachi-Spieler geworden. Auch der Name „Hitoyogiri“ wurde zu dieser Zeit gebräuchlich. In Japan werden die Shakuhachi des Mittelalters oft unabhängig von der Stimmung als Hitoyogiri bezeichnet. Genau genommen bezeichnet jedoch der Begriff ab der Mitte des 16. Jahrhunderts nur die auf den Ton A4 gestimmte Shakuhachi. Trotzdem ist es schwierig zu sagen, wann der Begriff „Hitoyogiri“ auftauchte und auf was er sich eigentlich bezieht. Obwohl dieses Wort im „Teigen Shô“ nicht vorkommt, gibt es ein Wortspiel in einem von Ikkyûs Gedichten, in dem „Hito Yo“ sowohl „Hitoyogiri“, als auch „eine Nacht“ bedeutet. Obwohl ich die Hitoyogiri als Freund für nur eine Nacht mir dachte, ist sie für viele Nächte, bis ins hohe Alter ein Freund geblieben. Ein ähnliches Wortspiel findet sich in der Kôuta-Sammlung von Ryûtatsu: Der Ton der Hitoyogiri mag für eine Nacht mich beglücken, doch eine Nacht nur mit dir das Kopfkissen zu teilen ist nicht genug. Obwohl diese Beispiele zeigen, daß das Wort im 15. und frühen 16. Jahrhundert ein allgemein bekannter Begriff war, wird das Instrument meist einfach nur Shakuhachi genannt. Der Begriff „Hitoyogiri-Shakuhachi“ stammt aus dem 17. Jahrhundert, um möglicherweise dieses Instrument von der Fuke-Shakuhachi zu unterscheiden. Später wurde die Hitoyogiri in der Ôshiki-Stimmung einfach als Shakuhachi bezeichnet, ein Begriff, mit dem wohl beide Instrumente gemeint waren. Die vielen Lehrbücher und Quellen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts deuten darauf hin, daß die Hitoyogiri zu der Zeit ein beliebtes Musikinstrument war. Ein Mann namens Sôsa war der erste, der ein künstlerisches Interesse an der Hitoyogiri hatte, und Bücher aus der Edo-Zeit wie das „Shichiku Shoshin-shû“ (Anfängerstücke für Saiten und Bambus, 1664), das „Dôshô no Kyoku“ (Stücke für die längs geblasene Flöte, 1669) und das „Kanobori“ (eine Sammlung von Stücken für die Hitoyogiri, 1. Ausgabe 1687, dann aufgenommen ins „Shichiku Taizen“, ein umfassendes Werk) gehen alle auf Sôsa als Begründer des Hitoyogiri-Spiels zurück. Über ihn als Person ist nichts bekannt, nicht einmal seine Lebensdaten sind erhalten. Obwohl sich diese Werke in einigen Punkten widersprechen, werden in ihnen Dinge erwähnt, die darauf hindeuten, daß Sôsa ein zurückgezogenes Leben führte oder sogar Einsiedler war. Mag auch über das Leben von Sôsan nichts weiter bekannt sein, so wird Omori Sôkun (1570-1625, fünf oder sechs Generationen später) in diesen Werken ausführlich dargestellt und erscheint als wichtige Person. Sôkun war ein Nachkomme von Omori Hikoshichi, einem Gefolgsmann des berühmten ersten Ashikaga-Shôguns Takauchi (1305-1358), und Sôkan selbst diente als Gefolgsmann des großen Generals Oda Nobunaga (1534-1582). Nach Nobunagas Tod lebte Sôsan als Einsiedler, der sich dem Studium der Hitoyogiri widmete und wurde als Spieler und nach Sôsa als zweiter Begründer der Hitoyogiri-Musik berühmt. 1608 schrieb Sôkun „Tanteki Hidenfu“ (geheime Stücke für die kurze, längs geblasene Flöte), die wahrscheinlich älteste umfassende Sammlung mit Stücken für die Hitoyogiri. In ihr sind etwa 70 Solostücke (genannt te, im Gegensatz zu Kyoku, dem gebräuchlichen modernen Wort) zusammengestellt mit Titeln wie „Nestroy“, „Schote“, „Honte“, „Knochige“ etc. Notiert sind die Stücke in der Silbenschrift Katakana. Obwohl es schwierig ist, die Stücke in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren, so scheint es doch, daß sie eine musikalische Verwandtschaft mit den späteren Honkyoku der Fuke-Schule (Fuke-Shû) haben. Durch die Bemühungen Sôkuns, der auch der Autor des „Shakuhachi Tekazu Mokuroku“ (1624) ist, wurde die Hitoyogiri aus der Welt der wandernden Bettelmönche herausgenommen und der säkularen Welt zurückgegeben, in der sie als Musikinstrument gespielt wurde. Die aus dieser Zeit erhaltenen Stücke und Abhandlungen zeigen, daß die Hitoyogiri sich recht großer Beliebtheit erfreute. Es ist interessant, daß das Wort „Hitoyogiri“ im „Tanteki Hidenfu“ nicht vorkommt. Mit Ausnahme des Titels „Tanteki“, was wörtlich „kurze Flöte“ bedeutet, wird die Hitoyogiri als Shakuhachi bezeichnet. Die Grifftabelle in diesem Buch ist für die Hitoyogiri in der Ôshiki-Stimmung, Hinweise auf Fingersätze für Flöten in anderen Stimmungen sind beigefügt. Die Fingersätze der Hitoyogiri im „Shichiku Shoshin-shû“ und dem „Kanobori“, die 50 Jahre später veröffentlicht wurden, sind dagegen nur für die Ôshiki-Stimmung angegeben. Trotz der Beliebtheit der Hitoyogiri in der ÔshikiStimmung wurden also zu Sôkun Zeit noch Hitoyogiri in anderen Stimmungen gespielt. Doch ein halbes Jahrhundert später bezieht sich alle Hitoyogiri-Musik und alle Quellen auf Instrumente in der Ôshiki-Stimmung. Neben Sôkuns Schule gab es noch einen anderen Stil des Hitoyogiri-Spiels, der Spiritus hieß. Dieser wurde jedoch vom Sôkun-Stil verdrängt und verschwand. Die relative künstlerische Freiheit zu Beginn der Edo-Zeit war der Hitoyogiri günstig. Publikationen über Musik, Spielanweisungen von Liedern und Grifftabellen wie das „Shochiku Shôshin-shû“, das „Dôshô Kyoku“ und das „Ikanobori“ waren der Allgemeinheit zugänglich. Manche dieser Bücher enthielten Volksmusik, Lieder und Literatur für Koto, Shamisen und Hitoyogiri. Zu dieser Zeit wurde die HitoyogiriLiteratur bereits unterschieden in Solostücke (Te, jetzt Honkyoku) und EnsembleStücke (Rankyoku, jetzt Gaikyoku). Es gab auch Spieler, die sich auf Te oder Rankyoku spezialisierten. Trotz der großen Beliebtheit der Hitoyogiri zu Beginn der Edo-Zeit schwand das Interesse zu Beginn des 18. Jahrhunderts relativ schnell und im frühen 19. Jahrhundert war diese Tradition beinahe verschwunden. Kamiya Juntei, ein Arzt aus Edo versuchte in den zwanziger und dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts, die Hitoyogiri zu neuem Leben zu erwecken. Kamiya scheint sich dieser Aufgabe in hohem Maße verpflichtet zu haben. Er änderte den Namen des Instrumentes zu „Kôtake“ (kleiner Bambus) und veröffentlichte neben zahlreichen anderen Noten das „Shichiku Kokon-Shû“, in dem er klassische Stücke und eigene Kompositionen zu einer Sammlung zusammenstellte. Trotz allem schlugen seine Bemühungen fehl und mit Beginn des 19. Jahrhunderts spielte niemand mehr die Hitoyogiri, eine Hand voll Enthusiasten ausgenommen. Die Länge der Hitoyogiri in der Ôshiki-Stimmung beträgt 36,6 cm oder ein Shaku, ein Sun und ein Bu (1 Shaku=10 Sun, 1 Sun=10 Bu). Einige, wie Kamiya, verlängerten die Hitoyogiri auf 1 Shaku und 8 Sun, um sie (wenigstens von der Länge her) der Shakuhachi anzugleichen, doch blieb dies bedeutungslos. Der Fingersatz der Hitoyogiri ähnelt dem der Shakuhachi der Fuke-Shû mit Ausnahme der Töne der oberen Oktave, die die Tendenz haben, scharf zu klingen. Der Fingersatz ist verwirrend, oft mit den gleichen Silbenzeichen für mehrere Töne. Für die tiefen Töne gilt der gleiche Fingersatz wie für die Shakuhachi, aber die hohen Töne werden ganz anders gegriffen. Der Umfang der oberen Oktave ist begrenzt, der gesamte Tonumfang beträgt eine Oktave und eine Quarte, verglichen dazu hat die Shakuhachi zweieinhalb Oktaven. Das partielle Abdecken der Grifflöcher wurde auf der Hitoyogiri offenbar nie angewendet. Wegen der kleinen Grifflöcher ist deren teilweises Abdecken auch beinahe unmöglich. Stattdessen kamen Grifftechniken mit gekreuzten Fingern zur Anwendung, um Halbtöne oder Töne, die zwischen den Grifflöchern liegen, spielen zu können. Außerdem ist die Veränderung der Tonhöhe durch die Veränderung des Blaswinkels wegen des kleinen Mundstückes schwierig auszuführen. Die Hitoyogiri in der Ôshiki-Stimmung ist bestens geeignet zum spielen der RitsuSkala (D-E-G-A-H-D), was ein Grund dafür sein mag, daß Instrumente in dieser Stimmung noch gespielt wurden, als jene in anderen Stimmungen schon verschwunden waren. Andererseits ist die Miyako-Bushi-Skala (D-Es-G-A-B-D), bei der jeweils der zweite Ton der Tetrachorde erniedrigt wird und die auf der Hitoyogiri extrem schwierig zu spielen ist, während der Edo-Zeit von großer Bedeutung. Einer der Gründe für das Verschwinden der Hitoyogiri ist die Tatsache, daß auf ihr die engen Halbtöne der Miyako-Bushi-Skala nicht zu bewältigen waren. Die allgemeinen Geschichtsbücher Japans bezeichnen die Hitoyogiri als ein Instrument der frühen Edo-Zeit, aber angesichts der Tatsache, daß sie wegen ihrer begrenzten Möglichkeiten zum Spielen der Miyako-Bushi-Skala nicht geeignet war ist es angemessener, sie als die Shakuhachi des Mittelalters zu bezeichnen. 4. Die Shakuhachi der Edo-Zeit Das 16. Jahrhundert und sein Einfluß auf die japanische Musik Etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint die Fuke-Shakuhachi. Um diese Zeit entstanden auch die darstellenden Künste (Nôh, Kabuki, Bunraku), deren Blüte bis ins 19. Jahrhundert dauern sollte. Die wichtigste Neuerung dieser Zeit war der Import des dreisaitigen Shamisen von den Ryûkyû-Inseln um 1560. Das Shamisen wurde als Begleitinstrument für das Jôrurui (Rezitation) und zum Erzählen von Geschichten eingesetzt und erlangte dadurch schnelle Beliebtheit. Das Jôruri verband sich mit dem Puppenspiel zum Bunraku (1595), bei dem das Shamisen eine wichtige Aufgabe erfüllt. Es fand auch den Weg ins Kabuki, das eine Frau Okuni aus der Gegend von Izumo im frühen 16. Jahrhundert ins Leben rief. Auch dem Koto widerfuhren bedeutende Veränderungen. Der Tsukushi-Stil übernahm das Gagaku-Koto und wurde um 1580 bekannt. Der Komponist Yatsuhashi Kengyô (1614-1685) machte das Koto durch Stücke wie „Rokudan“ und „Midare“ populär. Um diese Zeit begann man auch, mit Koto und Shamisen zusammen zu musizieren. Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Entwicklungen der Musik in den folgenden hundert Jahren lässt die dramatischen Wechsel und Experimente erahnen, die damals stattgefunden haben und die den Weg für die Musik der Edo-Zeit bereiteten. Dies war das Klima, das der Entwicklung der Fuke-Shakuhachi so förderlich war, und es war die Zeit, in der die Miyako-Bushi-Skala alle Arten der volkstümlichen Musik beeinflusste – eine Tatsache von weitreichenden Konsequenzen. Yatsuhashi Kengyô änderte die Ritsu-Skala des Tsukushi-Koto, die der des Gagaku ähnlich war, in die Miyako-Bushi-Skala, die besser geeignet war, die Stimmungen der Menschen dieser Zeit auszudrücken. Alle musikalischen Entwicklungen der Edo-Zeit sind beeinflusst von der emotionellen Kraft der Miyako-Bushi-Skala. Die Instrumente, die ideal zu dieser Skala passen, sind Koto, Shamisen und die Fuke-Shakuhachi, nicht jedoch die Hitoyogiri. Der Unterschied zwischen den beiden Skalen ist folgender: beide bestehen aus je zwei Tetrachorden, wobei bei beiden Skalen der Grundton und die Quart jeden Tetrachordes identisch sind. Was die Skalen unterscheidet und ihnen die besondere Färbung verleiht, sind die mittleren Töne der Tetrachorde. Das Intervall zwischen dem ersten und zweiten Ton des Tetrachordes der Miyako-Bushi-Skala ist die kleine Sekunde (die für gewöhnlich sehr tief gespielt wird) und jenes der Ritsu-Skala die große Sekunde. Die Entwicklung der Fuke-Shakuhachi Man begann, die Shakuhachi länger zu bauen, nicht nur, um sich der Miyako-BushiSkala anzupassen; die Wurzelnodien des Bambus wurden zum Fuß der Shakuhachi. Neben der Tatsache, daß die Verwendung des untersten Teiles des Bambus akustische Vorteile mit sich brachte, hatte diese Verlängerung auch den Sinn, damit ein Instrument in der Hand zu haben, das auch als Knüppel dienen konnte, zumindest für jene Schurken, denen es nicht gestattet war, ein Schwert zu tragen. Die Geschichte von Karigane Bunshichi (aus dem „Katabashi“, 1853) veranschaulicht diesen schillernden Abschnitt der Geschichte des Instrumentes. Karigane Bunshichi war eine zwielichtige Gestalt aus Osaka; er zeichnete sich im Spiel der Shakuhachi aus und unterrichtete seine Bande darin. Später gab er das Spielen auf und benutzte das Instrument als Schwert, indem er die Länge um die Nodien des Wurzelendes auf 1 Shaku und 8 Sun verlängerte. Aufzeichnungen belegen, daß Karigane 1703 hingerichtet wurde, also muß er um das Ende des 17. Jahrhunderts tätig gewesen sein. Es fällt schwer zu glauben, daß die Shakuhachi aufgrund Kariganes Initiative auf 1 Shaku und 8 Sun verlängert worden ist, wie es diese Geschichte berichtet, doch die Tatsache, daß es ihm möglich war, das Instrument als Waffe zu benutzen, deutet darauf hin, dass es wesentlich schwerer gewesen sein muß als die Hitoyogiri. Solche Gestalten wie Karigane, die die Shakuhachi spielen, erscheinen gelegentlich in Theaterstücken und Romanen der Edo-Zeit. Es gab sogar einen Ausdruck für ihr Instrument – Kenka-Shakuhachi – das sich auf die Auseinandersetzungen bezieht, in die diese Gestalten verwickelt waren und die das Instrument dabei zweifellos zu ihrem Vorteil benutzt haben. Angesichts der Tatsache, daß die frühe FukeShakuhachi nur die drei Nodien, ohne das Wurzelende, lang war (wie die im „Boro no Techo“ beschriebene sowie die der Statue von Kyochiku Zenji im Myôan-ji Tempel in Kyoto), ist es gut möglich, daß diese zwielichtigen Gestalten verantwortlich sind für das Wahrzeichen der Fuke-Shakuhachi, das massive Wurzelende des Instrumentes. Dem „Tsurezure Gusa“ nach zu urteilen waren die frühen Komosô wüste, gnadenlose Kämpfer. Vielleicht haben die üblen Gestalten der Edo-Zeit, die sich ihres Instrumentes als Waffe bedienten, Eigenschaften der früheren Komosô übernommen, die von ähnlichem Charakter waren. Die Entwicklung zur Zen-Shakuhachi Schillernde Episoden und unglaubliche Geschichten – während des größten Teiles der Edo-Zeit wurde die Shakuhachi nicht als ein Musikinstrument betrachtet. Im „Katabisashi“ steht: „Jetzt verwenden es die Mönche als spirituelles Werkzeug...“ Dies scheint die damals weitverbreitete Ansicht wiederzugeben, daß die Shakuhachi ein Werkzeug der Mönche war, in anderen Worten, das spirituelles Werkzeug der Fuke-Shû. Die Fuke-Shû war eine ziemlich ungewöhnliche religiöse Gruppierung, und ihre Existenz ist bis heute eine Art Rätsel. Es wird behauptet, daß der Zen-Meister Fuke (chin. P’u Hua) der chinesischen T’ang-Dynastie der Gründer der Schule war, aber Fuke hat sie nicht wirklich gegründet und es gibt keine Spuren, die auf eine Existenz in China hinweisen. Die Fuke-Shû war eine gänzlich japanische Institution. Fuke lebte im 9. Jahrhundert, die Fuke-Shû wurde im 18. Jahrhundert formell gegründet. Auch wenn man historische Ungereimtheiten außer Betracht lässt, war der Lebensstil der Fuke-Mönche recht ungewöhnlich. Die Fuke-Mönche, oder in anderen Worten die Komusô, machten das Spielen der Shakuhachi während dem Takuhatsu (Almosengang) und auf Pilgerreisen zur spirituellen Praxis. Dies galt jedoch nicht als Bettelei. Die Komusô widmeten sich dem Spiel der Shakuhachi als einem Weg zur Erweckung, auf eine Art, die sie Suizen „blasendes Zen“ im Gegensatz zum Zazen „sitzendes Zen“ nannten. Aus diesem Grund wurde die Shakuhachi als „Werkzeug des Zen“ und nicht als Musik betrachtet, ebenso wie das Spielen der Mönche nicht als Musik sondern als Konzentrationsübung bezeichnet wurde. Ungewöhnlich im Zusammenhang damit ist, daß den Mönchen der Fuke-Shû von der Zentralregierung (Bakufu) in Edo Privilegien zugestanden wurden, was ihr einen Status außerhalb der Legalität ermöglichte. Die Fuke-Shû war ein Ort, über den die Obrigkeit keine Macht hatte, wo sich herrenlose Samurai (Rônin) eine Zeit lang verstecken und wo Krieger ohne Verbindung zu den traditionellen Schulen ihrem Training nachgehen konnten. Da es den Komusô erlaubt war, frei auf Wanderschaft zu gehen, konnten sie ohne Ausweispapiere die Straßen benutzen und die Kontrollposten passieren (in der Edo-Zeit hatten alle Reisewege Kontrollposten, die nur mit offizieller Erlaubnis passiert werden durften), als auch freien Transport auf Fähren, um die auf dem Weg liegenden Flüße überqueren zu können. Darüber hinaus trugen die Komusô einen tiefen, aus Schilfrohr geflochtenen korbartigen Hut (Tengai), der ihnen die Anonymität garantierte. Wohin sie auch gingen waren sie unbeschadet von Beleidigungen und Einmischungen sowohl ziviler Personen aus auch der örtlichen Gerichtsbarkeit und es war selbstverständlich, den bettelnden Komusô Almosen zu geben. Die Shakuhachi war ausschließlich den Komusô vorbehalten, niemand anderes durfte sie spielen. Obwohl der Fuke-Shû diese Privilegien nicht über den gesamten Zeitraum ihrer Existenz zugestanden wurden, zeigen diese doch, welche außergewöhnliche Stellung sie in der Gesellschaft der Edo-Zeit eingenommen hat. Die Entstehung der Fuke-Shû – Tatsachen und Phantasie Die Entstehung der Fuke-Shû ist in ihrem offiziellen Dokument, dem „Kyotaku Denki“, dargelegt, das im Folgenden skizziert wird. In China gab es einen Mönch, der sich Fuke nannte. Er ging mit einer Glocke (Taku) in der Hand durch die Straßen, läutete diese und verkündete: „Myô to rai, myô to da; an to rai, an to da; shiho hachimen rai, sen pu da; ko ku rai, ren ga da.“ (Wenn jemand aus der Ebene der Relativität [aus dem Hellen] kommt, werde ich auf dieser Ebene mit ihm verkehren. Sollte jemand aus der Ebene des Absoluten [aus dem Dunkel] kommen, wird er entsprechend behandelt. Kommt einer aus den vier Richtungen und den acht Seiten, werde ich wie der Wirbelwind mit ihm verfahren. Kommt jemand aus dem leeren Himmel, schlage ich ihn mit einem Dreschflegel zurück). Ein Mann namens Chôhaku (Zhâng Bô) hörte dies und wollte Fukes Schüler werden, wurde von diesem jedoch abgewiesen. Da Chôhaku geschickt mit Flöten umgehen konnte, fertigte er sich ein Instrument aus einem Stück Bambus und spielte darauf ein Stück, das den Klang von Fukes Glocke imitierte. Er spielte ausschließlich dieses Stück, nannte es „Kyotaku“ (leere Glocke) und überlieferte es seinen Nachfolgern. Später wurde diese Flöte als Shakuhachi bekannt. 16 Generationen nach Chôhaku gab es einen Mann, Chôsan (Zhang Can), der die Shakuhachi bereits in seiner Jugend beherrschte. Chôsan ging in die Präfektur Yôshû (Shu Zhou), um im Tempel Gôkoku-ji (Huguosi) den Zen-Buddhismus zu studieren. Zu dieser Zeit hielt sich der japanische Mönch Gakushin ebenfalls in diesem Tempel auf. Die beiden wurden Freunde, und Gakushin – fasziniert vom wunderlichen Klang der Flöte Chôsans – forderte diesen auf, ihn in dieser Tradition zu unterweisen. Gakushin kehrte 1254 nach Japan zurück, ging nach Yura auf der Halbinsel Kii (jetzt Wakayama) und gründete dort den Tempel Kôkoku-ji. Dort war Gakushin ein gelehrter und respektierter Mönch; posthum wurde ihm der Titel „HôttoKokushi“ (Licht des Dharma, das über das Land leuchtet) verliehen. Unter den zahlreichen Schülern Gakushins gab es einen besonders ergebenen, Kichiku (später bekannt als Kyochiku), dem Gakushin die Tradition des Stückes „Kyotaku“ übermittelte. Neben Kichiku gab es noch vier andere Mönche (Kokusaku, Risei, Hôfu und Sôjô, bekannt als „die vier ergebenen Mönche“), die im Spielen der Flöte geübt waren. Kichiku pilgerte in die Provinz Ise, zum Kokuzô-dô-Schrein auf dem Berg Asamagatake (heute Präfektur Mie). Beim Rezitieren der Sutras mit dem Schlaf kämpfend hörte er höchst wundersame Klänge. Er versuchte, diese Klänge auf seiner Flöte zu imitieren und schuf dabei zwei Stücke, „Mukaiji“ (Nebel-MeerFlöte) und „Kokû“ (leerer Himmel). Kichiku änderte seinen Namen später zu Kyochiku, nannte sich Rôan und lebte in Uji (bei Kyoto). Nach seinem Tod errichtete sein Schüler Meifû in Kyoto den Tempel Myôan-ji und benannte Kichiku als dessen Gründer. Hôfu lebte einige Zeit in Uji und unterwies dort Fuke-Zen. Später ging er mit drei seiner Schüler (Kinsen, Kassô, Hôgi) auf Wanderschaft in den Osten des Landes. Hôfu starb, während sie sich in Kogane in der Provinz Shimosa (heute Chiba) aufhielten, und Kinsen baute ihm zu Ehren einen Tempel, den er Ryûsan Ichigetsu-ji nannte. Ein anderer Schüler, Kassô, errichtete den Tempel Reihô-ji in der Provinz Musashino (heute Saitama). Mehrere Generationen nach Kyochiku gab es einen Nachfolger namens Kyôfu. Zu dessen Zeit lebte auch der General Kusunoki no Masakatsu, ein Enkel des Ministers des südlichen Hofes, Kusunoki no Masahige. Masakatsu kämpfte während der „Zeit der zwei Kaiserhöfe“ (um 1330) tapfer für die Interessen des südlichen Hofes, doch nach der Vereinigung der beiden wurden seine Dienste nicht mehr benötigt. Er verließ seine Heimat und begegnete auf seiner Wanderung Kyôfu, der ihn in der Tradition der komusô unterwies. Masakatsu änderte seinen Namen in Kyômu und pilgerte mit der Shakuhachi und in den Gewändern der komusô durch das Land. Auf die Frage, welcher sein Name war, sagte er nur: der Mönch (Sô) Kyômu. Daher wurden die Fuke-Mönche „Komusô“ (Kyomusô) genannt. Das „Kyotaku Denki Kokuji Kai“ wurde 1795 von Masayu Shôbei in Kyoto publiziert. In dieser Ausgabe ist auch die Geschichte der Tempel Myôan-ji, Ichigetsu-ji und Reihô-ji enthalten. Die Einzelheiten widersprechen sich dabei gelegentlich, stimmen aber mit der eben skizzierten Geschichte überein. Nakatsuka Chikuzens historischer Blick auf die Kinko-Shakuhachi Das Fehlen jeglicher konkreter Nachweise zu der oben skizzierten Legende über die Entstehung der Fuke-Sekte und der Komusô machen es neben anderen Unstimmigkeiten schwer zu glauben, daß das „Kyotaku Denki“ der Wahrheit entspricht. Wäre es möglich, daß die Shakuhachi nach Chôhaku 16 Generationen lang übermittelt und einem Gast aus fremdem Land gelehrt wurde, ohne daß dies irgendwo erwähnt währe? In China gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber. Selbst wenn Hôtto-Kokushi die Shakuhachi wirklich nach Japan zurückgebracht hätte und sie von seinen Schülern auf deren Wanderschaft gespielt worden wäre, ist es wahrscheinlich, daß es darüber Aufzeichnungen gäbe, doch kein Dokument aus der Kamakura-Zeit (über den entsprechenden Zeitraum) erwähnt dieses Ereignis. Die Tempuku wurde zwar in einer abgelegenen Ecke von Kyûshû gespielt, doch ist es sehr unwahrscheinlich, daß es unbemerkt bliebe, wenn in der Umgebung der Hauptstadt Kyoto die Shakuhachi gespielt worden wäre. Wenn darüber hinaus Kusunoki no Masakatsu der erste Komusô war, dann bedeutet das, daß das typische Gewand der Komusô bereits seit dem 14. Jahrhundert in Gebrauch gewesen wäre, wofür es ebenfalls keinen Nachweis gibt. Kurz gesagt können diese Legenden durch Querverweise aus Dokumenten der Zeit nicht bestätigt werden. Das „Kyotaku Denki Kokuji Kai“ ist das einzige publizierte Quellenmaterial über die Entstehung der Fuke-Sekte und wird allgemein als trügerisch angesehen. Das Dokument besteht aus einem Manuskript („Kyotaku Denki“), von einem Mönch namens Tonwa im chinesischen Kanbun-Stil geschrieben, gefolgt von einer Übersetzung und einem Kommentar in Japanisch („Kokuji Kai“). Über Tonwa ist nichts bekannt, außer daß er ein Mönch während der Kan’ei- Zeit war (1624-1644). Man sagt, daß das originale Manuskript sich in Besitz der Familie Ano befindet, aber auch dafür gibt es keinen Nachweis. Auf einer Bildrolle, die im Zusammenhang mit der Gründung des Myôan-ji-Tempels steht, wird das „Kyotaku Denki“ erwähnt, doch sind Zeit und Ursprung der Bildrolle unbekannt. Interessanterweise wurde der japanische Kommentar im „Kokuji Kai“ 1795 ediert, zu einer Zeit, als die Fuke-Shû mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und einigen der besonderen Privilegien durch das Bakufu verlustig ging. Diese Tatsache, zusammen mit dem hohen Maß an Erfindung in der Legende, legt bei aller Vorsicht nahe, daß der japanische Kommentar zur ursprünglichen Legende zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit einer genauen Absicht veröffentlicht wurde – um die alte Legende entsprechend aufzufrischen und der in Ungnade fallenden Schule den Anschein von Legitimität zu geben. Trotzdem scheint die ursprüngliche Geschichte ziemlich alt zu sein. Der berühmte Spruch des Zen-Meisters Fuke (aus dem Rinzai Roko, 9. Jahrhundert) steht auch in dem zuvor erwähnten „Boro no Techo“ (1628), zusammen mit der Feststellung: „Meister Fuke war der Begründer der Komusô.