Dr. Niko Strobach, PS Bogik II, SSem.98, Mi 14

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Dr. Niko Strobach, PS Bogik II, SSem.98, Mi 14-16, R 236
Modallogik
1. Zur Erinnerung: Die Sprache AL
Die Sprache AL hat bekanntlich folgendes Alphabet:
- Die Buchstaben-Zeichen p, q, r...
- Die Zeichen ~ und →
- Die Zeichen ( und ).
Außerdem hat sie folgende Syntax:
(1) Jedes Buchstaben-Zeichen ist eine wff von AL
(2) Ist α eine wff von AL, so auch ~α
(3) Sind α und β wff von AL, so auch (α→β)
(4) Sonst nix.
Abkürzungsregeln:
Die folgenden Zeichen ermöglichen nützliche Abkürzungen von AL-Formeln: &, v, ≡.
(α & β) = ~(α → ∼β); (α v β) = (∼α → β); (α ≡ β) = (α → β) & (β → α).
Semantik:
AL wird interpretiert mit einer Bewertungsfunktion V, die jeder wff von AL entweder die Zahl 1
oder 0 zuweist, wobei gilt:
(1) V(~α)=1 gdw. V(α)=0.
(2) V((α→β))=0 gdw. V(α)=1 und V(β)=0.
Eine AL-allgemeingültige Formel ist eine solche
Bewertungsfunktion der Wert 1 zugewiesen wird.
wff
von AL,
der
durch jede
2. Transform-AL
Man kann mit den Zeichen von AL ein Spiel spielen, das so ähnlich geht wie Patiencen Legen.
Während man Patiencen Legen mit Kartenreihen spielt, spielt man Transform-AL mit
Zeichenreihen, die aus Zeichen von AL bestehen. Es empfiehlt sich, beim Spielen dieses Spiels
nicht zu denken. Man versucht, von wenigen bestimmten Grundformen von Zeichenmustern
ausgehend, in einer Reihe von streng durch eine Regel eingeschränkten kleinen Abwandelungen
ein bestimmtes Muster zu erreichen, das man sich zum Ziel gesetzt hat. Erlaubte
Ausgangsmuster beim Transform-Prop sind Zeichenreihen der folgenden Form:
(1) (α → (β → α))
(2) ((α → (β → γ)) → ((α → β) → (α → γ)))
(3) ((∼α → ∼β) → (β → α)).1
1 Ausgangsmuster und die folgende „Patience“ nach: Kutschera/Breitkopf, Einführung in die moderne Logik. Ein
etwas komplizierteres, aber äquivalentes Transform-AL-Spiel ergibt sich aus den „Principia Methematica“ von
Russell und Whitehead.
2
Dabei kann man an die Stelle der griechischen Buchstaben eine beliebige wff von AL legen
(aber bitte einheitlich, also für jedes α dieselbe etc.). Die Regel, die die erlaubten Spielzüge von
Transform-Prop festlegt, ist die MP genannte Regel:
α
α→β
β
Das heißt: Wenn ich das pattern α legen darf und auch das pattern α → β legen darf, so darf ich
im nächsten Zug das pattern β alleine legen (Warum heißt die Regel wohl MP?).
Ein Beispiel: Wir setzen uns das Ziel, nach den Regeln von Transform-Prop das pattern
p → p zu erreichen. Ein erlaubtes Ausgangspattern nach der Regel (1) ist:
(p → ((q → p) → p)).
Dabei entspricht das pattern p dem α in Regel (1) und das pattern (q → p) dem β in Regel (1).
Ein erlaubtes Ausgangspattern nach Regel (2) ist:
(p → ((q → p) → p)) → ((p → (q → p)) → (p → p))).
Dabei entspricht dem α aus Regel (2) wieder das pattern p; dem β entspricht wieder das pattern
(q → p); und dem γ entspricht, genau wie dem α, das pattern p. Legt man die beiden
Ausgangsmuster untereinander hin, so ergibt sich dieses Bild:
(p → ((q → p) → p))
((p → (q → p)) → p)) → ((p → (q → p)) → (p → p))).
