Der Autor an einen Korrektor - korrektor24, Zünd Korrekturen

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Der Autor an einen Korrektor
Hermann Hesse
abzufassen ist, wie ich das mir vorher dachte,
sondern im Fortschreiten ihres Werdegangs beständig schwieriger und heikler zu werden
scheint.
Die gemeinsame Arbeit zwischen Autor
und Korrektor beginnt ja erst dann, wenn der
Autor seine grösste und eigentliche Arbeit, das
Schreiben seines Buches, längst getan hat.
Eben darum neigt gelegentlich der Korrektor
dazu, die ganze noch übrige Aufgabe, nämlich
aus dem geschriebenen Manuskript ein gedrucktes Buch zu machen, einzig für seine
Aufgabe zu halten, von welcher der Autor
möglichst ausgeschlossen werden müsse. Er,
der Autor, hat das Seine getan, er hat sein Essay, seine Erzählung, seinen Roman geschrieben, der Verleger hat seine Arbeit übernommen, und Sache des Setzers und des
Korrektors ist es nun, aus dem geschriebenen
Text einen gedruckten zu machen. Es scheint
ganz einfach zu sein. Der Autor hat seine
Arbeit geleistet, man hat sie ihm abgenommen,
mag er sich nun Ruhe gönnen, bis ein neues
Manuskript seine Kräfte fordert! Warum soll er
sich nun auch noch um den weiteren Prozess
der Buchwerdung kümmern, sich in Arbeiten
mischen, die den Fachleuten zustehen? Das
mag in manchen Fällen ja notwendig sein und
als Ausnahme zugestanden werden, namentlich
wenn der Autor noch jung und unerfahren ist
und erst beim Anblick der vom Setzer überreichten Korrekturabzüge an manche Verbesserungen seines Textes zu denken beginnt, die
ein Mann mit Erfahrung eben schon vor der
Ablieferung des Manuskriptes in Ordnung
bringt.
Völlig unnötig aber, so scheint es vielen
und scheint es auch Ihnen, geschätzter Mitarbeiter, ist eine Einmischung des Verfassers
in die Arbeit des Korrektors, sobald es sich gar
nicht um das Drucken eines Manuskriptes,
sondern um den Neudruck eines älteren, schon
seit Jahr und Tag gedruckt vorliegenden Buches handelt. Und gerade diese Art von Arbeit
Sehr geehrter, lieber Herr Korrektor
Da wir beide immer wieder aufeinander
angewiesen sein und gemeinsame Arbeit zu
leisten haben werden, kann es vielleicht nichts
schaden, wenn ich einmal für eine Stunde von
den beständigen kleinen Korrekturen, Zurechtweisungen und Erziehungsversuchen, die wir
beide einer am andern zu üben gewohnt sind,
absehe, und Ihnen etwas Prinzipielles über Ihre
und meine Arbeit, das heisst über meine Vorstellung vom Sinn dieser Arbeit, von ihrer
Funktion im Ganzen des Volkes, der Sprache,
der Kultur zu sagen versuche. Sie wissen, dass
es gut und freundlich gemeint ist, und werden
mir dies auch dort, wo Sie meine Auffassung
keineswegs teilen, zugestehen. Und ich meinerseits setze bei Ihnen, gewiss mit Recht, ein
Interesse für diese Gedanken, eine Teilnahme
an unsrer gemeinsamen Arbeit, einen Eifer für
Ihren Beruf und dessen Bedeutung voraus,
denn wer von uns vermöchte seinen Beruf
weiter auszuüben, wer ihm treu zu bleiben,
ihm Opfer zu bringen und dafür wieder Freude
an ihm zu erleben, wenn er nicht immer wieder
Lust hätte, dem Sinn dieses Berufes näher zu
kommen und seine Entartung in ein starres
System von mechanischen Handgriffen zu verhindern. In der Epoche der Technik, der allgemeinen Überschätzung des Geldes und der
Arbeitszeit ist ja jeder Beruf und jeder arbeitende Mensch, auch der gutgewillte, stets von
neuem der Gefahr ausgesetzt, lebloser Maschinenteil zu werden und seine Arbeit aus einer
persönlichen und verantwortlichen zu einer
