Politik und Moral

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Bernhard Sutor / Wolfgang Sohst
Politische Ethik
und
Kollektive Verantwortung
enomoi
Impressum
Bernhard Sutor / Wolfgang Sohst
Politische Ethik und Kollektive Verantwortung
ISBN 978-3-942106-34-4
Der Beitrag „Kleine politische Ethik“ von Prof. Bernhard Sutor wurde
in der 1. Auflage 1997 bei der Bundeszentrale für politische Bildung,
53113 Bonn unter Band Nr. 341 veröffentlicht.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
DeutschenNationalbibliographie. Detailliertere bibliogaphische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 xenomoi Verlag, Berlin
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in der Schrift Palatino Linotye
Umschlaggestaltung, Satz und Produktion:
xenomoi Verlag
Inhalt
Vorwort .....................................................................5
Kleine politische Ethik ......................................... 11
Weiterführungen 2015 .................................... 209
Kollektive moralische Verantwortung.............. 261
Über die Autoren.................................................. 453
Personenverzeichnis............................................ 457
Stichwortverzeichnis........................................... 460
3
Vorwort
Die beiden Teile dieses Buches haben eine gemeinsame Thematik, nämlich die öffentliche Moral der Gesellschaft und ihres
politischen Gemeinwesens; die Möglichkeiten ihrer Begründung, ihrer Ausdrucksformen und ihrer Verantwortbarkeit.
Die Behandlung dieser Thematik folgt jedoch unterschiedlichen Frageweisen. Die Politische Ethik von Bernhard Sutor ist
eine philosophisch-politiktheoretische Darstellung, die sich an
der Tradition praktischer Philosophie orientiert. Die Untersuchung der Frage nach kollektiver Verantwortung von Wolfgang Sohst arbeitet mit Kategorien der sozialphilosophischen
Theorie. Wir legen beide Teile hier zusammen vor, weil wir
meinen, dass sie sich gerade in ihrem unterschiedlichen Zugriff
auf das Thema gegenseitig gut ergänzen.
Die politische Ethik versucht Klärungen in dem viel diskutierten und mit manchen Missverständnissen belasteten Verhältnis von Politik und Moral. Sie diskutiert nicht die Frage
einer möglichen Letztbegründung ethischer Prinzipien und
moralischer Werte, auch wenn sie diese nicht ganz ausklammern kann. Sie orientiert sich vielmehr an der langen Tradition praktischer Philosophie, die in unterschiedlichen Ausprägungen in der europäischen Philosophie von Aristoteles
bis zu Kant reicht; die in unserer Zeit für die Klärung gegenwärtiger ethischer Fragen von Philosophen unterschiedlicher
Schulrichtungen rekonstruiert wurde. Praktische Philosophie
unterscheidet seit Aristoteles zwischen Theorie als Suche nach
bleibender Wahrheit und Praxis als dem Bemühen um die gute
Lösung von Problemen menschlichen Handelns und Zusammenlebens. Theorie und Praxis sind nicht völlig voneinander
zu trennen. Jede Ethik praktischen Handelns beruht auf theoretischen Voraussetzungen. Praktische Philosophie als Ethik
setzt voraus, dass unser Menschsein individuell wie sozial Sol5
Vorwort
lensstruktur hat. Sie geht von der geschichtlich unhintergehbaren Erfahrung aus, dass wir als Personen moralische Subjekte
sind, die ihr Handeln verantworten müssen, wie immer man
auch die Weite oder Begrenztheit menschlicher Freiheit und
Verantwortung im konkreten Handeln beurteilen mag. Ohne
die Unterscheidung von Richtig und Falsch, von Gut und Böse
wären moralische Urteile und ihre ethische Begründung überflüssig, wären reine Illusion.
Aber die Normen für unser Handeln und die Urteilskriterien für das Entscheiden konkreter Handlungsfragen können
nicht aus diesen Voraussetzungen abgeleitet, müssen vielmehr
in vernunftgeleiteter Praxis im jeweiligen geschichtlichen Kontext gefunden, erörtert, begründet werden. Das ist immer ein
dialogisch-kommunikativer Prozess, und die darin zu erreichende Wahrheit hat nicht die Form theoretisch sicherer, sondern moralischer Gewissheit auf der Grundlage verantwortbar
geprüfter Gründe. Das Verhältnis von Theorie und Praxis ist
also nicht das der Deduktion, sondern der Reflexion.
