Leseprobe - bei Cremisan

Werbung
Teil 1
Willkommen in der Heiligen Stadt
Al Quds, so nennen die arabisch sprechenden Menschen in Israel und in den
anderen Ländern des Nahen Ostens Jerusalem. „Die Heilige“ meint die
Übersetzung.
Al Quds ist für alle drei monotheistischen Religionen von ausschlaggebender
Bedeutung. Dem Judentum ist sie die religiöse Zentrale schlechthin, in der der
Tempel stand, und für streng Religiöse, auch wieder stehen soll. Für Christen
hat sich in und um diese Stadt Tod und Auferweckung Jesu Christi vollzogen,
das Grundmoment des Christentums überhaupt. Im Islam rangiert Al Quds,
nach Mekka und Medina an dritter Stelle der Heiligen Stätten und ist der Ort
an dem der Gesandte Muhammad seine Himmelsreise angetreten hat.
Nicht alles, was in Al Quds geschah und geschieht, war oder ist heilig.
Dennoch ist diese Stadt – und hier vor allem die Altstadt – eine Stadt mit
außergewöhnlichem Charakter, mit großem Charme und einer durchaus
Ehrfurcht einflößenden Stimmung.
Dieses Buch richtet sich an die, die gerne ohne großen Reiseführer, auf eigene
Faust, einen Gang durch und um die Stadt unternehmen möchten und die
nicht nur lesen wollen über Jahreszahlen und Baugeschichte, sondern auch
Interesse haben an der einen oder anderen Geschichte des Lebens, die mit
manchen Stationen in dieser Stadt verknüpft werden kann.
Es richtet sich aber auch an die, die schon in Al Quds / Jerusalem unterwegs
waren und die noch einmal in ihren Gedanken, die eine oder andere Stelle
besuchen möchten, Träumen und Erinnerungen nachhängen und sich noch
einmal einnehmen lassen möchten, von dieser Stadt der Städte.
6
So ist dieses Büchlein ein Stadtplan in Textform mit Einfügungen aus
Religionswissenschaft, Theologie und Geschichte.
Der Umgang damit ist so gedacht, dass man mit dem Büchlein in der Hand
unterwegs ist, da und dort anhält, liest und schaut und vielleicht noch einmal
liest. Oder zuhause die Augen schließt und noch einmal alles lebendig werden
lässt, was dieses Büchlein an Erinnerungen provoziert.
Ich selbst bin diese Wege in der Altstadt und um sie herum schon oft
gegangen, auch in Zeiten, in denen es nicht immer angenehm war, dort zu
gehen. Viele der Menschen, die in den Gassen leben und arbeiten, habe ich
kennen gelernt – die allermeisten davon auch schätzen. Es ist nicht einfach in
Al Quds zu leben. Christen, Muslime und Juden auf sehr engem Raum.
Touristen, die die Gassen verstopfen, Soldaten, bis an die Zähne bewaffnet,
Müllfahrer mit Minitraktoren und die Zulieferer zu den Händlern mit
Handwagen, oft so hoch getürmt, dass weder Weg noch Passanten gesehen
werden können. Hektik in den Gassen und zugleich betende Menschen auf
der Via Dolorosa, Geschäfte machen und einfach mal in Ruhe einen Kaffee
trinken – all das prägt das Leben in den engen Gassen der uralten Stadt.
Und dennoch zieht es mich immer wieder magisch an. Vielleicht werden auch
Sie angezogen von Jerusalem, zum ersten Mal und zum x-ten Mal.
In der ersten Auflage erschien diese Wanderung durch und um die Altstadt in
zwei Bänden; nun zur Neuauflage bot es sich an, nicht nur zu überarbeiten
und zu erweitern, sondern auch in einem Band zusammen zu fassen.
Ich wünsche Ihnen eine schöne Lesezeit hier auf Ihrem Weg durch die Heilige
Stadt.
Juli 2012
Georg Dittrich
7
8
Zum Einlesen: Kurzgefasste Geschichte Al Quds
Funde von Keramik aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. belegen eine sehr frühe
Besiedelung dieses Ortes. Schriftliche Quellen gibt es aber erst ab dem 18.
Jahrhundert v. Chr., als hier erstmals eine befestigte Stadt existierte. Bis zum
Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. übte Ägypten hier, wie in der gesamten
Levante, die Oberherrschaft aus.
In ägyptischen Ächtungstexten1 jener Zeit taucht der Name der Stadt
erstmalig auf als Urušalimum, was übersetzt bedeutet „Stadt des Gottes
Šalim2“. Diese westsemitische Gottheit wurde nicht nur hier, sondern nahezu
in der gesamten Region verehrt. Um 1000 v. Chr. eroberte König David die
Stadt von den Jebusitern3, einer kanaanäischen Volksgruppe, machte sie zu
seiner Hauptstadt4 und überführte die Bundeslade dorthin. Die Stadt stellte
das Machtzentrum der sogenannten „zwölf Stämme Israels 5“ dar.
