holomorphe Funktionen (Fortsetzung), Umkehrfunktionen

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1.3. Umkehrfunktionen
1.3
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Umkehrfunktionen
Das Ziel dieses Abschnitts ist es, die aus der Differentialrechnung reellwertiger Funktionen in einer reellen Variablen bekannte Regel für Umkehrfunktionen auf die komplexe Situation zu übertragen. Gehen wir dazu aus von einer holomorphen Funktion
f : G → C, definiert auf einem Gebiet G in C und nehmen wir zusätzlich an, f ′ sei
stetig. (Wie sich zeigen wird, ist dies für jede holomorphe Funktion f automatisch
der Fall.) Sei weiter z0 = x0 + iy0 ein Punkt im Gebiet G mit f ′ (z0 ) 6= 0. Für die
f entsprechende reelle Funktion F : D = {(x, y) ∈ R2 | x + iy ∈ G} → R2 bedeutet
das:
det DF(x0 ,y0 ) = u2x (x0 , y0 ) + vx2 (x0 , y0 ) = |f ′(z0 )|2 6= 0 .
Das Differential von F an der Stelle (x0 , y0 ) ist also invertierbar. Wir können deshalb
den Satz über die lokale Umkehrbarkeit reeller Abbildungen in mehreren Variablen
anwenden und schliessen, dass F und damit auch f in der Nähe des Punktes (x0 , y0)
umkehrbar ist. Genauer lautet dieser Satz aus der reellen Analysis folgendermassen:
1.3.1 Satz Sei D ⊂ R2 offen, F : D → R2 reell differenzierbar und det DFp 6= 0
für ein p ∈ D. Dann gibt es eine offene Teilmenge p ∈ U ⊂ D derart dass F : U →
F (U) =: V bijektiv, V ⊂ R2 offen und F −1 : V → U wiederum reell differenzierbar
ist. Durch eventuelle Verkleinerung können wir ausserdem erreichen, dass U und
V zusammenhängend sind. Das Differential der Umkehrabbildung F −1 erhält man
durch Invertieren des Differentials von F an der passenden Stelle. Ist nämlich p =
(x, y) und F (p) = q, so ist
D(F −1)q = (DFp )−1 .
Hier dazu zunächst ein Beispiel, das nicht von einer holomorphen Funktion herkommt.
xy
1.3.2 Beispiel Sei F (x, y) =
für x, y ∈ R. Die Jacobimatrix von F an
y
y x
der Stelle (x, y) lautet
. Also ist det DF(x,y) = y 6= 0, wenn wir als Defi0 1
−1
nitionsbereich U := {(x, y) ∈ R2 | y > 0} wählen. Die Umkehrfunktion
F von
u/v
V := {(u, v) ∈ R2 | v > 0} nach U ist gegeben durch F −1 (u, v) =
. Die
v
Jacobimatrix von F −1 an der Stelle (u, v) = (xy, y) stimmt tatsächlich überein mit
der Inversen der Jacobimatrix von F an der Stelle (x, y):
1 1 −x
1/v −u/v 2
1/y −x/y
−1
−1
= DF(x,y) =
D(F )(u,v) =
=
.
0
1
0
1
y 0 y
Allerdings ist F nur an der Stelle (x, y) = (0, 1) winkeltreu, denn nur dort ist das
Differential eine Drehstreckung. Also kann F nicht zu einer holomorphen Funktion
gehören.
Kehren wir nun wieder zur Ausgangssituation zurück, und nehmen wir an, F
ist die reelle Entsprechung einer holomorphen Funktion f . Dann ist nach Satz 1.3.1
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Kapitel 1. Differentialrechnung im Komplexen
auch f lokal invertierbar. Fassen wir U und V als Gebiete in C auf und schränken wir
f auf U ein, erhalten wir eine bijektive Funktion f : U → V , deren Umkehrfunktion
f −1 : V → U der reellen Abbildung F −1 entspricht. Nun ist F −1 , wie schon gesagt,
reell differenzierbar, und sein Differential ergibt sich durch Invertieren des Differentials von F . Da f holomorph ist, ist DFp an jeder Stelle p eine Drehstreckung.
