Vektorübertragene Krankheiten, ein zunehmendes Problem?

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TA G U N G S B E R I C H T
Tierärztl. Umschau 65, 347 – 349 (2010)
Vektorübertragene Krankheiten –
ein zunehmendes Problem?
Fortbildungsveranstaltung des FLI-Fördervereins zu BTV,
Zecken übertragenen Krankheiten und West-Nil-Fieber
Am 1. Juni fand die 19. Mitgliederversammlung und wissenschaftliche Fortbildungsveranstaltung des Fördervereins des Friedrich-Loeffler-Instituts,
Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI), auf der Insel Riems
statt.
Der Förderverein widmet sich als gemeinnützige Vereinigung insbesondere
der Förderung der satzungsgemäß festgelegten Aufgaben des FLI auf dem
Gebiet der Tiergesundheit.
Die öffentliche Fortbildungsveranstaltung gibt in jedem Jahr Informationen
zu aktuellen Forschungsthemen des
FLI, in diesem Jahr standen drei Vorträge zu vektorübertragenen Krankheiten
auf dem Programm.
Beispiel Blauzungenkrankheit
Dr. Bernd Hoffmann, Leiter des Nationalen Referenzlabors (NRL) für Blauzungenkrankheit des FLI, erläuterte die
Diagnostik und Prophylaxe einer durch
Vektoren übertragenen Tierseuche.
Die Blauzungenkrankheit (Bluetongue
disease) ist eine durch Viren verursachte und von Vektoren übertragene (Culicoides spp.), nicht kontagiöse Erkrankung der Wiederkäuer. Im Sommer
2006 trat sie erstmals in Deutschland
auf, breitete sich 2007 geradezu explosionsartig aus, um 2008 langsam abzuklingen und 2009 auf wenige nachgewiesene Infektionen zurückzugehen.
Der Rückgang der Zahlen 2008 könne
auf bereits durch Infektion immunisierte Tiere und die in diesem Jahr erstmalig durchgeführte Impfung zurückgeführt werden, so Hoffmann. 2009 wurde ebenfalls geimpft, die Anzahl der
Neuinfektionen blieb erwartungsgemäß gering.
Herausforderung für die Diagnostik
Das Auftreten von BTV-8 stellte die
Diagnostik zunächst vor die Herausforderung, adäquate Nachweismethoden
bereitzustellen, da derzeit mindestens
24 BTV-Serotypen bekannt sind.
Mittlerweile stehen zum Nachweis von
Antikörpern drei zugelassene cELISA
und ein indirekter Milch-ELISA sowie
zwei Doppel-Antigen-ELISA zum sensitiven Nachweis von Impfantikörpern
zur Verfügung. Am NRL wurde zudem
der Serumneutralisationstest für BTV8, BTV-6 und BTV-1 etabliert, alle anderen Serotypen sollen folgen.
Außerdem kommen drei direkte Nachweisverfahren in Frage:
Als erstes die Virusisolierung über verschiedene Methoden wie Ei-Anzucht
(intravenöse Inokulation im embryonierten Hühnerei), Zellkultur (Direktanzucht mittels boviner Aortenendothel-, Vero- und BHK-Zellen) und Virusvermehrung im Rind bzw. Schaf
(durch intravenöse und subkutane Inokulation von bis zu 50 ml gewaschenem und geschalltem EDTA-Blut). Zusätzlich wurde ein ähnliches Verfahren
mit immundefizienten Mäusen etabliert, die sich als hoch-empfänglich
für BTV gezeigt haben.
Zweitens geeignet zeigte sich die indirekte Immunfluoreszenz mittels polyklonaler und monoklonaler Antikörper.
Zu monoklonalen Antikörpern sind
weitere Charakterisierungen geplant.
Als dritte Methode wurden vom NRL
verschiedene real-time-PCR (RT-PCR)
entwickelt. Neben konventionellen RTPCR Systemen, die vor allem zur Serotypisierung genutzt werden, stehen verschiedene RT-PCR Assays zur Verfügung
(Pan-BTV-S5,
BTV8-VP2,
BTV6-VP2, BTV1-VP2, BTV11VP2). Mittlerweile wurden drei BTV
RT-PCR Kits zugelassen, ein vierter
soll in Kürze folgen.
