Vorlesung Mathematik 3 KI Bachelor 1 B.Grabowski 19. Oktober 2012 1 (C) Prof.Dr.B.Grabowski, HTW des Saarlandes, 3/2012, Skript zur Vorlesung Mathematik 3 KI Bachelor Zusammenfassung Das vorliegende Papier umfasst den Inhalt der Vorlesung Mathematik 3 KI und gibt Hinweise zu weiterführender Literatur. Wir verweisen auch auf die übliche Mathematik-Standard-Literatur, z.B. [Pap01]. Zur Ergänzung der im Skript enthaltenen Übungsaufgaben, d.h. zum weiteren Üben und zum Durchführen von Selbst-Kontrollen (Klausuren) verweisen wir auf unseren E-Learning-Tutor MathCoach. Inhaltsverzeichnis 1 Komplexe Zahlen 1.1 Definition der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Darstellungsformen komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Normalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die trigonometrische Form einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Umrechnungen zwischen Normalform und trigonometrischer Form . . . . . 1.2.3.1 Umrechung von TF in NF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.2 Umrechnung von NF in TF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Die Eulerform einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Rechenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Addition und Subtraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.1 Multiplikation in NF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.2 Multiplikation in EF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4.1 Division in NF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4.2 Division in EF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Erweiterte arithmetische Operationen: Potenzieren, Wurzelziehen, Logarithmieren 1.4.1 Das Potenzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Der natürliche Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Wurzel-Ziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Anwendung komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Linearfaktorzerlegung (LFZ) von Polynomen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Schwingungen als komplexe Zeiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2.1 Darstellung von Schwingungen durch sin- und cos-Funktionen . . 1.5.2.2 Darstellung von harmonischen Schwingungen als komplexe Zeiger 1.5.2.3 Überlagerung (Addition, Superposition) gleichfrequenter Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 2 3 3 4 7 7 8 10 12 12 12 13 14 14 14 14 15 16 16 16 17 19 19 22 22 26 27 Kapitel 1 Komplexe Zahlen Bei der Übertragung von Signalen haben wir es mathematisch häufig mit der Lösung quadratischer Gleichungen zu tun. Wollen wir die Gleichung x2 + 4 = 0 lösen, so stellen wir fest, dass es keine reelle Zahl x gibt, die diese Gleichung löst. Es ist x2 + 4 = 0 ⇔ x2 = −4√ ⇔ x1/2 = −4 √ √ ⇔ x1/2 = −1 · 4 √ ⇔ x1/2 = −1 · 2. Die beiden Lösungen x1/2 sind in R nicht definiert, weil dort Wurzeln aus negativen Zahlen nicht √ definiert sind. Wenn wir aber zu den reellen Zahlen R die Zahl −1 einfach hinzunehmen und alle in R erlaubten √ Rechenoperationen (wie +, -, *, /, Potenzieren, Wurzelziehen usw.) auch für die neue Zahl −1 zulassen, so entsteht eine neue größere Zahlenmenge, die dann auch die Lösungen x1/2 der obigen Gleichung enthält. Die Zahlen in dieser Menge haben dann folgende Gestalt: √ z = a + −1 · b, a ∈ R, b ∈ R, und werden als komplexe Zahlen bezeichnet. Wir werden uns deshalb zunächst mit der Menge der komplexen Zahlen und dem Rechnen mit diesen Zahlen beschäftigen. 1.1 Definition der komplexen Zahlen Definition 1.1 Zahlen der Gestalt z = a + j · b, wobei a, b ∈ R und j = √ −1 sind heißen komplexe Zahlen. a = Re(z) heißt Realteil von z, b = Im(z) heißt Imaginärteil von z, j = Einheit (Schreibweisen: j, i). Die Menge C = {a + j · b| a ∈ R, b ∈ R} heißt Menge Beispiele für komplexe Zahlen: 2j, √ −j 17, √ −1 heißt Imaginäre der komplexen Zahlen. 3 + π · j, 4, −4. Wir bemerken, dass reelle Zahlen spezielle komplexe Zahlen sind, und zwar für b = 0. 