In dieser Orientierung sucht die hier entfaltete politische
Ethik zunächst nach einer Bestimmung ihres Gegenstandes,
der Politik. Politische Ethik braucht einen konsistenten, den
Realitäten des Politischen angemessenen Begriff von ihrer Sache. Ethische Normen und moralische Urteile sollen nicht, was
häufig geschieht, von außen an Politik herangetragen, sondern
an Politik als einer spezifischen Form menschlich-gesellschaftlicher Praxis entwickelt werden. Wohlfeiles politikfernes Moralisieren, gut gemeinte gesinnungsethische Überforderung
von Politik müssen ebenso vermieden werden wie die Trennung von Politik und Moral, als seien das unvereinbare Welten; als könne Politik, etwa im Sinn völlig wertfreien Machthandelns, ihren reinen Eigengesetzlichkeiten folgen. Politische
Ethik muss diesen Eigengesetzlichkeiten gerecht werden; Politik kann nicht allein aus Ethik begründet werden, sie hat aber
immer auch eine moralische Seite und muss deshalb auch ethischen Maßstäben genügen.
6
Vorwort
Dieser Grundgedanke wird hier in drei Dimensionen von
Politik entfaltet; in der Frage nach politischen Zielen, nach
den institutionellen und strukturellen Elementen von Politik
und nach dem politischen Handeln der Akteure. Auf dieser
Grundlage kommen die typischen Spannungsverhältnisse und
Konkfliktquellen des Politischen unter ethischen Aspekten zur
Sprache: das Verhältnis von Interessen und Gemeinwohl, von
politischen Institutionen und Tugenden, von Pluralismus und
Gemeinsinn, von Macht, Recht und Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, den unvermeidlichen politischen Streit zu kultivieren. Gerade in dieser Hinsicht ist in der hier entwickelten
politischen Ethik ausdrücklich auch von politischen Tugenden
die Rede. Schließlich bezieht ein Schlusskapitel auch die internationale Politik in diese Erörterungen ein. Damit endet der
Text von 1997.
Die sich anschließenden „Weiterführungen 2015“ greifen
fünf Teilprobleme auf und erörtern sie im Blick sowohl auf die
seitherige politische Entwicklung wie auch auf den Fortgang
der ethisch-politischen Diskussion in der Wissenschaft.
Der Topos des zweiten Beitrages ‚Kollektive moralische Verantwortung‘ hat in der philosophischen Ethik und in geringerem Umfange auch in der Soziologie zwar eine längere, allerdings eher randständige Geschichte. Abgesehen von den spärlichen antiken und früheuropäischen Quellen, die der heutigen
Problemstellung kaum mehr gerecht werden, ist das Thema im
abendländischen Kulturraum – und nur dort – erst nach dem 1.
Weltkrieg unter den inzwischen stark veränderten politischen
und gesellschaftlichen Umständen intensiver aufgegriffen
worden. Dies ging parallel mit einer zunehmenden politischen
Reichweite kriegerischer Auseinandersetzungen, die mit dem
1. Weltkrieg zum ersten Mal praktisch die gesamte Menschheit
betrafen. Kaum rückte das Thema jedoch wieder in den Fokus
des philosophischen Interesses, spaltete sich sein Gegenstand.
Einerseits sprach man weiter von ‚kollektiver Verantwortung‘,
wenn es z.B. um Reparationen infolge von Kriegsschuld ging.
7
Vorwort
Dabei zielte man auf die Haftung der gesamten Bevölkerung
kriegsverursachender Staaten für die entstandenen Schäden
ab. Andererseits und erst in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg wurde unter einem Kollektiv nunmehr jede, noch so
kleine menschliche Gruppierung verstanden, die gemeinsam
organisiert oder sogar spontan zum Ziel einer begründeten
Zuweisung von Verantwortung für ihr vorwerfbares Handeln
wurden.
