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Marketing 2017:
12 relevante Marketingtrends für 2017 und darüber hinaus
Institut für Marketing
Universität St.Gallen (HSG)
i
Contents
HOME....................................................................................................................................... v
METHODISCHE GRUNDLAGEN ........................................................................................... vi
TREND EINS: HUMAN-CENTERED DESIGN THINKING .................................................... viii
1.1.
Best Practice-Beispiele ............................................................................................. ix
1.2.
Gründe für nachhaltige Relevanz .............................................................................. x
1.3.
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... xiii
1.4.
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... xv
1.5.
Wervolle Resources und Links ................................................................................xvi
TREND ZWEI: THE CONVENIENT CUSTOMER.................................................................... 1
2.1
Best Practice-Beispiele .............................................................................................. 1
2.2
Gründe für nachhaltige Relevanz .............................................................................. 3
2.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ........................................... 6
2.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ....................................................................... 8
2.5
Wertvolle Ressourcen und Links ............................................................................... 8
TREND DREI: PERSONALIZATION...................................................................................... 10
3.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 12
3.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 15
3.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 17
3.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 18
3.5
Wertvolle Ressourcen und Links ............................................................................. 19
TREND VIER: SENSOR-DRIVEN MARKETING ................................................................... 21
ii
4.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 21
4.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 28
4.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 29
4.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 31
4.5
Wertvolle Ressourcen und Links ............................................................................. 31
TREND FÜNF: BIG DATA-MANAGEMENT........................................................................... 37
5.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 37
5.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 40
5.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 41
5.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 43
5.5
Wervolle Ressourcen und Links .............................................................................. 43
TREND SECHS: MARKETING AUTOMATION ..................................................................... 46
6.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 46
6.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 49
6.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 50
6.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 51
6.5
Wervolle Ressourcen und Links .............................................................................. 52
TREND SIEBEN: SEAMLESS INTEGRATION ...................................................................... 54
7.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 54
7.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 58
7.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 59
7.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 61
7.5
Wetvolle Ressourcen und Links............................................................................... 61
TREND ACHT: CONTENT MARKETING .............................................................................. 63
8.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 64
8.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 67
8.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 70
8.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 70
8.5
Wervolle Ressourcen und Links .............................................................................. 72
TREND NEUN: CUSTOMER INTEGRATION........................................................................ 73
9.1
Best Practice Examples ........................................................................................... 75
9.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 77
iii
9.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 78
9.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 79
9.5
Wertvolle Ressourcen und Links ............................................................................. 80
TREND ZEHN: FLEXIBLE USE ............................................................................................. 82
10.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 82
10.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 85
10.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 87
10.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ..................................................................... 88
10.5
Wertvolle Resources und Links ............................................................................... 88
TREND ELF: INTEGRATED CUSTOMER EXPERIENCE .................................................... 90
11.1
Best Practice-Beispiele ............................................................................................ 90
11.2
Gründe für nachhaltige Relevanz ............................................................................ 94
11.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ......................................... 98
11.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ................................................................... 100
11.5
Wertvolle Ressourcen und Links ........................................................................... 100
TREND ZWÖLF: TRANSPARENCY .................................................................................... 103
12.1
Best Practice-Beispiele .......................................................................................... 103
12.2
Gründe für nachhaltige Relevanz .......................................................................... 109
12.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte ....................................... 110
12.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion ................................................................... 113
12.5
Wertvolle Ressourcen und Links ........................................................................... 114
iv
HOME
Welche Trends haben grundlegende
Implikationen für das Marketingmanagement in
den nächsten Jahren? Mit welchem Themen
sollte man sich im Marketing zwingend
Intro Video
auseinandersetzen?
Die Trendstudie Marketing 2017, die ihm
Rahmen des Exzellenzprogramms "Best Practice
in Marketing" entstanden ist, beantwortet diese
Fragen. Darin werden 12 relevante
Marketingtrends für "2017 und darüber hinaus" vorgestellt und kritisch erörtert. Die prägnanten
Trendbeschreibungen sowie Videos, Best Practices und Links finden Sie auf den entsprechenden
Seiten.
v
METHODISCHE GRUNDLAGEN
Im Folgenden werden 12 relevante Marketingtrends für 2017 und darüber hinaus
präsentiert. Bei dieser Studie hat sich das Forschungsteam von Prof. Dr. Sven Reinecke
am Institut für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) eine Sekundärauswertung
zahlreicher vorhandener Trendstudien vorgenommen, u.v.a. beispielsweise:10 Key
Marketing Trends for 2016 and Ideas for Delivering Exceptional Customer Experiences von
SilverPoP, einer Tochtergesellschaft von IBM,
•
Top Emerging Trend in Digital Marketing von Gartner,
•
Trends im Handel 2020 von KPMG,
•
The Review of Content Marketing as a New Trend in Marketing Prcatices von
Angel Wong An Kee und Rashad Yazdanifard,
•
Research Priorities 2016-2018 des renommierten Marketing Science Instituts,
•
Trend One Exectuvie Retail Trendreport 2016,
•
McKinsey&Company – The Consumer sector in 2030: Trends and questions to
consider
•
Marketing HeatMap von Christian Belz.
Einige dieser Studien waren eher Technologieorientiert. Ziel des Forschungsteams war es
jedoch, nicht (kurzfristige) technische Features oder Inventionen in den Mittelpunkt zu
stellen, sondern vielmehr zu überlegen, welche grundlegenden Implikationen diese auf
das Marketingmanagement in den nächsten Jahren haben werden. Die „Neuheit“ eines
Trends allein war nicht entscheidend, um in die Liste aufgenommen zu werden –
vielmehr ging es in intensiven Teamdiskussionen darum, herauszukristallisieren, welche
Aspekte das Marketingmanagement im Jahr 2017 und darüber hinaus stark prägen und
beeinflussen werden. Die Auswahl ist somit bewusst subjektiv und sogar normativ
geprägt: Welches sind jene Trends, von denen das Forschungsteam überzeugt ist, dass
sich Marketingführungskräfte damit intensiv auseinandersetzen sollten?
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität – wohl aber
auf Relevanz. Wir haben uns bemüht,
vi
-
alle Trends kurz zu beschreiben und zu charakterisieren;
-
jeweils treffende Beispiele zur Illustration auszuwählen;
-
kritische Fragen zum Umgang mit dem Trend zu stellen;
-
möglichst auch Gegenthesen oder kritische Aspekte zu thematisieren sowie
-
Hinweise auf weiterführende Literatur, Internetlinks sowie insbesondere
hervorragende Videos im Internet auszuwählen.
Die Studie ist im Rahmen unseres Exzellenzprogramms "Best Practice in Marketing"
entstanden (www.best-practice-in-marketing.org), in dem wir branchenübergreifende
Lernprozesse zwischen führenden Unternehmen und der Wissenschaft gestalten.
Partnerorganisationen sind B. Braun, Continental Reifen, Covestro, Galencia, Hansgrohe,
Miele, Swiss Life, UBS sowie die Schweizerische Gesellschaft für Marketing (GfM).
Diesen Organisationen danken wir herzlich für die Unterstützung - ebenso wie dem
Team von MetaDesign für die kreative Gestaltung.
Wir wünschen dem Leser und Anwender eine interessante Lektüre – und erst recht ein
spannendes Marketingjahr 2017!
Referenzen
vii
TREND EINS: HUMAN-CENTERED DESIGN
THINKING
Die Ursprünge des Design Thinkings liegen in
den Bereichen Maschinenbau, Produktdesign
und Innovationsmanagement. Design Thinking
ist dabei insbesondere durch die radikale
Innovations- und Ingenieurkultur des Silicon
Human Centered Design
Thinking Video
Valley geprägt (Brown 2008, p. 68): “… rather
than asking designers to make an already
developed idea more attractive to consumers,
companies are asking them to create ideas that
better meet consumers’ needs and desires.” Aufgrund der Bedeutung der Themen
“Digitalisierung” und “Disruptive Innovation” kommt dem Design Thinking ein besonderer
Stellenwert zu, weil es im Silicon Valley kultur- und systemimmanent ist.
Design Thinking ist letztlich auf die Lösung von Kundenproblemen ausgerichtet. Ähnlich wie
Marketing sollte es nicht als reine Methode, sondern als übergreifende (Führungs-)Philosophie
verstanden werden: “In the end, design thinking is more culture than methodology, and building
such a culture may require a fundamental transformation” (Gobble 2014, p. 60). Design Thinking
greift deutlich zu kurz, wenn es zum tayloristischen „process trick“ (Nussbaum 2011) verkommt
– ebenso wie Marketing nicht als technokratische Marketing-Mix-Optimierung missverstanden
werden darf.
Im Gegensatz zu klassischen Ingenieurswissenschaften beruft sich Design Thinking bewusst auf
ein sozialwissenschaftliches Fundament, indem immer wieder das Attribut „human-centered“
dem Begriff Design Thinking vorangestellt wird (Brown 2008, wie beispielsweise das folgende
Zitat verdeutlicht: „Customers buy on emotion and then justify with logic.” (Clark/Smith 2008, p.
10)
viii
Abb. 1: Design Thinking Process
Quelle: Stanford University (2014)
Abbildung 1 zeigt den idealtypischen Design Thinking-Prozess der Stanford University, der
letztlich fünf Stufen eines Innovationsprozesses skizziert:
In der Phase des „Empathize“ geht es primär darum, sich in die Situation des „Kunden”
hineinzuversetzen und offene Verständnisfragen zu stellen. Das hineinversetzende Verstehen
(„Why?“) steht im Vordergrund. In der folgenden „Define“-Phase wird die Problemstellung
formuliert; das heisst es geht darum, aufgrund der gewonnenen Insights die konkreten
Bedürfnisse handlungsorientiert zu verbalisieren. Beim „Ideate“-Schritt ist es das Ziel, in
möglichst kurzer Zeit in einem hochkreativen Teamprozess möglichst viele spontane erste
Problemlösungsideen zu genieren. „Go for volume“ steht dabei im Mittelpunkt. Der Schritt des
„Prototype“ unterstreicht die handlungsorientierte Sicht des Design Thinking: Es geht darum,
einen tangiblen, physischen Prototypen zu erstellen – um möglichst viel (Verbesserungs)Feedback von anderen Teammitgliedern zu erhalten. In der Testphase werden die Prototypen
überprüft, um darauf aufbauend schnell Lernprozesse anzustossen und die vorangegangenen
Phasen erneut zu durchlaufen, bis eine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde.
Gegebenenfalls kann es erforderlich sein, einen ursprünglich als wertvoll erachteten Prototypen
erneut in Frage zu stellen und vollkommen neu zu starten.
1.1.
Best Practice-Beispiele
Grundsätzlich lässt sich Design Thinking für fast alle Fragestellungen in den Bereichen
Innovation und Marketing einsetzen, beispielsweise:
ix
•
Wie gelingt es, bei einem Cabriolet die Gefahr eines „steifen Nackens“ zu vermeiden?
•
Kann mein Rucksack beim Verlassen der Wohnung überprüfen, ob ich auch alles dabei
habe?
•
Wie gelingt es mir, Bier möglichst in wenigen Minuten eiskalt zu kühlen?
•
Wie kann der Transport von gehbehinderten Personen im Linienflugzeug angenehmer
und menschlicher gestaltet werden?
•
Wie lässt sich Lernen an einer Universität neu erfinden?
•
Wie wird der „Bauernhof der Zukunft“ aussehen?
•
Wie können Eisenbahnverbindungen flexibler werden?
•
Welche neuen Konzepte bezüglich Mobilität sind denkbar?
Eine Reihe sehr anschaulicher Beispiele bietet die folgende Webseite von IDEO, einem Spin-off
der Standford University, das sich auf Design Thinking spezialisiert hat:
https://www.ideo.com/eu
1.2.
Gründe für nachhaltige Relevanz
Nachfolgend werden die verschiedenen Schritte des Design Thinkings insbesondere bezogen auf
Innovations- und Marketingprozesse erläutert.
Empathize: Ein tiefes Verständnis für die Kundenherausforderungen entwickeln.
Design Thinking startet mit der Herausforderung, die Kundenbedürfnisse und –
herausforderungen detailliert zu erfassen und zu verstehen. Dabei wird beim Design Thinking
ganz eindeutig die Methode des Beobachtens gegenüber jener des Befragens bevorzugt
(Beckman/Barry 2007, p. 32). Mit Hilfe von sogenannten visualisierten „Personas“ strebt man
danach, dass sich alle involvierten Personen in die tatsächlichen Nutzer der innovativen Lösung
sowie deren Umfeld hineinversetzen können (z.B. Erik, LKW-Fahrer, 34, ledig, leicht
übergewichtig, traditionell-konservativ, gestresst durch 8-10 Stunden-Arbeitstag …) Dieses
Hilfsmittel zwingt alle Involvierten, einen “human-centered” Fokus einzunehmen und verstärkt
somit den persönlichen, menschlichen Bezug: “it focusses on the needs and experiences of real
x
people – not hypothetical ‘market segments’ – as a source of inspiration and insight.” (Gobble
2014, p. 59). Häufig kommt Storytelling zum Einsatz, um die konkrete Details und Emotionen
bezüglich der Personas darzustellen.
Define: Inspiration und Lösungorientierung – verbunden mit dem Umgang mit Ambiguität.
Eine absolute Stärke des Ansatzes des Design Thinkings liegt darin, alle Beteiligten zu inspirieren
und zu Innovation zu befähigen. Der Fokus darauf, etwas absolut Neues, aber gleichzeitig
Intendiertes zu generieren, setzt kreative Energie frei und beflügelt alle Beteiligten: „Design is
about making intent real. […] When you design, something new is brought into world with
purpose.” (Clark/Smith 2008, p. 8) Marketing startet meist mit der Analyse von Herausforderung
und „Mangelsituationen“ (Bedürfnissen) – Design Thinking dreht dies um und beginnt
lösungsorientiert (Cross 1982).
Design Thinking versucht beim Innovationsprozess, „disruptive“ Ziele anzuvisieren (Christensen
1997; Christensen/Anthony/Roth 2004), die komplett neue Herangehensweisen erfordern. Dies
führt gelegentlich zu einer Neudefinition der ursprünglichen Herausforderung. Somit muss das
Management lernen, mit Ungewissheit umzugehen – „to dance with ambiguity“ (Leifer/Steinert
2011): Ambiguität bedeutet, dass nicht nur die Variablenausprägungen unbekannt sind, sondern
sogar die Variablen selbst im Innovationsprozess noch nicht feststehen.
Ideate: Multidisziplinarität und Denken in Alternativen.
Design Thinking als schöpferischer Prozess ist per Definition ein interdisziplinärer Prozess. Die
Multidisziplinarität beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Funktionen, sondern integriert
auch die Fähigkeitsprofile der verschiedenen Teammitglieder. Basierend auf dem T-Profile von
Leonard-Barton (1995) wird jeweils zwischen fachspezifischem Wissen (Wissensvertiefung,
visualisiert als vertikaler Balken) und übergreifendem, verbindenden Know-how unterschieden;
letzteres schlägt sich als Offenheit und Neugier bzw. als Interesse gegenüber anderen Menschen,
der Umwelt sowie anderen Funktionen und Disziplinen nieder (horizontaler Balken). Echte
Innovation und Kreativität erfordert sowohl Wissenstiefe als auch verbindende Breite.
Die Phase der „Ideation“ ist in der betriebswirtschaftlichen Praxis und Forschung
unterrepräsentiert – beide sind traditionell eher durch klassische lineare und sequentielle
Phasenmodelle geprägt (SWOT-Analyse, Zieldefinition, Umsetzungsstrategien). Grundsätzlich
ist festzustellen, dass ein echtes “Denken in Alternativen” im Management und somit auch im
Marketing selten erfolgt. In der Praxis werden in den seltensten Fällen der Aktionsspielraum
bewusst ausgedehnt und möglichst viele unterschiedliche Strategie- und Handlungsoptionen
generiert, die anschliessend systematisch miteinander verglichen, kombiniert und evaluiert
xi
werden. Nur in 29 % der Fälle werden bei Managemententscheidungen mehr als eine
Möglichkeit in Betracht gezogen (Nutt 1993). Stattdessen wird der Handlungsspielraum sehr früh
auf ein, maximal zwei strategische „Lieblingsalternativen“ reduziert. Das Top-Management
behält sich auch häufig das Recht vor, die finale Entscheidung zu treffen.
Design thinking ist dagegen stark vom Prinzip geleitet:“Give questioning an equal or greater
status than deciding” (Leifer/Steinert 2011, p. 152). Es geht darum, nicht gleich
Vorentscheidungen zu treffen, sondern vielmehr danach zu streben, möglichst viele
grundsätzliche Varianten zu evaluieren.
Prototyping: Make it tangible.
Beim Prototyping geht es darum, Ideen möglichst schnell tangibel und somit greifbar zu machen.
Dies kann mit einfachen Hilfsmitteln erfolgen (Papier, Pappe, Pfeifenstopfer, Büroklammern …).
In dieser Phase hat sich Zeitdruck als hilfreich erwiesen, um ein Overengineering der Prototypen
zu vermeiden. Wichtig ist, dass jeweils eine Kernidee kommuniziert wird, die als Grundlage für
weitere Verbesserungsschleifen dient. Zentral ist insbesondere, dass nicht nur ein Businessplan
oder ein Marketingkonzept präsentiert wird: “What if you could express your strategy not as
numbers or frameworks or even a rhetorical narrative, but as something concrete? What if your
strategy took shape as a prototype that shows your organizations what success will look like
when you have delivered against your goals?” (Holloway 2009, p. 51) Neben klassischen
Produktinnovationsprototypen bestehen im Marketing beispielsweise folgende Möglichkeiten
der Visualisierung bzw. des Prototypings:
•
“marketing war rooms“ – dies sind Räume, in denen die eigene Strategie und jene der
Konkurrenten visualisiert und durchgespielt werden;
•
„Customer experience“-Veranstaltungen, bei denen das Top-Management damit
konfrontiert wird, reale Kundenaufgaben zu erledigen (beispielsweise werden
Führungskräfte aus Banken gebeten, Zahlungsaufträge im eigenen Online-Banking
durchzuführen oder aber aktuelle Devisenkurse auf der eigenen Webseite
herauszufinden).
Das Design Thinking-Grundprinzip des “Show, don’t talk” bzw. die „Make it tangible-rule“
(Meinel/Leiffer 2013) basiert letztlich auf den Prinzipien des Visual Thinking (Arnheim 1969).
Damit lassen sich drei zentrale Vorteile bewirken (aufbauend auf Holloway 2009, S. 55):
xii
1) Verbessern des Buy-in des Top-Management in Lösungsmöglichkeiten: Prototypen helfen,
unternehmensintern wirksamer zu kommunizieren. Greifbare Ergebnisse lösen viel mehr
Emotionen aus und faszinieren stärker als reine Konzepte: „They say a picture is worth a
thousand words; if that is true, then a prototype must be worth about a million.“ (Holloway
2009, p. 51).
2) Anregen des Wissenstransfers: Prototypen stimulieren den Erfahrungs- und
Gedankenaustausch und initiieren damit automatisch Weiterentwicklungen: “Prototypes tell
their own stories […]. Good prototypes raise questions and stimulate discussion […].”
(Holloway 2009, p. 52):
3) Erhöhen des „bias towards action“: Ein Prototyp ist der erste Schritt zur konkreten Umsetzung
eines Konzepts. Erfahrungsgemäss erhöht dieser erste Schritt die Wahrscheinlichkeit
deutlich, dass eine umfassende Strategie tatsächlich in irgendeiner Form umgesetzt wird.
Tests: Lernprozesse beschleunigen.
Eine grosse Herausforderung für das Management ist die beschränkte Lernfähigkeit und –
bereitschaft in grossen Organisationen. Der Redesign- und Fast Prototyping-Ansatz im Design
Thinking erlaubt es, Lernprozesse zu beschleunigen. Wettbewerb und frühe Experimente werden
ausdrücklich begrüsst. “Far from creating a rigid, hierarchical process, this model frees up
individuals to iterate quickly – what is sometimes called ‘failing fast forward’ in the world of
high tech.” (van Bommel/Edelman/Ungerman 2014, 7) Es geht dabei weniger darum, fertige
Konzepte zu überprüfen und zu bestätigen oder Risiken zu reduzieren – sondern vielmehr
darum, eine agile marktorientierte Organisation zu schaffen, deren Mitglieder eine „war room
mentality“ angenommen haben (van Bommel/Edelman/Ungerman 2014, 7). Reales Lernen durch
schnelle Versuche und Tests im Feld helfen, Marketinginnovationsprozesse zu beschleunigen –
und gleichzeitig auch Kosten zu sparen, weil Erkenntnisse früher im Entscheidungsprozess
gewonnen würden.
1.3.
Handlungsimplikationen und Fragen für
Führungskräfte
xiii
Think big. Alles ist möglich! Wo ein Wille, da ein Weg.
Beim Design Thinking geht es nicht um Verbesserungen, sondern um radikale Innovationen.
Setzen Sie ambitionierte Ziele – denn nur dadurch schaffen Sie die Notwendigkeit, nach radikal
neuen Wegen zu suchen, die sich von bereits existierenden Lösungen deutlich unterscheiden.
Entwickeln Sie menschliche Empathie! Identifizieren Sie sich intellektuell und emotional so
intensiv wie möglich mit allen relevanten Anspruchsgruppen.
Kern von Design Thinking ist es, sich in die Situation aller Anspruchsgruppen im
Innovationsprozess zu versetzen, insbesondere natürlich in die Kunden bzw. Anwender einer
etwaigen neuen Lösung. Welche Bedürfnisse und Probleme haben sie? Welches sind ihre
derzeitigen „Pain-Points“? Was hindert die Anwender derzeit, effektivere und effizientere
Lösungen zu finden? Welche Tätigkeiten sind tradiert und ggf. nicht mehr sinnvoll? Wie arbeiten
die verschiedenen Personengruppen zusammen – und welche emotionalen und prozessualen
Herausforderungen ergeben sich daraus?
Never go hunting alone: Glauben Sie an die Kraft der Diversität sowie an Teamerfolge.
Echte Innovationen sind nur möglich, wenn man möglichst viel unterschiedliches Fachwissen
aus unterschiedlichen Disziplinen (Informatik, Physik, Maschinenbau, Medizin, Psychologie,
Soziologie, Betriebswirtschaftslehre, Theologie, Jura …) einbringen kann – und gleichzeitig in der
Lage ist, dieses Wissen auch zu verbinden. Teams sollen allerdings auch nicht zu gross sein, um
noch effizient zu arbeiten: An der Stanford University versucht man, möglichst 4er-Teams zu
bilden – und zwar mit möglichst heterogenem disziplinären Fachwissen und unterschiedlichen
Persönlichkeitsmerkmalen. Wichtig ist, dass alle Teammitglieder eine Toleranz für und positive
Grundeinstellung gegenüber der „Andersartigkeit“ der Lösungsvorschläge der anderen
Gruppenmitglieder mitbringen.
Get tangible: Make and show, don’t tell.
PowerPoint und Businessplänen sind verboten, ebenso wie lange Erklärungen. Ziel beim Design
Thinking ist es, Lösungsvorschläge möglichst schnell visuell (z.B. zeichnerisch) darzustellen –
oder am besten in Form eines einfachen 3 D-Prototypen zu demonstrieren. Solche Prototypen
lösen viel mehr Emotionen als PowerPoint aus! Lernen Sie Zeichnen – und basteln Sie!
xiv
Engage in competition: Wettbewerb entfesselt ungeahnte Kräfte.
Häufig ist es sinnvoll, auf eine (Produkt-)Innovation nicht nur ein Team, sondern bewusst
mehrere Teams anzusetzen. Einerseits erhöht der Wettbewerb das Engagement und die
Motivation der verschiedenen Teams, andererseits führt dies dazu, dass man eine deutliche
grössere Breite sehr unterschiedlicher Problemlösungsansätze erhält. Die Wahrscheinlichkeit
eines „Durchbruchs“ ist damit deutlich höher.
Fail fast and often: Develop a tendency towards action. Done is better than perfect. Prototype
& learn from it.
Beim Design Thinking ist es nicht das Ziel, möglichst viele Misserfolge zu erzielen, um daraus
irgendwann zu lernen. Vielmehr geht es darum, möglichst früh im Innovationsprozess die Fehler
zu machen – weil dies Kosten deutlich reduziert und den Prozess stark beschleunigt. Je schneller
und häufiger man den Design Thinking-Innovationsprozess durchläuft, desto besser.
Wichtig ist immer, dass man sich zwingt, tangible Zwischenergebnisse zu erzielen. Es ist besser,
etwas umzusetzen und damit zu lernen – als alles immer nur in Gedanken durchzuspielen, um
letztlich gar nichts zu realisieren.
Erzählen Sie reale Geschichten.
Design thinking und Storytelling hängen zusammen. Geschichten bieten interaktiven Kontext,
erhöhen die subjektive Relevanz und fördern die Empathie. Mit Geschichten wird es deutlich
leichter, die Motive und Handlungen anderer Personen nachzuvollziehen und zu verstehen.
Geschichten fördern auch Kreativität und somit die Innovationskraft.
1.4.
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Experimente führen nicht immer zur besten Lösung.
Design Thinking basiert stark auf Experimenten. Insbesondere im Bereich des Online- und Direct
Marketing verfügt die Marketingpraxis über grosse Erfahrungen bezüglich der Vor- und
Nachteile von Experimenten. So führen Unternehmen wie Amazon, Ebay und LinkedIn häufig
Hunderte von A/B-Tests durch, um die Usability ihrer Webseiten sowie die Antwortraten zu
xv
erhöhen. In diesem Bereich haben sich Experimente als enorm hilfreich erwiesen, weil sie reales
Kundenverhalten widergeben. Dennoch ist bekannt, dass A/B-Testing häufig nicht in der Lage
ist, die bestmögliche Lösungsvariante zu erzielen – häufig führen dieses Experimente zu
Suboptima. Daher ist es wichtig, dass beim Design Thinking ausreichend Kreativität in den
ersten Phasen eingesetzt wird, um den Lösungsraum möglichst breit abzudecken. Experimente
und Tests helfen dann (lediglich), die jeweils beste Teillösung zu finden und zu verwirklichen.
1.5.
Wervolle Resources und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Brown, T./Martin, R. (2015): Design for Action, Harvard Business Review, 93, September,56-64.
Brenner, W./Uebernickel, F. (Eds.) (2016): Design Thinking for Innovation: Research and Practice,
Cham.
Reinecke, S. (2016) What is it that Design Thinking and Marketing Management can learn from
each other? In: Brenner, W./Uebernickel, F. (Eds.) (2016): Design Thinking for Innovation:
Research and Practice, Cham
Plattner, H./Meinel, C./Leifer, L. (Eds.) (2016): Taking Breakthrough Innovation Home –
Understanding Innovation, Cham.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Hasso Plattner Institute of Design at Stanford
http://dschool.stanford.edu/
Design Thinking am Hasso Plattner Institut an der Universität Potsdam
https://hpi.de/studium/design-thinking.html
Web-Seite des auf Design Thinking spezialisierten Unternehmens IDEO
http://www.ideo.com
Empfohlene Videos
xvi
What is design thinking? by Sean VanGenderen
https://www.youtube.com/watch?v=a7sEoEvT8l8
How it works – Design thinking by IBM Academy
https://www.youtube.com/watch?v=pXtN4y3O35M
The explainer: Design thinking (HBR Video)
https://hbr.org/video/4443548301001/the-explainer-design-thinking
Referenzen und weitere Quellen
Arnheim, R. (1969): Visual Thinking, Berkeley et al.
Beckman, S. L./Barry, M. (2007): Innovation as A Learning Process: Embedding Design Thinking,
in: California Management Review, 50, 1, pp.25-56.
Bommel, E.v./Edelman/, D./Ungerman, K. (2014): Digitizing the consumer journey, in: McKinsey
Insights, June.
Brown, T. (2008): Design Thinking, in: Harvard Business Review, 6, pp.-84-92.
Christensen, C. M. (1997): The Innovator's Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms
to Fail, Boston, MA.
Christensen, C. M./Anthony, S. D./Roth, E. A.: (2004): Seeing What's Next: Using the Theories of
Innovation to Predict Industry Change, Boston, MA
Clark, K./Smith, R. (2008): Unleashing the Power of Design Thinking, in: Design Management
Review, 19, 3, 8-15.
Cross, N. (1982).: Designerly Ways of Knowing, in: Design Studies 3.4, pp. 221-27.
Gobble, M. M. (2014): Design Thinking, in: Research-Technology Management, 3, pp.-59-61.
Herrmann, N. (1996): The Whole-Brain Business Book, Unlocking the Power of Whole Brain
Thinking in Organizations and Individuals, New York.
Holloway, M. (2009): How Tangible is Your Strategy? How Design Thinking Can Turn Your
Strategy into Reality, in: Journal of Business Strategy, 30, 23, pp. 50-56.
Leifer, L J./Steinert, M. (2011): Dancing with Ambiguity: Causality Behavior, Design Thinking,
and Triple-Loop-Learning, in: Information Knowledge Systems Management, 10, pp. 151-173.
xvii
Leonard-Barton, D. (1995): Wellsprings of Knowledge: Building and Sustaining the Sources of
Innovation, Boston.
Meinel, C./Leifer, L. (2013): Design Thinking Research – Building Innovation Eco-Systems, in:
Plattner, H./Meinel, C./Leifer, D. (Eds.): Design Thinking Research – Building Innovation EcoSystems, Wiesbaden.
Nussbaum, B. (2011): Design Thinking is a Failed Experiment. So What’s Next?, in: Fast
Company, April 5, http:/www.fastcodedesign.com/1663558/design-thinking-is-a-failedexperiement-so-whats-next.
Nutt, P. C. (1993): The Identification of Solution Ideas During Organizational Decision Making,”
in: Management Science, 39, pp. 1071-85.
Stanford University (2014): The Design Thinking Process, www.dschool.stanford.edu.
xviii
TREND ZWEI: THE CONVENIENT CUSTOMER
Die digitale Transformation ist in aller Munde.
