Depression Was ist die gesundheitspolitische Herausforderung von Depression, Angst und Sucht? • Angst-, depressive und Abhängigkeitserkrankungen haben eine sehr hohe Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung • in einer Lebenszeitperspektive besteht das Risiko für Depression Angst A - Abhängigkeit/Sucht 17 % 11%/23% 16% 17% /9% riskant: 17%/9% schädlich: 4% abhängig: 2,5% • wichtig: häufige Störungen gehen häufig miteinander einher Angst, Depression und Abhängigkeit erhöhen das Risiko eines gemeinsamen oder aufeinanderfolgenden Auftretens Was sind gesundheitspolitisch relevante Krankheitskosten? Lebensjahre mit Behinderung infolge Krankheit / Störung Was sind gesundheitspolitisch relevante Krankheitskosten? Gesundheitskosten in Milliarden US-Dollar / Jahr Depressives Syndrom Affektive Symptome Kognitive Symptome Somatische Symptome Bedrücktheit Traurigkeit Affektlabilität verminderte Reagibilität ziellose Angst Scham, Dysphorie Schuldgefühle Selbstwertverlust Interesse-, Freudlosigkeit Entfremdung Verlangsamung – Hemmung Einengung Konzentrationsstörung „negative Trias“ Schuld - Sünde Krankheit - Hypochondrie Verarmung Tod – Nihilismus psychomotorische Gehemmtheit psychomotorische Agitiertheit Suizidalität Ein-, Durchschlafstörungen frühmorgendliches Erwachen Tagesschwankung Inappetenz, Gewichtsverlust Libidoverlust Vitalitätsverlust – Müdigkeit Erschöpfbarkeit leibliche Missempfindungen lokalisierte Schmerzen Diagnostische Kriterien einer depressiven Episode nach ICD-10 Major Depression Depression kann in sehr unterschiedlichen klinischen Zustandsbildern auftreten Depressive Syndrome im Verlauf Rezidivierende Depression bipolar affektive Störung affektiver Mischzustand Rapid cycling (4 Episoden/Jahr) rezidivierende Depression + RS Dysthymie ( > 2 Jahre) F Zyklothymia S H W siasonal-abhängige Depression rezidivierend kurze depressive Störung (1 Woche/Monat > 1J) Screening – Fragen nach Depression Relevanz in der allgemeinärztlichen Praxis Depression – klinische Ausgangslage – biologische und psychosoziale Konsequenzen breites heterogenes Spektrum klinische Syndrome Schweregrad Polarität: uni-, bipolar Spektrum-Störungen weibliche – männliche Depression multifaktorielle Genese Epidemiologie Frauen: ca. 20% Männer ca. 12% Verlauf hohe Rezidivneigung, ca. 20% chronisch Suizidalität, Komorbidität (Angst, Sucht) somatische Krankheitsrisiken (KHK, D. m.) Kosten psychologische, psychosoziale sozioökonomische Kosten Depression - Epidemiologie Depressive Episode (Major Depression) Lebenszeitprävalenz: Punktprävalenz: Hausarztpraxen: 4 – 18 % 1.5 – 5 % ca. 10 % Dysthymie Lebenszeitprävalenz: Punktprävalenz: 3–6% 1–4% Bipolar affektive Störung ca. 1 % Depression – Epidemiologische Grunddaten 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% USA Edmonton Puerto Rico Frauen Paris BRD Florenz Beirut Korea New Zealand Männer [Weissman et al. 1994] Theorien zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede depressiver Störungen Artefakt Hilfesuchverhalten Symptombericht Diagnostischer Bias Biologisch Gehirnstruktur Gehirnfunktion Genetische Transmission Reproduktive Funktion Psychosozial Sozialer Status Rollenstreß/life events Viktimisierung Coping Stile Depression - Geschlechtsdifferenzen stressvolle Lebensereignisse Saisonalität Menstruationszyklus Schwangerschaft Wochenbett Menopause Exogene Hormontherapie Depression Depression und die