31ciit,3iird)er,3cil!iiuj WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 18./ 19. April 1987 Nr. 90 77 fcA3vPl*s?irH Gut sieben Tage dauert die Wanderung durch die Wüste vom Ostrand des Air zur 500 Kilometer entfernten Salzoase. A u/dem Hinweg tragen die Kamele die Tauschhandelsgüter Hirse und Weizen, auf dem Rückweg Datteln und Salz. Salzkarawane der Tuareg in Niger Durch das «Meer ohne Wasser» Vor anderthalb Tagen ist unsere Karawane mit neun Männern und 49 Kamelen vom Ostrand des Air aufgebrochen. Das Ziel: die 500 Kilometer entfernte Salzoase Bilma. Auf dieser Strecke gibt es bloss einen Brunnen, Achegour. Und sonst nur Sand. Die unermüdlich mitlaufende Ziege meckert wie triumphierend, als wir den schwarzen Inselberg Adrar Madet erreichen, den letzten isolierten Vorposten der zertrümmerten, einst vulkanischen Bergwelt des Air. Adrar Madet gleicht einem Unterseeboot, das aus den Weiten der Tenere-Wüste aufgetaucht ist Eben war der harte Sandboden noch glatt wie frisch getrockneter Beton, jetzt wird er weich, von Steinen durchsetzt. Jede unserer drei Reisegruppen lässt hier Ballen mit Futtergras, alemos, als Depot zurück. Die schweren Lasten werden dem sitzenden Kamel nach hinten abgestreift. Verstreut liegen hier schon andere alemos-Bündel vor uns ziehender Karawanen. Jf'asser ist auf dieser Bis Bilma werden wir noch zwei Depots anlegen. Ohne sie könnten die Kamele den Rückweg nicht überstehen. Die Stationen stehen in Relation zu unseren Tagesreisen, der Gesamtentfernung, dem Futterbedarf der Kamele: ein ausgeklügeltes System, seit Generationen erprobt. Das Hauptproblem ist nämlich nicht das Wasser Kamele können Wasser für eine Woche in ihrem Gewebe speichern. Unsere Eile und die langen Tagesetappen werden vom Futter diktiert. Die Tiere fressen unterwegs nur das, was sie an alemos neben dem unerlässlichen Gepäck Hirse und tragen können. Weizen, auf dem Rückweg Salz und Datteln Deshalb gibt es unterwegs keinen Halt: würden die Männer bei der begrenzten Futtermenge nur ein, zwei Tage länger brauchen, bestünde die Gefahr, dass einige Kamele zusammenbrächten. «Die Karawane wird hart immer nur gehen, gehen», prophezeite Khada schon vor dem Aufbruch am abendlichen Lager- - - - Wüstenreise äusserst kostbar, denn es gibt auf der ganzen Strecke nur einen - Text und Photos von Werner Gartung feuer, nachdem wir zehn Tage lang das Air auf der Suche nach dem rar gewordenen Futtergras durchstreift hatten. Auch dort waren wir schon acht Stunden täglich unterwegs, doch das war nur ein Spaziergang. In der Tenere beginnt der Tag morgens zwischen vier und fünf. Hirsebrei wird vorgekocht und später am Vormittag während des Marsches gegessen. Der russige Topf geht reihum, jeder häuft ein paar Bissen auf seinen Holzlöffel. Sie bleiben die einzige feste Nahrung bis zur Rast gegen Mitternacht. Auch der belebende, süsse Tee wird kurz vor Sonnenuntergang im Gehen gekocht, im Gehen getrunken. Vor uns liegt jetzt die «richtige Tenere»; es gibt keine Berglinie mehr als Trost für das Auge. Da ist nichts, nur eine grenzenlose Ebene. Am Horizont tanzen Dünen in flüssiger Luft, grell- einzigen Brunnen, an dem die Wassersäcke wieder gefüllt werden können. Neue Zürcher Zeitung vom 18.04.1987 78 Samstag/Sonnlag, 18./I9. April 1987 9kue <;3ürd)cr leitung WOCHENENDE Nr. 90 Schatten, nachts an den Sternen. Der grosse Rest ist Instinkt, Erfahrung. Der Mond ist aufgegangen, eine schmale, schiefe Si. Gehen r quer über den Himmel. chel. Ein Satellit zieht seine Leuchtspu Ich suche nach einer versandeten Dattel. Die Kälte kriecht unerSparflamme, wie eingebittlich in die Kleider. Das Gehirn auf froren. Automatisch einen Fuss vor den anderen setzen. Die körnige Schattenrisse auf ihren KameMänner schaukeln als len. Irgendwann halten wir. Es ist, als ob sich die Sandrippen wie eine endlose Walze unter meinen Füssen weiterdrehten. Zusammen mit dem