Stadtmorphologie und Klimawandel

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Stadtmorphologie und Klimawandel
Welche Stadtstrukturen können den Klimawandel überleben?
Gerhard Curdes, Prof. em. für Städtebau und Landesplanung
Fakultät für Architektur, RWTH Aachen
Beitrag zum 17. International Seminar on Urban Form, Hamburg, August 2010
Stadt und Klima sind ein altes Thema. Es bekommt nun mit dem Klimawandel überall eine neue Aktualität. Was bedeutet die Erwärmung für die Städte? Und wie haben sich Städte bisher mit ihren Strukturen auf das Klima eingestellt? Es läge nahe anzunehmen, dass sich historische Städte in unterschiedlichen Klimazonen deutlich unterscheiden müssten: In warmen Klimazonen offenere Städte, um
die Durchlüftung zu fördern, in kalten Klimazonen Städte, die zur Minderung von Wärmeverlusten der
Bauten dicht und eng gebaut sind. Die historischen Strukturen der Städte in beiden Klimazonen sind
aber ähnlich: Sowohl in Nordeuropa, in Südeuropa als auch in den nordafrikanischen und arabischen
Städten finden wir dichte Bebauungen und enge Strassen. Die Ähnlichkeiten gehen auf den gleichen
physikalischen Vorgang zurück: Die Trägheit der Baumassen, äußere Temperaturveränderungen an
die Innenräume abzugeben. Dies führt zu der Frage, welche der älteren und der neueren Strukturen
dem Klimawandel eher Widerstehen können und was dafür zu tun ist. Dieser Artikel befasst sich mit
der Frage, welche Lösungen in der Stadtbaugeschichte für Klimaprobleme gefunden wurden, wie die
Eigenschaften unterschiedlicher morphologischer Strukturen einzuschätzen sind und welche der erwarteten Klimaänderung besser widerstehen können.
1. Stadt, Kultur und Klima
Der Klimawandel stellt die Gesellschaften und die Städte vor enorme Herausforderungen. Man kann
diese noch eine Zeit lang ignorieren und streitbar in Frage stellen. Aber entscheidend ist hier der Faktor Zeit. Es dauert, bis sich der Wandel in seinen Auswirkungen voll zeigen wird. Aber es dauert auch,
die möglichen und notwendigen Maßnahmen und Technologien zu entwickeln und zu implementieren.
Vor allem braucht es Zeit, adäquates Wissen und Verhalten zu erzeugen. Deshalb können Städte und
die Gesellschaft mit der intensiven Suche nach Lösungen nicht länger warten.
In der Herausforderung des Klimawandels stecken nicht nur Bedrohungen, sondern auch Chancen.
Wenn es gelänge, den die Atmosphäre schädigenden Energiekonsum durch unschädliche und nicht
begrenzte Erzeugungsformen, also im Kern durch solare Energieerzeugung, zu ersetzen, hätte die
Menschheit eine Technologie zur Verfügung, mit der sie auch unwirtliche Räume besiedeln und Hitzeund Kälteperioden überstehen kann. Gleiches gilt für den anstehenden Umbau der Städte. Wir müssen jetzt anfangen, angemessene Lösungen zu entwickeln und zu erproben, so lange die Mittel und
die Zeit dafür noch zur Verfügung stehen. Wenn wir wüssten, welche Elemente der städtischen Baustrukturen dauerhaft dem Klimawandel standhalten können, könnten wir Strategien entwickeln, die
richtigen Prioritäten zu setzen und uns nicht in Bereichen verzetteln, die vielleicht langfristig nicht zu
halten sind. Daher ist es Zeit, diese Fragen nun zu stellen.
1
Saskia Sassen befasst sich in ihrem Buch „Das Paradox des Nationalen, 2008 mit den Umschlagpunkten komplexer Systeme, die den Übergang von einer Ordnung zu einer anderen markieren.
Könnte es sein, dass sich der Klimawandel langfristig zu einem jener Umschlagpunkte entwickelt, mit
dem sich ganze Kulturen, auch die urbanen Kulturen, verändern? Dies hängt u. A. von den stadtmorphologischen Eigenschaften ihrer Städte ab. Welche Strukturen können den zu erwartenden Klimawandel besser überstehen? Und welche Zukunft kann die in der Stadtmorphologie eingeschriebene
Stadtgeschichte langfristig haben?
Nach dem Messina-Erdbeben 1908 (mit etwa 83.000 Toten) war der Hitzesommer 2003 mit ~ 70.000 2
Toten – überwiegend in den Städten – die zweitschwerste Naturkatastrophe der letzten 100 Jahre in
1
Europa. Was bedeutet die Erderwärmung für die Städte? Helle und grüne Dächer? Lüftungsschneisen?
Abriss von Quartieren zugunsten kühlender Grünflächen? Sind es die offenen Bauweisen der Vorstädte und der Suburbs oder sind es die kompakten Strukturen der historischen Bauphasen vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, die dem Klimawandel am besten standhalten können? Wie verhält es
sich mit den Städten in gemässigten und in heissen Klimazonen? Werden die Städte in den heissen
Klimazonen allmählich unbewohnbar und der Norden muß sich nur etwas anpassen oder ist es eher
umgekehrt, weil die nördlichen Städte an Anpassungsgrenzen stossen? Wir wollen diese hier etwas
überspitzten Fragen am Beispiel von vier Aspekten nachgehen: Den Mechanismen des Stadtklimas,
einigen historischen Strukturen, die an unterschiedliche Klimate angepasst waren, den Eigenschaften
von ausgewählten Bautypen aus warmen und gemäßigten Klimaten und den Eigenschaften ausgewählter Baublöcke und Siedlungsformen am Beispiel von Aachen. .
2. Stadtklima
Städte erzeugen ein eigenes Klima. Das Stadtklima in den gemäßigten Zonen wird geprägt durch
▪ die Wärmeinsel gegenüber dem Umland (~ +3 Grad)
▪ der Warmluftaufstieg erzeugt ein lokales Tiefdruckgebiet
▪ kühlere Luft vom Land zur Stadt strömt nach
▪ dieser Mechanismus wirkt, wenn der allgemeine Wind schwach ist.