Klar, daß dies ein Fall ist, in dem die Transform-Regel benutzt werden kann. Und zwar darf man
jetzt im nächsten Zug, das pattern folgende pattern allein legen (die erste Ausgangsformel wird
sozusagen "weggekürzt"):
((p → (q → p)) → (p → p))).
Ein weiteres erlaubtes Ausgangspattern ist nach Regel (1) das pattern ((p → (q → p)): Dem α in
Regel (1) entspricht dabei das pattern p, dem β das pattern q. Legen wir dieses pattern unter das
zuletzt erhaltene pattern, so ergibt sich dieses Bild:
((p → ((q → p) → (p → p)))
(p → (q → p)).
Jetzt dürfen wir mit der Transform-Regel das pattern ((p → (q → p)) "wegkürzen" und im
nächsten Zug legen:
(p → p).
3
Damit sind wir am Ziel. Die komplette Transform-AL-"Patience" sieht damit so aus:
(p → ((q → p) → p))
((p → ((q → p) → p)) → (p → ((q → p) → (p → p)))
(p → ((q → p) → (p → p))
((p → (q → p))
(p → p).
Wie es eine Theorie des Schachspiels gibt, so gibt es eine Theorie des Transform-AL-Spiels. Ein
typischer Satz der Theorie des Schachspiels ist: "Mit zwei Springern kann man – einen gut
spielenden Gegener vorausgesetzt - nicht gegen zwei Türme gewinnen". Zwei besonders
interessante Sätze der Theorie des Transform-AL-Spiels sind:
1. Alle Muster, die man beim Transform-AL-Spielen erreichen kann, sind AL-allgemeingültige
wffs von AL.
2. Man kann alle AL-allgemeingültigen wffs von AL durch Transform-AL-Spielen erreichen.
3. Die Sprache AL+L
Man kann die Sprache AL zur Sprache AL+L erweitern:
Alphabet: Zeichen von AL+L sind alle Zeichen von AL und das Zeichen L.
Die Syntax ist sehr ähnlich wie die von AL, so daß jede wff von AL auch eine wff von AL+L ist:
(1) Jedes Buchstaben-Zeichen ist eine wff von AL+L
(2a) Ist α eine wff von AL+L, so auch ~α
(2b) Ist α eine wff von AL+L, so auch Lα
(3) Sind α und β wff von AL+L, so auch (α→β)
(4) Sonst nix.
Das Zeichen M führen wir als praktische Abkürzung ein: M = ~L~.
Die Semantik muß uns zunächst nicht kümmern.
4. Einige Transform-AL+L-Spiele
So, wie man in Verbindung mit AL das Spiel Transform-AL spielen kann, kann man in
Verbindung mit AL+L gleich eine ganze Reihe von Transform-Spielen spielen. Wir werden uns
nur die wichtigsten ansehen.
4.1. Das Spiel T2
Ausgangsmuster:
(1) Ist α ein erlaubtes Ausgangsmuster von Transform-AL, so auch von T.
(2) Folgende Muster sind außerdem erlaubte Ausgangsmuster von T:
2
Alle Systeme und die folgenden Ausführungen zu ihnen nach Hughes/Cresswell, An Introduction to Modal Logic,
London 1973. Es gibt zu jedem System alternative Formulierungen. Aber die hier verwendeten sind die
gebräuchlichsten. Inzwischen Standard ist die überarbeitete Ausgabe A New Introduction to Modal Logic, 1996.
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A5: Lα → α
A6: L(α→β) → (Lα→ Lβ).
Transform-Regeln:
1. Regel "MP"
2. Regel "NEC"
α
Lα
Aufgrund von (1) und der Regel MP ist klar: Jedes Muster, das man durch Transform-ALSpielen erreichen kann, kann man auch durch T'-Spielen erreichen. Und aufgrund von NEC ist
klar: Eine einfache Art, spezielle T'-Muster zu produzieren ist, ein L vor ein Transform-ALMuster davorzuhängen. Ein interessantes Ergebnis der Theorie des T-Spiels ist, daß man das
folgende Muster mit T-Spielen nicht erreichen kann:
Lp → LLp.
Behauptung: Folgendes Muster allerdings läßt sich problemlos erreichen:
p → Mp.
Aufgabe 1: Bitte begründen Sie diese Behauptung mit Hilfe von A5 (Tip: Setzen Sie für α ~p
ein und benutzen Sie die Kontraposition).