2 Kapitel 1 Komplexe Zahlen 3 In der Menge C der komplexen Zahlen sind alle quadratischen Gleichungen lösbar! Beispiel: x2 − 2x + 10 =√0 √ ⇔ x1/2 = 1 ± 1 − 10 = 1 ± −9 ⇔ x1/2 = 1 ± j · 3. Bemerkung: Wie wir im Beispiel gesehen haben, erhalten wir zwei Lösungen der quadratischen Gleichung x2 − 2x + 10 = 0: x1 = 1 + 3j und x2 = 1 − 3j. Die beiden Lösungen unterscheiden sich dadaurch, dass ihre Imaginärteile entgegengesetzte Vorzeichen haben. Man kann zeigen, dass quadratische Gleichungen immer genau zwei Lösungen in C der Gestalt z1 = a + jb und z2 = a − jb haben. Man nennt ein solches Lösungspaar Paar konjugiert komplexer Zahlen. Definition 1.2 Sei z = a + jb. Dann heißt z ∗ = a − jb konjugiert komplexe Zahl (bzw. konjugiert Komplexe) zu z. Beispiele: z1 = 2 + j · 3 ⇒ z1∗ = 2 − j · 3, z2 = 1 − j ⇒ z2∗ = 1 + j. Bemerkung: Es gilt: Re(z) = Re(z ∗ ) und Im(z) = −Im(z ∗ ). Aufgabe 1.1 Geben Sie Realteil, Imaginärteil und die konjugiert Komplexe zu z an! a) z = −1 + 3j b) z = 4 − j Aufgabe 1.2 Lösen Sie folgende quadratische Gleichungen! a) z 2 + 3 · z + 6, 25 = 0 b) 3z 2 + 12z + 39 = 0 c) z 2 + 9 = 0 1.2 1.2.1 Darstellungsformen komplexer Zahlen Die Normalform Definition 1.3 Die Darstellung z =a+j·b der komplexen Zahl heißt Normalform (NF). Kapitel 1 Komplexe Zahlen 4 Eine komplexe Zahl z = a + jb ist eindeutig durch ihren Realteil a und ihren Imaginärteil b bestimmt. Das Paar (a, b) kann man sich grafisch als Punkt oder als Vektor veranschaulichen. a Und tatsächlich wird eine komplexe Zahl z = a + jb grafisch als Ortsvektor dargestellt, wir b bezeichen ihn als komplexen Zeiger z. Im(z) z = a + jb b Re(z) a Die Koordinatenachsen werden als Realteil-Achse (x-Achse) und Imaginärteil-Achse (y-Achse) bezeichnet. Bemerkung: Offensichtlich sind zwei komplexe Zahlen z1 = a1 + j · b1 und z2 = a2 + j · b2 gleich, wenn a1 = a2 und b1 = b2 ist. Beispiele: Im(z) z2 = −1 + 2j 2 z1 = 2 + j 1 Re(z) −1 2 z1∗ = 2 − j −1 Wir sehen, dass die konjugiert komplexe Zahl z ∗ zu einer komplexen Zahl z durch Spiegelung an der Realteil-Achse entsteht. 1.2.2 Die trigonometrische Form einer komplexen Zahl Wie wir an der grafischen Darstellung der komplexen Zahl als Vektor sehen, kann man sie auch eindeutig durch die Länge |z| ihres Zeigers und ihren Winkel ϕ zur x-Achse beschreiben. Im(z) z = a + jb b |z| Re(z) ϕ a Wir können folgende Zusammenhänge zwischen a, b, |z| und ϕ herstellen: Kapitel 1 Komplexe Zahlen 5 Nach Pythagoras erhalten wir die Länge des Zeigers gemäß |z| = Definition 1.4 |z| = √ √ a2 + b2 . a2 + b2 heißt Betrag der komplexen Zahl z = a + j · b. Gemäß den Gesetzen in rechtwinkligen Dreiecken gilt weiterhin a = |z| · cos(ϕ) und b = |z| · sin(ϕ). Daraus z = = = ergibt sich ausgehend von der NF a + jb |z| · cos(ϕ) + j · |z| · sin(ϕ) |z|(cos(ϕ) + j · sin(ϕ)) Definition 1.5 Die Darstellung z = |z| (cos (ϕ) + j · in (ϕ)) heißt trigonometrische Form (TF) von z. Dabei sind |z| die Länge des Zeigers von z und ϕ der Winkel von der positiven Realteil-Achse zu z in mathematisch positiver Drehrichtung (d.h. von Re(z)-Achse zu z gehen wir entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn). Beispiele: Abbildung 1.1: Beispiele für komplexe Zahlen in trigonometrischer Form Bemerkung: In der TF einer komplexen Zahl ist der Winkel ϕ nicht eindeutig bestimmt. 1. Verwendung von Perioden Kapitel 1 Komplexe Zahlen 6 Im(z) z = |z| · (cos(ϕ) + j · sin(ϕ)) = |z| · (cos(ϕ + 2π) + j · sin(ϕ + 2π)) ϕ Re(z) Addieren wir 2 · π oder ein ganzzahliges Vielfaches k · 2 · π dieser Zahl zu ϕ, so entspricht das einer vollständigen Drehung bzw. k Drehungen des komplexen Zeigers im Zeigerdiagramm und wir erhalten im Ergebnis die gleiche komplexe Zahl. Dasgleiche trifft für die Subtraktion von k · 2π von ϕ zu. Das heißt, es gilt: z = |z| (cos (ϕ) + j · sin (ϕ)) = |z| (cos (ϕ + k · 2π) + j · sin (ϕ + k · 2π)) , k ∈ Z. Beispiel: Es ist z = 2(cos(90◦ ) + jsin(90◦ )) = 2(cos(450◦ ) + jsin(450◦ )). 2. Verwendung der negativen Winkeldrehrichtung Im(z) z = |z| · (cos(ϕ) + j · sin(ϕ)) = |z| · (cos(α) − j · sin(α)) α + ϕ = 2π ϕ Re(z) α In der TF von z haben wir den Winkel ϕ in mathematisch positiver Drehrichtung (d.h. entgegengesetzt zur Uhrzeigerrichtung) bestimmt. Wir können z aber auch durch den Winkel α = 2π − ϕ beschreiben, den wir in mathematisch negativer Drehrichtung (in Uhrzeigerrichtung) erhalten. Es gilt ϕ = 2π − α. Setzen wir das in die TF von z ein und berücksichtigen die Eigenschaften der Periodizität von sinus und cosinus, so ergibt sich Kapitel 1 Komplexe Zahlen z 7 = |z| (cos (ϕ) + j · sin (ϕ)) = |z| (cos (2π − α) + j · sin (2π − α)) = |z| (cos (−α) + j · sin (−α)) (Periodizität von sin und cos) = |z| (cos (α) − j · sin (α)) (Symmetrie von sin und cos) Satz 1.1 Sei ϕ = 2π − α. Dann gilt: z=|z| (cos (ϕ) + j · sin (ϕ))=|z| (cos (α) − j · sin (α)) Beispiel: Es ist z = 2(cos(270◦ ) + jsin(270◦ )) = 2(cos(90◦ ) − jsin(90◦ )). Aufgabe 1.3 Skizzieren Sie folgende komplexe Zahlen im Zeigerdiagramm! a) z1 = 2 (cos(30◦ ) − j · sin(30◦ )) b) z2 = 4 (cos(390◦ ) + j · sin(390◦ )) c) z3 = −3 + 2j d) z4 = z2∗ 1.2.3 Umrechnungen zwischen Normalform und trigonometrischer Form 1.2.3.1 Umrechung von TF in NF Ist die komplexe Zahl in TF gegeben: z = |z|(cos(ϕ) + j · sin(ϕ)) = |z| · cos(ϕ) + j · |z| · sin(ϕ), so können wir sie leicht in die NF umwandeln. Denn in rechtwinkligen Dreiecken gilt: Im(z) z |z| Gegenkathete Hypothenuse = sin(ϕ) ⇒ b |z| = sin(ϕ) Ankathete Hypothenuse = cos(ϕ) ⇒ a |z| = cos(ϕ) b Re(z) ϕ a Daraus folgt a = |z|cos(ϕ) und b = |z|sin(ϕ) und wir erhalten z = = |z|cos(ϕ) + j a + j |z|sin(ϕ) b z = = |z|cos(ϕ) − j a − j |z|sin(ϕ) b Analog gilt: Beispiel: Wie lautet die komplexe Zahl z = 2(cos(90◦ ) − j · sin(90◦ )) in Normalform? Lösung: Es ist cos(90◦ ) = 0 und sin(90◦ ) = 1 und folglich erhalten wir: Kapitel 1 Komplexe Zahlen 8 z = 2(cos(90◦ ) − j = 2 · cos(90◦ ) − j = 2·0 − j = −j sin(90◦ )) 2 · sin(90◦ ) 2·1 2 Aufgabe 1.4 Rechnen Sie folgende komplexe Zahlen in NF um! Prüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die komplexe Zahl im Zeigerdiagramm darstellen! a) z1 = 2(cos(π) + j · sin(π)) b) z2 = −j · sin(135◦ ) c) z3 = 3 · cos( π4 ) − j · 3 · sin( π4 ) 1.2.3.2 Umrechnung von NF in TF Sei z = a + jb eine komplexe Zahl in NF. Wollen wir ihre TF bestimmen, müssen wir den Betrag |z| und den Winkel ϕ von z bestimmen. Der Betrag ergibt sich gemäß |z| = √ a2 + b2 Zur Berechnung des Winkels nutzen wir wieder Gesetzmäßigkeiten in rechtwinkligen Dreiecken aus. Es gilt: Im(z) z Gegenkathete Ankathete |z| b = tan(ϕ) ⇒ ab = tan(ϕ) ⇒ ϕ = tan−1 ( ab ) = arctan( ab ) Re(z) ϕ a Bei der Berechnung des Winkels ϕ müssen wir allerdings noch den Quadranten berücksichtigen, indem dem komplexe Zeiger liegt. Wir unterscheiden dabei 2 Fälle. 1. Fall: Der komplexe Zeiger liegt direkt auf einer Achse des Koordinatensystems. Im(z) z2 Re(z) z3 z1 z4 Kapitel 1 Komplexe Zahlen z1 z2 z3 z4 Fall : a > 0, b = 0 : a = 0, b > 0 : a < 0, b = 0 : a = 0, b < 0 9 Winkel ϕ=0 ϕ = 90◦ = π2 ϕ = 180◦ = π ϕ = 270◦ = 23 π 2. Fall: Der komplexe Zeiger liegt nicht direkt auf einer Koordinatenachse. Fall Skizze Im(z) Winkel z 1.Quadrant : a > 0, b > 0 |z| tan(ϕ) = b ϕ = arctan( ab ) Re(z) ϕ b a a Im(z) z 2.Quadrant : a < 0, b > 0 tan(α) = |z| b b |a| ϕ=π−α ϕ α Re(z) b ϕ = π − arctan( |a| ) a Im(z) Re(z) a α tan(α) = 3.Quadrant : a < 0, b < 0 ϕ=π+α |z| b |b| |a| |b| ϕ = π + arctan( |a| ) z Im(z) Re(z) a α tan(α) = 4.Quadrant : a > 0, b < 0 ϕ= |z| b ϕ= z Aufgabe 1.5 Füllen Sie in der 4.Zeile der Tabelle die 3. Spalte aus! Beispiel: Stellen Sie z = −2 + 2j in TF dar! Kapitel 1 Komplexe Zahlen 10 Lösung: Betrag: |z| = √ √ 4 + 4 = 2 2. Winkel: Die komplexe Zahl liegt (weil a < 0 und b > 0 ist) im 2. Quadranten. Demzufolge ist b ) = π − arctan(1) = π − ϕ = π − arctan( |a| π 4 = 34 π. Wir erhalten als Ergebnis: √ z = −2 + 2j = 2 2 cos 3 4π + j · sin 3 4π Im(z) z 2 √ 2 2 ϕ = 34 π Re(z) −2 Aufgabe 1.6 Rechnen Sie folgende komplexe Zahlen in TF um! Prüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die komplexe Zahl im Zeigerdiagramm darstellen! a) z1 = 2 + 3j b) z2 = −4j c) z3 = −3 − 2j d) z4 = z2∗ 1.2.4 Die Eulerform einer komplexen Zahl Die Eulerform einer komplexen Zahl basiert auf ihrer trigonometrischen Form, d.h. auf der Angabe von Betrag und Winkel. Diese Form erhalten wir unter Verwendung des folgenden Satzes, der besagt, dass man die Funktionen cos(x), sin(x) und ex als Polynome unendlicher Ordnung (sogenannte Potenz- oder TaylorReihen) darstellen kann. Satz 1.2 Es gilt 1. cos(x) = 1 − x2 2! + x4 4! + 2. sin(x) = x − x3 3! + x5 5! − .... 3. ex = 1 + x 1! + x2 2! .... x6 6! .... Kapitel 1 Komplexe Zahlen 11 Auf der Basis dieses Satzes kann man nun für x = jϕ einen Zusammenhang zwischen cos(x), sin(x) und ex herstellen. Zunächst sei bemerkt, dass gilt: j 2 = −1, j 3 = −j, j 4 = 1, j 5 = j usw. usf. Setzen wir nun x = jϕ in die Gleichung für ex ein, so erhalten wir ejϕ = 1 = 1 = (1 = + (jϕ) 1! + jϕ 2 − ϕ2! + − + cos(ϕ) (jϕ)2 2! ϕ2 2!4 ϕ 4! + − ∓ (jϕ)3 3! jϕ3 3! ···) 4 + (jϕ) 4! 