▪ Innerhalb der Stadt wird der Wind beeinflusst durch die Strassen, (auf denen er eine höhere
Geschwindigkeit erreicht) und durch Plätze und größere Freiflächen und durch die Oberflächenrauhigkeit. 3
▪ Starkregen und Gewitter halten wegen der zahlreichen Kondensationskerne doppelt so lang
an und geben mehr Niederschlag ab als vor der Stadt 4 .
▪ Die relative Luftfeuchtigkeit ist in Städten gegenüber dem Umland geringer.
▪ Kühlende Faktoren sind Schatten, Luftzug, kühle Gebäudeteile, U-Bahn- und Kanalnetze,
Grün- und Wasserflächen.
▪ In den warmen und heißen Klimazonen kehren sich diese Faktoren teilweise um. Die heiße
Umgebungsluft soll von den Städten ferngehalten und Kühle-Inseln angestrebt werden, wozu
eine intensive Verschattung aller Energie aufnehmenden Massen (Gebäude, Strassen) gehört.
▪ Gebäudekühlung erfolgt über die Zufuhr von im Erdreich gekühlter Luft oder durch Klimaanlagen.
Diese Faktoren wirkten auch in den frühen Städten. Es kam im Norden daher schon immer darauf an,
die Verbesserung der Siedlungsdurchlüftung durch die Förderung der Frischluftzufuhr durch lokale
Windsysteme in die Stadtkonzeption einzubauen. Ein ganz wesentlicher weiterer Faktor ist die Kompaktheit der Bebauung. Mit kompakten Bau- und Stadtkörpern vermindert sich der Austausch mit der
umgebenden Atmosphäre. Sowohl in Nordeuropa, in Südeuropa als auch in den nordafrikanischen
und arabischen Städten finden wir dichte Bebauungen und enge Strassen. Die Ähnlichkeiten gehen
auf den gleichen physikalischen Vorgang zurück: Die Trägheit der Baumassen, äußere Temperaturänderung an die Innenräume abzugeben. Im Norden ist es vorwiegend die Wärme, die im Winter
durch Wand-an-Wandbebauung in den Gebäuden gehalten werden soll und im Süden ist es die
nächtliche Kühle, die durch Wand-an-Wandbebauung und verschattete Aussenflächen bewahrt werden kann. Nur in den feuchten Tropen muss wegen der hohen Luftfeuchtigkeit Kühlung über ständigen Luftzug hergestellt werde, was zu leichten, offenen Bauten führt.
Um ein erträgliches Stadtklima zu erzeugen, kommt es daher vorwiegend auf folgende Aspekte an:
▪ Kompakte Baustrukturen zur Speicherung von Wärme oder Kühle
▪ Enge Strassen zur Verschattung der Bewegungsräume in den heißen Klimazonen
▪ Türme, Hochhäuser und Windtürme zur Erzeugung von Auftrieb bei windarmen Wetterlagen
▪ Genügend Strassen in der Hauptwindrichtung zur Entlüftung und Kühlung
▪ Kühlende und verschattende Oberflächen (Wasser, Grünflächen, Parks, Gründächer, Schatten spendende Straßenbäume)
▪ Kaltluftentstehungs- und Kaltluftdurchzugsgebiete an Berghängen.
Wir betrachten hier keine topographisch unterschiedlichen Situationen, die für die jeweilige Stadt natürlich eine Rolle spielen, sondern stellvertretend zwei grundlegende Parameter:
a) Die Kompaktheit der Gebäude und Baublöcke,
b) die Fähigkeit der Strukturen zum Luftaustausch.
2
Die Kompaktheit wird gemessen an dem Verhältnis von Gebäudevolumen und äußerer Gebäudefläche, wobei die Bodenfläche eingerechnet und Wand-zu-Wandflächen abgezogen werden (Verhältnis
von Außenflächen zum Volumen A/V). Die Fähigkeit zum Luftaustausch der Gebäude und Stadtstrukturen wird jeweils spezifisch behandelt. Energetisch führt eine kompakte Morphologie zu geschlossenen Baustrukturen, die Temperaturunterschiede nur allmählich aufnahmen, weil die in den Baumassen gespeicherte Temperatur durch Wand-an-Wandbauweise sich wegen der geringen Kontaktflächen zur Aussentemperatur nur allmählich verändert. Kompakte Strukturen mit großen Baumassen
haben eine entsprechende Trägheit, die es erlaubt, den Tag-Nacht-Rhythmus für ein behagliches
Innenklima auszunutzen.
3. Kompakte Städte in der Antike
Es gab immer schon Gründe für kompakte Bebauungen:
▪ Der wertvolle knappe Raum innerhalb der Stadtmauern
▪ Kosteneinsparungen durch Wand-an-Wandbebauung
▪ Geringere Kosten für Strassen, Wasserver- und Entsorgung
▪ Geringere Entfernungen zu Versorgungspunkten (Brunnen, Beetstätten, Märkten)
▪ Aber auch die Trägheit kompakter Baumassen gegenüber Temperaturschwankungen.
Zwei Beispiele mögen hier genügen: Ur (Fig. 1) im heutigen Irak und Mohenjo Daru (Fig.2) im heutigen Pakistan. Ur ist eine der ältesten mesopotamischen Städte (~4000-2800 BC). Man erkennt ein
dichtes System von Bauten und engen Strassen, Gassen, Sackgassen und Gebäuden. Die Baumassen haben einen hohen Grad an Kompaktheit. Mohenjo Daru (2600 bis 1800 v. Chr. Teil der IndusKultur) zeigt eine dichte konzentrierte Bebauung mit geschlossen angebauten Strassen und Gassen.
Man erkennt eine Hierarchie des Strassennetzes und Elemente von Hofbebauungen. Das Prinzip der
auf innere Höfe orientierten Stadt und der geschlossenen Strassenfronten ist schon klar ausgebildet.
4. Kompakte Städte in warmen Klimazonen
Es liegt natürlich nahe, jene Kulturräume und Städte heranzuziehen, die schon länger mit einem
warmen bis heissem Klima zurecht kommen müssen. Besonders interessant sind dafür die islamisch
geprägten Städte. Während die europäischen Städte die Gebäude zumindest mit einer Fassade hin
zum Strassenraum orientieren und die Fassade Einblicke in die dahinter liegenden Räume gestattet,
drehen die „islamischen“ Städte mit dem Hofhaus die Orientierung um: Die Fassade ist fast geschlossen. Die Gebäude kehren sich nach Innen und entwickeln dort ihre architektonische Schauseite. Die
durch enge Strassen und Höfe bedingte Verschattung vermindert die Aufheizung der Gebäudewände.