4.2. Das Spiel S4
Das Spiel S4 folgt genau denselben Regeln wie das Spiel T. Es ist lediglich den erlaubten
Ausgangsmustern noch ein weiteres hinzugefügt:
A7 Lα → LLα
Das bedeutet natürlich, daß man beim S4-Spielen dieselben Muster erreichen kann wie beim TSpielen, aber zusätzlich noch einige mehr. Zum Beispiel ist es jetzt möglich, mit Berufung auf
A7 einfach Lp → LLp hinzuschreiben. Ein Muster, das sich durch S4-Spielen nicht erreichen
läßt, ist Mp → LMp.
4.3. Das Spiel S5
Das Spiel S5 folgt genau denselben Regeln wie das Spiel S4. Es wird lediglich den erlaubten
Ausgangsmustern noch ein weiteres hinzugefügt:
A8 Mα → LMα.
Nun können wir Mp → LMp natürlich leicht erreichen. Natürlich kann man alle beim S4-Spielen
erreichbaren Muster auch durch S5-Spielen erreichen. Allerdings auch noch einige mehr.
Aufgabe 2: Zeigen Sie, daß man MLp → Lp durch S5-Spielen erreichen kann. Tip: vgl. Aufg.1.
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5. Formale Semantik für AL+L3
Wir können uns Regeln ausdenken, die den wffs von AL+L wie den wffs von AL jeweils die
Werte 0 und 1 zuweisen. Eine übliche Art, dies zu tun, besteht darin, diese Werte jeweils in
bezug auf einen sogenannten Kontext zuzuweisen. Für die Zuweisung von Werten brauchen wir
dazu zunächst eine nichtleere Menge von Kontexten K. Auf K ist eine gewisse Beziehung R
definiert (die allerdings nicht unbedingt zwischen beliebigen Elementen von K bestehen muß).
Unsere Semantik lautet nun prinzipiell:
AL+L wird interpretiert mit einer zweistelligen Bewertungsfunktion V, die jeder wff von AL in
bezug auf einen Kontext k aus K entweder die Zahl 1 oder 0 zuweist, wobei gilt:
(1) V(~α,k)=1 gdw. V(α,k)=0.
(2) V((α→β),k)=0 gdw. V(α,k)=1 und V(β,k)=0.
(3) V(Lα,k)=1 gdw. für alle k' aus K mit kRk' gilt: V(α,k)=1.
Eine AL+L-Struktur (frame, structure) ist definiert als ein geordnetes Paar <K,R>. Eine AL+LInterpretation (bei Gamut: model) ist ein geordnetes Paar aus einer AL+L-Bewertungsfunktion
und einer AL+L-Struktur.
Allerdings können wir mit dieser Semantik noch nicht viel anfangen, wenn wir gar nichts weiter
zur Relation R sagen. Hier sollten wir schon etwas spezifischer sein. Aber hier haben wir auch
eine gewisse Freiheit. Wir können z.B. als minimale Beschränkung auf R fordern:
R soll reflexiv sein, d.h. es gilt für alle k, k' aus K: Wenn k=k', dann kRk'.
Wir können auch strengere Forderungen stellen:
R soll nicht nur reflexiv, sondern auch transitiv sein, d.h., es gilt außerdem für alle k, k',
k" aus K: Wenn kRk' und k'Rk", dann kRk".
Oder
R soll nicht nur reflexiv und transitiv, sondern auch noch symmetrisch sein, d.h. es gilt
zusätzlich für jedes k, k' aus K: Wenn kRk', dann k'Rk.
Eine reflexive, transitive und symmetrische Relation nennt man Äquivalenzrelation.
Aufgabe 3: Welche Eigenschaften haben die folgenden Beziehungen?: größer als, früher als,
Vater von, Vorfahre von, verwandt mit, identisch mit, wohnt gegenüber von.
Eine AL+L-allgemeingültige wff von AL+L ist eine Formel, die durch jede AL+L-Interpretation
in bezug auf jeden Kontext den Wert 1 zugewiesen bekommt. Interessante AL+Lallgemeingültige Formeln sind, schon wenn wir lediglich Reflexivität von R fordern:
3
Vgl. GAMUT II, Kap. 2.2.
