Thomas Kaiser Eine Vielzahl von Medienangeboten, die vielfach parallel genutzt werden, digitale Medien in kaum überblickbarer Vielfalt – eine Realität, die für Konsumenten im Alltag selbstverständlich ist. Es ist daher erstaunlich, dass über die kombinierte Wirkung von Werbebotschaften über diese unterschiedlichen Kanäle hinweg in der Marketingfachwelt immer noch wenig bekannt ist. Es ist an der Zeit für einen neuen Umgang mit der interaktiven Marketingrealität. Digitale Medien im Mix mehr gewichten Jahrzehntelang basierte die Medienplanung auf Marktforschungen, die jeweils einen Kanal ins Zentrum stellten und die von der Medienbranche finanziert wurden. Es ging entweder um Fernsehen oder Print oder Radio oder Internet, selten um die Wirkung im Verbund und noch seltener um die Rezipienten der Werbebotschaften. Entsprechend dieser Logik wurde der Marketingmix geplant, eingekauft und Wirkungsforschung betrieben, wobei längst offensichtlich ist, dass digitale Medien einen breiteren Raum einnehmen. Die Werbestatistiken zeigen auf, dass der Grossteil der Werbegelder immer noch in traditionellen Medien ausgegeben wird. Wird dies der heutigen Realität der Mediennutzung gerecht? Eine reine Medienkanalbetrachtung greift zu kurz. Neuere Ansätze wie die Pilotstudie «Total Audience 1.0» von Wemf und Net-Metrix mit Fokus Print/ Online oder Gattungsstudien mit Fokus TV/Online – etwa «Online Visions 2010» von Procter & Gamble und Pilot – führen grundsätzlich in die richtige Richtung, nehmen aber wiederum die Medien zum Ausgangspunkt der Die Statistiken zeigen, dass der Grossteil der Werbegelder immer noch in traditionellen Medien ausgegeben wird. Betrachtung. Wenn man sich von der alten Denkweise der Medien als Broadcaster löst und die alltägliche Sicht eines Konsumenten auf ein zu bewerbendes Produkt oder eine Marke in den Vordergrund rückt, kommt man zum eigentlich naheliegenden Ansatz, die zahlreichen Kontaktpunkte eines Konsumenten zu einem Unternehmen zu analysieren. Dazu gehören die Verkaufspunkte, das Kundenmagazin, die Website und natürlich auch alle Werbebotschaften, die über die Medien verbreitet werden. Das Zürcher Beratungsunternehmen Accelerom hat mit 360-Grad-Touchpoints eine vielversprechende Methodologie entwickelt, die ein holistisches Bild der Kontaktpunkte zwischen Konsument und Marke liefert. Fast nebenbei wird damit auch dem veränderten Verhalten der Konsumenten Rechnung getragen, die Botschaften nicht einfach nur erhalten, sondern sich aktiv in einem Dialog mit der jeweiligen Marke engagieren wollen. Wer hätte gedacht, dass sich auf einer von Migros betriebenen Plattform (Migipedia) Konsumenten über Migros-Produkte austauschen? Damit rücken interaktive Kommunikationsplattformen stärker ins Blickfeld. Marketinggelder werden immer häufiger für den Ausbau der eigenen Kommunikationsplattformen eingesetzt und tendenziell weniger für das Buchen externer Medienkanäle. Zu den eigenen Plattformen gehören heute neben der professionellen Website oder dem Webshop immer häufiger auch die Präsenz auf Facebook, der Einsatz von Blogs oder Twitter-Kanäle. Plötzlich werden digitale Inhalte auch für Werbetreibende wichtig, seien es selbst erstellte oder von den Konsumenten beigesteuerte Informationen in Form von Kommentaren, Empfehlungen oder Erlebnissen mit der Marke. Der Werbetreibende betreibt nun selbst die Medienplattform. Eine ganz neue Herausforderung für das Marketingmanagement. Fast jede Medienmarktstudie zeigt auf, dass Empfehlungen von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten am glaubwürdigsten sind. Diesem Umstand wird in der Werbewirkungsforschung und den daraus abgeleiteten Marketingansätzen immer noch erstaunlich wenig Rechnung getragen. Man stelle sich vor, wie wirkungsvoll Kommunikation mit den Konsumenten erst wird, wenn die interaktiven, immer häufiger auch eigenen Kanäle mit den traditionellen Medien in einem Gesamtkonzept verknüpft werden. Experimentierfreude wenig honoriert Damit dies geschehen kann, sind interne und externe Datenwelten der Werbetreibenden und ihrer Dienstleister stärker zu verbinden, beispielsweise durch gemeinsame Datenanalyse. Möglich wird dies jedoch nur durch eine Incentivierung der Marketingverantwortlichen, in diese Richtung überhaupt verstärkt aktiv zu werden. Oder wie jüngst ein Kadermann von Procter & Gamble in einer beachtenswerten Umfrage unter Chief Marketing Officers («The CMO’s Imperative») zitiert wurde: «Es wurde noch nie jemand entlassen, weil er mehr TV-Werbung gemacht hat.» Im Umkehrschluss: Experimentierfreude mit einer Vielzahl von Medienkanälen anstelle von Werbe-Broadcasting und das interaktive Zugehen auf uns Konsumenten werden offenbar in der Marketingwelt noch zu wenig honoriert. Thomas Kaiser, CEO Digital & Marketing Services und Deputy CEO , PubliGroupe, Lausanne