Während sich Technologiefans über immer
neuere, schnellere und komplexere Ansätze zur
Verarbeitung von Informationen freuen, sehen
The Convenient Customer
Marketeers in der digitalen Transformation vor
Video
allem die Chance, einen uralten Kundenwunsch
zu befriedigen: endlich das „leidige“ Einkaufen
angenehm und problemlos zu gestalten. Gefragt
sind dabei Lösungen, die das Einkaufserlebnis
nicht einfach abbilden, sondern gezielt weiterentwickeln und somit nicht nur logistisch
praktischer, sondern vor allem besser geführt und dadurch kognitiv einfacher gestalten. Letztlich
stehen bei den Ansätzen, die den „Convenient Customer“ ansprechen sollen, diejenigen
Lösungen im Vordergrund, die Hürden abbauen, den Kunden besser führen und den Weg zum
Angebot verkürzen.
2.1
Best Practice-Beispiele
Immer alles überall – jetzt.
Die erste Hürde, die dem Convenient Customer geebnet werden muss, ist jene der mangelnden
Erreichbarkeit und Verfügbarkeit. Im Internet ist dies bereits weitgehend geschehen: Kunden
finden sich mitten in der geballten Auswahl der Anbieter wieder. Allerdings ist zu beobachten,
wie führende Onlineanbieter einen weiteren Schritt auf ihre Kunden zugehen und zunehmend
auch die Hürde der Ungleichzeitigkeit einebnen: Live-Chats und Beratungsdienstleistungen per
Videokonferenz helfen, den statischen Eindruck von Webangeboten aufzulösen und in einen
fliessenden Live-Zustand zu überführen.
1
Abb. 1: Video Live Anwendung.
Der Spion, der für mich shoppte.
Die zweite Hürde, die zwischen Anbieter und Konsumenten steht, betrifft grundsätzlich den
Informationsfluss bzgl. eines Bedarfs. Hier setzt der amerikanische Onlinedirektversender
Amazon an und bietet mit seinem smarten Amazon Echo die Möglichkeit, von überall in der
Wohnung seinen Einkaufszettel zu diktieren. Während Sprachsteuerung beispielsweise über
moderne Fernsehgeräte oder Spielekonsolen bereits in den vergangenen Jahren Einzug in den
Wohnzimmern gehalten hat, folgen jetzt sowohl Amazon mit Echo als auch Google mit seinem
vergleichbaren Angebot Google Home. Der wichtigste Unterschied ist, dass hier die
gesammelten Daten nicht im Versteckten, sondern ganz transparent zur weiteren Vereinfachung
von Einkaufsprozessen eingesetzt werden.
Abb. 2: Amazon: Hört zu. Lernt. Bestellt.
2
Quelle: Amazon (Jahr)
Das Überbrücken der letzten Meile.
Die dritte Hürde, die von Anbietern überbrückt werden muss, besteht nach wie vor in der
Lieferung der Leistung zum Kunden. Hier experimentieren neben Amazon auch lokale Anbieter
wie die Schweizerische Post mit der Zustellung von Produkten mithilfe autonomer Drohnen.
Auch wenn die Zustellung von Paketen im Kleinstflugzeug noch vor vielen logistischen
Herausforderungen steht, so setzen heute bereits viele regionale Direktversender auf die
Lieferung am selben Tag – oder mindestens per Übernacht-Kurier am Folgetag. Die
Logistiklösungen, die eine solche schnelle Versorgung mit Angeboten sicherstellen, arbeiten mit
Bedarfsvorhersagen, anhand derer Sendungen bereits auf den Weg zum Kunden geschickt
werden, bevor dieser überhaupt bestellt hat – wie beispielsweise im Falle von Amazons
„anticipatory shipping“. Insbesondere im Falle der Musik und Filmindustrie lässt sich
eindrucksvoll zeigen, wie die Eliminierung der letzten Meile als Hürde zwischen dem Anbieter
und den Kunden durch die diversen Musikdownloaddienste und digitale Endgeräte wie Videoon-Demand Geräte alle anderen Vertriebswege dezimiert haben.
Abb. 3: Drohne liefert Paket Post.
2.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Neue Angebots und Fertigungsstrategien.
3
Zu gleichen Teilen Ausgangspunkt und Konsequenz des Trends der „Convenient Customer“ ist
eine Verschiebung der Kundenbedürfnisse weg vom Besitz konkreter Gegenstände und hin zum
Konsum von Erlebnissen oder speziell für den Konsumenten massgeschneiderten Produkten.
Eine wichtige Rolle fällt hierbei dem technologischen Fortschritt in den Fertigungsprozessen von
in Serie personalisierten Produkten zu – allen voran dem 3D-Drucken. Eine weitere wichtige
Rolle in der Gestaltung neuer Angebote kann der Sharing Economy beigemessen werden. Ein
drittes Beispiel lässt sich im Produktkonzept des Automobilanbieters Tesla finden: Das Fahrzeug
wird technisch vollausgerüstet produziert, seine Funktionen werden aber nur in Abhängigkeit
des Produktkonzepts je Software-Freigabe oder Upload freigegeben. Während diese
Schlüsseltechnologien und -konzepte vor wenigen Jahren noch nach Zukunftsmusik klangen,
sind sie mittlerweile die wichtigsten Hebel, mit denen sich gerade die Industrie zu einer fast
vollständig auf Dienstleistungen ausgerichteten Marketingzukunft ausrichtet.
Digitale Convenience.
Die Digitalisierung des Kundenprozesses bietet nicht nur technische Spielereien und
Technologien für die nächste Pressemitteilung – sie bietet die Gelegenheit, Kundenprozesse zu
vereinfachen und angenehmer zu gestalten. Hierbei spielt der clevere und effiziente Umgang mit
Informationen eine Schlüsselrolle. Die Digitalisierung und zunehmende Verzahnung mit
Geschäftsprozessen ist damit der wichtigste Treiber für den Trend des Convenient Customers.
Abb. 4: Tesla: Digitale Updates eröffnen neue Funktionen.
Quelle: Tesla (Jahr)
Schneller, schneller.
4
Der Convenient Customer sucht nicht nur nach Bequemlichkeit, er möchte auch Verzögerungen
weitgehend aus seinem Konsumentenleben verbannen. Innovationen, die heute auf der anderen
Seite der Welt vorgestellt werden, sollten idealerweise morgen bereits verfügbar sein. Die
neueste Mode wird live in den sozialen Netzen auf den Modenschauen begutachtet und bereits
wenig später im Onlineshop oder in der Boutique erwartet. Der Convenient Customer ist
dadurch geprägt, dass er sein Zeitverständnis und damit auch seine Ungeduld an den
Nachrichtenzyklus im Internet angepasst hat: Alles ist live. Was von gestern ist, findet nicht mehr
statt.
Und bist Du nicht einfach, so kauf ich Dich nicht.
Letztlich ist die Orientierung am Convenient Customer wichtig, da in gesättigten Märkten der
Kaufprozess immer seltener durch ein intensives Involvement des Konsumenten geprägt ist:
Kunden werden nicht nur bequemer, sie werden auch gleichgültiger. Somit steht Convenience an
vorderster Stelle: Was in Zeiten weit verbreiteter hochqualitativer Angebote heute nicht mehr
einfach konsumierbar ist, wird nicht konsumiert. Dieser Anspruch lässt sich ebenfalls in der
Beratung und Betreuung von Konsumenten feststellen: das Kuratieren von Angeboten für
vielbeschäftigte oder unbedarfte Kunden für Bekleidung erfreut sich seit jüngster Zeit grösster
Beliebtheit.
Abb. 5: Outfittery: Looks bestellen anstatt passende Teile zu jagen.
Quelle: Outfittery (Jahr)
5
2.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Sollte Sie der Convenient Consumer interessieren?
Stellen Sie sich zunächst die Frage, wie sehr Ihre Kunden wirklich an Ihr Angebot gebunden
sind, bzw. wie loyal sie sind. Gibt es gute Gründe, ausschliesslich Ihr Angebot zu wählen und
auch Widrigkeiten in Kauf zu nehmen? In den meisten Fällen wird die ehrliche Antwort kritisch
ausfallen – und entlang dieser Einschätzung wächst die Rolle, die Sie dem Convenient Consumer
beimessen sollten.
Eine weitere Frage ist die Rolle von besonders kurzen Fristen und Rhythmen in der Innovation
des Produktangebots. Sofern die Innovationszyklen Ihres Unternehmens besonders kurz sind,
empfiehlt sich die Ausrichtung auf die Ansprüche der Convenient Customer besonders.
Andernfalls kann der Konkurrenzdruck im Markt dazu führen, dass Produktangebote, die
schwerfällig positioniert und kompliziert erreichbar sind, sich in der Kürze des Produktzyklusses
bei der Konsumentenwahl durchsetzen können.
Während entgegenkommende Einkaufsprozesse bei kurzen Innovationszyklen als Motivatoren
wichtig sind, stellen sie bei Einkaufsvorgängen, die bei Konsumenten routiniert und gelernt sind,
Hygienefaktoren dar: Diejenigen Anbieter, die bei einem wiederkehrenden Interaktionsprozess
die geringsten Hürden aufbauen, profitieren von einer grösseren Attraktivität gegenüber einer
breiteren Zielgruppe.
Zudem ist es relevant, inwiefern Sie das Kundenerlebnis selbst steuern können oder ob Sie in der
Gestaltung des Einkaufserlebnisses auf die Zusammenarbeit mit anderen Partnern und
Vertriebsmittleren angewiesen sind. Wenn Sie den Kundenprozess in Eigenregie optimieren
können, so empfiehlt sich die Orientierung am Convenient Customer als Referenzgruppe, um
auch das Segment mit den flüchtigsten Konsumenten anzusprechen und zu binden.
Abschliessend ist zu klären, zu welchem Grad sich durch die (teilweise) Digitalisierung des
Kundenprozesses nicht nur Sparpotentiale in der Kostenstruktur der Angebote, sondern
tatsächliche Wertsteigerungen für den Endkunden entwickeln lassen.
Wenn Sie vermuten, dass der Convenient Customer für Ihr Unternehmen eine wichtige Rolle
spielen wird, steht zunächst im Vordergrund, das Leistungsportfolio auf den Prüfstand zu stellen
und drei Aspekte gezielt zu untersuchen.
Grundlegender Check-Up der Kundenprozesse.
6
Unterziehen Sie die häufigsten Kundenprozesse einem Audit. Identifizieren Sie die wichtigsten
Kundenprozesse, die über Akquisition und Bindung von Kunden entscheiden und untersuchen
Sie diese auf mögliche Verursacher von Prozessabbrüchen, unnötige Medienbrüche, auf nicht
optimal aufeinander abgestimmte Wechsel vom einen zum anderen Kundenkontakt und auf
möglicherweise früher bewusst aufgebaute – historisch gewachsene – Hürden zwischen Ihren
Kundenbetreuern und Ihren Kunden.
Untersuchung der gesamten Customer Journey.
Sobald Sie die bestehenden Kundenprozesse auf Hürden hin untersucht und diese so gut wie
möglich nivelliert haben, sollten Sie den Umfang Ihrer Perspektive über die einzelnen
Kundenprozesse hinaus ausweiten und die gesamte Customer Journey untersuchen. An welchen
Stellen vor und nach der unmittelbaren Interaktion mit Ihrem Unternehmen stossen Kunden auf
Hürden, die entweder nur Ihre oder aber alle Angebote in Ihrer Produktgruppe betreffen?
Versuchen Sie, für diese Hürden proaktiv Lösungen zu finden und damit den entscheidenden
Schritt auf den Convenient Customer hin zu machen.
Schaffen Sie Mehrwert.
Wenn Sie Ihre Kundenprozesse sowie die erweiterte Customer Journey auf Hürden geprüft und
diese beseitigt haben, rückt Ihr Angebotsportfolio auf den Prüfstand. Nun geht es weniger
darum, Probleme zu identifizieren, sondern gezielt Mehrwert durch die Möglichkeiten der
Digitalisierung zu schaffen oder durch ein konsequentes Überdenken der Produktpalette die
Basis der Entwicklung zur Dienstleistungspalette zu schaffen.
Alle drei Schritte erfordern, dass Sie das Marketing Ihres Unternehmens auf den Prüfstand
stellen und dabei sowohl Schwachstellen identifizieren als auch neue Potenziale generieren. Der
Schlüssel zu diesem Prozess ist dreiteilig: erstens setzen Sie am Kern der Kundenentscheidung –
dem wahrgenommenen Wert und den wahrgenommenen Kosten – an. Es geht also um das
Verkaufen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Zweitens werden Sie in der Regel zur Steigerung
des wahrgenommenen Nutzens auf die Möglichkeiten der jüngsten technischen Innovationen
sowie der Digitalisierung von Prozessen setzen. Und drittens stellen diese Schritte insgesamt
neue Herausforderungen an die Lernfähigkeit und Implementierungsgeschwindigkeit der
Marketingorganisation. Dementsprechend empfehlen sich als weitere Lektüre die unten
aufgeführten Texte zu Value-Selling, der Fachbeitrag zur digitalen Transformation sowie ein
Überblick über das Potential von Design Thinking für Marketing (siehe Trend 1).
7
2.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Ihr Unternehmen sollte nur so weit auf den Convenient Customer zugehen, dass sich Ihr
Engagement auszahlt. Einer anspruchsvollen Zielgruppe entgegen zu kommen kostet Aufwand –
und dieser Aufwand muss sich auszahlen. An dieser Stelle entscheidet sich, ob die
Berücksichtigung des Convenient Customer für Ihr Unternehmen zu einem Bärendienst wird
oder ob sich durch die besondere Berücksichtigung diejenigen positiven Effekte einstellen, die
dazu führen, dass anspruchsvolle Kunden auch tatsächlich zu wertvollen Kunden entwickelt
werden können. Segmentierung und Targeting sind somit entscheidend: Prüfen Sie, ob
Convenient Customer für Ihr Unternehmen auch tatsächlich profitable Kunden sind bzw.
werden können! Es gibt anspruchsvolle Kunden und schwierige Kunden – lernen Sie,
diesbezüglich zu unterscheiden.
2.5
Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Belz, C. (2016): Marketing Heatmap I – digitale Transformation und strategische Optionen. In:
Swiss Marketing Review, 1, 2016.
Belz, C. & Dannenberg, H. (2016): Erfolgsmotor Value Selling. In: Swiss Marketing Review, 4,
2016.
Sundström, M. & Radon, A. (2015). Utilizing the concept of convenience as a business
opportunity in emerging markets. Organizations & Markets In Emerging Economies, 6(2),
7-21.
Wieseke, J., Kolberg, A. & Schons, L. (2016). Life could be so easy: the convenience effect of
round price endings. Journal Of The Academy Of Marketing Science, 44(4), 474-494.
Weinberg, B. D., Milne, G. R., Andonova, Y. G., & Hajjat, F. M. (2015). Internet of Things:
Convenience vs. privacy and secrecy. Business Horizons, 58(6), 615-624.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
8
The 7 Essentials of Customer Centric Business: Convenience (2012)
https://uxmag.com/articles/convenience
Nailing the Convenience Factor in Customer Service (2013)
http://www.inc.com/nailing-the-convenience-factor-in-customer-service.html
Attention, Retailers! How Convenient Is Your Convenience Strategy? (2000)
http://sloanreview.mit.edu/article/attention-retailers-how-convenient-is-your-conveniencestrategy/
Empfohlene Videos
How To Create A Customer Journey Map (2014)
https://www.youtube.com/watch?v=mSxpVRo3BLg
Business Consulting – Making Sense of the Mobile Me™ Personalized Customer Experience –
Cognizant (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=YmPvotxrY1o
Convenience for the customer – Paul Walsh, CIO of Dell (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=XWE_qk4dRrQ
Introducing Amazon Go and the world’s most advanced shopping technology (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=NrmMk1Myrxc
Referenzen und weitere Quellen
9
TREND DREI: PERSONALIZATION
Personalisierungstechniken dienen dazu,
Kunden individuelle, relevante Erfahrungen mit
einem Unternehmen über verschiedene
Touchpoints zu ermöglichen. Dabei können
Personalisierungsstrategien auf Angebots-,
Personalization
Video
Produkt-, Kommunikationsebene realisiert
werden. Um massgeschneiderte Angebote für
den Kunden schaffen zu können, müssen
Unternehmen entsprechende Zielgruppen genau
kennen. Als Grundlage dafür müssen Daten z.B. über die Produktinteressen, das Konsum- und
Einkaufsverhalten, den Standort sowie weitere Attribute gesammelt werden, um ein
ganzheitliches Kundenprofil und darauf aufbauend entsprechende Leistungen gestalten zu
können.
Bewegt man sich im Rahmen digitaler Kundeninteraktionen, können Unternehmen heute
Kunden problemlos identifizieren, voneinander abgrenzen, anhand ihrer persönlichen Daten
wiedererkennen und kategorisieren. Durch Möglichkeiten des Trackings über verschiedene
Interaktionszeitpunkte, -medien und -kanäle hinweg wird ein 1:1-Marketing über die gesamte
Customer Journey Wirklichkeit. Viele Unternehmen setzen auf die Integration von Online- und
Offline-Daten (z.B. über Bonuscards oder Kundenbefragungen) sowie auf den Bezug externer
Datenquellen, um ganzheitliche Kundenprofile adäquat abzubilden und hinsichtlich relevanter
Interaktionsangebote schärfen zu können. Dabei können durch Einkauf von externen
Kundendaten (beispielsweise über sog. „Customer Data Marketplaces“) und auf Basis
unternehmenseigener Profile „Stereotypen“ gebildet werden, welche mit ähnlichen Kundendaten
anderer Unternehmen unterfüttert und dadurch in der Beschreibung individueller
Kundengruppen ausgeweitet werden.
Mit Hilfe neuster Technologien können heute Kundeninformationen in Echtzeit erfasst,
verarbeitet, analysiert und als Grundlage für eine entsprechende Interaktionsgestaltung
verwendet werden. Beispiele für den Einsatz von Personalisierungsstrategien sind eine
individualisierte Kommunikation (z.B. Direktansprache über den Kundennamen), Variation des
Stils der Kundenansprache (z.B. je nach Alter und Interessensgruppe), Produktempfehlungen
und verfügbare Zahlungsmöglichkeiten.
10
Abb. 1: The Personalization Priority.
Quelle: Morrison (2015), http://www.adweek.com/socialtimes/personalization-is-a-big-challenge-for-digital-marketersinfographic/631517
Eine individualisierte Kundenansprache hat grossen Einfluss auf die Effektivität sowie auch die
Effizienz von Marketingmassnahmen: Durch relevante Interaktionsinhalte & -massnahmen
können Kunden adäquater bedient werden und gleichzeitig nicht passende
Marketingmassnahmen vermieden werden. Diverse Studien und Fallbeispiele belegen diese
positiven Effekte von Personalisierung und zeigen deutlich, dass Kunden häufiger auf
personalisierte Angebote ansprechen und im Vergleich zu Standardangeboten, häufiger einen
Kaufabschluss vornehmen (z.B. Bliemel, Fassott & Theobald, 2013; Dorotic, Bijmolt & Verhoef,
2012).
Die erfolgreiche Umsetzung von Personalisierungsstrategien birgt für Unternehmen die zentrale
Herausforderung, Kundendaten genau zu erfassen und in entsprechende Leistungen zu
übersetzen, ohne dass der Kunde sich vom Unternehmen verfolgt und der eigenen Privatsphäre
beraubt fühlt. Die Entwicklung von einer vertrauensvollen Beziehung ist vor diesem
Hintergrund von höchster Priorität.
Im Online-Geschäft können folgende Merkmale im Einsatz von Personalisierungsstrategien
unterschieden werden (Auszug):
§
§
geographischer Standort (Land, Staat, Stadt, Sprache, Postleitzahl usw.),
Verhaltensinformationen (z.B. Suchbegriffe, Anzahl der Seitenbesuche/ Seitenaufrufe pro
Besuch (via. IP-Adresse), Browser, Device (z.B. Ipad, Laptop), Produktinteressen,
Kaufhistorie, Customer Journey usw.),
§
persönliche Kontaktdaten (demographische Daten, Produktinteressen, KampagnenGruppe, Unternehmensdaten, Käuferstatus (z.B. Erstkäufer)),
11
§
vertikale Märkte (Massnahmen wie z.B. Werbung auf einer Website für eine bestimmte
Branche/Nischenmarkt),
§
Account-basierte Differenzierung (Adressieren relevanter Kundengruppen, individueller
Kunden, Entscheider, besonders B2B relevant),
§
predictive Marketing (“Automatic Discovery” aller Seiteninhalte; Machine-Learning
Anwendungen; “Dynamic Content”).
3.1
Best Practice-Beispiele
Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung aktueller Technologien findet man heute auch
zunehmend Beispiele, bei denen Daten in Echtzeit auch für digitale Werbung im Store verarbeitet
werden (http://www.quividi.com/all-case-studies/). So können auch im Shop persönliche
Erfahrungen generiert werden, die über den Kontakt mit dem Verkaufspersonal hinausgehen.
Dabei lassen sich viele Beispiele zur Umsetzung solcher personalisierter Werbemassnahmen
finden. Unternehmen können hier beispielsweise auf demographische Daten zurückgreifen, die
mit Hilfe von Videoaufnahmen und -analysen erfasst werden.
Quividi
Ein Beispiel ist das Luxus-Kaufhaus „Harrods“, das über Quividi-Technology und damit über
Kameraanalysen erfasste soziodemographischen Daten die In-Store-Werbedisplays auf die
jeweiligen Kunden abstimmt.
12
Abb. 2: Kameraanalyse zur Datenerfassung.
Nike iD
Im Gegensatz zu Personalisierungsmassnahmen, die von Seiten des Unternehmens
vorangetrieben werden, können Konsumenten bei „Customization“-Angeboten selbst Angebote,
Produkte & Services zusammenstellen und über die Menge und Inhalte der zur
Angebotsgestaltung verwendeten Daten entscheiden. Kunden können selbst Daten einpflegen,
um z.B. Produkte zu gestalten oder aber noch stärker an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Im
Austausch erhalten Konsumenten eine selbstentworfene Leistung, die sich durch z.B. eine
kreativere Lösung über das Standardangebot hinaus auszeichnen kann. Ein Beispiel für
Customization-Möglichkeiten ist das Konzept von Nike iD. Auf der Plattform von Nike können
Kunden selbst Nike-Schuhe gemäss den eigenen Wünschen nach Stil, Form & Farbe designen
(http://www.nike.com/).
Abb. 3: Nike iD zur selbstständigen Schuhgestaltung.
Quelle: Nike (2016)
Mtailor.com
Bei Mtailer.com, einer Website für massgeschneiderte Business-Kleidung, haben Kunden die
Möglichkeit, die Kleidung bzgl. Stil, Stoffen, Mustern usw. zu gestalten und sich mittels PhoneApp innerhalb von 30 Sekunden passgenau vermessen zu lassen, so dass die Kleidung
13
individualisiert werden kann. Angeblich ist die Vermessung mittels Handy um 20 Prozent
genauer als durch einen professionellen Schneider.
Abb. 4: Massgeschneiderte Business-Kleidung.
Quelle: Mtailor (Jahr)
Ovomaltine
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Personalisierung bzw. Customization bei Fast Moving
Consumer Goods zeigt Ovomaltine. Dort können Kunden z.B. für verschiedene Anlässe
Ovomaltine-Dosen in verschiedenen Designs selbst wählen bzw. auf Basis eigener Fotos
gestalten. Dabei können Sie einerseits selbst Einfluss auf das eingesetzte Bildmaterial als auch
den verwendeten Text nehmen.
14
Abb. 5: Persönliche Ovomaltine Dose.
Quelle: meine.ovomaltine.ch, erstellt am 03.01.2017
3.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Wunsch nach sofortiger und individueller Beratung.
Durch die wachsende Verfügbarkeit und Auswahl an verschiedenen Anbietern, Produkten und
Dienstleistungen sind heutige Konsumenten geprägt von einem sich stärker manifestierenden
Wunsch nach sofortiger und individueller Behandlung. Aus diesem Grund kann dem Trend der
Personalisierung und des Customizing eine steigende Relevanz im Marketing zugeschrieben
werden.
Keine zusätzlichen Ressourcen notwendig.
Durch die weitere Entwicklung technologischer Möglichkeiten, einerseits in der Datenerfassung
(z.B. Videotechnologie), Datenspeicherung (z.B. Cloudtechnologien, Software) und -verarbeitung
(z.B. Marketing Automation, Real time-Analysen) werden Unternehmen zukünftig weitere
Massnahmen in diesem Bereich umsetzen können, ohne zusätzliche Ressourcen einsetzen zu
müssen.
Abgrenzung vom Wettbewerb.
15
Vielmehr erlaubt Personalisierung eine effiziente und effektive Kundenansprache, welche auch
in Zukunft für Marketingmanager von hohem Interesse ist. Je besser unternehmenseigene
Angebote an die richtigen Kunden adressiert und an deren Bedürfnisse angepasst werden
können, desto mehr Umsatz kann für ein Unternehmen generiert werden. Dabei ermöglichen
Personalisierungs- und Customization-Angebote nicht nur eine zielgruppenadäquate, sondern
auch differenzierte Ansprache, um sich vom Wettbewerb abgrenzen und der Austauschbarkeit
der eigenen Produkte schützen zu können.
Erhöhte Zahlungsbereitschaft.
Des Weiteren erhöht eine Personalisierung häufig auch die Zahlungsbereitschaft der Kunden
und somit die Profitabilität.
Abb.6: Segmentation and Personalization Pays Off
Quelle: Morrison (2015), http://www.adweek.com/socialtimes/personalization-is-a-big-challenge-for-digital-marketersinfographic/631517
Die Grundlagen für diese Möglichkeiten müssen vom Marketingmanagement frühzeitig gesetzt
werden. Dabei sind nicht nur infrastrukturelle Bedingungen, sondern auch unternehmenseigene
Kompetenzen zu klären, um eine Personalisierungsstrategie auf allen Ebenen des Marketing-Mix
umsetzen zu können.
16
3.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Um eine Personalisierungs- bzw. Customization-Strategie konzeptionell aufbauen und umsetzen
zu können, ist eine genaue und umfassende Analyse des Status Quo unerlässlich. Erst auf dieser
Basis können zukünftige Schritte abgeleitet und bis zur Erfolgskontrolle und Optimierung
möglicher Massnahmen durchgeführt werden. Die folgenden Leitfragen sollen Hilfestellung zur
Identifikation möglicher Ansatzpunkte von Personalisierungsmassnahmen im Unternehmen
geben.
Analyse des Status Quo im Bereich Personalisierung.
Interne Analyse: Welche Massnahmen nutzt das Unternehmen im Bereich der Personalisierung
bzw. des Customization? Wie werden diese Massnahmen von Kunden wahrgenommen und
genutzt? Wie gestalten sich derzeit die Key Performance Indicators (z.B. Conversion Rate) von
bereits durchgeführten personalisierten gegenüber nicht personalisierten
Marketingmassnahmen? Bieten aktuelle Massnahmen Erweiterungspotentiale? Welche
Möglichkeiten der Personalisierung könnten zukünftig für die wirtschaftlich interessanten
Kundengruppen des Unternehmens relevant sein? Wer sind mögliche Zielkunden?
Externe Analyse: Wie gestaltet sich „Personalisierung“ bzw. „Customization“ bei relevanten
Wettbewerbern des Unternehmens? Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus, um sich mit
Hilfe eigener Massnahmen von Wettbewerbern differenzieren zu können?
Analyse zukünftiger möglicher & relevanter Massnahmen (kurz- sowie langfristig) im Bereich
Personalisierung.
Welche Massnahmen im Bereich der Personalisierung bzw. des Customization wären aktuell
denkbar? Welche zusätzlichen Möglichkeiten in diesem Bereich würden Kunden des
Unternehmens gerne nutzen? An welchen Stellen wäre eine Personalisierungs- oder eine
Customization-Strategie sinnvoll?
In welcher Phase des Kaufprozesses bzw. der Customer Journey würden zusätzliche
Massnahmen im Bereich der Personalisierung die bisherige Aktivität sinnvoll ergänzen? Wie
könnte „Personalisierung“ als Methode in dem Bereich der Kundenakquisition, dem aktiven
Engagement, zur Kundenbindung (Wiederkauf, Cross-/Upselling) oder der Stärkung der
17
Weiterempfehlung durch Kunden eingesetzt werden? In welchem Bereich des Marketing-Mix
wäre die Konzeption und Umsetzung einer Personalisierungsstrategie sinnvoll? Im gesamten
Marketing-Mix oder auf Marktleistungs-, Preis-, Kommunikations- oder Distributionsebene?
Welche kurzfristige und welche langfristigen Massnahmen sollten in naher Zukunft
vorangetrieben werden? Sind dabei spezielle Touchpoints eines Kunden interessant – oder ist
eine ganzheitliche Personalisierungsstrategie über verschiedene Devices sowie Kommunikationsund Vertriebskontakte realisierbar?
Analyse der unternehmenseigenen Infrastruktur und Kompetenzen, um Personalisierungsmassnahmen umzusetzen.
Wie könnten sich zusätzliche Massnahmen im Bereich der Personalisierung heute/ innerhalb von
1 Jahr/ innerhalb von 2 Jahren realisieren lassen? Welche Daten sind aktuell vorhanden und
welche müssten künftig von Kunden erhoben, extern erworben bzw. verarbeitet werden, um eine
Personalisierung der Unternehmensleistungen vornehmen zu können? Wie ist die aktuelle
Infrastruktur in den Bereichen der Datenspeicherung, –verarbeitung/ -auswertung und
Interpretation von Informationen zu bewerten?
Welche unternehmenseigenen Kompetenzen im Bereich der Personalisierung liegen heute vor
(Massnahmenplanung, -implementierung und –pflege; v.a. im IT-Bereich)? Welche Ressourcen
stehen aktuell und ggf. zukünftig für die Umsetzung von Personalisierungsmassnahmen zur
Verfügung? An welcher Stelle würde die Konzeption und Umsetzung solcher Massnahmen
festgemacht werden?
Definition des Monitorings und Optimierungsprozesses.
Wie kann der Erfolg von eingesetzten Personalisierungsmassnahmen überprüft werden? Welche
Key Performance Indicators (KPIs) und Vergleichsgruppen können zur Bestimmung des Erfolges
der Massnahmen herangezogen werden? Wie kann ein ständiger Optimierungsprozess
eingesetzter Massnahmen ermöglicht werden? Welche Stelle wäre für die Erfolgskontrolle und
Optimierung eingesetzter Personalisierungsaktivitäten zuständig?