David befestigte die Stadt, baute einen befestigten Palast in ihrem
nordöstlichen Teil und errichtete ein erstes Heiligtum. Er besiegte in
mehreren militärischen Auseinandersetzungen benachbarte Völker und
1
2
Als Ächtungstexte bezeichnet man Beschriftungen auf altägyptischen Tongefäßen
und Tonfiguren, die teils mit einzelnen, teils mit zu Listen zusammengefassten
Namen verfeindeter Personen, Städte und Länder beschriftet wurden, um diese
rituell zu entmachten. Wahrscheinlich steckt hinter dieser magischen Praxis die
ebenfalls sehr alte Vorstellung, dass die Verfügbarkeit über den Namen des
Gegenüber Macht verleiht. Wer eines anderen Namen kennt, kann diesen
"benutzen" - auch zu dessen Glück und Unglück. Auch die Benennung der Tiere
und anderen Geschöpfe in der Bibel durch den Menschen geht wohl auf diese
Vorstellung zurück. Die ägyptischen Ächtungstexte stammen aus dem Alten und
Mittleren Reich, einzelne auch aus der Zeit danach. Unklar ist, in wessen Auftrag
die Ächtungstexte hergestellt wurden. Da es sich jedoch um Texte, die gegen
Feinde gerichtet sind handelt, dürften hauptsächlich Militärs in Frage kommen.
Šalim ist ein ugaritischer Gestirns-Gott und ist wahrscheinlich sehr früh bereits von
der Küste in das Bergland Judäas mit eingewandert. Eventuell auf dem
9
Königreiche (Moabiter, Ammoniter, Edomiter, Aramäer, Philister) und machte
Jerusalem
damit
zu
einem
überregionalen
Zentrum.
Dieser
Bedeutungszuwachs war wichtig, denn verkehrstechnisch gesehen lag
Jerusalem in einem „toten Winkel“; nur Straßen regionaler Bedeutung
führten nach bzw. durch Jerusalem. Die internationalen Nord-SüdVerkehrsverbindungen
verliefen
einerseits
entlang
der
Küste
des
Mittelmeeres, andererseits auf der jordanischen Hochebene (Königsstraße),
berührten Jerusalem also nicht. Auch internationale Ost-West-Verbindungen
verliefen einerseits weiter nördlich (z.B. durch die Ebene Jesreël),
andererseits weiter südlich (nach Gaza).
Salomon dann, erweiterte die Stadt nach Norden hin, baute einen neuen
Palast (Libanonwaldhaus) und den ersten Tempel. Glaube, Theologie und Kult
waren zu dieser Zeit – bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. – von starken
kanaanäischen Einflüssen bestimmt.
Jerusalem war zwar klein und provinziell, aber dennoch eine multikulturelle
Stadt, denn der salomonische Hof hatte gute Verbindungen zu den
3
Hintergrund von Handelsbeziehungen. Die ugaritische Überlieferung berichtet im
"Mythos der freundlichen und schönen Götter", dass Šalim zusammen mit seinem
Bruder Šahar durch den Obergott El gezeugt wurde als dieser von zwei Göttinnen
am Ufer des Meeres überrascht und verführt wurde. Die Legende berichtet von
einem Aufwachsen in der Wüste. Möglicherweise spiegelt der Mythos die
Vermengung einer Seefahrergottheit mit einer Wüsten- und Berggottheit wieder.
Die Jebusiter waren zur Zeit der Landnahme der Israeliten auf dem Gebirge Juda
neben weiteren kanaanäischen Stämmen, den Chetitern und Amoritern ansässig.
Sie sollen von Josua in einer Feldschlacht mit den anderen Stämmen bekämpft
worden sein, behaupteten sich aber in der festen Stadt Jebus noch im Zeitalter der
Richter. Erst David eroberte die Stadt nebst der Burg, und die letzten Reste der
Jebusiter machte Salomo tributpflichtig. Die Wissenschaft weiß weder durch
archäologische noch durch außerbiblische Zeugnisse Näheres über dieses Volk. Die
Bewohner Jerusalems beherrschten wohl das Bergland, das von halbnomadischen
10
umliegenden Königreichen. Die Einwohnerzahl der Stadt des 10. Jahrhunderts
wird auf zirka 5000 geschätzt.
Nach der Reichsteilung (931 v. Chr.) blieb Jerusalem die Hauptstadt des
Südreichs, ihr internationaler Rang ging aber verloren. Nach dem Zeugnis der
beiden
Königsbücher
war
diese
Zeit
von
vielfachen
kriegerischen
Auseinandersetzungen mit Nachbarn und mit den Dynastien des Nordreichs
Israel ebenso geprägt wie von internen, religiös motivierten Differenzen
sowie wachsenden sozialen Spannungen aufgrund einer immer größer
werdenden Kluft zwischen arm und reich.
