„Jede Zeit braucht ihre Tabubrüche, sonst kommt die Gesellschaft

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frei[handels]zone des Handelsverbands am 04. Dezember 2014:
„Jede Zeit braucht ihre Tabubrüche, sonst kommt
die Gesellschaft keinen Millimeter weiter“
Wien, 05.12.2014 – Werbung trägt entscheidend zum Erfolg von Unternehmen bei. In der Flut an
Kampagnen setzen viele Werber auf aufsehenerregende Spots und Sujets – überschreiten dabei aber
mitunter die Grenzen der gesellschaftspolitischen Akzeptanz. Wie weit darf Werbung gehen? Diese
Frage diskutierten hochkarätige Experten am 04. Dezember 2014 im Rahmen der frei[handels]zone, die
der Handelsverband diesmal in Kooperation mit dem Österreichischen Werberat durchführte. Fazit:
Tabubruch ist nicht gleich Tabubruch und seine Werbewirkung ohnehin fraglich.
Gender nein, Trunkenheit ja
„Die Dichte an Tabubrüchen ist in den letzten Jahren nicht gestiegen, wohl aber die Sensibilität der
Gesellschaft. Heute regt man sich über Dinge auf, bei denen sich vor 20 Jahren keiner was gedacht hat“. Diese
Worte von Roswitha Hasslinger, Gründerin und Geschäftsführerin der Hasslinger Consulting sowie
Vizepräsidentin der Österreichischen Werberats, waren der Aufschlag für ein spannendes Match, das im
Handelsverband stattfand: Auf dem Podium ging es um das Spannungsfeld zwischen gelungenen Werbespots
und gesellschaftlichen Tabubrüchen. Martin Engelmann, Geschäftsführer der dm drogerie markt GmbH,
schloss sich Hasslingers Meinung an: „Heute erkennen wir als Gesellschaft eher einen Tabubruch in Dingen,
die früher eine Kleinigkeit gewesen wären.“ Moralische Werte haben sich im Laufe der Zeit verändert:
Klischees bzgl. Rollenverteilung werden kritisch gesehen, und es ist ein No-Go Kinder herabzuwürdigen. Milder
hingegen ist die Gesellschaft bei Trunkenheit, Kavaliersdelikten und – inzwischen – Homosexualität, so Ruth
Wodak, Professorin der Linguistik an der Lancaster University. Ob ein Tabubruch also wirklich einer ist, das
hängt vom Was, Wann, Wo und dem konkreten Zusammenhang ab.
Die Werbewirkung des Tabubruchs
„Natürlich ist ein Tabubruch ein geeignetes Mittel, Aufmerksamkeit zu erregen“, erklärt Wodak, „aber er kann
nicht für sich alleine stehen.“ Die Kraft liege in einer Kombination etwa mit Überraschungseffekten oder
aufgeworfenen Fragestellungen. Auf den Sender der Botschaft käme es an, findet wiederum Engelmann von
dm: „Wenn man jung und vielleicht neu auf dem Markt ist und wenig Budget hat, dann kann man sich einen
Tabubruch eher erlauben.“ Etablierte Marken hingegen müssen viel sensibler mit den Konsumenten umgehen
und eher den Dialog suchen. Auch Alfred Koblinger, CEO der PKP BBDO Werbeagentur GmbH, sieht keinen
Erfolg im werblichen Einsatz von Tabus und Klischees: „Letztendlich geht das meist nach hinten los.“
Tabu, Werbung, Kunst und Fortschritt
„Tabubrüche sind nicht Aufgabe der Werbung, sondern der Kunst“, findet Koblinger weiter und stößt damit auf
allgemeinen Beifall. Grenzüberschreitungen sind eine der Gesellschaft geradezu inhärente Notwendigkeit: Kein
Generationenwechsel ohne Infragestellung des Vorangegangenen – die Realitäten der Elterngeneration zu
enttabuisieren ist doch der Motor für gesellschaftlichen Wandel und Fortschritt. „Jede Zeit braucht ihre
Tabubrüche, sonst kommt die Gesellschaft keinen Millimeter weiter“, heißt es auch aus dem Publikum. Ob in
der Werbung oder Kunst – über die Qualität und Akzeptanz einer Überschreitung moralischer Grenzen
entscheidet letztendlich der Faktor Innovation: „Ein wiederholter Tabubruch, der allein der Provokation dient,
wird ganz anders bewertet als ein innovativer, gesellschaftlich relevanter“, erläutert Hasslinger.