3.4
18
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Während Kunden immer stärker nach individuellen Produkten, Leistungen und Erfahrungen
suchen,
sind
Personalisierungsmöglichkeiten
aus
Unternehmenssicht
mit
einer
hohen
Komplexität und somit diversen Herausforderungen verbunden. Während heute die
Individualisierung im Bereich der Kommunikation oder Werbung, v.a. online zu grossen Teilen
automatisiert werden kann, bedarf eine Individualisierung tangibler Produkte in der Regel
zusätzlicher Investitionen seitens des Unternehmens (Tseng & Piller, 2011). Individualisierung
schafft Komplexität, und diese führt zu höheren Kosten. Aus Unternehmenssicht ist es meist
einfacher und günstiger, standardisierte Produkte anzubieten. Die genaue Schätzung möglicher
Zusatzerträge durch höhere Absatzzahlen oder Preise aufgrund individualisierter Angebote ist
daher von hoher Bedeutung (Lindemann, Reichwald & Zäh, 2006).
Um einen gewissen Grad der Individualisierung bei angemessenen Produktionskosten zu
ermöglichen, bieten Unternehmen häufig eine festgesetzte Bandbreite an Komponenten an,
welche individuell zusammengestellt werden können. Solche Massnahmen der Mass
Customization lassen sich heute in diversen Branchen finden, beispielsweise als CarKonfiguratoren im Automobilbereich (de Bellis, 2015).
3.5
Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Artun, O. & Levin, D. (2015). Predictive Marketing: Easy Ways Every Marketer Can Use
Customer Analytics and Big Data. New Jersey: John Wiley & Sons.
Bucchi, P. (2012). Customizing Internet Marketing: The Use of Consumer Behavioral
Knowledge in Personalization. AkademikerVerlag.
Nesamoney, D. (2015). Personalized Digital Advertising: How Data and Technology are
transforming how we market. New Jersey: Pearson Education
Walters, D. (2015). Behavioral Marketing: Delivering Personalized Experiences At Scale. New
Jersey: John Wiley & Sons.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Marketo
(2016).
Guide
to
Web-Personalization:
guides/the-definitive-guide-to-web-personalization/
19
https://www.marketo.com/definitive-
Quividi (2016): Case Studies on Personalized Marketing: http://www.quividi.com/all-casestudies/
Empfohlene Videos
Airbnb (2015). Machine Learning as the Key to Personalized Curation – Kamelia Aryafar, Data
Scientist, Etsy. https://www.youtube.com/watch?v=jMaa45fw3dQ
Kentico
(2015).
What
Content
Personalization
is
&
How
to
Use
It.
https://www.youtube.com/watch?v=8Vly_GFT6xY
SAS Software (2016). SAS for Digital Analytics – Personalization & Marketing Attribution.
https://www.youtube.com/watch?v=BnMmHaaU828
SAP
Hybris
(2015).
The
next
Level
of
Personalization
is
Contextualization.
https://www.youtube.com/watch?v=Zca4GMOVimU
Referenzen und weitere Quellen
Bliemel, F., Fassott, G. & Theobald, A. (2013): Electronic Commerce: Herausforderungen –
Anwendungen – Perspektiven, Heidelberg.
Dorotic, M., Bijmolt, T., H. A. & Verhoef, P. C. (2012): Loyalty Programmes: Current Knowledge
and Research Directions, in: Journal of Management Reviews, Vol. 14, No. 3, S. 217-237.
de Bellis, E. (2015). Die 3-K-Erfolgsfaktoren von Mass Customization. Marketing Review St.
Gallen, 32(2), 62.
Lindemann, U., Reichwald, R. & Zäh, M. F. (2006). Individualisierte Produkte-Komplexität
beherrschen in Entwicklung und Produktion (pp. 7-16). Berlin: Springer.
Tseng, M. M., & Piller, F. (Eds.) (2011). The customer centric enterprise: advances in mass
customization and personalization. Springer Science & Business Media.
20
TREND VIER: SENSOR-DRIVEN MARKETING
Sensoren gewinnen in vielen Lebensbereichen an
Bedeutung. Zahlreiche Apps sind heutzutage mit
Sensoren verknüpft und erfassen eine Vielzahl an
Daten. So halten Sensoren beispielsweise den
Aufenthaltsort einer Person fest, zeichnen
Sensor-Driven Marketing
Video
Aktivitätsmuster auf oder messen Umweltfaktoren
wie Luftdruck, Feuchtigkeit und vieles mehr.
Sensoren spielen aber nicht nur bei Apps und privaten Anwendungen eine immer wichtigere
Rolle, sondern gewinnen auch in der Geschäftswelt an Bedeutung. So werden Sensoren
beispielsweise auch für Anwendungen in Autos, Zügen und Flugzeugen genutzt, um Prozesse
zu kontrollieren, die Sicherheit zu erhöhen oder den Komfort zu verbessern.
Das breite Anwendungsfeld von Sensoren in ganz unterschiedlichen Kontexten eröffnet auch für
das Marketing neue Möglichkeiten. Worin die Potentiale eines „Sensor-Driven Marketing“ liegen
und wie diese für Unternehmen gewinnbringend eingesetzt werden können, wird nachfolgend
anhand ausgewählter Beispiele beschrieben. Für die operative Umsetzung der Erkenntnisse
werden für zentrale Aspekte des Themas präzise Handlungsempfehlungen herausgearbeitet, die
den Unternehmen als Orientierungshilfe dienen, wie das Thema proaktiv angegangen werden
kann.
4.1
Best Practice-Beispiele
Sensortechnologie im Gesundheitswesen.
Durch die vermehrte Verwendung von Sensoren im Gesundheitswesen wird sich die Betreuung
älterer Menschen sowie Menschen mit einem Handicap in naher Zukunft massgeblich verändern.
In Australien wurden bereits Sensorsysteme in diesem Umfeld getestet. Ganze Häuser wurden
mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, welche es ermöglichen, die Bewegungen einer Person
nachzuverfolgen, Informationen zu deren Gesundheitszustand zu sammeln und im Notfall
automatisch Betreuungspersonen zu alarmieren. Durch diese veränderte Art der Betreuung
21
älterer Menschen oder Menschen mit einem Handicap kann deren Gesundheitszustand
überwacht und gleichzeitig deren Unabhängigkeit gefördert werden.
Mit einer spielerischen Anwendung der Technologie können die betreffenden Personen dazu
animiert werden, sich regelmässig zu bewegen. Dies geschieht beispielsweise über eine App auf
dem iPad, die von Schwarz-Weiss auf farbig wechselt, wenn die Patienten ein gewisses
Aktivitätsniveau erreicht haben. Dadurch sollen die Patienten motiviert werden, aktiv zu bleiben.
Gleichzeitig
gibt
ein
solches
System
den
Betreuungspersonen
die
Möglichkeit,
den
Aktivitätsstatus ihrer Patienten zu überwachen.
Die Aufzeichnung von Daten ermöglicht es, aussergewöhnliche Ereignisse sofort festzustellen. In
diesem Fall wird ein entsprechender Alarm ausgelöst.
Diese neuen Anwendungsmöglichkeiten sind auch für Marketeers interessant. Die Zielgruppe
der
älteren
Menschen
Betreuungsdienstleistungen
auf
dem
steigt
Markt
dadurch.
wird
grösser
Dieser
und
steigenden
der
Bedarf
Nachfrage
an
nach
Betreuungsdienstleistungen kann durch die Anwendung der Sensortechnologie begegnet
werden. Die Patienten werden nicht mehr so schnell in Altersheime umziehen müssen, sondern
sie können länger in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben.
Aus Sicht des Marketing ist dies interessant, weil der Bedarf an Dienstleistungen und Produkten
der älteren Menschen dank der Sensoren noch genauer erfasst werden kann. So kann für diese
Zielgruppe ein Mehrwert geschaffen werden, indem ihr gezielt diejenigen Produkte angeboten
werden, die für sie von hoher Relevanz sind. Dadurch kann nicht nur die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass die Produkte erworben werden, sondern im Idealfall kann auch eine höhere
Zahlungsbereitschaft abgeschöpft werden. Dies wird dadurch erreicht, dass Angebote
personalisiert und individualisiert werden, um den Bedürfnissen der Kunden noch besser
gerecht zu werden.
Allerdings führt diese Entwicklung dazu, dass die Patienten zwar nicht permanent, aber doch
punktuell besser unterstützt werden müssen. Die Anzahl der Patienten mit akuten
Erkrankungen, chronischen Beschwerden und Demenz nimmt zu. Die Technologie ermöglicht es,
die zur Verfügung stehenden Ressourcen breiter zu verteilen.
Quelle: ABC (2015)
Marketing im Zeitalter der Industrie 4.0.
Neue technologische Entwicklungen verändern die Art der Kooperation von Unternehmen
untereinander. Waren Prozessschritte früher meist sequentiell angelegt, so geht der Trend
22
heutzutage viel stärker in Richtung einer integrierten Kollaboration im Rahmen sogenannter
wertgenerierender Netzwerke (Value-Added Networks). Diese wertgenerierenden Netzwerke
erlauben eine flexiblere und individualisierte Verarbeitung von Kundenanfragen und
Arbeitsaufträgen.
Dank umfassender Datenanalysen zu Fabrikationsprozessen und der Zusammenarbeit mit
Zulieferern kann die Geschäftsaktivität in Echtzeit erfasst, ausgewertet und optimiert werden. So
werden Kostenanalysen möglich, anhand derer sich zukünftige Investitionsüberlegungen auf
Basis einer soliden Entscheidungsgrundlage anstellen lassen.
Aus Sicht des Marketing sind wertgenerierende Netzwerke auch deshalb interessant, weil dem
Kunden dadurch massgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen angeboten werden können,
für welche er häufig eine überdurchschnittlich hohe Zahlungsbereitschaft hat. Durch die
Beschleunigung sowohl intra- als auch interorganisationaler Prozesse verkürzt sich zudem die
Lieferzeit für Produkte und Dienstleistungen substantiell, was wiederum einen Mehrwert
generiert – und zwar nicht nur für den Kunden, sondern auch für das Unternehmen. Dieses kann
sich dadurch von der direkten Konkurrenz abheben.
Weiter kann der Zeitpunkt der Erbringung von Dienstleistungen optimal terminiert werden, was
sich positiv auf die Kundenzufriedenheit auswirken dürfte. Durch die Optimierung von
Prozessen können zudem Kosteneinsparungspotentiale realisiert werden. Die Grundlage dafür
sind Effizienzsteigerungen in den Abläufen. All dies führt dazu, dass sich Unternehmen mehr
Spielraum in der Preisgestaltung schaffen und sich so nicht nur auf der Prozess-, sondern auch
auf der Preisebene von anderen Anbietern abheben können.
Quelle: In Anlehnung an SAP (Ohne Datum)
Abb. 1: Wertgenerierende Netzwerke.
Quelle: SAP (Jahr)
23
Neue Potentiale fürs Marketing: Das Internet der Dinge.
Der technologische Wandel vollzieht sich in rasantem Tempo. Es ist davon auszugehen, dass das
Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) den Alltag einer breiten Bevölkerungsschicht in naher
Zukunft wesentlich verändern wird. Dies bringt auch neue Chancen und Herausforderungen für
das Marketing mit sich. Experten sind der Ansicht, dass das Internet der Dinge in den nächsten
Jahren zusammen mit anderen Technologietrends wie Big Data oder mobilen Transaktionen in
Echtzeit einen grossen Einfluss darauf haben wird, wie Marketing betrieben wird.
Die Palette an Produkten, die Teil des Internets der Dinge werden können, steigt laufend. Dies
hängt damit zusammen, dass Verbindungstechnologien immer günstiger werden. So finden auch
Applikationen für alltägliche Gegenstände wie Haushaltsgeräte immer breitere Anwendung.
Diese stellen allerdings lediglich die Spitze des Eisbergs dar. Es ist nämlich davon auszugehen,
dass die Vernetzung solcher Geräte weiter zunehmen und viele unserer Lebensbereiche
durchdringen wird.
Schon heute hat das Internet der Dinge für das Marketing eine wichtige Bedeutung. Man schätzt,
dass bis 2020 bis zu einer Billion (1000 Milliarden) Geräte auf dem Markt sein werden, die sich
digital miteinander verbinden lassen und somit zu einem Bestandteil des Internets der Dinge
werden können. Die Vernetzung geschieht beispielsweise durch RFID-Tags oder Chips, die in die
Geräte eingebaut werden. Das Potential für zusätzliche Anwendungen in diesem Bereich
erscheint vor diesem Hintergrund fast unerschöpflich. Auch nicht-elektronische Geräte des
täglichen Gebrauchs können durch intelligente Verpackungen, smarte Software und
Mobiltelefone digitalisiert werden.
24
Abb. 2: Das Internet der Dinge: Technology Roadmap.
Quelle: Tikalon (2013)
Es gibt bereits heute zahlreiche Beispiele für die Verwendung des Internets der Dinge. Ein
Beispiel sind die sogenannten Products-as-a-Service. Hierbei handelt es sich um physische Güter,
die über eine digitale Vernetzung verfügen. Diese Vernetzung ermöglicht eine Anpassung des
Produkts an die Präferenzen des Nutzers. Eines der bekanntesten Beispiele in diesem Bereich
sind die Fahrzeuge von Tesla. Bei diesen können über Nacht Leistungsupgrades installiert und
Produktmängel behoben werden.
Der wesentliche Vorteil solcher smarter Produkte besteht darin, dass sich diese dadurch besser
von Konkurrenzprodukten differenzieren lassen und sich ein Preis-Premium erzielen lässt.
Zudem wird es durch den Lock-in-Effekt vieler Produkte schwieriger, zu einem anderen
Anbieter zu wechseln. Schliesslich können durch das Internet der Dinge und damit verbundene
neue Geschäftsmodelle weitere Einnahmequellen erschlossen werden. Solch neue
Geschäftsmodelle können beispielsweise Abonnemente oder nutzenbasierte Dienstleistungen
sein.
Eines der Unternehmen, welches auf ein solches neues Geschäftsmodell setzt, ist Gooee. Die
Firma revolutioniert derzeit die Glühbirnenindustrie. Gooee installiert Chips und Sensoren in
Glühbirnen und verkauft Beleuchtung „als Dienstleistung“. Die Glühbirnen werden auf einer
Internet-der-Dinge-Plattform betrieben und sind miteinander verbunden. Durch gezieltes
Sammeln von Daten und dank der optimierten Nutzung der Glühbirnen können Elektrizitätsund Unterhaltskosten eingespart werden. Die Glühbirnen enthalten aber auch
Bewegungsmelder, beispielsweise um im Detailhandelsbereich Laufwege von Kunden zu
erfassen sowie Rauchmelder, um im Notfall automatisch Alarm auszulösen. Die
Beleuchtungsfirma Gooee ist also nicht mehr länger ausschliesslich in der Glühbirnenbranche
tätig, sondern
auch
im
Bereich
von
Sicherheitsdienstleistungen, Feueralarmen,
Bestandsmanagement und der Energieeffizienz.
Ein weiteres Beispiel für den praktischen Nutzen des Internet der Dinge sind Produkte, die mit
einem Ökosystem verbunden sind. Solche Produkte können einen zusätzlichen Kunden- und
Geschäftsnutzen stiften, indem sie mehr Verbindungen zu Partnerprodukten, Apps und
Datenservices im digitalen Ökosystem herstellen. So können beispielsweise während Fahrten mit
Uber über den Premium-Spotify-Account die eigenen Playlists gestreamt werden. Der neue
Jawbone Fitness Tracker ermöglicht kontaktloses Bezahlen mit American Express und eine
Partnerschaft von Visa mit Pizza Hut macht Produktbestellungen und Bezahlung per
Sprachaktivierung möglich.
Streaming Analytics dürfte zudem zu einer verbesserten Benutzererfahrung für die Kunden
führen. Wenn ein Kunde eine schlechte Benutzererfahrung macht, kann der Anbieter rasch
reagieren und mit entsprechendem Kundendienst aufwarten. So kann es zum Beispiel
vorkommen, dass ein Kunde nach dem Kauf eines neuen elektronischen Gerätes einen Knopf
25
mehrmals nacheinander drückt. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass er Schwierigkeiten
damit bekundet, sein neu erworbenes Produkt richtig zu bedienen. Um entgegenzuwirken, dass
sich der Kunde in sozialen Medien oder auf anderen Plattformen im Zusammenhang mit dem
Produkt negativ äussert, kann der Anbieter dem Kunden eine Video-Anleitung schicken oder
einen Echtzeit-Chat anbieten. Dadurch wird der Kunde bei der Nutzung seines neuen Produkts
gezielt unterstützt und dessen positive Benutzererfahrung gesteigert.
Abb. 3: Streaming Analytics
Quelle: In Anlehnung an SAP (ohne Datum)
Der Wert von Geräten wird sich vermehrt nicht nur daran bemessen, wie gut deren autonome
Funktionalität ist, sondern auch daran, wie gut ein Gerät in seinem digitalen Ökosystem
funktioniert. Der Erfolg eines Produktes wird folglich auch davon abhängen, inwiefern es den
Anbietern gelingt, voneinander abhängige Geräte-, App- und Servicenetzwerke miteinander zu
verbinden. Es geht also nicht mehr ausschliesslich darum, Daten zu sammeln, sondern auch
darum, diese zu vernetzen und zu teilen.
Quelle: Chiefmartec.com (2015)
Internet der Dinge: Digitaler und physischer Wertbeitrag durch Integration.
Das Internet der Dinge verknüpft digitale Geschäftsmodelle mit solchen aus dem nicht-digitalen
Bereich, um ein hybrides Konstrukt zu formen. Im Internet der Dinge wird auf verschiedenen
Ebenen Wert geschaffen (siehe Abbildung unten). Dieser Abschnitt geht näher auf diese
wertgenerierenden Schichten ein. Die unterschiedlichen Schichten werden anhand des Beispiels
einer LED-Glühbirne erläutert.
26
1. Schicht: Physisches Objekt
Das physische Element – hier die LED-Glühbirne – stellt die erste Schicht des
Wertschöpfungsmodells dar. Der Nutzen für den Anwender entsteht unmittelbar und besteht im
Komfort, den die LED-Glühbirne durch das produzierte Licht bietet. Da die Glühbirne ein
physisches Objekt ist, ist sie an einen bestimmten Standort gebunden. Der Nutzen entsteht
ausschliesslich in ihrer direkten Umgebung, beispielsweise in einem Raum.
2. Schicht: Sensor
Bei der 2. Schicht wird dem physischen Objekt ein Minicomputer mit einem Sensor eingebaut.
Der Sensor erfasst lokale Daten, auf deren Basis lokale Dienstleistungen und damit wiederum ein
Nutzen generiert wird. Beim Beispiel der LED-Glühbirne misst ein Mikrowellensensor
unablässig, ob sich Personen im Raum befinden. Diese Messung ist zuverlässig und
kostengünstig. Das Licht schaltet sich automatisch ein, sobald eine Person den Raum betritt.
Damit werden separate, kabelgebundene Bewegungsmelder überflüssig.
3. Schicht: Verbindung
In der 3. Schicht werden die Sensortechnologie und das Internet miteinander verbunden, so dass
eine globale Datenverfügbarkeit sichergestellt wird. Beim Bespiel der Glühbirne können die
gesammelten Informationen weltweit kostengünstig an autorisierte Nutzer übermittelt werden.
4. Schicht: Datenanalyse
Eine Verbindung allein liefert noch keinen zusätzlichen Nutzen. In einer vierten Schicht werden
die Daten des Sensors gesammelt, gespeichert, auf ihre Plausibilität überprüft und klassifiziert.
Diese Informationen werden mit anderen Werten verknüpft, um daraus Konsequenzen für den
Betrieb abzuleiten. Das geschieht in der Regel anhand Cloud-basierter Lösungen. Im Beispiel der
LED-Glühbirnen werden die Betriebszeiten sowie die Bewegungsmuster der sich im Raum
befindenden Personen erfasst.
Abb. 4: Das Internet der Dinge: Wertgenerierende Schichten
Quelle: Fleisch, Weinberger & Wortmann (2014), S. 7
27
5. Schicht: Digitale Dienstleistung
In der fünften und letzten Schicht werden die in den anderen Schichten gesammelten
Informationen zu digitalen Dienstleistungen strukturiert. Dies kann in Form einer
internetbasierten Dienstleistung oder einer mobilen Anwendung sein, welche global verfügbar
ist. Diese digitalen Dienstleistungen sind untrennbar mit den smarten Objekten verknüpft, durch
welche die Daten generiert werden. Im Beispiel der LED-Glühbirne kann diese mit einem Alarm
ausgestattet werden, der den Hausbesitzer informiert, sobald sich eine Person im Raum befindet.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass beispielsweise die gesamte Lichtanlage automatisch in
Betrieb genommen wird, sobald Personen den Raum betreten. So können unliebsame Gäste vom
Gebäude ferngehalten werden – auch dies wieder zu marginalen Kosten.
Zentral ist, dass die fünf Schichten nicht unabhängig voneinander funktionieren. Eine Lösung im
Sinne des Internets der Dinge beinhaltet in der Regel eine Integration der verschiedenen
Schichten. Deshalb ist es wichtig, dass die Hardware zunehmend mit der Verbindung zu
internetbasierten Lösungen entwickelt wird, um eine Integration der verschiedenen Schichten
sicherzustellen.
Quelle: Fleisch, Weinberger & Wortmann (2014), S. 6-7
4.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Breites Anwendungsgebiet von Sensoren.
Sehr viele verschiedene Märkte sind vom technologischen Wandel im Bereich der Sensortechnik
betroffen. So gibt es Anwendungen unter anderem in der Industrie, im Rüstungswesen, in der
Medizin, im Handel, in der Logistik sowie in der Sicherheitsbranche. Unternehmen, die ein
spezifisches Produkt anbieten, kann die weitere Verbreitung der Sensortechnologie helfen,
bestimmte Nischen zu besetzen. Die verstärkte Nutzung von Smartphones dürfte den Markt für
Sensoren darüber hinaus weiter ankurbeln. Beispiele für mögliche Anwendungen sind
Beschleunigungsmesser, Gyroskope für optische Bildstabilisierung, Magnetometer, elektronische
Kompasse, Mikrofone, Druck-, Feuchtigkeits- und Temperatursensoren, aber auch
Herzfrequenzmesser, 3D-Kameras und Iris-Wiedererkennungsgeräte. Allerdings sind gewisse
Experten der Ansicht, dass das Wachstum von Sensortechnologien auch stagnieren könnte, da
der Markt für Smartphones schon bald gesättigt sein dürfte.
Quelle: Yole Développement (2016a, 2016b)
28
Digitalisierung der Marketing Experience.
Die Kunden erwarten heutzutage, dass Unternehmen der zunehmenden Digitalisierung
Rechnung tragen und auch ihre Marketingmassnahmen so gestalten, dass für die Kunden
neuartige Erlebnisse geschaffen werden. Ein Einkauf in einem Online-Shop beispielsweise soll
nicht nur technisch einwandfrei erfolgen, sondern der Kunde sollte wenn immer möglich auch
ein tolles Einkaufserlebnis damit verbinden.
Unternehmen, welche diesen Trend einer Digital Marketing Experience verpassen, dürften
gegen-über der Konkurrenz rasch an Boden verlieren. Es geht darum, die – möglicherweise auch
mithilfe von Sensoren – gesammelten Daten gezielt zu analysieren, Konsequenzen daraus
abzuleiten und die Marketing Experience für den Kunden weiter zu verbessern. Deshalb ist es
notwendig, dass der gesamte Marketing-Mix auf die Veränderungen, die die Digitalisierung mit
sich bringt, ausgerichtet wird und eine innovative Customer Experience geschaffen wird.
Quelle: In Anlehnung an CMO (2016)
Veränderung von Geschäftsmodellen.
Sensoren und deren Anwendungen werden bestehende Geschäftsmodelle nachhaltig verändern.
Applikationen, die im Haushalt eingesetzt werden, wie beispielsweise der Nest-Thermostat,
sammeln Informationen über den Anwender. So weiss das Gerät nach einer bestimmten Zeit,
wann jemand zu Hause ist und wann nicht. Das kann beispielsweise für Versicherungen
interessant sein. Das Risikoprofil von Versicherten, die oft zu Hause sind, unterscheidet sich
nämlich wesentlich von demjenigen von Personen, die regelmässig über längere Zeit abwesend
sind.
Durch die Verwendung von Sensoren verändert sich auch der Wertgehalt von Produkten. Dieser
besteht nicht mehr nur im Produkt selbst, sondern in den Informationen, die im Laufe der Zeit
durch die Verwendung des Produkts angehäuft werden. Die Möglichkeiten in diesem Bereich
sind schier unerschöpflich.
Quelle: CMO (2016)
4.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Erschliessen Sie das Internet der Dinge für Ihr Unternehmen.
29
Unternehmen sollten ihre Produkte im grossen Stil „digitalisieren“, um das Internet der Dinge
für sich nutzbar zu machen. Es geht darum, den Kunden eine bessere Benutzererfahrung zu
ermöglichen. Folgendes Beispiel illustriert, wie das konkret aussehen könnte: Ein mit einem
Sensor ausgestattetes Garagentor, welches über längere Zeit offen steht, löst beim Besitzer oder
Mieter der Garage einen automatischen Alarm aus. Der Benutzer kann das Garagentor dann per
Fernsteuerung schliessen lassen.
Führen Sie in Ihrer Lieferkette Echtzeit-Produkttracking ein.
Unternehmen sind dazu aufgefordert, ihre Lieferkette effizienter zu machen, indem sie
Produkttracking in Echtzeit einführen. Dadurch können sie umgehend auf Fehler in der
Lieferkette reagieren, zum Beispiel wenn Teile einer Schiffslieferung verloren gehen oder wenn
ein Produkt an den falschen Ort geliefert wird. Es geht darum, Informationen über Produkte und
Kunden zu erhalten, über die sie ohne diese Technologie nicht verfügen würden. In Bezug auf
Kundendaten geht es beispielsweise darum zu erfassen, wer die Produkte in welchem Umfeld
verwendet.
Nutzen Sie Cross- und Upselling-Potentiale.
Je mehr Leute die Technologie des Internets der Dinge nutzen, desto mehr Wert lässt sich
dadurch generieren. Einkäufe in Echtzeit und Verhaltensdaten schaffen Potential für Cross- und
Upselling
sowie
Effizienzsteigerungen
im
Bestandsmanagement
und
in
der
Wertschöpfungskette. Marketeers sollten das Internet der Dinge daher als Chance für Innovation
und Wachstum ansehen und nicht bloss als einen vorübergehenden Hype.
Stimmen Sie Marketing- und IT-Aktivität eng aufeinander ab.
Durch die fortschreitende Digitalisierung rücken das Marketing und die Informatik noch näher
zusammen. Ein Chief Marketing Officer ist heutzutage unter anderem auch dafür verantwortlich,
Plattformen zu schaffen, anhand derer die Aufmerksamkeit potentieller Kunden erhöht, die
Nachfrage gesteigert und die eigene Marke gestärkt werden kann. In Abstimmung mit dem
Chief Information Officer und dem Chief Technology Officer müssen Technologiesysteme mit
Echtzeitlösungen implementiert werden, welche das Unternehmen mit Kunden und
Geschäftspartnern verbindet. Nur so kann sichergestellt werden, dass Unternehmen weiterhin
erfolgreich Marketing betreiben können.
30
Legen Sie grossen Wert auf den Schutz Ihrer Kundendaten.
Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge sind die Themen
Privatsphäre und Datensicherheit, welche eng miteinander verknüpft sind. Letztlich geht es
darum, die Privatsphäre der Nutzer durch die Bereitstellung sicherer Datenverbindungen zu
schützen und so deren Vertrauen in die neuen Technologien nachhaltig zu stärken. Fehlendes
Vertrauen die Datensicherheit des Internets der Dinge wird nämlich als einer der grössten
Stolpersteine bei dessen Weiterverbreitung angesehen. Nur, wenn die Anwender Vertrauen in
die Technologie und die sichere Aufbewahrung ihrer Daten haben, kann das Internet der Dinge
sein volles Potential ausschöpfen.
Quelle: Chiefmartec.com (2015)
4.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Wird das Internet der Dinge die Geschäftswelt nachhaltig verändern? Welchen Nutzen
generieren neue Anwendungen? Wer profitiert von diesen Veränderungen? Zahlreiche Experten
beschäftigen sich mit diesen Fragen und attestieren dem Internet der Dinge ein enormes Potential
für kommerzielle Anwendungen. Dennoch gibt es auch Stimmen, die sich diesbezüglich kritisch
äussern. Einer dieser Kritiker ist Fahim Kawsar. In seinem Vortrag auf der SAI Konferenz stellt er
das kommerzielle Potential der Anwendungen im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge in
Frage. Er vertritt die Ansicht, dass es in den vergangenen 15 Jahren nicht gelungen sei, einen
kommerziellen Nutzen aus den Erkenntnissen der Smart-Home-Forschung zu generieren. Seine
Standpunkte illustriert er anhand verschiedener Case Studies.
URL: https://www.youtube.com/watch?v=VlMOT16B6EE
Quelle: SAI Conference (2015)
4.5
Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Fleisch, E., Weinberger, M. & Wortmann, F. (2015). Geschäftsmodelle im Internet der Dinge.
Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 67(4), 444–464.
31
Geschäftsmodelle im Internet der Dinge
Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) verspricht für zahlreiche Unternehmen völlig
neue Möglichkeiten. Der Beitrag zeigt auf, wie vor dem Hintergrund des Internets der Dinge
neue Geschäftsmodelle entwickelt werden können.
Fleisch, E., Weinberger, M. & Wortmann, F. (2014). Business Models and the Internet of Things.
Bosch IoT Lab White Paper.