6
Lp → p
p → Mp.
Behauptung: Wäre R allerdings noch nicht einmal reflexiv, so wären diese Formeln nicht AL+Lallgemeingültig.
Aufgabe 4: Bitte begründen Sie die Behauptung.
Aufgabe 5: Aufgrund der Semantik von L bilden die wffs Lp, ~Lp, Mp (=~L~p) und ~Mp
(=L~p) eine altbekannte logische Struktur. Welche? Bitte zeichnen Sie sie auf und erläutern Sie.
Behauptung: Ist R lediglich reflexiv, aber nicht transitiv, so ist Lp → LLp nicht AL+Lallgemeingültig; ist R reflexiv und transitiv, so schon:
k
Lp
k'
p
k"
~p
Aufgabe 6: Bitte erläutern Sie anhand der Skizze die Behauptung.
Behauptung: Ist R zwar reflexiv und transitiv, aber nicht symmetrisch, so ist Mp → LMp nicht
AL+L-allgemeingültig.
k
k'
Aufgabe 7: Bitte begründen Sie die Behauptung durch Vervollständigung der Skizze
Ergebnis: Sollen alle durch T'-Spielen erreichbare Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so
müssen wir annehmen, daß R mindestens reflexiv ist. Sollen alle durch S4-Spielen erreichbare
Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so müssen wir annehmen, daß R mindestens reflexiv und
transitiv ist. Sollen alle durch S5-Spielen erreichbare Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so
müssen wir annehmen, daß R eine Äquivalenzrelation ist.
6. Angewandte Semantik
Als Kontexte für AL kann man sogenannte "mögliche Welten" annehmen. Was mögliche Welten
genau sind, ist umstritten.4 Erfunden hat den Ausdruck Leibniz, der meinte, Gott habe mit der
Wirklichkeit die beste aller möglichen Welten geschaffen (Begründung: Eine Welt mit freiem
Willen ist besser als eine ohne, egal wieviel Unheil Menschen durch den Gebrauch ihrer
4
Guter Überblick: Stephen Read, Thinking about Logic, Oxford 1995, Kap.4.
7
5
Willensfreiheit anrichten). Eine der am weitesten verbreiteten Charakterisierungen von
möglichen Welten heute ist:
Eine mögliche Welt ist eine maximal konsistente Menge von Propositionen.
Was eine Proposition ist, und ob es Propositionen überhaupt gibt, ist wieder umstritten. 6 Sehr
grob gesagt ist eine Proposition einfach etwas, was wahr oder falsch ist - das, was wir mit einer
beschreibenden Aussage meinen. Eine konsistente Menge von Propositionen ist eine Menge von
Propositionen, aus der sich keine zwei Elemente widersprechen. Eine maximal konsistente
Menge von Propositionen ist eine konsistente Menge von Propositionen, die durch Hinzunahme
einer beliebigen weiteren Proposition inkonsistent würde. Mit ihr sind sozusagen alle möglichen
Fragen über alle möglichen Zustände entweder mit "ja" oder mit "nein" beantwortet. Fügen wir
einer solchen Liste von Behauptungen noch eine Behauptung hinzu, die noch nicht in ihr
enthalten ist, so muß sie von irgendeiner schon gemachten Behauptung das Gegenteil sein! Die
Relation R nennt man für gewöhnlich die Zugänglichkeitsrelation zwischen möglichen Welten.
Wer nicht an Propositionen glaubt, kann eine mögliche Welt entsprechend als maximalen
Sachverhalt, o.ä. charakterisieren7 oder den Begriff der möglichen Welt als Primitivum
voraussetzen.
7. Möglichkeit und Notwendigkeit
Seit Aristoteles ist die Interdefinierbarkeit von Möglichkeit und Notwendigkeit bekannt:
Es ist notwendig, daß p gdw. es nicht möglich ist, daß p nicht der Fall ist.8
Es ist möglich, daß p gdw. es nicht notwendig ist, daß p nicht der Fall ist. 9
woraus z.B. folgt:
Es ist unmöglich, daß p gdw. es notwendig ist, daß p nicht der Fall ist. 10
Weitere traditionelle Regeln des Gebrauchs von "möglich" und "wirklich" sind:
Ab esse ad posse valet consequentia (Vom Sein darf man aufs Können schließen)
Ab necesse ad esse valet consequentia (Vom Notwendig-Sein darf man aufs Sein schließen).