Der das Bluetongue Virus übertragende
Vektor wurde im Rahmen eines Gnitzenmonitorings 2007/2008 untersucht.
Insgesamt 23.500 Gnitzenpools wurden analysiert, 585 davon waren BTVGenom positiv (2,4 %). Die Mehrzahl
der positiven Pools gehörte zum C. obsoletus-Komplex, auf Monate betrachtet lag Oktober 2007 mit 401 positiven
Pools vorn.
Impfung bietet zuverlässigen und langen Schutz
Das FLI unterstützte 2008 das Land
Mecklenburg-Vorpommern bei einer
Studie mit drei inaktivierten BTV-8
Impfstoffen. Die zur Verfügung stehenden Impfstoffe erfüllten die Erwartungen bezüglich Unschädlichkeit, und
Tiere mit nachweisbaren Impfantikörpern waren sehr zuverlässig vor einer
BTV-8-Infektion geschützt. In fast allen Fällen konnte bei geimpften Tieren
kein positiver BTV-8-Genomnachweis
geführt werden. Im Rahmen dieser Studie konnten keine Unterschiede in der
Schutzwirkung der verschiedenen
Impfstoffe festgestellt werden. Eine
zweimalige Applikation erhöht die
Impfantikörper und die Impfsicherheit.
Eine Folgestudie sollte klären, ob die
Impfung auch ein Jahr nach Applikation noch zuverlässigen Infektionsschutz
bietet. Alle drei getesteten Impfstoffe
zeigten ausreichende Schutzwirkung
auch ein Jahr nach Impfung, eine jährliche Auffrischung der Impfung reicht
demnach aus. Tiere mit nachweisbaren
Antikörpern waren in der Regel vor einer Infektion mit BTV-8 geschützt. Es
kam zu zwei Impfdurchbrüchen, beide
Tiere zeigten vor der Infektion die niedrigsten Antikörperspiegel in ihren
Gruppen und waren durch Begleiterkrankungen geschwächt.
In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass eine gleichzeitig bestehende andere Erkrankung eine Infektion mit BTV begünstigen und den
Schweregrad der Erkrankung verstärken kann.
TU 9/2010 · 347
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Keine Kreuzprotektion BTV8/BTV6
Versuche zeigten, dass es keine heterologe Schutzwirkung nach Impfung mit
inaktivierten Impfstoffen gibt. Kurz
nach überstandener BTV-8-Infektion
konnte die Überinfektion mit BTV-1
oder BTV-6 verzögert und geringfügig
abgeschwächt werden, eine grundsätzliche Erkrankung an BTV-1 bzw. BTV6 konnte aber nicht verhindert werden.
Somit gibt es keine Alternative zur homologen Impfung.
Perspektive zu BTV-Infektionen
Als Fazit schloss Dr. Hoffmann, dass ab
2008 die Ausbreitung von BTV-8 erfolgreich durch Impfung eingedämmt
werden konnte. Daher empfiehlt das
FLI weiterhin die Impfung, allein
schon aus Gründen des Tierschutzes
und in Hinblick auf den Handel.
Ob mittels Impfung eine Eradikation
möglich ist, bleibt offen, zumal ab diesem Jahr auf freiwilliger Basis geimpft
wird. Spätestens ab 2011 steige das Risiko neuer Infektionen, da die empfängliche Population durch die Remontierung zunimmt. Erst wenn in 2011
und den Folgejahren kein BTV-8 mehr
in Deutschland und Europa nachweisbar ist, kann von einer erfolgreichen
Eradikation ausgegangen werden.
Der aktuelle BTV-Status der Tiere in
Deutschland schütze nicht vor Infektionen mit anderen BTV-Serotype, so
Hoffmann. Eventuell könne eine vorherige BTV-8-Infektion oder Vakzination den Verlauf und die Ausbreitung
der Infektion mit anderen BTV-Serotypen abschwächen. Durch globalisierten
Handels- und Reiseverkehr und auch
Klimaveränderungen steige die Gefahr,
dass weitere BTV-Serotypen und andere Orbiviren wie EHDV oder AHSV
eingeschleppt werden.