Folgen Rezidivneigung – Chronizität Suizidrisiko Psychische Komorbidität Somatische Komorbidität Soziale Folgen Unipolare Depression - Prognose im allgemeinen günstig jedoch: Prädiktion schwierig - 15% Suizide (aus der Gesamtmortalität) - erhöhte Mortalität durch Herz- und Kreislauferkrankungen - 15 - 30% Chronifizierung - erhebliche Rezidivneigung mit Tendenz zur Intervallverkürzung - psychosoziale Beeinträchtigungen - Alter, Frauen, untere soz. Schicht, ledig soziale Unterstützung, soziales Netz Persönlichkeit Alter bei Beginn der Erkrankung, Anzahl bisheriger Episoden, - psychotische Zeichen, sekundäre Depressionen, Substanzmissbrauch Depression - Komorbidität Major Depression Panikstörung [40-80%] Major Depression Generalisierte Angststörung [ > 50%] Major Depression Zwangsstörung [3 - 30%] Major Depression Alkohol-/ Medikamentenmissbrauch [ > 30 %] Grunddaten zur Suizidalität • WHO – Schätzung: ca. 500 000 Suizidtote / Jahr • Europäische Union: > 45.000 Suizidtote / Jahr • Deutschland: 13 000 – 15 000 Suizidtote / Jahr • Österreich (2004): 1.418 Suizidtote (1.073 Männer und 345 Frauen) • Suizidversuche: ca. 10-fache Anzahl der Suizide Europäische Suizid-Statistik Suizidrate in Abhängigkeit von Geschlecht und Alter Suizidrate in Österreich / Steiermark Suizidrate in Österreich im europäischen Vergleich - Frauen: 13.2 (SR) - Männer: 38.0 (SR) Steiermark: signifikant über österreichischem Durchschnitt 1999: 280 Suizidtote 2000: 273 Suizidtote höhere Mortalität durch Suizide als durch Verkehrsunfälle Suizidalität – Begrifflichkeit Suizid Suizidversuch Suizidgedanken, -phantasien Todeswunsch - eng gefasst - parasuizidale Geste (Appell) - parasuizidale Pause (Ruhe) Demographische Daten zu Suizidalität Suizidversuche Suizide > 40 J. M:F=2:1–7:1 geschieden, verwitwet, Single Gesundheitswesen Großstadtbereich Erschießen, Erhängen > Vergiften Alter Geschlecht Zivilstatus 20 – 30 J. F:M=2–3:1 geschieden Beruf Geographisch Methode arbeitslos, v.a. Männer Stadt Tablettenintoxikation Abschätzung von Suizidalität Risikogruppen Krisen, Krisenanfälligkeit Suizidale Entwicklung Präsuizidales Syndrom Suizid - Risikogruppen Hohes Risiko: 50-500mal höher als in Normalbevölkerung 1. Depressive aller Art 2. Alkohol-,Medikamenten-, Drogenabhängige 25% aller SV (60-120mal höheres Risiko) 3. Alte und Vereinsamte 4. Personen, die Suizidankündigungen machen: 80% unternehmen einen SV (Pöldinger 1989) 5. Personen, die bereits einen SV gemacht haben (Wiederholungsgefahr bei Depressiven: 21,2%;Wedler1992) 6. 20-30% neuerlicher SV innerhalb von 10 J.: 10% tödlicher Ausgang Suizidrisiko im ersten halben Jahr nach SV am höchsten Suizidalität und psychische Erkrankung Suizid psychische Krankheit Psychologische Autopsie-Studien: Diagnosen [aus: Bronisch u. Hegerl 2010] Suizidalität – Krisen, Krisenanfälligkeit Krise: individuell nicht mehr sinnvoll / erfolgreich zu bewältigende Erlebnisse oder Ereignisse Krisen aus Lebensveränderungen: Verlassen des Elternhauses Heirat, Geburt eines Kindes Wohnungswechsel Arbeitslosigkeit „Lebensmitte“ Pensionierung Tod einer nahen Person Krankheit, Invalidität Soziale, persönliche Niederlagen Äußere Katastrophen Individuelle Krisenanfälligkeit: Persönlichkeit + Lerngeschichte + soziales Netz Situativ steigendes Suizidrisiko Die situativen Anforderungen übersteigen die Bewältigungsfähigkeiten einer Person. Subjektive Einschätzung: aktuelle