Ethische Kontrollinstanzen: Werberat und Social Media
Die Kontrollinstanz der Werbebranche in Österreich ist der Werberat. Rund 300 Beschwerden gehen jährlich
dort ein, weil sich Konsumenten durch eine Werbemaßnahme belästigt, verletzt oder irregeführt fühlen. Meist
geht es um Klischees, die beim Betrachter ein Schmunzeln erzeugen sollen, die jedoch als diskriminierend,
herabwürdigend oder sexistisch empfunden werden. Der 215-köpfige Werberat entscheidet im Beschwerdefall
über das betroffene Sujet und entwarnt, sensibilisiert oder stoppt die Kampagne. Heutzutage gibt es aber noch
eine weitere Instanz: Die breite Öffentlichkeit, der mittels Social Media eine Stimme verliehen wurde. Zwar stellt
sich hier die Frage nach Qualifikation, Repräsentativität und Herdenmechanismen, doch ein „Shitstorm“ mag
zuweilen effizienter sein als ein vom Werberat ausgesprochener Kampagnenstopp.
Watschn und Wahrhaftigkeit
Die Watschn, die der Vater seiner Tochter in einem Werbespot androht, verstößt gegen den Kodex des
Werberats – so viel ist nach dem Abend klar. Aber wie steht es um die Umwelt? Welche Instanz prüft, ob es
aus Gründen globaler Nachhaltigkeit ethisch vertretbar ist, eine jährliche Erneuerung des Smartphones zu
bewerben? Und wer judiziert über Wahrhaftigkeit, also darüber ob Werbung für Produkte legitim ist, die
erwiesenermaßen gar keinen bzw. nicht den versprochen Nutzen liefert? In Zukunft vielleicht eine breite,
nachhaltig denkende Öffentlichkeit. Ethik ist jedenfalls eine Generationenfrage, die per definitionem nicht an
einem Abend zu beantworten ist.
Durch die Veranstaltung führte mit Humor und großer Sachkompetenz Sebastian Loudon, Verlagsleiter und
Herausgeber von HORIZONT. Mehr als 60 BesucherInnen folgten den Vorträgen im Handelsverband und
beteiligten sich an der lebhaften Publikumsdiskussion, darunter Alexander Pietsch (Nordsee), Andreas Wastian
(Meinl am Graben), Martin Kowatsch (Das Futterhaus), Nicole Sonntag (REWE) und Bernhard Koler
(Forstinger). Abschließend bot sich bei einem Weihnachtsumtrunk die Gelegenheit zu ausführlichem
Networking.
Über den Handelsverband – Verband österreichischer Mittel- und Großbetriebe des Handels
Der Handelsverband ist die freiwillige Interessenvertretung von aktuell etwa 100 österreichischen Mittel- und Großbetrieben
des Handels. Für seine Mitglieder setzt der Verband politische und wirtschaftliche Interessen durch; zu diesem Zweck
engagiert er sich aktiv im Fachdialog mit der öffentlichen Verwaltung, der Zivilgesellschaft und anderen Wirtschaftszweigen.
Darüber hinaus ist der Verband ein zentraler Informationsdienstleister für die Branche, der mit Studien, einem
Branchenmagazin und zahlreichen Fachveranstaltungen wichtigen Input liefert. Mit Richtlinien, Kennzeichen und
Gütesiegeln setzt der Handelsverband Standards und fördert das Qualitätsbewusstsein und Vertrauen der KonsumentInnen
zum Handel. www.handelsverband.at
Rückfragehinweis:
Isabel Lamotte, Communications Managerin, Handelsverband
E [email protected] | T +43 (1) 406 2236-77
Pressefotos – Zum Download >>
Katharina Schiffl, © Handelsverband. Abdruck honorarfrei.
Gruppenfoto: Sebastian Loudon (Horizont), Martin
Engelmann (dm drogerie markt), Ruth Wodak (Lancaster
University), Roswitha Hasslinger (Hasslinger Consulting;
Werberat), Rainer Will (Handelsverband), Alfred Koblinger
(PKP BBDO Werbeagentur), Michael Straberger
(Werberat)
Auf dem Podium: Martin Engelmann (dm drogerie
markt), Roswitha Hasslinger (Hasslinger Consulting;
Werberat), Sebastian Loudon (Horizont), Ruth Wodak
(Lancaster University), Alfred Koblinger (PKP BBDO
Werbeagentur)
Martin Engelmann, Geschäftsführer, dm drogerie markt
GmbH
Roswitha Hasslinger, Gründerin & Geschäftsführerin,
Hasslinger Consulting; Vizepräsidentin, Österreichischer
Werberat
Moderator: Sebastian Loudon, Verlagsleiter und
Herausgeber, HORIZONT
Ruth Wodak, Distinguished Professor for Discourse
Studies, Department of Linguistics, Lancaster University
Alfred Koblinger, CEO, PKP BBDO Werbeagentur
GmbH
Aufmerksames Publikum: Über 60 Gäste
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