POINT OF SALE Let’s get phytigal ����������������������������������������������������������������������������������������� CLAUDIA RIVINIUS Intelligente Handelskonzepte für die Zukunft Phytigal ist das neue Schlagwort, wenn es um Kommunikationskonzepte für den Handel der Zukunft geht. Das Kunstwort ist eine Kombination aus „physical“ und „digital“ und beschreibt die Verschmelzung zwischen Offline- und Online Welten. D ie Zukunft wird komplett vernetzt sein“ - das prognostizieren nicht nur Forscher und IT-Spezialisten. Jeder von uns erlebt bereits heute, wie stark wir Teil dieses Netzes sind, wenn wir einen Tag keinen Zugang zu W-LAN haben oder die Akkulaufzeit unserer mobilen Endgeräte kürzer ist als unser Kommunikationsbedürfnis. Vor diesem Hintergrund muss sich der Handel neuen Herausforderungen stellen. Mit Augmented Reality, QR Codes, Beacons und mobilen Technologien wird die Verbindung zu Kunden lebendiger, intensiver und spannender. Interaktion ist zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich. In der „Generation Connected“ gibt es keine Trennung zwischen Offline und Online. Ein Claudia Rivinius ist Marketing Director bei der STI Group. [email protected] www.sti-group.com 16 Produkt kann nur dann erfolgreich vermarktet werden, wenn sich das Marketing in beiden Welten – den digitalen und physischen Räumen – gleichermaßen bewegt. Im phytigalen Marketing ist es unerlässlich, dass Marken auf allen Kanälen für ihre Kunden präsent sind und Berührungspunkte auf die digitale und die physische Welt erweitert werden. Wer die Customer Journey beleuchtet, wird feststellen, dass jeder Kunde einen anderen Weg wählt, bevor das Produkt zum Schluss im Einkaufswagen – egal ob physisch oder virtuell – landet. Im Schnitt sind es 21 Touchpoints, die wir mit einer Marke haben, bevor wir uns zum Kauf entscheiden. Der erste Kontaktpunkt hat dabei viele Dimensionen: Ein Blick ins Schaufenster, das Productplacement im Dschungelcamp, die Empfehlung einer Freundin, ein Mailing oder die klassische Anzeige in einer Zeitung. Verschlungen sind die Pfade bis der potenzielle Kunde beim Produkt landet – dort gibt es dann deutlich weniger Optionen. Entweder erwirbt der Shopper das Produkt im Laden, im Web oder über einen Verkaufsautoma- 03/2016 ten. Das Gros entfällt dabei unverändert auf die Warenpräsentation im Markt. Sieht der Shopper das Produkt im Regal oder in der Zweitplatzierung und verfügt es über eine entsprechende „Stopping-Power“, dann ist die Chance groß, dass es auch den Weg in den Einkaufswagen findet. Eine in 2012 von Marketing-Experte Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch zum Thema „Customer Touchpoint Marketing“ durchgeführte Studie, bewertet alle Kommunikationskanäle, in denen der Kunde mit der Marke in Berührung kommt und die seine Kaufentscheidung nachhaltig beeinflussen. Darin rangiert der POS unter den Top Vier. Ausschlaggebend für das hohe Ranking war auch hier wieder die Fähigkeit, dem Konsumenten ein direktes Produkterlebnis zu ermöglichen und alle Sinne anzusprechen. Die Konsumgüterhersteller haben erkannt, dass Kundenbindung vor allem eine Sache der Inszenierung und Steigerung des Markenerlebnisses ist: Mit begehbaren Markenwelten wie dem Maggi-Kochstudio-Treff, dem Nivea-Haus oder der Chiquita Fruit Bar. Da- her ist die Zukunft des POS der POC – der Point of Communication. Wenn es gelingt, den eigenen Laden zur Begegnungsstätte zu machen, in der Kunden miteinander, mit der Marke und den Mitarbeitern in den Dialog kommen, dann stellt sich auch der Verkaufserfolg ein. In der Praxis kann diese Entwicklung jedoch zu einer völlig anderen Form der Warenpräsentation führen: Anstatt durch eine Vielzahl gleichartiger Produkte Warendruck zu erzeugen, werden einzelne Produkte so inszeniert, dass der Kunde sie ausprobieren kann. Was kann der Offline-Handel, das der Online-Handel nicht kann? Wenn man die Frage so umkehrt, wird