Lage, grundlegende Wertvorstellungen subjektive Einschätzung der Ressourcen Zentraler Prädiktor: Hoffnungslosigkeit „ich will nicht mehr kämpfen“ wenig Vertrauen, in eigene Problemlösungsfähigkeit Suizidalität – suizidale Entwicklung – präsuizidales Syndrom Subjektiv nicht mehr lösbare Krise Selbstmord als Lösungsmöglichkeit Vorstellbar - Suggestive Momente Einengung Hoffnungslosigkeit Entschluss Ambivalenzstadium - „Hilferufe“ - Kontaktsuche Aggressionsumkehr - „Ruhe vor dem Sturm“ Suizidphantasie Suizidhandlung nach: Pöldinger, Ringel Nosologische Einordnung der Depressionszustände s o m a t o g e n Organische Depressionen Symptomatische Depressionen Schizophrene Depressionen Zyklische Depressionen Periodische Depressionen Involutionsdepressionen Neurotische Depressionen Erschöpfungsdepressionen Reaktive Depressionen p s y c Somatogene Depressionen Endogene Depressionen Psychogene Depressionen h o g e n Multifaktorielle Ätiopathogenese depressiver Erkrankungen Aktuelle Stressoren in sozialen/ interpersonalen Beziehungen fehlende soziale Unterstützung Disharmonie in Partnerschaft u. Familienkonflikte Rollenkonflikte Genetische Prädisposition Persönlichkeitsfaktoren z.B. Neurotizismus Angstneigung negativer Attributionsstil gelernte Hilflosigkeit Typus melancholicus Psychodynamik Neurobiologische Vermittlung Neurotransmitter-Hypothese Genetische-Hypothese Neuroendokrinologische Hypothese Neurotoxische Hypothese Neuroinflammatorische Hypothese Physikalische Einwirkungen z.B. Lichtentzug z.B. somatische Erkrankungen, chronischer Schmerzen Stressoren / Traumata z.B. Verlusterlebnisse, frühkindlicher Missbrauch negative life events, daily hassles Depression Entwicklung einer Depression Depression, eine rezidivierende Erkrankung Kendler et al. (2001) Genetic risk, number of depressive episodes, and stressful events in predicting the onset of major depression. Am J Psychiatry 158: 582-586 Depression in lerntheoretischer Perspektive Lerntheoretische Prinzipien treffen sowohl für normales als auch für psychopathologisches Erleben und Verhalten zu Psychopathologisches Erleben und Verhalten: - Exzess - Defizit Modelle: - kognitionstheoretisch gelernte Hilflosigkeit (Seligman) kognitive Trias (Beck) Selbstregulation (Kanfer) - verstärkungstheoretisch Verstärkerverlust (Lewinsohn) - interaktionstheoretisch mangelnde soziale Kompetenz beeinträchtigte Beziehungsfähigkeit (Bellack) Kognitive Triade Modell von A. Beck (1974) zentraler Stellenwert negativer Urteile über Selbst, Welt im Allgemeinen, Zukunft im Besonderen - kognitive Störungen - Verhaltensebene: verringerte Selbstwirksamkeit, reduzierte Initiative zu positiv verstärkenden Handlungen - symptomatologisch: emotionale Dysregulation, Impulskontrollstörung automatischer innerer Monolog Kognitive Dysfunktionen Schemata Bedeutung einer entwicklungspsychopathologischen Dimension: zentrale Schemata in Selbstorganisation u. Beziehungsfähigkeit - Soziotropie / interpersonale Dependenz - Autonomie / interpersonale Unabhängigkeit Kognitive Perspektive Dichotomes Denken typisches Schwarz-Weiß-Denken Übergeneralisierung aus einem besonderen Ereignis auf das Leben insgesamt verallgemeinert Selektive Abstraktion ausschließliche Konzentration auf einen speziellen Aspekt in einer Situation in einer bestimmten Situation anstatt auf die Komplexität aller vorhandenen Aspekte Schlechtmachen positive Aspekte, die einer negativen