AL+L und die Systeme T', S4 und S5 wurden in den 30er Jahren (v.a. von C.I.Lewis) entwickelt,
um diese Intuitionen wiedergeben zu können. Will man das tun, so interpretiert man L als „Es ist
notwendig, daß“.
5
Vgl. z.B. Theodizee, Anhang, Antwort auf den ersten Einwand: „...il étoit de l’ordre et du bien general que Dieu
laissât à certaines creatures l’occasion d’exercer leur liberté, lors même qu’il a prevu qu’elles se tourneroient au
mal...“ (nach: Die philosophischen Schriften von G.W.Leibniz, hg. v. C.J.Gerhardt, Hildesheim/New York 1978,
BdVI S.377. Vgl. auch Monadologie §53, 54, Theod. §167, 168.
6
Immer noch gut: A.N. Prior, The Doctrine of Propositions and Terms, London 1976.
7
Vgl. z.B. Alvin Plantinga, The Nature of Necessity,, Oxford 1974.
8
Metaphysik ∆ 5, 1015a33-35.
9
Met. ∆ 12, 1019b27f.
10
Ebd. b23.
8
Aufgabe 8: Schreiben Sie die fünf traditionellen Sätze als wffs von AL+L.
Lewis versuchte damit u.a. das Problem der „Paradoxien der materialen Implikation“ in den Griff
zu bekommen. 11 Die bekanntesten sind die AL-allgemeingültigen Formeln:
(p→q) v (q→p)
p → (q → p)
~p → (p → q).
Behauptung: Diese Formeln zeigen deutlich, daß das → als Zeichen von AL die Wendung
„wenn...dann“ nicht adäquat repräsentiert, sondern allenfalls Minimalbedingungen dafür angibt.
Aufgabe 9: Finden Sie Beispiele, die diese Behauptung illustrieren.
Lewis schlug deshalb als besseres Zeichen für die Wiedergabe von „wenn...dann“ ein Zeichen
vor, das aus typografischen Gründen i.f. so wiedergebenen werden soll: ý, und das wie folgt
definiert ist:
p ý q gdw. L (p → q)
(bzw. ~M (p & ~q)).
Das Zeichen ý drückt damit die sog. „strikte Implikation“ aus. In englischen Texten wird die
strikte Implikation oft in Abgrenzung zur materialen „entailment“ genannt.
Aufgabe 10: Erläutern Sie an einem Beispiel, wieso die strikte Implikation die Wendung
„wenn...dann“ besser wiedergibt als die materiale.
Problematisch war, daß man in AL+L wffs mit iterierten Modalitäten (also mit mehreren M und
L hintereinander) bekam, aber es keine traditionelle Intuition gibt, was überhaupt die
Wahrheitsbedingungen für einen Satz sind wie: "Es ist notwendig, daß es möglich ist, daß es
möglich ist, daß es nicht notwendig ist, daß p". Dies war in den 50er Jahren für einen noch nicht
18-jährigen High-School-Studenten der Anlaß, die unter den Punkten 5. und 6. skizzierte
Semantik zu erfinden. Sein Name: Saul Kripke.
Aufgabe 11: Wie löst die Kripke-Semantik das Problem der iterierten Modalitäten? Bitte
erläutern Sie am Beispiel der Formel MMp.
Aufgabe 12: Descartes war der Meinung, Gott hätte eine Welt schaffen können, die andere
"ewige Wahrheiten", also mathematische und wohl auch logische Gesetze, enthält, als unsere. 12
Ist dies mit der Regel NEC vereinbar?
Aufgabe 13: Thomas von Aquin weist sinngemäß darauf hin, daß die Verwechslung folgender
Formeln ein (oft vorkommender) Fehlschluß ist: 13
11
Vgl. GAMUT II, Kap. 2.2.2.