“ Das „Shichiku Shoshin-Shû“ erwähnt diese Legende ebenfalls: „Die Ursprünge der FukeShakuhachi sind gewiss unklar, und obwohl behauptet wird, daß Hottô (HottôKokushi oder Gakushin) aus Yura der Gründer dieses Weges war, ist dies kaum glaubhaft...“ Die Tatsache, daß diese Legende in den eben zitierten Quellen erscheint weist darauf hin, daß das „Kyotaku Denki“ nicht zur Gänze eine Erfindung der Fuke-Mönche ist. Spätestens gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren die Komusô verbreitet und Fuke wurde von einigen unter ihnen als Begründer der FukeShû angesehen. Natürlich betrachteten die Mitglieder der Schule diese Legende als wahr. Selbst heutzutage glauben viele Spieler, die die Honkyoku der FukeShakuhachi übermitteln, den Worten des „Kyotaku Denki“, und bis zum Ende der Edo-Zeit und dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Legende in Bezug auf den Ursprung der Fuke-Sekte von diesen als eine Tatsache hingenommen, über die es nichts zu diskutieren gab. Über die Wahrheit der Legende wurden wenige Nachforschungen unternommen, bis sich Nakatsuka Chikuzen, ein Gelehrter und leidenschaftlicher Shakuhachi-Spieler ausgiebigen Studien zu diesem Thema widmete. Die Ergebnisse wurden zwischen 1936 und 1939 unter dem Titel „Kinko Ryû Shakuhachi Shikan“ (Historischer Blick auf die Kinko-Shakuhachi) in „Sankyoku“ (einer Zeitschrift, über die traditionelle Musik für Shamisen, Koto und Shakuhachi, die von 1921 bis 1944 erschien) veröffentlicht. Nakatsuka Chikuzens Absicht, wie er sie im Vorwort formuliert, war, die Ursprünge der Kinko-Shakuhachi zu untersuchen. Er begann seine Nachforschungen in der Annahme, daß die Legende, wie sie im „Kyotaku Denki“ steht, wahr ist. Doch im Laufe der Arbeit gelangte er zu der Einsicht in die Notwendigkeit, alle Archive des Myôan-ji sowie die erhaltenen Dokumente aus dem Kôkoku-ji, die mit der Legende in Zusammenhang stehen, einzusehen. Langsam kamen ihm Zweifel an der Wahrheit. Nakatsuke entdeckte bei der Durchsicht der Archive von Myôan-ji, daß die Aufzeichnungen und Ereignisse offenbar weit zurückliegen – beispielsweise die Geschichte der Tempel, die Nachfolge-Linien der Äbte und die posthumen Unterweisungen der verschiedenen Meister – und tatsächlich zu einer späteren Zeit angefertigt wurden. Im Kôkoku-ji (Myôan-jis Haupttempel) vertiefte er sich neben anderen Dokumenten in die Tagebücher von Hôtto Kokushi (Gakushin) aus dessen Zeit in China und in die Korrespondenz zwischen Kôkoku-ji und Myôan-ji nach dessen Rückkehr. In den Tagebüchern ist nirgends erwähnt, daß Hôtto Kokushi während seines Aufenthaltes in China mit der Shakuhachi in Berührung gekommen war oder diese nach Japan zurückgebracht hat. Der Name „Kichiku“ taucht ebenfalls nirgends auf, und die vier Schüler, die angeblich mit Hôtto Kokushi nach Japan zurückkehrten, erscheinen in diesen Texten eher als Diener. Da sich nichts fand, was in Bezug zur Shakuhachi steht, konnte Nakatsuke nichteinmal den geringsten Teil der Legende aus dem „Kyotaku Denki“ bestätigen. Beim Zusammenfügen der Legenden und Geschichten aus den Archiven von Myôan-ji konnte er lediglich vermuten, daß dieser Tempel zu Beginn der Edo-Zeit (frühes 17. Jahrhundert) gegründet wurde. Vor dieser Zeit war er nicht mehr als eine Unterkunft für die wandernden Komusô – kaum in der Art eines Tempels. Darüberhinaus entdeckte Nakatsuka in Briefen des Kôkoku-ji, daß in Myôan-ji durch das Fälschen von Dokumenten zu einer späteren Zeit die Verbindung mit dem Kôkoku-ji fingiert wurde. Während seiner Nachforschungen änderte Nakatsuka seine Ansichten über das „Kyotaku Denki“ und erkannte, daß dieses Werk auf fadenscheinigen und trügerischen Legenden beruht und absichtlich gefälscht wurde. Daraufhin richtete Nakatsuka seine Aufmerksamkeit auf die Gründe für diese Fälschung und begann, die Geschichte der Fuke-Sekte während der Edo-Zeit zu untersuchen. Vor der Erläuterung von Nakatsukas Erkenntnissen ist es jedoch notwendig, das Verhältnis zwischen der Fuke-Shû und dem Bakufu und die besonderen Privilegien, die dieses der Schule gewährte, zu untersuchen. Politische Intrigen – die Fuke-Schule und das Bakufu Die Tatsache, daß religiöse Schulen ihren Ursprung oft auf Mythen zurückführen, ist an sich kein großes Problem. In mancher Hinsicht jedoch unterschied sich die FukeShû von anderen religiösen Gruppierungen. Den Komusô der Fuke-Shû wurden zahlreiche besondere Privilegien zugestanden. Die offizielle Anerkennung und Bestätigung dieser Privilegien ist in einer Reihe von Artikeln eines Dokumentes klar formuliert, das vermutlich vom Bakufu erstellt wurde und als „Keichô Okite Gaki“ (Erlasse der Regierung während der Keichô-Ära [1596-1615]) bekannt ist. Das „Keichô Okite Gaki“ ist auf den ersten Monat des Jahres 1614 datiert. Mit den Siegeln von Honda Uenosuke, Itakura Iganomori und Honda Sadanomori versehen, wurde es den Komusô-Tempeln übergeben. Es ist das früheste Dekret der Tokugawa-Regierung an die Fuke-Shû und wurde vermutlich von dem großen Shôgun Tokugawa Ieyasu selbst geschrieben. Die Echtheit dieses Dekretes wurde fragwürdig, als Arai Hakuseki (1657-1725) gegen Ende des 17. Jahrhunderts Zweifel daran äußerte. In der Folge hegten mehrere Beamte des Magistrates für Tempel und Schreine ähnliche Befürchtungen. In jüngerer Vergangenheit veröffentlichten Kurihara Kôta im „Shakuhachi Shikô“ (1918, dem ersten umfassenden Geschichtswerk über die Shakuhachi) und Mikami Sanji Untersuchungen, die zu der Schlussfolgerung kommen, daß das „Keichô Okite Gaki“ nicht 1614 geschrieben wurde, sondern ein Fälschung aus den Jahren um 1680 ist. Von den vielen Ungereimtheiten dieses Dokumentes sollen hier nur einige angeführt werden. Erstens gibt es in den Dokumenten aus der Edo-Zeit keine Aufzeichnungen über die Übergabe dieses Dekretes. Es scheint sogar, daß die Fuke-Shû im Gegensatz dazu dem Bakufu eine Kopie des Originals übergeben hat. Bei Nachfragen nach dem Original des Dekretes (mit dem offizielle Siegel des Bakufu) antwortete die Fuke-Shû, daß es bei einem Tempelbrand verloren gegangen ist. Darüberhinaus gibt es zahlreiche Kopien dieses Dekretes, und jede weicht geringfügig von der anderen ab. Die verschiedenen Fassungen (alle sind mit der Hand geschrieben) beinhalten unterschiedlich viele Artikel – es gibt Kopien mit nur acht und solche mit bis zu einundzwanzig. Diese Tatsache allein weckt bereits den Zweifel an der Wahrheit des Dekretes, doch Nakatsuka unternahm in seinem Werk „Shakuhachi Shikan“ noch genauere Untersuchungen, die sich auf die Vermutungen von Kurihara und Mikami stützten. Nakatsuka teilte die verschiedenen Kopien des „Keichô Okite Gaki“ in zwei Gruppen ein; eine mit vergleichsweise wenigen und eine mit zahlreichen Artikeln. Da jeder dieser Artikel ein bestimmtes Privileg der Fuke-Shû erwähnt, ist es naheliegend, daß die Kopien mit wenigen Artikeln zu Gunsten des Bakufu und jene mit vielen zu Gunsten der Fuke-Shû ausfallen. Manche Artikel bestätigen die Fuke-Shû als eine Organisation zur Beherbergung herrenloser Samurai, um die Anzahl der Komusô zu begrenzen und sie überwachen zu können unter der Bedingung, daß sie als Spione für das Bakufu arbeiten, und andere Artikel, die zum Vorteil des Bakufu ausfallen. Es gab nicht einmal eine Klausel, die denjenigen das Spielen der Shakuhachi verbat, die keine Komusô waren. Andererseits bevorteilen jene Kopien mit vielen Artikeln die Fuke-Sekte eindeutig: die Shakuhachi war das ausschließliche Eigentum der Komusô, nur diese durften den Tengai tragen, um ihre Identität zu verbergen, sie konnten nicht nur frei durch das Land reisen, sondern hatten auch freie Überfahrt auf Schiffen und kostenlosen Zutritt zu Veranstaltungen, sie waren der örtlichen Gerichtsbarkeit enthoben, etc. Als die Anzahl der Artikel zunahm, die die Komusô begünstigen, verschwanden die Bestimmungen, die die Komusô zu Spionen im Dienste der Obrigkeit verpflichteten. Die Tatsache, daß verschiedene Dekrete existieren, deutet auf einen Machtkampf zwischen der Fuke-Shû und dem Bakufu hin. Diese Dekrete sind also nicht das Ergebnis einer Zusammenarbeit beider Parteien; es scheint eher, als hätte sich die Sekte ein Dekret erdacht und der Regierung übermittelt, die ihr stillschweigendes Einverständnis dazu gab und dabei in einem separaten Dokument Anweisungen hinzufügte, die die Privilegien der Schule beschränkten. Die Folge ist also nicht konsequenterweise, daß die Dekrete mit zahlreichen Artikeln zu einer Zeit übermittelt wurden, als die Sekte mächtig und einflussreich war, und umgekehrt. Diese Dekrete waren eher eine Art Protest der Fuke-Shû nach Razzien des Bakufu. Nakatsuka Theorie über das Entstehen der Fuke-Sekte Wie also ist die Fuke-Shû entstanden, und wie hat sie sich entwickelt? Wieder müssen wir uns auf die Nachforschungen Nakatsuka verlassen. Unglücklicherweise wurde Nakatsuka krank und starb, bevor er die Untersuchungen abschließen konnte, die er in dem Buch „Kinko Ryû Shakuhachi“ begann, und so fehlt die abschließende Interpretation. Beim Zusammensetzen der einzelnen Informationen ist es jedoch möglich, die Schlussfolgerungen vorweg zu nehmen, auf die er gezielt hat, obwohl manchmal der Zusammenhang fehlt. Im Folgenden seien Nakatsuka Theorien über die Fuke-Shû kurz skizziert. Während des Mittelalters haben sich Figuren wie Ikkyû und Rôan, zusammen mit Furyû, Landstreichern und exzentrischen Einsiedlern, der Shakuhachi und ihrem Klang als Werkzeug des Zen gewidmet. Nach der Zeit der großen Bürgerkriege (15.16. Jahrhundert) haben sich Rônin, herrenlose Samurai, den Rang von Komosô angemaßt. Tokugawa Ieyasus Sieg bei Sekigahara und die folgende Niederlage des Shôguns Toyotomi Hideyori (1615) aus Osaka führten zwar zur Edo-Zeit, hinterliess aber auch eine gefährliche Anzahl Rônin, der sich die neu errichtete Regierung annehmen musste. Die Tokugawa-Regierung verschärfte die Kontrollen über diese