1 Dr. Niko Strobach, PS Bogik II, SSem.98, Mi 14-16, R 236 Modallogik 1. Zur Erinnerung: Die Sprache AL Die Sprache AL hat bekanntlich folgendes Alphabet: - Die Buchstaben-Zeichen p, q, r... - Die Zeichen ~ und → - Die Zeichen ( und ). Außerdem hat sie folgende Syntax: (1) Jedes Buchstaben-Zeichen ist eine wff von AL (2) Ist α eine wff von AL, so auch ~α (3) Sind α und β wff von AL, so auch (α→β) (4) Sonst nix. Abkürzungsregeln: Die folgenden Zeichen ermöglichen nützliche Abkürzungen von AL-Formeln: &, v, ≡. (α & β) = ~(α → ∼β); (α v β) = (∼α → β); (α ≡ β) = (α → β) & (β → α). Semantik: AL wird interpretiert mit einer Bewertungsfunktion V, die jeder wff von AL entweder die Zahl 1 oder 0 zuweist, wobei gilt: (1) V(~α)=1 gdw. V(α)=0. (2) V((α→β))=0 gdw. V(α)=1 und V(β)=0. Eine AL-allgemeingültige Formel ist eine solche Bewertungsfunktion der Wert 1 zugewiesen wird. wff von AL, der durch jede 2. Transform-AL Man kann mit den Zeichen von AL ein Spiel spielen, das so ähnlich geht wie Patiencen Legen. Während man Patiencen Legen mit Kartenreihen spielt, spielt man Transform-AL mit Zeichenreihen, die aus Zeichen von AL bestehen. Es empfiehlt sich, beim Spielen dieses Spiels nicht zu denken. Man versucht, von wenigen bestimmten Grundformen von Zeichenmustern ausgehend, in einer Reihe von streng durch eine Regel eingeschränkten kleinen Abwandelungen ein bestimmtes Muster zu erreichen, das man sich zum Ziel gesetzt hat. Erlaubte Ausgangsmuster beim Transform-Prop sind Zeichenreihen der folgenden Form: (1) (α → (β → α)) (2) ((α → (β → γ)) → ((α → β) → (α → γ))) (3) ((∼α → ∼β) → (β → α)).1 1 Ausgangsmuster und die folgende „Patience“ nach: Kutschera/Breitkopf, Einführung in die moderne Logik. Ein etwas komplizierteres, aber äquivalentes Transform-AL-Spiel ergibt sich aus den „Principia Methematica“ von Russell und Whitehead. 2 Dabei kann man an die Stelle der griechischen Buchstaben eine beliebige wff von AL legen (aber bitte einheitlich, also für jedes α dieselbe etc.). Die Regel, die die erlaubten Spielzüge von Transform-Prop festlegt, ist die MP genannte Regel: α α→β β Das heißt: Wenn ich das pattern α legen darf und auch das pattern α → β legen darf, so darf ich im nächsten Zug das pattern β alleine legen (Warum heißt die Regel wohl MP?). Ein Beispiel: Wir setzen uns das Ziel, nach den Regeln von Transform-Prop das pattern p → p zu erreichen. Ein erlaubtes Ausgangspattern nach der Regel (1) ist: (p → ((q → p) → p)). Dabei entspricht das pattern p dem α in Regel (1) und das pattern (q → p) dem β in Regel (1). Ein erlaubtes Ausgangspattern nach Regel (2) ist: (p → ((q → p) → p)) → ((p → (q → p)) → (p → p))). Dabei entspricht dem α aus Regel (2) wieder das pattern p; dem β entspricht wieder das pattern (q → p); und dem γ entspricht, genau wie dem α, das pattern p. Legt man die beiden Ausgangsmuster untereinander hin, so ergibt sich dieses Bild: (p → ((q → p) → p)) ((p → (q → p)) → p)) → ((p → (q → p)) → (p → p))). Klar, daß dies ein Fall ist, in dem die Transform-Regel benutzt werden kann. Und zwar darf man jetzt im nächsten Zug, das pattern folgende pattern allein legen (die erste Ausgangsformel wird sozusagen "weggekürzt"): ((p → (q → p)) → (p → p))). Ein weiteres erlaubtes Ausgangspattern ist nach Regel (1) das pattern ((p → (q → p)): Dem α in Regel (1) entspricht dabei das pattern p, dem β das pattern q. Legen wir dieses pattern unter das zuletzt erhaltene pattern, so ergibt sich dieses Bild: ((p → ((q → p) → (p → p))) (p → (q → p)). Jetzt dürfen wir mit der Transform-Regel das pattern ((p → (q → p)) "wegkürzen" und im nächsten Zug legen: (p → p). 