Begleiter und Übersetzer Arali geniesse ich eine Dose ölsardinen wie eine exotische Delikatesse. Khadas Sohn mitgeführten Efes kocht über dem kleinen, von dem spärlich Holz genährten Feuer Weizengriess, couscous, das wir zusammen hastig herunterschlingen. Der enge Lichtkreis der Feuer, die ruhig wiederkäuenden Kamele vermitteln die Illusion, wir seien in einem begrenzten Raum. Sie lassen für eine Weile die Leere um uns vergessen, täuschen Geborgenheit vor. Ein paar Meter weiter scheinen die rötlichen Augen der glimmenden Feuer schon weit. Das Sternenlicht ist jetzt nicht mehr schön und romantisch, sondern gnadenlos kalt. Am fünften Tag entdecke ich spiralförmige Schneckengehäuse und Muscheln im Sand. Wir ziehen an Kalkfeldern vorbei - sie sind taubengrau, schneeweiss und violett, Jahrtausende alte Erzeugnisse einer Epoche, in der weite Teile der Tenere noch mit Wasser bedeckt waren, Randgebiet des schrumpfenden Tschad-Meeres. Erst kreuzten wir eine alte Autospur. Jetzt tauin den chen rechterhand Wegmarken der Bilma-Strecke auf Sand getriebene, schwarze Metallstangen im Abstand von jeweils 500 Metern. Sie geben nur die Richtung ,a n eine Piste existiert nicht. Manchmal fahren hier zwei Autos pro Woche. Oder auch keins. Obwohl nichts weiter zu sehen ist ausser Spuren und Stangen, erscheint es mir fast wie ein Highway, der unsere Ruhe - Zitronengelb, violett und dunkelbraun leuchtet der Salzschlamm in der Oase Bilma. Die Salinenanlage wirkt deshalb wie ein gigantischer Malkasten. stört. weiss wie Häuser einer fernen Stadt. Dort im Osten gibt es auch keine Wolken mehr, der Himmel ist von stählerner Bläue. Ich beginne zu verstehen, was Khada meinte, als er sagte, die «richtige Tenere» beginne hinter dem Adrar Madet. Zum erstenmal blicke ich heute zurück. Das Air ist nur noch als schmaler Strei- fen zu erkennen, die Ebene wirkt wie ein Meer. Das Wasser scheint sich vor uns zu teilen wie einst bei Moses, als er die Kinder Israels ins Gelobte Land führte. Faszination des Gehens durch die Leere. Gehen über Sand. Denken an Otl Aicher und sein Buch Gehen in der Wüste: «die wüste ist so rein wie wasser und ebenso karg im aufwand, sie lenkt nicht ab. wie man im wasser schwimmt, muss man in der wüste gehen.» Die Sonne scheint nun die ganze Himmelskuppel auszufüllen. Wir sind gefangen wie unter der Haube eines gigantischen Grills. Der Sand reflektiert die Hitze in harten, schmerzenden Wellen. Ich flüchte auf mein unablässig schaukelndes Tier, binde noch einen Strohhut über meinen Gesichtsschleier, den tagelmust, döse im Halbschlaf. Luftspiegelungen locken als kühle Flüsse. Aufgewirbelter Sand tanzt in einem irren Wirbel an uns vorbei. Zeit und Entfernungen gibt es nicht mehr. Wir ziehen zwischen Realität und Traum dahin, neuen Trugbildern entgegen. Aber Khada lässt sich nicht beirren. Unermüdlich, einsam, geht er in seinen gelben Plasticsandalen voran. Seit bald 30 Jahren durchquert er jeden Herbst die Tenere, um Salz zu holen. Das gewaltige Rund des Erdschattens steht noch im Himmel, der in kristallener Klarheit strahlt. In kurzen Abständen verlöschen vor uns zwei Sterne im heilen Lichtschweif. Es funkelt und glitzert, blinkt und leuchtet. Auch ferne Sterne wirken durch die reine Luft seltsam nah. Die Milchstrasse versprüht ihr Licht in Wirbeln, Kaskaden, Spiralen. Das Sternbild des Orion steigt weiter empor, die Plejaden folgen, Richtpunkte für den Weg nach Osten. Shattahad, das Einauge, nennen die Tuareg das Siebengestirn. Wenn die Erde sich soweit gedreht haben wird, dass in vielleicht shattahad im Zenit steht, wird Khada anhalten madagu, ist Khada allein verantwort, vier Stunden. Als Führer lich für das Einhalten des richtigen Weges. Tagsüber orientiert er sich an den diagonal laufenden Sandrippen und dem eigenen Salzkarawanen der Kel-Ewey-Tuareg in Niger Die Herbstkarawanen der Kel Ewey sind zur Beschaffung des