Diese quantitativen Extrema des Kollektivbegriffs umspannen soziologisch eine riesige Distanz: Ein zufälliger Mob von
einigen Betrunkenen, die nachts auf der Straße randalieren, ist
strukturell sehr weit von illegitimer, staatlich organisierter Gewalt oder anderen, systematischen und womöglich Millionen
von Menschen betreffenden, völker- und menschenrechtlichen
Verstößen entfernt. Der vorliegende Aufsatz von Wolfgang
Sohst geht dennoch davon aus, dass es einen gemeinsamen
begrifflichen Kern kollektiver Verantwortung gibt, der auf die
gesamte Spannweite solcher Phänomene sinnvoll anwendbar
ist. Voraussetzung einer solchen breiten Anwendbarkeit ist allerdings eine Einschränkung der entsprechenden Begriffsbildungen und Analysen auf den Bereich der kollektiv moralischen
Verantwortung. Formalrechtliche Überlegungen werden nur
in dem Umfange und hilfsweise herangezogen, als sie selbst
unmittelbar auf moralischen Überlegungen gründen.
Die Sparsamkeit der wissenschaftlichen Beiträge zum Thema der kollektiven moralischen Verantwortung erklärt sich
ferner keineswegs durch die Randständigkeit der Probleme
selbst, um die es dabei geht. Im Gegenteil; ethnische Konflikte, offene und verdeckte Kriege aus nationalistischem oder aus
grob habgierigen Gründen und ins Kriminelle reichende wirtschaftliche Rücksichtslosigkeit, wie vor allem bei den modernen multinationalen Konzernen häufig anzutreffen, sind ein
permanenter Stachel im moralischen Selbstverständnis großer
Teile der Menschheit. Das Problem liegt im Begriff des Kollektivs selbst. Immer wieder arbeiteten sich die Autoren, vor allem
8
Vorwort
im englischsprachigen Raum, an diesem Begriff ab: Ab wann ist
eine Menschenansammlung eine Gruppe, der man in irgendeiner Form kollektive Verantwortung zuweisen kann? Wer muss
sich als Mitglied einer solchen Gruppe behandeln lassen und ist
nicht nur unbeachtlich Beteiligter wie z.B. die Freundin eines
Bandenmitglieds, die selbst keinen Einfluss auf das Handeln
der Bande hatte? Aber auch die daran anschließenden Fragen
erwiesen sich als sehr schwer zu beantworten, z.B. jene nach
Umfang und Dauer des Durchgriffs auf die einzelnen Mitglieder einer entsprechend eingeordneten Gruppe.
Der Beitrag Kollektive moralische Verantwortung antwortet
auf diese Fragen durch eine neuartige Analyse der wichtigsten Kriterien, die in der Literatur hierzu bisher erarbeitet wurden. Daraus ergibt sich nicht nur, dass die Organisation eines
Kollektivs das leitende Merkmal ist, an dem sich der Begriff
des Verantwortungskollektivs grundsätzlich präzisieren lässt.
Auch das Zusammenspiel seiner Mitglieder im Kontext ihrer
kollektiven Organisation wird damit einer rationalen Klärung
zugänglich.
9
Bernhard Sutor
Kleine politische Ethik
Gliederung
Einleitung: Politik und Moral
15
1.
Geschichtliche Typen politischer Ethik
26
2.
2.1 2.2 2.3 2.4 Politische Ethik als Teil der praktischen Philosophie Politik als Praxis
Politik als vermittelte Interaktion
Zur Begründbarkeit politischer Ethik
Dimensionen politischer Ethik: Ziele – Institutionen –
Handeln 2.4.1 Die Ziele: Friede – Freiheit – Gerechtigkeit
2.4.2 Die ethische Bedeutung von Institutionen 2.4.3 Ethik politischen Handelns: Klugheit
2.5 Das Gewissen in der Politik
34
34
42
47
3.
3.1 3.2 3.3 Interessen – Gemeinwohl – Gemeinsinn Interessen und Gemeinwohl
Konflikt und Kompromiss
Gerechtigkeit: Bürgertugenden – Strukturen –
Institutionen
3.3.1 Gerechtigkeit als Tugend
a) Die Tausch- oder Vertragsgerechtigkeit:
Prinzip der Gegenseitigkeit
b) Die gesetzliche Gerechtigkeit:
Loyalität und Gemeinsinn
c) Die Verteilungs- oder Teilhabegerechtigkeit:
Gerechtigkeit gegen jedermann
3.3.2 Soziale und politische Gerechtigkeit
a) Soziale Gerechtigkeit
11
59
59
66
73
81
89
89
99
106
108
110
112
114
119
121
Kleine politische Ethik: Gliederung
b) Von der sozialen zur politischen Gerechtigkeit
3.4 Pluralismus – Grundwerte – Gemeinsinn 3.4.1 Wertewandel
3.4.2 Grundwertediskussion als Konsensfrage 3.4.3 Gemeinsinn
127
129
131
134
146
4.