3 Damit sind wir am Ziel. Die komplette Transform-AL-"Patience" sieht damit so aus: (p → ((q → p) → p)) ((p → ((q → p) → p)) → (p → ((q → p) → (p → p))) (p → ((q → p) → (p → p)) ((p → (q → p)) (p → p). Wie es eine Theorie des Schachspiels gibt, so gibt es eine Theorie des Transform-AL-Spiels. Ein typischer Satz der Theorie des Schachspiels ist: "Mit zwei Springern kann man – einen gut spielenden Gegener vorausgesetzt - nicht gegen zwei Türme gewinnen". Zwei besonders interessante Sätze der Theorie des Transform-AL-Spiels sind: 1. Alle Muster, die man beim Transform-AL-Spielen erreichen kann, sind AL-allgemeingültige wffs von AL. 2. Man kann alle AL-allgemeingültigen wffs von AL durch Transform-AL-Spielen erreichen. 3. Die Sprache AL+L Man kann die Sprache AL zur Sprache AL+L erweitern: Alphabet: Zeichen von AL+L sind alle Zeichen von AL und das Zeichen L. Die Syntax ist sehr ähnlich wie die von AL, so daß jede wff von AL auch eine wff von AL+L ist: (1) Jedes Buchstaben-Zeichen ist eine wff von AL+L (2a) Ist α eine wff von AL+L, so auch ~α (2b) Ist α eine wff von AL+L, so auch Lα (3) Sind α und β wff von AL+L, so auch (α→β) (4) Sonst nix. Das Zeichen M führen wir als praktische Abkürzung ein: M = ~L~. Die Semantik muß uns zunächst nicht kümmern. 4. Einige Transform-AL+L-Spiele So, wie man in Verbindung mit AL das Spiel Transform-AL spielen kann, kann man in Verbindung mit AL+L gleich eine ganze Reihe von Transform-Spielen spielen. Wir werden uns nur die wichtigsten ansehen. 4.1. Das Spiel T2 Ausgangsmuster: (1) Ist α ein erlaubtes Ausgangsmuster von Transform-AL, so auch von T. (2) Folgende Muster sind außerdem erlaubte Ausgangsmuster von T: 2 Alle Systeme und die folgenden Ausführungen zu ihnen nach Hughes/Cresswell, An Introduction to Modal Logic, London 1973. Es gibt zu jedem System alternative Formulierungen. Aber die hier verwendeten sind die gebräuchlichsten. Inzwischen Standard ist die überarbeitete Ausgabe A New Introduction to Modal Logic, 1996. 4 A5: Lα → α A6: L(α→β) → (Lα→ Lβ). Transform-Regeln: 1. Regel "MP" 2. Regel "NEC" α Lα Aufgrund von (1) und der Regel MP ist klar: Jedes Muster, das man durch Transform-ALSpielen erreichen kann, kann man auch durch T'-Spielen erreichen. Und aufgrund von NEC ist klar: Eine einfache Art, spezielle T'-Muster zu produzieren ist, ein L vor ein Transform-ALMuster davorzuhängen. Ein interessantes Ergebnis der Theorie des T-Spiels ist, daß man das folgende Muster mit T-Spielen nicht erreichen kann: Lp → LLp. Behauptung: Folgendes Muster allerdings läßt sich problemlos erreichen: p → Mp. Aufgabe 1: Bitte begründen Sie diese Behauptung mit Hilfe von A5 (Tip: Setzen Sie für α ~p ein und benutzen Sie die Kontraposition). 