Rônin, die sich 1637 eines von Christen und Rebellen angezettelten Aufstandes auf der Insel Shimabara anschlossen und damit zu einem Problem für die Regierung wurden. Die Tokugawa erhöhten die Wachsamkeit über die Rônin, gingen scharf gegen die Christen vor und weiteten ihre Autorität auf die buddhistischen Institutionen aus. Als Folge dieser Bedrohung vereinigten sich die Komusô und gründeten eine Schule, um sich zu schützen. Wie bereits erwähnt gab es schon im späten Mittelalter eine Verbindung des chinesischen Zen-Meisters P’u Hua (Fuke) aus der T’ang-Dynastie mit der Shakuhachi, doch es scheint, daß sich der Name „Komosô“ um die Zeit der KeichôÄra (1596-1615) in „Komusô“ änderte. Es ist wahrscheinlich, daß der Zen-Mönch Ikkyû aus dem 14. Jahrhundert die Verbindung zwischen der Shakuhachi und Fuke schuf (er war von beiden angetan und schrieb Gedichte über sie). Rôan war möglicherweise der erste Mönch, der bettelnd und die Shakuhachi spielend durch das Land pilgerte. Unter den heimatlosen, von Ort zu Ort umherziehenden Komosô entstand ein Gefühl von Kameradschaft, sie schlossen sich zu einer Gruppe zusammen. Die späteren Rônin, die den Rang von Komosô beanspruchten, nutzten diese Umstände geschickt aus, um die Fuke-Sekte zu gründen. Die Änderung des Namens von dem schmählichen „Komosô“ (Strohmattenmönche) in „Komusô“ (Mönche der Leere und des Nichts) mit dem Anklang an Zen, das Spielen der Shakuhachi als Suizen, das Verändern des Instrumentes von der leichten Hitoyogiri zur schweren Fuke-Shakuhachi mit dem Wurzelende des Bambus (auch zum Zweck der Selbstverteidigung) und andere Neuerungen bewirkten die Gründung und Entwicklung der Fuke-Shû. Die Schule entwickelte sich jedoch nicht auf Grund einer religiösen oder musikalischen Idee, sondern aus politischer Notwendigkeit. Um sich wirklich als religiöse Schule bezeichnen zu können war es notwendig, im Besitz eines Tempels zu sein, der als Hauptquartier fungierte. Dazu wurde die Komusô-Unterkunft in Shirakawa auserwählt und Myôan-ji genannt. Wegen der Verbreitung des Christentums und auf Grund anderer Probleme verbot jedoch das Bakufu das Errichten neuer Tempel. Deshalb war es für Myôan-ji notwendig, eine Verbindung mit einem älteren, bekannten Tempel zu schaffen. Es gelang, Myôan-ji zum Nebentempel von Kôkoku-ji zu machen, was auch von der Regierung anerkannt wurde. Um diese Beziehung historisch zu belegen und der Fuke-Sekte den nötigen Respekt zu verschaffen, wurde die Legende des „Kyotaku Denki“ als eine raison d’être aufgeboten. Darüberhinaus wurde das „Keichô Okite Gaki“ geschrieben, um den politischen Standpunkt der Schule klarzustellen und sich mit der langen Liste von Privilegien verteidigen zu können. Vom allmächtigen Tokugawa Ieyasu selbst geschrieben, konnte es durch das Bakufu nicht angezweifelt werden. Die Probleme, die sich bei der Frage nach dem Original des Dokumentes ergaben, wurden durch die Behauptung, es sei bei einem Tempelfeuer zerstört worden, gelöst. Natürlich stellte das Bakufu die Legitimität dieses Dekretes in Frage, erkannte aber auch die Chance, diese Situation zu ihrem Vorteil auszunützen. Wenn es sich dieser Legion von Rônin nicht annahm (die möglicherweise mächtig Feinde werden könnten), würde es immer schwieriger werden abzuschätzen, wo und in welcher Form diese wieder in Erscheinung treten würden. Deshalb entschied sich das Bakufu dazu, die Fuke-Shû anzuerkennen und sie für die eigenen Zwecke zu benutzen. Das erste „Keichô Okite Gaki“-Dekret war das Ergebnis dieses Handels zwischen dem Bakufu und der FukeShû. Es fiel nicht ganz zu Gunsten der Schule aus, doch die Tatsache, daß das Bakufu nicht mit einem strengeren Dekret reagierte und die Forderungen nach speziellen Privilegien akzeptierte, zeigt die List der Rônin. Neben der Frage der Privilegien forderte das Bakufu die Fuke-Shû auf, ihr Hauptquartier von Kyoto nach Edo zu verlegen, weil es dort einfacher war, die Rônin zu überwachen und als Geheimpolizei anzustellen. Als Folge davon wurden die Tempel Ichigetsu-ji in Shimôsa Kogane und Reihô-ji im Westen von Edo zu Haupttempeln und beide Tempel eröffneten Niederlassungen im Zentrum von Edo. Es ist nicht geklärt, warum es zwei Haupttempel gab, möglicherweise aber, weil sich die Komusô in verschiedene Gruppen gliederten. Von diesem Zeitpunkt an konnte das Bakufu durch Erlasse und Nachforschungen die Kontrolle über die beiden Tempel und alle Komusô behaupten. Der erste dieser Erlasse erging 1677 und wird als die endgültige Bestätigung der Existenz der FukeShû durch das Bakufu betrachtet. Komosô-Schulen und Komusô-Tempel Im Kôkoku-ji untersuchte Nakatsuke das „Boro no Techô“. Der unbekannte Verfasser war Boro (ein Synonym für Komusô), der die Entwicklung der Komusô darlegt. Der Text ist auf das Jahr 1628 datiert, endet mit dem Satz: „Meister Fuke war der Gründer der Komusô, die sich in 16 Sekten gliedern“ und zählt diese dann auf: Yôtaku, Gibun, Shirin, Impa, Yûnan, Nogi, Chigo, Kogiku, Kinsen, Kassô, Umeji, Kichiku, Nezasa, Fuchi, Tanjaku und Sôwa. Als die Fuke-Shû gegründet wurde, gab es auch 16 Untergruppen, deshalb ist es naheliegend, daß diese von den KomusôSchulen abstammen. Anfangs gab es etwa 120 Fuke-Tempel, doch sind keine Dokumente über deren Namen erhalten. Die frühen Fuke-Tempel waren im Grunde nicht mehr als über das Land verstreute Unterkünfte für die wandernden Mönche. Nach der offiziellen Bestätigung der Fuke-Shû nahm die Zahl der Tempel ab, nicht etwa aufgrund der schwindenden Größe der Schule, sondern hauptsächlich, weil einige dieser Unterkünfte aufgelassen wurden. Zuvor rekrutierten sich die Komosô aus wandernden Bettlern, umherziehenden Musikern und allgemeinem Pöbel, doch nach der Gründung der Fuke-Shû und der Einführung einer strengen Disziplin wurde die Mitgliedschaft exklusiv und war den Samurai vorbehalten. Alle, die diesem Stand nicht angehörten, wurden abgewiesen. Das „Kyotaku Denki Kokuji Kai“ führt sechs Schulen und 55 Tempel an. Eine Schriftrolle (datiert 1763) im Besitz des Myôan-ji zählt 11 Schulen und 72 Tempel auf, während das „Kinko Techô“ von Kurosawa Kinko (1710-1771) 64 nennt. Nakatsuka Chikuzen trug alle Informationen zu den Komusô-Tempeln zusammen. Er kommt auf die Zahl von 77 Tempeln, die er nach den Namen der Schulen auf der Schriftrolle aus dem Myôan-ji gruppierte. Diese Liste enthält alle Tempel, die je existierten, aber nicht notwendigerweise gleichzeitig. Ein Auszug dieser Liste mit Namen und Orte der Tempel und ihrer Zugehörigkeit zu den Schulen sei hier angefügt: Kinsen-Schule, 10 Tempel Kinryûzan Ichigetsu-ji – Kogane, Shimôsa no Kuni (Präfektur Chiba) Seibokuzan Saikô-ji – Kanagawa, Musashino no Kuni (Präfektur Kanagawa) Reitakuzan Fudai-ji – Hamamatsu, Tôtômi no Kuni (Präfektur Shizuoka) Daigenzan Kôgetsu-ji – Yanagawa, Chikugo no Kuni (Kyushu) Kinsen-Schule (Saikôji angegliedert), 6 Tempel Hôkeizan Kannen-ji – Shimôsa no Kuni (Präfektur Chiba) Ryûkeizan Tôshô-ji – Meguro, Musashino no Kuni (Tokyo) Kassô-Schule, 8 Tempel Kakureizan Reihô-ji – Ôme, Musashino no Kuni (Tokyo) Taikôzan Anraku-ji – Musashino no Kuni (Tokyo) Raikizan Myôan-ji – Kai no Kuni (Präfektur Yamanashi) Kassô-Schule, (Anrakuji angegliedert), 3 Tempel Kudokuzan Ryûgen-ji – Oihira, Izu no Kuni (Präfektur Shizuoka) Kyochiku-Schule, 4 Tempel Kyoreizan Myôan-ji – Yamashino no Kuni (Kyoto) Itchôken – Hakata, Chikuzen no Kuni (Kyushu) Kichiku-Schule, 4 Tempel Shûhôzan Myôan-ji – Nakanohara, Echigo no Kuni (Präfektur Niigata) Kogiku-Schule, 6 Tempel Shingetsu-ji – Hitachi no Kuni (Präfektur Ibaraki) Kozasa-Schule, 1 Tempel Rikôzan Reihô-ji – Kôzuke no Kuni (Präfektur Gumma) Umeji-Schule, 14 Tempel Kongôzan Jijô-ji – Takazaki, Kôzue no Kuni (Präfektur Gumma) Jôshû Mito, 8 Tempel Kôyasan Eirin-ji – Hitachi no Kuni (Präfektur Ibaraki) Ôshu Dewa, 11 Tempel Futaiken – Masuda, Mutsu no Kuni (Sendai, Präfektur Miyagi) Chikurinzan Shôganken – Hanamaki, Mutsu no Kuni (Präfektur Iwate) Kogikuzan Renpôken – Fukushima, Mutsu no Kuni (Präfektur Fukushima) Garyôken – Yamagata, Dewa no Kuni (Präfektur Yamagata). Das Suizen der Fuke-Shû Lebensweise und Musik der Komusô Nach der Bestätigung durch das Bakufu wurde in der Fuke-Shû ein Kodex von Regeln errichtet, der auf den Anweisungen der Regierung basiert. Die erste dieser Anweisungen ist auf das Jahr 1677 datiert und bezieht sich auf drei Punkte: die Auswahl der Äbte für die Haupt- und Nebentempel, die Auswahl der Bewerber (Überprüfung der schriftlichen Unterlagen jener, die Komusô werden wollten) und der Umgang mit Verbrechen und Regelübertritten innerhalb der Schule. Diese Verordnungen waren der Ausgangspunkt aller Regeln und Bestimmungen. Die Voraussetzungen zum Beitritt wurden zwingend. Komusô-Anwärter mussten Samurai sein, einen guten Leumund haben und sich einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Nach dem Bezahlen der nötigen Gebühr hatte der Aspirant am Grabe des Gründers seine Treue zu schwören, bevor ihm die drei Werkzeuge und die drei Siegel des Komusô überreicht wurden. Die drei Werkzeuge waren eine Shakuhachi, der Korbhut (Tengai) und das Kesa, das über dem Kimono getragen wurde. Die drei Siegel waren die drei Ausweise Honsoku, Kai’in und Tsûin. Das Honsoku war die Lizenz des Komusô und deshalb das wichtigste Dokument. Die Erlaubnis zum Beitritt der Sekte wurde „Überreichung des Honsoku“ genannt. Das Kai’in war eine Art Personalausweis und das Tsûin berechtigte dessen Besitzer, frei im Lande umher zu reisen. Die Tempelhierarchie gliederte sich wie folgt: Abt und dessen Stellvertreter, administrativer Leiter, Aufseher (der auf die Disziplin innerhalb der Ränge achtete), Leiter der Zeremonien und sein Stellvertreter und der Komusô selbst. Die Aktivitäten im Tempel waren vom Spielen der Shakuhachi bestimmt. Am Morgen spielte der leitende Mönch „Kakuseirei“, womit der Tag begann. Die Mönche versammelten sich vor dem Altar und spielten das Honkyoku „Chôka“, dann wurde Zazen praktiziert. Während des Tages übten die Mönche auf ihren Instrumenten, trainierten in den Kampfkünsten und gingen auf Takuhatsu. Abends spielten sie das rituelle Stück „Banka“, dann wurde wiederum Zazen praktiziert. Die spirituelle Praxis in der Nacht beinhaltete das Spielen der Stücke „Shin’ya“ und „Reibo“. Jeder Mönch musste an drei Tagen des Monats auf Takuhatsu gehen. Während den Wanderungen durch das Land spielten sie Stücke wie „Tôri“ („Vorbeigehen“), „Kadozuke“ („Strassenecke“) und „Hashigaeshi“ („die Bettelschale zurückgeben“). Wenn sich zwei Komusô auf diesen Wanderungen begegneten war es üblich, die Stücke „Yobi Take“ („fragender Bambus“) und „Uke Take“ („antwortender Bambus“) zu spielen. Wenn sie unterwegs zu einem Tempel kamen und dort verweilen wollten, spielten sie „Hirakimon“ oder „Monbiraki“ („Öffnen des Tores“), um eingelassen zu werden. Praxis und Etikette waren wohl von Tempel zu Tempel unterschiedlich, in den wesentlichen Punkten aber gleich. Stücke für Zeremonien, für Takuhatsu und selbst jene, die die Komusô wohl eher zum Vergnügen spielten waren alle Teil der Suizen genannten Praxis. Das Wort Zazen bezieht sich auf die Konzentrationsübung im Sitzen („Za“). „Sui“ bedeutet, ein Blasinstrument zu spielen. Deshalb war es „geblasenes Zen“. Das Suizen der Komusô stand der weltlichen Musik nahe. Es gab Stücke, die