4 + ϕ4! + j(ϕ + + + − (jϕ)5 5! jϕ5 5! ϕ3 3! + − + j · sin(ϕ) (jϕ)6 6! ϕ6 6!5 ϕ 5! + − ∓ Satz 1.3 Es gilt: 1. ejϕ = cos(ϕ) + j · sin(ϕ) 2. e−jϕ = cos(ϕ) − j · sin(ϕ) Definition 1.6 Sei z = |z|(cos(ϕ) + jsin(ϕ)) eine komplexe Zahl. Die Darstellung z = |z| ejϕ = |z| ej(ϕ+k·2π) , k∈Z heißt Eulerform (EF) der komplexen Zahl z. Bemerkungen: 1. Hat man die TF der komplexen Zahl, also ϕ und |z|, so hat man auch die EF von z. D.h., die Umrechnung einer komplexen Zahl von NF in EF bzw. EF in NF erfolgt analog zur Umrechnung von NF in TF bzw. TF in NF. 2. Die EF einer komplexen Zahl ist genauso wie die TF nicht eindeutig im Winkel. 3. Ist z = |z|ejϕ , so ist die konjugiert Komplexe gleich z ∗ = |z|e−jϕ . Beispiele 1. Wie lautet die EF von z = −2 + 2j? Lösung: √ Wir rechnen die NF zuerst in TF um: wie wir oben gesehen haben ist |z| = 2 2 und ϕ = 34 π. Daraus ergibt sich √ die 3EF, es ist: z = −2 + 2j = 2 2(ej 4 π) . π 2. Wie lautet die NF von z = 3e− 4 ? Lösung: π z = 3e− 4 = 3(cos( π4 ) − jsin( π4 )) = √3 2 − j √32 . Aufgabe 1.7 Rechnen Sie folgende komplexe Zahlen in EF um! Prüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die komplexe Zahl im Zeigerdiagramm darstellen! ... ... ···) Kapitel 1 Komplexe Zahlen 12 a) z1 = 2 + 3j b) z2 = −4j c) z3 = −3 − 2j d) z4 = z2∗ Aufgabe 1.8 Rechnen Sie folgende komplexe Zahlen in NF um! Prüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die komplexe Zahl im Zeigerdiagramm darstellen! a) z1 = 2e−jπ π b) z2 = 4ej 2 2 c) z3 = 3e−j 3 π d) z4 = ej 1.3 11 3 π Rechenoperationen 1.3.1 Ordnungsrelationen 1. Gleichheit Definition 1.7 2 komplexe Zahlen z1 = a1 + jb1 = |z1 | ejϕ1 und z2 = a2 + jb2 = |z2 | ejϕ2 sind gleich,wenn sie in ihrem Real- und ihrem Imaginärteil übereinstimmen, bzw. wenn die Beträge gleich sind und die Winkel bis auf ein Vielfaches von k·2π gleich sind. D.h., es gilt: z1 = z2 ⇔ a1 = a2 ∧ b1 = b2 ⇔ |z1 | = |z2 | ∧ ϕ1 = ϕ2 ± k · 2π, k ∈ Z. 2. Anordnungen Komplexe Zahlen werden durch 2 Parameter a und b bestimmt. Deshalb kann man sie nicht ordnen. Beispielsweise kann man nicht sagen, welche der beiden komplexen Zahlen z1 = 1 + 2j, z2 = 2 + 1j kleiner ist. D.h. in C gibt es keine Ordnungsrelation < (bzw >). Es gibt in C nur = und 6=. 1.3.2 Addition und Subtraktion Die Addition und Subtraktion zweier komplexer Zahlen erfolgt nur in NF. Das Ergebnis liegt dann wieder in NF vor. Definition 1.8 Seien z1 = a1 + j · b1 , z2 = a2 + j · b2 . Dann ist z1 ± z2 = (a1 + jb1 ) ± (a2 + jb2 ) = (a1 ± a2 ) + j · (b1 ± b2 ) Kapitel 1 Komplexe Zahlen 13 D.h., 2 komplexe Zahlen werden addiert bz. subtrahiert, indem man ihre Real- und Imaginärteile addiert bzw. subtrahiert. Geometrisch entspricht das der Vektoraddition bzw. -subtraktion. Beispiel. Seien z1 = 1 − 2j und z2 = 2 + j. Ermitteln Sie u = z1 + z2 und w = z1 − z2 geometrisch und rechnerisch! Lösung: Rechnerisch: u = z1 + z2 = 1 − 2j + (2 + j) = 3 − j w = z1 − z2 = 1 − 2j − (2 + j) = 1 − 2j − 2 − j = −1 − 3j Geometrisch: Vektoraddition und -subtraktion. 1 3 1 u , −2 + 21 = −1 und w , −2 − 21 = −1 −3 Im(z) z2 Re(z) u z1 z2 Aufgabe 1.9 Ermitteln Sie in obiger Grafik die komplexe Zahl w = z1 − z2 durch Vektorsubtraktion! Aufgabe 1.10 π Seien z1 = 2 + 3j, z2 = 2 − 4j, z3 = 2ej·π , z4 = 2e−j 4 . Berechnen Sie folgende komplexe Zahlen! Prüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die Ergebnisse grafisch im Zeigerdiagramm ermitteln! a) u1 = z1 + z2 b) u2 = z1 − z3 c) u3 = z1∗ + z4∗ 1.3.3 Multiplikation Man kann 2 komplexe Zahlen die beide in NF vorliegen, miteinander multiplizieren. Das Ergebnis liegt wieder in NF vor. Man kann aber auch 2 komplexe Zahlen die beide in EF vorliegen, miteinander multiplizieren. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 14 Das Ergebnis liegt dann in EF vor. D.h., die zu multiplizierenden komplexen Zahlen müssen die gleiche Darstellungsform besitzen. 1.3.3.1 Multiplikation in NF Definition 1.9 Seien z1 = a1 + j · b1 , z2 = a2 + j · b2 . Dann ist z1 · z2 = (a1 + jb1 ) · (a2 + jb2 ) = (a1 a2 − b1 b2 ) + j(b1 a2 + a1 b2 ) Beispiel. Sei z1 = 3 + 4j und z2 = 2 − 5j. Dann ist z1 · z2 = (3 + 4j) · (2 − 5j) = 6 + 8j − 15j − 20j 2 = (6 + 20) + j(8 − 15) = 26 − 7j 1.3.3.2 Multiplikation in EF Definition 1.10 Seien z1 = |z1 | · ejϕ1 , z2 = |z2 | · ejϕ2 . Dann ist z1 · z2 = |z1 | · ejϕ1 · |z2 | · ejϕ2 = |z1 ||z2 | · ej(ϕ1 +ϕ2 ) . D.h., die Beträge werden multipliziert und die Winkel addiert. Beispiel. π Sei z1 = 3ej 2 und z2 = 2e−jπ . Dann ist π π π jπ z1 · z2 = 3e 2 · 2e−jπ = 3 · 2ej 2 · e−jπ = 6ej( 2 −π) = 6e−j 2 . Aufgabe 1.11 a) Multiplizieren