4.2. Das Spiel S4 Das Spiel S4 folgt genau denselben Regeln wie das Spiel T. Es ist lediglich den erlaubten Ausgangsmustern noch ein weiteres hinzugefügt: A7 Lα → LLα Das bedeutet natürlich, daß man beim S4-Spielen dieselben Muster erreichen kann wie beim TSpielen, aber zusätzlich noch einige mehr. Zum Beispiel ist es jetzt möglich, mit Berufung auf A7 einfach Lp → LLp hinzuschreiben. Ein Muster, das sich durch S4-Spielen nicht erreichen läßt, ist Mp → LMp. 4.3. Das Spiel S5 Das Spiel S5 folgt genau denselben Regeln wie das Spiel S4. Es wird lediglich den erlaubten Ausgangsmustern noch ein weiteres hinzugefügt: A8 Mα → LMα. Nun können wir Mp → LMp natürlich leicht erreichen. Natürlich kann man alle beim S4-Spielen erreichbaren Muster auch durch S5-Spielen erreichen. Allerdings auch noch einige mehr. Aufgabe 2: Zeigen Sie, daß man MLp → Lp durch S5-Spielen erreichen kann. Tip: vgl. Aufg.1. 5 5. Formale Semantik für AL+L3 Wir können uns Regeln ausdenken, die den wffs von AL+L wie den wffs von AL jeweils die Werte 0 und 1 zuweisen. Eine übliche Art, dies zu tun, besteht darin, diese Werte jeweils in bezug auf einen sogenannten Kontext zuzuweisen. Für die Zuweisung von Werten brauchen wir dazu zunächst eine nichtleere Menge von Kontexten K. Auf K ist eine gewisse Beziehung R definiert (die allerdings nicht unbedingt zwischen beliebigen Elementen von K bestehen muß). Unsere Semantik lautet nun prinzipiell: AL+L wird interpretiert mit einer zweistelligen Bewertungsfunktion V, die jeder wff von AL in bezug auf einen Kontext k aus K entweder die Zahl 1 oder 0 zuweist, wobei gilt: (1) V(~α,k)=1 gdw. V(α,k)=0. (2) V((α→β),k)=0 gdw. V(α,k)=1 und V(β,k)=0. (3) V(Lα,k)=1 gdw. für alle k' aus K mit kRk' gilt: V(α,k)=1. Eine AL+L-Struktur (frame, structure) ist definiert als ein geordnetes Paar <K,R>. Eine AL+LInterpretation (bei Gamut: model) ist ein geordnetes Paar aus einer AL+L-Bewertungsfunktion und einer AL+L-Struktur. Allerdings können wir mit dieser Semantik noch nicht viel anfangen, wenn wir gar nichts weiter zur Relation R sagen. Hier sollten wir schon etwas spezifischer sein. Aber hier haben wir auch eine gewisse Freiheit. Wir können z.B. als minimale Beschränkung auf R fordern: R soll reflexiv sein, d.h. es gilt für alle k, k' aus K: Wenn k=k', dann kRk'. Wir können auch strengere Forderungen stellen: R soll nicht nur reflexiv, sondern auch transitiv sein, d.h., es gilt außerdem für alle k, k', k" aus K: Wenn kRk' und k'Rk", dann kRk". Oder R soll nicht nur reflexiv und transitiv, sondern auch noch symmetrisch sein, d.h. es gilt zusätzlich für jedes k, k' aus K: Wenn kRk', dann k'Rk. Eine reflexive, transitive und symmetrische Relation nennt man Äquivalenzrelation. Aufgabe 3: Welche Eigenschaften haben die folgenden Beziehungen?: größer als, früher als, Vater von, Vorfahre von, verwandt mit, identisch mit, wohnt gegenüber von. Eine AL+L-allgemeingültige wff von AL+L ist eine Formel, die durch jede AL+L-Interpretation in bezug auf jeden Kontext den Wert 1 zugewiesen bekommt. Interessante AL+Lallgemeingültige Formeln sind, schon wenn wir lediglich Reflexivität von R fordern: 3 Vgl. GAMUT II, Kap. 2.2. 