4.1 4.2 4.3 Ethik politischen Streitens Macht – Recht – Gewalt
Tugenden im politischen Streit 4.2.1 Tapferkeit (Standhaftigkeit) 4.2.2 Mäßigung
4.2.3 Politischer Stil
Widerstand und bürgerlicher Ungehorsam
154
154
163
163
167
172
177
5.
5.1 5.2 5.3 Ethik der internationalen Politik
Internationale Politik zwischen Interessenkonkurrenz
und Solidarität Internationale Friedens- und Rechtsordnung
Internationale soziale Gerechtigkeit
185
185
190
197
Literaturverzeichnis 1997
205
Abb. 1: Dimensionen politischer Ethik Abb. 2: Dimensionen der Gerechtigkeit
88
153
Weiterführungen 2015
1. Begründung und Funktion Politischer Ethik
2. Institutionen, Bürgertugenden und Gemeinsinn
3. Soziale Gerechtigkeit
4. Universale Geltung der Menschenrechte?
5. Rechtlich-ethische Probleme Internationaler Politik
209
210
217
224
232
243
Literaturverzeichnis 2015
256
12
Leitmotive
»Du musst es vielmehr auf Umwegen versuchen und dich
bemühen, alles geschickt darzulegen und, was du nicht zum
Guten wenden kannst, wenigstens möglichst wenig schlecht
ausfallen zu lassen; denn es ist unmöglich, dass alles gut ist, es
sei denn, dass alle Menschen gut wären.«
Thomas Morus
»Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht
ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.«
Immanuel Kant
»If men were angels, no government would be necessary. If
angels were to govern men, neither external nor internal controls on government would be necessary.«
Federalist Papers
»Des Menschen Anlage zur Gerechtigkeit macht Demokratie möglich; aber des Menschen Neigung zur Ungerechtigkeit
macht Demokratie notwendig.«
Reinhold Niebuhr
»Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.«
Hannah Arendt
14
Einleitung: Politik und Moral
D
as Verhältnis von Politik und Moral ist ein ständiges und
unerschöpfliches Thema. Auch wer sich für Politik wenig
interessiert, spürt doch gleichsam instinktiv, dass da ein Handlungsbereich ist, in welchem Menschen in besonderer Weise
Macht haben, über uns zu entscheiden. Der Verdacht und die
Befürchtung, »die da oben« missbrauchten ihre Macht zu ihrem Vorteil und zu unserem Schaden, sind latent immer vorhanden und finden auch aktuell leicht Nahrung. Es gibt nicht
wenige Menschen, die ihre Verachtung für das »schmutzige
Geschäft« der Politik ausdrücklich moralisch begründen. Aber
auch politisch Interessierte und Politiker selbst bringen ständig moralische Begriffe und Aspekte in die politische Auseinandersetzung. Sie argumentieren mit hohen Wertbegriffen wie
Friede, Gerechtigkeit und Gemeinwohl, sie prangern damit
Missstände an und polemisieren gegen den politischen Gegner. Mit Moralbegriffen soll dieser besonders hart getroffen,
womöglich disqualifiziert werden. Die eigene Position soll in
besonders hellem Licht erscheinen, indem man von sozialer
Gerechtigkeit spricht oder von einer Politik »für die Menschen
draußen im Land«. Die Massenmedien, besonders Fernsehen
und Boulevardpresse, verstärken heute die Tendenz, politische
Kontroversen auf dramatisierende und moralisierende Schlagworte zu verkürzen; so etwa, wenn es nicht mehr um das Problem geht, wie die Altersversorgung zu finanzieren ist, sondern
um »Plünderung der Rentenkasse« oder um den bevorstehenden »Krieg der Generationen«.