Lediglich die horizontalen Dachflächen sind der Strahlung voll ausgesetzt, die durch jedoch durch
Verschattungselemente gemildert werden kann. Durch die Verwendung des Hofes als einzigem Freiraum konnten diese Städte viel kompakter bebaut werden. Allerdings begrenzt die Größe der Höfe
auch die mögliche Höhenentwicklung. Während in der europäischen Stadt die Reserveflächen der
Gärten später eine tiefere und höhere Bebauung erlaubten, sind der Höhenentwicklung der Hofhäuser
engere Grenzen gesetzt. Ein Paradebeispiel ist die Stadt Shibam, Jemen (Fig.3), die mit 6-8 geschossigen bis zu 500 Jahre alten Häusern in einem Klima mit bis zu 42 Grad im Sommer offenbar existieren kann. Hier wirken die Verschattung der engen Strassen, die kompakte Bebauung und die großen
Mauermassen klimaregulierend.
Sie war eines der Vorbilder für den Plan des CO2 neutralen Stadtkonzeptes für Masdar City in Dubai.
Die Kasbah in Algier (Fig.4) ist im Verglich mit Shibam niedriger bebaut, hat aber noch eine wesentlich
höhere Dichte. Ähnliche Strukturen hat die Altstadt von Fees, Marocco (Fig.5). Aber auch Stadtbereiche aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts können kompakte Formen haben. Fig. 6 zeigt ein
neueres Quartier mit Reihenhäusern inmitten von Rhyad, Saudi Arabia. Die Bauten haben mit den
Nachbarbauten je eine gemeinsame Wand und relativ schmale Wohnstrassen. Allerdings gibt es
kaum Baumbewuchs und auch die Dächer sind nicht verschattet. Der nahezu kostenlose Strom in
diesen Ländern verhindert eine angemessene Klimavorsorge bei den Gebäuden.
5. Stadtmorphologie und Klima im Mittelalter
Wie war diese Vorsorge in Europa? Das europäische Mittelalter hat auf der Basis optimierter Haustypen und Stadtanlagen einen Stadttypus hervorgebracht, der sich durch hohe bauliche Dichten, enge
Strassen und umlaufende Stadtmauern auszeichnete. Die Haustypen bestanden zumeist aus giebelständigen schmalen Gebäuden, deren Breite sich aus der Länge von Tragbalken und der Mindestbrei3
ten von Räumen ergab. Im Spätmittelalter und den Perioden danach wurden Parzellen zusammengelegt, dennoch blieb die Kompaktheit ein beherrschendes Merkmal. Die hohen Dichten waren dem
knappen ummauerten Raum geschuldet. Sie erhöhten sich im Hoch- und Spätmittelalter durch Übersprünge der Fassaden, durch Ausnutzung von Ecken und Hinterbereichen. Zum Klimaschutz trug
auch die Stadtmauer als Windschutz und Schutz vor Temperaturabfluss bei. In der kleinen mittelalterlichen Eiszeit von 1600-1800 war dieser Schutz besonders wichtig. Klimatisch war mangelnder Luftaustausch in den Blockinnenbereichen und in den Strassen aber zugleich ein Problem, weil sich
Rauch, Geruch und Feuchtigkeit verdichten konnten. Darauf wurde auch die Entstehung von Krankheiten zurückgeführt: „Die Auffassung, dass schlechte Luft, das Miasma, die Pest verursache, führte
zu vielen Maßnahmen in den Städten, die zwar zunächst lediglich den Gestank bekämpften, aber
auch indirekt die hygienischen Zustände verbesserten“5. An diesem Konflikt wird ein Dilemma deutlich:
Kompaktheit hilft Energie zu sparen, kann aber durch mangelnden Laufaustausch zu Gesundheitsschäden führen.
Betrachten wir nun exemplarisch einige mittelalterliche Städte. Am Beispiel von Aachen (Fig. 7) kann
die sparsame Form der Parzellenbildung verfolgt werden. Die Strassen zu den Toren sind vollständig
bebaut. Dahinter existiert noch viel unbebautes Land als Gartenfläche und Viehweide und zur Versorgung während einer Belagerung. Die Parzellen sind häufig schmal und tief. Manchmal wird eine breitere Parzelle mit zwei Gebäuden bebaut. Gekrümmte Strassen entstehen durch neue Stadttore, auf
die die Strassen nach dem Bau der 2. Stadtmauer zugeführt werden mussten. Soweit krumme Strassen nun eine Anpassung der Parzellenform erfordern, wird diese durch trapezförmige Parzellen erreicht. Fig. 8 zeigt am Beispiel des westlichen Teils der Jakobsstrasse diesen Anpassungsprozeß,
tiefe schmale und trapezförmige Parzellen und die Anpassung an ein neues Tor (oben links).
Dieser Prozeß der permanenten kleinteiligen Anpassung führte zu der Individualisierung der ansonsten oft gleichartig angelegten Städte und zu ihrem unverwechselbaren Bild, das ihre Dauerhaftigkeit
und Akzeptanz bis heute gesichert hat. Mit der Raumnot entwickelten sich auch in den mittelalterlichen Städten dichtere Bebauungen, bis hin zu vollständige überbauten Baublöcken. Die geschlossenen Platzecken, die Umbauung von Kirchen, die starke Überbauung der Grundstücke und die Erhöhung der erlaubten Zahl der Geschosse sind dem Platzmangel in mittelalterlichen Städten geschuldet.
Auf die kompakte Dichte ist ein erheblicher Anteil der Gebrauchsfähigkeit und Schönheit der öffentlichen Räume des Mittelalters zurück zu führen.
Das Beispiel Laugingen zeigt eine besonders kompakte Anlage der Baublöcke (Fig.9). Klimatisch
bedeutsam war auch die in der Höhe kontrollierte Dachlandschaft, über die der Flurwind ungehindert
hinweg streichen konnte. Bei austauscharmen Wetterlagen halfen die Kirchen und Stadttürme für
vertikale Luftbewegung. Die vertikale Struktur der kleinen Stadt Zierenberg zeigt idealtypisch Elemente der Klimavorsorge: Die schützenden Berge, die vor Abkühlung schützende Stadtmauer und den
Windauftrieb erzeugenden zentralen Kirchturm (Fig.10). Wir können daher fest halten: Die kompakten
mittelalterlichen Städte waren in der Raumausnutzung, der Organisation des öffentlichen und privaten
Raumes und eben auch stadtklimatisch ziemlich effizient. Ihr größter Schwachpunkt war die Holzbauweise (Brandgefahr) und die Verwendung von Holz als Brennstoff, da dies zu hoher Rauchbelastung
führte. Mit den heutigen abgasarmen Heizungen sind diese Probleme entfallen.