6 Lp → p p → Mp. Behauptung: Wäre R allerdings noch nicht einmal reflexiv, so wären diese Formeln nicht AL+Lallgemeingültig. Aufgabe 4: Bitte begründen Sie die Behauptung. Aufgabe 5: Aufgrund der Semantik von L bilden die wffs Lp, ~Lp, Mp (=~L~p) und ~Mp (=L~p) eine altbekannte logische Struktur. Welche? Bitte zeichnen Sie sie auf und erläutern Sie. Behauptung: Ist R lediglich reflexiv, aber nicht transitiv, so ist Lp → LLp nicht AL+Lallgemeingültig; ist R reflexiv und transitiv, so schon: k Lp k' p k" ~p Aufgabe 6: Bitte erläutern Sie anhand der Skizze die Behauptung. Behauptung: Ist R zwar reflexiv und transitiv, aber nicht symmetrisch, so ist Mp → LMp nicht AL+L-allgemeingültig. k k' Aufgabe 7: Bitte begründen Sie die Behauptung durch Vervollständigung der Skizze Ergebnis: Sollen alle durch T'-Spielen erreichbare Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so müssen wir annehmen, daß R mindestens reflexiv ist. Sollen alle durch S4-Spielen erreichbare Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so müssen wir annehmen, daß R mindestens reflexiv und transitiv ist. Sollen alle durch S5-Spielen erreichbare Formeln AL+L-allgemeingültig sein, so müssen wir annehmen, daß R eine Äquivalenzrelation ist. 6. Angewandte Semantik Als Kontexte für AL kann man sogenannte "mögliche Welten" annehmen. Was mögliche Welten genau sind, ist umstritten.4 Erfunden hat den Ausdruck Leibniz, der meinte, Gott habe mit der Wirklichkeit die beste aller möglichen Welten geschaffen (Begründung: Eine Welt mit freiem Willen ist besser als eine ohne, egal wieviel Unheil Menschen durch den Gebrauch ihrer 4 Guter Überblick: Stephen Read, Thinking about Logic, Oxford 1995, Kap.4. 7 5 Willensfreiheit anrichten). Eine der am weitesten verbreiteten Charakterisierungen von möglichen Welten heute ist: Eine mögliche Welt ist eine maximal konsistente Menge von Propositionen. Was eine Proposition ist, und ob es Propositionen überhaupt gibt, ist wieder umstritten. 6 Sehr grob gesagt ist eine Proposition einfach etwas, was wahr oder falsch ist - das, was wir mit einer beschreibenden Aussage meinen. Eine konsistente Menge von Propositionen ist eine Menge von Propositionen, aus der sich keine zwei Elemente widersprechen. Eine maximal konsistente Menge von Propositionen ist eine konsistente Menge von Propositionen, die durch Hinzunahme einer beliebigen weiteren Proposition inkonsistent würde. Mit ihr sind sozusagen alle möglichen Fragen über alle möglichen Zustände entweder mit "ja" oder mit "nein" beantwortet. Fügen wir einer solchen Liste von Behauptungen noch eine Behauptung hinzu, die noch nicht in ihr enthalten ist, so muß sie von irgendeiner schon gemachten Behauptung das Gegenteil sein! Die Relation R nennt man für gewöhnlich die Zugänglichkeitsrelation zwischen möglichen Welten. Wer nicht an Propositionen glaubt, kann eine mögliche Welt entsprechend als maximalen Sachverhalt, o.ä. charakterisieren7 oder den Begriff der möglichen Welt als Primitivum voraussetzen. 7. Möglichkeit und Notwendigkeit Seit Aristoteles ist die Interdefinierbarkeit von Möglichkeit und Notwendigkeit bekannt: Es ist notwendig, daß p gdw. es nicht möglich ist, daß p nicht der Fall ist.8 Es ist möglich, daß p gdw. es nicht notwendig ist, daß p nicht der Fall ist. 9 woraus z.B. folgt: Es ist unmöglich, daß p gdw. es notwendig ist, daß p nicht der Fall ist. 10 Weitere traditionelle Regeln des Gebrauchs von "möglich" und "wirklich" sind: Ab esse ad posse valet consequentia (Vom Sein darf man aufs Können schließen) Ab necesse ad esse valet consequentia (Vom Notwendig-Sein darf man aufs Sein schließen). AL+L und die Systeme T', S4 und S5 wurden in den 30er Jahren (v.a. von C.I.Lewis) entwickelt, um diese Intuitionen wiedergeben zu können. Will man das tun, so interpretiert man L als „Es ist notwendig, daß“. 