Diese moralische Aufladung politischer Diskussionen wäre
nicht möglich, wenn nicht politische Fragen zugleich in hohem
Maß moralische Fragen wären; was immer man unter Moral
versteht, muss man allerdings sogleich hinzufügen. Denn unser ständiges moralisierendes Urteilen über Politik steht in
15
Einleitung: Politik und Moral
einem auffälligen Kontrast zur zunehmenden Beliebigkeit
in Moralfragen in der pluralistischen Gesellschaft. Selbst die
Moralbegriffe sind von dieser Beliebigkeit erfasst. Die Verständigung auf gemeinsame Begriffe, geschweige denn auf Maßstäbe wird immer schwieriger; im politischen Streit reden die
unterschiedlichen Gruppen deshalb häufig aneinander vorbei.
Zugleich aber hat offensichtlich die moralische Aufladung politischer Probleme zugenommen. Gesellschaft und Politik stoßen in neuer Weise an Grenzen, die die politischen Konflikte
zuspitzen, die Unsicherheit, Ratlosigkeit und Angst verstärken.
Man braucht nur zu erinnern an den Streit über den »Umbau
des Sozialstaates«; an die damit zusammenhängende Befürchtung um die Erosion von Solidarität und Gemeinsinn; an Ratlosigkeit, Angst und Aufbegehren in der »Risikogesellschaft«
angesichts schwer kalkulierbarer Gefahren, die mit der technischen Nutzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verbunden sind (Großchemie, Atomenergie, Genforschung); an den
Streit über Beginn und Ende des menschlichen Lebens und seinen rechtlichen Schutz (Abtreibungs- und Euthanasiediskussion); an die Angst vor der globalen Klimakatastrophe und an international ungelöste Probleme wie »Bevölkerungsexplosion«,
Massenarmut, Bürgerkriege und Flüchtlingselend.
Unsere Wohlstandsgesellschaft scheint hin- und hergerissen zwischen sorglosem Genuss des Erreichten, Angst um den
Besitzstand, moralischer Empörung über skandalöse Zustände
in der Welt, Lähmung und Resignation angesichts kaum berechenbarer Risiken. Soziologische Erhebungen belehren uns
zwar darüber, dass diese Einstellungen auf unterschiedliche
soziale Gruppen verteilt sind. Aber ob ein gemeinsames fundiertes Wertbewusstsein in Bezug auf die freiheitliche politische Ordnung ausgeprägt ist, bleibt fraglich. Der auf die »wertgebundene Ordnung« sich gründende Verfassungspatriotismus der alten Bundesrepublik war zwar nie besonders stark,
und er wurde mehr durch wirtschaftlich-soziale Erfolge als aus
politisch-demokratischem Bewusstsein gespeist. Er wird aber
16
Einleitung: Politik und Moral
zunehmend, und zwar nicht erst seit der Wiedervereinigung
mit ihren neuen Fragen an unser politisches Selbstverständnis,
in Frage gestellt durch Unsicherheit und Uneinigkeit über die
Grundlagen (»Grundwerte«) der gemeinsamen Ordnung.
Absicht und These der Darstellung
Vor diesem Hintergrund kann die Zielsetzung der vorliegenden Schrift nur bescheiden formuliert werden. Hier kann und
soll nicht die Lösung der angedeuteten Probleme diskutiert
werden. Unsere Erörterung soll lediglich beitragen zur begrifflichen und sachlichen Klärung des Verhältnisses von Politik
und Moral. Ein solcher Beitrag scheint uns allerdings notwendig und hilfreich.
Unter Moral verstehen wir im Sinne der lateinischen Herkunft des Begriffs (mores = Sitten, Gewohnheiten, Gesetze,
Gesittung, Lebenswandel) das, was in der Gesellschaft unter
dem Aspekt des sittlich Guten gilt, was gemeint, gefordert, in
gewissem Maß auch gelebt wird. Unter Ethik verstehen wir
die philosophische Teildisziplin, die sich methodisch und systematisch mit der Frage nach dem sittlich Guten befasst; also
das Nachdenken über Moral. Zuerst ist Moral da, dann erst
das Nachdenken über sie, also Ethik. Ethik kann Moral nicht
hervorbringen, aber sie ist deshalb keineswegs überflüssig. Als
denkende Menschen müssen wir uns der Gründe für unser
Tun vergewissern, zumal in Zeiten der Unsicherheit.
Die vorliegende Schrift heißt »Kleine Ethik« nicht nur wegen
ihres bescheidenen Umfangs, der sie auch für Vielbeschäftigte
(Lehrer und politische Bildner, Journalisten und Politiker und
alle politisch Interessierten) noch lesbar halten soll. Der Titel
soll auch ausdrücken, dass wir uns auf die Hauptfragen beschränken und nicht den Ehrgeiz haben, Neues für die wissenschaftliche Diskussion politischer Ethik zu sagen.