Business Models and the Internet of Things
In diesem Artikel wird erörtert, welche Auswirkungen das Internet der Dinge auf
Geschäftsmodelle hat. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Unternehmen, die primär in nichtdigitalen Industrien tätig sind, denn Muster digitaler Geschäftsmodelle sind inzwischen auch für
die produzierende Industrie von Bedeutung. Das Internet der Dinge ermöglicht eine
Verschmelzung digitaler Services mit physischen Produkten. Am Ende des White Papers werden
die zentralen Herausforderungen bei der Implementierung hybrider Geschäftsmodelle
besprochen und mögliche Lösungsansätze präsentiert.
International Electrotechnical Commission. (2014). Internet of Things: Wireless Sensor Networks.
Abgerufen am 6. Oktober 2016 von http://www.iec.ch/whitepaper/pdf/iecWPinternetofthings-LR-en.pdf
Internet of Things: Wireless Sensor Networks
In diesem White Paper werden die Nutzung und die Entwicklung von Wireless Sensor Networks
im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge diskutiert. Dabei werden folgende
Themenschwerpunkte gesetzt: Historische Entwicklung von Wireless Sensor Networks,
Technologie, Herausforderungen, Anwendungen, Standards und Handlungsempfehlungen.
Goldmann Sachs. (2014). The Internet of Things: Making Sense of the next mega-trend.
Abgerufen am 6. Oktober 2016 von http://www.goldmansachs.com/ourthinking/outlook/internet-of-things/iot-report.pdf
The Internet of Things: Making Sense of the Next Mega-Trend
Worum
handelt
es
sich
beim
Internet
of
Things?
In
welchen
Bereichen
bestehen
Anwendungsmöglichkeiten? Was sind die Treiber der Entwicklung? Wo bestehen Chancen und
32
welche Risiken gibt es? Diesen und weiteren Fragen geht der Report von Goldman Sachs auf den
Grund.
Deloitte. (2015). Industry 4.0 – Challenges and solutions for the digital transformation and use of
exponential
technologies.
Abgerufen
am
6.
Oktober
2016
von
http://www.industrie2025.ch/fileadmin/user_upload/ch-en-delloite-ndustry-4-024102014.pdf
Industry 4.0 – Challenges and Solutions for the Digital Transformation and use of Exponential
Technologies
Was versteht man unter der Industrie 4.0? Wie ist die Schweizer Industrie diesbezüglich
positioniert? Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich durch die Anwendungen von Smart
Buildings, Smart Homes, Smart Mobility, Smart Grid und Smart Logistics und wie hängen diese
zusammen? Der Bericht von Deloitte gibt Antworten auf diese und weitere Fragestellungen zum
Thema Industrie 4.0.
STMicroelectronics (2016). MEMS and Sensors: Smart Motion Tracking IoT and enhanced user
experience. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
http://www.st.com/content/ccc/resource/sales_and_marketing/promotional_material/broch
ure/5c/3f/63/0b/5f/7e/49/68/brmems.pdf/files/brmems.pdf/jcr:content/translations/en.brmem
s.pdf
MEMS and Sensors: Smart Motion Tracking, IoT and Enhanced User Experience
Sensoren können in ganz unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen zum Einsatz gelangen.
In diesem Report werden die Anwendungsmöglichkeiten von Sensoren sowie deren jeweiligen
Benefits aufgezeigt. Man erhält einen Überblick, welche technischen Veränderungen zu erwarten
sind und welche Auswirkungen diese auf einzelne Branchen haben werden.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Adweek. (2016). 5 Ways Marketers Are Already Putting Sensors to Work: Next-gen ideas are sure to be
the talk of CES. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
http://www.adweek.com/news/technology/5-ways-marketers-are-already-putting-sensorswork-168777
5 Ways Marketeers Are Already Putting Sensors to Work
33
Wie und wo setzen Marketeers die Sensortechnologie bereits heute ein und welche Trends
bahnen sich im Bereich von Wearables und Virtual Reality an? Diese und weitere Fragen werden
in diesem Beitrag sowohl anhand bekannter als auch neuer Beispiele erörtert.
AutomationWorld. (2015). How the Internet of Things is Shaping the Sensors Market. Abgerufen am
6. Oktober 2016 von http://www.automationworld.com/how-internet-things-shapingsensor-market
How the Internet of Things Is Shaping the Sensor Market
Gerade im industriellen Bereich führen die zunehmende digitale Verknüpfung von Sensoren und
das Internet der Dinge zu neuen Anwendungen. Dies zieht unterschiedliche Konsequenzen nach
sich. Die wichtigsten davon werden in diesem Artikel besprochen.
Yole Développement. (2016c). Status of the CMOS Image Sensor Industry 2016: New Market and
Technology Dynamics. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von http://www.imicronews.com/images/Flyers/Imaging/Yole_Status_of_the_CMOS_Image_Sensor_Industr
y_2016_New_Dynamics_in_Market_and_Technology_June_2016_Flyer_web.pdf
Status of the CMOS Image Sensor Industry 2016: New Market and Technology Dynamics
Der Market & Technology Report beleuchtet, wie sich der Markt für Bildsensoren in den
kommenden Jahren entwickeln wird und welches hierbei die Hauptakteure sind. Zudem wird
aufgezeigt, wie der Markt und die Technologien segmentiert werden können. Schliesslich
werden auch die Haupttreiber und Herausforderungen der aktuellen Entwicklungen
herausgearbeitet. Anhand anschaulicher Grafiken werden die Trends übersichtlich dargestellt.
MEMS Journal. (2014). Wearable Sensor Market to Expand Sevenfold in Five Years. Abgerufen am 6.
Oktober 2016 von http://www.memsjournal.com/2014/10/wearable-sensor-market-toexpand-sevenfold-in-five-years.html
Wearable Sensor Market to Expand Sevenfold in Five Years
Der Markt für Wearables wird sich in den kommenden Jahren rasant weiterentwickeln.
Verschiedene Sensoren in unterschiedlichen Geräten führen zu einer zunehmenden Vernetzung
von Daten und Analysemöglichkeiten. In diesem Bericht werden die Entwicklungslinien im
Bereich der Wearables aufgezeigt und anhand zahlreicher Grafiken aufbereitet.
34
MSI. (2016). 6 Expert Views on the Consumer Internet of Things. Abgerufen am 3. Januar 2017
von http://www.msi.org/articles/6-expert-views-on-the-consumer-internet-of-things/
Empfohlene Videos
Al Jazeera English. (2015). TechKnow – The House of the Future. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
https://www.youtube.com/watch?v=yTW_7vIOlLw
Havas Media Group. (2015). Sensing the Future of Technology. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
https://www.youtube.com/watch?v=Q31IRTwk4rM
MSI. (2015). Marketing on the Internet of Things. Abgerufen am 03.01.2017 von
http://www.msi.org/video/marketing-on-the-internet-of-things/
Referenzen und weitere Quellen
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disabilities. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von http://www.abc.net.au/news/2015-0115/csiro-trial-new-sensor-technology-assist-elderly-disability/6019382
Chiefmartec.com. (2015). Marketing and the Internet of Things, closer than you think. Abgerufen am
6. Oktober 2016 von http://chiefmartec.com/2015/06/marketing-internet-things-closer-think/
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Behavior Modeling. Abgerufen am 6. Oktober 2016
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der Dinge maximal nutzen. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
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Tikalon. (2013). The Internet of Things. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von
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35
Yole Développement. (2016a). Sensors for Cellphones and Tablets – 2016 Report. Abgerufen am 6.
Oktober 2016 von http://www.slideshare.net/Yole_Developpement/sensors-for-cellphonesand-tablets-2016-report-by-yole-developpement
Yole Développement. (2016b). Sensors for drones and robots: Market opportunities and technology.
revolution. Abgerufen am 6. Oktober 2016 von http://www.imicronews.com/report/product/sensors-for-drones-and-robots-market-opportunities-andtechnology-revolution.html
36
TREND FÜNF: BIG DATA-MANAGEMENT
„Big Data sind unstrukturierte Daten über den
Nachfrager, generiert aus sozialen Medien, der
Webseitennutzung, Online-Käufen und
standortbezogenen GPS-Informationen. Die
Herausforderung besteht in der Verknüpfung dieser
Big Data-Management
Video
unstrukturierten Daten mit unternehmensintern bereits
vorhandenen, strukturierten Kundendaten und ihrer
kundennutzenorientierten Analyse und Verwertung.“
Definiton (Burmann et al. 2013)
5.1
Best Practice-Beispiele
Big Data kann zur Verkaufsprofessionalisierung beitragen. Dies macht es auch im B2B-Bereich
attraktiv und ist somit folglich nicht mehr nur auf den B2C-Bereich beschränkt. Durch die
Integration verschiedener Datenquellen (z.B. Zensusdaten und aktuelle Vertriebsdaten) können
Marktgrösse und die Arbeitsbelastung des Vertriebs modelliert und vorausgesagt werden. Auf
dieser Basis kann dann der Verkauf besser orchestriert werden (z.B. Einstellen von mehr
Verkaufsmitarbeitern).
Quelle: http://www.forbes.com/sites/louiscolumbus/2016/05/09/ten-ways-big-data-is-revolutionizing-marketing-andsales/#2d087d93115e
37
Abb. 1: Big Data Analyse
Quelle: Columbus (2016), http://www.forbes.com/sites/louiscolumbus/2016/05/09/ten-ways-big-data-is-revolutionizingmarketing-and-sales/#2d087d93115e
DHL
Big Data wird auch erfolgreich im Supply-Chain-Management eingesetzt. Die DHL nutzt
beispielsweise verschiedene Datenquellen, um potenzielle Störungen in der Lieferkette zu
minimieren. In der Konsequenz werden somit Produktionsstopps und Umsatzverluste
vermieden. Eine reibungslose Lieferkette fördert die Kundenzufriedenheit und die frei
gewordenen Erlöse können in andere Bereich reinvestiert werden (z.B. Verkaufsmassnahmen).
38
Abb. 2: Big Data in der Logistik
Quelle: DHL (2013)http://www.forbes.com/sites/louiscolumbus/2016/05/09/ten-ways-big-data-is-
revolutionizing-marketing-and-sales/ - 2d087d93115e
Zudem hat die DHL das sogenannte „DHL Parcel Volume Prediction“-Modell entwickelt.
Diesbezüglich werden Wechselbeziehungen zwischen Wetterbedingungen, Grippewellen und
Onlineverkaufsverhalten von Privatpersonen analysiert. Als Konsequenz können bestehende
Prozesse optimiert und der Kundenservice verbessert werden, was die Kundenzufriedenheit
verbessern und somit die Unternehmensperformance steigern sollte.
Quelle: http://www.dhl.com/en/about_us/logistics_insights/
Hewlett-Packard Enterprise
Hewlett-Packard Enterprise: Das Cape2Cape-Projekt. 1 Auto, zwei Fahrer und modernstes IPEquipment und Spezialsensorik an Bord. Mit der Rekordfahrt vom Nordkap zum Kap Agulhas
wurde verdeutlicht, was mit Big-Data-Auswertungen heute alles realisierbar ist. Integration
verschiedenster Datenquellen (Biodaten vom Fahrer, Sensordaten vom Auto + externe Daten, wie
z.B. Bilddaten oder Auswertungen über Radio und Twitter) zur Ableitung von Marketing Use
Cases.
39
Abb. 3: Hewlett-Packard Enterprise: Das Cape2Cape-Projekt
Quelle: HPE (2016)http://www.forbes.com/sites/louiscolumbus/2016/05/09/ten-ways-big-data-is-
revolutionizing-marketing-and-sales/ - 2d087d93115e
Es können u.a. folgende Use Cases für das Marketing abgeleitet werden:
a) Insights über das Fahrverhalten, welche dann wiederum für Versicherungen interessant sein
könnten (Stichwort: Risikobewertung bei Versicherungsabschluss).
b) Die Qualität und Sicherheit der Strassen können Logistikprozesse (gerade in nichteuropäischen Ländern) verbessern und somit zur Wertsteigerung beitragen.
c) Verbindung verschiedener Datenquellen als Vorlage für andere Unternehmen.
d) Sicherstellung von Datensicherheit – Wie kann das Eingreifen von externen Personen bzw.
Unternehmen verhindert werden?
Quelle: http://businessvalueexchange.com/de/2016/02/25/mit-digitalisierung-und-dem-internet-der-dinge-um-die-halbe-welt/
5.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Wettbewerbsvorteile sichern.
In zunehmend gesättigten Märkten wird es immer schwerer, sich vom Wettbewerb zu
differenzieren. Durch den Einsatz neuartiger Datenquellen (Big Data) kann die
40
Kundenakquisition und –bindung professionalisiert werden, so dass sich strategische
Wettbewerbsvorteile ergeben. Durch die verbesserten Customer Insights können mehr
Ressourcen für das Customer Relationship Management investiert werden und die reine
Durchführung von Kampagnen verliert an Bedeutung.
Strukturierung der bestehenden Organisationsformen.
Mittels des Einsatzes von Big Data werden auch bestehende Organisationsformen transformiert.
Die hier noch ungeklärten Fragen: Wie wird das Big Data-Management sinnvoll in vorhandene
Organisationsmodelle eingebaut? Kommt es zu einer Verschmelzung von IT und Marketing?
Welche Qualifikationen müssen Marketeers zukünftig mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Komplementär und nicht Substitute.
Trotz der zunehmenden Fokussierung auf Big Data und Data Intelligence müssen Marketeers
weiterhin ihrem „Kerngeschäft“ nachgehen. Das bedeutet: Die klassischen Marketingaufgaben
bleiben im Unternehmen von Relevanz– trotz des Einsatzes von Big Data. Hier sollte man das
klassische Marketing und Big Data nicht als substituierbar ansehen, sondern vielmehr als
komplementär. Nach dem Motto: Klassische Marketingaufgaben, wie z.B. das Preismanagement,
können durch Big Data profitieren, müssen aber weiterhin in der gewohnten Qualität ausgeführt
werden.
5.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Big Data soll Wert steigern – und zwar messbar.
Big Data sollte nie zum Selbstzweck durchgeführt werden – es muss ein klarer
betriebswirtschaftlicher Nutzen entstehen. Idealerweise sollte es durch eine ROI-Initiative
getrieben sein, was bedeutet, dass durch Big Data-Projekte eine nachvollziehbare Wertsteigerung
im Unternehmen geschaffen werden sollte.
Sprechen Sie die gleiche Sprache – nicht jeder beherrscht die Datenterminologie.
Ferner sollte unternehmensweit ein gleiches Verständnis der Datenterminologie vorherrschen.
Wo liegt der Unterschied zu klassischen Datenquellen, die bereits im Unternehmen vorhanden
sind (z.B. CRM und Marktforschungsdaten)? Ein gleiches Verständnis hilft bei der
Verwirklichung des unterliegenden Wertschöpfungspotenzials von Big Data.
41
Die Qualität der Datenbasis determiniert die Qualität der Analysen.
Seien Sie kritisch im Umgang mit externen Datenquellen. Nicht umsonst ist „Veracity“ einer der
konstituierenden Faktoren von Big Data (Demchenko et al. 2014). Bei unklarer Herkunft sollte die
Vertrauenswürdigkeit und Reliabilität überprüft werden, um nicht Fehlschlüsse aus den
nachgelagerten Analysen abzuleiten. Ganz nach dem Motto: „Garabage in – garbage out“.
Klare Business Cases statt „Data Lakes“.
Definieren Sie klare Business Cases, was bedeutet, dass sie eine problemgeleitete Fragestellung
haben sollen. Ein wildes Durchsuchen im „Datenberg“ bringt häufig nicht das gewünschte
Ergebnis, sondern generiert Trugschlüsse.
Korrelation bedeutet nicht Kausalität.
Gefundene Korrelationen implizieren keine Kausalitäten. Reflektieren Sie folgendes Beispiel:
Analysen haben gezeigt, dass die Scheidungsrate in Maine stark mit dem Gesamtkonsum von
Margarine in den USA korreliert (HBR, 2015). Hieraus eine kausale Beziehung abzuleiten, wäre
jedoch Unfug. Kausalitäten und Gesetzmässigkeiten lassen sich nur in einem experimentellen
Umfeld sicherstellen – hier hat und wird Big Data immer Grenzen haben.
Big Data kann ein Hemmschuh für Ihr Innovationsmanagement sein.
Seien Sie vorsichtig beim Einsatz von Big Data im Innovationsmanagementkontext.
Inkrementelle Innovationen, wie z.B. kontinuierliche Produktverbesserungen (iPhone 6s, iPhone
7 usw.), lassen sich mithilfe von Big Data gut verwirklichen. Demgegenüber ist die Entwicklung
völlig neuartiger Innovationen – sogenannte disruptive Entwicklungen – nur schwerlich möglich.
Da Big Data, wie alle Datenquellen, auf historischen Daten basiert, kann nur schwer etwas
vorhergesagt werden (z.B. ein neues Produkt), was in der Vergangenheit noch nie eingetreten ist.
Implementieren Sie Big Data in bestehende Organisationsformen.
Bauen Sie Big Data-Analysen in bestehende Prozesse ein. Erst wenn neuartige Datenquellen und
Analysemethoden in bestehende unternehmensweite Prozesse (z.B. Business Intelligence)
eingebettet werden, lässt sich das Wertsteigerungspotenzial realisieren.
Quelle: http://www.forbes.com/sites/adrianbridgwater/2015/10/15/the-seven-simple-steps-to-big-data/#2a525caf7545
42
5.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Big Data Analysen decken zwar Korrelationen in grossen Datensätzen auf, können aber keine
Aussagen über die entsprechende Sinnhaftigkeit machen.
Big Data kann klassische Marketingmassnahmen weiter verbessern und optimieren – nie aber
komplett ersetzen.
Big Data-Analysen können leicht manipuliert werden – v.a., wenn die Untersuchten den
Algorithmus verstehen.
Big Data-Analysen sind weniger robust als man annehmen würde. Dies trifft v.a. dann zu, wenn
Prognosen in einer relativ unsicheren Umgebung gemacht werden.
Big Data generiert sich zu einem grossen Teil aus dem Internet – das kann ein entscheidender
Nachteil sein, wenn bei der Generierung der Daten bereits Fehler passieren.
Big Data-Analysen finden zwar Korrelationen, aber keine Kausalitäten.
Bei vielen Big Data-Anwendungen stehen häufig unpräzise Fragestellungen im Raum – und
häufig – so scheint es – kann Big Data eben diese lösen, was ein Trugschluss ist. Es bedarf einer
konkreten Problembeschreibung (Was möchte ich eigentlich womit lösen?), um zu einer
Wertschaffung zu gelangen.
Big Data-Analysen scheitern bei der Analyse von extrem seltenen Ereignissen, da jeder
Algorithmus auf historischen Daten basiert. Wenn Ereignisse selten oder gar nicht eintreffen,
können diese mithilfe von Big Data auch nicht analysiert werden.
Abschliessend: Bedenken Sie bei all Ihren Big Data- Handlungen, dass Vieles in der aktuellen
Diskussion ein Hype ist. Bleiben Sie kritisch und evaluieren Sie das Wertschöpfungspotenzial für
Ihre Firma – nur dann macht der Einsatz von Big Data Sinn.
5.5
Wervolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
McAfee, A./Brynjolfsson, E. (2012): Big Data. The Management Revolution, in: Harvard Business
Review, October 2012
43
LaValle et al. (2010): Big Data, Analytics and the Path from Insights to Value, in: MITSloan
Management Review, December 2010.
Buhl, H.U./ Röglinger, M./ Moser, F./ Heidemann, J. (2013): Big Data. A Fashionable Topic
with(out) Sustainable Relevance for Research and Practice, in: Business and Information System
Engineering 2/2013.
Iansiti, M./Lakhani, K. R. (2016): Digital Ubiquity: How Connections, Sensors, and Data are
revolutionizing business, in: Harvard Business Review, 2014.
Sanders, N. R. (2016): How to Use Big Data to Drive Your Supply Chain, in: California
Management Review, April 1 2016, pp. 26-48.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
https://www.salesforce.com/blog/2014/11/5-ways-marketers-can-actually-use-big-data-gp.html
http://www.forbes.com/sites/louiscolumbus/2016/05/09/ten-ways-big-data-is-revolutionizingmarketing-and-sales/#6c81e187115e
http://www.forbes.com/sites/tomfgoodwin/2016/07/14/the-dark-side-of-bigdata/#1123341d38a2
http://www.zeit.de/2015/51/big-data-smartphones-gesellschaft-staat-digital
http://www.nytimes.com/2014/04/07/opinion/eight-no-nine-problems-with-bigdata.html?_r=0
Empfohlene Videos
https://www.youtube.com/watch?v=ahNdJdf867A
https://www.youtube.com/watch?v=f34lffroLhw (eine gute Dokumentation über Big Data als das
Gold des 21. Jahrhunderts)
https://www.youtube.com/watch?v=cWohkv9Ie8w (eine philosophische Auseinandersetzung mit
dem Begriff Big Data – ist alles ethisch, was technisch möglich ist? Eine wichtige Frage, mit der
sich auch Marketers auseinandersetzen müssen)
Referenzen und weitere Quellen
44
Burmann et al. (2013). Big Data, Big Impact? Anspruch und Wirklichkeit für die marktorientierte
Unternehmensführung. Arbeitspapier Nr. 216, Bremen.
HBR. (2015). Beware Spurious Correlations. Harvard Business Review, June 2015 Issue.
Demchenko, Y., Ngo, C., Laat, C. de, Membrey, P., Gordijenko, D., 2014. Big Security for Big
Data:
Addressing
Security
Challenges
SecureDataManagement. Springer, pp. 76–94.
45
for
the
Big
Data
Infrastructure,
in:
TREND SECHS: MARKETING AUTOMATION
“Marketing automation is the use of software to
automate marketing processes such as customer
segmentation, customer data integration, and
campaign management. The use of marketing
Marketing Automation
automation makes processes that would otherwise
Video
have been performed manually much more efficient,
and makes some new processes possible. Marketing
automation is an integral compo-nent of customer
relationship management.”
Definition (Baran et al. 2008)
6.1
Best Practice-Beispiele
Coursera
Die Firma „Coursera“ setzt Marketing Automation zur Optimierung des Versands von E-Mails
ein. Ziel ist es, Content zu versenden, der fast 100 % personalisiert ist. „Coursera“ benutzt diese
Strategie, um Personen bestimmte Kursangebote (Universität bzw. Weiterbildung) zukommen zu
lassen. Basierend auf ehemaligem Verhalten (Welche Kurse wurden in der Vergangenheit
gewählt?), werden sogenannte „Wenn-dann-Regeln“ in das Marketing Automation-System
eingepflegt. Darauf basierend wird dann der jeweils relevante Content dynamisch und
automatisiert in die zu versendenden E-Mails eingefügt. Der Empfänger hat somit das Gefühl,
dass „Coursera“ genau weiss, welchen Kurs man als nächstes wählen möchte, wodurch sich
wiederum die Kundenbindung erhöhen kann. Und dieser Ansatz macht Schule: Firmen wie
Airbnb, TripAdvisor und Amazon nutzen diese Strategie, um Kunden personalisiert und
möglichst automatisiert zu kontaktieren.
Quelle: http://technologyadvice.com/blog/marketing/3-detailed-marketing-automation-examples/
46
Abb.1: Marketing Automation zur Optimierung des Email-Versands
Staples
Auch im Retailbereich ist das Thema von automatisierten Entscheidungen von grosser Relevanz.
Die Firma Staples hat eine „In-Store-App“ entwickelt, die Ladenkunden zum gewünschten Regal
im Shop navigiert, so dass der Kunde massiv Zeit spart. Gleichzeitig ist diese App ein sehr gutes
Beispiel, wie Offline- und Onlinewelt miteinander verbunden werden können. Das
Kosteneinsparpotenzial liegt auf der Hand: Durch die Verwendung der „In-Store App“ können
Personalkosten deutlich reduziert werden und zudem wird der Kunde mit personalisierten
Angeboten adressiert. Als Konsequenz der Zeitersparnis und der personalisierten Angebote
kann die Kundenzufriedenheit massgeblich erhöht werden.
Quelle: http://www.mobilecommercedaily.com/staples-new-app-feature-raises-in-app-interactive-store-maps-profile
47
Abb.2: In-Store App der Firma Staples
Quelle: Samuely (2016), http://www.mobilecommercedaily.com/staples-new-app-feature-raises-in-app-interactive-store-mapsprofile
morph.ai
Eine weitere Möglichkeit des automatisierten Entscheidens ist eine sogenannte Chatbot-Plattform
– hier werden Serviceleistungen (wie man sie sonst eigentlich nur von einem Call-Center kennt)
automatisiert angeboten. Ein Beispiel hierfür ist „morph.ai“: Möchte man z.B. ein Taxi oder ein
Kinoticket buchen, kontaktiert man die entsprechende Webseite und bekommt Rückmeldung
von einem selbstlernenden System. Beispielsweise werden dem Kunden beim Buchen eines Taxis
automatisiert mehrere Optionen angezeigt, aus denen er dann eine entsprechende auswählen
kann. Ein dahinterliegendes selbstlernendes System garantiert die kundengerechte. Auch in
anderen Kontexten – z.B. in Onlineshops (automatisierte Beratung zu Angeboten aus dem Shop)
– wird auf dieses Konzept bereits häufiger zurückgegriffen.
48
http://morph.ai/about/
Abb.3: Chatbot-Plattform
6.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Immer wachsende Datenmengen.
Durch die zunehmende Digitalisierung von Geschäftsprozessen stehen Unternehmen Daten in
bisher nicht gekanntem Ausmass zur Verfügung. Mithilfe von Algorithmen und MachineLearning-Ansätzen können so Entscheidungsregeln abgeleitet werden, die ein grosses
Wertschöpfungspotenzial versprechen. Durch ein zunehmend datenbasiertes Marketing können
Unternehmen profitabler und produktiver werden – abhängig vom jeweiligen Kontext. Vor allem
bei einem relativ geringen Einfluss externer Faktoren (grosse Stabilität) versprechen eine
wachsende Datenmenge und automatisierte Entscheidungen eine Performancesteigerung
(beispielhaft kann hier der Bereich des Direct Mailings angeführt werden).
Vermeidung von Biases und emotionalen Fehlentscheidungen.
Durch automatisiertes Entscheiden können endlich – so zumindest die Vision – die Fehler des
menschlichen Entscheidens ausgemerzt werden. Biases und emotionale Verbundenheit führen
somit nicht mehr zu Fehlentscheidungen. Dieser Ansatz geht so weit, dass die Firma Blue Yonder
GmbH propagiert, dass man 99.9% aller Entscheidungen automatisieren sollte, um den
„Fehlerfaktor“ Mensch zu umgehen.
49
Quelle : http://www.blue-yonder.com/unternehmen/presse/strategische-entscheidungen-mit-automatisierten.html
Steigerung des Marketing Stellenwertes.
Neben den genannten Punkten ergibt sich für das Marketing aber auch die Möglichkeit, den
eigenen Stellenwert im Unternehmen zu steigern. Wenn Entscheidungen fortan automatisiert
werden und somit „richtig“ und sinnvoll für die Unternehmemsperformance sind, wird es
weniger kritische Stimmen bezüglich der Sinnhaftigkeit von Marketingmassnahmen in
Unternehmen geben. Denn welcher Manager möchte sich schon gerne gegen die Entscheidungen
von Algorithmen stellen?
6.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Überprüfen Sie Ihre bereits vorhandenen Möglichkeiten.
Bevor etwas verändert wird, sollten die vorhandenen Möglichkeiten eingehend untersucht
werden. Was kann mit vorhandenen Lösungen bereits erreicht werden? Wo würden die
Marketing Automation-Lösungen hinsichtlich der Steigerung des Wertschöpfungspotenzials
ansetzen? Besonderes Potenzial bietet der Bereich des Programmatic Buying/Advertising. Zudem
sind v.a. diejenigen Aufgaben für eine Automatisierung geeignet, die relativ standardisiert
ablaufen und wenige kreative Anstrengungen erfordern.
Analysieren Sie die vorhandenen Lösungen (z.B. Eloqua, Hubspot) auf dem Market genau und
kritisch. Wichtig ist dabei auch ein grundlegendes Verständnis der angebotenen Services. Wie
funktioniert der zugrundeliegende Algorithmus? Was wird automatisiert? Wo gibt es
Unterschiede zwischen den Anbietern? Nur so wird letztlich die beste Lösung ausgewählt.
Quelle: http://www.capterra.com/infographics/top-marketing-automation-software
Bereiten Sie ihre Daten sorgfältig auf.
Machen Sie Ihre Hausaufgaben und bereiten Sie ihre internen Daten im Unternehmen so auf,
dass Sie für eine Automatisierung verwendet werden können. Unorganisierte oder nicht
gepflegte Datensätze müssen bereinigt und aufbereitet werden, so dass der Einsatz von
entsprechenden Algorithmen zur Automatisierung möglich ist.
Organisieren Sie die Strukturen im Unternehmen.
Gestalten und organisieren Sie den Übergang zu automatisierten Marketingentscheidungen.
Welche Prozesse müssen orchestriert werden? Gibt es interne Widerstände zu überwinden? Wie
50
kann ein Buy-In alle beteiligten Partner erreicht werden? Wie muss die unternehmensweite
Datenarchitektur organisiert werden, damit eine Automatisierung umgesetzt werden kann?
Vermeiden Sie Silodenken und verfolgen Sie einen ganzheitlichen Ansatz.)
Integrieren Sie Ihre Salesstrukturen in die Marketing Automatisierungsprozesse. Der Verkauf hat
letztlich wichtige und wertvolle Insights, die bspw. helfen, automatisierte hochpersonalisierten
Mailings aufzugleisen. Dazu ist eine gut gepflegte CRM-Datenbank unerlässlich – motivieren Sie
den Vertrieb, die Datenqualität zu optimieren, indem Sie den Mehrwert der Lösung auch für den
Verkauf erläutern.
Planen und Trainieren Sie sorgfältig.
Planen Sie den genauen Zeithorizont bei der Implementierung der Automatisierung. Gehen Sie
schrittweise vor und lernen Sie jeweils – eine zu radikale Veränderung birgt unnötige Risiken.
Das beste Marketingautomatisierungssystem ist nutzlos, wenn Ihre Mitarbeiter dies nicht
verwenden – daher: Training, Training, Training. Die Mitarbeitenden müssen verstehen, was
genau automatisiert wird und wie mit den entstandenen Lösungsansätzen und Daten
umgegangen werden muss. Eine Vollautomatisierung des Marketing bleibt vorerst eine Illusion.