schematisierten und fabrikmässigen werden zu
lassen. Gerade aus dem Widerstand, den Sie
zuweilen meinen Absichten und Auffassungen
entgegensetzen, kann ich erkennen, wie ernst
Sie Ihren Beruf nehmen. Wäre ich nicht davon
überzeugt, so würde ich mir ja gewiss auch
nicht die Mühe dieser Erklärung machen, welche – ich merke es schon bei diesen einleitenden Sätzen – durchaus nicht so leicht
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und Interpunktion, und wenn der Dichter je
nach seiner augenblicklichen Laune ein e oder s
oder ein Komma setze oder weglasse, wenn er
selber das einemal «heut», das andremal aber
«heute», das einemal bei der gleichen Stelle in
einem Satzbau ein Komma, das andremal
einen Strichpunkt setze, dann sehe man ja, dass
der Dichter selber seiner Zeichensetzung
durchaus nicht so sicher sei, und es sei gut,
wenn ein Korrektor darüber wache, dass diese
äusserlichen Formen und Ausdrucksmittel einheitlich angewendet würden.
Und nun zitieren Sie, lieber Herr Korrektor, Ihren Hausheiligen und Ihr Gesetzbuch,
den Duden.
Es kann nun sein, dass ich in mancher Einzelheit dem Duden Unrecht tue, d. h., dass ich
bei ihm hier oder dort eine Starrheit und Härte
mehr vermute, als er wirklich enthält, ich kann
das nicht kontrollieren, denn ich besitze keinen
Duden und habe nie einen besessen. Nicht weil
ich etwa eine Abneigung gegen Wörterbücher
hätte, ich besitze ihrer manche, und eines von
ihnen, das grosse Grimm’sche Wörterbuch der
deutschen Sprache, gehört zu meinen Lieblingsbüchern.
Ich bin auch nicht dagegen, dass es so etwas wie einen Duden gebe, eine Vorschrift für
die Rechtschreibung und eine allgemeine Anweisung für den Gebrauch der Interpunktionen.
In Zeitaltern, in denen alle schreiben und die
meisten schlecht schreiben, sind solche Hilfsmittel durchaus notwendig und willkommen.
Was ich gegen den Duden habe, ist nichts
Prinzipielles; es ist gut und richtig, dass ein
gewissenhafter Schullehrer seinem Volk bei
Rechtschreibung und Interpunktion durch Ratschläge behilflich sei. Aber Duden, das wissen
Sie ja, ist längst kein Ratgeber mehr, sondern
ein unter einem scheusslichen Gewaltstaat allmächtig gewordener Gesetzgeber, eine Instanz,
gegen die es keine Berufung gibt, ein Popanz
und Gott der eisernen Regeln, der möglichst
vollkommenen Normierung.
Vielleicht gibt auch Duden zu, dass man
sowohl heut wie heute, sowohl Tür wie Türe,
sowohl Miethaus wie Mietshaus sagen könne,
ich weiss es nicht. Sie können es ja nachschlagen. Ich weiss nur, dass Ihre Setzer und Sie
mir nicht erlauben wollen, von dieser herrlichen
Möglichkeit Gebrauch zu machen und, je nach
Bedarf, bald heut bald heute, bald hieher bald
hierher, bald unsre bald unsere zu sagen. Dies
ist es, wogegen ich mich wehre und wehren
muss, denn es geht hier um Dinge, für welche es
keinen Duden und keine staatliche oder beruf-
ist es nun, die wir beide des öftern zu leisten
haben, denn ich bin ein alter Mann, und es
kommt selten mehr vor, dass Neues von mir zu
drucken ist, während wir immer wieder vor der
Aufgabe stehen, irgend eines von meinen früheren Büchern, die infolge der Hitler’schen
Verbote sowie der amerikanischen Bomben
seit Jahren nicht mehr vorrätig sind, neu zu
drucken. Sofern ich, der Autor, nicht eine Neubearbeitung dieser Texte unternehmen, sondern sie einfach in der frühern Gestalt neu
gedruckt sehen will, sollte das doch wirklich
ohne mich geschehen können und lediglich
eine ziemlich mechanische Arbeit des Setzers
und des Korrektors sein.
