Themenwoche Psychische Gesundheit „Kinder psychisch kranker Eltern – Kinder im Rollenkonflikt“ Dr. Michaela Tröger 18.01.2017 1 Kinder psychisch kranker Eltern Kinder im Rollenkonflikt Dr. med. Michaela Tröger Fachärztin für Kinder-und Jugendmedizin Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen Themenwoche Psychische Gesundheit, Neustadt an der Aisch, 18.01.2017 Psychische Erkrankungen von Eltern Häufige psychiatrische Erkrankungen sind: • Suchterkrankungen (Alkohol, Drogen) • Affektive Störungen (unipolare, bipolare, MajorDepression) • Schizophrenien (Wahnvorstellungen, verzerrte Wahrnehmung) • Angst- und Zwangsstörungen • Persönlichkeitsstörungen (V.a. Borderline-Störung) Belastungen für die Kinder • Art der elterlichen Erkrankung • Fehlendes Wissen über die Erkrankung • Umgang mit der Erkrankung innerhalb der Familie ▫ Tabuisierung ▫ Isolierung ▫ Kommunikationsverbot • • • • Unstrukturierter familiärer Alltag Verschiebung der Familienhierarchien Paarkonflikte der Eltern, Trennung der Eltern Fehlende emotionale und soziale Unterstützung in Krisensituationen (Krankheitsschübe, Krankenhauseinweisungen) Belastungen für die Kinder Die Erziehungskompetenz der Eltern ist krankheitsbedingt zumindest vorübergehend erheblich eingeschränkt. Dies ist umso gravierender, wenn der erkrankte Elternteil alleinerziehend ist. Folgen der Belastung durch psychisch kranke Eltern • • • • • Desorientierung, Angst, Schuldgefühle, Loyalitätskonflikte Auflösung von Familienstrukturen Parentifizierung Parentifizierung Allgemein: Subjektive Verzerrung einer Beziehung Häufig in Familien mit einem psychisch oder körperlich kranken Elternteil Paarbeziehung >> Ehepartner übernimmt Elternrolle Eltern-Kindbeziehung >> Rollenumkehr Kinder übernehmen Eltern- oder Partnerfunktionen: • Funktional und instrumentell ▫ Im Haushalt und bei der Erziehung der jüngeren Geschwister • Emotional ▫ Als Vertraute und Ratgeber der Eltern, ▫ Als primäre Quelle von Unterstützung und Trost Parentifizierung Enorme psychische Leistung im positiven Fall: • Steigerung des Selbstbewusstseins • Steigerung der Empathiefähigkeit Im negativen Fall. • Hemmung der kindlichen Entwicklung • Auftreten von psychischen Störungen In jedem Fall (teilweiser) Verlust der Kindheit Parentifizierung • Adaptive Parentifizierung: Das Kind ist durch die Übernahme von Aufgaben nicht in der eigenen Entwicklung eingeschränkt, erhält Unterstützung und positive Rückmeldung. >> eher instrumentell • Destruktive Parentifizierung: Das Kind übernimmt alters-und entwicklungsunangemessene Verantwortung, ordnet eigene Bedürfnisse unter, wird von den Eltern zur Befriedigung eigener Bedürfnisse missbraucht und erhält keine Anerkennung. >>eher emotional Folgen der Belastung durch psychisch kranke Eltern • Hochrisikofaktor für die kindliche Entwicklung • „Erkrankung“ der gesamten Familie • Beeinträchtigung der Entwicklung bereits während der Schwangerschaft • Frühe Störung der Mutter-Kind-Interaktion führt zu pathologischen Bindungsmustern • Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten • Psychische Störungen und/oder psychiatrische Erkrankungen in Abhängigkeit vom Lebensalter! Erkrankungsrisiko der Kinder Ist abhängig von • Art, Schwere und Dauer der elterlichen Erkrankung • Vom Alter des Kindes bei Auftreten der Erkrankung • Von zusätzlichen Risikofaktoren wie ▫ ▫ ▫ ▫ Sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Aspekten Schwachen Familienstrukturen und sozialen Netzwerken Niedriger Intelligenz bei Eltern und/oder Kind Erhöhter Wahrscheinlichkeit von Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch Erkrankungsrisiko der Kinder • Spezifisches psychiatrisches Erkrankungsrisiko, genetische Disposition für die gleiche Erkrankung ▫ Schizophrenie x 10 (ein Elternteil erkrankt) x 40 (beide Elternteile erkrankt) ▫ Depression x 6, andere Affektive Störungen x 2-3 ▫ Suchterkrankung x6 • allgemeines psychiatrisches Erkrankungsrisiko an einer anderen psychischen Störung zu erkranken ▫ z.B. 60% der Kinder von Eltern mit einer Major-Depression entwickeln im Verlauf der Kindheit und Jugend eine psychische Störung Erkrankungsrisiko der Kinder • Kinder psychisch kranker Eltern haben im Vergleich zu gesunden Familien ein 4-fach erhöhtes Risiko, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. • Mögliche Erkrankungen: Angststörungen, Phobien, Panikstörungen, ADS, Suchterkrankungen, Schuldkomplexe, depressive