6. Entwicklung der Stadt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts war in Europa die Zeit des stärksten Städtewachstums. In wenigen Jahrzehnten vervielfachte sich die Bevölkerung und die bebaute Fläche vieler Städte. Grundprinzip der Stadterweiterungen war der Baublock mit seiner seit dem Barock ausformulierten Form
des Eckhauses und der kontrollierten Höhen und Fassadenfronten. Es entstanden Gebäude mit hohen Geschossen, aufwändigen Fassaden- und Innendekorationen, einschaligen dicken Mauern: die
Umsetzung des Schloss- und Villenbaubauprinzips für das bürgerliche Wohn- und Miethaus. In Industriestädten kamen Anbauten für Gewerbe und gering verdienende Bevölkerungsgruppen hinzu. Die
Nutzungen waren gemischt. In den Innenhöfen konnten Gewerbe, Kleinindustrien und Versorgungseinrichtungen sein. Die Bau- und Wohndichte war extrem hoch. Große Wohnungen waren oft durch
eingeplante Trennungsbereiche und mehrere Treppenhäuser in kleinere Einheiten unterteilbar. Die in
Europa höchste Verdichtung erreichte das Berliner Miethaus (Mietkaserne).
Auch hier gilt, dass diese Baustrukturen bei einer weniger dichten Belegung der Wohnungen und nur
gering störenden kommerziellen Nutzungen hoch effektive Stadtbausteine darstellen, die zukunftsfähig sind. Ihr günstiges A/V Verhältnis, robuste langlebige Konstruktionen und der hohe Dekorationswert machen sie auch zu beliebten Bauten der Gegenwart. Exemplarisch wird die hohe Dichte dieser
Baublöcke an Fig. 11 Berlin Kreutzberg und Fig.12 Berlin-Wedding deutlich.
4
5
6
7. Der Kampf gegen den Baublock
Es waren die Berliner Mietskasernen mit ihrer Überbelegung und den daraus folgenden hygienischen
Zuständen, die auch in Deutschland dem Leitbild von Howard´s Garden City zum Durchbruch verhalfen. Es entstanden zuerst Reformblöcke ohne hintere Bebauung und mit einheitlicher Wohnnutzung
(Hamburg, Berlin, Wien) denen in den späten 1920er Jahren ganze Wohnsiedlungen folgten: Frankfurt-Römerstadt, (Ernst May u.a.), Berlin-Siedlung Onkel Tom, Hufeisensiedlung (Bruno Taut) Fig. 14.
Wurden zunächst noch reformierte Blockstrukturen weitergeführt, wie in Hamburg Dulsberg durch
Fritz Schumacher (Fig.13) öffneten sich die Bauweisen unter dem „Diktat“ der optimalen Besonnung
immer weiter (Fig.15. Ernst May u. A. Frankfurt-Westhausen), bis nach 1950 immer offenere Kompositionen den Städtebau dominierten (Fig. 15 E. Kühn, Aachen Hanbruch). Negativer Gipfel dieser Entwicklung war das Märkische Viertel in Berlin (Fig. 17), eine Trabantenstadt für 50.000 EW., erbaut von
1963 bis 1974. Gemeinsam war vielen dieser Projekte die Abkehr von der angebauten Strasse, die
strenge Funktionstrennung und die Orientierung auf das reine Wohnen.
8. Zurück zu den klassische Prinzipien der Stadtplanung
In Deutschland erfolgte etwa ab 1975, dem Jahr des Denkmalschutzes und im Laufe der IBA Berlin
1987, eine Rückbesinnung auf die angebaute Strasse, auf den Baublock und auf eine moderate Nutzungsmischung. Die IBA führte zu einer Rehabilitation der historischen Stadtstruktur. Seitdem erfolgte
eine Renaissance der städtischen Bebauung mit dem Baublock als städtebaulicher Grundeinheit in
ganz Europa. Das, was sich in 5000 Jahren Städtebau als tauglicher Grundbaustein entwickelt hatte,
kompakte, dichte und gemischte Baustrukturen, war wieder anerkannt, wenngleich mit zeitbedingten
Verbesserungen und Modifikationen. Fig. 18.zeigt einen neuen Baublock der IBA Berlin um 1987-90.
Die Wiedervereinigung führte dann 1999 zum Planwerk Berlin Innenstadt, mit dem ein Teil der durch
Planung und Krieg zerstörten Blockstrukturen wieder hergestellt wurden (Fig. 19).
9. Weiterentwicklung traditioneller Lösungen im Nahen Osten
Welche Lehren ziehen Stadtplaner und Architekten heute in den warmen Klimazonen für das Bauen?
Seit dem ägyptischen Architekten Hasan Fathi (1900-1989) hat sich im Nahen Osten allmählich eine
größere Wertschätzung der regionalen Bautraditionen entwickelt. Aus der Baugeschichte und Bautechnik des nahen Ostens und Nordafrikas lassen sich einige Grundprinzipien und Elemente auch für
die moderne Gebäude- und Städteplanung weiter entwickeln. Dazu gehören die Windtürme Fig. 20,
21 (Malqaf/Badgir), der schattige Hof, das vor Einblicken geschützte ummauerte Flachdach, das auch
zum Schlafen dient, der geschützte überdachte Freisitz (Iwan) und das luftdurchlässige Fenster- und
Balkongitter (Mashrabiya, Shanashil, Roshan). Diese Elemente werden auch in modernen Bauten
abgewandelt eingesetzt. Sie könnten auch bei der Anpassung an den Klimawandel in Europa eine
Rolle bekommen. Auch das Konzept für Masdar City (Norman Foster Ass., Planung ab 2006, 45,000
to 50,000 EW) greift traditionell bewährte Elemente wie kompakte Bauten, enge Strassen, und Systeme der Luftkühlung – Windschneisen– , aber auch solare Energieerzeugung und moderne Kühlungssysteme für eine CO2 neutrale Stadt auf (Fig. 22). Bei der Untersuchung optimalen Verschattung „hat
sich gezeigt, dass unsere Ergebnisse bezüglich der Straßenbreiten, der Wind- und SonnenExponierung auffällig mit historischen Stadtmustern übereinstimmen“ 6 (Die Besonderheiten klimagerechter Stadtplanung für Masdar werden in einem Gespräch mit Matthias Schuler von der an der Planung beteiligten Firma Transsolar sehr deutlich. Auszüge sind in die Endnote eingefügt.)