Brief an Mersenne vom 15.4.1630: „...les verités mathematiques, lesquelles vous nommés eternelles, ont esté
establies de Dieu & en dependent entieremant, aussy bien que tout le reste des creatures“. Vgl. auch die Briefe vom
6.5.1630, 27.5.1631 und 27.5.1638, gekürzt in engl. Ü. in: Descartes, Philosophical Writings, hg. v. E.Anscombe
und P.T.Geach, London 1954, S.259-263. Textgrundlage: Oeuvres de Descartes, publiées par Ch.Adam & P.
Tannery, Paris 1936ff., Correspondance Bd.I, Paris 1969, S.145.
13
Summa contra gentiles, liber I, cap.67, Abschnitt 565 (Sancti Thomae Aquinatis Doctori Angelici Liber de
Veritate Catholocae Fidei contra errores Infidelium seu „Summa contra gentiles“, Textus Leoninus diligenter
recognitus, Turin (Marietti) 1961, Bd. II S.79).
12
9
L(p → q) ("necessitas consequentiae")
p → Lq ("necessitas consequentis")
Bitte erläutern Sie.
8. Die Familie der Modallogiken
Im engeren Sinn ist die Modallogik die Logik der Begriffe "möglich" und "wirklich". Im
weiteren Sinn handelt es sich bei ihr um eine ganze Familie von Logiken, die eine ähnliche
Struktur haben: Sie enthalten alle Satz-Operatoren, die L und M ähneln. Und ihre Formeln
werden semantisch grundsätzlich in bezug auf Kontexte bewertet. Bewertungskontexte können
dabei statt möglichen Welten auch Zeitstellen oder Raumstellen in der Zeitlogik oder Raumlogik
sein. In der (noch wenig erforschten) Raumlogik wird z.B. der M-Operator gelesen als
"anderswo", der L-Operator als "überall sonst". 14 In der Zeitlogik 15 wird der M-Operator in F
und P aufgesplittet und der L-Operator in G und H. F wird gelesen als "Es wird der Fall sein,
daß", P als "Es war der Fall, daß", G als "Es wird immer der Fall sein, daß" und H als "Es war
immer der Fall, daß". Die Bewertungskontexte sind Zeitstellen. R erhält die Bedeutung "später
als".
Aufgabe 14: Kann eine vernünftige Raumlogik oder eine vernünftige Zeitlogik A5 enthalten?
In der deontischen Logik 16 ist das Gegenstück zum L-Operator der Operator O für "Es ist
geboten, daß".
Aufgabe 15: Notieren Sie: "Es ist verboten, p zu tun"; "Es ist erlaubt, p zu tun"; "Was nicht
verboten ist, ist erlaubt".
Manchmal hat man modallogische Systeme jahrzehntelang völlig abstrakt von einer Anwendung
erforscht, also ohne sich etwas darunter vorzustellen. So ist die zwischen S4 und S5 liegende
Modallogik S4.2 erst von Prior als Logik der Speziellen Relativitätstheorie interpretiert
worden.17 So ist über ein abstraktes System oft schon viel bekannt, wenn man es einer neuen
Anwendung zuführt. Anderes Beispiel: Die (in ihren Auswirkungen gut überschaubare)
Änderung eines einzigen Zeichens in A5 ermöglicht es, eine Variante von S5 als epistemische
Logik zu benutzen. 18 M bekommt dann die Bedeutung "Es für möglich halten, daß" und L die
Bedeutung "Überzeugt sein, daß". A5 wird dabei geändert zu:
A5': Lα → Mα.
14
Für Literaturangaben vgl. mein „Einsteins Zug und logische Gesetze“, Philosophia Naturalis 34 (1997) S.21-31.
Literatur: Auch hier ist GAMUT Bd.2, Kap.2 als Einführung nicht schlecht. Standardwerk: Peter Øhrstrøm / Per
Hasle, Temporal Logic, Dordrecht (Kluwer) 1995. Alle wichtigen Texte in deutscher Übersetzung finden sich (mit
gut lesbarer Einführung) in Bertram Kienzle, Zustand und Ereignis, Frankfurt a/M., 1994. Das grundlegende Buch
der Zeitlogik ist A.N. Prior, Past, Present and Future, Oxford 1967 (extrem technisch, sehr schwer wegen der sog.
polnischen Notation).