Ja, so sollte man denken. Und doch ist es
nicht so. Wenn ich darauf verzichte, die Korrektur selbst mitzulesen und jeden Buchstaben
des Textes genau zu prüfen, dann entsteht
unter des Setzers und Ihren Händen ein Text,
der zwar bei ganz oberflächlicher Prüfung der
alte zu sein scheint, in Wirklichkeit aber vom
Urtext in Dutzenden, nein in Hunderten von
Kleinigkeiten abweicht.
Wenn in meinem Text etwa steht «Er öffnete die Türe weit ...», dann haben Sie zwar
nicht ganze Worte weggelassen oder hinzugefügt, aber Sie haben zum Beispiel aus der
«Türe» eine «Tür» gemacht. Und damit haben
wir schon einen der häufigsten Fälle jener Veränderungen genannt, die mein Text unter Ihrer
und des Setzers Hand erleidet, eine jener hundert Stellen, die Sie verbessert zu haben glauben, während ich der Meinung bin, sie sei nicht
verbessert, sondern verdorben worden. Es geht
immer nur um scheinbar Winziges, um einen
oder zwei Buchstaben, um eine «Tür» statt der
«Türe», um ein «heute» statt des von mir geschriebenen «heut», um ein «im Laufe» statt
meines «im Lauf», um ein «andrer» statt meines «anderer». Ich schrieb «Miethaus» und Sie
machen «Mietshaus» daraus, ich schrieb «unsrem» und Sie drucken «unserem», und so fort,
lauter winzige Kleinigkeiten, aber sie gehen in
die Hunderte.
Wenn nun jemand Sie fragen würde, ob
Sie wirklich und ernstlich daran glauben, der
deutschen Sprache mächtiger und sicherer zu
sein als Ihr Autor, so würden Sie ohne Zweifel
diesen Gedanken weit von sich weisen. Sie
würden sagen, eine solche Selbsteinschätzung
liege Ihnen ebenso fern wie eine Geringschätzung des Dichters und seiner sprachlichen
Potenz. Aber dichten sei dichten und drucken
sei drucken, und es gebe nun einmal eine
Norm und eine Konvenienz für Schreibweise
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den verfahren, wie Sie beim Korrigieren einer
Roman-Korrektur zu verfahren gelernt haben.
Sie würden also im grossen ganzen auf treue
Wiedergabe der Vorlage, zugleich aber doch
auch auf eine gewisse Beaufsichtigung und
Normierung der Notenschrift bedacht sein. Sie
würden sich zum Beispiel niemals erlauben,
einen ganzen Takt wegzulassen, wohl aber da
und dort eine Viertel- oder Achtel- oder Sechzehntelnote, oder Sie würden wenigstens da
und dort, wo der Komponist Ihnen zu willkürlich vom Schema abzuweichen scheint, aus
zwei Achteln ein Viertel machen, ein passend
scheinendes Accelerando-Zeichen einfügen,
ein unpassend scheinendes weglassen. Es wären lauter winzig kleine, von Duden erlaubte,
ja gebotene Eingriffe, aber sie würden das
Musikstück ganz erheblich vergewaltigen. Und
in zehn oder zwanzig Jahren würde ein anderer
Notendrucker dieses Stück nach Ihrer Version
wieder neu abdrucken, vom Setzer wieder mit
neuen, winzigen Eingriffen nach einem neuesten, revidierten Duden versehen. Dann würde
eine dritte, vierte, zehnte Neuausgabe dieses
Musikstückes ungefähr so aussehen, wie ein
grosser Teil der wohlfeilen Klassikerausgaben
unsrer Dichter in der Zeit vor der Wiederentdeckung des Verleger- und Herausgeber-Gewissens ausgesehen hat.