Nun ist aber auch das Inverse einer Drehstreckung wieder von diesem Typ. Deshalb
muss auch f −1 holomorph sein. Um die komplexe Ableitung der Umkehrfunktion
f −1 abzulesen, schauen wir uns (DFp )−1 noch einmal genauer an:
−1
1
ux (p) −vx (p)
ux (p) vx (p)
−1
(DFp ) =
= 2
.
vx (p) ux (p)
ux + vx2 −vx (p) ux (p)
Diese Drehstreckungsmatrix entspricht der komplexen Zahl
f ′ (z)
1
1
(u
(p)
−
iv
(p))
=
= ′
,
x
x
2
2
′
2
ux + vx
|f (z)|
f (z)
wenn z ∈ C dem Punkt p ∈ R2 entspricht. Das Resultat dieser Überlegungen ist im
folgenden Satz zusammengefasst:
1.3.3 Satz Sei f : G → C holomorph, f ′ stetig und f ′ (z0 ) 6= 0 für ein z0 ∈ G. Sei
weiter f (z0 ) = w0 . Dann existieren Gebiete U, V mit z0 ∈ U ⊂ G und w0 ∈ V =
f (U), so dass f : U → V bijektiv ist und die Umkehrfunktion f −1 : V → U wiederum
holomorph ist, wobei
d −1
1
f (w) = ′ −1
dw
f (f (w))
für alle w ∈ V .
1.3.4 Beispiele
1. Die komplexe Exponentialfunktion exp: C → C∗ ist überall
lokal umkehrbar, denn exp′ (z) = exp(z) 6= 0 für alle z ∈ C. Das bedeutet, man
kann von jeder komplexen Zahl 6= 0, auch den negativen reellen Zahlen, einen
komplexen Logarithmus bilden. Aber dieser Logarithmus ist nicht eindeutig.
Wählen wir etwa konkret w0 = −1, so gibt es die folgenden Kandidaten zk :=
i(π + k2π) (k ∈ Z). All diese Zahlen auf der imaginären Achse werden durch
die Exponentialfunktion auf w0 abgebildet, denn
ezk = ei(π+k2π) = −1 für alle k ∈ Z.
Zu jeder dieser Kandidaten gibt es eine lokale Umkehrfunktion der Exponentialfunktion auf V := {reiϕ ∈ C | r > 0, 0 < ϕ < 2π}, man spricht hier von
Zweigen des komplexen Logarithmus:
V → Uk := {z ∈ C | k2π < Im(z) < (k + 1)2π},
lnk :
(k ∈ Z) .
reiϕ 7→ ln(r) + i(ϕ + k2π)
Es ist jeweils lnk (w0 ) = zk . All diese Zweige des Logarithmus sind komplex
differenzierbar und es gilt:
1
1
d
lnk (w) = ln (w) =
dw
e k
w
für alle w ∈ V .
1.3. Umkehrfunktionen
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2. Betrachten wir die Funktion f , gegeben durch f (z) = z 2 , nur auf C∗ := C\{0}.
Dann ist die Ableitung stets ungleich Null, f also überall lokal umkehrbar.
√
Zum Beispiel√hat die Zahl w0 = −2 die beiden komplexen Wurzeln z1 = i 2
und z2 = −i 2. Entsprechend gibt es zwei lokale Quadratwurzelfunktionen,
definiert auf der Umgebung V := {reiϕ ∈ C | r > 0, 0 < ϕ < 2π} von w0 ,
nämlich:
V → U1 :=√{reiϕ ∈ C | r > 0, 0 < ϕ < π},
ϕ
wobei g1 (w0 ) = z1 ,
g1 :
g1 (reiϕ ) = rei 2 ,
und
g2 :
V → U2 :=√{reiϕ ∈ C | r > 0, π < ϕ < 2π},
ϕ
g2 (reiϕ ) = rei( 2 +π) ,
wobei g2 (w0 ) = z2 .
Die Ableitungen lauten hier:
1
1
d
gk (w) = ′
=
dw
f (gk (w))
2gk (w)
für alle w ∈ V , k = 1, 2.
3. Sei jetzt n eine fest gewählte natürliche Zahl und f (z) = z n für z ∈ C∗ . Hier
hat jede Zahl w ∈ C∗ genau n verschiedene n-te Wurzeln und das führt zu n
lokalen Wurzelfunktionen. Auf der längs des Winkels α geschlitzten Ebene
V = {reiϕ | r > 0, α < ϕ < α + 2π}
gibt es die Wurzelfunktionen
gk (reiϕ ) =
√
n
r exp(i(
2π
ϕ
+ (k − 1) )) k = 1, . . . , n,
n
n
die jeweils V bijektiv auf einen Sektor mit Winkel 2π/n abbilden, nämlich
gk (V ) = Uk = {reiϕ | r > 0,
α
2π
α
2π
+ (k − 1)
< ϕ < + k }.
n
n
n
n
Die Ableitungen sind:
d
1
1
gk (w) = ′
=
dw
f (gk (w))
n(gk (w))n−1
für alle w ∈ V , k = 1, . . . , n.
In diesem Fall hängt also die Ableitung vom gewählten Zweig der Umkehrfunktion ab.
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