Auf dem Wege zur energieautarken und klimaneutralen Stadt werden sich noch gewaltige Veränderungen ergeben, sowohl was die Technologie als auch was die Gebäude betrifft. Dazu nur zwei spektakuläre Beispiele aus Bahrain, einer Region, in der zur Zeit die meisten Großexperimente zu diesem
Thema stattfinden: Ein geplanter Energy Tower (Fig. 23), der seine Energie selbst erzeugt und das
World Trade Center mit drei Windrotoren mit einem Durchmesser von 29 Metern, die 11 bis 15 Prozent des anfallenden Energiebedarfs decken sollen (Fig 24).
10. Umfang / Volumenverhältnis ausgewählter Bautypen
Doch kehren wir zurück zu den existierenden Baustrukturen der europäischen Städte und deren Eigenschaften. Wir haben exemplarisch untersucht, welche energetischen Eigenschaften die vorhandenen Strukturen allein durch ihre geometrische Form aufweisen. Denn die vorhandene Gebäudeform
ist eines jener zentralen Merkmale, das – unabhängig vom Material, der Architektur und der Konstruktion der Gebäude – Anhaltspunkte für den aus der Gebäudeform bedingten Energiebedarf gibt. Die
Form ist der genetische Energiecode der Gebäude.
7
Generell gilt: Je kompakter Gebäude sind, umso besser ist das Verhältnis von Volumen und Außenfläche. Da Gebäude Temperaturveränderungen über die Außenfläche aufnehmen oder abgeben, sind
– bei sonst gleichen Konstruktionsmerkmalen der Gebäudehülle – kompakte Gebäude energetisch
günstiger als Gebäude mit ein- und ausgefalteten Außenflächen. Wir wollen daher zunächst der Frage
nachgehen, welche energetischen Formeigenschaften Bauten aus der Frühzeit des Städtebaus hatten,
um anschliessend die Lösungen aus den letzten zwei Jahrhunderten zu prüfen.
Maßstab ist das Verhältnis von Gebäudevolumen zur gesamten Aussenfläche des Gebäudes, zu der
auch die Fläche zum Erdboden zählt. Bei den Aussenflächen werden Flächen, die an ein gleichartiges
Nachbargebäude stossen, nicht mitgerechnet, weil dort bei gleichen Innentemperaturen kein Wärmeaustausch erfolgt. Das bedeutet, dass Bauformen, die sich sehr kompakt aggregieren lassen, einen
kleinen A/V Wert und eine hohe Temperaturstabilität und besitzen.
Die geometrischen Grundformen haben unterschiedliche Eigenschaften. Gemessen wird mit dem
Verhältnis von Volumen (V) zur Außenfläche (A) (A/V-Wert): Kugel 4.83, Pyramide 7.21, Kubus 6. Je
größer das Volumen eines Körpers ist, umso günstiger ist das A/V Verhältnis. Wir haben nun für die
meisten Haustypen 150qm Brutto-Nutzfläche (Geschoßfläche einschließlich der Mauerwerksflächen)
zu Grunde gelegt. 300qm ergaben sich aus der Größe des römischen und arabischen Hofhäuser, die
wesentlich größer sind, aber auch Platz für mehrere Generationen boten. Danach ergibt sich die folgende Rangfolge:
AV – Wert /
Surface/Volume ratio
Haustyp / Building type
Gesamtfläche/
Total floor area
Rang / Rank
0,284
Rheinisches Dreifensterhaus /
Rhineland three windows house
Etage im Hochhaus /
Floor in highrise building
Deutsches Reihenmittelhaus / German
middle row house
Holländisches Schmalhaus /
Dutsch slim house
Römisches Atriumhaus /
Roman atrium house
Irakisches Atriumhaus /
Iraqi atrium house
Syrisches Atriumhaus (Flachdach) /
Syrian atrium house (flat roof)
Deutsches Reihenendhaus /
German end row house
Einfamilienhaus / Single-family home
150
1
150
2
150
3
150
3
300
4
300
5
300
6
150
7
150
8
0,333
0,428
0,428
0,530
0,563
0,572
0,657
0,643
Tabelle 1 Rangfolge der Haustypen
Deutlich wird die hohe Qualität der Hofhäuser des nahen Ostens, die dreiseitig eingebaut mit ihrem
kleinen Innenhof sehr gute Werte erreichen. Spitzenreiter ist jedoch das rheinische Dreifensterhaus,
das auf nur drei Geschossen ein günstiges Flächen-Volumenverhältnis entwickelt. Das holländische
Schmalhaus schneidet wider Erwarten ungünstiger ab, weil es wegen der geringen Breite eine grosse
Tiefe und mehr Geschosse benötigt. Hier wirken sich die lange Dachfläche und die hohen Fassadenflächen, trotz der geringen Breite, nachteilig aus. Eine Wohnung in einem Hochhaus mit der gleichen
Größe kommt auf dem zweiten Rang, wenn sie zwischen anderen Geschossen liegt. Generell kann
gesagt werden, dass Hochhäuser ein gutes Verhältnis, durch die große Baumasse haben. Der Vergleich zeigt, dass der beste Bau auf 2,2-mal besser als das Einfamilienhaus auf Rang 8 ist.
11. Eigenschaften Aachener Baustrukturen
Wir wollen den Vergleich auch noch auf einige Aachener Baugebiete ausdehnen, deren Bauformen in
Europa häufig vorkommen. Ausgewählt wurde ein Querschnitt von Baublöcken und Baugebieten mit
den Prägungen des Mittelalters, des 19. und des 20. Jahrhunderts. Auch hier wurde das A/V Verhältnis der ausgewählten Struktur errechnet. Alle Anbauten wurden eingerechnet, wodurch sich die Werte
8
Tabelle 2
Haustypen und ihr Umfang / Volumenverhältnis
Tabelle 3
Beispiele der
Haustypen
durch die größere Oberfläche bei geringer Baumasse, etwas verschlechtern Das Ergebnis zeigen die
Tabellen 4 und 5.