Gesamtsicht widersprechen würden, übergehen und die negativen überbetonen Gedankenlesen Annahme, man wisse bereits, was andere Personen denken oder wie sie sich verhalten Zukunftsdeutung Reaktionsweisen, als ob Erwartungen über Zukunft bereits ausgemachte Fakten Katastrophisierung tatsächliche oder antizipierte Ereignisse als unerträgliche Katastrophen zu behandeln, statt sie in einer realistischen Perspektive zu bewerten Maximierung / Minimierung Aspekte in einer Situation unabhängig von ihrer realen Bedeutung entweder als sehr wichtig oder aber als banal anzusehen Emotionales Urteilen Annahme, die verspürten Emotionen würden eine Situation notwendig wahr reflektieren Soll-Sätze „Soll“- und „Muss“-Sätze selten eine echte Motivation für realitätsorientiertes Handeln Selbst-Labeling sich mit einem globalen Urteil versehen („ich bin ein Versager“) Personalisierung sich die Schuld an einer bestimmten Situation geben, auch wenn real andere Faktoren dafür verantwortlich sind Attributionsverhalten und „erlernte Hilflosigkeit“ Misserfolg, Nicht-Kontrollerfahrung, aversive Bedingung Kognitiver Stil (stabiles Verarbeitungsu. Attributionsmuster) aktuelle Ursachenzuschreibung: internal-external global-spezifisch stabil-variabel Erwartungshaltung: Hilflosigkeit Hoffnungslosigkeit Symptome Beschwerden: Depressionen Ängste Resignation Apathie Antriebsmangel Attributionstheoretische Reformulierung des Modells der „erlernten Hilflosigkeit“ [nach: Abramson, Seligman, Teasdale 1978] Verstärkerverlust Modell nach Lewinsohn et al. (1979) potentiell verstärkende Ereignisse - quantitativ: wie viel, wie intensiv - qualitativ: wie belohnend Erreichbarkeit von Verstärkung - Trennung - Armut - soziale Isolation erlerntes instrumentelles Verhalten der Person Depression verbales, nonverbales Verhalten niedrige Rate an positiver Verstärkung somatische emotionale kognitive motivationale Symptome Interaktionen soziale Vermeidung Zuwendung Entlastung Psychodynamische Konzeptualisierung der Depression frühe biographische Erfahrungsbasis Objekterfahrungen Versorgungswünsche, emotionale Nähe Fürsorge, Sicherheit, Wohlbefinden, Vertrauen, Tröstung, Zuversicht, Optimismus, Wertschätzung Selbsterfahrungen ich bin geliebt, geachtet, vollwertig ich kann mir etwas zutrauen, bin effizient, kann mir aktiv holen, was ich für Wohlbefinden/Sicherheit brauche bin gut und liebevoll Psychodynamik - modellhafte Voraussetzungen bei depressiven Störungen triebpsychologisch ichpsychologisch passives Anklammern Sehnsucht / Gier / Neid Liebe/ Fürsorge/ Bestätigung ungelöste Aggressionsproblematik aus Enttäuschungswut schwache Eigenidentität bei übermäßiger Außenorientierung aggressionsverzerrte Introjekte, rigides Über-Ich unrealistisches Ich-Ideal reale Entfaltungsmöglichkeiten unterentwickelte Ich-Fertigkeiten objektpsychologisch selbstpsychologisch unverzichtbare Angewiesenheit auf Realpräsenz eines „guten“ Objekts Abhängigkeit – Trennung – Eigenständigkeit, Objektambivalenz: „idealisiert“ „feindselig“ „Alles-oder-Nichts“ unrealistische Größenvorstellungen unrealistische Ohnmachtsgefühle idealisierte „Selbstobjekte“ Psychodynamik – zentrale Konfliktthemen bei depressiven Störungen Narzisstische Vulnerabilität Frühe Erfahrungen / Wahrnehmungen von Verlust, Zurückweisung, Ineffektivität Sensitivität gegenüber realen / subjektiv angenommenen Verlusten, Zurückweisungen Konflikthafter Ärger / Wut Ärger, Wut