sehr schnell deutlich, dass die Möglichkeit, ein Produkt mit allen Sinnen zu erleben, es auszuprobieren und darüber mit Experten (geschulten Fachkräften) ins Gespräch zu kommen, die großen Vorteile des stationären Handels sind. Diese muss er ausbauen. Hinzu kommt die sofortige Verfügbarkeit des Produktes, denn je nach Produkt oder Warengruppe stellt der Kauf eine Belohnung dar – und auf diese möchte der Verbraucher nicht warten müssen. Gelingt es, mit dem Verbraucher in Interaktion zu treten – sei es durch eine Verkostungs- oder Gewinnspielaktion – oder auch den Einsatz neuer Technologien wie QR-Codes oder Augmented Reality, dann ist höchste Aufmerksamkeit gesichert. Wenn es um die Vernetzung von On- und Offline-Kommunikation geht, hat der stationäre Handel einen weiteren Vorteil: Er kann in seinem Laden auch die Online-Möglichkeiten darstellen, während vor dem Computer die Welt weiterhin virtuell bleibt. Case-Study: Schatzsuche im Supermarkt Die Integration sogenannter Beacons – kleine Sender, die Botschaften an Smartphones versenden – kann dem Erlebnis Einkauf neue Impulse geben. Wie die digitale Kundenansprache zukünftig am Point of Sale genutzt werden könnte, haben die STI Group und das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in einem Pilotprojekt gezeigt. Auf dem Heimweg von der Uni fährt Isabelle noch kurz zum Supermarkt, um ihren Kühlschrank fürs Wochenende zu füllen. Ihr Smartphone ist wie überall dabei. Unter den zahlreichen Apps, die sie installiert hat, ist auch die ihres Lieblingshändlers. Er informiert seine Kunden damit über Sonderangebote und spezielle Promotions. Diese kommen dann meistens wie gerufen. Als Isabelle den Markt betritt, erscheint auch gleich die erste Nachricht. Sie macht neugierig: „Hol dir den Energy-Kick!“ heißt es. Doch statt weitere Informationen zu geben, fordert die App zu einer Schatzsuche im Laden auf: Wenn Isabelle das Display findet, in dem der Drink angeboten wird, bekommt sie einen Rabatt und gleichzeitig die Chance auf ein Stuntman-Action-Wochenende in Berlin. Eigentlich standen Energy-Drinks gar nicht auf ihrer Einkaufsliste, doch die Promotion klingt attraktiv, zumal das Smartphone ihr den Weg zum Display weist. 03/2016 17 POINT OF SALE Ein Multitouch-Display, das durch das Auflegen von Produkten Informationen zum Produkt, zu Vergleichsprodukten und Produktkombinationen anzeigt. Kommt ein Kunde in ein Geschäft erhält er am Handy Informationen zu Sonderangeboten und Gewinnspielen. Die Handy-App führt den Kunden gezielt zum Display und ermöglicht ihm mittels QR-Code einen individuellen Rabatt. 18 03/2016 Ein bisschen fühlt sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt, als es hieß „heiß oder kalt“, denn die App zeigt ihr die Entfernung zum Display an, und ob sie sich diesem nähert oder sich davon entfernt. So kann Isabelle das Erlebnis Schatzsuche in ihren Einkauf integrieren. Als sie nur noch einen Meter von der Platzierung entfernt ist, erscheint auf ihrem Smartphone ein QR Code mit der Botschaft: „STImulate – der Energy Drink für deinen coolsten Kick des Tages. Jetzt ausprobieren zum Vorteilspreis! Heute nur für dich 0,69 € statt 0,99 €. Einfach Coupon an der Kasse einlösen.“ Zudem erfährt sie, dass sie das Stuntman Action-Wochenende in Berlin gewinnen kann, wenn sie ihren persönlichen KickstartMoment mit STImulate auf Facebook hochlädt. „Den Spaß lasse ich mir nicht entgehen“, denkt sich Isabelle, entnimmt der Zweitplatzierung drei Dosen STImulate und setzt ihren Einkauf fort. Als die Kassiererin ihre Einkäufe scannt, zeigt sie ihr Smartphone mit dem QR-Code vor und bekommt den Rabatt von 0,90 € direkt vom Kassenbon abgezogen. Ein Beacon, der in die Chep-Palette unter dem Display integriert ist, macht die Schatzsuche möglich. Der Mehrweg-Ladungsträger wird damit zu einem interaktiven Medium. Beacons sind kleine Sender, die über die Bluetooth Low-Energy-Technology (BLE) dauerhaft ein Signal senden. Ihre Reichweite kann von 0,30 – 100 Meter individuell eingestellt werden. Noch gibt es im Handel keine Paletten mit integrierten Beacons, doch das könnte sich bald ändern. Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML entwickelte die Idee, eine der Arretierungsschlitze der Chep-Palette zu nutzen, um den Sender dort dauerhaft zu integrieren. „Da Beacons mit 20 bis 30 Euro pro Stück vergleichsweise teuer sind, war uns schnell klar, dass diese nicht als Wegwerfprodukt in ein WellpappDisplay integriert werden können“, so Philipp Wrycza, Projektleiter AutoID-Technologien vom Fraunhofer-Institut in Dortmund. Daher könnte zukünftig ein Teil des ChepPalettenpools mit den Beacons ausgestattet werden, so dass Markenartikler diese direkt mit der Palette mieten können. Gehen die Paletten nach Ablauf der Aktion an den Poolbetreiber zurück, werden sie von diesem geprüft, der Content auf dem Beacon gelöscht und eine neue Promotion kann starten. Dies ist deutlich günstiger als eine Feld-Installation, die zudem einen hohen Wartungs- und Pflegeaufwand mit sich bringt. Chep arbeitet aktuell an einem Feldtest zur Nutzung der Beacon-Technologie. Da viele Displaylösungen der STI Group auf Palette ausgeliefert werden, war im Austausch mit dem Fraunhofer-Institut sehr schnell klar, dass diese Idee für Mar- P O I NT O F SA L E kenartikelhersteller sehr interessant sein kann. Sie bekommen damit die Chance, mit geringem Aufwand eine interaktive CrossChannel-Promotion durchzuführen. Das von den Display-Experten des Unternehmens entwickelte Display für die Eigenmarke STImulate besticht damit nicht nur durch seine außergewöhnliche Form und ein attraktives Design, sondern auch durch eine direkte Konsumentenansprache. Auf den Microsoft Reinvention-Flächen in großen Elektronikmärkten wie Media Markt und Saturn werden die Grenzen zwischen TV- und PC-Geräten sowie Mobiltelefonen aufgebrochen und die Produkte können frei miteinander kombiniert ausprobiert werden. Für eine aktive Shopper-Ansprache am Puls der Zeit sorgt das Microsoft Surface. Bereits von weitem wirkt die Video-Dauerschleife als Anziehungs- und Informationspunkt auf die Shopper. Halten diese länger als drei Sekunden vor dem Surface Band inne, stoppt das Video und der Shopper wird mittels einer Step-by-Step-Anleitung durch ein interaktives Produktszenario geführt. Durch die angeleitete Interaktion beschäftigen sich die Shopper länger und intensiver mit dem Produkt, lernen ganz nebenbei die Einsatzmöglichkeiten und Mehrwerte kennen und haben unbewusst ein Erfolgserlebnis. Was zunächst wie ein leuchtender Designtisch aussieht ist das zweite interaktive Highlight der Präsentation: Ein MultitouchDisplay. Die interaktive Menüführung, gesteuert durch einfaches Berühren, eröffnet den Shoppern einen gezielten und intuitiven Zugang zu den gewünschten Informationen. Durch das Auflegen von Produkten werden zugehörige Produktinformationen angezeigt sowie Produktvergleiche und Verbindungsmöglichkeiten mit anderen Microsoft-Produkten visualisiert. Nicht nur die Shopper werden hier auf ansprechende Weise an die Produktinformationen herangeführt – auch die Verkaufsberater am POS können das Multitouch-Display bei der Beratung unterstützend nutzen. „Durch die Store-Lösungen kann die Vernetzung der verschiedenen Microsoft-Produkte nicht nur theoretisch erklärt, sondern von den Shoppern auch live ausprobiert werden. Die Kunden können die Möglichkeiten der Vernetzung besser greifen und erkennen das volle Ausmaß der Einsatzmöglichkeiten. Dies hilft natürlich bei der Vermarktung. Der Absatz der Microsoft-Produkte ist seit der Installation des Microsoft-Stores spürbar angestiegen“, so Carsten Geilert, Geschäftsführer Saturn Ingolstadt. Foto: STI Case Study: Multitouch-Display als Verkaufsberater Der Mehrwegladungsträger kann mittels Barcodes, kleiner Sender, zum interaktiven Medium werden. 03/2016 19