Schneller lernen als die Konkurrenz: Evaluieren Sie kontinuierlich das Wertschöpfungspotenzial
Ihrer Automatisierungslösung kritisch. Was bringt die Lösung für den Unternehmenserfolg – wie
sieht die interne Bereitschaft zur Nutzung aus usw.?
Tipps für eine optimale Email Marketing Automation
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Segmentieren Sie Ihre E-Mail Liste
Testen Sie den bestmöglichen Zeitpunkt des Versands
Verwenden Sie Text und keine Bilder
Passen Sie sich an die Wünsche und Bedürfnisse der Abonnenten an
Wählen Sie die richtige Softwarelösung
Kontaktieren Sie nur aktive Abonnenten
7. Fragen Sie, was Ihre Abonnenten wirklich wollen
Quelle: http://www.forbes.com/forbes/welcome/?toURL=http://www.forbes.com/sites/steveolenski/2016/07/25/7-email-marketingautomation-tips-for-brand-marketers/&refURL=https://www.google.ch/&referrer=https://www.google.ch/
6.4
51
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Nicht alle Entscheidungen sind für eine Automatisierung geeignet. Gerade in Fällen, bei denen
hohe Kreativität erforderlich ist, sollte man besser davon absehen. Weniger ist manchmal mehr:
Es konnte wissenschaftlich belegt werden, dass menschliches Entscheiden (unter Zuhilfenahme
von Heuristiken) hochkomplexen statistischen Modellen in bestimmten Kontexten überlegen ist.
Zudem muss erwähnt werden, dass automatisierte Systeme häufig noch mit der menschlichen
Interaktion überfordert sind. Aufgrund der schnellen Entwicklung in diesem Bereich sollten sich
diese aber in naher Zukunft beheben lassen.
6.5
Wervolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Aquino, J. (2013): Growing profits with marketing automation. In CRM Magazine, Vol. 17(5), pp.
32-35.
Jerry, J. (2015): The Next Gen Lifecycle Marketing Automation: Robots, with Humans. In Forbes
(9/25/2015), pp. 64.
Järvinen, J./ Taiminen, H. (2016): Harnessing marketing automation for B2B content marketing. In
Industrial Marketing Management, Vol. 54, pp. 164-175.
Marketing Review St. Gallen (4.2016): Marketing Automation.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
7 Email Marketing Automation Tips For Brand Marketers (2016)
http://www.forbes.com/forbes/welcome/?toURL=http://www.forbes.com/sites/steveolens
ki/2016/07/25/7-email-marketing-automation-tips-for-brandmarketers/&refURL=https://www.google.ch/&referrer=https://www.google.ch/
Should Your PR Include Marketing Automation? Surprisingly, Yes (2016)
http://www.forbes.com/sites/cherylsnappconner/2016/02/27/should-your-pr-includemarketing-automation-surprisingly-yes/#5506bd4a5c1f
Automation and anxiety - Will smarter machines cause mass unemployment? (2016)
http://www.economist.com/news/special-report/21700758-will-smarter-machines-causemass-unemployment-automation-and-anxiety
52
Intuitive Decision Making (2007)
http://sloanreview.mit.edu/article/intuitive-decision-making/
Disadvantages of Stand-alone Marketing Automation (2015)
http://blog.liquidhub.com/2015/11/disadvantages-of-stand-alone-marketing-automation
Marketing Automation Buyer’s Checklist (2017)
https://www.act-on.com/whitepaper/buyers-checklist-for-marketing-automation/
Empfohlene Videos
What is Marketing Automation? (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=G6c4-28FsAs
Email Marketing vs Marketing Automation Explained (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=EHOPJFvSr_M
Lead Generation: Salesforce Pardot B2B Marketing Automation Demo (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=OB23C4b1L-w
Marketing Automation Interview mit Prof. Dr. Marcus Schögel Part 1 (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=hWmcqllv4yY&list=PLFuv6yIT-DGFP_VOeghPOEenstpSaiXR
Referenzen und weitere Quellen
Baran et al. (2008). Customer Relationship Management. Thomson South-West: Mason.
Wübben/ von Wangenheim (2008): Instant Customer Base Analysis: Managerial Heuristics Often
“Get It Right”
53
TREND SIEBEN: SEAMLESS INTEGRATION
Gemeinsam mit dem Stichwort der Digitalisierung
fiel bis vor nicht allzu langer Zeit regelmässig der
Begriff der Konvergenz: Information,
Unterhaltung und Kommunikation fliessen
zusammen und vernetzen sich immer weiter. Aus
Seamless Integration
Video
vielem wird eines: der Strom von Informationen
und Interaktionen von Anbietern und
Konsumenten. Was nach Ordnung klingt, führte
jedoch geradezu zu einer Explosion von
Komplexität und Dynamik, in der Kundenkontakte heute gemanagt werden: Kunden
interagieren mit Marken über Dutzende verschiedene Kanäle, Endgeräte und Methoden, sie
suchen und finden Informationen von Anbietern und Dritten, von Mittlern und kritischen
früheren Kunden. Das neue Stichwort der „Seamless Integration“ schildert damit genauso
Potential, wie Anspruch und Zielsetzung. Die Kernfrage lautet: Wie gestalten wir den
Flickenteppich der Konvergenz zu einem multimodalen Markenerlebnis?
7.1
Best Practice-Beispiele
Marke als User Interface.
Der erste gedankliche Ansatz zum Verfolgen der nahtlosen Integration von Kundenerlebnissen
liegt im Neudenken des Begriffs der Marke: Dort, wo Komplexität und Überlastung herrschen –
und damit auch in der modernen Konsum- und Mediengesellschaft – entfalten konkurrierende
Informationen und Botschaften kaum Wirkung. Die entscheidende Bedeutung fällt dort
denjenigen Ansätzen und Angeboten zu, die helfen, Komplexität zu reduzieren: die erfolgreiche
Marke positioniert sich damit nicht nur als Anbieter von Lösungen, sondern vielmehr als eine
angenehme, unkomplizierte und möglichst hochwertig gestaltete Schnittstelle zwischen Kunde
und Lösung. Die Marke wird zum komfortablen User Interface.
54
Abb. 1: Apple: Das Logo ist auf der Rückseite, denn die Nutzerschnittstelle ist die Marke.
Quelle: Apple (Jahr)
Mehr als Mobil: Der anhängliche Vertriebskanal.
Die Konsumwelt, wie wir sie kennen, wird bald zehn Jahre alt. Damals wurde mit dem iPhone
nicht nur ein revolutionäres Gerät der Unterhaltungselektronik eingeführt – es wurde erstmals
das mobile Internet im nennenswerten Umfang etabliert. Seitdem wandelt sich der Anspruch von
Anbietern, digitale Erlebnisse nicht nur stationär, sondern führend auf mobilen Endgeräten
abzubilden. Was wie ein inkrementelles Detail in der Innovation des Anspruchs an
Markenerlebnisse wirkt, steht Pate für eine ungleich grössere und wichtigere Änderung:
Anbieter kommen über eine ausgefeilte Präsenz auf mobilen Endgeräten ihren Kunden so nah
wie noch nie. Unternehmen sind ständig und von überall digital erreichbar und können
nachverfolgen, von wo potentielle oder wiederkehrende Kunden auf ihre Angebote zugreifen.
Nebenbei stand Apple in dieser Zeit genauso für die Vorreiter der Reininterpretation seiner
Marke als Schema für die Interaktionsschnittstellen mit seinen Kunden.
55
Abb. 2: My Disney Experience: Erlebnisse digital anreichern und den Kunden kennenlernen.
Quelle: My Disney Experience (Jahr)
„Digital“ greift zu kurz: Im Kern steht das Erlebnis.
Im vergangenen Jahrzehnt der digitalen Kinderschuhe hat sich in vielen Unternehmen ein
geschützter und hochspezialisierter Bereich der Onlineexperten herausgebildet – wahrscheinlich
eine wichtige Grundlage für den grossen Erfolg der Entwicklung dieser Gattung von
Kundenkontaktpunkten. Das Auseinanderdividieren von On- und Offline greift jedoch zu kurz:
Heute stehen Konsumenten im Vordergrund, die in einem stetig kürzer werdenden
Aufmerksamkeitsspektrum versuchen, ihre Einkaufsentscheidungen bestmöglich zu treffen. An
dieser Stelle lassen sich die beiden zuvor erwähnten Teilaspekte des nahtlosen
Kundenerlebnisses integrieren: Wenn Anbieter sich als nutzerfreundliche Schnittstellen zwischen
Kunden und Lösungsangebot positionieren, dabei über die Grenzen von On- und Offline
hinausdenken und die Marke für den Kunden erreichbar gestalten, dann entstehen
Wettbewerbsvorteile.
56
Abb. 3: Amazon: An der Waschmaschine mitten im Geschäft.
Quelle: Amazon (Jahr)
Amazon versucht, dem Kunden mit seinen neuen „Amazon Go“-Supermärkten eine „Just Walk
Out Shopping experience“ zu bieten: ohne Scannen, ohne Warten an der Kasse, ohne
Kleingeldzählen. Alles was man neben Geld benötigt, ist ein Profil bei Amazon sowie die
Amazon Go-App auf dem Mobiltelefon. Dann kann man sich in den Regalen bedienen und das
Geschäft wieder verlassen – bezahlt ist automatisch.
Quelle: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-12/amazon-go-supermarkt-lebensmittel-service-einkaufen-datenschutzzukunft
Seamless: die neue Marketingvirtuosität.
Die Relevanz des Trends ergibt sich zunächst aus der Erwartung des Kunden an Ihre Marke:
genau wie von Ihrem Angebot erwartet wird, dass alle Bauteile funktionieren und miteinander
kompatibel sind, so besteht bereits heute, dass das Interaktionserlebnis mit Ihnen als Anbieter so
nahtlos und professionell verknüpft gestaltet ist, dass es selbst über mehrere Interaktionswege
hinweg zum guten Ton gehört, dass Sie ein einheitliches und unterbrechungsfreies
Kundenerlebnis – und damit eine angenehme Nutzerschnittstelle zwischen Ihren Kunden und
Ihren Angeboten – anbieten.
57
Abb. 4: Swiss: Nahtlose Verknüpfung aller Kanäle.
Quelle: Swiss (Jahr)
7.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Lernen Sie Ihren Kunden kennen.
Nahtlosigkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf das Kundenerlebnis – im Umkehrschluss bedeutet
es, dass Sie Ihren Kunden über die einzelnen Kontaktpunkte hinweg begleiten und seine
Vorlieben und Produktwünsche verfolgen können. Ein nahtlos betreuter Kunde ist ein gut
bekannter Kunde und diese Bekanntheit zahlt sich in doppelter Form aus. Einerseits profitieren
aufmerksame Marken von besseren Einblicken in das Kundenverhalten im Sinne einer
detaillierteren Marktforschung, andererseits geniesst ein wohlbekannter Kunde ein Grad an
Betreuung, die ohne diese Transparenz nicht möglich wäre. Für den Anbieter zahlt sich diese
Chance zur besseren Kundenbetreuung durch eine wachsende Loyalität aus.
Nahtlosigkeit führt zurück zum Kunden.
Jenseits der Erwartungen Ihrer Kunden und der Vorteile, die sich aus einem detaillierteren
Einblick in das Kundenverhalten entwickeln lassen, bietet die nahtlose Integration von
Kontaktpunkten zu einem Kundenerlebnis aus einem Guss einen Schlüsselvorteil: Es korrigiert
die Perspektive des Marketingmanagements. Marketingführungskräfte, die ein nahtloses
Kundenerlebnis erzeugen möchten, sind dazu gezwungen, sich zunächst aus den
58
Einzelentscheidungen der jeweiligen Kontaktkanäle zu verabschieden und erneut einen
übergreifenden und ganzheitlichen Blick auf das Kundenerlebnis zu gewinnen. Nur durch die
damit erforderlichen Schritte Abstand vom Detail gelingt eine Einschätzung der Kohärenz der
Erlebbarkeit der Marke als Ganzes und somit der erste Schritt für die zielgerichtete
Weiterentwicklung der zentralen strategischen Aufgabe des Marketing: dem Kunden ein
wertvolles Angebot zu gestalten.
Vielzahl der neuen Kontaktpunkte macht die Interaktion nahtlos.
Auch wenn es zunächst überrascht: die Vielzahl der neuen Technologien, die online und mobil,
aber auch lokal und im Detailhandel eingesetzt werden können, bilden die Basis für eine nahtlose
Interaktion mit dem Kunden. Konsumenten und deren Vorlieben lassen sich heute über eine
ganze Reihe digitaler Endgeräte nicht nur bedienen, sondern auch nachvollziehen. Die digitale
Interaktion schliesst hier jedoch nicht ab, sondern kann sich heute auch im Geschäft durch
Bluetooth Beacons, durch mobile Bezahllösungen, RFID, Geofencing und viele weitere
technologische Ansätze der modernen Omni-Präsenz umsetzen. Die Möglichkeiten dieser
Infrastruktur unterstreichen die Notwendigkeit, anhand von Cross-Device-Planning, -Tracking
und -Optimierung die Chancen der neuen technologischen Ansätze auch tatsächlich
auszuspielen und auf diesem Wege sowohl das Erlebnis als auch die Begleitung der
Konsumenten nahtlos zu gestalten.
7.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Sollte Sie das Thema Seamless Integration interessieren?
Stellen Sie sich zunächst die Frage, über wie viele unterschiedliche Interaktionswege
Konsumenten auf Ihr Unternehmen zukommen und wie viele davon Sie selbst steuern. Wie
komplex sind die Entscheidungen, die Konsumenten im Vorfeld eines Einkaufs bei Ihnen treffen
müssen? Wie viele Schritte müssen sie durchlaufen und wie viel Interaktion ist mit Ihrem
Verkaufspersonal erforderlich? Diese Fragen erlauben es, den grundsätzlich erwartbaren
Interaktionsaufwand ihrer Kunden mit ihrem Unternehmen zu schätzen und damit auch den
Grad, zu dem Ihrem Unternehmen eine nahtlose Integration aller Kanäle Vorteile offerieren
kann.
Weiterhin sollten Sie bedenken, inwiefern in Ihrem Unternehmen der Kunde oder
unterschiedliche Kundensegmente im Vordergrund der Vertriebsarbeit stehen oder ob eher an
59
den jeweiligen Vertriebskanälen ausgerichtet gesteuert und vermarktet wird. An dieser
Einschätzung lässt sich ablesen, in wie weit Ihre Vertriebs- und Marketingorganisation von einer
Ausrichtung an nahtlose Kundenerlebnisse profitieren kann. Allerdings zeigt sich hier auch, wie
substantiell der Wandel für Ihr Team ausfallen wird.
Prüfen Sie abschliessend, inwiefern Sie das Kundenerlebnis selbst steuern können, oder ob Sie in
der Gestaltung des Einkaufserlebnisses auf die Zusammenarbeit mit anderen Partnern und
Absatzmittleren angewiesen sind.
Was ist zu tun?
Wenn Sie sich dazu entschliessen, Ihre Marketingorganisation im Hinblick auf Nahtlosigkeit im
Kundenerlebnis zu prüfen und zu optimieren, dann versuchen Sie zunächst etwas Abstand zum
Tagesgeschäft mit den einzelnen Herausforderungen in den jeweiligen Kontaktpunkten zu
gewinnen.
Verschaffen Sie sich einen Überblick.
Führen Sie zunächst ein pragmatisches Audit über die Kundenkontaktwege Ihres Unternehmens
durch. Stellen Sie in einem Überblick alle Interaktionswege zusammen und verschaffen Sie sich
einen Eindruck von den jeweiligen Kundenprozessen in jedem einzelnen Interaktionsweg. Setzen
Sie für diesen Schritt ggf. Mystery-Shopper oder Prozesstester ein, um ein unverfälschtes Bild
vom Status Quo der einzelnen Kundenerlebnisse zu erhalten.
Ein Stresstest liefert hilfreiche Erkenntnisse.
Sobald Sie diese grundlegende Sammlung und Einschätzung der Kundenkontaktwege
abgeschlossen haben, führen Sie einen Stresstest im Sinne der Nahtlosigkeit durch: Schicken Sie
Testkunden auf Kundenprozesse, die die meisten der Kundenkontaktpunkte miteinander
kombinieren. Beachten Sie, dass in diesem Stresstest idealerweise alle Kontaktpunkte paarweise
in beide Richtungen (z.B. Erstkontakt Hotline und dann Onlineshop und Erstkontakt Onlinehops
und dann Hotline) verknüpft werden. Wie viele Informationen bleiben beim Medienbruch
erhalten? Zu welchem Grad muss der Kontakt stets neu aufgebaut werden? Wer übernimmt den
Hauptaufwand bei diesem Wiederaufbauen des Kontakts? Die Antworten auf diese Fragen
schliessen ein umfassenderes Audit der nahtlos integrierten Markenführung ab.
Vergleichen und Prioritäten setzen.
Auf Basis der Erkenntnisse Ihres pragmatischen Audits führt Sie der nächste Schritt zum Review
dieser Ergebnisse und zum Vergleich mit den Grundsätzen Ihrer Marke. In diesem Vergleich
sollte kritisch betrachtet werden, welche Kanalwechsel Priorität über anderen erhalten sollten, da
sie besonders häufige und wichtige Kundenströme darstellen. An dieser Stelle müssen nun die
60
am besten zur Marke passenden Kundenerlebnisse konzipiert und im Sinne der Nahtlosigkeit
möglichst störungs- und verlustfrei implementiert werden.
Alle diese Schritte führen nicht nur zu einem nahtlosen Auftritt vor Kunden, sie helfen auch, die
Sicht- und Denkweise der Marketingorganisation zu verändern. Im Vordergrund steht nicht
mehr der Vertriebskanal oder das Angebot – im Vordergrund steht nun für alle an diesem
Wandelprozess beteiligten Kollegen der Fokus auf den Kunden und dessen Erlebnis der Marke.
7.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Das Ziel einer nahtlosen Integration von unterschiedlichen Kanälen und Interaktionsmodi kann
dazu führen, dass der kleinste gemeinsame Nenner angestrebt wird. Es sollte jedoch nicht das
Ziel einer nahtlosen Integration von Kundenkontaktpunkten sein, die Möglichkeiten der
einzelnen Interaktionswege nur ansatzweise zu nutzen. Integration führt immer dazu, dass
Freihheitsgrade reduziert werden: Ein auf Rücklauf optimiertes Direct-(E-)Mail verliert seine
Rücklaufstärke, wenn es beispielsweise noch viele Anforderungen einer integrierten
Kommunikation einhalten muss und zahlreiche Zusatzinformationen vermitteln muss, die eine
potenzielle Integration mit anderen Medien und Kontaktpunkten erleichtern sollen (z.B. Baroder QR-Codes). Seamless darf somit nicht zwangsläufig „360 Grad“-Integration heissten.
Vielmehr sollten bewusst Schwerpunkte im Kundenkontakt gesetzt werden, die einzelnen
Kanäle entsprechend ihrer Stärken eingebunden und Inhalte dementsprechend gestaltet werden.
Jeder Kontaktweg birgt seine individuellen Stärken und Begrenzungen - bleiben Sie kritisch, um
die Chancen jedes Kundenkontakts optimal zu nutzen und nicht einer oberflächlichen
Integration zu opfern!
7.5
Wetvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Belz, C. (2016): Marketing Heatmap I – digitale Transformation und strategische Optionen. In:
Swiss Marketing Review, 1, 2016.
Belz, C. (2016): Marketing Heatmap II – Marketing-Effizienz, Marketing-Organisation und –
Prozesse, Cross Channel und Kunden zum Kauf führen. In: Swiss Marketing Review, 2,
2016.
61
Rutschmann, Marc (2017): Kunden ans Kaufen heranführen – Eine Einführung in den
kaufprozessorientierten Ansatz im Marketing, Wiesbaden: Springer.
Cao, L., & Li, L. (2015). The impact of cross-channel integration on retailers’ sales growth. Journal
Of Retailing, 91(2), 198-216.
Cuddeford-Jones, M. (2016). Three steps toward creating a seamless customer journey. Marketing
Week, 30-31.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Cross-channel integration in retail: Creating a seamless customer experience (2012)
http://www.strategyand.pwc.com/reports/cross-channel-integration-retail-creating
Operating Seamlessly: Integrating Operations to Deliver the Non-Stop Customer Experience
(2013)
https://www.accenture.com/jp-ja/~/media/Accenture/ConversionAssets/DotCom/Documents/Global/PDF/Industries_2/Accenture-Operating-Seamlessly
Are You Ready to Give Your Customers an Omni-Channel Experience? (2015)
https://uxmag.com/articles/are-you-ready-to-give-your-customers-an-omni-channel-experience
Empfohlene Videos
The Seamless Customer Journey
https://www.youtube.com/watch?v=CJPhmKbA8l8
KPMG Omni Business Capabilities
https://www.youtube.com/watch?v=KuSnqNkfjok
How Technology is Reshaping the Customer Journey with Bryan Eisenberg
https://www.youtube.com/watch?v=OZwwct0__NI
Introducing Amazon Go and the world’s most advanced shopping technology
https://www.youtube.com/watch?v=NrmMk1Myrxc
Referenzen und weitere Quellen
62
TREND ACHT: CONTENT MARKETING
„Traditional marketing and advertising is telling the
world you’re a rock star. Content Marketing is showing
the world that you are one.” – Robert Rose
Das obige Zitat von Robert Rose offenbart, dass
Content Marketing
Video
Content Marketing die üblichen Konventionen des
Marketing vernachlässigt und sich mehr mit der
substantiellen Unterfütterung – dem „walking the
talk“ – eines angestrebten Images auseinandersetzt. Eine möglichst umfassende Definition des
derzeitigen Trendbegriffs „Content Marketing“ könnte wie folgt lauten: Content Marketing ist
eine Marketingtechnik, die wertvollen, relevanten und konsistenten Inhalt erstellt sowie
distribuiert, um klar definierte Zielgruppen zu akquirieren - mit dem Ziel, letztlich profitable
Kundenhandlungen auszulösen.
Dabei ist Content Marketing nicht nur als ein Instrument der Marketingkommunikation zu
verstehen, wie fälschlicherweise häufig behauptet. Vielmehr umfasst es verschiedenste
Kommunikationskanäle und repräsentiert eher ein spezifisches Verständnis über die Art und
Weise, wie mit Anspruchsgruppen kommuniziert werden soll. Um im Kontext von Content
Marketing involvierenden, unterhaltenden sowie informierenden Inhalt bereitstellen zu können,
eignet sich so genanntes Storytelling als „Transmissionsriemen“: Menschen neigen gemäss ihrer
Natur zu einer narrativen statt einer argumentativ-paradigmatischen Denkweise (Weick, 1995;
Wells, 1989). Darüber hinaus hilft effektive Narration Konsumenten dabei, einer Information
Bedeutung beizumessen und sich in die beschriebene Welt hineinzuversetzen (Woodside, Sood,
& Miller, 2008). Oder, wie Philip Pullmann festhält: „After nourishment, shelter, and
companionship, stories are the thing we need most in the world“.
63
Abb. 1: Content MarketingStorytelling
Quelle:
8.1
Best Practice-Beispiele
John Deere
John Deere gilt als Erfinder des Content Marketing mit seinem 1895 erstmals in Druck
gegangenen „The Furrow“-Magazin (zu Deutsch: Flur und Furche). Mittlerweile publiziert das
amerikanische Landtechnik-Unternehmen regionale Ausgaben in 27 Ländern weltweit mit einer
aggregierten Auflage von mehr als 1.5 Millionen Kopien. Eine solche Publikationsmaschinerie
erfordert höchste Hingabe in Bezug auf Kosten, Aufwand und Koordination. Wenngleich das
Magazin nach wie vor eine beispiellose Erfolgsgeschichte darstellt, versucht John Deere
zunehmend, seine Inhalte auch in der digitalen Welt zu platzieren – eine Welt, von der viele
glauben, dass Content Marketing dort in jüngster Vergangenheit erfunden wurde. Angefangen
mit der Maxime, Farmern bei der Steigerung ihrer Erträge und Ernten zu unterstützen, ist es
ebendiese Relevanz der Inhalte, an denen John Deere nach wie vor gemessen wird. Aufgrund der
vielen regionalen Ausgaben ist vor allen Dingen Fingerspitzengefühl gefragt: So reagierten
zahlreiche Farmer in Zentraleuropa mit heftiger Kritik darauf, als vor einiger Zeit auf der
Titelseite des Magazins ein spanischer Farmer mit Sandalen abgelichtet war. Zwar wird die
Authentizität, reale Farmer in Titelgeschichten einzubeziehen, grundsätzlich von der Leserschaft
sehr geschätzt. In diesem Fall fehlte vielen Farmern aus gemässigteren Ländern in Europa
64
allerdings das Verständnis dafür, mit Sandalen Feldarbeit zu verrichten. Von daher gesehen
erfordert erfolgreiches Content Marketing permanente Anstrengung –selbst wenn man es bereits
seit über 120 Jahren anwendet. Problemlösungskompetenz, Relevanz und Unterhaltungswert
von Inhalten müssen stets aktuell gehalten und jeden Tag aufs Neue bewiesen werden!
Abb. 2: Feldarbeit mit Sandalen
Südtirol Tourism
Der Content Marketing-Hub von Südtirol Tourismus “Was uns bewegt” ist ein Best PracticeBeispiel für die Integration zwischen Online- und Offline-Inhalten. Der Hub ermöglicht es,
Interessenten der Reisedestination Südtirol lokale und aussergewöhnliche Persönlichkeiten mit
einem starken Bezug zur Region (u.a. Reinhold Messner) zu erleben –
online und zumeist
mithilfe von Videos. Diese Erlebnisorientierung für die Zielgruppen wird durch den Transfer
dieser Inhalte in die reale Welt forciert: So können Touristen bereits online in Kontakt mit
Personen treten, die ihr Interesse geweckt haben, und diese vor Ort während ihres Urlaub
tatsächlich kennenlernen. Kurzum: Eine perfekte Symbiose aus wertstiftenden, relevanten und
involvierenden Inhalten mit der Chance auf begeisterte Fans der Marke Südtirol.
65
Abb. 3: Was uns bewegt, Südtirol
Quelle: Südtirol Tourismus (Jahr)
Accu-Chek
Online-Communities sind eine vielversprechende Option für die Integration von Kunden in die
Kreation
von
Inhalten
sowie
die
Produktneuentwicklung.
Die
Online-Community
#meinbuntesleben des Pharmakonzerns Roche mit dem Fokus auf dessen Diabetes-Marke Accu
Chek zeigt, wie man die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt stellt. Mehr als 400‘000
registrierte Benutzer verfügen über einen individuellen Account auf dieser Plattform, mehr als
3000 posten regelmässig Inhalte für die Community – auf freiwilliger und unentgeltlicher Basis
versteht sich. Die positive Resonanz der Zielgruppe, Diabeteskranke, kann dadurch erklärt
werden, dass nicht das Leiden oder die Krankheit, sondern der möglichst reibungslose Umgang
mit einem Sonderthema im Alltag thematisiert wird. Marktforschung zeigt ganz eindeutig, dass
von Diabetes Betroffene sich nicht als krank im originären Sinne begreifen, sondern lediglich ein
paar mehr Aspekte hinsichtlich Ernährung, Sportusw. zu berücksichtigen haben. Die Plattform
fokussiert daher auf das Leben, nicht auf die Krankheit.
Aus einer internen Managementperspektive heraus ist die Plattform auch ein hervorragendes
Beispiel für die Integration bzw. das Zusammenspiel zuvor häufig fragmentierter Funktionen
66
wie Marketing, Vertrieb, Produktentwicklung und weiteren. Als ein Kunde sich bei der
Kundenbetreuung erkundigte, wo Diabetes-Messsysteme auf den Fiji-Inseln erhältlich sind (da er
seines in der Heimat vergessen hatte), veröffentlichte die Abteilung „Customer Care“ diese
Anfrage in der Community – mit dem Ergebnis, dass viele Benutzer unmittelbar aushelfen
konnten. Solche Erfolgsgeschichten werden wiederum aktiv von PR und Vertrieb im Dialog mit
Kunden genutzt. Marke, Community und Kundenberatung können somit gestärkt werden.
Abb. 4: Diabetes im Alltag
8.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Die Idee, wertstiftenden, relevanten sowie konsistenten Inhalt mit klar definierten Zielgruppen
zu teilen, ist nicht neu. Heutzutage werden solche Aspekte der Kommunikation – insbesondere
in Verbindung mit unterhaltenden und involvierenden Formaten – allerdings zunehmend von
Seiten der Kunden gefordert: Die Vorbehalte gegenüber klassischer Werbung und
Verkaufsförderung ohne direkten Nutzen für das eigene Leben werden grösser. Heutige
Konsumenten erwarten authentische Informationen über Probleme, bei deren Lösungen ein
Unternehmen helfen kann. Content Marketing als Konzept war noch nie so stark, effektiv und
notwendig wie heutzutage. Folgende Gründe spielen dabei eine exponierte Rolle:
1) Ermächtigte Kunden,
67
2) Werbemüdigkeit („Ad Fatigue“) und Veränderungen im Konsumentenverhalten,
3)wirkungsvolle Kommunikationskanäle.
1. Ermächtigen Sie Ihre Kunden
Abb. 5: Kunden ermächtigen
Quelle: IBM, Global Summit 2012, http://www.slideshare.net/graemeknows/big-data-bigger-campaigns-using-ibms-unica-andnetezza-platforms-to-increase-marketing-roi
2. Werbemüdigkeit („Ad Fatigue“) und Veränderungen im Konsumentenverhalten
§
§
Kunden reagieren zunehmend allergisch auf aggressive Verkaufsstrategien.
Kunden wenden sich digitalen Kanälen für zeitnahe, relevante und glaubwürdige
Informationen zu.
§
§
Problemlösungskompetenz von Unternehmen wird vermehrt erwartet.
Kaufentscheidungen werden mit den heutigen Möglichkeiten durch Peer-Empfehlungen
„abgesichert“.
§
Geschulte Kunden: Zwei Drittel des Kaufzykluses bei B2B-Kunden werden durch die
Akteure selbst recherchiert, ohne Einfluss des Vertriebs oder klassischer Werbung.