auf mangelnde emotionale Reagibilität anderer auf eigene Wünsche / Bedürfnisse Ärger / Wut aus der Anschuldigung anderer für eigene Verletzlichkeit, Neid Andere: unempathisch, feindselig, bedrohlich, vernichtend Schuld / Scham (Über-Ich / Ich-Ideal) Wendung gegen die eigene Person / Selbst, verinnerlichte „strafende“ Elternbilder, Wünsche: Ärger, Neid, Gier: „falsch, böse“ Negatives Selbstbild, Selbstkritik, niedriger Selbstwert Idealisierung/ Entwertung von Selbst / Andere Bestreben, niedrigen Selbstwert zu mildern: hohe Selbstansprüche, andere idealisiert in der von ihnen erwarteten Bedürfnisbefriedigung Entwertung anderer, um eigenen Selbstwert zu heben hohe Enttäuschung- / Kränkungsempfindlichkeit charakteristische innerseelische Mechanismen - Verleugnung - Projektion - passive Aggression - Reaktionsbildung Depressionstypologie psychodynamische Verarbeitungsstile Altruistische Verarbeitungsform des depressiven Grundkonflikts lebensgeschichtlich frühe kompensatorische Übernahme von Verpflichtung, Verantwortung, Fürsorglichkeit für andere, bei gleichzeitiger Selbstverleugnung, Überangepasstheit, Unterordnung Aggressionshemmung, starke Leugnung eigener Wünsche, Bedürfnisse anderen gegenüber Narzisstische Verarbeitungsform des depressiven Grundkonflikts Leugnung von Abhängigkeit, Bedürftigkeit, kompensatorische Überbetonung von Ansehen, Geltung, Leistung, körperlicher Erscheinung, Attraktivität, Wissen, Macht, Kontrolle, persönliche Grandiosität, Exklusivität; Erwartung uneingeschränkter / unbedingter Bewunderung; durch habituelle Entwertung, Kritik anderer auch hohe Distanz Oral-regressive Erledigung des depressiven Grundkonflikts durchdringendes, vorwürflich, dysphorisches Gefühl, ungeliebt, unversorgt, verlassen, unerwüncht, wertlos zu sein; kaum aktive Bewältigungsmechanismen entwickelt, häufig selbstdestruktive Reaktionsstile Depression: Psychopathologische Phänotypen Major Depression Depressive Stimmung Negative Emotionen Anhedonie gestörte Belohnung Kognitiv: Lernen/Gedächtnis Exekutiv-F. Psychomotorik Hemmung / Agitiertheit Neurovegetative / somatoforme Störungen Stresssensitivität Tagesschwankungen Biorhythmusstörungen Zufallsentdeckung antidepressiver Wirkprinzipien Imipramin Wirkung eines Pharmakons Verständnis/Konzeptualisierung einer psychischen Störung Entwicklung differenzieller pharmakologischer Wirkprinzipien differenzierte neurobiologische Untersuchungsebenen Neurotransmitter-Dysbalance-Hypothese der Depression Serotonin Noradrenalin - 3-Methoxy-4-hydroxyphenylglycol α2-Bindung in Thrombozyten Blunted Response von HGH auf Clonidin β-adrenerge Rezeptoren (Suizidopfer) β-Downregulation unter Antidepressiva Katecholamindepletion unter α-Methylparatyrosin - Tryptophan im Plasma / TD-Test 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIAA) im CSF Postsynaptische 5-HT2-Rezeptoren [3H] Imipramin / Paroxetin-Bindung Bluntetd Response von Prolaktin auf Fenfluramin SERT-Bindung im Mittelhirn bei [123I]- β-CIT Die Bedeutung des Dopamins für die Affekt- und Stimmungsregulation Neurotransmission von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin Molekulare Hypothese der Depression Pittenger, Duman (2008) Neuroendokrine Hypothese der Depression Dysfunktion der HPA-Achse grundlegende biologische Mobilisierung mit Noradrenalin synergistisch bei emotionaler Gedächtnisbildung, aber hemmend auf Wiedererinnerung reguliert und beendet