von ihr beeinflusst sind und mit Spielanweisungen versehen wurden, um die Verbindung zum Zen plausibel zu machen. Als Instrument ist die Shakuhachi gut geeignet für die Zen-Praxis. Die lange ausgehaltenen Töne erfordern die unausgesetzte Konzentration von Geist und Atem. Das Instrument ist weder zu laut noch zu leise – vollkommen für jene, die den Weg der Mitte praktizieren. Die leisen Töne sind reich an Klangfarben, sie beruhigen und können bis ins Kleinste gestaltet werden. Jeder Spieler hat einen anderen Ton, der die feinen Unterschiede im Charakter des Spielers zeigt. Dieses einfache Instrument lässt Töne entstehen, die den Menschen unmittelbar ansprechen. Das Spielen der Shakuhachi fördert Introspektion und Konzentration und ist eine spirituelle Disziplin. Es ist nicht überraschend, daß Suizen durch die Shakuhachi entstanden ist. Auch wenn die Fuke-Shû in mancher Hinsicht fragwürdig ist und sich zwielichtige Gestalten in ihren Reihen versammelten, basierten Lebensweise und Praxis der Komusô auf dem aufrichtigen und ernsthaften Bestreben, die Erweckung zu verwirklichen. Der Gedanke des Suizen steckte mit den Komosô noch in den Kinderschuhen und wurde mit der Gründung der Fuke-Shû verwirklicht. Die Stücke, die die Komusô spielten, werden Honkyoku genannt, sie sind aus diesem Zen-Geist entstanden und verwirklichen sich in Suizen. Da Honkyoku im wesentlichen Solostücke sind, werden Rhythmus, Phrasierung und musikalische Gestaltung von jedem Spieler anders gehandhabt. Das Verständnis des einzelnen Spielers und der unterschiedlichen Schulen wird durch die Praxis des Suizen vertieft. Selbst in der Gegenwart sprechen Spieler von Honkyoku davon, daß diese Stücke von jedem anders gespielt werden. Auch wenn diese Argumentation manchmal als Entschuldigung für fahrlässiges Spielen herhalten muss, zeigt sich darin auch der Zen-Weg. Mit der Neuorganisation der täglichen Praxis der Komusô änderte sich auch die Moral. Das dubiose Image der Mönche verschwand. Im „Kiyûshôran“ (1830) kann man folgendes lesen: „Das Gewand der Komusô hat sich geändert und unterscheidet sich jetzt sehr von früher. Etwa zur Zeit der Jôô-Ära und der Meireki-Ära (um 1650) trugen sie den Yarô-Schnitt (eine Frisur, bei der der obere Teil des Kopfes glattrasiert wird) mit zerzaustem Haar und den üblichen Korbhut zu einem einfachen Kimono. Mit Beginn der Genroku-Ära (1688-1703) trugen sie das Kesa und einen Korbhut, der unten weiter geöffnet war. Ab der Kan’en-Ära (1748-1750) sehen die Kimono aus wie heute (1830), dazu werden genähte Brokatbänder um die Hüfte getragen. Der Boden des Korbhutes hatte eine weite Öffnung und ein kleines Fenster. Seit der Meiwa-Ära (1764-1771) trugen sie eine brokatene Hülle für die Flöte an der Hüfte, engere Korbhüte und sahen wie Dandys aus.“ Der tiefe Korbhut (Tengai), der den Kopf bedeckte und so die Identität des Spielers verbarg, wurde von den Komusô später nicht mehr lange getragen. Anfänge des Ensemblespiels Trotz dem Monopol der Fuke-Shû wurde das Instrument während der Edo-Zeit auch von Laien gespielt, und zwar im Ensemble mit Koto und Shamisen. Obwohl das den Regeln der Schule widersprach, wurde es bis zu einem gewissen Maß toleriert. Im „Honsoku Deshihe Môshi Watashi Jô“ (Dekret für aufrichtige Schüler), 1694 vom Tempel Myôan-ji herausgegeben, wird bereits zwischen „direkten Schülern von Myôan-ji“ und „Schülern, die in der Stadt leben“ unterschieden, was darauf hindeutet, daß es bereits Lehranstalten gab, die auch Lizenzen verliehen. Dieses Dekret verbietet ausdrücklich das Spielen „liderlicher Stücke“ (bekannter und beliebter Stücke) sowie das Zusammenspiel mit Koto und Shamisen. Dieses Verbot lässt darauf schließen, daß das Ensemblespiel möglicherweise bereits weit verbreitet war. In der Klausel, die das Verleihen von Lizenzen an Städter und Bauern verbietet und das in den „Einunddreissig Geboten“ von Myôan-ji enthalten ist, findet sich auch folgendes: „Für die gegenwärtige Zeit ist es von Bedeutung, daß eine Verbindung zwischen Bauern, Städtern und diesem Tempel geschaffen wird, so lange dies nicht aus Gier erfolgt.“ Dieser Abschnitt ist insofern bezeichnend, als er darauf Bezug nimmt, daß die Komusô-Tempel gewillt waren, Laien im Spiel der Shakuhachi zu unterrichten, selbstverständlich gegen Gebühr. Eine Bestätigung, daß die Praxis des Laienunterrichts institutionalisiert wurde, kann man im Verleihen von Lizenzen (Suichiku) durch den Tempel Reihô-ji in Edo erkennen. Da Komusô-Lizenzen nicht für Laien ausgestellt werden konnten, wurde entschieden, diesen stattdessen einen professionellen Namen (Suichiku-Me) zu verleihen. Im Wesentlichen entsprachen diese den Lizenzen der Komusô (Honsoku) und verhalfen den Tempeln zu einer Einkommensquelle, so wie heute das Übertragen professioneller Namen auf Spieler der traditionellen japanischen Musik das Haupteinkommen des auf den Iemoto ausgerichteten Zunft-Systems ausmacht. 1759 ordnete das Bakufu eine Untersuchung über die Praxis von Reihô-ji an, professionelle Namen an Laien zu verleihen, doch der Tempel reagierte darauf mit dem Argument, daß diese Namen, wie das auch bei den Dichtern von Haiku ist, relativ zu sehen sind. Nur Reihô-ji verlieh diese Namen, der andere Tempel in Edo, Ichigetsu-ji, nicht. In harscher Kritik dieser Inkonsequenz erließ das Bakufu eine strenge Anweisung. Es ist nicht bekannt, ob diese Anweisung ernst genommen wurde oder nicht, aber der zunehmende Laienunterricht bereitete den Weg für die späteren Fuki Awase Shô, Studios, in welchen die Shakuhachi öffentlich unterrichtet wurde. Im „Gayû Manroku“ (1755) steht folgendes abfällige Urteil über das Ensemblespiel aus dieser Zeit: „Heute gibt es soetwas langes und dickes, das Shakuhachi genannt wird. Sie wird zum Zusammenspiel mit dem Sangen verwendet und kann auch tiefe Töne hervorbringen. Was deren Ton betrifft, ist er sehr vulgär.“ Das als „Utakeizu“ bekannte Bild (1782) zeigt ein Ensemble, bestehend aus Koto, Shamisen und Shakuhachi auf der Bühne. 1792 beantworteten die Tempel Reihô-ji und Ichigetsu-ji eine Anfrage des Bakufu. Es ging offenbar darum, ob es rechtens sei, daß in den befragten Tempeln Shamisen und Kokyû (mit dem Bogen gestrichene Laute) unterrichtet werden. Die Antwort war diplomatisch formuliert: „Das sollte eigentlich nicht so sein, aber offenbar hat es den Anschein, daß jene, die dies nicht verstehen, privat unterrichten; doch so lange wir nicht unmittelbar davon hören, können wir nichts dagegen tun.“ In einer anderen Anfrage des Bakufu aus dem Jahr 1847, ob denn das Unterrichten der „populären“ Shakuhachi und des Shamisen an Laien die spirituelle Praxis im Tempel nicht störe, begann die Antwort mit den Worten: „Wir sind zutiefst betrübt über den Kummer, den wir verursachen ...“ Öffentliche Shakuhachi-Studios und der Beginn des Kinko-Stils Unter den Komusô gab es mehrere, herausragende Spieler, die mit dem Unterrichten der jüngeren Schüler beauftragt wurden. Dieser Unterricht wurde Fuki Awase genannt, Zusammenspiel. Zuerst fand er nur in Tempeln statt, doch als die Einschränkungen der Fuke-Shû gelockert wurden und die Zahl der Laienspieler zunahm, entstanden in den Städten öffentliche Studios (Fuki Awase Shô). Ein erneuter Blick auf eine der Antworten der Fuke-Shû auf eine Anfrage des Bakufu (von 1792) zeigt, wie weit diese Praxis verbreitet war. Es werden 19 Namen von Personen aufgelistet, „die in der Stadt (Edo) leben und die Shakuhachi unterrichten.“ Zu diesen gehört auch Kurosawa Kôhachi (Sohn von Kurosawa Kinko, dem Begründer des Kinko-Stils), der bei sich zu Hause und an zwei anderen Orten unterrichtete, und Kôhachis Sohn, Masajûro (dritte Generation), der sein eigenes Studio hatte. Die Situation war in Osaka und Kyoto ähnlich. 1852 sandte Myôan-ji eine Mitteilung an seine Zweigstellen (Kenbun Yaku) in der Provinz, deren Aufgabe es war, für Ordnung innerhalb der Hierarchie der Sekte zu sorgen. Der Inhalt dieser Mitteilung zeigt, daß diese Kenbun Yaku ebenfalls Fuke Awase Shô unterhielten. In dieser Mitteilung wurde gewarnt, „nicht zu vergessen, daß diese Fuke Awase Shô eine Erweiterung des Tempels darstellen. Stücke, die außerhalb der Überlieferung der Schule sind, werden nicht unterrichtet. Diese Fuke Awase Shô-Studios sollten weder Shinanjo noch Keikoba genannt werden (diese Begriffe zeigen an, daß es sich um Studios zum Unterricht von Koto oder Shamisen handelt).“ Die Verbreitung der Fuke Awase-Studios, die Verleihung professioneller Namen an Laien und die Tatsache, daß die Shakuhachi im Ensemblespiel mit Koto und Shamisen mehr und mehr Beachtung fand deuten darauf hin, daß sich die Shakuhachi zunehmend zu einem Musikinstrument entwickelte, obwohl sie immer noch exklusiv der Fuke-Sekte vorbehalten war. Selbstverständlich hatte diese Entwicklung auch einen Einfluß auf die Musik der Fuke-Shakuhachi. Einer der ersten Komusô, der sich um den musikalischen Aspekt Honkyoku bemühte, war Kurosawa Kinko (1710-1770). Kinko wurde in eine Samurai-Familie in Kuroda, Kyûshû, geboren. Nach seinem Eintritt in die Fuke-Sekte wurde ihm die Verantwortung für den Shakuhachi-Unterricht in den beiden Tempeln der Sekte in Edo übertragen. Er versenkte sich in die Praxis des Shakuhachi-Spiels und sammelte auf seinen Wanderungen durch das Land Honkyoku von verschiedenen Tempeln. Kinko zeichnete etwa 30 dieser Stücke auf und fügte die „Drei Traditionellen Stücke“ hinzu, so daß er auf eine Sammlung von 33 Honkyoku kam. Obwohl manche Quellen nahelegen, daß Kurosawas Sohn dieser Sammlung noch drei Stücke anfügte, bilden diese 33 Honkyoku das bis heute verbindliche Repertoire der Sammlung der Honkyoku der Kinko-Schule. Kurosawa Kinko wird auch nachgesagt, das Instrument selbst verbessert zu haben, wodurch die moderne Shakuhachi entstand. Die Verwendung von Kinkos Namen, um dessen Stil zu beschreiben, war bis zur zweiten Generation nach ihm noch nicht üblich. Während seiner Zeit war eine solche Bezeichnung nicht notwendig, da es noch keine anderen Stile gab. Doch während der Zeit von Kinko II, einem seiner besten Schüler, etablierte Miyaji Ikkan seinen eigenen Stil, der Ikkan-Stil genannt wurde. Um diese beiden Stile unterscheiden zu können, begann man, den Namen „Kinko-Stil“ zu benutzen. Dieser Kinko-Stil wurde vom Vater auf den Sohn bis in die dritte Generation übertragen, deren beide Schüler dann wie erwähnt ihr eigenes Fuki Awase Shô hatten. Das Ende der Fuke-Sekte Missbrauch und Verlust der Privilegien Um sich des Schutzes und der Gönnerschaft des Bakufu zu versichern, war es unbedingt erforderlich, das eigene Haus in Ordnung zu halten. Aus diesem Grund waren die Fuke-Shû und deren Komusô während der ersten 80 Jahre ihrer Existenz (bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts) gut organisiert und stellten innerhalb der Gesellschaft wohl kaum ein Problem dar. Trotzdem bestand stets die Gefahr des Missbrauches der Privilegien. Die Tatsache, daß professionelle Namen an Laien vergeben wurden zeigt, daß die Disziplin innerhalb der Fuke-Shû nach und nach aufgeweicht wurde. Der Verkauf von Namen war jedoch institutionalisiert, wurde kontrolliert und bedeutete damit noch eine Form von Ordnung und Disziplin. Die Regel, die jedermann außer den echten Samurai von der Mitgliedschaft der FukeShû ausschloss, wurde mehr und