Sie z1 = −2 + 3j und z2 = 1 + j und stellen Sie das Ergebnis in NF und EF dar! π b) Was bedeutet die Mulltiplikation von z mit ej 4 geometrisch? Was passiert mit z im Zeigerdiagramm? π 2 c) Multiplizieren Sie z1 = 4ej 2 und z2 = 3e−j 3 π ! d) Zeigen Sie dass gilt: z · z ∗ = |z|2 ! e) Multiplizieren Sie z1 = 4ej 1.3.4 2π 3 und z2 = 1 − j! Division Analog zur Multiplikation kann man 2 komplexe Zahlen nur dann dividieren, wenn sie entweder beide in NF oder beide in EF vorliegen. Das Ergebnis liegt im ersten Fall wieder in NF und im 2. Fall in EF vor. 1.3.4.1 Division in NF Liegen die zu dividierenden komplexen Zahlen in NF vor, so gehen wir wie folgt vor. Wir erweitern den komplexen Bruch mit der konjugiert komplexen des Nenners und machen dadurch den Nenner reell. Danach multiplizieren wir den Zähler aus und sortieren die komplexe Zahl nach Real- und Imaginärteil. Das Ergebnis liegt dann in NF vor. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 15 Betrachten wir dazu ein Beispiel. Beispiel z = 1−2j 3+4j (1−2j)·(3−4j) (3+4j)·(3−4j) =erweitern = (1−2j)·(3−4j) 32 +42 = −5−10j 25 = − 15 − 25 j Aufgabe 1.12 a) Berechnen Sie −2+3j 1+j ! b) Berechnen Sie 1j ! c) Berechnen Sie 1.3.4.2 z z∗ ! Division in EF Definition 1.11 Seien z1 = |z1 | · ejϕ1 , z2 = |z2 | · ejϕ2 . Dann ist z1 z2 = |z1 |·ejϕ1 |z2 |·ejϕ2 = |z1 | |z2 | · ej(ϕ1 −ϕ2 ) . D.h., die Beträge werden dividiert und die Winkel subtrahiert. Beispiel. π Sei z1 = π3ej 2 und zπ2 = 2e−jπ . Dann ist z1 3ej 2 3 ej 2 3 j( π 3 j 3π 2 +π) = 2 . z2 = 2e−jπ = 2 · e−jπ = 2 e 2e Aufgabe 1.13 a) Berechnen Sie z = und EF dar! z1 z2 mit z1 = −2 + 3j und z2 = 1 + j und stellen Sie das Ergebnis z in NF b) Was bedeutet die Division von z durch ej gramm? pi 4 geometrisch? Was passiert mit z im Zeigerdia- π 2 c) Berechnen Sie z = z1 z2 mit z1 = 4ej 2 und z2 = 3e−j 3 π ! d) Berechnen Sie z = z1 z2 mit z1 = 4ej 2π 3 und z2 = 1 − j! Aufgabe 1.14 Weisen Sie folgende Rechengesetze für die Division nach! 1 j = −j ∗ ∗ z b) zz21 = z1∗ 2 1| c) zz12 = |z |z2 | a) Kapitel 1 Komplexe Zahlen 1.4 16 Erweiterte arithmetische Operationen: Wurzelziehen, Logarithmieren Potenzieren, Definition 1.12 Wir betrachten die Gleichung z n = a, z ∈ C, a ∈ C, n ∈ Q Sind 2 der 3 Größen z, n, a gegeben, so können wir aus dieser Gleichung die dritte Größe berechnen. Je nachdem, welche der 3 Größen zu berechen ist, sprechen wir vom Potenzieren, Wurzelziehen oder Logarithmieren. Ges.: a = z n , √ • Wurzelziehen: Geg.: n, a, Ges.: z = n a, • Potenzieren: Geg.: z, n, • Logarithmieren: Geg.: z, a, Ges.: n = logz (a). Alle drei Operationen werden im komplexen nur in EF durchgeführt. 1.4.1 Das Potenzieren Definition 1.13 Sei z = |z| ejϕ . Dann ist z n = |z| ejϕ n n = |z| · ejnϕ Aufgabe 1.15 Berechnen Sie π 4 a) ej 4 und geben Sie das Ergebnis in EF und NF an! π 6 b) 2e−j 2 und geben Sie das Ergebnis in EF und NF an! 1.4.2 Der natürliche Logarithmus Sei z = |z| ejϕ . Wir wollen den natürlichen Logarithmus ln(z) berechnen. Dieser ist für komplexes z nicht eindeutig. Um alle Werte für ln(z) zu finden, stellen wir z in der allgemeinen EF dar: z = |z| ejϕ = |z| ej(ϕ+k·2π) , k ∈ Z Daraus folgt in Anwendung des Logarithmengesetzes ln(a · b) = ln(a) + ln(b): ln(z) = ln |z| ej(ϕ+k·2π) = ln (|z|) + ln ej(ϕ+k·2π) = ln (|z|) + j (ϕ + k · 2π) , k ∈ Z Satz 1.4 Sei z = |z| ejϕ . Dann sind alle Lösungen n der Gleichung en = z, n ∈ C (e = Eulersche Zahl) gegeben durch n = ln(z) = ln(|z|) + j(ϕ + k · 2π), k ∈ Z Für k=0 erhalten wir die sogenannte Hauptlösung: ln(z) = ln(|z|) + jϕ. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 17 Abbildung 1.2: Grafische Darstellung aller Lösungen n = ln(z) der Gleichung en = z Aufgabe 1.16 Berechnen Sie ln(z) und stellen Sie die Ergebnisse grafisch dar! π a) z = 2ej 3 b) z = 1 + j 1.4.3 Wurzel-Ziehen Suchen wir für ein gegebenes n ∈ N und eine gegebene komplexe Zahl a ∈ C die Lösung √ z ∈ C der Gleichung z n = a, so sprechen wir vom Wurzelziehen; wir schreiben für die Lösung n a. Die Aufgabenstellung lautet dann: a) Geben Sie alle Lösungen z ∈ C von z n = a an! oder äquivalent dazu: √ b) Berechnen Sie n a! Die Lösung z der Gleichung z n = a ist nicht eindeutig, wir werden sehen, dass es genau n verschiedene Lösungen gibt. Um alle Lösungen zu finden, stellen wir a zunächst wieder in der allgemeinen EF dar: a = |a|ej(ϕa +k·2π) , k ∈ Z. Allgemeines Vorgehen beim Wurzelziehen: Kapitel 1 Komplexe Zahlen ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ zn (|z|ej·ϕ )n |z|n · ej·nϕ |z|n =p |a| und |z| = n |a| und 18 = a = |a|ej(ϕa +k·2π) = |a|ej(ϕa +k·2π) nϕ = ϕa + k · 2π ϕ = ϕna + nk · 2π Darstellen von z in EF und a in erw. EF z n in EF darstellen Beträge und Winkel müssen gleich sein |z| und ϕ berechnen Die Lösungen z sind also: zk = |z|ej·ϕk mit |z| = p n |a| und ϕk = ϕa n + k n · 2π, k ∈ Z. Die Lösungen haben also alle die gleiche Länge. Die Winkel zweier benachbarter Lösungen zk und zk+1 unerscheiden sich um 2π n . ϕ0 ϕ1 ϕ2 .. . = = = ϕn−1 ϕn ϕn+1 .. . = = = ϕa n ϕa n ϕa n + + 1 n 2 n ϕa n ϕa n ϕa n + + + n−1 n · 2π n n · 2π , n+1 n · 2π .. . .. . · 2π · 2π ϕ0 , ϕ1 Satz 1.5 Die Gleichung z n = a hat genau n verschiedene komplexe Lösungen: p zk = |z|ej·ϕk mit |z| = n |a| und ϕk = ϕna + nk · 2π, k = 0, · · · n − 1. Die komplexen Lösungszeigerp zk , k = 0, · · · , n − 1 liegen mit der Zeigerspitze auf dem Kreisbogen des Kreises mit dem Radius n |a| und bilden ein regelmäßiges n-Eck. Abbildung 1.3: Grafische Darstellung aller Lösungen z der Gleichung z n = a Beispiel: √ Gesucht sind alle Lösungen von z 3 = 2 − 2j bzw. die Wurzel 3 2 − 2j! Lösung: √ π Wir berechnen die EF von a = 2 − 2j. Es ist 2 − 2j = 8e−j 4 . Kapitel 1 Komplexe Zahlen 19 Damit erhalten wir: ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ für k z3 (|z|ej·ϕ )3 |z|3 · ej·3ϕ √ |z|3 =√ 8 und |z| = 6 8 und = 0, 1, 2. = √ 2 − 2j π = √8ej(− 4 +k·2π) π = 8ej(− 4 +k·2π) 3ϕ = − π4 + k · 2π π ϕ = − 12 + k3 · 2π Darstellen von z in EF und a in erw. EF z n in EF darstellen Beträge und Winkel müssen gleich sein |z| und ϕ berechnen Wir erhalten die 3 Lösungen: ◦ √ √ π z0 = 6 8e−j 12 = 6 8e−j·15 ◦ √ √ π 1 z1 = 6 8e−j( 12 − 3 ·2π) = 6 8ej·105◦ √ √ π 2 z2 = 6 8e−j( 12 − 3 ·2π) = 6 8ej·225 Abbildung 1.4: Grafische Darstellung aller Lösungen z der Gleichung z 3 = 2 − 2j Aufgabe 1.17 Berechnen Sie a) z 3 = j √ b) 4 1 + j und stellen Sie die Lösungen grafisch dar! 1.5 1.5.1 Anwendung komplexer Zahlen Linearfaktorzerlegung (LFZ) von Polynomen Wir betrachten Polynome Pn (x) der Ordnung n, d.h. Funktionen der Gestalt: Pn (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 , ai ∈ Q, x ∈ C. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 20 Beispiele: Polynom 2.Ordnung (Parabel) n=2: P (x) = 2x2 + 4x + 2. Polynom 4. Ordnung n=4: P (x) = x4 + 3x3 − x − 7. Satz 1.6 : (Hauptsatz der linearen Algebra) Sei Pn (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 , ai ∈ Q, x ∈ C. ein Polynom n.ter Ordnung. Dann gilt: 1. Pn (x) hat genau n komplexe Nullstellen. 2. Pn (x) hat höchstens n reelle Nullstellen. 3. Ist xv = αv + jβv , βv 6= 0 eine komplexe Nullstelle von Pn (x), dann ist auch die konjugiert komplexe x∗v = αv − jβv Nullstelle von Pn (x). D.h. komplexe Nullstellen treten immer paarweise als Paar konjugiert komplexer Nullstellen (xv , x∗v ) auf. 4. Ist xv Nullstelle von Pn (x), so heißt (x − xv ) Linearfaktor (LF) von Pn (x). Es gilt: Pn (x) = (x − xv ) · Pn−1 (x), wobei Pn−1 (x) ein Polynom n-1-ter Ordnung ist. D.h., wir können von Pn (x) den LF (x − xv ) abspalten. 5. Seien x1 , ..., xn die n komplexen Nullstellen von Pn (x). Dann gilt: Pn (x) = an (x − x1 )(x − x2 ) · ... · (x − xn ) (Linearfaktorzerlegung (LFZ) von Pn (x).) Aufgabe 1.18 Welche Nullstellenkombinationen sind für das Polynom P (x) = 3x3 − 8x2 + 4x + 15 nicht möglich? a) 3 relle Nullstellen b) 3 komplexe Nullstellen c) 2 reelle und eine komplexe Nullstelle d) 1 reelle und 2 komplexe Nullstellen Begründen Sie Ihre Angaben! Beispiel: Bestimmen Sie die LFZ von P4 (x) = 2x4 + 4x3 + 2x2 + 16x − 24! Lösung: Dieses Polynom hat genau 4 Nullstellen, entweder 4 reelle oder 2 reelle und ein Paar konjugiert komplexer Nullstellen oder 2 Paare konjugiert komplexer Nullstellen. Um diese zu bestimmen gehen wir wie folgt vor: 1. Wir raten die erste Nullstelle. Dabei verwenden wir folgenden Satz. Satz 1.7 Hat P (x) = an xn + · · · + a1 x + a0 eine ganzzahlige Nullstelle, so ist sie Teiler von a0 . Kapitel 1 Komplexe Zahlen 21 In unserem Beispiel ist a0 = −24. D.h., wir probieren alle Teiler von a0 = −24 durch, das sind {1, 2, 3, 4, 6, 8, 12, 24, −1, −2, −3, −4, −6, −8, −12, −24} . Wir erhalten als eine erste Nullstelle von P4 (x) den Wert x0 = 1. 