Stress-Kaskade - erhöhtes ACTH und Cortisol - mangelnde Suppression nach Dexamethason - erhöhtes ACTH + Cortisol im DEX/CRH-Test - erhöhte CRH- + Vasopressin = - Subsensitivität des Kortikosteroid-Rezeptors [nach: Yehuda 2001 Holsboer, Ising 2010] - Cortisol bindet an MR und GR: Transkriptionsfaktoren: Kodierung von Neuropeptiden + Wachstumsfaktorn reguliert Hypothese der Neurotoxizität der Depression Pittenger, Duman (2008) Dysfunktion in der Neurogenese limbischer Strukturen bei der Depression Stress reduziert die Expression von neurotrophen Wachstumsfaktoren (BDNF) in limbischen Strukturen der Stimmungsregulation: Atrophiezeichen in der Hippocampusformation u. reduzierte Neurogenese (Gyrus dentatus) Duman u. Monteggia (2006) Interaktion von HPA-Achse, SNS und inflammatorischem System Inflammatorische Hypothese der Depression Inflammatorische Hypothese der Depression McNally et al. (2008) Inflammatorische und oxydativer Stress –Hypothese der Depression Maes et al. (2009) Depression – eine Störung der Biorhythmen? Thalamus 3. Ventrikel Epiphyse charakteristisch für Lebewesen Suprachiasmatische nuclei (SCN): “ Master clock ” Modulation von biologischen, physiologischen und Verhaltens-Parametern: Licht PVN − Körpertemperatur Chiasma opticum − Blutdruck SCN − Hormon-Sekretion (Kortisol, TSH, etc) Hypophyse − Immunantwort Medulla − Motorische Aktivität, Kognitive Leistung − Schlaf-Wach Rhythmus − Stimmung, … Mignot E, et al. Nat Neurosci . 2002 Turek FE, et al. Arch Neurol. 2001. SCN: suprachiasmatischer Nucleus PVN: paraventriculärer Nucleus Nucleus suprachiasmaticus – “Master clock” in der Regulation der zirkadianen Rhythmen Corpus callosum Cingulärer Cortex Frontaler Cortex Fornix Chiasma opticum Thalamus Nucleus suprachiasmaticus Hypophyse Mammillarkörper MT1 MT2 5-HT2C Amygdala Hippocampus Cerebellum Zwei Subtypen von melatonergen Rezeptoren im SCN : MT1 und MT2 regulieren zirkadiane Rhythmen Unter anderem findet sich eine hohe Dichte von 5-HT2c Rezeptoren im SCN induzieren Tiefschlaf (slow wave sleep) Mignot E. et al. Nat Neurosci. 2002; Turek FE, et al. Arch Neurol. 2001. Agomelatin Schlafarchitektur in Depression und Euthymie Nutt (2008) Zirkadiane Rhythmen sind bei Depressiven abgeflacht und verschoben PLASMA KORTISOL (ng/mL) 220 PLASMA MELATONIN (pg/mL) Schlaf KÖRPERTEMPERATUR (°C) Schlaf 100 37.4 Schlaf 37.2 170 37.0 80 36.8 120 60 70 40 36.6 36.4 36.2 20 20 6 9 12 15 18 21 24 3 Von E. Souetre et al (1988) 6 9 12 36.0 6 9 12 15 18 21 24 3 Zeit 6 9 12 7 Depression 11 15 19 23 3 7 Kontrolle 11 Neuroanales Netzwerkmodell der Depression Phillips et al. (2008) Genetische Hypothese der Depression Zwillings- / Familienstudien: hohe Heritabilität der uni- / bipolaren Depression 50% - Konkordanzrate bei monozygoten Zwillingen 2.5-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Verwandten 1. Grades Assoziationsstudien: Kandidatengene mit Einfluss auf monoaminerge Funktionen Polymorphismen im Glucocorticoid-Rezeptor-Gen NR3C1, Monoaminoxydase A-Gen, Glycogensynthase-Kinase-Gen-3ß, Gruppe 2-metabotrope Glutamat-Rezeptor-Gen GRM-3 Assoziationsstudien: Kandidatengene mit Einfluss auf Therapie-Response 5-HTTLPR-Gen: SLC6A4_ lange Allel-Variante: bessere Response auf SSRI, geringere NW _ kurze Allel-Variante: erhöhte Paroxetin-, aber verringerte Mirtazapin-induzierte NW glutamaterge Gene (z.B. GRIK 4): Citalopram-Response, -Verträglichkeit; Met-Variante