9
Tabelle 4
Querschnitt Aachener Baublöcke
Nr
.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 LAGE
site
Templergraben Beginenstraße Königstraße Pontdriesch Pontstraße Rehmplatz Rudolfstraße Adalbertsteinweg Ottostraße Luisenstraße Friedrichstraße Lothringer Straße Alfonsstraße Sigmundstraße Eintrachtstraße, Talstrasse Aretzstraße Frankenberger Str. Viktoriaallee Turpinstraße Von‐Görschen‐Str. Körnerstraße Hohenstaufenallee Limburger Straße Lemierser Straße Valkenburger Straße Gulpener Straße Kronenberg HÜLLFLÄCHE Surface/
m²
surface volume
Block,
Typus/ GRUNDFLÄCHE VOLUMEN
RANG
sqm
ratio
block, type
m² / floor area
m³ volume
rank
mittelalterlicher Block/mediveal block 7.105,7663 112.319,2951
38.190,7834 0,3400 3 mittelalterlicher Block/ mediveal block Block um 1875 / block around 1875 Block um 1875 / block around 1875 Reformblock um 1925 / block from the reform area 1925 Gründerzeitblock um 1900 / Block around 1900 Einzelhausbebauung um 1935/ detached housing structure Reihenhausbebauung um 1960/ terraced houses Zeilenbebauung um 1965‐1970/ rowhouse structure 3.930,1795
49.298,1991
19.868,8484 0,4030 6 ./. 49065,8212
11.326,2861 0,2308 1 3.931,8012
61.813,4430
20.865,5570 0,3376 2 4.989,0496
111.423,2515
39.217,7004 0,3520 5 5.366,7316
66.124,4283
23.146,0908 0,3500 4 5.781,7685
54.670,5313
27.957,7285 0,5114 7 3.041,5456
17.217,9629
11.328,2870 0,6579 9 15.574,4544
101.567,1074
60.283,1053 0,5935 8 Tabelle 5 Umfang - Volumenverhältnis Aachener Baublöcke
10
Man sieht auch hier, dass die geschlossenen Blockbebauungen des Mittelalters und der Neuzeit bis
etwa 1925 sehr günstige Werte erreichen. Dies ist nahe liegend, weil der Einfluss des Klimas zu allen
Zeiten eine Rolle in der Stadtmorphologie gespielt hat. Man konnte sich nicht leisten, diesen Aspekt
zu vernachlässigen. Erst das Erdölzeitalter und das Zeitalter der Klimaanlagen erlaubte eine Entkoppelung dieses Zusammenhangs. Den besten Wert erreicht der "Reform-Block" von 1925 durch die nur
wenigen Anbauten. Alle klassischen Blocks haben ein Verhältnis unter 0,5. Die Werte der unregelmäßigen Morphologien liegen im Bereich von 0,6 bis 1,2. Vereinfacht lässt sich feststellen, dass ältere
Strukturen etwa doppelt so effizient sind als einige der neueren. Das Verhältnis von einem Block von
1875 (Rang 1) ist 2,8 mal besser als die Reihenhäuser aus dem Jahr 1960 (Rang 9).Vereinfacht lässt
sich feststellen, dass beim A/V Verhältnis die früheren Formen etwa doppelt so effizient sind wie die
neueren. Das bedeutet, dass auch die Kosten der energetischen Erneuerung bei den neueren Gebäuden in der Regel entsprechend höher ausfallen werden.
12. Wirkungen des Klimawandels auf die Stadtmorphologie
Was kann dies nun auf lange Sicht bedeuten? Unterstellt, dass die innere Funktionalität der älteren
und der neueren Bauformen überwiegend keine grundlegenden Umbauten erfordert (es gibt natürlich
immer Fälle, bei denen dies erforderlich ist), dann haben die kompakteren Bautypen als einzelne Gebäude betrachtet und auch die kompakteren Baublöcke und die daraus entwickelten Stadtbereiche
zwei grundlegende Vorteile: sie benötigen weniger Betriebsenergie und weniger Zugangskosten. Die
Distanzen in den dichten Strukturen sind grundsätzlich geringer als in den aufgelockerten. Sie erfordern daher weniger Strassen und Leitungen (Wasser, Abwasser, Fernwärme, öffentlichen Verkehr)
und sind daher grundsätzlich wirtschaftlicher zu versorgen als die aufgelockerten Gebiete. Es bleibt
jedoch ein grundlegende Nachteil der kompakten Strukturen: die geringere Geschwindigkeit der Abkühlung bei hohen Temperaturen und stehender Luft. Der Hitzesommer 2003 und auch der gegenwärtige warme Sommer lassen deutlich werden, vor welchen Problemen die Städte mit dichten Bebauungen stehen und vermehrt bei jenen in Tallagen, wie etwa in Aachen. Sind daher hohe Sommertemperaturen und windarme Wetterlagen das Problem der kompakten Städte im Sommer, so haben sie
durch ihre Kompaktheit in der kalten Jahreszeit einen entsprechenden Vorteil.
Genau umgekehrt verhält es sich bei den offenen Baustrukturen. Sie kühlen im Winter und im Sommer schneller aus und erleichtern auch bei windarmen Wetterlagen Luftströmungen. Allerdings sind
sie wegen ihrer geringen Dichte teurer zu bedienen. Es wird eine der großen Fragen werden, wie lange sich die Gesellschaft wenig effiziente Strukturen an der Peripherie auf Dauer leisten kann. Dies
wird in Deutschland, Mitteleuropa und auch in Russland durch den Geburtenrückgang, die Überalterung, also durch die Abnahme der Bevölkerung, in der Tendenz eher zur Stärkung der zentralen
Stadtbereiche und zu einer Entleerung und zum Rückbau ungünstiger peripherer Bereiche führen.
Alterswanderungen zurück in die Stadtkerne deuten darauf hin.
Sehr viel wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, die Überwärmung der Innenstädte und der kompakten Baubereiche zu beeinflussen.