2. Wir spalten den Linearfaktor (x − x0 ) von P4 (x) ab. Das geschieht durch Polynomdivision P4 (x)/(x − x0 ) oder durch Anwendung des Hornerschemas. Das Hornerschema kann man zum Berechnen des Funktionswertes Pn (x) für vorgegebenes x oder zur Abspaltung von LF verwenden. x an 0 bn an−1 cn−1 bn−1 an−2 cn−2 bn−2 ··· ··· ··· a1 c1 b1 a0 c0 Pn (x) Dabei ist bj = aj + cj und cj−1 = bj · x, j = n, n − 1, · · · 1. Ist x = x0 eine Nullstelle, so steht in der rechten unteren Ecke der Tabelle Pn (x) = 0 und die Werte bn , bn−1 , bn−2 , · · · , b1 in der letzten Zeile der Tabelle sind die Koeffizienten des reduzierten Polynoms Pn−1 (x), d.h. es ist: Pn (x) = (x − x0 ) · (bn xn−1 + bn−1 xn−2 + ... + b2 x + b1 ). Wir wenden das Hornerschema auf unser Beispiel für die Nullstelle x0 = 1 an: x1 = 1 2 0 2 4 2 6 2 6 8 16 8 24 -24 24 0 Das reduzierte Polynom ist also P3 (x) = 2x3 + 6x2 + 8x + 24 und es gilt: P4 (x) = P3 (x) · (x − x0 ) = (x − 1) 2x3 + 6x2 + 8x + 24 . 3. Bestimmung der Nullstellen des reduzierten Polynoms P3 (x) = 2x3 + 6x2 + 8x + 24. Wir erhalten durch Einsetzen (raten) eines Wertes aus der Menge der Zahlen {1, 2, 3, 4, 6, 8, 12, 24, −1, −2, −3, −4, −6, −8, −12, −24} (ganzzahlige Teiler von 24) die Nullstelle x1 = −3. Wir wenden nun wieder das Hornerschema an, um den LF (x-(-3)) abzuspalten und erhalten: 2 6 8 24 x2 = −3 -6 0 -24 2 0 8 0 Ds heißt es ist P3 (x) = 2x3 +6x2 +8x+24 = (x+3)·(x2 +8) bzw. P4 (x) = (x−1)·(x+3)·(x2 +8). 4. Bestimmung der Nullstellen des reduzierten Polynoms P√2 (x) = x2 + 8. √ Die Lösungen x2 + 8 = 0 sind x2 = +j 8 und x2 = −j 8. Als Ergebnis erhalten wir also folgende LFZ von P4 (x): √ √ P4 (x) = 2x4 + 4x3 + 2x2 + 16x − 24 = (x − 1)(x + 3)(x − j 8)(x + j 8). Kapitel 1 Komplexe Zahlen 22 Als reelle LFZ bezeichnet man: P4 (x) = 2x4 + 4x3 + 2x2 + 16x − 24 = (x − 1)(x + 3)(x2 + 8). Aufgabe 1.19 Zerlegen Sie folgende Polynome in Linearfaktoren! a) P (x) = 3x3 − 4x2 + 1 b) P (x) = 4x6 + 8x3 + 4 1.5.2 Schwingungen als komplexe Zeiger 1.5.2.1 Darstellung von Schwingungen durch sin- und cos-Funktionen Schwingungen werden in der Mathematik i.A. durch die trigonometrische Funktionen Sinus oder Cosinus dargestellt. Die einfachste Form sind Schwingungen der Form y = sin(x) und y = cos(x), x ∈ R. Abbildung 1.5: Die sin(x)-Schwingung Eigenschaften der Funktion y = sin(x): 1. Die Amplitude A ist gleich 1. (D.h.,|sin(x)| ≤ 1). 2. y = sin(x) ist periodisch, die Periode T ist T = 2·π, d.h. es gilt sin(x) = sin(x+k·2π), k ∈ Z. 3. Die Anzahl der Schwingungen im Intervall der Länge 2π wird als Kreisfrequenz ω bezeichnet. Diese Anzahl ist ω = 2π T = 1. 4. Die Frequenz f einer Schwingung ist gleich f = einem Intervall der Länge T stattfindet. 1 T und bedeutet, dass 1 Schwingung in 5. Die y = sin(x)-Funktion ist achsensymmetrisch, d.h. es gilt: sin(x) = −sin(−x). Kapitel 1 Komplexe Zahlen 23 Aufgabe 1.20 a) Skizzieren Sie die Funktion y = cos(x)! b) Welche Amplitude, Periode, Kreisfrequenz und Frequenz besitzt y = cos(x)? c) Welche Symmetrieeigenschaft besitzt y = cos(x)? Satz 1.8 Es gilt: sin(x) = cos(x − π2 ) und cos(x) = sin(x + π2 ) Der Satz besagt, dass eine Schwingung sowohl durch die sinus-Funktion, als auch durch die cosinus-Funktion dargestellt werden kann. Schwingungen starten nicht immer im Koordinatenursprung. Die allgemeine Form einer Schwingung ist y = A · sin(ω · x + ϕ) oder y = A · sin(ω · x + ϕ) Abbildung 1.6: Schwingungen y1 = A · sin(ω · x + ϕ) und y2 = A · sin(ω · x + ϕ) Eigenschaften der Schwingungen y1 (x) = A · sin(ω · x + ϕ) und y2 (x) = A · cos(ω · x + ϕ). 1. Amplitude= A (D.h.,|sin(x)| ≤ A). 2. Kreisfrequenz = ω. 3. Periode T = 2·π ω 4. Frequenz f = 1 T bzw. ω = = 2π T . ω 2π . 5. Phase = ϕ. D.h. die sinus-Schwingung y1 (x) startet im Punkt x0 = die cosinus-Schwingung y2 (x) startet im Punkt x0 mit y2 (x0 ) = 1. −ϕ ω mit y1 (x0 ) = 0 und 6. Symmetrieeigenschaft (achsen- oder punktsymmetrisch) muss nicht erfüllt sein. Aufgabe 1.21 Worin besteht der einzige Unterschied beim Zeichnen von y1 = A · sin(ω · x + ϕ) im Gegensatz zum Zeichnen von y2 = A · cos(ω · x + ϕ) Kapitel 1 Komplexe Zahlen 24 Beispiel: Skizzieren Sie y(t) = 2sin 3t − Π 2 ! Lösung: A = 2 , ϕ = − Π2 , ω = 3. Amplitude: 2 Start: 3t − Π2 = 0 ⇒ t = Π6 2 4 Periode: T = 2Π ω = 3Π = 6Π Abbildung 1.7: Skizze Aufgabe 1.22 a) Skizzieren Sie die Funktion y1 (x) = 3sin(2 · x + π4 )! b) Welche Amplitude, Kreisfrequenz, Periode, Frequenz und Phase besitzt y1 (x)? c) Skizzieren Sie die Funktion y2 (x) = 3cos(2 · x + π4 )! Wir