im Val-/Met-Polymorphismus: BDNF, SSRI-Response, COMT-Gen: AD-Response; FKBP5: Chaperone-Bindung von Cortisol an GR: AD-Response Genetische und Umweltfaktoren tragen zum affektiven und PTSD-Risiko nach Traumaexposition bei Mahan & Ressler (2012) Serotonin-Transporter-Genpolymorphismus Interaktion von Amygdala – ACC: genetischer Vulnerabilitätsmechanismus für Depression Träger des s-Allels in funktionellem 5´ Promotor Polymorphismus des Serotonin-Transporter-Gens: • erhöhtes ängstliches Temperament, verstärkte Reaktivität der Amygdala, erhöhtes Depressionsrisiko • morphometrisch: verringertes Volumen von Amygdala und Cingulum perigenuale (ACC) • Funktionsanalyse: Entkoppelung des Amygdala-Cingulum-Regelkreises in der Verarbeitung von Angststimuli [Pezawas et al. 2005 Nature Neuroscience 8: 828-834] Serotonin-Transporter-Genpolymorphismus Interaktion von Amygdala – ACC: genetischer Vulnerabilitätsmechanismus für Depression dieser Serotonin-Transporter-Gen-Polymorphismus funktionell relevant nur unter stressvollen Umweltbedingungen, möglicherweise auch nur in einem kritischen Zeitfenster der frühen Entwicklung Früh erworbener Reaktionsstil der HPA-Achse auf Stressoren Heim et al. (2008) Genetische und frühe Gen x Umwelt-Interaktionen in der Prägung der HPA-Achse Yehuda, Flory, Pratchett, Buxbaum, Ising, Holsboer [2010] Depression und metabolisches Syndrom Hypercortisolämie Sympatho-vagale Dysbalance Depression OR:2.0 Kinder et al, Psychosom.Med.,2004 Metabolisches Syndrom OR:3.6 Wannamethee et al, Arch.Intern.Med,2005 Diabetes mellitus II Morbidität bei Depression OR:2.0 Eaton et al, Diabetes Care, 1996 OR:1.6 Wannamethee et al, Arch.Inter.Med.,2005 Koronare Herzerkrankung Morbidität bei Depression OR:2.7 Mortalität bei Depression OR:2.6 Rugulies et al, Psychosom.Med., 2004 van Melle et al, Psychsom.Med., 2004 Herzinfarkt und Depression – psychobiologische Vermittlungsmechanismen SAA-Dysfunktionalität Verringerte Herzratenvariabilität CRF stimuliert sympathische Aktvität = Adrenalin und Noradrenalin koronare Ischämie / Herzinsuffizienz: ebenfalls sympthikoadrenale Hyperaktivität: Herzrate, orthostatische Regulation, Gefäßreaktionen, Thrombozytenfunktionen sympathisches, parasympathisches, R-A-System - HRV bei koronaren KHK reduziert,Risiko plötzlichen Herztodes signifikant erhöht; analog bei Depression, prädisponiert für ventrikuläre Arrhythmien, sekundär zu Exzessmortalität HPA-Dysfunktionalität CRF, ACTH, Cortisol kardiale Risikofaktoren: Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie, Hypertonus, Atherosklerose-induzierende Effekte, verzögerte Wundheilung. Thrombozytenfunktionen Myokardiale Ischämie – ventrikuläre Instabilität, Kammerflimmern: wahrscheinlicher Mechanismus für plötzlichen Herztod Psychologischer Stress: Senkung der Schwelle der Vulnerabilitätsperiode des Ventrikels; PVC Risiko plötzlichen Herztods Kardiotoxizität Hämostase, Thrombosenbildung, Atherosklerose, IA mit subendothelialen Gefäßkomponenten / Gerinnungsfaktoren im Plasma (Thrombin) T: adrenerge, serotonerge, dopaminerge Rezeptoren Depression u. KHK: Thrombozytenaktivierung , vermehrte Plättchenfaktor 4 / β -Thromboglobulin Serotonin: Aktivierung / Sekretion von T Inflammatorisches System MD u. Myokardinfarkt: Aktivierung proinflammatorischer Zytokine: Immunkomplexe (Extravasation) – „Hypercortisolismus“, erhöhtes SNS, verringerte HVR aktivierte IDO: Tryptophan - vermehrte