Episoden Einschränkung der interpersonellen Bindungsfähigkeit, Häufigkeit der psychischen Störungen von Kindern psychisch kranker Eltern • Psychisch Kranke haben genauso häufig Kinder wie Gesunde • Ca. 3 Mio Kinder und Jugendliche haben in Deutschland ein krankes Elternteil • Bei jedem 5. Kind sind auch die Großeltern erkrankt • Es besteht eine hohe Kontinuität über Generationen Englische Studie, Beobachtungszeitraum 4 Jahre: • 1/3 ohne ernsthafte psychische Störung • 1/3 vorübergehende psychische Störung • 1/3 anhaltende, gravierende psychische Störung Resilienz vs. Vulnerabilität Resilienz: „psychische Robustheit“ Prozess, Fähigkeit oder das Ergebnis erfolgreicher Anpassung angesichts herausfordernder oder bedrohlicher Umstände, Dynamischer interaktioneller Prozess zwischen Kind und Umwelt Vulnerabilität: „psychische Verletzlichkeit“ Genetisch oder biografisch erworbene Schwellensenkung gegenüber Reizen Vulnerable Phasen bei anstehenden Entwicklungsaufgaben Resiliente Kinder • Personelle Resourcen: Temperamentsmerkmale, intellektuelle Fähigkeiten Handlungsmuster, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit, Problemlösekompetenz, soziale Kompetenzen, Impulskontrolle • Soziale Resourcen: Stabile und sichere Bindung, positive elterliche Paarbeziehung, soziales Netzwerk, Verfügbarkeit von Familienmitgliedern, Freunden, Vereinen • Günstige Bewältigungsstrategien Bewältigungsstrategien (Coping) Typische Bewältigungsstile 1. Problemorientiert 2. Internal, emotionsregulierend 3. Suche nach sozialer Unterstützung 4. Problemmeidung aktive Suche nach Lösungen konstruktiv oder destruktiv konkrete oder emotionale Hilfe passiv oder ausweichendes Verhalten Merke: Jedes maladaptive Reaktionsmuster war einmal adaptiv Strategien zu Entlastung Prävention - Therapie - Intervention • • • • • • Identifizierung gefährdeter Kinder Krankheitseinsicht und Therapiewilligkeit des kranken Elternteils Förderung der Resilienz, Verringerung der Vulnerabilität Enttabuisierung, kindgerechte Erklärung der Erkrankung Förderung der intrafamiliären Kommunikation Konkreter Krisenplan, wen wann anrufen, wohin bei nötiger Fremdunterbringung Niedrigschwellige Angebote: Koki, Familienpaten, Erziehungsberatung, Erziehungsbeistand JA, Gruppenangebote, Selbsthilfegruppen für betroffene Lebenspartner Strategien zu Entlastung Prävention - Therapie - Intervention • Therapie des erkrankten Elternteils (Medikamente, PT) • Psychotherapie für das betroffene Kind (TFP, VT) • Spezielle Eltern-Kleinkindtherapie protektiv bei depressiven Müttern, Verhinderung des „emotionalen Downloads“ • Familientherapie mit Fokus auf der Interaktion • Therapien können ambulant oder stationär stattfinden Setzt Information, Krankheitseinsicht und Disziplin voraus! Psychotherapeuten, Kliniken, JA Strategien zu Entlastung Prävention - Therapie - Intervention Eingriff in die elterliche Sorge • • • • Strikte Beachtung der Verhältnismäßigkeit! In der Regel mit Einwilligung der Eltern Unverschuldetes Elternversagen bei tatsächlicher gegenwärtiger oder nahe bevorstehender Kindeswohlgefährdung JA, Familiengericht Fallgruben • Schwellenängste, Vermeidungsstrategien, Misstrauen bei den betroffenen Eltern • Doctor-Hopping und Behandlungsabbrüche • Mangelhafter Informationsaustausch unter Institutionen und Therapeuten (Schweigepflicht!) • Mangelhaftes Angebot an Präventionsgruppen und Therapieplätzen • Langfristige Finanzierung von präventiven und unterstützenden Maßnahmen Literatur • Lenz A. (2012) Basiswissen: Psychisch kranke Eltern und ihre Kinder Psychiatrieverlag • Lenz A. (2014) Kinder psychisch kranker Eltern Hogrefe • Plass A., Wiegand-Grefe S. Kinder psychisch kranker Eltern, Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln Beltz • Mattejat F., Remschmidt H. Kinder psychisch kranker Eltern Deutsches Ärzteblatt 105(23):413-418 www.aerzteblatt.de Literatur Kindern Depression erklären Erdmute von Mosch Mamas Monster BALANCE buch + medien verlag Kindern Borderline erklären Christiane Tilly, Anja Offermann Mama, Mia und das Schleuderprogramm BALANCE buch + medien verlag Kindern Psychose erklären Der beste Vater der Welt BALANCE buch + medien verlag Vielen Dank für Ihr Interesse, Ihre Mitarbeit und Ihre Aufmerksamkeit! Dr. med . Michaela Tröger Kinder- und Jugendarztpraxis Dres. D. Distel, M. Tröger, C. Schenke Robert-Bosch-Str. 7, 91413 Neustadt/Aisch Tel.: 09161/899488