mehr umgangen, und schließlich konnte sich jeder – ob Städter, Bauer, etc. – der nur genügend Geld bezahlte, den Eintritt in die Schule erkaufen. Dies führte zur weiteren Auflösung der Ordnung innerhalb der Schule. Bald waren darunter auch „Mönche“, die sich der Fuke-Shû lediglich angeschlossen haben, um in den Genuss der speziellen Privilegien zu kommen und dadurch um Geld betteln zu können. Wie schon weiter oben ausgeführt, gab es Kenbun Yaku oder besondere Komusô, deren Aufgabe es war, für Ordnung innerhalb der Hierarchie der Sekte zu sorgen, doch selbst diese mussten schließlich vor den zunehmenden Missbräuchen und Fälschungen der Privilegien kapitulieren. In einer Beziehung war der Niedergang der Fuke-Shû in dieser Zeit jedoch unvermeidlich. Die Stimmung in der Bevölkerung war bestimmt von einer Atmosphäre der Missachtung und Laxheit gegenüber öffentlichen Verordnungen. Mehr als hundert Jahre Frieden im totalitären System des Tokugawa-Clans führten zur Stagnation. Die Kraft und Energie, von der die Menschen in der frühen Edo-Zeit durchdrungen waren, wandelte sich in korrupte Eigensucht. Die Veränderungen der Komusô-Kleidung, die weiter oben beschrieben sind, zeigen diesen Wechsel an. Darüber hinaus waren die Komusô als Spione in einer Zeit des Friedens und der Stabilität für das Bakufu nicht länger wichtig. Die Zunahme der Direktiven und Anfragen des Bakufu an die Fuke-Sekte gegen Ende des 18. Jahrhunderts deutet darauf hin, daß die Regierung nicht gewillt war, die Privilegien der Sekte weiter zu tolerieren. Mit der allgemeinen Laxheit der Gesellschaft gegenüber Regeln wurde dem Bakufu der Niedergang der Sitten in der Fuke-Shû ziemlich lästig. Eine Anordnung aus dem Jahr 1774 stellt fest, daß Komusô Bürger waren, die Schrecken verbreiteten und andere erpressten und daß diejenigen unter ihnen, die in illegale Aktivitäten verwickelt waren, gefangen gesetzt werden müssen. Das Erscheinen des „Kyotaku Denki Kokuji Kai“ zu dieser Zeit (1795) ist ein Versuch, die Fuke-Shû zu reformieren. Das „Keichô Okite Gaki“, das so viele der Privilegien der Schule aufzählt, stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Viel später, in einem Bericht aus dem Jahr 1841 an den Rat des Bakufu für Tempel und Schreine verteidigt sich die Fuke-Shû verzweifelt, doch war es bereits zu spät, um damit den Untergang noch verhindern zu können. Schließlich kam 1847 ein Erlass des Bakufu in Umlauf, der der Fuke-Shû kategorisch alle Vergünstigungen verweigerte. Nach außen hin wurde damit die Erpressung (mit den Mitteln der „Bettelei“) verboten, die unter den Komusô verbreitet war. Zugleich wurde aber auch festgehalten, daß die Fuke-Shû ein Zweig des Rinzai-Zen ist und damit die hohen Ideale des Zen aufrecht erhalten solle, was im Widerspruch zu der Tatsache steht, daß sie Rônin Unterschlupf gewährte. Außerdem wurde noch betont, daß die Bettelgänge in Demut unternommen werden sollen, wie es auch bei anderen religiösen Schulen der Fall war. Dieser Erlass kündigte alle Privilegien, die im „Keichô Okite Gaki“ aufgezählt sind, und als Folge davon schwanden Einfluß und Prestige der Schule schnell dahin. Der Schock, den dieser Erlass innerhalb der Fuke-Shû auslöste, kann nicht unterschätzt werden. Auf der Schriftrolle aus dem Myôan-ji steht ein Memorandum an die Komusô, in dem diesen Selbstkontrolle auferlegt wurde – eine Forderung, die zweifellos auf den Erlass des Bakufu zurückgeht. Trotz dieses Versuches der Selbstkontrolle und Erneuerung fand die Fuke-Shû nie wieder zu ihrer alten Stärke zurück. Sie führte ein Schattendasein bis zur Meiji-Restauration, die weder die Tokugawa-Regierung noch die Fuke-Shû überlebten. Die Shakuhachi in der späten Edo-Zeit Das Entstehen individueller Schulen Obwohl die Fuke-Shû bereits in den letzten Atemzügen lag, erfreute sich die Shakuhachi als Musikinstrument zunehmender Beliebtheit. Die Komusô-Tempel bildeten vortreffliche Spieler aus, durch die im ganzen Land neue Stilrichtungen entstanden. Der Kinko-Stil ist darunter der bemerkenswerteste. Wie schon weiter oben ausgeführt, wurde die Tradition der Kinko-Schule über drei Generationen innerhalb der Familie weitergegeben. Kinko III (1772-1816) hatte keinen Sohn, und so wurde dessen jüngerer Bruder das Haupt der Linie. Dieser jedoch – ungeschickt im Spiel und unfähig in seinem Amt als Oberhaupt – gab das Spielen auf und beendete damit die Linie der Familie. Hisamatsu Fuyô, Schüler von Kinko III, wurde Nachfolger als Iemoto und übernahm die Organisation des Unterrichtes. Hisamatsu, ein Samurai, der dem Bakufu diente, schrieb ein aufschlussreiches Werk über die Shakuhachi, das „Hitori Mondô“ (Selbstgespräch). Dieser Text handelt vom Spielen der Shakuhachi als einer Disziplin des Zen, doch im Gegensatz zur Fuke-Shû, die die Shakuhachi als „Dharmawerkzeug“ (Hôgi) betrachtet, legt Hisamatsu die Betonung auf die Shakuhachi als Musikinstrument (Gakki). Der künstlerische Aspekt des Kinko-Stils nach der Meiji-Restauration basiert auf der Philosophie Hisamatsus. Nach dessen Tod übernahmen Yoshida Itchô (1812-1881) und Araki Kodô (1832-1908) die Leitung. Diese beiden Männer waren Zeugen der Meiji-Restauration, dem damit zusammenhängenden Verbot der FukeShû und der Verbreitung des Kinko-Stils. Der Ikkan-Stil wurde von Miyagi Ikkan gegründet, einem Schüler von Kurosawa Kinko. Ikkans Nachfolger waren Ikeda Isshi, Yokota Goryû, Yamada Nyodô und Toyoda Kodô, von dem gesagt wurde, „daß er sich auf dem Instrument ausgezeichnet hat.“ Araki Kodô stand auch mit dieser Linie in Verbindung und lernte die Sankyoku-Stücke von Yokota sowie Honkyoku von Toyoda. Nach Toyodas Tod übernahm Araki den Namen Kodô von seinem Lehrer. Später lernte er auch bei Hisamatsu. Als Folge davon verschmolzen der Kinko- und der Ikkan-Stil wieder miteinander, obwohl es in der Meiji-Ära viele Anhänger des Ikkan-Stiles gab. Kinko- und Ikkan-Stil waren die beiden wichtigsten Stilrichtungen der späten EdoZeit. Die meisten Spieler waren aber keine Komusô, sondern hochrangige Samurai, die sich in den Disziplinen der Komusô übten. In beiden Schulen wurden EnsembleStücke gespielt, hauptsächlich aus dem Repertoire des Nagauta. Erst mit Araki verbreitete sich das Zusammenspiel der Shakuhachi mit Koto und Shamisen im Sankyoku-Ensemble. In Kansai-Gebiet, der Gegend um Kyoto und Osaka blieb Myôan-ji das Zentrum des Shakuhachi-Spiels. Im Gegensatz zu Edo entwickelten sich neue Stile dort viel langsamer, und mit Ausnahme der Zeit unmittelbar vor der Meiji-Restauration ist über die Unternehmungen der Shakuhachi-Spieler aus jener Gegend nur wenig bekannt. Neben jenen, die sich auf Honkyoku konzentrierten, gab es vermutlich auch viele, die zusammen mit Koto und Shamisen spielten. Kyoto war das Zentrum der professionellen blinden Musiker, die auf das Singen der Jiuta spezialisiert waren und sich dabei mit dem Shamisen begleiteten. Mit der Entwicklung der Jiuta wurde die Shamisen-Begleitung in musikalischer Hinsicht komplexer und später noch mit Nebenstimmen (Kaede) für Koto und Kokyû versehen. Zeit und Ort waren günstig für eine fruchtbare Auseinandersetzung der Shakuhachi mit den Saiteninstrumenten. Im „Utakeizu“ steht, daß „Yachio Jishi“, ein bekanntes Jiuta-Stück, „ursprünglich ein Shakuhachi-Stück von Masajima Kengyô (?1780) war, das für Kokyû eingerichtet wurde und durch Fujinaga Kengyôs (Lehrer Masajimas) Arrangement für Shamisen populär wurde.“ Es gibt noch andere Stücke für die Saiteninstrumente, deren Namen auch im Repertoire von Honkyoku erscheinen, wie etwa „Tsuru no Sugomori“ oder „Sakae Jishi“, was auf enge Verbindungen zwischen diesen beiden Genres hinweist. In dieser Atmosphäre entwickelte sich der Sôetsu-Stil der Shakuhachi. Dessen Begründer Kondô Sôetsu (1820-1866) wurde in Nagasaki geboren. Als musikalisch begabtes Kind lernte er die Charamela, die Flöte der Straßenhändler, was ihm den Spitznamen „Charamela Sôetsu“ einbrachte. Er wechselte zur Shakuhachi und wurde ein geschickter Spieler. Als Erwachsener ging er nach Kyoto zum Myôan-ji und lernte dort unter Ozaki Shinryû. Sôetsu erreichte einen hohen Rang innerhalb der Tempelhierarchie und ließ sich später in Osaka nieder. Vermutlich lernte er Jiuta- und Koto-Stücke, wurde in die Familie des Jiuta-Meisters Furukawa Kengyô adoptiert und schrieb die Jiuta- und Koto-Stücke auf, um Shakuhachi-Stimmen für sie zu schreiben. Von diesem Moment an stieg die Zahl seiner Schüler. Vor Sôetsu gab es in Osaka einen Shakuhachi-Spieler namens Kachiku, der ebenfalls ein gesuchter Lehrer war. Als Sôetsu die Szene betrat, entschieden sich viele von Kachikus Schülern, bei Sôetsu zu lernen. Kachiku schloss sich ihnen schließlich an, um von Sôetsu zu lernen, der damals schon als unbestrittener Meister des Instrumentes galt. Zu seiner Schule, offiziell „Myôan Sôetsu“ genannt, gehörten Spieler wie Majima Kakuô, Tsukahara Gyokudô und Kida Kakushu, die nach der Meiji-Restauration zu den Eckpfeilern des Shakuhachispiels in Osaka wurden. Die Sôetsu-Schule gibt es heute nicht mehr, doch viele Spieler aus Kansai wurden von diesem Stil beeinflusst. Sôetsus Lehrer, Ozaki Shinryû (1817-1889) war vor der Meiji-Restauration Meister im Myôan-ji. Die Stilrichtung der Shakuhachi, die sich auf die Honkyoku von Myôan-ji konzentrierte, wurde „Myôan Shinpô“ genannt. Da Sôetsu, Meisterschüler dieses Stils, seine Anstrengungen auf das Erlernen der Stücke des Sankyoku-Repertoires konzentrierte, wurde der Shinpô-Stil von Katsuura Seizan (1856-1942) weitergeführt. Seizan, der später Oberhaupt der Myôan-Gesellschaft in Kyoto wurde (der Nachfolgeorganisation der Fuke-Sekte) und bis ins 20. Jahrhundert lebte, wurde „der letzte Komusô“ genannt und war die Autorität in der korrekten Übermittlung der Honkyoku von Myôan-ji. Sein Einfluß auf die gegenwärtigen Shakuhachi-Spieler der Fuke-Honkyoku ist sehr groß. Katsuo Shinryû I (?-1861), mit Ozaki Shinryû nicht verwandt, lernte ebenfalls im Myôan-ji und pflegte eine enge Verbindung mit Sôetsu. Katsuo, der in Kyoto tätig war, entwickelte den Shinryû-Stil, der bis in die Gegenwart innerhalb einer Familie weitergegeben wird. Der letzte Abt des Komusô-Tempels Fudai-ken in Hamamatsu (Präfektur Shizuoka), Umeyama Tamadô, wurde ebenfalls berühmt. Sein Schüler, Kanetomo Seien (18181895) lernte den Sôetsu-Stil unter Tsukuhara Gyokudô. Später zog er nach Nagoya und gründete den Seien-Stil. Sein Schüler Suzuki Kôdô war der Begründer des „Myôan Taizan-Stils“. Andere Teile Japans hatten ebenfalls eigene Traditionen. Hirosaki, im nördlichen Tsugaru-Distrikt, war die Heimat einer einzigartigen Schule, die „Nezasa ha Kimpuryû“ genannt wird. Hôgi, der Gründer von Nezasa, einem der ursprünglich 16 Untergruppen der Fuke-Shû, war angeblich Schüler von Hôfu, einem der vier Schüler von Kakushin. Hôgi war Schüler von Kinpo (Gründer des Ichigetsu-ji) und Kassô (Gründer des Reihô-ji). Die Tempel der Nezasa-Gruppe lagen in der Gegend von Nagano und verbreiteten sich bis in die nordöstlichen Provinzen, doch kamen sie später unter die Gerichtsbarkeit von Reihô-ji in Edo, und der Name „Nezasa“ ging verloren. Im frühen 19. Jahrhundert unterwies Kurihara Kinpû vom Enhô-ji bei Nagano Yoshizaki Hachiyakôdô (?