können uns auf die Darstellung einer Schwingung durch die Sinus-Funktion beschränken, weil jeder cosinus durch einen sinus dargestellt werden kann, wie folgender Satz beagt. Satz 1.9 Es gilt: A · sin(ω · x + ϕ) = A · cos(ω · x + ϕ − π2 ) A·cos(ω · x + ϕ) = A · sin(ω · x + ϕ + π2 ) Aufgabe 1.23 Wie lautet die Gleichung der Funktion y(x) = 2 · cos(2 · x − A · sin(ω · x + ϕ)? π 4) in der Darstellung y1 (x) = Kapitel 1 Komplexe Zahlen 25 Aufgabe 1.24 Folgender Graf zeigt eine Schwingung. a) Wie lautet die sinus- Funktionsgleichung? D.h. wie groß sind A, ω und φ in der Schwingungsgleichung y = A · sin(ω · x + ϕ)? b) Wie lautet die cosinus- Funktionsgleichung? D.h. wie groß sind A, ω und φ in der Schwingungsgleichung y = A · cos(ω · x + ϕ)? Bemerkung Wir haben hier nur Schwingungen betrachtet, deren Amplitude A konstant ist. Man bezeichnet solche Schwingungen als harmonische Schwingungen. Ändert sich die Amplitude bei Änderung von x, d.h. A = A(x), so handelt es sich nicht mehr um eine harmonische Schwingung. Typische Beispiele sind die sogenannten gedämpften Schwingungen oder die verstärkten Schwingungen. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 26 Abbildung 1.8: Harmonische und gedämpfte Schwingungen Aufgabe 1.25 Durch welche Amplitudenfunktion A = A(x) kann man eine harmonische Schwingung y = Asin(ωx + ϕ) dämpfen? Wie kann man sie verstärken? Aufgabe 1.1 Lösen Sie folgende Aufgaben zu Schwingungen in MathCoach! a) Zeichne die Sinus-Funktion! b) Welche Grafik gehört zur Funktionsgleichung? c) Wie lautet die Funktionsgleichung zur Grafik? 1.5.2.2 Darstellung von harmonischen Schwingungen als komplexe Zeiger Die Sinus-Transformation Eine Schwingung der Form y(t) = A · sin(ωt + ϕ) an der Stelle t kann man als Imaginärteil der komplexen Zahl y(t) = A·ej(ωt+ϕ) = A(cos(ωt+ϕ)+j ·sin(ωt+ϕ) auffassen, es ist y(t) = Im(y(t)). Definition 1.14 Die Zuordnung reell komplex y(t) = A · sin(ωt + ϕ) ⇔ y(t) = A · ej(ωt+ϕ) = A(cos(ωt + ϕ) + j · sin(ωt + ϕ)) heißt Sinustransformation. Es ist y(t) = Im(y(t)). y(t) = A · ej(ωt+ϕ) = A · ejϕ · ejωt heißt komplexe Schwingung. y(0) = A · ejϕ heißt komplexe Amplitude bzw. komplexer Scheitelwert der Schwingung y(t). Folgende Grafik zeigt ein- und dieselbe Schwingung in reeller und in komplexer Darstellung. Kapitel 1 Komplexe Zahlen 27 Abbildung 1.9: Schwingung in reeller Form und in komplexer Form Aufgabe 1.26 Vervollständigen Sie die folgende Tabelle! Abbildung 1.10: Formeln und Graf von Schwingungen in reeller Form und in komplexer Form 1.5.2.3 Überlagerung (Addition, Superposition) gleichfrequenter Schwingungen Satz 1.10 Seien Kapitel 1 Komplexe Zahlen 28 y1 (t) = A1 · sin(ωt + ϕ1 ) und y2 (t) = A2 ∗ sin(ωt + ϕ2 ) zwei gleichfrequente harmonische Schwingungen. Dann gilt: y(t) = y1 (t) + y2 (t) = A · sin(ωt + ϕ), d.h., die Summe (Überlagerung, Superposition) zweier gleichfrequenter harmonischer Schwingungen ist wieder eine harmonische Schwingung der gleichen Frequenz. Wir betrachten nun folgende Aufgabe: Gegeben: y1 (t) = A1 ∗ sin(ωt + ϕ1 ) und y2 (t) = A2 ∗ sin(ωt + ϕ2 ). Gesucht: y(t) = y1 (t) + y2 (t) = A · sin(ωt + ϕ), d.h., gesucht sind A und ϕ. Lösung: Diese Aufgabe lässt sich bequem lösen, indem wir die Schwingungen als komplexe Zeiger darstellen. Der Lösungsweg ist der folgende: 1. Komplexe Darstellung der Schwingungen y1 (t) und y2 (t). y1 (t) ⇒ y1 (t) = A1 · ejϕ1 · ejωt = y1 (0) · ejωt y2 (t) ⇒ y2 (t) = A2 · ejϕ2 · ejωt = y2 (0) · ejωt 2. Addition der komplexen Schwingungen, d.h. Addition der beiden komplexen Scheitelwerte y(t) = y1 (t) + y2 (t) = y1 (0) + y2 (0) · ejωt = A1 ejϕ1 + A2 ejϕ2 ejωt Wir addieren nun die beiden komplexen Amplituden wie folgt: • y1 (0) = A1 ejϕ1 und y2 (0) = A2 ejϕ2 in NF darstellen. • und addieren. Graphisch entspricht das der Addition der beiden Vektoren y1 (0) und y2 (0). Das Resultat liegt in NF vor. • Das Ergebnis der Addition transformieren wir nun in EF! Es ist dann y1 (0) + y2 (0) = A1 ejϕ1 + A2 ejϕ2 = A · ejϕ 3. Die überlagerte Schwingung ist dann y(t) = y1 (0) + y2 (0) · ejωt = A · ejϕ · ejωt = A · ej·(ωt+ϕ) . Diese transformieren wir über die Sinustransformation zurück, es ist y(t) = y1 (t) + y2 (t) = Im(y(t)) = A · sin(ωt + ϕ) Kapitel 1 Komplexe Zahlen Hausaufgabe 1 : Übungsblatt 29 Literaturverzeichnis [Pap01] L.Papula. Mathematik für Ingenieure. schweig/Wiesbaden, Band 2, 2010. 30 Friedr. Vieweg und Sohn, Braun-