Dazu sind eine Reihe von Handlungsfeldern in der Diskussion:
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Auflockerung der dichten Bebauungen
Grüne Blockinnenbereiche mit Schatten spendenden Bäumen
Vermehrte Wasser- und Grünflächen zur Kühlung, Luftkorridore (perforierte Stadt)
Verschattung von Strassen und Dächern (Bäume, Solarsegel)
Ableitung der Wärme in den Strassen in Langzeitspeicher (Latentspeicher, Massenspeicher)
Direkte Umwandlung der Straßenwärme in elektrische Energie
„Grüne“ Dächer und grüne Wände
reflektierende Materialien zur Verminderung der Aufheizung (Strassen, Wände, Dächer)
mechanische lokale Windsysteme
Wasserkühlung von Dächern und Straßen
Flexiblere Nutzung der Räume eines Gebäudes über das Jahr (Nordlagen im Sommer, Südlagen im Winter)
Bessere Isolierung der Gebäude, Luftaustausch zwischen warmen und kühlen Räumen
Kühlung und Erwärmung durch Erdsonden
Solare Stromgewinnung zum klimaneutralen Betrieb von Heizungs- und Kühlaggregaten.
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Wie immer die Lösungen aussehen werden, sie werden Konsequenzen für das Bild der Gebäude und
der Städte, für die Funktionalität und die Überlebensdauer morphologischer Strukturen haben. Die
Entwicklung steht erst am Anfang. In denkmalgeschützten Bereichen sind die äußeren Eingriffe ohnehin begrenzt. Es wird auf Lösungskombinationen hinauslaufen, die an die spezifischen Bedingungen
der Bestände angepasst werden. Die Lösungen werden nicht billig sein und lange dauern. Für den
Neubau sind bereits strenge Anforderungen festgelegt: Ab 31.Dezember 2018 sollen sich alle neu zu
errichtenden Gebäude in der Europäischen Union 5 „bei ihrem Betrieb energieneutral verhalten, dass
heißt, dass sie nicht mehr Energie verbrauchen dürfen, als in/an ihnen produziert wird. Auch die Anforderungen an den Altbaubestand werden weiter steigen. Für den Altbaubestand gilt, dass künftig bei
größeren Renovierungen „Niedrigstenergiegebäude“ anzustreben sind.
Wir stehen daher vor grundlegenden Veränderungen bei den Altbaubeständen. Es wird darauf ankommen, dafür die notwendigen historischen, morphologischen, architektonischen und technischen
Anforderungen zu entwickeln. Die teure Erneuerung jedes einzelnen Gebäudes wird dabei abgelöst
werden müssen durch serielle Erneuerung gleichartiger Bautypen in ganzen Stadtteilen und Regionen,
um durch Qualitäts- und Preisvorteile einen höheren Standard bei geringeren Kosten zu erreichen.
Eine jährliche Erneuerungsrate von 1,5% wie bisher, reicht angesichts der knappen Zeit, die uns der
Klimawandel lässt, quantitativ nicht mehr aus.
Was bedeutet das für die städtische Morphologie, in der Identität und Geschichte gespeichert sind?
Anstelle von einzelnen Gebäuden sollten die morphologischen Einheiten – Baublöcke, Quartiere,
Stadtteile, – der strategische Fokus sein. Wir müssen die Anstrengungen erhöhen, angemessene
Lösungen für die Altbestände zu finden. Wenn es uns in den nächsten 20 Jahren gelingt, Städte und
Bauten mit solarer Energie (Wind, Geothermie, Photovoltaik, Solarthermie) zu heizen und zu kühlen,
haben die historische Kerne, die kompakten und architektonisch wertvollen Teile der Städte eine reale
Chance zum Überleben. Die peripheren Bereiche können es, wegen ihrer Entfernung, ihrer teureren
Unterhaltungs- und Betriebskosten und wegen des demographischen Wandels deutlich schwerer haben.
Bedeutet dies nun, dass kompakte Strukturen grundsätzlich die Lösungsrichtung sein würden? Dies
wäre im Moment eine zu weitgehende Folgerung. Kompaktheit ist ein wichtiger Aspekt, dessen Vorund Nachteile hier behandelt wurden, es ist aber nicht der ausschließliche! Kompaktheit enthält ein
Bündel gewichtiger Vorteile. Es kommen aber noch weitere wichtige Aspekte hinzu, insbesondere
eine Lösung der Überhitzung und es wird sich jeweils erst in der Abwägung herausstellen, welche am
jeweiligen konkreten Ort überwiegen werden.
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Quellen der Abbildungen
Fig.1
Fig.2
Fig.3
Fig.4
Fig.5
Fig.6
Fig. 7
Fig. 8
Fig. 9
Fig.10
Fig.11
Fig.12
Fig.13
Fig.14
Fig.14
Fig.15
Fig.17
Fig.18.
Fig.19
Fig.20
Fig.21
Fig.22
Fig.23
Fig.24
Ur (~4000-2800 BC) Quelle Wirth, Orientalische Stadtplanung, 2000)
Mohenjo Daro (~2600-1800 BC) Benevolo
Shibam , Jemen (upd.org.gallery)
Kasbah, Algier (Google Earth)
Fees, Marocco (Google Earth)
Terraced houses Rhyad, Saudi Arabia (Google Earth)
Aachen, Germany, 1805-1812 (Französisches Urkataster Aachen)
Aachen 1805, Parcels Jakobstr. Parzellenstruktur. Aachen, westliche Jakobstrasse. (horizontal gedrehter Ausschnitt aus: Aachen 1805-1812 Französisches Urkataster Tranchot)
Kompakte Baublöcke. Laugingen, Bayern, (Topographia Bavariae - Merian)
Zierenberg (Hessen - Merian, Topographia Hassiae)
Berlin Kreuzberg, Gneisenaustrasse – Mehringdamm (Google Earth)
Berlin Wedding, Müllerstr. (Google Earth)
Hamburg Dulsberg (Fritz (Google Earth) Schumacher 1928-30 Google Earth)
Berlin Hufeisensiedlung (Google Earth).
Frankfurt Westhausen (1929 - 1931 Ernst May, Herbert Boehm, W. Bangert – Google Eearth)
Aachen Hanbruch (E. Kühn ~1960-65 Google Earth ).