68
Abb. 6: Werbemüdigkeit und Veränderungen im Konsumentenverhalten
Quelle: King (2012) http://marketingzeus.com/infographic/the-big-problem-of-ad-fatigue
3. Wirkungsvolle Kommunikationskanäle
Abb. 7: Wirkungsvolle Kommunikationskanäle
Quelle: Curata ( 2016) http://www.curata.com/blog/wp-content/uploads/2016/07/Curata_ContentMktgToolsMap_v1_2016.png
69
8.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Truth to the Mission:
Wo haben wir realen und werthaltigen Einfluss auf das Leben unserer Kunden?
Truth to the Teller:
Sind wir als Unternehmen authentisch, wenn wir Informationen über diesen Einfluss
bereitstellen?
Truth to the Audience:
Wie können wir Kunden integrieren? Wie motivieren wir Kunden dazu, eigene Inhalte zu
kreieren?
Truth to the Moment:
Wie können wir zeitnahen, aktuellen Inhalt übermitteln und gleichzeitig konsistent mit unserer
Strategie sein?
3 Requirements of Effective Content Marketing:
Ist mein „Content“ involvierend, unterhaltend und informierend?
8.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Content Marketing ist überhaupt nicht neu.
Stimmt. Obwohl Content Marketing derzeit als Buzz-Word in der Marketingwelt viel
Aufmerksamkeit erfährt, ist das Konzept an sich nicht neu. Bereits 1895 veröffentlichte John
Deere die erste Ausgabe seines Content Magazins „The Furrow“, dass es Farmern im mittleren
Westen der USA ermöglichen sollte, Erträge und Ernten zu steigern. John Deere als Produzent
von geeigneten Maschinenlösungen, um Ertragssteigerungen zu verwirklichen, nahm sich
bewusst zurück und fungierte eher als Berater als Verkäufer. So wurde selbst der
Unternehmensname nur einige wenige Male in der über 120-jährigen Geschichte des Magazins
70
erwähnt. Ein weiteres, frühes Beispiel für gelungenes Content Marketing repräsentiert der
„Guide Michelin“, ein Hotel- und Restaurantführer für französische Autofahrer, der vom
damaligen Reifenproduzenten André Michelin herausgegeben wurde.
Marketing als Konzept ist seit jeher inhaltsgetrieben.
Ja, zumindest sollte dies so sein. Eine Marke ohne relevanten Inhalt und Marktleistungen ohne
wertstiftenden Einfluss auf das Leben von Kunden sind wie die Metapher des „zahnlosen
Tigers“. Leider betrachten viele Unternehmen ihr Markenmanagement noch immer als eng
definiertes Konzept im Sinne eines konsistenten Brandings bzw. Corporate Designs sowie so
genannter Markenwerte als uninspirierte Worthülsen. Content Marketing stellt die Interaktionen
mit Kunden, die viel zitierten „Touchpoints“ auf der kontinuierlichen „Customer Journey“, in
den Mittelpunkt des Markenmanagements. Dies entspricht der heute anerkannten Sichtweise
von Marketing als marktorientierter Unternehmensführung. Nichtsdestotrotz führen allseits
präsente Implementierungslücken in der Unternehmenspraxis zu einem stärker werdenden
Bedarf an involvierenden, unterhaltenden sowie informierenden Inhalten.
Content Marketing ist nur ein weiteres „Buzzword“.
Jein. Die Myriade an neuen Wortkreationen und vermeintlichen Hypes im Marketing kaschiert
oftmals die realen und unangenehmen Herausforderungen für Marketeers, um diese
„Buzzwords“ mit Leben zu füllen. Die Substanz hinter dem unstrittigen Trend des Content
Marketing offenbart vielschichtige Interdependenzen mit dem Kern anderer Schlagworte wie
Storytelling, Influencer Marketing, Native Advertising oder auch so genannter „Love and Trust
Brands“. Die Existenz dieser „innovativen“ neuen Marketingtrends sollte im Einzelfall durch
eine nüchterne Prüfung der Relevanz für das eigene Unternehmen ergänzt werden.
71
8.5
Wervolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Branded Content – Growth for Marketers and Media Companies (Neal Zuckerman et al.), 2015,
https://www.bcgperspectives.com/content/articles/media-entertainment-marketing-brandedcontent-growth-for-marketers-media-companies/
Content-Marketing-Studie (Namics), 2015, https://www.namics.com/wpcontent/uploads/2016/05/NAM-Content-Marketing-Studie-Vollversion-20150226.pdf
Content Distribution (Content Marketing Forum), 2016, http://content-marketing-forum.com/wpcontent/uploads/2016/02/CMF_whitepaper_Content_Distribution_2016_neu1.pdf
Data Is the Next Big Thing in Content Marketing, Alexandra Samuel, In: Harvard Business
Review, 2015, https://hbr.org/2015/09/data-is-the-next-big-thing-in-content-marketing
How Content Marketers tell better stories with data (Alexandra Samuel), 2015,
https://hbr.org/2015/12/how-content-marketers-can-tell-better-stories-with-data
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Empfohlene Videos
The Story of Content: Rise of the New Marketing
https://www.youtube.com/watch?v=dBnpr3pkFlk
Coca-Cola Content 2020 Initiative
https://www.youtube.com/watch?v=G1P3r2EsAos
Gary Vaynerchuk - Being a content marketing animal
https://www.youtube.com/watch?v=hhkmJor69n4
Infosion des Monats: Content Marketing
http://www.persoenlich.com/service/infosion-des-monats
Referenzen und weitere Quellen
72
TREND NEUN: CUSTOMER INTEGRATION
Für viele Unternehmen gehört heute die Einbindung
des Kunden in verschiedenen Stufen des
Wertschöpfungsprozesses zum Alltagsgeschäft. Mit
Hilfe von Kunden können neue Produkte und Services
Customer Integration
entwickelt, kundenspezifisch ausgearbeitet oder
Video
optimiert werden. Dabei kann der Dialog zwischen
Kunden und Unternehmen variabel gestaltet werden,
etwa begrenzt auf das Feedback zu bestehenden
Unternehmensleistungen oder in Form des
vollständigen Einbezugs des Kunden von Ideengenerierung bis hin zur Implementierung.
Aufgrund der steigenden Bedeutung und Marktforderung nach Customer Centricity bauen
heute viele Unternehmen ihr gesamtes Businessmodel entlang von Kundenbeiträgen zur
Wertschöpfung auf.
Aus Unternehmenssicht ist die Integration von Kunden in den Wertschöpfungsprozess mit
vielen Vorteilen verbunden: Unternehmen können bestimmte Tätigkeiten des
Innovationsprozesses entweder durch Kundenfeedback anreichern oder ganz an Kunden
auslagern – (wie z.B. Ideengenerierung bis hin zum Bau von ersten Prototypen. Zudem bieten
Kundenintegrationsprozesse generell viele Möglichkeiten zur Erhöhung des Kundennutzens und
damit der Qualität von Leistungen, und können darüber die Kundenbindung positiv
beeinflussen.
Die Intensivität der Einbindung von Kunden in Innovationsprozesse kann in drei Stufen
gegliedert werden (z.B. Hofbauer, 2013; Reichhart, 2002):
1.
Passive Mitwirkung – Kunde kann Feedback zu Unternehmensleistungen geben, hat
aber keinen Einfluss auf die Einbindung des Feedbacks in den Entwicklungsprozess.
2.
Aktive Mitwirkung – Kunden können mit dem Hersteller gemeinsam Leistungen
entwickeln und kann sich aktiv einbringen. Der Kunde kann einen Beitrag zur
Leistungsausgestaltung leisten.
3.
Aktive Partizipation – Ganze Prozesse/ Teilaufgaben werden vom Kunden
übernommen. Dadurch trägt der Kunde einen massgeblichen Teil zur
Leistungsgestaltung bei.
73
Die Ausgestaltung der Kundenintegration in der Praxis kann stark variieren, je nach Phase des
Produktentwicklungsprozesses. Hier kann man grundsätzlich zwischen vier (fünf)
Prozessphasen unterscheiden (z.B. Hofbauer, 2013):
1.
Ideengenerierung & - vorauswahl,
2.
Produktkonzeption & -auswahl,
3.
Produktentwicklung (Prototyping),
4.
Testphase und Markterprobung,
5.
(Optimierung bestehender Produkte im Markt).
Als Kundenintegrationsmöglichkeiten bieten Unternehmen beispielsweise an: Point-of-Delivery
Customization (z.B. das Bedrucken von T-Shirts im Laden) Kundenforen, Fokusgruppen (v.a. im
Bereich Marktforschung), Innovationswettbewerbe, Lead-User Innovation, CoInnovationsprojekte, Testkunden usw. Nicht nur im Innovationsbereich kann man von
Kundenintegrationsmassnahmen sprechen: Der durch Kunden selbst vorgenommene
Möbelaufbau, Do-it-yourself-Konzepte und Self-Check-Out im Supermarkt sind ebenfalls als
Formen der Kundenintegration zu betrachten. Auch in diesen Fällen werden bestimmte Schritte
des Wertschöpfungsprozesses an den Kunden ausgelagert und somit durch den Kunden
massgeblich gestaltet. Allgemein gesprochen umfasst jede Art von Dienstleistung per Definition
die Integration des Kunden – je grösser der Dienstleistungsanteil einer Unternehmensleistung ist,
desto mehr Integration des Kunden findet per se statt, ohne das ein Unternehmen dies aktiv
fördern muss.
Als höchste Form der Kundenintegration sind jene Geschäftsmodelle zu betrachten, die den
Kunden tatsächlich als Teil des Unternehmens definieren. Diese haben im Zuge der
Digitalisierung und damit der erhöhten Möglichkeiten der Kommunikation und des flexiblen
Leistungsaustauschs an enormer Bedeutung im Markt gewonnen:
Ob AirBnB als Plattform für die Vermittlung von Privatwohnungen als Ferienunterkünfte oder
die Plattform „sharoo“ zur Vermietung von Privatautos – in beiden Modellen ist der Kunde mit
seinem Angebot zentraler Teil des gesamten Geschäftsmodells.
74
Abb. 1: Vermittlung von Fahrgemeinschaften
9.1
Best Practice Examples
SAP Co-Innovation Platform:
Kunden/Interessierte können entweder direkt mit konkreten Ideen an die Plattform herantreten
oder aktuelle Projekte weiterentwickeln. Online- und Offline-Projekte und Events
75
Abb. 2: SAP Co-Innovation
Quelle: SAP(Jahr)
Swisscom Startup Challenge
Kunden/ Interessenten können eigene Ideen einreichen und mit Hilfe eines Mentorings mit der
Swisscom weiterentwickeln. Vielversprechende Ideen haben die Chance auf eine BusinessKooperation mit der Swisscom, um das Konzept bis hin zum marktreifen Produkt zu entwickeln
und umzusetzen.
Abb. 3: Swisscom StartUp Challenge
Quelle: Swisscom (Jahr)
Cisco Support Community:
76
Forum von Cisco Systems, das schon seit mehr als 10 Jahren existiert. Kunden können sich hier unterstützt durch Experten/Moderatoren im Forum - gegenseitig Rat zu aktuellen Problemen
und Fragestellungen geben. Zudem bietet das Forum auch einen „Ideen Center“, in dem man
eigene Verbesserungsvorschläge und Ideen an Cisco weitergeben kann (Lead-User-Konzepte).
Ikea „Soft Toys for Education“:
Seit einigen Jahren bietet Ikea eine spezielle Linie an Stofftieren an, die von Kindern selbst
gezeichnet und anschliessend durch IKEA realisiert werden. Seit über 10 Jahren sucht IKEA auf
diese Weise neue Kuscheltierideen zur Produktion aus. Ein Teil des Erlöses spendet IKEA an
UNICEF und Save-the-Children Projekte.
Video zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=WsJ6CV-6ZpA
Abb. 4: Ikea Soft Toys for Education
Quelle: IKEA (Jahr)
9.2
Gründe für nachhaltige Relevanz
Kundenintegrationsprozesse bieten für Unternehmen viele Vorteile. Durch die Digitalisierung
und den damit verbundenen Interaktionsmöglichkeiten, kann heute ein direkter Dialog zwischen
Kunden und Unternehmen geschaffen werden. Mit Hilfe von z.B. unternehmenseigenen
Plattformen oder Social Media lassen sich heute diverse Angebote der Zusammenarbeit von
Kunde und Unternehmen realisieren. Kundenintegrationsprozesse existieren schon seit vielen
Jahren, auch wenn das volle Potential wahrscheinlich erst in den letzten Jahren durch die
technischen Möglichkeiten entfaltet werden konnte. Auch zukünftig wird die Integration von
Kunden in den Entwicklungsprozess eine stärkere Rolle zugeschrieben werden: Kunden
verlangen stärker denn je neue, innovative, passgenaue und individualisierte Lösungen, die auf
77
Unternehmensseite ein breites Kundenwissen voraussetzen. In diesem Zuge bietet der Einbezug
von Kunden eine geeignete Methode, um den Anforderungen des Marktes zu erheben,
einzubeziehen und schneller in Produkte umzusetzen.
Um langfristig erfolgreich im Markt bestehen und auch stabile Werte schaffen zu können,
bewegen sich Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Kundenwünschen und -anforderungen
sowie generellen Potential- bzw. Marktbewertungen im Hinblick auf den Erfolg entwickelter
Ideen. Wie auch bei unternehmenseigenen Ideen gilt es, Kundenfeedback und gemeinsam
entwickelte Konzepte genauestens zu hinterfragen und in ihrer tatsächlichen Relevanz
abzuschätzen. Gleichzeitig muss stets eine Balance zwischen Innovation und Stabilität in den
Unternehmensleistungen und damit der Marke eines Unternehmens gefunden werden, um
langfristig erfolgreich zu sein.
9.3
Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Die Konzeption und Umsetzung von Kundenintegrationsmassnahmen erfordert eine genaue
Einschätzung der Ausgangslage sowie möglicher Potentiale für die stärkere Einbindung von
Kunden in Unternehmensprozesse.
Analyse des Status Quo im Bereich Customer Integration.
Wie ist die aktuelle Kundenorientierung des Unternehmens bzw. die Anpassung der
Unternehmensleistungen an die Kundenbedürfnisse einzuschätzen? Welche Massnahmen der
Kundenintegration unternimmt das Unternehmen heute? In welchen Massnahmen werden
Kunden aktiv und in welchen passiv einbezogen? Wie ist die Resonanz der Kunden hinsichtlich
dieser Massnahmen?
Externe Analyse: Wie gestaltet sich Kundenintegration bei relevanten Wettbewerbern des
Unternehmens?
Analyse zukünftiger möglicher & relevanter Massnahmen (kurz- sowie langfristig) im Bereich
Customer Integration.
An welchen Stellen könnte die Integration von Kunden zusätzliche Mehrwerte bieten? Welche
Massnahmen könnten helfen, bestehende Produkte noch besser an die Kundenbedürfnisse
78
anzupassen? Wäre die Entwicklung einer Kundenintegrationsstrategie für die Akquisition von
Kunden (oder Bindung von Kunden) denkbar?
Analyse der unternehmenseigenen Infrastruktur und Ressourcen, um Kundenintegrationsprozesse konzeptionieren und implementieren zu können.
Wie könnten sich zusätzliche Massnahmen im Bereich der Kundenintegration heute/ innerhalb
von 1 Jahr/ innerhalb von 2 Jahren realisieren lassen? Besitzt das Unternehmen derzeit die
notwendige Infrastruktur, um die Integration von Kunden ausweiten zu können (v.a. technisch)?
Besitzt
das
Unternehmen
aktuell
genügend
Ressourcen,
um
eine
Ausweitung
der
Kundenpartizipation zu ermöglichen? Welche Ressourcen müssten ggf. zusätzlich herangezogen
werden? Welche Stelle ist zuständig für die Ausarbeitung einer entsprechenden Strategie,
Planung, Implementierung und Pflege? Besitzt das Unternehmen aktuell ausreichende
Kompetenzen, um Massnamen zu planen, zu implementieren und zu pflegen (v.a. im ITBereich)?
Definition des Monitoring und Optimierungsprozesses.
Mit welchen Mitteln können Erfolge von Kundenintegrationsprozessen im Hinblick auf die
gesetzten Ziele der Handlungen bewertet werden? Welche Kennzahlen werden dazu im
Unternehmen schon heute erhoben bzw. müssten zusätzlich erhoben werden, um den Erfolg der
Massnahmen einzuschätzen?
9.4
Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Massnahmen im Bereich der Kundenintegration haben eine lange Tradition. Kunden werden seit
vielen Jahren in diverse Unternehmensprozesse, v.a. im Bereich der Produktentwicklung oder
Marktforschung einbezogen, um Leistungen eines Unternehmens an Kundenbedürfnisse
anzupassen, zu optimieren oder individuelle Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern (e.g.
Kristensson, Matthing & Johansson, 2008; Vargo & Lusch, 2004). Aus diesem Grund ist
Kundenintegration nicht direkt als neuer, sondern vielmehr als anhaltender Trend anzusehen.
Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und damit verbunden der inkrementellen Zunahme
an Kundenintegrationsaktivität im digitalen Raum ist die Frage zu stellen, ob der Einbezug von
Kunden per se zu wünschenswerten oder besseren Resultaten in den verschiedenen
Einsatzbereichen führt. So zeigen Metastudien, dass Kundenintegration nicht unter allen
Bedingungen zu besseren Resultaten führt. Beispielsweise im Bereich der Neuentwicklung von
79
Produkten oder Services ist der Einbezug von Kunden häufig nur in bestimmten Prozessphasen
von Vorteil, beispielsweise in späten Phasen der Neuentwicklung (z.B. Chang & Taylor, 2016;
Gustafsson, Kristensson & Witell, 2012).
Auch im Bereich der Auslagerung von Unternehmensprozessen, wie z.B. Self-Checkouts oder
DIY-Produkte, muss eine genaue Prüfung geschehen, inwieweit ein Kunde offen ist, eine eigene
Leistung zum Produktangebot beizutragen oder diese als obligatorischen Service des
Unternehmens ansieht. So zeigen Studien, dass die Zufriedenheit mit Services, in denen Kunden
Prozessschritte übernehmen müssen, stark von der Kundenbereitschaft und wahrgenommener
eigener Kompetenz zur Übernahme des Prozesses abhängt (z.B. Dong, Sivakumar, Evans & Zou,
2014).
9.5
Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Bruhn, M. (2009). Kundenintegration und Relationship Marketing. In Kundenintegration (pp.
111-132). Gabler.
Hofbauer, G. (2013). Customer Integration Prinzipien der Kundenintegration zur Entwicklung
neuer Produkte. Working Paper. Ingolstadt.
Ihl, C., & Piller, F. (2010). Von Kundenorientierung zu Customer Co-Creation im
Innovationsprozess. Marketing Review St. Gallen, 27(4), 8-13.
Kleinaltenkamp, M., Fließ, S., & Jacob, F. (Eds.). (2013). Customer Integration: Von der
Kundenorientierung zur Kundenintegration. Springer-Verlag.
Lee, S. M., Olson, D. L., & Trimi, S. (2012). Co-innovation: convergenomics, collaboration, and
co-creation for organizational values. Management Decision, 50(5), 817-831.
Lundström, J. S. E., Wiberg, M., Hrastinski, S., Edenius, M., & Agerfalk, P. (Eds.). (2014).
Managing open innovation technologies. Springer Science & Business Media.
Reichhart, S. (2002). Kundenorientierung im Innovationsprozess. Wiesbaden.
Sloane, P. (2011). A guide to open innovation and Crowdsourcing: Advice from Leading Experts in the
Field. Kogan Page Publishers.
80
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Empfohlene Videos
The Importance of Open Innovation and Collaboration | London Business School.
https://www.youtube.com/watch?v=05QZQIf8mPg
Crowdsourcing
Inside
Your
Company;
Harvard
Business
Review
https://hbr.org/video/2688242141001/crowdsourcing-inside-your-company
Referenzen und weitere Quellen
Chang, W., & Taylor, S. A. (2016). The effectiveness of customer participation in new product
development: a meta-analysis. Journal of Marketing, 80(1), 47-64.
Dong, B., Sivakumar, K., Evans, K. R., & Zou, S. (2014). Effect of customer participation on service
outcomes the moderating role of participation readiness. Journal of Service Research,
1094670514551727.
Gustafsson, A., Kristensson, P., & Witell, L. (2012). Customer co-creation in service innovation: a
matter of communication?. Journal of Service Management, 23(3), 311-327.
Kristensson, P., Matthing, J., & Johansson, N. (2008). Key strategies for the successful
involvement of customers in the co-creation of new technology-based services. International
journal of service industry management, 19(4), 474-491.
Vargo, S.L. & Lusch, R.F. (2004). Evolving to a new dominant logic for marketing. Journal of
Marketing, Vol. 68,1-17.
81
TREND ZEHN: FLEXIBLE USE
Flexible Use bezeichnet die bedarfsabhängige Nutzung
von Produkten und Dienstleistungen. Bekannte Dienste
wie Uber, airbnb, Netflix oder Spotify haben „Flexible
Use“ oder auch „Sharing Economy“ zu einem Trend
gemacht, mit welchem sich auch „traditionelle“
Unternehmen beschäftigen beziehungsweise
Flexible Use
Video
beschäftigen sollten. Ähnlich wie bei anderen Trends
wie Content Marketing ist die zugrundeliegende Idee
jedoch nicht komplett neu. Der Werkzeughersteller Hilti
hat beispielsweise bereits vor über zehn Jahren das sogenannte „Tool Fleet Management“
eingeführt, bei welchem die Kunden die Werkzeuge nicht mehr käuflich erwerben, sondern Hilti
das Werkzeugmanagement seiner Kunden abhängig von deren Nutzung komplett übernimmt.
Durch Eingehen auf die Kundenbedürfnisse und deren Wunsch nach einer flexiblen und
sorgenfreien Nutzung hat das Unternehmen somit früh sein Geschäftsmodell umgestaltet und
damit den Markt geprägt.
10.1 Best Practice-Beispiele
FreshNeck
FreshNeck ist das “Netflix for Ties”, so das 2012 in New York gegründete Unternehmen. Da
Designeraccessoires nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer teuer sind, kam das
Unternehmen auf die Idee, eine Plattform zu etablieren, auf welcher Männer exklusive
Krawatten, Manschettenknöpfe, Einstecktücher etc. kostengünstig ausleihen können. Das
System ist einfach und „convenient“. Kunden registrieren sich zunächst auf der Plattform und
„laden“ ihren präferierten und virtuellen Kleiderschrank an Accessoires auf die Plattform.
Anschliessend erhalten sie binnen 1-3 Werktagen jene Accessoires nach Hause geliefert, welche
oben auf dem „Warenkorb“ stehen. Gemäss ihren Wünschen und Bedürfnissen können Kunden
82
die Accessoires so lange behalten wie sie möchten. Sobald sie Lust auf etwas Neues haben,
verpacken sie die getragenen Accessoires in ein vorfrankiertes Kuvert. Sobald Freshneck die
getragenen Accessoires wieder erhält, werden auf Wunsch des Kunden die nächsten Accessoires
automatisch verschickt. Das Angebot ermöglicht somit Kunden, kostengünstig an Krawatten,
Manschettenknöpfe usw. zu kommen, die sie sich ansonsten nicht leisten wollen oder können. Da
die Kunden die Produkte lediglich ausleihen, besteht auch die Möglichkeit, sich ausgefallene
Produkte auszusuchen, die man sich ansonsten eher nicht kaufen würde.
Abb. 1: Unternehmenskonzept Freshneck
Quelle: Freshneck (Jahr)
Kuhleasing
Kuhleasing wurde bereits 1999 aus der Not heraus geboren und ist heute eine erfolgreiche
Sharing Plattform für Landwirte. 1999 stand ein Schweizer Landwirt aufgrund der stark
gefallenen Milchpreise kurz vor dem Ruin. Anstelle seinen Käse oder seine Milch weiter zu
verkaufen, entschied er sich, seine Kühe an seine Kunden für eine Jahresgebühr zu vermieten.
Dabei kümmerte er sich weiterhin um seine vermieteten Kühe und die Versorgung seiner
83
Kunden mit Milchprodukten. Die Kunden bekamen jedoch spezielle Rabatte für die Produkte
ihrer gemieteten Kühe, erhielten Zertifikate und Photos „ihrer“ Kühe und bekamen die
Möglichkeit, diese jederzeit zu besuchen. Während dies damals die letzte Chance für den
Landwirt auf ein Überleben war, stellt das Kuhleasing für ihn heute eine beträchtliche
Einnahmequelle mit einer professionell vermarkteten Plattform dar. Die erfolgreiche Idee wurde
mittlerweile von zahlreichen Landwirten in der Schweiz und in Österreich übernommen.
Abb. 2: Sharing Plattform für Landwirte
Powerpeers
Dass fast alle Energieversorger krisengeplagt sind und sich durch politische Intervention wie der
„Energiewende“ einem strukturellen Wandel unterziehen müssen, ist keine Neuigkeit.
Gleichzeitig ermöglicht diese Herausforderung aber auch neue Chancen und innovative
Geschäftsmodelle. Der schwedische Energieriese Vattenfall hat beispielsweise in den
Niederlanden als 100 %ige Tochter des Unternehmens das Start-up-Energieunternehmen
Powerpeers gegründet. Auf einem interaktiven Marktplatz entscheiden die Kunden, von wem sie
ihre Energie beziehen und wen sie mit selbst erzeugter Energie versorgen wollen. Damit
entspricht das Unternehmen dem zunehmenden Wunsch der Kunden, Kontrolle darüber zu
haben, wie die von ihnen verbrauchte Energie erzeugt wird und wer die von ihnen erzeugte
Energie nutzen darf. Gleichzeitig entspricht das Geschäftsmodell sowohl dem Trend zum
umweltbewussten Leben und der zunehmend vernetzten Gesellschaft. Kunden einzubinden und
84
sie durch Sharing Economy beim ressourcenschonenden Umgang mit Energie zu unterstützen ist
dabei ein wichtiger Baustein innerhalb Vattenfalls Strategie und der Zielsetzung, bis 2050 ein
klimaneutrales Unternehmen zu werden.
Abb. 3: Interaktiven Marktplatz der Energieversorgung
Quelle: Powerpeers (Jahr)
10.2 Gründe für nachhaltige Relevanz
Die Themen Flexible Use und Sharing Economy sind heute jedoch aktueller und prägender denn
je. Marketeers sollten sich aus den folgenden Gründen hiermit intensiv auseinandersetzen:
Technologie:
Die technologischen Möglichkeiten machen Sharing Economy heute leicht implementierbar.
Soziale Medien beispielsweise stellen sicher, dass Sharing einfach und transparent ist, so dass die
Nachfrage nicht mehr nur an Freunde oder Bekannte gebunden ist. Sharing Websites wie jene
von airbnb oder Uber stellen durch Prüfung von Anbietern und Nachfragern, Bewertungen
durch die Community sowie Online-Zahlung über die Plattform Vertrauen her.
Wertewandel:
85
Während in den 1980er und 1990ern vor allem Werte wie Vergnügen und Individualisierung im
Mittelpunkt standen, leben wir seit dem Jahrtausendwechsel in einer Welt, die als multioptional
angesehen werden kann. Besitz, unbegrenzte Möglichkeiten und Informationsflut können jedoch
auch zu einer Last werden. Sie führen zunehmend dazu, dass wir Flexibilität verlangen und
lernen müssen, mit der steigenden Komplexität umzugehen. Konsumenten bevorzugen eine eher
kurzlebige Art von Konsum, welche die Integration von Flexibilität und Anpassung in ihrem
Alltagsleben ermöglicht. Folglich wird Besitz immer mehr als eine Einschränkung von Mobilität
gesehen. Gleichzeitig ist Besitz als Statussymbol weniger wichtiger geworden. An dessen Stelle
sind Motive wie Wissen und Ansehen getreten. In unserem Handeln möchten wir der
„Community“ unser ideales Ich demonstrieren und uns von der besten Seite präsentieren.
Abb. 4:
Quelle:
Nachhaltigkeit:
Die Möglichkeit, sich selbst als verantwortungsvoller Konsument darzustellen, ist durch den
Nachhaltigkeitsaspekt von Flexible Use gegeben. Die Idee, durch Sharing Economy oder Flexible
Use Ressourcen sinnvoller einzusetzen, trifft den Zeitgeist. Zu Zeiten konsumkritischer
Bewegungen werden alternative Lebensweisen wie grüner und nachhaltiger Konsum
zunehmend wichtiger. Der ökologische Nutzen von Sharing Economy-Systemen umfasst
idealerweise einen insgesamt geringeren Ressourceneinsatz und maximalen Gebrauch.
86
Finanzielle Rentabilität:
Letztlich spielt auch der finanzielle Anreiz eine entscheidende Rolle für die Nutzung von Sharing
Economy-Diensten. Geringere Kosten sowie grösserer Nutzen und Zweckmässigkeit sind
entscheidende Vorteile, die letzten Endes den Kunden dazu bewegen sollen, Nicht-Sharing durch
Sharing zu ersetzen. Die zunehmende Besteuerung von Vermögenswerten ist ein weiterer
wichtiger Grund, warum Konsumenten Access-based-Alternativen präferieren. Die Teilnahme
an der Sharing Economy macht nicht nur die Zeit und Belastung, welche mit der Beschaffung
von Ressourcen (wie bspw. einem Fahrzeug) verbunden ist, überflüssig, sondern eliminiert auch
das Problem der Lagerhaltung (Parkgebühren usw.). Sie ermöglicht aber auch, die laufenden
Kosten, wie Steuern und Versicherung zu verringern und mit der Allgemeinheit zu teilen.
Quelle: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0007681316300568
10.3 Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Obwohl vor allem Start-ups wie Uber oder Spotify Sharing Economy geprägt haben oder prägen,
zeigen die obigen Beispiele, dass vor allem etablierte Unternehmen die Entwicklungen genau
beobachten sollten und sich hinterfragen sollten, ob (a) solche Dienste ihr Geschäftsmodell
gefährden können und (b) sie selbst in dieser Hinsicht aktiv werden sollten und auf Sharing
Economy zurückgreifen sollten. Vor allem aufgrund des Drucks durch die Energiewende und die
extern hoch gesteckten Ziele hinsichtlich Klimaneutralität hat Vattenfall beispielsweise die zweite
Frage mit „Ja“ beantwortet und erhofft sich damit einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern.