Die Zecke als Vektor
Dr. Jochen Süss, Leiter Nationales Referenzlabor für durch Zecken übertragene Krankheiten am FLI-Standort Jena, berichtete, dass die Zecke als Vektor
in den letzten Jahrzehnten zweifellos
eine höhere Bedeutung erlangt hat, was
sowohl objektive, messbare, als auch
subjektive Ursachen habe.
Verbreitungsgebiete des Vektors (nach
Norden, nach Westen, in größere
Höhen in den Gebirgen usw.) Veränderungen unterworfen ist. Darüber hinaus
gebe es einen ganzen Komplex von
Faktoren, die die Bedeutung von
Zecken als Vektoren in der Gesellschaft
steigerten, dazu gehörten vor allem die
Einflussgrößen, die ein höheres
Zeckenstich-Expositionsrisiko bewirkten. Eine Fülle von Faktoren nähmen
Einfluss auf diese Entwicklungen, wobei die sozialen, politischen, ökologischen, ökonomischen und demographischen Faktoren letztlich fast alle über
das Ausmaß der Zeckenstichexposition
wirkten. Als subjektiver Faktor wurde
die höhere Aufmerksamkeit für das
»Problem Zecke« genannt, was aber
andererseits durch häufigere bzw. verbesserte Meldungen und Registrierungen zu höheren Inzidenzen führt.
Es sind inzwischen viele Einzelstudien
und Modelle veröffentlicht worden, die
einen Zusammenhang zwischen Klima
(-wandel), dem noch wichtigeren Mikroklima, der Zeckenaktivität und der
Inzidenz von durch Zecken übertragenen Erkrankungen nahe legen. Die
Zahl der naturwissenschaftlich bewiesenen Tatsachen und vor allem der
systematischen Langzeituntersuchungen ist dagegen noch gering. Es sei aber
unbestritten und an einzelnen Studien
gezeigt worden, dass in einem gewissen Umfang, in bestimmten Zeitabschnitten und in bestimmten Regionen
Zecken vom Klimawandel profitieren
können. Inzidenzen nehmen in bestimmten Regionen sowohl zu als auch
ab.
Gegenwärtig sei es noch sehr schwierig
und teilweise unmöglich, die quantitative Bedeutung der Einzelfaktoren in
diesem Netzwerk zu definieren.
An Hand der Inzidenz von FSME und
Lyme-Borreliose in bestimmten Regionen Europas, von wenigen Daten, die
eine Zunahme der Zeckenpopulation
(Ixodes ricinus) belegen, und von eigenen Daten zur Entwicklung und Dynamik der Zeckenpopulation an ausgewählten Standorten in Verbindung mit
deren Mikroklima, verifzierte Dr. Süss
seine vorherigen Ausführungen.
WNV in Deutschland?
Wirklich ein zunehmendes Problem?
Sicher sei, dass die Ausdehnung der
348 · TU 9/2010
Einen Überblick der aktuellen Situation
TA G U N G S B E R I C H T
zum West Nil Fieber gab Dr. Ute Ziegler aus dem Nationalen Referenzlabor
des FLI am Standort Insel Riems: Das
West-Nil-Virus (WNV) ist derzeit für
Deutschland noch ein exotisches, sog.
Arbo-Virus (Abkürzung für »arthropod-borne«) aus der Familie Flaviviridae.
Seit langem ist das WNV in weiten Teilen Asiens, Osteuropas, Afrikas und in
Australien als Ursache leichter fieberhafter Erkrankungen bis (selten) hin zu
tödlichen Enzephalitiden beim Menschen und bei Tieren bekannt.
Das plötzliche Auftreten des WNV in
New York im Jahre 1999 und seine rasante Ausbreitung über den gesamten
nordamerikanischen Kontinent hat auf
eindringliche Weise gezeigt, mit welcher Leichtigkeit ein Krankheitserreger
in neue Gebiete eindringen und sich
dort dauerhaft etablieren kann, wenn
kompetente Wirtssysteme und Vektoren vorhanden sind.