Ich erschrecke, Verehrter, über den Umfang, den das Briefchen, das ich Ihnen hatte
schreiben wollen, mir unter den Händen angenommen hat. Je älter ich werde, desto
schwerer fällt mir das Schreiben, und je
schwerer das Schreiben mir fällt, desto mehr
Atem und Raum brauche ich, um über die unendlichen Möglichkeiten zu Missverständnissen hinweg dennoch etwas wie Eindeutigkeit und Gültigkeit des Geschriebenen zu erreichen. Aber vielleicht war es nicht vergeblich; vielleicht träumen Sie nun des Nachts
einmal von weggestrichenen Buchstaben, so
wie ein Feldherr vielleicht gelegentlich einmal
von gefallenen Soldaten träumt. Sie tun ihm
dann vielleicht plötzlich leid, und vielleicht
fragt er sich, ob ihr Opfer eigentlich wirklich
unvermeidbar war.
liche Autorität gibt und für die der Dichter und
Schriftsteller allein die Verantwortung trägt.
Ob ich sage: «Schliess die Tür» oder
«Schliesse die Türe», das ändert am Sinn des
Satzes nichts. Es ändert aber anderes. Es ändert
– Sie brauchen den Satz nur laut zu sprechen –
den Rhythmus und die Melodie des Satzes
vollkommen. Die beiden weggelassenen Buchstaben machen aus ihm etwas ganz und gar
anderes, nicht was den sachlichen Inhalt angeht, den der Satz ausdrückt, sondern in bezug
auf seine Musik. Und die Musik, und zwar
ganz besonders die Musik der Prosa, ist eines
der wenigen wahrhaft magischen, wahrhaft
zauberischen Mittel, über welche auch heute
noch die Dichtung verfügt. Diese winzigen
Silben, hinzugefügt oder weggelassen, nötigenfalls unterstützt durch die Interpunktion, haben
eine rein dichterische, vielmehr eine rein musikalische Funktion und Bedeutung. Sogar die
Literaturwissenschaft hat das seit kurzem entdeckt und zum Gegenstand intensiver Forschungen gemacht.
Und nun, wenn Sie mir bis hierher freundlich gefolgt sind, folgen Sie mir noch einen
kleinen Schritt weiter. Stellen Sie sich bitte
einen Augenblick lang vor, Sie wären Korrektor nicht in einer Druckerei für Literatur, sondern in einer Notendruckerei für musikalische
Werke. Als Vorlage für den Druck hätten Sie
irgend eine Partitur, einen Klavierauszug oder
sonst ein Werk, sei es in der Handschrift des
Komponisten, sei es in einem älteren Druck.
Als Mitarbeiter hätten Sie den Notenstecher,
und mit ihm gemeinsam hätten Sie als Wegweiser und Richtschnur einen musikalischen
Duden, das Buch eines musikalischen Schullehrers also, das über die Gesetze und Mittel
des musikalischen Ausdrucks, soweit er sich in
Notenbildern wiedergeben lässt, Bescheid gibt,
dessen Autor ein guter Kenner der musikalischen Sprache, jedoch kein Schöpfer und
vielleicht auch kein wirklicher Freund und
Versteher der musikalischen Meister ist. Sein
Buch hätte die Aufgabe, Leuten als Berater zu
dienen, welche Musik schreiben wollen, ohne
die Gesetze, Gewohnheiten und Handwerksregeln dieser Tätigkeit ganz zu beherrschen.
Das Fatale an diesem wohlgemeinten und sehr
nützlichen Buche wäre nur, dass es in einem an
Gehorsam gewöhnten Volk durch staatliche
Autorität als unbedingt massgebend eingeführt
wäre.
Mit Ihrem nach seinem Musik-Duden gedrillten Notenstecher würden Sie nun also den
Druck eines Notenwerkes beginnen. Sie wür-
Hermann Hesses Text erschien am Samstag,
dem 5. Oktober 1946, in der Morgenausgabe
der «Neuen Zürcher Zeitung».
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