Das Beispiel Freshneck zeigt zudem, dass auch Modeunternehmen aus der Luxusbranche mit
scheinbar glänzenden Aussichten durch Flexible Use/Sharing Economy bedroht werden können.
Marken wie Hermès oder Gucci müssen sich folglich die Frage stellen, ob sie Freshneck den
Markt überlassen oder lieber selbst eine ähnliche Plattform betreiben –mit dem Ziel, junge und
zukünftig zahlungskräftige Kunden für ihre Marken zu begeistern. Gleichzeitig besteht dabei
aber die Gefahr, den bestehenden Markt zu kannibalisieren. Zudem ist es fraglich, ob eine
einzelne Marke genügend Variabilität in den Produkten anbieten kann, um den
Kundenbedürfnissen nach Abwechslung (wie bei Freshneck adressiert) hinreichend gerecht zu
werden. Kannibalisierungseffekte wurden auch lange Zeit von den etablierten deutschen
Automobilherstellern befürchtet. Dennoch haben sich sowohl BMW mit DriveNow und
Mercedes mit Car2Go (welche nun miteinander kooperieren) dazu entschieden, reinen Car
Sharing-Anbietern nicht den Markt zu überlassen und stattdessen durch ihre Angebote den
87
veränderten Kundenbedürfnissen gerecht zu werden und Präferenzen für ihre Marken
aufzubauen.
10.4 Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Trend Flexible Use/Sharing Economy wurde lange Zeit einseitig positiv gesehen. Während auch
hier die positiven Aspekte thematisiert wurden, vermehren sich zu Recht in letzter Zeit auch
kritische Stimmen. Ein im Frühjahr 2016 erschienener Artikel beispielsweise beschrieb Sharing
Economy im Frühjahr 2016 als „zerteilte Gesellschaft“ und wies darauf hin, dass Sharing nicht
nur positive Auswirkungen haben kann, sondern stattdessen ironischerweise zu mehr Egoismus
und Beliebigkeit führen kann. Weiterhin können solche Dienste auch dazu führen, dass der
positive Aspekt des Teilens an sich zu billiger Arbeit und Wettbewerbsverzerrungen führen
kann. Diese Kehrseite der Sharing Economy wurde, zugegebenermassen überspitzt, im
Satiremagazin extra 3 thematisiert. Einstweilige Verfügungen und Verbote durch die Politik wie
bei Uber und airbnb in Deutschland sollten Unternehmen allerdings hinsichtlich der
Ausgestaltung solcher Angebote sensibilisieren.
10.5 Wertvolle Resources und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Stephany, A. (2015). The business of sharing: Making it in the new sharing economy.
Palgrave Macmillan.
Deloitte (2015): Sharing Economy: Teile und verdiene! Wo steht die Schweiz?
http://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/ch/Documents/consumer-business/ch-de-cbsharing-economy-teile-und-verdiene.pdf
PWC (2015): Share Economy: Repräsentative Bevölkerungsbefragung 2015
https://www.pwc.de/de/digitale-transformation/assets/pwc-bevoelkerungsbefragung-shareeconomy.pdf
Empfohlene weitergehende Internetquellen
88
Die Ausbeutung, die wir Sharing nennen (2016)
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/shareconomy-die-ausbeutung-die-wir-sharingnennen-kolumne-a-1116519.html
Die zerteilte Gesellschaft (2016):
http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/sharing-economy-die-zer-teilte-gesellschaft-a1076216.html
The sharing economy: A marketing perspective (2015):
http://www.gfk-verein.org/en/compact/focustopics/sharing-economy-marketing-perspective
Videos
Share Economy - Der Trend zu teilen
https://www.youtube.com/watch?v=vNm9pHjMIhQ
Powerpeers in Short
https://www.youtube.com/watch?v=hM8sePEoslk
Referenzen und weitere Quellen
89
TREND ELF: INTEGRATED CUSTOMER EXPERIENCE
Customer Experience Management bezeichnet alle
Prozesse innerhalb einer Organisation, welche das
Zusammenspiel mit den Kunden bewerkstelligen. In
Anbetracht dessen, dass die meisten Unternehmen
ihre Vertriebsstrategie von Single-Channel zu Multi-
Integrated Customer
Experience
Channel weiter zu Omni-Channel entwickelt haben,
Video
sind auch viele neue Berührungspunkte mit Kunden
entstanden. Zudem sind die Produktportfolios der
Unternehmen heutzutage diversifizierter denn je.
Daher müssen Unternehmen ihr Customer Experience Management über all ihre existierenden
Touchpoints mit allen angebotenen Produktlinien optimieren. Die Schwierigkeiten liegen dabei
in der Echtzeitnachfrage, dem Kreieren personalisierter Angebote und der zusätzlich
Anforderung, alle Touchpoints in ein holistisches und nahtloses Kundenerlebnis zu integrieren.
Zwei Megatrends beeinflussen die Entwicklung des integrierten Customer Experience
Managements erheblich: die Digitalisierung und die Experience Economy.
11.1 Best Practice-Beispiele
Bei der Berücksichtigung von Best Practices bzgl. Customer Experience Management ist es
wichtig, nicht nur einen Blick auf Best Practices für Online Customer Journey oder physische
Customer Experience zu werfen, sondern auch die Unternehmen zu betrachten, die beides
zielbewusst verbinden.
Drei Beispiele sind die Luxusmarken Burberry und Dior sowie der amerikanische Kaufhaus- und
Versandhauskette Nordstrom.
Burberry
Burberry ist ein grossartiges Beispiel für eine nahtlose Integration von physischer und digitaler
Touchpoints. Nach einer siebenjährigen Transformation von einer hinter den
90
betriebswirtschaftlichen Erwartungen zurückgebliebenen, unfokussierten Marke zu einer der
erfolgreichsten Luxusmarken hat Burberry seinen Umsatz innerhalb von fünf Jahren
verdreifacht. Das Modeunternehmen hat neu bestimmt, wie ein weltklassiges Kundenerlebnis
aussehen sollte – online und offline integriert. In einem Interview hatte die frühere CEO von
Burberry, Angela Ahrendts, welche mittlerweile ihre Stelle als Senior Vice President für
Einzelhandel und Online-Shops bei Apple angetreten hat, den Londener Flagship Store wie folgt
beschrieben: „Burberry Regent Street bringt unsere digitale Welt zum ersten Mal in einem
physischen Raum ins Leben, wo Kunden jede Facette der Marke durch umfassende Multimedia
Inhalte genau wie Online erleben können. Durch die Türen zu laufen ist genau wie unsere
Website zu besuchen. Es ist die Burberry Welt Live.“ (Davis, 2014) In den Burberry-Geschäften
sind viele Produkte durch RFID gekennzeichnet; dies erlaubt den Kunden, mehr über das
Handwerk des spezifischen Produkts zu erfahren oder auch ein Modenschauvideo zu sehen, in
welchem ein Model genau dieses Stück in Kombination mit weiteren Artikeln trägt.
Nach ihrer neuen Markenausrichtung hat Burberry sich dazu entschlossen, sich auf die
Zielgruppe der Millennials zu fokussieren, welche stark durch den hohen Adel beeinflusst wird.
Dafür war Burberry hinsichtlich Innovation beim Kundenerlebnis „The art of the trench“. Die
Plattform positioniert die Burberry-Trench Coat tragenden Kunden als Helden. Kunden können
auf der Plattform ihr individuelles Styling zur Schau stellen, indem sie Bilder von sich selbst auf
Instagram und Piterest posten. Endlos viele Bilder wurden gepostet und können geliked, disliked
kommentiert und die Produkte auf der Plattform direkt erworben werden.
Abb. 1: The Art of the Trench
Quelle: The Art of the Trench (Jahr)
91
Ein weiteres exzellentes Beispiel eines integrierten Kundenerlebnisses ist Burberry Acoustic, eine
Plattform für junge talentierte britische Musiker, welche weltweit in den Burberry-Geschäften
laufen.
Dior
Dior hat 2015 Dior Eyes eingeführt, ein neues Virtual Reality Headset, um hinter die Kulissen
einer Fashion Show zu schauen. Der Augmented Reality-Apparat zeigt Kunden eine 360°Perspektive inklusive Audio. Kunden können Dior Eyes in Geschäften nutzen, um den
Backstage-Bereich der letzten Fashion Show zu erleben, oder auch die Handwerkskunst zu
erforschen, welche hinter der Kreation der einzelnen Stücke steckt.
Abb. 2: Dior Eyes
Quelle: Dior creates its own virtual reality headset (2015)
Nordstrom
Seit über 100 Jahren ist es Nordstroms Mission, ein fabelhaftes Kundenerlebnis bereitzustellen.
Die Investitionen, um dieses Ziel zu erreichen, waren hoch:Nordstrom hat in den letzten 25
Jahren über eine Milliarde US Dollar investiert, um ihre Mehrfachzugriff-Infrastruktur
aufzubauen. Bereits vorgängig war in in eine Technologie investiert worden, welche es den
Mitarbeitenden ermöglicht, in den Geschäften exzellenten Kundenservice zu bieten. Weitere
Investitionen gingen in die Onlinepräsenz Nordstrom.com sowie ein Warenbestandssystem,
welches einen beständigen Mehrfachzugriff erlaubte. Die grösseren Veränderungen waren
zwischen 2004 und 2014, als Nordstrom sein Innovationslabor eröffnet hat, welches einen „Flash
92
Mob“-Ansatz verwendet und die digitalen Innovation beschleunigt. Die Entwicklung einer
neuen Sonnenbrillen-App hat beispielsweise von Entwicklung bis Einführung insgesamt
lediglich 5 Tage benätigt. Zudem hat Nordstrom in den Onlinehandel, aber auch in
Weiterentwicklung der physischen Kaufhäuser und in umfassende Kundenerlebnisse investiert.
Zu den Investitionen in die Kaufhäuser gehörte die Implementierung eines neuen Point-of-Sale
Systems, welches zusätzlich zu weiteren Features über eine Personal Book Software verfügt, die
es den Angestellten ermöglicht, das Kundenverhalten der einzelnen Kunden online zu
verfolgen. Des Weiteren hat Nordstrom eine mobile Kasse eingeführt, welche es Kunden erlaubt,
per Handy zu bezahlen, die Verkaufsangestellten dadurch entlastet und es gleichzeitig
ermöglicht, den Einkauf einer bestimmten Person zuzuordnen.
Investitionen in den Onlinehandel waren die Nordstrom App sowie die Onlinepräsenz in
bekannten Social Media-Plattformen, um Begeisterung zu erzeugen. Dabei wurde unter anderem
ein Cloud-basierender Beratungsservice für Männerkleidung erstellt, mit personalisierten und
anspruchsvollen Angeboten für verschiedene Kundensegmente. Wie gelingt es Nordstrom, alle
Touchpoints zu integrieren und seinen Kunden ein integriertes Kundenerlebnis zu bieten? Einige
Beispiele illustrieren dies:
•
Nordstorm ist einer der ersten Einzelhändler, der seinen Kunden anbietet, Artikel auf
Instagram direkt zu kaufen.
•
Pinterest dient als eine Inspirationsquelle für die visuelle Vermarktung im Laden.
Bekannte Artikel werden auf der Verkaufsfläche markant dargestellt, gekennzeichnet mit
einem roten Pinterest-Logo und auf der Nordstrom.com Pinspiration Microsite
dargestellt.
•
Durch die Integration der Website und App im Bestandsmanagement-System können
Kunden immer sehen, ob Produkte in der Nähe verfügbar sind, oder ob sie diese online
oder einem anderen als dem bevorzugten Laden bestellen müssen.
•
Nordstrom hat vor kurzem „Kerb-Side Collect“ eingeführt. Kunden können so Produkte
online bestellen und sie eine Stunde später vor dem Geschäft abholen.
93
Abb. 3: Pinterest top pinned items in store
Quelle: Gensenhues (2013)
Abb. 4: Pinspiration at Nordstrom.com
Quelle: Gensenhues (2013)
11.2 Gründe für nachhaltige Relevanz
Die Fusionierung von Offline und Online-Aspekten erschafft Möglichkeiten, die vorher nicht
existierten und nicht existieren würden, wenn nur der eine oder der andere Kanal berücksichtigt
würde oder wenn das Online- und das Offlinegeschäft separat voneinander geleitet würden.
Die Anzahl Kontaktpunkte, über die Kunden mit Unternehmen agieren, nehmen zu. Dies fordert
eine verstärkte Transparenz von Unternehmen, so dass Informationen, Angebote und Services
94
über alle Touchpoints hinweg konsistent sind und somit die Kundentreue erhalten oder sogar
erhöht werden kann.
Kunden verbalisieren zunehmend ihre Unzufriedenheit, wenn sie Inkonsistenzen im
Kundenerlebnis einer Marke erleben. Durch die schnelle Verbreitung über Social Media können
negative Multiplikatoreneffekte entstehen und damit die Marke langfristig schädigen.
Digitalisierung (und der Informierte Kunde).
Digitale Endgeräte sind heute ein wesentlicher Bestandteil des Alltags von Konsumenten
geworden. Ständig wird online recherchiert, kommuniziert und konsumiert. Die digitalisierte
Wirtschaft, in der wir leben, hat viele Detailhandelsparadigmen verändert. Das Internet bietet
Informationen überall, sofort und zu jeder Zeit.
Der informierte Konsument ist ein Resultat der Digitalisierung. Zeiten, in denen Unternehmen
Kunden über ihr Produktangebot belehren, sind vorbei. Konsumenten sind generell besser
informiert über existierende Produkte und Dienstleistungen als je zuvor und berufen sich
zunehmend auf Empfehlungen, z.B. Blogs. Wenn Kunden einen Laden betreten, wenn
überhaupt, wissen sie genau, was sie wollen und haben aufgrund vorgängiger Recherchen eine
genaue Preisvorstellung. Dieses Phänomen wird auch Webrooming oder ROPO genannt,
Research Online, Purchase Offline. Dieses Einkaufsverhalten bedeutet, dass der informierte
Kunde aufgrund der Digitalisierung Preis- und Produktforschung selbst durchführt, persönliche
Empfehlungen analysiert und Meinungen und Erfahrungen online vor dem Kauf austauscht,
jedoch die Mehrheit der Einkäufe noch immer offline erfolgen.
Andererseits ist gleichzeitig das konträre Phänomen, Showrooming, zu beobachten. Kunden
gehen zunächst in einen Laden, um dort bestimmte Produkte physisch zu betrachten – und
kaufen diese dann online. Meist zu einem günstigeren Preis als zu jenem, zu dem der stationäre
Handel die Produkte anbietet, da der Onlinehändler sich gewisse Gemeinkosten sparen kannbeispielsweise für die Anmietung eines Ladenlokals in einer Premiumlage.
Sowohl Webrooming als auch Showrooming sind Trends, die darauf hindeuten, dass der
stationäre Handel in Zukunft nicht wegfallen wird. Allerdings muss er sich “neu erfinden“, da
er für Kunden in einer digitalisierten Wirtschaft eine andere Rolle spielen wird.
Erlebnisgesellschaft.
Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung, kann andererseits auch ein Gegentrend zur
physischen und persönlichen Erfahrung beobachtet werden. Während der reine Konsum
rückläufig ist, steigen die Ausgaben für erlebnisorientierten Konsum. Dies ist darauf
95
zurückzuführen, dass die Differenzierung aufgrund technischer und funktionaler Merkmale von
Produkten oder Marken durch die zunehmende Konvergenz von Angeboten kaum noch
möglich
ist. Neue
Technologien, ein
intensiver
Wettbewerb
und
eine
zunehmende
Commoditisierung verstärken diesen Trend. In einer digitalisierten Wirtschaft suchen
Verbraucher nach realen Erfahrungen mit Menschen und in realen Umgebungen.
Das Konzept der Erlebnisökonomie wurde 1998 von Pine und Gilmore eingeführt, welche
Erlebnisse wie folgt definieren: “An experience occurs when a company intentionally uses
services as the stage, and goods as props, to engage individual customers in a way that creates a
memorable event.” (Pine & Gilmore, 1998) Dies bedeutet, dass Unternehmen unvergessliche
Ereignisse schaffen sollten, um ein dauerhaftes Erlebnis im Kopf des Konsumenten zu kreieren.
Mit dem Ziel, dass die Kunden dieses Erlebnis in den Kauf eines Produkts umwandeln und sich
sich ausserdem die Kundenbindung erhöht.
Sicherstellung eines integrierten Kundenerlebnisses.
In jüngster Zeit verringert sich die Trennung zwischen einer reinen Online- und Offline-Welt für
Kunden immer stärker. Dennoch erkennen Verbraucher weiterhin viele Widersprüche in der
Online-und Offline-Präsenz von Unternehmen.
In der Vergangenheit war es das Hauptanliegen von Unternehmen, Kunden Produkte und
Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Das Kundenerlebnis wurde nicht priorisiert bzw.
war ein Nebenprodukt von internen Prozessen, die entworfen wurden, um das definierte Ziel
zu erreichen, z.B. ein Produkt zu vermarkten oder eine Rechnung effizient und effektiv zu
erstellen. Heutzutage müssen tragfähige Geschäftsmodelle kundenorientiert sein, denn Kunden
haben an Macht gewonnen. Sie sind weniger geduldig, fordern Echtzeit-Service und tauschen
zunehmend ihre Meinung über Produkte und Dienstleistungen auf Online-Plattformen aus, vor
allem dann, wenn das Kundenerlebnis negativ ist.
Unabhängig vom Touchpoint erwarten Konsumenten, dass das Erlebnis mit einem Produkt oder
einer Dienstleistung schnell, einfach und effizient ist. Unternehmen müssen ein nahtloses
Einkaufserlebnis bieten, unabhängig davon, wo ihre Kunden sich für den Kauf entscheiden.
Daher ist es wichtig, die Customer Journey über alle Touchpoints hinweg zu verstehen, um die
Rolle eines jeden Touchpoints zu identifizieren. Es ist wichtig, dass alle Touchpoints ihren
Zweck erfüllen und integriert sind.
Eine der zentralen und zugleich zeit- und ressourcenintensiven Aufgaben für Unternehmen ist
es, eine gute Balance zwischen digitalen Elementen offline und offline zu finden und diese zu
integrieren.
96
Das Betreiben von traditionellem, stationärem Handel im digitalen Zeitalter ist daher keine
erfolgversprechende Strategie. Marken müssen das physische Einzelhandelsgeschäft in der
Wertschöpfungskette entsprechend den Bedürfnissen der Kunden und deren Customer Journey
neu positionieren und nicht nur als Verkaufsstelle positionieren, sondern als Einkaufsbegleiter
ergänzend zum digitalen Angebot.
Die Einführung digitaler Elementen im stationären Einzelhandel sollte jedoch nicht zu
Kannibalisierung führen, sondern die vorhandene Verteilung verändern und dadurch das
Kundenerlebnis verbessern. Physische Touchpoints, dauerhaft oder temporär, haben die
einzigartige Möglichkeit, Kunden eine Marke emotional zu vermitteln. Denn die Erlebnisse einer
Marke sind der Moment der Wahrheit, angesichts der Echtzeit-, sensorischen und
erlebnisorientieren Elemente im stationären Handel. Offline-Elemente können durch neue
Technologien wie digitale Spiegel oder Augmented Reality den Kunden die Möglichkeit bieten,
Produkteigenschaften virtuell abzuändern oder durch zusätzliche Dienstleistungen wie die
Bereitstellung der im Shop ausgewählten Artikel erweitert werden.
Auch der Online-Einzelhandel kann von Offline-Elementen profitieren. Neben der Überprüfung
der Verfügbarkeit von Produkten in Geschäften in der Nähe kann ein voll integrierter Händler
Kunden anbieten, online zu bestellen und die bestellte Ware im Laden abzuholen, oder nach
einer Lieferung nach Hause den Umtausch von nicht erwünschter Ware in einem Laden in der
Nähe vorzunehmen. Dies bringt Kunden wieder in physische Läden, wo sie die Marke erleben
können. Diese physischen Einkäufe können dann wiederum, sofern gut umgesetzt,
unvergessliche Erlebnisse in den Köpfen von Kunden bewirken, die dem Online-Handel allein
nicht möglich sind und wo Produkte und Marken Schwierigkeiten haben, sich zu differenzieren.
Unternehmen sollten daher digitale Schnittstellen nutzen, um physische Detailhandelsgeschäfte
zu unterstützen und verbessern, und Kunden vom traditionellen Handel zunächst zum OnlineHandel
als
Erstkontaktpunkt
zu
migrieren
und
physische
Stores
als
Multi-Access-
Kundenkontaktpunkt zu positionieren.
Um diese integrierten Kundenerlebnisse zu ermöglichen, ist die Ausrichtung aller Touchpoints
entscheidend. Es ist von grosser Bedeutung, dass die Online- und Offline-Systeme kompatibel
sind und übereinstimmende Kundendaten aus allen Touchpoints abrufbar sind, um als
Unternehmen ein ganzheitliches Bild der Kunden zu haben. Allerdings sollten nicht nur die
Systeme kompatibel sein, sondern idealerweise sollten Unternehmen sich auch entsprechend
intern organisieren. Ein integriertes Customer Experience Management erfordert ein integriertes
Management von Marketing und Verkauf, offline und online. Ein weiterer wichtiger Faktor, um
eine Multi-Access-Strategie nach den Bedürfnissen eines jeden Touchpoints entlang der
Customer Journey zu gestalten, ist eine IT-Infrastruktur, die schnell und einfach anpassbar sein
muss, um agil zu bleiben.
97
Zusammenfassend ist das Ziel des integrierten Kundenerlebnismanagements, IT-Systeme,
Technologie, Prozesse und Mitarbeiter innerhalb einer Organisation optimal auszurichten, so
dass Unternehmen herausragende Kundenerlebnisse über stationäre, temporäre und digitale
Touchpoints vermitteln können.
11.3 Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Segmentieren Sie Ihre Kunden.
Zunächst ist es wichtig zu wissen, wer die Kunden sind und diese so zu segmentieren, dass sich
die Kunden innerhalb einer Gruppe möglichst homogen verhalten und gegenüber anderer
Gruppen möglichst unterscheiden. Kriterien für die Segmentierung der Kunden sind
beispielsweise Demographie, Psychographie, Verhalten, Einstellungen oder Lebenswelten. Für
die Kundensegmentierung kann ein Mix aus verschiedenen, von jedem Unternehmen individuell
ausgewählten Kriterien gewählt werden. Idealerweise werden demographische, einstellungsund verhaltensorientierte Kriterien kombiniert.
Bilden Sie die Touchpoints der Customer Journeys der verschiedenen Kundensegmente ab.
Um ein integriertes Customer Experience Management zu kreieren, reicht es nicht aus,
unterbrochene Verbindungen im Customer Journey zu verbinden. Es ist auch nicht eine Frage
der besten Apps, Tools oder Analytics. Unternehmen müssen in der Lage sein, die Customer
Journey zu verfolgen und die Bedürfnisse und Motivationen der Kunden zu verstehen, um eine
integrierte Customer Experience zu entwerfen. Daher ist es wichtig, Prozesse und Ressourcen für
jedes Kundensegment abzubilden, um Kundenverhalten und Vorlieben entlang der Customer
Journeys an jedem Touchpoint optimal zu erfüllen.
Optimieren Sie Ihre Touchpoints, indem Sie die Rolle jedes Touchpoints identifizieren.
Jeder Touchpoint muss entsprechend seiner Aufgaben, innerhalb der Customer Journey
untersucht werden. Physische Einzelhandelsgeschäfte zum Beispiel werden eine andere Rolle
spielen und müssen sich in die digitale Welt integrieren. Die Digitalisierung hat das Verhalten
vor dem Kauf besonders verändert – aber auch die Art und Weise, wie wir generell kaufen. Es ist
nicht mehr die primäre Aufgabe eines stationären Handels, Kunden zu informieren. Kunden sind
in der Regel informiert, wenn sie einen Laden betreten; häufig liegt ein spezifisches Problem vor,
das Bestreben, ein Produkt zu erleben, oder das Ziel, eine persönliche Beratung zu erhalten, die
sie nicht online bekommen konnten. Daher müssen physische Geschäfte so entworfen werden,
98
dass sie den veränderten Kundenbedürfnissen gerecht werden. Gleiches gilt für die OnlineTouchpoints, die auf das Suchverhalten der Kunden abgestimmt werden müssen. Jeder
Touchpoint muss daher entsprechend der Rolle, die er innerhalb der gesamten Customer Journey
spielt, überprüft und verbessert werden.
Verbinden Sie Ihre Touchpoints.
Silo-Mentalitäten innerhalb von Abteilungen eines Unternehmens müssen abgeschafft werden,
um ein integriertes und Echtzeit-Kundenerlebnis zu vermitteln. Es ist wichtig, die richtigen
Daten zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen und Prozesse für Kunden und Mitarbeiter zu
vereinfachen, so dass Kunden optimal bedient werden und ein einfacher Zugang gewährt
werden kann. Das Entwerfen eines Kundenerlebnisses für einzelne Touchpoints, z.B. eine Social
Media-, Mobil- oder Retail-Strategie zu definieren, ist unzureichend. Kunden wechseln zwischen
Touchpoints und Unternehmen und sollten daher nahtlose Kundenerlebnisse entwerfen, die
widerspruchsfrei sind. Dies ist nur mit einem integrierten Ansatz für Marketing und Vertrieb
möglich, in welchem die Silomentalität von Online und Offline abgeschafft wird. Unternehmen
müssen Geschäftsmodelle entwickeln, die in einer digitalisierten Welt überlebensfähig sind und
einzigartige Möglichkeiten nutzen, um auf Marktchancen und Kundenbedürfnisse zu reagieren.
Daher sind organisatorische Veränderungen, die sich strikt am Kunden orientieren, notwendig,
um ein nahtlose Kundenerlebnis zu ermöglichen. Dies verlangt auch verwobene Logistik,
Rechnungsstellung und Dienstleistungen rund um Marketing und Vertrieb. Es ist wichtig, dass
ein Kunde das Gefühl hat, mit einer Marke oder einem Unternehmen zu interagieren, ungeachtet
der Touchpoints, und nicht das Gefühl von getrennten Geschäftseinheiten erhält. Die Gestaltung
von Systemen und Prozessen sollte ganzheitlich, mit gemeinsamen Lagerbeständen über die
verschiedenen Kanäle hinweg und mit einfach zu bedienenden Kundendienstanwendungen
gestaltet werden, unter Berücksichtigung aller möglichen Touchpoints eines Kunden entlang der
Customer Journey aller verschiedenen Kundensegmente.
Orchestrieren Sie Ihre Touchpoints.
Marken sollten versuchen, zunehmend Erlebnisse an ihren physischen Touchpoints zu schaffen,
die das episodische Gedächtnis der Konsumenten ansprechen, um auf lange Sicht in Erinnerung
zu
bleiben.
Vitale
Instrumente
der
Markenführung
sind
eine
dreidimensionale
Markeninszenierung, Behavioral Branding, multisensorisches Branding, Events usw., um eine
Marke zum Leben zu bringen und nachhaltige Erlebnisse im Kopf des Konsumenten zu
verankern. Darüber hinaus müssen physische Marken-Touchpoints durch intelligenten Einsatz
von Technologie verbessert werden. Das bedeutet nicht, dass ein Laden mit Bildschirmen und
digitalen Geräten ausgestattet werden muss; Technologie sollte vielmehr genutzt werden, um
99
das physische Kundenerlebnis spezifisch zu verbessern und die Orientierungsfunktion einer
Marke in volatilen Zeiten zu unterstützen. Mit intelligenter Technologie können Unternehmen
einzigartige In-Store-Erfahrungen mit digitalen Spiegeln oder Augmented Reality erstellen. Für
Offline- und Online-Touchpoints sollte ein kundenorientierter Ansatz gewählt werden, bei dem
Einzelhändler individuelle Lösungen für ihre unterschiedlichen Kundensegmente anbieten
können. Touchpoints müssen so orchestriert werden, dass sie die Kundenloyalität und damit die
Kundenlebensdauer erhöhen.
11.4 Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Ein voll integriertes Kundenerlebnis ist sehr kostspielig und zeitintensiv (siehe Nordstrom).
Daher ist es notwendig, Touchpoints mit hohen Kundenfrequenzen zu priorisieren Schlüsseltouchpoints müssen identifiziert, priorisiert, optimiert und verbunden werden. Des
Weiteren ist es wichtig, die verschiedenen Zielgruppen zu berücksichtigen, da manche
Zielgruppen für einige Produktkategorien lediglich Mono-Touchpoint orientiert sind; so nutzen
beispielweise viele ältere Menschen oftmals kein Online-Banking.
Kundeninteraktionen mit Unternehmen sind zunehmend über mehrere Kanäle und Touchpoints
verteilt. Gleichzeitig muss eine Widerspruchsfreiheit der verschiedenen Touchpoints erzielt
werden. Daher müssen dieselben Informationen, Angebote, Transparenz und Dienstleistungen
den Kunden über alle Touchpoints hinweg zur Verfügung gestellt werden, um Kunden zu halten
oder sogar deren Loyalität zu steigern. Der Aufwand für eine solche integrierte Customer
Experience kann sehr hoch sein – und insbesondere zu Beginn aufgrund möglicher
Technologiekosten durchaus unrentabel sein. Gerade für mittelständische Unternehmen entsteht
ein Trade-off zwischen „optimaler Integration“ einerseits und „bewusstem Fokus (20 : 80)“ auf
bestimmte Instrumente und Touchpoints andererseits.
11.5 Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads”)
Bloching, B., Luck, A., Kiene, R., Otto, A., Kötter, H. W., & Franke, M.-K. (2014). What the customer
really wants. Munich. Retrieved from
100
https://www.rolandberger.com/publications/publication_pdf/roland_berger_tas_what_the_c
ustomer_really_wants_rev_1.pdf
Davis, S. (2014). Burberry’s Blurred Lines: The Integrated Customer Experience. Retrieved
October 17, 2016, from http://www.forbes.com/sites/scottdavis/2014/03/27/burberrysblurred-lines-the-integrated-customer-experience/#39a243a722fc
Pine, B. J., & Gilmore, J. H. (1998). Welcome to the experience economy. Harvard Business Review,
76(4), 97–105.