West Nil Fieber in Europa
Das in letzter Zeit verstärkte Auftreten
der Erkrankung vornehmlich bei Pferden und Wildvögeln in Süd- und Südosteuropa (Südfrankreich 2000, 20032004, 2006; Spanien 2007; Rumänien
2007; Ungarn 2003-2008) hat gezeigt,
dass die Einschleppung des WNV auch
für Deutschland ein Thema werden
kann.
Die in den Jahren 2008–2009 jeweils
im Spätsommer aufgetretenen Erkrankungsfälle bei Pferden in Norditalien
und die im Jahre 2008 beschriebenen
WNV-bedingten Todesfälle bei Wildvögeln (vornehmlich Greifvögel) in
Österreich lassen vermuten, dass sich
das Virus weiter nordwärts ausbreitet.
führte Studie umfasste über 5.000 aktuelle Blutproben von Wildvögeln (über
3.000 Blutseren/Plasmen von Zug- und
Standvögeln), Wirtschaftsgeflügel aus
Freilandhaltung (ca. 1.000 Seren) und
von Pferden (über 1.000 Seren).
Dabei wurden erneut bei Zugvögeln
WNV-Antikörper gefunden, die auf eine überstandene Infektion in ihren Winterquartieren im Süden zurückzuführen
sind. Dagegen besaßen wildlebende
Standvögel, das Wirtschaftsgeflügel
aus Freilandhaltung und die Pferde keine WNV-Antikörper, die auf eine Infektion in Deutschland zurückzuführen
waren.
Hierzu passte, dass in keiner der Proben
mittels am FLI neuentwickelter realtime-RT-PCR-Assays WNV-spezifische
Genomsequenzen gefunden werden
konnten. Bei drei Pferden mit spezifischen WNV-Antikörpern handelte es
sich um nachweislich geimpfte Tiere
(zwei Pferde) bzw. um ein Importtier
aus Ungarn.
Anzeigepflicht und Impf-Option
Für Deutschland besteht seit dem
18.12.2009 die Anzeigepflicht für eine
nachgewiesene WNV-Infektion bei ei-
nem Vogel oder Pferd. Eine spezielle
nationale Bekämpfungs-Verordnung
gibt es nicht, abgesehen von einer örtlichen Isolierung verdächtiger Pferde
sind bisher keine weiteren Maßnahmen
notwendig.
Seit Mai 2009 ist in der EU und damit
auch in Deutschland ein WNV-Totimpfstoff für Pferde zugelassen. Da in
Deutschland kein aktuelles WNV-Geschehen erkennbar ist, erscheint eine
Impfung einheimischer Pferde derzeit
nicht notwendig.
Da es sich bei dem von der EU zugelassenen Impfstoff nicht um eine MarkerVakzine handelt, würde eine weit reichende Impfung auch die Aufdeckung
zukünftiger Feldvirus-Infektionen bei
Pferden behindern. Der Einsatz der
Vakzine sollte daher genau abgewogen
und auf Pferde beschränkt werden, die
in nachgewiesene Endemie-Gebiete
reisen.
Kontakt: Elke Reinking, FriedrichLoeffler-Institut – Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI), Südufer 10, D-17493 Greifswald,
[email protected]
Studien zur Prävalenz in Deutschland
Vor diesem Hintergrund wurden seitens
des Nationalen Referenzlabors für
West-Nil-Virus-Infektionen bei Tieren
am FLI umfangreiche serologische und
molekularvirologische Untersuchungen zum Monitoring der gegenwärtigen
WNV-Situation durchgeführt.
Bei ersten Studien in Deutschland
(2000, 2002–2005) am Robert KochInstitut waren bereits in bis zu 10 % der
untersuchten Serumproben von Wildvögeln niedrige WNV-Antikörper-Titer
festgestellt worden. Die in den letzen
drei Jahren seitens des FLI durchgeTU 9/2010 · 349
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