Quinolinsäure, verringerte Serotoninsynthese: depressive Symptome, Verschlussereignisse reduzierte vielfach-ungesättigte Fettsäuren (PUFA, z.B. Omega-3-FS) Depression – Versorgungssituation durch Internisten / Allgemeinmediziner Versorgungsrealität – spezifische Therapie von Depressionen (n = 732) Behandlungsstatus behandelt unerkannt unerkannt/unbehandelt [n = 211] [n = 196] [n = 521] 14 – 24 Jahre 24 – 44 45 + 12.9 % 40.2 % 46.6 % 34.1 % 21.1 % 19.1 % 87.1 % 59.8 % 53.4 % gesamt 28.8 % 26.8 % 71.1 % Männer Frauen 11.7 % 34.4 % 43.0 % 21.5 % 88.3 % 65.5 % Wittchen et al. (1999) Depressionsbehandlung - multimodal Depressionstherapie Psychologische Therapieverfahren Kognitive Verhaltenstherapie Interpersonelle Psychotherapie Psychodynamisch-tiefenpsychologisch Therapie Partner- / Familientherapie Psychosoziale Interventionen (Angehörige, Hilfen) Biologische Therapieverfahren Pharmakotherapie (Antidepressiva) Schlafentzugsbehandlung Lichttherapie Elektrokonvulsionstherapie Psychotherapeutisches Basisverhalten Stützendes ärztliches Gespräch Klinische Herausforderungen: depressive Störungen Heterozyklika Benzodiazepine: z.B. Lorazepam SSRI / SNRI SSNRI /SARI Klinische Realität der Pharmakotherapie MAO-Hemmer Amphetamine 60-70% Therapie-Response [≠ Remission] ca. 20% : Therapie-Resistenz nach Absetzen der Medikamente: 20-50% Rezidive Suizidprophylaxe ? Nebenwirkungen ! Ängste / Meinungen / Einstellungen 30-40% Placebo-Response Lithium Mood Stabilizer Atypika Mirtazapin Tianeptine Agomelatin Klinische Herausforderungen: depressive Störungen Kognitiv-behaviorale Therapie Kognitive Störungen depressive Erlebens- u. Verhaltensstörungen im Vergleich zu Medikation: negative Urteile über Selbst, Welt im Allgemeinen, Zukunft im Besonderen „endogenes“ Symptompattern Schweregrad ! Monolog formale Dysfunktionen thematische Schemata unterschiedliche Wirkzeit gleichwertig bei nicht-psychotischen unipolaren Depressionen in Akutphase Abbruch-Quote: Überlegenheit günstige Langzeitprophylaxe Friedman u. Thase (2005) Klinische Herausforderungen: depressive Störungen Interpersonale Psychotherapie im Vergleich zu Medikation depressive Vulnerabilität im Brennpunkt psychosozialer Stressoren gleichwertige Effizienz breiteres psychosoziales Wirkspektrum auch bei schwereren Depressionen - Disharmonie in Beziehungen - psychosoziale Unterstützung - Rollenanforderungen - Trauerprozesse in Langzeitperspektive wiederkehrende IPT-Kontakte notwendig Markowitz (2005) Klinische Herausforderungen: depressive Störungen Psychodynamische Psychotherapie im (indirekten) Vergleich: depressive Vulnerabilität im Kontext ungelöster basaler Konflikte und ihrer Verarbeitungsstile (Persönlichkeit) oral-rezeptive /-kaptative Bedürfnisse Ich-Fertigkeiten Symbiose – Trennung – Individuation Spiegelung – Bestätigung – Idealisierung insgesamt geringere Datenlage keineswegs geringere Effizienz (Leichsenring 2001) Erkenntnisse über Subgruppen /Verläufe (Blatt 1992, 1995) wenngleich keine kontrollierten, doch bedeutsame Erkenntnisse über psychoanalytische Langzeittherapien (Leunzinger-Bohleber et al. 2001; Sandell et al. 2000; Tayler 2005) Psychotherapie Psychotherapie: Pharmakotherapie Neurobiologie psychotherapeutischer Prozesse Veränderung einzig durch KVT Veränderung einzig durch Paroxetin Veränderung durch KVT + Paroxetin Goldapple et al (2004) Arch Gen Psychiatry 61: 34-41 „top down“ – „bottom up“