Ross, J. W., Beath, C. M., & Sebastian, I. (2015). Why Nordstrom’s Digital Strategy Works (and
Yours Probably Doesn’t). Retrieved October 16, 2016, from https://hbr.org/2015/01/whynordstroms-digital-strategy-works-and-yours-probably-doesnt
Teufel, P., & Zimmermann, R. (2015). Holistic Retail Design – Reshaping Shopping for the Digital Era
- Frame store (1st ed.). Amsterdam: Frame Publishers.
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Empfohlene Videos
Redesigning Customer Experience in the Digital Era
https://www.youtube.com/watch?v=QtrWwN0sAME
Re-inventing customer experience in the digital era
https://www.youtube.com/watch?v=7MaLg_Qm8CQ
Burberry Case Study
https://www.youtube.com/watch?v=TFDiPm4VaW0
Referenzen und weitere Quellen
Art of The Trench. (2016). Retrieved October 17, 2016, from
http://artofthetrench.burberry.com/gallery/
101
Burberry Acoustic. (2016). Retrieved October 17, 2016, from https://uk.burberry.com/acoustic/
Conway, D. (2015). Customer Experience Best Practice: From Digital to Omni-channel - KPMG
Nunwood. Retrieved October 14, 2016, from http://www.nunwood.com/customerexperience-best-practice-from-digital-to-omni-channel-a-customer-experience-excellencecentre-briefing-note/
Dior creates its own virtual reality headset. (2015). Retrieved October 17, 2016, from
https://www.lvmh.com/news-documents/news/dior-creates-its-own-virtual-reality-headset/
Five Best Practices to Deliver Exceptional Multichannel Experiences. (n.d.). Pleasanton. Retrieved from
https://www.veeva.com/wp-content/uploads/2015/05/5-best-practices-MultichannelExperience.pdf
Gensenhues, A. (2013). Nordstrom Takes Pinterest Engagement To New Level, Turns Most
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Lessons from the Leading Edge of Customer Experience Management. (2014). Cambridge. Retrieved
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Schmitt, B. (2011). Experience Marketing: Concepts, Frameworks and Consumer Insights.
Foundations and Trends® in Marketing, 5(2), 55–112.
Sedley, R. (2016). The integrated customer experience must: how to achieve it. Retrieved October
16, 2016, from http://www.i-scoop.eu/integrated-customer-experience-must-achieve/
102
TREND ZWÖLF: TRANSPARENCY
Ein erfolgreiches Online-Marketing setzt ein gutes
Verständnis der Konsumenten und eine
ausserordentliche Kundenbeziehung voraus. Hierbei
reicht es nicht mehr aus, Strategien frei nach guten
Ideen und Intuition oder vergangenen Massnahmen
Transparency
Video
zu implementieren. Konsumenten werden komplexer
und anspruchsvoller, sie wollen verstanden und als
Individuum geschätzt werden. Datenanalysen und
das schnelle Lernen liefern hierbei oftmals den
entscheidenden Beitrag, der beim Unternehmen zu einem prägnanten Wettbewerbsvorteil führen
kann. Gleichwohl kann dieser technologische Fortschritt das Kundenvertrauen beeinträchtigen;
dies stellt Unternehmen beim Beschaffen von Daten vor eine entscheidende Hürde. Kunden
messen ihrer Privatsphäre zunehmend Wert bei und sind daher bei der Weitergabe ihrer Daten
misstrauisch und kritisch.
Einer britischen Studie zufolge sind Konsumenten jedoch bereit, ihre persönlichen Informationen
zu teilen, wenn das Unternehmen drei fundamentale Aspekte erfüllt: Transparenz, Relevanz und
Einfachheit. Diese drei essentiellen Elemente können Unternehmen dabei helfen,
Kundenbefürchtungen zu beschwichtigen und gleichzeitig die Beziehung zwischen
Unternehmen und Kunden weiter auszubauen.
Quelle: http://www.marketingtechnews.net/news/2015/feb/03/data-collection-consumers-demand-transparency-relevance-andconvenience/
12.1 Best Practice-Beispiele
The Guardian
Das Thema Kundenvertrauen ist auch für die Zeitung The Guardian von entscheidender
Bedeutung. 2012 sah sich die britische Tageszeitung tiefgreifenden Problemen gegenüber. Zum
einen hatte das Unternehmen hinsichtlich seiner Druckauflagen mit fallenden Erträgen zu
kämpfen, zum anderen hatte es Schwierigkeiten, über sein digitales Publikum Geld zu
erwirtschaften.
103
Um diese Krise zu bewältigen, musste die Zeitung ihre bereits existierende Leserschaft
gewinnbringender einsetzen und sich mit dieser in einer personalisierten und relevanten Art und
Weise vernetzen. Das Unternehmen war sich bewusst, dass kundenspezifische Daten einen
entscheidenden Beitrag zum besseren Verständnis der Kunden leisten können. Allerdings hat
The Guardian auch erkannt, dass das Gewinnen von Daten zu Zeiten der „Edward Snowden
Story“ eine durchaus beachtliche Hürde darstellt. Die Menschen sind hinsichtlich der Weitergabe
ihrer Daten wachsam und misstrauisch geworden – „bad people doing bad things with data“.
Daher hat sich die Zeitung dazu entschieden, seinen Lesern zwanglos und offenen den Grund
ihrer Datengenerierungsmassnahme zu erklären. Denn The Guardian war sich bewusst, dass das
Vertrauen der Kunde wesentlicher Bestandteil einer guten Unternehmens-Kunden-Beziehung ist.
2014 hat das Unternehmen die Kundencharta „Why your data matters to us“ eingeführt. Mit dem
gleichnamigen Video demonstriert The Guardian hierbei sehr transparent seine Einstellung in
Bezug auf Daten und erklärt, welchen Beitrag diese für die Zeitung leisten. In dem Video erklärt
das Unternehmen auch, wie die Daten der Zeitung helfen, Premium-Werbeeinnahmen zu
erzielen und wie essentiell diese für die Finanzierung der Journalisten sind. Zudem erläutert The
Guardian der Zuhörerschaft, dass die Daten die Zeitung dabei unterstützen, die Leser besser zu
verstehen und damit mit individuell zugeschnittenen und nützlichen Mitteilungen zu bedienen.
Abb. 1: Why your Data matters
Quelle: The Guardian (2014)
“One of the reasons this was an award winning piece of work was [because] we decided to go
down the road [of] being very open and transparent but also moving away from ambiguity and
complexity of legal language. It felt to me that we did something quite innovative with that video
and it took a lot of effort to get to that point because it got us talking about the importance about
being transparent with our customers.” (Julia Porter, Director of Customer Revenues)
104
Durch seine transparente Haltung konnte das Unternehmen erfolgreich die gewünschten Daten
gewinnen, ohne dabei das Vertrauen der Leserschaft zu beeinträchtigen. Nach einer detaillierten
Segmentierung der Kunden und dem Heranziehen aussagekräftiger Modelle konnte The
Guardian nicht nur seine Conversion Rate verbessern, sondern auch seine Unique Click-Rate auf
Emails um 50 % erhöhen und die Einnahmen aus Email-Marketing um 100 % steigern. Die
Neueinführung des Bookshops im Zuge der Kundensegmentierung führte zu einer Steigerung
des Umsatzes um 60 % und erhöhte die mobile Conversion Rate um 137 %.
Quelle: https://www.marketingweek.com/2016/06/15/why-transparency-in-data-is-key-to-building-trust/
Uber
Dass Uber durch seine innovativen Ideen in kürzester Zeit einen ausserordentlichen Marktanteil
gewinnen kann, hat das Unternehmen bereits gezeigt. Vielen ist aber wahrscheinlich nicht
bekannt, dass das „Ride sharing“-Unternehmen auch zu den Vorreitern in Bezug auf
Datentransparenz und Datenschutz zählt. Uber wurden von der Electronic Frontier Foundation
hinsichtlich dem Schutz der Kundenprivatsphäre mit 5 Sternen ausgezeichnet.
Das Unternehmen arbeitet durch das Bereitstellen einer digitalen Plattform als Online-Vermittler
von Fahrdienstleistungen. Hierzu muss Uber eine hohe Anzahl an Kundendaten generieren, wie
bspw. den Standort, die Kundenhistorie oder auch das Kundenkaufverhalten – im Grunde all
jene Informationen, die zum Erbringen eines massgeschneiderten Service von Nöten sind.
Allerdings macht der Besitz einer derartigen Datenflut das Unternehmen sehr anfällig für
Cyberattacken – persönliche Informationen könnten in falsche Hände geraten.
Der Fahrdienstleistungsvermittler hat sehr intensiv am Thema Datenschutz gearbeitet. Das
Unternehmen hat veranlasst, dass Drittpersonen zum Abrufen von Kundendaten Berechtigungen
oder gerichtliche Anordnungen aufweisen müssen. Zusätzlich bietet Uber seinen Kunden einen
Transparenzbericht und verspricht ihnen, wenn möglich mittzuteilen, falls Gesetzeshüter das
Bereitstellen ihrer persönlichen Daten angefordert haben.
Nach der in Vergangenheit oftmals öffentlich bekundeten Sorge des Datenmissbrauchs hat Uber
den Wunsch seiner Kunden nach Datenschutz und Transparenz erkannt und umgesetzt.
Quelle: http://www.businessinsider.com/uber-leads-in-user-privacy-and-data-transparency-2016-5
105
Abb. 2: Datenschutz bei Uber
Quelle: Uber (Jahr)
Telefónica
Auch das Telekommunikationsunternehmen Telefónica hat die Wichtigkeit von
Datentransparenz erkannt. Telefónica ist davon überzeugt, dass Transparenz als Katalysator
beim Zusammenführen von Datenschutz und Technologie dienen kann. Aus diesem Grund hat
das Unternehmen ein Datentransparenz-Labor aufgebaut, welches aus einem
gemeinschaftsbasierenden Einsatz zwischen Universitäten, Unternehmen und Organisationen
besteht. Ziel des Zusammenschlusses ist es, Wege zu einem transparenten und respektvollen
Datenaustausch zu finden. Unter dem Aspekt soll die Forschung in Bezug auf Instrumente und
Berichtswesen unterstützt werden, um den mangelnden Schutz der Privatsphäre zu beleuchten
und Konsumenten zu befähigen, persönliche Online-Daten zu kontrollieren. Ein Beispiel der
Forschungsarbeit des Datentransparenz-Labor ist das Tool „Sheriff“, welches das Telefónica I+D
Team in Zusammenarbeit mit der Universität Carlos III und der Universitat Politècnica de
Catalunya entwickelt hat und durch welches IP-orientierte Preisveränderungen von Onlineshops
ermittelt werden können.
106
Abb. 3: Data Transparency Lab
Quelle: Data Transparency Lab (Jahr)
Vor wenigen Monaten hat Telefónica gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Hunton & Williams
LLP das White Paper „Reframing Data Transparency“ veröffentlicht. In dieser öffentlichen
Diskussionsschrift betonen beide Organisationen die Wichtigkeit von Datentransparenz und
weissen zudem darauf hin, dass Transparenz über den gesetzlichen Datenschutzhinweis hinaus
geht und sich an den Bedürfnissen der Konsumenten orientieren sollte. In diesem
Zusammenhang werden die wichtigsten Kernaussagen, aus der im Juni 2016 geführten
Diskussion beider Organisationen, aufgegriffen und Empfehlungen für Industrie,
Aufsichtsbehörde und Bürgergesellschaft ausgesprochen. Die folgende Grafik illustriert diese
Kernaussagen.
Transparenzdefizit im digitialen Zeitalter
Bedeutung der Diskrepanz zwischen legaler und kundenorietierter Transparenz
Herausforderungen beim Erbringen von kundenorietierter Transparenz
Datentransparenz als eine Herausforderung mehrere Interessengruppen
Funktionen der Datenschu‹behörden und Unternehmen
Funktionen der Unternehmen
Wichtigkeit Konsumenten zu ermächtigen
Abb. 4: Reframing Data Transparency
107
Quelle: In Anlehnung an Centre for Information Policy Leadership and Telefónica Senior Roundtable (2016)
Sowohl das White Paper als auch die Diskussionsrunde bauen auf der Initiative des Daten
Transparenz Labors auf und liefern bedeutungsvolle Ansätze zum Thema Transparenz
Google Dashboard
Bereits seit 2009 können User über ihr Google-Konto ihre Daten einsehen und kontrollieren. Der
genannte Dienst heisst Google Dashboard und liefert eine zentrale Auflistung aller Daten, die in
Verbindung mit den verschiedenen Google-Produkten stehen. Durch das Dashboard erhalten die
Nutzer einen genauen Überblick darüber, welches Google-Produkt sie zuletzt verwendet haben
und wie es eingesetzt wurde. Zusätzlich können die Nutzer über den genannten Dienst auch ihre
persönlichen Einstellungen für jedes Google-Produkt individuell überprüfen und ändern.
Alle im Dashboard gespeicherten Daten werden als vertraulich betrachtet und sind daher nicht
für Dritte einsehbar. Google Dashboard verwaltet ausschliessliche Informationen eingeloggter
User und steht daher auch nur diesen zur Verfügung. User, die nicht eingeloggt sind oder keinen
Google-Account besitzen, haben dennoch Kontrolle über Daten. Beispielsweise können sie
ausschalten, dass ihre Suchergebnisse anhand früherer Suchaktivität auf dem gleichen Computer
angepasst werden.
Google war bereits frühzeitig bewusst, wie wichtig es ist Usern die Möglichkeit zu geben zentral
ihre Daten zu kontrollieren – Google Dashboard leistet diesen Dienst und ermöglicht Nutzern
Transparenz und Kontrolle über ihre persönlichen Daten.
Quelle: https://www.datenschutz-praxis.de/fachartikel/was-google-dashboard-wirklich-bringt/
108
Abb. 5: Google Produkte und Daten kontrollieren
Quelle: Google (Jahr)
12.2 Gründe für nachhaltige Relevanz
Kunden vertrauen den Unternehmen nicht mehr
Auch wenn der Besitz von Big Data und die Anwendung von Machine-Learning reichlich
Vorteile mit sich bringen, sollten sich Führungskräfte in Unternehmen bewusst sein, dass das
Kundenvertrauen unter den modernen Analysetechniken leidet. Die Kunden misstrauen den
Unternehmen, da sie glauben, dass diese verantwortungslos mit ihren Daten umgehen. Die
Besorgnis hinsichtlich des Missbrauchs persönlicher Informationen ist universal, unabhängig von
Geschlecht, Nationalität und Person. Dies hat in einige Fällen auch so tiefgreifende Folgen, dass
Kunden allein aus Datenschutzgründen auf digitale Dienste verzichten. Wenn Kunden den
Unternehmen nicht trauen, werden sie ihre Daten nicht mit ihnen teilen. Kunden empfinden das
Verwenden von Daten oft als Ausnutzen seitens der Unternehmen. Sie haben Sorge, verraten zu
werden. Zudem verbinden viele Konsumenten nicht das individuell zugeschnittene Marketing
mit der Tatsache, dass ihre Daten eben dazu verwendet wurden, sie mit massgeschneiderten
Inhalten zu versorgen.
109
Auf Cookies beruhende Inhalte werden immer irrelevanter
Um bei Konsumenten für relevante und persönlich zugeschnittene Erlebnisse zu sorgen, bedarf
es „first-party data“. Traditionelle Techniken wie das Verfolgen von Cookies werden immer
irrelevanter, da die Browsing-Historie eines Users nur schwer ein ganzheitliches Bild des
Konsumenten widerspiegelt – sie vernachlässigt wesentliche Informationen wie Hobbies,
Interessen, Lieblingsmarken und Beziehungen. Vor einem weiteren Problem steht diese Technik
vor allem in den Fällen, in denen mehrere User dasselbe Endgerät verwenden. Zudem ist es
Cookies nicht möglich, Aktivität auf mobilen Geräten zu verfolgen. Letztlich sollte erwähnt
werden, dass immer mehr User aufgrund von Datenschutzgründen dazu neigen, Ad Blocker zu
verwenden. Dies bestätigt nochmals das Problem, welchem Unternehmen bereits heute bei der
Verwendung dieser traditionellen Technik gegenüberstehen. In Bezug auf Marketingtechnologie
wird es immer wichtiger, persönliche Kundeninformationen zu generieren. Unternehmen
müssen ihre Kunden genau verstehen und eine Beziehung mit ihnen aufbauen. Und zum
Verständnis dieser Wünsche und Bedürfnisse bedarf es mehr als nur zusammengebastelter
Verhaltensmuster des Browsingverhaltens. First-party data werden direkt vom Konsumenten
übermittelt und können daher die gewünschten Informationen wesentlich prägnanter
wiedergeben.
Das neue EU-Datenschutzgesetz wird kommen
Rat und Parlament haben entschieden, dass das neue EU-Datenschutzgesetz Anfang 2018 in
Kraft treten wird. Bereits jetzt ist bekannt, dass die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) aus Unternehmenssicht wesentlich strikter ausfallen wird als das bisherige
Datenschutzrecht. Daher werden die Unternehmen gezwungen sein, ihre Regulierungen zu
hinterfragen und ihre Datenschutzbestimmungen anzupassen.
Quelle: https://www.marketingweek.com/2016/06/23/marketers-overestimate-consumers-attitude-to-data/
http://www.marketingtechnews.net/news/2015/feb/03/data-collection-consumers-demand-transparency-relevance-andconvenience/
12.3 Handlungsimplikationen und Fragen für Führungskräfte
Erläutern Sie Ihren Kunden detailliert und klar, wie Sie die Daten verwenden werden.
110
Ein wichtiger Schritt zur Herstellung von Transparenz und somit auch Konsumentenvertrauen,
liegt darin, dem Kunden den genauen Grund der Datenerhebung zu schildern und das Vorhaben
in Bezug auf die Daten aufzuzeigen. Für Konsumenten ist es wichtig, dass das Unternehmen
klarstellt, wie die persönlichen Informationen verwendet werden und dass ihre Daten nicht mit
Dritten geteilt werden. Die Kunden benötigen eine Absicherung, um sicherzustellen, dass ihre
Daten angemessen und verantwortungsbewusst genutzt werden. In dem Sinne sollte bereits zu
Beginn geklärt werden, ob geplant ist, die Daten zu verkaufen oder weiterzugeben und ob das
Unternehmen bereit ist, die Daten zu löschen, wenn der Kunde darum bittet. Eine Missachtung
der Versprechen oder auch vorher nicht klar definierte Grundsätze können das Vertrauen der
Kunden massiv beeinträchtigen.
Legen Sie Ihren Kunden die persönlichen Vorteile der Datenweitergabe dar.
Die Unternehmens-Kunden-Beziehung hat sich verändert. Während früher noch die
Unternehmen deutlich mehr Macht ausüben konnten, sitzen heute die Kunden am längeren
Hebel. In früheren Zeiten boten die Unternehmen das gewünschte Produkt bzw. Service zum
Verkauf an – und wenn ein Kunde dieses erwerben wollte, musste er dafür zahlen, unabhängig
davon, ob der Zahlungsvorgang nur Geld oder auch das Teilen persönlicher Informationen
einschloss. Die heutigen Konsumenten sind anspruchsvoller. Sie sind sich über die verschobenen
Machtverhältnisse im Klaren und sind aus diesem Grunde auch kritischer, mit wem und wann
sie ihre persönlichen Informationen teilen. Daher ist es für die Unternehmen von enormer
Wichtigkeit, den Konsumenten die Vorteile der Datenweitergabe aufzuzeigen. Der Kunde muss
erkennen, dass das Teilen der Daten in seinem eigenen Interesse ist und er aus der Massnahme
einen Nutzen (bspw. geringere Preise, zugeschnittene Deals oder Special Offers) ziehen kann.
Demonstrieren Sie Ihre ausserordentliche Wertschätzung von Datenintegrität.
Kunden sind bei der Weitergabe ihrer persönlichen Informationen vor allem deshalb skeptisch
geworden, weil sie befürchten, dass die Unternehmen verantwortungslos mit ihren Daten
umgehen. Daher ist es wichtig, dem Kunden die besondere Wertschätzung von Datenintegrität
zu vermitteln – dem Kunden muss bewusst sein, dass das Unternehmen an der modernsten
Datensicherheit festhält und dass es Datenschutz ernst nimmt. Überprüfen Sie Ihre
Sicherheitsmodalitäten, so dass Sie Ihren Kunden sorglos versichern können, dass ihre Daten bei
Ihnen in guten Händen sind. Zudem sollten die Unternehmen aufgrund des neuen europäischen
Datenschutzgesetztes (Datenschutz-Grundverordnung) sichergehen, dass sie über ein
vollumfängliches Regulierungsprogramm verfügen. Das EU-Datenschutzgesetz wird im Zuge
111
der neuen Gesetzgebung deutlich strikter ausfallen und die Einhaltung dieser Regelungen wird
daher als Vertrauensbasis bei Konsumenten dienen. Im Übrigen sollten die Unternehmen auch
hinter das Gesetz schauen, denn Konsumenten sind nicht nur daran interessiert, ob die
Unternehmen das Gesetz verletzen oder nicht. Sie vertrauen den Unternehmen nicht mehr, wenn
sie sich hintergangen fühlen, getäuscht werden, ihre Nachfrage nach Privatsphäre ignoriert wird
oder sie das Gefühl haben, ihre persönlichen Informationen wurden verkauft. Für ein effektives
Marketing wird in Zukunft nicht nur die Einhaltung der Gesetze und Unternehmensstandards
ausreichend sein, sondern vielmehr die Einhaltung der Kundenwünsche von Nöten sein. Nur so
kann Kundenvertrauen hergestellt und Beschwerden vermieden werden. In dem Sinne würde es
sich auch für die Unternehmen anbieten, einen Datenschutzbeauftragten einzustellen.
Geben Sie Ihren Kunden mehr Kontrolle über ihre Daten.
Proaktive Schritte hinsichtlich transparenter Datenverwendung sind für das langfristige
Beschwichtigen der Kunden ausschlaggebend. Für viele Kunden geht Datentransparenz einher
mit Datenkontrolle. Konsumenten wollen Kontrolle über die Speicherung, Archivierung und
Löschung ihrer persönlichen Informationen. Wenn ein Teil dieser Kontrolle dem Konsumenten
übergeben wird, kann dieser genau die Informationen teilen, die er ungezwungen und sorgenlos
aushändigen möchte. Auch Unternehmen können vom Übergeben der Kontrolle profitieren,
denn durch das Abrufen der Daten kann der Kunde falsche oder nicht mehr aktuelle
Informationen korrigieren.
Vereinfachen Sie den Datenerhebungsprozess.
Unternehmen sollten sich Gedanken über ihren Datengenerierungsprozess machen und
sicherstellen, dass Kunden ihnen die Daten mit einem guten Gefühl anvertrauen. In den meisten
Fällen werden Konsumenten bei der Datensammlung mit einem Disclaimer konfrontiert, so wird
der Kunde über den Datenerhebungsprozess informiert und erhält zudem die Möglichkeit die
Zustimmung zu verweigern. Allerdings sind die Geschäftsbedingungen für Online-Services und
Produkte in vielen Fällen versteckt, zu lang, schwer zu verstehen oder gar irreführend. Die
Vereinfachung des Datenerhebungsprozesses umfasst die klare und einfache Gestaltung der
Geschäftsbedingungen; etwas, dass Unternehmen oft nicht gelingt. Geschäftsbedingungen
müssen prägnanter und verständlicher werden. Zudem sollten die Unternehmen die
Konsumenten dabei unterstützen, Kontrolle über ihre Daten zu behalten.
112
Gewinnen Sie das Vertrauen zurück.
Es bleibt die Frage, ob Unternehmen wirklich in der Lage sind, das Vertrauen der Kunden
wiederzugewinnen, oder ob es sich bei den Massnahmen lediglich um eine Schadensbegrenzung
handelt. Die Herausforderung wird darin liegen, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass
Sie als Unternehmen die persönlichen Informationen zum Vorteil Ihrer Kunden verwenden.
Hierzu braucht es einen kulturellen Gedankenwandel, so dass Daten nicht mehr als
Handelsware, sondern als eine Art Erweiterung der individuellen Identität gesehen werden. Die
Wiedergewinnung von Konsumentenvertrauen ist für Unternehmen nicht unerreichbar.
Dennoch bedarf ist sehr viel Hingabe und Engagement, um die Konsumenten zu dem Punkt zu
bringen, an dem sie freudig ihre Daten teilen und die Verwendung ihrer Daten als Sorglos
empfinden.
Quellen: http://www.marketingtechnews.net/news/2015/feb/03/data-collection-consumers-demand-transparencyrelevance-and-convenience/
http://www.mycustomer.com/marketing/data/customer-data-collection-how-to-be-trustworthy-and-transparent
12.4 Gegenthesen bzw. kritische Reflexion
Es sollte festgehalten werden, dass Transparenz nicht direkt Datenschutz und Kundenvertrauen
impliziert. Beispielsweise hat Uber zwar einen Transparenzbericht veröffentlicht und seinen
Kunden versprochen, Ihnen mitzuteilen, falls Gesetzeshüter das Bereitstellen ihrer persönlichen
Daten angefordert haben. Fakt ist dennoch, dass Uber allein in dem Zeitraum zwischen Juli und
Dezember 2015 Informationen von 12 Millionen Nutzern geteilt hat. In dem Zusammenhang
stellt sich die Frage, ob Transparenz auch wirklich nur positive Auswirkungen mit sich bringt?
Zu viel Offenheit kann durchaus gegenläufige Effekte ausstrahlen, Vorwürfe und Misstrauen
verstärken und somit das Kundenvertrauen weiter schädigen.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass Transparenz allein oftmals nicht ausreichend ist. Zu Beginn
des Berichtes wurde erwähnt, dass sowohl Transparenz, aber auch Relevanz und Einfachheit
Treiber von Kundenvertrauen sind. Google ist es wichtig, seinen Nutzern Kontrolle über ihre
persönlichen Informationen zu geben und fördert daher mit seinem Dashboard fraglos die
Transparenz von Daten. Dennoch steht der Konzern immer wieder wegen Datenschutzfragen in
der Kritik. In einigen Fällen bedarf es wohl mehr als nur Transparenz, um die Hürde zum
Erreichen von Kundenvertrauen zu bewältigen.
Aus diesem Grunde sollten Unternehmen achtsam mit dem Thema Transparenz umgehen und
weitere Treiber in ihren Kampagnen berücksichtigen. In „When Transparency Backfires, and
113
How to Prevent It“ wird eben diese Thematik behandelt und mögliche präventive Schritte bei der
Anwendung von Transparenz diskutiert.
12.5 Wertvolle Ressourcen und Links
Empfohlene Lektüre (“Must reads ”)
Centre for Information Policy Leadership and Telefónica (2016): Reframing data transparency
https://www.huntonprivacyblog.com/wp-content/uploads/sites/18/2016/10/62672280_1.pdf
Deloitte (2014): Datenschutz Deutschland – Die Transparenzlücke
https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/Innovation/Analytics_Datenlan
d-Deutschland_safe.pdf
Martin, K.D., Borah, A., & Palmatier, R.W. (2016): Data Privacy: Effects on Customer and Firm
Performance. In Journal of the Marketing, In-Press, DOI: http://dx.doi.org/10.1509/jm.15.0497.
Martin, K.D. & Murphy, P., E. (2016): The role of data privacy in marketing. In Journal of the
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Morey, T., Forbath, T., & Schoop, A. (2015). Customer data: Designing for transparency and trust.
Harvard Business Review, 93, 96–105.
Tech Target (2015): EU-Datenschutz-Grundverordnung: Was sich für Unternehmen ändert
http://docs.media.bitpipe.com/io_11x/io_118205/item_985865/EU-Datenschutz-eguide.pdf
Empfohlene weitergehende Internetquellen
Customer data collection: How to be trustworthy and transparent (2016)
http://www.mycustomer.com/marketing/data/customer-data-collection-how-to-be-trustworthyand-transparent
Data collection: Consumers demand transparency, relevance and convenience (2015)
http://www.marketingtechnews.net/news/2015/feb/03/data-collection-consumers-demandtransparency-relevance-and-convenience/
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EU-Datenschutz: Was sich für Unternehmen ändert (2016)
http://www.absatzwirtschaft.de/eu-datenschutz-was-sich-durch-die-grundverordnung-fuerunternehmen-aendert-80365/
Marketers overestimate consumers` attitude to data (2016)
https://www.marketingweek.com/2016/06/23/marketers-overestimate-consumers-attitude-todata/
When Transparency Backfires, and How to Prevent It (2016)
http://www.ceo.com/flink/?lnk=https%3A%2F%2Fhbr.org%2F2016%2F07%2Fwhentransparency-backfires-and-how-to-prevent-it
Empfohlene Videos
The Guardian – Why your Data Matters
https://www.theguardian.com/info/video/2014/nov/03/why-your-data-matters-to-us-video
Data Transparency Lab Conference 2015
https://vimeo.com/153229520
Uber's First-Ever Transparency Report Shows It Released A Lot Of Data – Newsy
https://www.youtube.com/watch?v=DVRu6fgG6SQ
Google Dashboard
https://www.youtube.com/watch?v=ZPaJPxhPq_g
Referenzen und weitere Quellen
CIPL and Telefónica Call for Action on New Approaches to Data Transparency (2016)
https://www.huntonprivacyblog.com/2016/10/18/cipl-telefonica-call-action-new-approachesdata-transparency/
Google Dashboard: Meine Daten bei Google (2016)
https://www.datenschutz-praxis.de/fachartikel/was-google-dashboard-wirklich-bringt/
Telefónica launches Data Transparency Lab (2014)
https://www.telefonica.com/en/web/public-policy/-/telefonica-launches-data-transparency-lab
115
Two surprising companies lead the pack in user data privacy and transparency (2016)
http://www.businessinsider.com/uber-leads-in-user-privacy-and-data-transparency-2016-5
Uber - Transparency Report (2016)
https://transparencyreport.uber.com/
Why transparency in data is key to building trust (2016)
https://www.marketingweek.com/2016/06/15/why-transparency-in-data-is-key-to-building-trust/
116
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