Im Unterschied zum Nordreich, wo die herrschenden Familien immer wieder
wechselten, regierten in Jerusalem bis zum Untergang des Südreichs Juda 23
Könige aus der Dynastie Davids, was der Stadt bei allen politischen und
religiösen Turbulenzen einen gewissen Grad der Kontinuität und Stabilität
gab.
Nach dem Untergang des Nordreichs, verursacht durch die Assyrer im Jahr
722 v. Chr., und der daraus folgenden Ansiedlung vieler jüdischer Flüchtlinge
in Juda und besonders in Jerusalem wurde in der Zeit des Königs Hiskija eine
4
vagabundierenden und marodierenden Banden, in den ägyptischen Texten Apiru
(möglicherweise die Hebräer) genannt, besiedelt und in der Zeit Davids durch etwa
20 feste eisenzeitliche Siedlungen ergänzt wurde. Sie machten unter dem Schutz
Jerusalems die reicheren Städte der Ebene mit ihren Raubzügen unsicher. Ein
solches Bild zeichnet auch noch das Josua-Buch für die Gruppe um David und die
Jebusiter vor der Eroberung Jerusalems. David wurde danach als gelegentlicher
Beschützer zu ihrem Oberhaupt und Beherrscher. Es ist also möglich, dass es sich
bei ihnen um schon länger ansässige Bevölkerungsgruppen in Jerusalem und dem
südlichen Bergland handelte. Als Einzelperson wird der Jebusiter Arauna genannt,
dessen Name auf eine hetitische Herkunft schließen lässt (2 Sam 24,16.18; 1 Chr
21,15.18.28; 2 Chr 3,1).
Es ist durchaus vorstellbar, dass David diese Wahl traf, um so einen strategisch
geschickten „neutralen“ Ort zu wählen, der weder zum historischen
Stammesgebiet der Nordstämme, noch zu den klassischen Regionen der
11
Stadterweiterung nötig. Nach den maximalen Schätzungen wuchs die
Bevölkerung in dieser Zeit auf ca. 60.000 Menschen an, was für die damalige
Zeit eine unvorstellbar große Zahl war.
Da die assyrische Bedrohung auch für Jerusalem tragend wurde, erfolgte
gleichzeitig auch ein starker Befestigungsausbau. Für die Regentschaft Hiskijas
waren aber auch andere einschneidende Maßnahmen kennzeichnend, so eine
umfassende Heeresreform, die ebenfalls auf den assyrischen Druck
zurückzuführen ist, aber auch eine tiefgreifende Kultreform, bei der
Kulthöhen abgeschafft, Mazzeben (= Steinmale, die eine lange Tradition in der
mesopotamisch/ kanaanäischen Kultur haben) und Ascheren (= Symbole einer
weiblichen Gottheit neben JHWH) zerstört wurden. Vielen ist es heute, auf
dem Hintergrund des jüdischen Eingottglaubens schwer nachvollziehbar, wie
„bunt“ die religiöse Welt im alten Israel noch für lange Zeit war.
Damit war dann aller Kult auf den JHWH-Kult reduziert und die Stellung des
Jerusalemer Tempels als alleiniges Zentralheiligtum fest etabliert. Neben
diesen kultischen Reformen waren aber auch die sozialen Reformen König
5
Südstämme gehörte.
In den zwölf Söhnen des Stammvaters Jakob (Gen 35,22), der nach seinem Kampf
am Jabbok (Gen 32) auch Israel (= Gottesstreiter) heißt, sieht das biblische Volk
Israel seine Vorfahren und legt Wert darauf, dass sie eine geschichtlich erfahrbare
Lebenseinheit bilden: Allen zwölf Söhnen kommt ein je eigener Segen durch
Jakob/ Israel zu (Gen 49). Sie sind die strukturbildende Größe in der ExodusErzählung (vgl. Num 1 als Aufzählung der Stämme und ihrer Führer), ihre Zwölfzahl
repräsentiert das Volk Israel auf dem Sinai als Bundespartner Gottes (Ex 24,3 f).
Die Zwölfzahl der Stämme orientiert sich dabei weniger an einer historisch
greifbaren Vorgabe, da der Geschichtsentwurf der biblischen Erzählung vorrangig
als erinnerte Geschichte zur Sicherung der eigenen Identität zu lesen ist. Sie ist
erkennbar geprägt von der Zahl Zwölf, die sich im antiken Vorderen Orient durch
die Zahl der Sternbilder und Monate als vollkommene Zahl ausgeprägt hatte (vgl.
Gen 17,20). Eine Ausnahme gibt es allerdings: Die zehn Stämme, die das Nordreich
12
Herunterladen