-1835) im Nezasa-Stil. Yoshizaki übermittelte diesen nach Hirosaki, seiner Heimatstadt. Diese Spielweise ist deshalb einzigartig, da sie eine Atemtechnik verwendet, die Komibuki genannt wird, ein kurzes, stoßartiges Ausatmen, das wie eine Art raues Vibrato klingt. Dieser Stil ist beinahe ausgestorben, doch in der Gegend von Tokyo gibt es noch Lehrer, die ihn unterrichten. 5. Die moderne Shakuhachi Das Verbot der Fuke-Shû Verwandlung vom Ritual- zum Musikinstrument Im Oktober des vierten Jahres nach der Meiji-Restauration (1871) wurde die FukeShû von der Regierung offiziell verboten. Die Tempel wurden geschlossen und die Komusô laisiert. Im folgenden Jahr war Takuhatsu verboten und die Praxis der Shakuhachi als Hôki – in anderen Worten die Übermittlung der Fuke-Honkyoku – verschwand beinahe ganz. Im musikalischen Zusammenhang jedoch erfreute sich die Shakuhachi zunehmender Beliebtheit. Es gab umherstreifende ShakuhachiSpieler, Musiker, die Volkslieder begleiteten und viele Komusô, die sich über das Land verstreuten. Das Verbot des Almosenganges mit der Shakuhachi bedeutete für die Komusô ein ernsthaftes Problem, da sie ihren Lebensunterhalt damit verdienten. Der einzige Ausweg, der ihnen blieb, war das Spielen der Shakuhachi als Musikinstrument. Yoshida Itchô und Araki Kôdô aus der Kinko-Schule gelang dies am besten. Indem sie die Shakuhachi gegen Verdächtigungen und Beschuldigungen verteidigten, überzeugten sie die Regierung, das Instrument weiterhin spielen zu dürfen, um es so jedermann zugänglich zu machen, der es zu spielen wünschte. Dies war der Beginn der modernen Shakuhachi. Gegenwärtig gibt es im Wesentlichen zwei Schulen. Die eine, allgemein Myôan genannt, vereinigt diejenigen, die sich auf den Geist von Suizen konzentrieren und die Honkyoku spielen, die von der Fuke-Sekte übermittelt wurden. Die andere Schule, zu der der Kinko- und Tozan-Stil gehören, betont den musikalischen Aspekt im Spiel der Shakuhachi. Die Schulen der Myôan-Tradition Die Shakuhachi-Spieler von Ichigetsu-ji und Reihô-ji führten den Kinko-Stil nach der Meiji-Restauration weiter und entwickelten die musikalischen Möglichkeiten des Instrumentes. Jene, die sich auf Suizen konzentrierten, zog es zum Myôan-ji nach Kyoto. Der Tempel war wie alle Komusô-Tempel aufgelassen, und der letzte Abt, Jishi Sacchi (34. der Linie) kehrte ins weltliche Leben zurück, nannte sich akkurat Kakushin und ging einer anderen Beschäftigung nach. Sein Weggang vom Tempel ließ diejenigen, die sich auf die Praxis des Suizen konzentrierten, führerlos zurück. Sakuhi übergab nach dem Verbot der Fuke-Sekte einige der Kunstgegenstände aus dem Myôan-ji an Jikeirin Wa Shô, Abt des Zenkei’in, einem Nebentempel des Tôfuku-ji in Kyoto. Diese Kunstgegenstände waren u.a. die Statue von Kyochiku (Begründer der Fuke-Sekte) und Steintafeln zur Erinnerung an die Äbte und ranghöchsten Mönche. Diejenigen Spieler, die sich zur Praxis des Suizen hingezogen fühlten, folgten den Kunstwerken und traten in den Zankei’in ein. 1881 wurde dank der gemeinsamen Anstrengung mehrerer buddhistischer Schulen das Verbot von Takuhatsu nach 10 Jahren aufgehoben. Das liess die Hoffnung aufkommen, daß die Tradition der Komusô wieder aufleben könne. Zur dieser Zeit verwüstete ein Feuer den Tôfuku-ji, worauf eine große Hilfsaktion ins Leben gerufen wurde, um den niedergebrannten Tempel neu aufzubauen. Die Komusô, die daran dachten, sich durch Bettelgänge an dieser Hilfsaktion zu beteiligen, baten die Regierung um Erlaubnis. Diese wurde ihnen 1883 erteilt, worauf im Zenkei’in die Myôan-Gesellschaft gegründet wurde, mit Kyoko Michitaka (dem Verantwortlichen für den Wiederaufbau des Tôfuku-ji) als Präsident und Katsuura Seizan als dem Leiter des Kyoto-Zweiges. Der gegenwärtige Myôan-ji erwuchs aus dieser MyôanGesellschaft. In der Folge gründete Kôkoku-ji 1888 die Fuke-Gesellschaft. Später folgten der Kokutai-ji mit der Myô-On-Gesellschaft und Myôkô-ji mit der Hottô-Gesellschaft. Mehrere der früheren Komusô-Tempel im ganzen Land bewahrten oder erneuerten die Komusô-Tradition des Suizen. Diese Gesellschaften handelten als eine Gemeinschaft und entschieden über Kleiderordnung, die Vergabe von Lizenzen und Ausweisen (wie die drei Siegel der Fuke-Shû), errichteten ein Reglement und Stundenpläne für Takuhatsu. Im Gegensatz zur Fuke-Shû konnte jedoch jeder eine Lizenz erhalten, der einen festgesetzten Betrag bezahlte. Als Folge davon entstand unter den Mitgliedern das Bestreben, „professioneller“ Komusô-Bettler zu werden. Die Übermittlung der Honkyoku und die Entwicklung der Kunst blieben zweitrangig. Taizan Higuchi (1856-1914) von der Myôan-Gesellschaft veränderte diese Zustände. Taizan, in Nagoya mit dem Namen Suzuki Kôdô geboren, lernte zuerst den Seien-Stil und kam 1890 nach Kyoto, wo er sich der Myôan-Gesellschaft anschloss und dort zu einem der Lehrer aufstieg. Er konzentrierte seine Anstrengungen auf das Sammeln der Honkyoku des Myôan-Stiles und anderer Traditionen. Seine herausragenden Fähigkeiten als Spieler und seine Bemühungen um die Anhebung des künstlerischen Niveaus innerhalb der Myôan-Gesellschaft verhalfen dieser zu einem Aufschwung und er wurde zum 35. Nachfolger der Linie, die mit der Rückkehr von Kakushin in das weltliche Leben unterbrochen war. Er entwickelte einen Stil des ShakuhachiSpiels, der Taizan-Stil genannt wird, und setzte damit die Linie des Myôan-ji fort. Seine Nachfolger waren Kobayashi Shizan (36.), Tanikita Muchiku (37.), Koizumi Shizan (38.) und Fukumoto Kyoan (39). Im März 1950 wurde der Myôan-Gesellschaft die Erlaubnis gegeben, einen Tempel, den “Fuke Sei Shû Myôanji“ auf dem Areal des Tôfuku-ji zu errichten. Seit 1952 versammeln sich dort zahlreiche Shakuhachi-Sekten zur „Kyochiku Hôsan Kai“, um Kyochiku Zenji zu ehren. Diese Treffen finden zweimal jährlich, im Frühling und Herbst statt, um dem Geist von Kyochiku Honkyoku zu opfern. Shakuhachi-Spieler aller Traditionen kommen jedes Jahr aus dem ganzen Land, um an diesen Zeremonien teilzunehmen. 1966 wurde ein Gedenkstein errichtet, der an den Geist des Suizen erinnert. 1969 war das Hauptgebäude des Tempels vollendet. So entstand ein neues Myôan-ji als geistige Heimat für alle Shakuhachi-Spieler, unabhängig davon, welchen Stil sie pflegen oder welcher Tradition sie angehören. Taizan verhalf der Myôan-Gesellschaft zu neuem Leben. Als Folge seiner Initiative wurden viele Honkyoku anderer Stilrichtungen in den Myôan-Stil integriert. Deshalb sind die Stücke des heutigen Repertoires nicht notwendigerweise die gleichen wie gegen Ende der Edo-Zeit. Mit Taizan änderte sich der Myôan-Stil. Katsuura Seizan, der den Myôan-Shinpô-Stil von Ozaki Shinryû übernahm, war das Oberhaupt des Kyoto-Zweiges der Myôan-Gesellschaft, zog sich jedoch von diesem Amt zurück, als Taizan Higuchi die Szene betrat. Es war unvermeidlich, daß sich aus den Spielarten der Shakuhachi-Spieler, die sich um die Tradition des Suizen bemühten, verschiedene Stile entwickelten. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart gibt es eine Reihe solcher Spieler, von denen viele in der Gegend von Tokyo wirkten. Im Folgenden sind einige dieser berühmten Spieler aufgeführt. • Hasegawa Tôgaku, Konashi Reisui und dessen Schüler Uramoto Setchô, die die Honkyoku des Tempels Fudaiken in Sendai weitergaben. • Jimbô Masanosuke vom Tempel Renpôken in Fukushima. • Nyui Kenzô, Nagano Kyokû und Orito Jôgetsu der Nezasa Ha Kinpu Ryû, sowie Naganos Schüler Jin Nyôdô. • Miyagawa Nyôzan und Itchô Fumon (später bekannt als Watazumi Dô, dem Begründer des Watazumi-Stils) vom Tempel Itchôken in Hakata, sowie Nyôzans Schüler Tani Kyôchiku und Takahashi Kûzan. • Kiyomizu Seizan vom Tempel Itchôken und Tsunoda Rogetsu aus Kumamoto. Beide lernten unter Taizan; Seizan begründete die Kyûshû-Myôan-Schule, Rogetsu die Myôan-Rogetsu-Schule. Ein Hauptproblem bei dem Versuch, die Stile und Generationsfolgen der Shakuhachi-Spieler des Myôan-Stiles zu verfolgen besteht in der Tatsache, daß jeder dieser Spieler bei mehreren Meistern lernte und also von verschiedenen Stilen beeinflusst ist. Ein Beispiel dafür ist Takahashi Kûzan, der bis zu seinem Tod in den späten achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts tätig war. Kûzan lernte nicht nur bei Miyagawa Nyôzan, sondern auch bei Takase Sukeharu, Kobayashi Haô, Kojitomo Tarô, Kobayashi Shizan, Ozaki Meidô und Katsuura Seizan. Er lernte die Honkyoku des Kinpû-Stils und meisterte insgesamt über 150 Stücke. Jin Nyôdô versuchte, alle noch vorhandenen Stücke für die Shakuhachi zu lernen. Er nahm die Anstrengung auf sich, durch das ganze Land zu reisen und die überlieferten Honkyoku der verschiedenen Komusô-Tempeln zu sammeln. Er lernte den Myôan-Shinpô-Stil und den Taizan-Stil ebenso wie den Seien- und den Kinko-Stil, Koto und Shamisen, komponierte und studierte Ensemble-Stücke. Kûzan und Nyôdô sind Beispiele für solche Myôan-Spieler, die es schwierig machen, genaue Generationsfolgen von Meistern und Schülern zu erstellen. Zudem haben Spieler oftmals mehrere der traditionellen Stücke aus verschiedenen Quellen gelernt und daraufhin einen neuen Stil oder eine neue Sekte gegründet. Man könnte sogar sagen, daß jeder Spieler zu einer Schule wird, und daß die Zahl der Schulen in Japan gleich der Zahl der Spieler ist. Dieser Zustand ist eine Folge der Öffnung der Shakuhachi-Welt nach der Meiji-Restauration. Im Gegensatz zur elitären Fuke-Shû gibt es keine geheimen oder besonderen Gesellschaften, keine strikten Regeln, die es einem Schüler verbieten, andere Stilrichtungen zu lernen oder seine individuelle Ausdrucksweise zu entwickeln. Der Geist des Zen, der den Spieler dazu auffordert, Honkyoku so zu spielen, wie er sie für angemessen hält, fördert die Individualität jedes einzelnen und bewahrt die Schüler davor, sich eng an einen Stil zu binden. Trotzdem blasen die Spieler der verschiedenen Myôan-Stilrichtungen, mit einigen wenigen Ausnahmen, nur die klassischen Suizen-Honkyoku und interessieren sich wenig für andere Genres der Shakuhachi-Musik – eine Situation, die auf musikalische Stagnation hindeutet. Für diese Spieler sind Honkyoku keine Musik, die in öffentlichen Konzerten gespielt wird. Obwohl ihre Musik „rein“ erhalten blieb, geschah nichts, um sie in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nach dem 2. Weltkrieg wurden diese klassischen Honkyoku „wiederentdeckt“. Komponisten, Musiker und Musikwissenschaftler aus Japan und dem Ausland begannen sich dafür zu interessieren. Der Einfluß dieser klassischen Stücke auf die Welt der modernen Shakuhachi ist groß, Spieler aller Stilrichtungen lernen diese Suizen-Honkyoku und integrieren sie in ihr Repertoire. Die Spieler der Myôan-Stile haben in aller Stille gelernt, ihre Stücke in diesem Geist gespielt und damit ein Werk geschaffen, das für die moderne Shakuhachi-Welt eine enorme Inspirationsquelle ist. Darin liegt die Bedeutung dieser Bewahrer der Suizen-Honkyoku. Der Kinko-Stil und die Betonung der Musik Yoshida Itchô und Araki Kôdô gelang die Erneuerung der Shakuhachi als Musikinstrument, nachdem sie als Hôki der Fuke-Shû verboten worden war. Im Kinko-Stil wird heute den Honkyoku große Bedeutung beigemessen, doch anstatt ein Repertoire von mehreren hundert amorphen Stücken wie im Myôan-Stil zu bewahren, beschränkt sie sich auf 36 genau festgelegte Honkyoku. Die Gaikyoku (alle Shakuhachi-Stücke, die keine Honkyoku sind, in