16
Gut brauchbare Einführung: Dagfinn Føllesdal / Risto Hilpinen, Deontic Logic: An Introduction, in: Risto
Hilpinen (Hg.): Deontic Logic: Introductory and Systematic Readings, Dordrecht 1970, S.1-35.
17
A.N. Prior, Past, Present and Future, Oxford 1967, S. 203-205.
18
Wolfgang Lenzen, Glauben, Wissen und Wahrscheinlichkeit, Wien / New York 1980 (Das Standardwerk zur
epistemischen Logik!), S.142ff.
15
10
Aufgabe 16: Warum konnte man es für eine epistemische Logik nicht gleich bei A5 lassen?
9. Ausblick
Zu den schönsten Anwendungen der Modallogik gehört
(1) die Analyse von kontrafaktischen Aussagen durch David Lewis, bei denen durch Einführung
einer Ähnlichkeitsrelation zwischen möglichen Welten, Kausalität analysiert wird 19
(2) die kombinierte Zeit-und Modallogik, in der man wffs sowohl in bezug auf eine mögliche
Welt wie auf eine Zeitstelle bewertet.20
Außerordentliche Schwierigkeiten machen quantifizierte Modallogiken - und zwar nicht nur
technisch, sondern auch philosophisch. Denn man ist hier anscheinend gezwungen, über
zukünftige oder gar über mögliche, aber nicht wirkliche Objekte zu quantifizieren (kein Wunder,
daß z.B. Quine diese Logiken ablehnt)21. Diese Anwendungen gehen alle über das in Logik II
Mögliche weit hinaus.
10. Anmerkung zu den Grenzen der formalen Logik
Wer formale Logik betreibt, muß wenigstens im Prinzip ihre technischen Grenzen kennen.
Gottlob Frege erfand Ende des 19. Jhdts die formale Logik mit entsprechender Axiomatisierung,
um die gesamte Mathematik auf sie zurückzuführen. Um das zu tun, mußte Frege allerdings eine
Logik haben, die komplexer ist als die bisher behandelten Logiken. Er kam ziemlich weit mit
einer Logik, in der man über Mengen reden konnte. Leider konnte man, wie Bertrand Russell
1902 bemerkte, in ihr folgende Menge definieren:
{X  X∉X}.
Dies ist die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Man kann sich nun fragen:
Aufgabe 17: Ist diese Menge Element ihrer selbst oder nicht?
Freges komplexes System zur Darstellung der ganzen Mathematik war also inkonsistent (nicht
aber der Teil, mit dem er angefangen hat - unsere Prädikatenlogik 1. Stufe). Russell versuchte
mit einer komplizierten Typenlogik Freges Projekt zu retten und vermied mit ihrem gestuften
Aufbau das Paradoxon, an dem Frege scheiterte. 1931 zeigte der 25-jährige Mathematiker Kurt
Gödel jedoch, daß jedes System von der Art von Russells System (den "Principia Mathematica")
immer unvollständig ist.22 (Transform-AL ist nur ein kleines vollständiges Bruchstück der
"Principia"-Logik). Ergebnis: Eine Logik ab einem bestimmten Komplexitätsgrad, der nötig ist,
um die Grundlagen der Mathematik darzustellen, ist entweder inkonsistent oder unvollständig.
D.h. daß eine vollständige logische Formalisierung der Mathematik seit den 30er Jahren als
gescheitert gelten muß.
19
David Lewis, Causation, in: ders. Philosophical Papers II, Oxford 1986, S. 159-214.
Für eine Erläuterung des Grundgedankens vgl. GAMUT II, Kap.2.
21
Vgl. z.B. W.V.O.Quine, Word and Object, Cambridge / Mass. 1960, Kap. 6 § 41.
22
Einführung: Ernest Nagel / James R. Newman, Der Gödelsche Beweis, 4. Aufl., München 1987.
20
11
Aufgabe 18: In seinem Brief an Titus schreibt Paulus (Kap.1, Vers 10-13, Luther-Ü.): "Denn
es sind viel Freche, unnütze Schwätzer und Verführer [in Kreta...] Es hat einer von ihnen gesagt,
ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner [...] Dies Zeugnis ist wahr." Hat Paulus recht?
Bitte bearbeiten Sie zu jeweils einer Sitzung je 5 Aufgaben nach Wahl.
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