5 Vgl. z.B. Theodizee, Anhang, Antwort auf den ersten Einwand: „...il étoit de l’ordre et du bien general que Dieu laissât à certaines creatures l’occasion d’exercer leur liberté, lors même qu’il a prevu qu’elles se tourneroient au mal...“ (nach: Die philosophischen Schriften von G.W.Leibniz, hg. v. C.J.Gerhardt, Hildesheim/New York 1978, BdVI S.377. Vgl. auch Monadologie §53, 54, Theod. §167, 168. 6 Immer noch gut: A.N. Prior, The Doctrine of Propositions and Terms, London 1976. 7 Vgl. z.B. Alvin Plantinga, The Nature of Necessity,, Oxford 1974. 8 Metaphysik ∆ 5, 1015a33-35. 9 Met. ∆ 12, 1019b27f. 10 Ebd. b23. 8 Aufgabe 8: Schreiben Sie die fünf traditionellen Sätze als wffs von AL+L. Lewis versuchte damit u.a. das Problem der „Paradoxien der materialen Implikation“ in den Griff zu bekommen. 11 Die bekanntesten sind die AL-allgemeingültigen Formeln: (p→q) v (q→p) p → (q → p) ~p → (p → q). Behauptung: Diese Formeln zeigen deutlich, daß das → als Zeichen von AL die Wendung „wenn...dann“ nicht adäquat repräsentiert, sondern allenfalls Minimalbedingungen dafür angibt. Aufgabe 9: Finden Sie Beispiele, die diese Behauptung illustrieren. Lewis schlug deshalb als besseres Zeichen für die Wiedergabe von „wenn...dann“ ein Zeichen vor, das aus typografischen Gründen i.f. so wiedergebenen werden soll: ý, und das wie folgt definiert ist: p ý q gdw. L (p → q) (bzw. ~M (p & ~q)). Das Zeichen ý drückt damit die sog. „strikte Implikation“ aus. In englischen Texten wird die strikte Implikation oft in Abgrenzung zur materialen „entailment“ genannt. Aufgabe 10: Erläutern Sie an einem Beispiel, wieso die strikte Implikation die Wendung „wenn...dann“ besser wiedergibt als die materiale. Problematisch war, daß man in AL+L wffs mit iterierten Modalitäten (also mit mehreren M und L hintereinander) bekam, aber es keine traditionelle Intuition gibt, was überhaupt die Wahrheitsbedingungen für einen Satz sind wie: "Es ist notwendig, daß es möglich ist, daß es möglich ist, daß es nicht notwendig ist, daß p". Dies war in den 50er Jahren für einen noch nicht 18-jährigen High-School-Studenten der Anlaß, die unter den Punkten 5. und 6. skizzierte Semantik zu erfinden. Sein Name: Saul Kripke. Aufgabe 11: Wie löst die Kripke-Semantik das Problem der iterierten Modalitäten? Bitte erläutern Sie am Beispiel der Formel MMp. Aufgabe 12: Descartes war der Meinung, Gott hätte eine Welt schaffen können, die andere "ewige Wahrheiten", also mathematische und wohl auch logische Gesetze, enthält, als unsere. 12 Ist dies mit der Regel NEC vereinbar? Aufgabe 13: Thomas von Aquin weist sinngemäß darauf hin, daß die Verwechslung folgender Formeln ein (oft vorkommender) Fehlschluß ist: 13 11 Vgl. GAMUT II, Kap. 2.2.2. Brief an Mersenne vom 15.4.1630: „...les verités mathematiques, lesquelles vous nommés eternelles, ont esté establies de Dieu & en dependent entieremant, aussy bien que tout le reste des creatures“. Vgl. auch die Briefe vom 6.5.1630, 27.5.1631 und 27.5.1638, gekürzt in engl. Ü. in: Descartes, Philosophical Writings, hg. v. E.Anscombe und P.T.Geach, London 1954, S.259-263. Textgrundlage: Oeuvres de Descartes, publiées par Ch.Adam & P. Tannery, Paris 1936ff., Correspondance Bd.I, Paris 1969, S.145. 