diesem Fall Ensemble-Stücke) überragen zahlenmässig die Honkyoku, und Schüler des Kinko-Stiles lernen zuerst Gaikyoku, bevor sie in Honkyoku unterrichtet werden. Nachdem sich Yoshida zur Ruhe gesetzt hatte, übernahm Araki die Verantwortung für die Kinko-Schule. Er richtete seine Anstrengungen auf die Notation der Shamisen-Stücke und fügte ihnen Shakuhachi-Stimmen hinzu. Zuerst schrieb er die Hauptstücke des Nagauta-Repertoires auf, später dann die Jiuta-Stücke für Shamisen. Das Gaikyoku-Repertoire der Kinko-Schule setzt sich aus der JiutaShamisen-Literatur und den Stücken des Ikuta- und des Yamada-Stils für Koto zusammen. Arakis Lehrer, Toyoda Kodô, stand Kondô Sôetsu und dessen Art des Ensemble-Spiels sehr nahe, was möglicherweise Arakis Interesse an dieser Art von Musik erklärt. Das zunehmende Interesse an Sankyoku-Gassô (Ensemblespiel [Shamisen, Koto und Shakuhachi]) in Tokyo ist auf Araki zurückzuführen. Eine der grössten Leistungen Arakis war die Verbesserung der Shakuhachi-Notation. Für die Honkyoku besteht keine Notwendigkeit, Rhythmus und Tempo zu notieren, doch im Ensemblespiel sind Präzision und Klarheit in Bezug auf Zeit und Geschwindigkeit notwendig. Zusammen mit Uehara Rokushirô (Autor der „Studien über Skalen der Volksmusik“) entwickelte Araki eine Notation, die in einer vertikalen Schrift (mit Katakana-Silbenzeichen) die Griffe mit einem System von Linien und Punkten als Notation des Rhythmus verbindet. Araki zog sich 1894 zurück und erhielt den Ehrennamen „Chikuô“. Sein Sohn Shinnosuke (1879-1935) wurde Kodô III (Toyoda Kodô wird als Kodô I angesehen). Kodô III ist die treibende Kraft der Kinko-Schule im 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zur Tozan-Schule (siehe unten) gab es in der Kinko-Schule keine zentrale Organisation, und selbst Kodô III als der berühmteste Vertreter dieser Schule war kein Iemoto (Begründer oder Oberhaupt einer Tradition). Fähige Schüler von Kodô II (Chikuô) verließen die Schule und gründeten ihre eigenen, die relativ frei und unabhängig funktionierten und schufen Gaikyoku mit eigener Notationsweise (die sich allerdings nur unwesentlich von der Kodôs unterschied). Unter den Schülern von Kodô II war Kawase Junsuke I (1870-1957) in der Überarbeitung und Verbreitung der Shakuhachi-Notation am erfolgreichsten. Die Notationsweise von Kodô II war in einem besonderen kalligraphischen Stil geschrieben, der schwierig zu lesen ist. Dessen Schüler Miura Kindô, Mizuno Rodô und Kawamoto Itsudô führten diese Schreibart fort. Kawase jedoch änderte mit der Hilfe von Kodô III die Notation in eine leicht lesbare Blockschrift. Anfangs arbeiteten beide an der Herausgabe dieser Notation, doch dann schrieb Kodô III eigene Shakuhachi-Stimmen für die Ensemblemusik und publizierte diese alleine. Aufgrund von Kawases außergewöhnlichen organisatorischen und spielerischen Fähigkeiten stieg die Zahl seiner Schüler an und die Chikuyû-Sha, die größte Organisation innerhalb der KinkoSchule mit Mitgliedern im ganzen Land, wurde gegründet. Die von Kawase I herausgegebene Literatur ist seither für die Mehrheit der Shakuhachi-Spieler der Kinko-Schule verbindlich. Obwohl diese Schule in verschiedene Organisationen aufgeteilt ist, gibt es wenig Sektierertum. Alle Spieler identifizieren sich mit dem Kinko-Stil. Die Kinko-Schule ist in Tokyo zu Hause, doch weil ihr Stil sehr alt ist, ist sie über das ganze Land verbreitet. Beim Spielen der Honkyoku wird mehr Betonung auf musikalische Kriterien als auf den Geist des Suizen gelegt. Diese Stücke sind sehr verfeinert und auch technisch anspruchsvoll geworden. Die Shakuhachi-Stimmen der Gaikyoku-Literatur folgen im Allgemeinen der Hauptmelodie, die von Shamisen oder Koto gespielt wird. Obwohl dies bedeutet, daß die Shakuhachi meist unisono mit den Saiteninstrumenten spielt, kann sie der Melodie durch Änderung des Ausdrucks und der Dynamik Weite und Tiefe verleihen. Das Fehlen einer zentralen Organisation führte zu vielen Abweichungen und Freiheiten. Etwa um 1920 entstand die Bewegung „Neue japanische Musik“ mit dem Koto-Spieler und Komponisten Miyagi Michio und Yoshida Seifû, Shakuhachi-Spieler der Kinko-Schule, als Wegbereiter. Viele der gegenwärtigen Spieler wie Fukuda Randô entwickelten einzigartige Spielarten. Die modernen Spieler der Kinko-Schule halten die Tradition lebendig und sind dabei, neue Stile zu erforschen. Der Tozan-Stil und das Ensemblespiel in Kansai Der Tozan-Stil wurde in der Gegend um Osaka gegründet. Das westliche Japan, insbesondere Osaka, war das Zentrum des Sôetsu-Stils, bei dem Gaikyoku im Mittelpunkt stand. Nach der Meiji-Restauration entwickelten sich daraus mehrere neue Stilrichtungen. Tozan ist eine von diesen. Der Gründer, Nakao Tozan (1876-1956), wurde im Distrikt Hirakata von Osaka geboren. Seine Mutter, Mitsuko, war die Tochter des berühmten Jiuta-ShamisenMeisters Terauchi Daikengyô aus Kyoto. Terauchi stand Kondô Sôetsu nahe und seine Tochter Mitsuko spielte mit diesem oft zusammen. Als Kind erhielt Tozan Unterricht von seiner Mutter und brachte sich die Shakuhachi selbst bei. Mit 19 Jahren Schloss er sich der Myôan-Gesellschaft an, lernte und unternahm Pilgerreisen als Komusô. 1896, im Alter von 21 Jahren, eröffnete er eine Shakuhachi-Schule im Distrikt Temma von Osaka. Dies ist der Beginn der TozanSchule. Tozan erweiterte sein Repertoire, indem er Shakuhachi-Stimmen zu Jiuta schrieb, und begann 1904 zu komponieren; diese Kompositionen wurden die Honkyoku des Tozan-Stils. Später errichtete Tozan ein Iemoto-System. In die Sammlung der Honkyoku dieser Schule werden bis heute auch Stücke anderer Komponisten aufgenommen. Tozan, der auch der westlichen Musik gegenüber aufgeschlossen war, revidierte die Shakuhachi-Musik, die Unterrichtsmethoden und das Konzertwesen. Über die Solostücke hinaus beinhalten seine Kompositionen auch Duette, Trios, Quartette für Shakuhachi und Ensemble-Literatur mit verschiedenen anderen Instrumenten. Kein Aspekt des Shakuhachi-Spiels blieb von Tozans Neuerungen unberührt. Tozans Iemoto-System entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und unterscheidet sich deshalb von den älteren Systemen. Es beinhaltet ein neues Lizenz-System, eine Rangfolge der professionellen Spieler und ein Prüfungsverfahren. Um diese Gilde nicht zu sehr auf das Oberhaupt auszurichten, wurde sie nach Tozans Tod in eine private Stiftung umgewandelt, die von einem Komitee geleitet wird. Die Pflicht des Oberhauptes war es, das ganze System zu überblicken. Trotzdem ähnelte die Gilde einer autoritären Gesellschaft, und die Tozan-Gilde wurde oft als das „Königreich des Tozan“ bezeichnet. Dennoch gaben sich viele andere Gruppen innerhalb der traditionellen japanischen Musik eine Organisation nach dem Modell der Tozan-Schule. Tozans Innovationen und seine Bemühungen, die Shakuhachi zu popularisieren, waren sehr erfolgreich. Sie zogen eine Gefolgschaft an, die zum größten Teil aus Jugendlichen des Kansai-Distrikts bestand. 1922 übersiedelte Tozan nach Tokyo und Schloss sich mit Miyagi Michio zusammen, einem aufgehenden Stern der KotoWelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Tozan-Stil über das ganze Land verbreitet und bedeutete nach nur einer Generation eine Konkurrenz für den Kinko-Stil. Aufgrund von Tozans Verbindungen mit Kyoto und Osaka blieb jedoch die Gegend von Kansai das Zentrum der Tozan-Schule. Das Repertoire besteht aus den Honkyoku, die Tozan und andere Komponisten schrieben, doch wird wie in der Kinko-Schule großer Wert auf Gaikyoku gelegt, insbesondere auf das Zusammenspiel mit dem Shamisen und dem Koto des IkutaStils (der Yamada-Stil ist in Tokyo beheimatet und hat deshalb wenig Verbindung mit der aus Kansai stammenden Tozan-Schule). Die Spieler der Tozan-Schule sind neuer Musik gegenüber sehr aufgeschlossen und nehmen sich auch der zeitgenössischen Musik an. Die Tozan-Schule publiziert alle Arten von ShakuhachiMusik und innerhalb der Schule gilt die Regel, daß nur diese veröffentlichte Musik aufgeführt wird. Tozan war ein Mitglied der Myôan-Gesellschaft und lernte die klassischen Honkyoku. Diese Verbindung zu Suizen liegt dem Tozan-Stil zugrunde, doch die „Honkyoku“ der Tozan-Schule unterscheiden sich sehr von den Stücken der Fuke-Shû, da sie nach musikalischen Gesichtspunkten komponiert sind. Zwei Sekten spalteten sich vom Tozan-Stil ab, der Ueda-Stil und der Yoshizan-Stil. Der Ueda-Stil ist umfassender und begann mit Ueda Hôdô. 1892 in Osaka geboren, lernte er bei Tozan, erhielt den Namen Kazan und erreichte den höchsten professionellen Rang innerhalb der Schule. Bei Rezitals, die der Aufführung von Kompositionen Tozans vorbehalten waren, spielte er eigene Kompositionen, wofür ihn die Schule aufs heftigste kritisierte. Er wurde 1917 ausgeschlossen, änderte seinen Namen in Kôdô und gründete zusammen mit seinem Bruder Chikudô den Ueda-Stil. Dieser ist in Kansai beheimatet und ähnelt dem Tozan-Stil. Gegenwärtig wird die Tozan-Schule nicht von nur einem Iemoto geleitet, sondern ist in Gruppen aufgeteilt, die sich selbst organisieren, deren Unterschiede in musikalischer Hinsicht jedoch nur geringfügig sind. Die Entwicklungen der Shakuhachi nach dem Krieg sind beeindruckend und laufen parallel zu denen der japanischen Kultur. Es wäre eine gründliche Untersuchung wert, den Weg der Shakuhachi zu verfolgen, die mittlerweile auf der ganzen Welt gespielt wird. Sie hat das internationale Podium betreten und wird im Jazz, der elektronischen Musik, in Fusion, Rock und „New Age“-Musik verwendet. Sie wird an amerikanischen Universitäten unterrichtet und hat auch in Europa Fuß gefasst. In den vergangenen Jahrzehnten lernte eine zunehmende Zahl ausländischer Schüler die Shakuhachi in Japan. Manche von diesen Schülern sind angesehene professionelle Spieler geworden. Während die Shakuhachi im 8. und 9. Jahrhundert auf dem Weg nach Osten nach Japan gelangte, zu einer Zeit, da viele Kulturen entlang der Seidenstraße blühten, ist sie den Weg nunmehr noch weiter nach Osten gegangen – nach Amerika und Europa. So wird der weitere Weg des Instrumentes und dessen Entwicklungsmöglichkeiten von Spielern verschiedener Kulturen auf der ganzen Welt beeinflusst. Die Geschichte der Shakuhachi in Japan ist geprägt von Eleganz und Derbheit, von Mythen, Intrigen und spiritueller Suche. Die höchste Praxis der Shakuhachi – Suizen – trübte politische Rivalität und die Machtspiele der Fuke-Sekte, die wachsende Beliebtheit des Instruments wurde beeinträchtigt durch Edikte, die das Spielen auf ihr verboten. Auch wenn die Geschichte der Shakuhachi bewegt ist, erfordert das Spiel nach wie vor Konzentration und Stille auf Seiten des Spielers wie des Zuhörers. Das ist die Essenz von Suizen, auch für die Shakuhachi-Spieler von heute. Sie macht den Zauber und die Faszination dieses Instrumentes auch heute noch aus. Nachwort Dieser im Original englische Text ist dem Buch „The Shakuhachi – a manual for learning“ (Ongaku No Tomo Sha Corp., Tokyo 1988) entnommen. Die Übersetzung stellt eine leichte Kürzung dar, hauptsächlich wurden Wiederholungen weggelassen und geringfügige Veränderungen vorgenommen, um den deutschen Text flüssig lesbar zu machen. Justina Schreiber möchte ich an dieser Stelle herzlich für die Mitarbeit an der vorliegenden Fassung des Textes danken.