Universität Duisburg-Essen Campus Essen - Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie Lehr-Lernpsychologische Grundlagen des Erwerbs von Fahr- und Verkehrskompetenz D. Leutner D. Leutner Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 1 Theoretischer Hintergrund: Zwei Risiken am Beginn einer Fahrkarriere Alter des Fahrerlaubniserwerbs: 17 J. 25 J. Anfänger-Risiko 36 J. 56 J. D. Leutner – Höheres Unfallrisiko bei Fahrerlaubniserwerb in jungen Jahren Jugendlichkeits-Risiko 20 J. JugendlichkeitsRisiko: Anfänger-Risiko: – Höheres Unfallrisiko in den ersten Monaten nach dem Fahrerlaubniserwerb (erfahrungsbedingte Lernkurve; unabhängig vom Alter) Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 2 Zum Vergleich: Lernkurve deutscher Fahranfänger Unfallrisiko (Anfänger-Risiko) – männlicher Fahranfänger (rote Quadrate) und – weiblicher Fahranfänger (blaue Kreise) » Führerscheinklasse 3 (Pkw) » aus dem Jahr 1987 » in den ersten vier Jahren nach dem Fahrerlaubniserwerb » Männer N=5.205; Frauen N=6.095; aus Schade (2001) D. Leutner Reduktion um 50 % nach gut 9 Monaten Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 3 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: Verkehrsteilnahme als Informationsverarbeitung Verkehrsteilnehmer können sich nicht „nicht verhalten“. Umwelt-angepaßtes Verhalten erfordert die Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt. An der Informationsverarbeitung sind zahlreiche Prozesse beteiligt. D. Leutner Modell der Informationsverarbeitung (nach Atkinson & Shiffrin, 1971; vgl. Leutner & Brünken, 2002) Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 4 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: Verkehrsteilnahme als Handlung Verkehrsteilnehmer verfolgen Ziele. Zielgerichtete Tätigkeiten, d.h. Handlungen, werden - je nach Expertise und Erfahrung - auf unterschiedlichen Ebenen reguliert. D. Leutner Modell des Erwerbs von Fahr- und Verkehrsexpertise (nach Rasmussen, 1984; vgl. Leutner & Brünken, 2002) Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 5 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: Verkehrsteilnahme als Handlungskoordination Verkehrsteilnehmer haben viele Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen: – Hauptaufgaben » Steuern des Fahrzeugs (und Reagieren auf Fahrereignisse) » Überwachen des Verkehrs (und Reagieren auf Verkehrsereignisse) – Nebenaufgaben bzgl. » Weg, Radio, schminken, frühstücken, plaudern, telefonieren; auch: jdm. imponieren, etc. Jede Aufgabe erfordert – Aufmerksamkeit & Ressourcen – und belastet den Arbeitsspeicher, dessen Kapazität begrenzt ist. Reicht die Kapazität Arbeitsspeicher nicht, dann sinkt die Leistung – bei allen Aufgaben oder - bei selektiver Aufmerksamkeit - bei einigen Aufgaben. -->Die Fahrerin oder der Fahrer ist überfordert. Was kann man dagegen tun? Aufbau automatisierter Fertigkeiten! D. Leutner Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 6 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: - Aufbau automatisierter Fertigkeiten 1 Welche Fertigkeiten müssen aufgebaut werden? -->Besonders sicherheitsrelevante Fertigkeiten (Mayhew & Simpson, 1996): – psychomotorische F. (insbes. Spurhalten & Geschwindigkeit anpassen) – Wahrnehmungs-F. (insbes. visuelle Überwachungsstrategien & Gefahrenerkennung) – kognitive F. (insbes. Risikoeinschätzung & schnelles Entscheiden) Wie entsteht Automatisierung? Dreistufiger Prozeß (Anderson, 1983; Fitts, 1964): – Deklarative Phase (Kognitive Phase): » Schritt für Schritt handeln, nach „Drehbuch“ – Kompilierungsphase (Assoziative Phase): Leistungsniveau » Verkettung einzelner Handlungsschritte – Prozedurale Phase (Autonome Phase): » Automatisierte Handlungsausführung D. Leutner ---> Extrem hoher Zeitbedarf Zeit Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 7 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: Aufbau automatisierter Fertigkeiten 2 Wie läßt sich der Automatisierungsprozeß instruktional unterstützen? – Übung unter Anleitung – schrittweise Rücknahme der Anleitung (Scaffolding; Bloom, 1968) – Übung in authentischen Anwendungssituationen (Einsatz von Simulationen sinnvoll?) – Vermeidung von Fehlern in der ersten, deklarativen Phase (Anderson, 1983) – Rückmeldung & Förderung der Selbstregulation (Bandura, 1986) – Praxis, Praxis, Praxis....... Grundsätzliches Ziel: – Automatisierte Ausführung einzelner Handlungen und Tätigkeiten ---> freie Kapazität im Arbeitsspeicher für » erfolgreiche Bewältigung gleichzeitig auftretender Anforderungen in der Hauptaufgabe » ggf. Bearbeitung von Nebenaufgaben mit reduzierter Störung der Hauptaufgabe??? D. Leutner Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 8 Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos: Messung kognitiver Beanspruchung Vergleich von Fahranfängern & Experten (Bartmann, Debus & Heller, 1994) – Kognitive Beanspruchung ist „online“ meßbar. – Meßansatz: Doppeltätigkeits-Paradigma (N=16) » Hauptaufgabe: Fahren; Nebenaufgabe: taktmäßiges Sprechen (Bartmann, 1995; Bartmann, Debus & Heller, 1994) » Leistung in der Nebenaufgabe sinkt, wenn Hauptaufgabe stark beansprucht. – Ergebnis: » für Anfänger & Experten gilt: Beanspruchung Fahrmanöver > Spurhalten » für Anfänger gilt: Beanspruchungsunterschied um ein vielfaches größer. Evaluation eines simulator-basierten Trainingsprogramms (N=27) (Debus, Normann, Dörre & Leutner, 2001) Anzahl der Sprechaussetzer 16 14 12 10 8 6 Training 4 nein 2 0 Ruhe Fahren Vortest D. Leutner Ruhe Fahren ja Nachtest Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 9 Theoretische Führerscheinprüfung: „Kompetenz“ oder „Handlungswissen“ prüfbar? Lernen vs. geprüft werden – Lernaufgaben: » Simulations-gestütztes Training sinnvoll als Ergänzung zum Training in realen Straßenverkehr » Detaillierte Aufgabenanalyse und Kompetenzstruktur- und -entwicklungsmodelle erforderlich » Leistungsbewertung „formativ“ (Dual-Task-Paradigma, RT, Blickbewegungsanalyse etc.) – Prüfungsaufgaben: » Simulations-gestütztes Testen problematisch » Problem der Definition und Messung von Mindeststandards Definitionsproblem: Welche Kompetenzen? Welcher Standard? Messproblem: Welches sind angemessene Indikatoren für Kompetenz? Bewertungsproblem: „summativ“, richtig/falsch » Zu prüfen: Validität für Verhalten im Straßenverkehr D. Leutner Kompetenzen im Handlungsfeld Verkehr 10