13 Summa contra gentiles, liber I, cap.67, Abschnitt 565 (Sancti Thomae Aquinatis Doctori Angelici Liber de Veritate Catholocae Fidei contra errores Infidelium seu „Summa contra gentiles“, Textus Leoninus diligenter recognitus, Turin (Marietti) 1961, Bd. II S.79). 12 9 L(p → q) ("necessitas consequentiae") p → Lq ("necessitas consequentis") Bitte erläutern Sie. 8. Die Familie der Modallogiken Im engeren Sinn ist die Modallogik die Logik der Begriffe "möglich" und "wirklich". Im weiteren Sinn handelt es sich bei ihr um eine ganze Familie von Logiken, die eine ähnliche Struktur haben: Sie enthalten alle Satz-Operatoren, die L und M ähneln. Und ihre Formeln werden semantisch grundsätzlich in bezug auf Kontexte bewertet. Bewertungskontexte können dabei statt möglichen Welten auch Zeitstellen oder Raumstellen in der Zeitlogik oder Raumlogik sein. In der (noch wenig erforschten) Raumlogik wird z.B. der M-Operator gelesen als "anderswo", der L-Operator als "überall sonst". 14 In der Zeitlogik 15 wird der M-Operator in F und P aufgesplittet und der L-Operator in G und H. F wird gelesen als "Es wird der Fall sein, daß", P als "Es war der Fall, daß", G als "Es wird immer der Fall sein, daß" und H als "Es war immer der Fall, daß". Die Bewertungskontexte sind Zeitstellen. R erhält die Bedeutung "später als". Aufgabe 14: Kann eine vernünftige Raumlogik oder eine vernünftige Zeitlogik A5 enthalten? In der deontischen Logik 16 ist das Gegenstück zum L-Operator der Operator O für "Es ist geboten, daß". Aufgabe 15: Notieren Sie: "Es ist verboten, p zu tun"; "Es ist erlaubt, p zu tun"; "Was nicht verboten ist, ist erlaubt". Manchmal hat man modallogische Systeme jahrzehntelang völlig abstrakt von einer Anwendung erforscht, also ohne sich etwas darunter vorzustellen. So ist die zwischen S4 und S5 liegende Modallogik S4.2 erst von Prior als Logik der Speziellen Relativitätstheorie interpretiert worden.17 So ist über ein abstraktes System oft schon viel bekannt, wenn man es einer neuen Anwendung zuführt. Anderes Beispiel: Die (in ihren Auswirkungen gut überschaubare) Änderung eines einzigen Zeichens in A5 ermöglicht es, eine Variante von S5 als epistemische Logik zu benutzen. 18 M bekommt dann die Bedeutung "Es für möglich halten, daß" und L die Bedeutung "Überzeugt sein, daß". A5 wird dabei geändert zu: A5': Lα → Mα. 14 Für Literaturangaben vgl. mein „Einsteins Zug und logische Gesetze“, Philosophia Naturalis 34 (1997) S.21-31. Literatur: Auch hier ist GAMUT Bd.2, Kap.2 als Einführung nicht schlecht. Standardwerk: Peter Øhrstrøm / Per Hasle, Temporal Logic, Dordrecht (Kluwer) 1995. Alle wichtigen Texte in deutscher Übersetzung finden sich (mit gut lesbarer Einführung) in Bertram Kienzle, Zustand und Ereignis, Frankfurt a/M., 1994. Das grundlegende Buch der Zeitlogik ist A.N. Prior, Past, Present and Future, Oxford 1967 (extrem technisch, sehr schwer wegen der sog. polnischen Notation). 16 Gut brauchbare Einführung: Dagfinn Føllesdal / Risto Hilpinen, Deontic Logic: An Introduction, in: Risto Hilpinen (Hg.): Deontic Logic: Introductory and Systematic Readings, Dordrecht 1970, S.1-35. 