Grundnahrungsmittels Hirse unerlässlich. In Gruppen von 10 bis mehr) 200 Kamelen (vor ein paar Jahren waren es noch weitaus ziehen die Männer durch das «Land, da draussen», die mengelegenen Oasen des schenleere Tenere- Wüste, um in den östlich Kaouar Datteln und in Bilma, der wichtigsten Oase, Salz zu holen. - geworden - Datteln aus Timia gut, doch durch die Dürre rar Erholung im essen die Kel Ewey meist lieber selber. Nach kurzer Air geht es abermals 700 bis 1000 Kilometer weiter nach Süden (bis nach Kano in Nordnigeria), wo sie Salz und Datteln verkaufen. Mit dem Erlös besorgen sich die Männer Hirse sowie Zucker, Tee, Stoffe und Ledersandalen. Süden bessere Weiden gibt, bleiben die Kel Ewey es Weil im dort noch monatelang mit ihren Kamelen etwa bis im Juni, wenn - im Air die kurze sommerliche Regenzeit einsetzt oder einsetzen sollte. Oft lassen sie die Tiere auf den abgeernteten Hirsefeldern der Hausa-Bauern und bekommen von ihnen als «GegenleiD ü n g u n nicht selten Hirse oder fertige stung» Tür die natürliche g Mahlzeiten. Wanderungen zwischen Sahara und Sahel haben also Die einen doppelten Zweck: Handel und notwendige Winterweide. Dadurch sind die Transportkosten wesentlich niedriger als bei einer reinen Handelskarawane. Dies ist auch der Grund, warum heute noch trotz Lastwagen der Salzhandel wie im Mittelalter funktioniert. Probleme sind erst seit Mitte der siebziger eJ a h r durch ein besseres Versorgungssystem geschaffen worden: früher brachten die Tuareg Hirse aus dem Süden als Tauschmittel gegen Salz nach Fachi und Bilma; nun sind die Oasen kaum noch darauf angewiesen. Die Salzleute wollen vor allem Geld und das ist auch bei den Tuareg knapp. - - Der Salzschlamm wird zu «Broten» oder grossen Kegeln, Kantus, geformt und für die Heimreise in geflochtene Matten verpackt. Durch das blendende, flüssige Licht sehe ich die zitternde Silhouette eines Berges. Dann schwebt er wie ein Pilz in der Luft. «Achegour», sagt Khada, und zeigt auf ? Wieder eine Täuschung das schlierige Etwas. Wir nähern uns dem Brunnen. Efes springt vom Kamel, giesst aus einer der gluckernden Ziegenhäute Wasser in den J£g3 Am Brunnen von Achegour, dem einzigen auf der ganzen Strecke. Tuareg-Karawanenleute beim Dattelverkauf in Süd-Niger. Wegzehrung: Hirse. Datteln und Ziegenkäse, mit Wasser angerührt. Neue Zürcher Zeitung vom 18.04.1987 jlcitc 3iittf|cr WOCHENENDE Samstag/Sonnlag, I8./19. April 1987 Nr. 90 79 Ledersack, den er frühmorgens schon mit gestampfter Hirse gehat. Er schüttet etwas in eine Kalebasse, reicht sie erst seinem Vater, schenkt wieder nach. Ich stapfe ihm entgegen, sehe nur meine verbrannte Nase in dem trüben Gebräu, kippe es in einem Zug herunter, nehme noch einen Mundvoll körniger Hirse hinterher. Noch einmal kommt Efes, jetzt mit Wasser. Ich sauge es auf, ohne zu schlucken. Als ich mittags die Entfernung zum Brunnen auf eine Stunde schätzte, hatte ich mich mit den Distanzen in der klaren Luft wieder vertan. Aus der Stunde wurden fast fünf. Sonnenuntergang. Ein einsamer Rabe begrüsst uns, fliegt rauh krächzend zurück. Hinter uns versinkt die Tenere im Dunkel der Nacht. Die Wüstenschiffe haben das einsame Kliff erreicht. Es ist eine winzige Insel mit Wasser, verstreuten grünen Büschen, Kamelkot und leeren Sardinenbüchsen. füllt Nach Achegour erwachen wir in goldgelben Sanddünen. Die breitgefächerte Karawane zieht sich zusammen, die Tiere laufen nun in einer langen Reihe, mühen sich in Serpentinen den Sand hinauf. Vor uns liegen weitere Sandgebirge wie erstarrte Wellen eines gelben Ozeans. Am siebten Tag fliegt uns ein Rabe entgegen, Bote aus einer anderen Welt. Durch das grelle Licht sehen wir den Palmenhain von Arrigui blassblau, verschwommen wie eine Fata Morgana. Und dann einen blauen See. Palmen und sandüberschüttete Berge spiegeln sich in seinem Wasser. Stelzvögel fischen an seinen Ufern. Doch der See von Arrigui ist Wirklichkeit. Im feuchten Schilf quaken sogar Frösche direkt am Rande der lebensfeindlichen Tenere-Wüste. Der See wird ständig von neu auftretendem Quellwasser gespeist, das artesischer Druck nach und nach an die Oberfläche presst: Folge einer sogenannten geologischen Schichtverwerfung. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass sich entlang dieser Bruchzone eine Oasenkette mit festen Siedlungen bilden konnte. Kaouar heisst diese Region, einst Teil der Karawanenroute von Bornou. So ziehen wir zwischen Arrigui und Bilma auf den Spuren grosser Forscher des letzten Jahrhunderts, die Afrika von Tripolis aus bis zum Tschadsee durchquerten: Gerhard Rohlfs, Gustav Nachtigal, Heinrich Barth. Alle lobten das gute Wasser der Region, schwärmten von diesem «üppigen Ländchen mit steinernen Wohnungen, die eine gewisse Wohlhabenheit verraten», wie Nachtigal im Jahre 1869 schreibt. Denn seit dem 13. Jahrhundert gab es Salz, das von Sklaven abgebaut und wie noch heute mit Karawanen in den t neben Süden transportiert wurde. In der Oase Bilma quillt direk dem klaren guten Wasser auch Salzlauge aus dem Boden: Jahrmillionen alte, gelöste Salze aus einer Zeit, in der die Sahara noch Meeresboden war. Schmale Pfade führen in Bilma zu farbigen Becken hinab. Der gigantische Malkasten leuchtet in Zitronengelb, Violett und Dunkelbraun. Der Salzschlamm wird zu «Broten» oder grossen, schweren Kegeln, den «Kantus», ge- - - Timia im Air-Bergland von Niger, Hauptort der Kel-Ewey-Tuareg. »4 formt. Drei Tage später ziehen wir mit dem Salz und den Datteln zurück, welche die Tuareg im Tausch gegen getrocknete Tomaten, Hirse oder Weizen aus einer Hilfslieferung bekommen haben. In Achegour ergänzen wir unsere Wasservorräte - noch vier Tage unbarmherziger Wüste liegen vor uns. Und es wird noch schlimmer als auf dem Hinweg. Sandstürme kommen auf. Der Himmel ist grau, fauchender Wind aus Nordosten überschüttet uns mit Sand und Staub. Wir lagern am Brunnen. Ungeheuer da oben Es wird heisser. Es scheint, als wolle das am Himmel uns verbrennen, vernichten. Unser alter Geschichtenerzähler Jakuba ist längst verstummt. Die Augen der Männer sind vom Schlafmangel gerötet. Die Müdigkeit geht bis ins Mark. Auf den Kamelen drohen wir sofort einzuschlafen ein ständig zu Sturz könnte fatale Folgen haben. So gehen wir fast Fuss. Die unendlich langen Tage sind längst zu einem unwirklichen Wachtraum verschmolzen. Der Himmel ist wieder von inTuareg. tensiver Bläue, tiefdunkel wie die Indigo-Gewänder der Die Luft ist so klar, dass wir am fünften Tag des Rückweges schon das 100 Kilometer entfernte Air sehen könnten, wenn die Erdkrümmung nicht wäre. - Begrüssung in Süd-Niger: die Tuareg bringen den Hausa- Bauern das begehrte Salz und können dafür ihre Kamele weiden lassen. auf den abgeernteten läsetWeite e T e i l des Air-Berglands sind eine Trümmerwüste aus Vulkangestein. Auf uralten Pfaden reiten wir noch zwei Tage durch die wilde Landschaft des Air. Schwarze Bergrücken sind wie von Gigantenhand zertrümmert. «Auch das ist noch die Tenere», sagt Khada, «überall, wo es kein Wasser gibt, ist Tenere, die Wüste.» Die Schlammbrühe des Brunnens von Ajioua im Ost-Air hat die Farbe von Kaffee, und wir trinken sie mit Abscheu. Kein BrunKel-Ewey-Tuareg. Wir nen mehr bis Timia, dem Hauptort der ziehen nachts in Timia ein, wie es die Tradition will: um Neugierde, gar Missgunst vorzubeugen, kehren die Karawanen seit jeher im Schutz der Dunkelheit ins Dorf zurück. Als wir im Dämmerlicht in das breite, sandige Kori von Tasselot vor Timia einbiegen, vorbei an den halb vertrockneten Gärten, kommt uns bringen eine Gruppe Mädchen vom Dorfbrunnen entgegen. Sie uns Wasser, klares Wasser. Es könnte kein schöneres Willkommensgeschenk geben. Zurück durch das Air: seit dem Aufbruc von Timia ist die Karawane h Neue Zürcher Zeitung vom 18.04.1987 nunßnf Wochen unterwegs. Hirsefeldern