Berlin Märkisches Viertel (Google Earth)
IBA Berlin, Baublock Lindenstr./Oranienstr. Berlin Kreuzberg um 1987-90 (Google Earth)
Block reconstruction Berlin (Google Earth)
Malqaf - Schema eines Windturmhauses , Daniel Emmel, Katharina Gruhn,
(http://www4.architektur.tu-darmstadt.de/powerhouse)
Windtower, Dubai (micro - Deutsches Architekturforum: Dubai Windtürme und Wolkenkratzer)
Masdar City – Abu Dhabi, United Arab Emirates (Architect: Norman Foster, Wikipedia)
Burj Al-Taqa - Energy Tower (Concept: Gerber-Architects, Dortmund – Homepage)
Wind turbines World Trade Center Bahrain, 2008, Architect Atkins (AEWORLDMAP.COM)
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Literaturhinweise
1
Saskia Sassen: Territory – Authority – Rights. From Mediveal to Global Assemblages. Princetown 2008
http://de.wikipedia.org/wiki/Hitzesommer_2003
3
Flur-Windsystem http://klima-der-erde.de/winde.html
Der Wind, der eine Stadt erreicht, verändert seine Richtung. Er folgt den Kanälen und Schluchten, die durch die hohen Gebäude gebildet werden, die zu beiden Seiten einer Straße stehen oder er vermeidet Bauten, die senkrecht zur ursprünglichen Windrichtung gebaut sind. Die Hauptstraßen, die in die Stadt hineinführen, sind in der Regel auch die Hauptkorridore für den Wind,
der abends in die Stadt weht. Auf breiten Straßen kann er direkt der Straße folgen. .. Durch die Ausprägung der Wärmeinsel ist
die relative Luftfeuchtigkeit in Städten gegenüber dem Umland geringer. Dennoch ist zu beobachten, dass Starkregen und
Gewitter hier häufig doppelt so lang anhalten und mehr Niederschlag abgeben. Ursache hierfür ist eine 3–5 mal höhere Konzentration an Kondensationskernen“. In engen Straßen jedoch erhöht sich die Windgeschwindigkeit deutlich an den Straßenecken....
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„Durch die Ausprägung der Wärmeinsel ist die relative Luftfeuchtigkeit in Städten gegenüber dem Umland geringer. Dennoch
ist zu beobachten, dass Starkregen und Gewitter hier häufig doppelt so lang anhalten und mehr Niederschlag abgeben. Ursache hierfür ist eine 3–5 mal höhere Konzentration an Kondensationskernen“. Wikipedia: Stadtklima
5. Wikipedia-Pest
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KLIMADESIGN EINER POST-OIL CITY, Arch+ Febr 2010 Matthias Schuler im Gespräch mit Anh-Linh Ngo in Arch+ Febr.
2010
„Die Temperaturen (in Dubai laden) nicht gerade zum Verweilen ein. Aber indem wir für Masdar Ciy nur die Hälfte des Grundstücks überbauen, erreichen wir einerseits eine sehr hohe Stadtdichte mit 170 bis fast 200 Personen pro Hektar mit einer guten
Verschattung der Straßenräume. Andererseits können wir dadurch etwa die Hälfte des Stadtgrundrisses als Freiflächen
anbieten. Über die erhöhte Dichte erreicht man nicht nur eine viel bessere Auslastung der Infrastruktur, wir können dadurch
auch das Konzept der Stadt als Hitze-Insel umkehren und sagen, diese Stadt ist eine „kühle“ Insel, deren Temperaturspitzen
am Tage unterhalb der Umgebungstemperatur liegt, weil sie sich durch die gegenseitige Verschattung der engen Bebauung
nicht so stark aufheizt. Zusätzlich durchlüften wir die Stadt nachts, indem wir das klassische Prinzip des Windturms, den wir in
der arabischen
Architektur z.B. in Dubai vorfinden, für die Entlüftung des Stadtraums weiterentwickelt haben.....
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Das Problem ist, dass der Arabische Golf durchschnittlich nur 30 Meter tief ist und das Wasser im Sommer eine Temperatur
von 35 Grad hat. Über diesem warmen Gewässer heizt sich der Wind auf 45 bis 47 Grad auf und bringt eine hohe Luftfeuchtigkeit mit sich. Damit diese für den thermischen Komfort geradezu tödliche Brise nicht in die Stadt gelangt, laufen die Straßen von
Ost nach West nicht durch, sondern sind in Abschnitte von maximal 75 Meter Länge geteilt. Am Beginn jeder dieser Straßen ist
jeweils ein Windturm geplant. Tagsüber stellen die geschlossenen Türme einen Windschatten für die Straßen dar; der heiße
Wind wird über die Stadt hinweggelenkt. Nachts werden die Türme hingegen geöffnet, um den kühleren Wind in die Straßen zu
leiten. Der Nachtwind, der eine Temperatur von 30 Grad hat, treibt die Tageshitze aus der Stadt. Dadurch kann man erreichen,
dass die Stadt tagsüber maximal 35 Grad warm wird und damit etwa zehn Grad kühler als die Umgebung.....
Es hat sich gezeigt, dass unsere Ergebnisse bezüglich der Straßenbreiten, der Wind- und Sonnen-Exponierung auffällig mit
historischen Stadtmustern übereinstimmen. Auch die charakteristische Drehung des quadratischen Stadtgrundrisses um 45
Grad nach Norden kann man in vielen historischen Städten wiederfinden. Wir haben aus unseren Analysen gelernt, dass die
Kombination aus solarer Verschattung und Tageslichtoptimierung bei dieser Ausrichtung am besten ist. Das bedeutet jedoch
nicht, dass wir die historischen Beispiele 1:1 übernehmen können; wir stoßen auch immer wieder auf Übertragungsprobleme.
Nehmen wir das klassische Hofhaus, bei dem der Hof einer Familie oder einem Clan zugeordnet war. Wenn man die gleiche
Typologie für
unterschiedliche Parteien konzipiert, bekommt man ein Problem mit der Privatheit. Das heißt, ich habe jetzt ganz andere Anforderungen an die Höfe. Das sind kulturell gesehen sehr delikate Planungsaufgaben“...
7 RICHTLINIE 2010/31/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden
Danksagung:
Für die Berechnungen und Zeichnungen danke ich cand arch. Lene Oldopp und cand. arch. Martin
Fuchs. Für kritische Durchsicht und Korrekturen danke ich Susanne Curdes. Für die Erlaubnis zur
Verwendung der digitalen Blockdaten für Aachen danke ich meinem Fakultätskollegen Prof. Peter
Russel. Auch dem Institut für Städtebau und Landesplanung möchte ich für seine Unterstützung danken.
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