17 A.N. Prior, Past, Present and Future, Oxford 1967, S. 203-205. 18 Wolfgang Lenzen, Glauben, Wissen und Wahrscheinlichkeit, Wien / New York 1980 (Das Standardwerk zur epistemischen Logik!), S.142ff. 15 10 Aufgabe 16: Warum konnte man es für eine epistemische Logik nicht gleich bei A5 lassen? 9. Ausblick Zu den schönsten Anwendungen der Modallogik gehört (1) die Analyse von kontrafaktischen Aussagen durch David Lewis, bei denen durch Einführung einer Ähnlichkeitsrelation zwischen möglichen Welten, Kausalität analysiert wird 19 (2) die kombinierte Zeit-und Modallogik, in der man wffs sowohl in bezug auf eine mögliche Welt wie auf eine Zeitstelle bewertet.20 Außerordentliche Schwierigkeiten machen quantifizierte Modallogiken - und zwar nicht nur technisch, sondern auch philosophisch. Denn man ist hier anscheinend gezwungen, über zukünftige oder gar über mögliche, aber nicht wirkliche Objekte zu quantifizieren (kein Wunder, daß z.B. Quine diese Logiken ablehnt)21. Diese Anwendungen gehen alle über das in Logik II Mögliche weit hinaus. 10. Anmerkung zu den Grenzen der formalen Logik Wer formale Logik betreibt, muß wenigstens im Prinzip ihre technischen Grenzen kennen. Gottlob Frege erfand Ende des 19. Jhdts die formale Logik mit entsprechender Axiomatisierung, um die gesamte Mathematik auf sie zurückzuführen. Um das zu tun, mußte Frege allerdings eine Logik haben, die komplexer ist als die bisher behandelten Logiken. Er kam ziemlich weit mit einer Logik, in der man über Mengen reden konnte. Leider konnte man, wie Bertrand Russell 1902 bemerkte, in ihr folgende Menge definieren: {X X∉X}. Dies ist die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Man kann sich nun fragen: Aufgabe 17: Ist diese Menge Element ihrer selbst oder nicht? Freges komplexes System zur Darstellung der ganzen Mathematik war also inkonsistent (nicht aber der Teil, mit dem er angefangen hat - unsere Prädikatenlogik 1. Stufe). Russell versuchte mit einer komplizierten Typenlogik Freges Projekt zu retten und vermied mit ihrem gestuften Aufbau das Paradoxon, an dem Frege scheiterte. 1931 zeigte der 25-jährige Mathematiker Kurt Gödel jedoch, daß jedes System von der Art von Russells System (den "Principia Mathematica") immer unvollständig ist.22 (Transform-AL ist nur ein kleines vollständiges Bruchstück der "Principia"-Logik). Ergebnis: Eine Logik ab einem bestimmten Komplexitätsgrad, der nötig ist, um die Grundlagen der Mathematik darzustellen, ist entweder inkonsistent oder unvollständig. D.h. daß eine vollständige logische Formalisierung der Mathematik seit den 30er Jahren als gescheitert gelten muß. 19 David Lewis, Causation, in: ders. Philosophical Papers II, Oxford 1986, S. 159-214. Für eine Erläuterung des Grundgedankens vgl. GAMUT II, Kap.2. 21 Vgl. z.B. W.V.O.Quine, Word and Object, Cambridge / Mass. 1960, Kap. 6 § 41. 22 Einführung: Ernest Nagel / James R. Newman, Der Gödelsche Beweis, 4. Aufl., München 1987. 20 11 Aufgabe 18: In seinem Brief an Titus schreibt Paulus (Kap.1, Vers 10-13, Luther-Ü.): "Denn es sind viel Freche, unnütze Schwätzer und Verführer [in Kreta...] Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner [...] Dies Zeugnis ist wahr." Hat Paulus recht? Bitte bearbeiten Sie zu jeweils einer Sitzung je 5 Aufgaben nach Wahl.