Im strengen Sinn der Begriffe müssten wir eigentlich von
Ethik der Politik sprechen; denn es geht gerade nicht um eine
17
Einleitung: Politik und Moral
politisierte, eine politisch dienstbar gemachte Ethik, sondern
umgekehrt um die Frage, ob und wie sich für Politik ethische
Prinzipien (Grundsätze), Normen (Gesetze und Regeln) und
Tugenden (Einstellungen, Verhaltensdispositionen) begründen lassen. Allerdings müssen wir uns dabei vor der Gefahr
hüten, in idealistischer Manier hohe und schöne Forderungen
von außen an Politik und Politiker heranzutragen, die an der
widerständigen oder gar bösen Realität scheitern, so wie Wasser am Regenmantel abläuft. Vielmehr geht es darum, die Frage
zu beantworten, welche ethischen Forderungen dem Feld, den
Einrichtungen und Handlungsweisen gemäß sind, die wir mit
dem Begriff Politik zusammenfassend bezeichnen. Aus dem
Begreifen von Politik soll politische Ethik als ihr zugehörig entwickelt werden. Dabei leitet uns durchgehend die Einsicht, die
hier vorweg als These formuliert sei: Politik hat immer auch
eine moralische Seite und muss deshalb ethischen Maßstäben
genügen; sie kann aber nicht allein aus Moral geleistet, nicht
allein aus Ethik bestimmt werden.
Vorläufige Unterscheidungen
Es gibt das moralische Versagen von Politik, genauer von Politikern; es gibt aber auch das politische Versagen von Moral,
genauer von Moralisten. Es gibt in der Politik wie in jedem
menschlichen Handlungsfeld spezifisch moralische Konflikte,
Dilemmata zwischen widerstreitenden Forderungen, die man
kennen sollte, bevor man von moralischem Versagen spricht.
Es gibt schließlich die moralische Überforderung von Politik,
die gut gemeint ist, aber schlimme Folgen haben kann.
Es gibt das moralische Versagen von Politikern. So gibt es
die Verwendung unlauterer Mittel im politischen Kampf, die
Herabsetzung, Beleidigung, Verleumdung des Gegners. Es
gibt die Mentalität der Selbstbedienung, die zur Bereicherung
an öffentlichem Gut führt. Es gibt das charakterliche Versagen
im öffentlichen Amt, in einer schwierigen Aufgabe. Es gibt die
18
Einleitung: Politik und Moral
politische Lüge, die bewusste Falschinformation. Es gibt freilich auch den schon schwerer zu beurteilenden Grenzfall, den
eigenen Informationsvorsprung im politisch-taktischen Kalkül
gegen den Konkurrenten zu verwenden oder in der Leitung
einer Versammlung die Tagesordnung und Geschäftsordnung
zum eigenen Vorteil zu handhaben. Es gibt den Grenzfall des
wirklichen Dilemmas, in dem der Politiker zur diplomatischen
Lüge seine Zuflucht nimmt.
Dazu ein berühmtes Beispiel: Am 4. März 1946 hielt Winston Churchill vor dem Westminster College in Fulton in den
USA seine berühmte Rede gegen Stalins Expansionspolitik
in Ostmitteleuropa, in der er vom Eisernen Vorhang sprach,
der mitten durch Europa heruntergegangen sei; und in der er
aufrief zu einer Politik der Stärke, zur Abwehr der kommunistischen Gefahr. Die Rede bewirkte in den damals noch ganz
auf Abrüstung und Frieden, auf Gemeinsamkeit mit der Sowjetunion eingestellten USA einen Sturm der Entrüstung. Präsident Truman, der Churchill zu dieser Rede eingeladen hatte,
geriet massiv unter Druck, seine Popularität war ohnedies damals nicht sehr stark. Seine Reaktion war zum einen, dass er
auch Stalin einlud, in den USA eine Rede zu halten, was dieser
ablehnte. Zum anderen behauptete Truman, er habe den Inhalt
der Rede Churchills zuvor nicht gekannt. Das war schlicht die
Unwahrheit, denn selbstverständlich hatten sich die beiden zuvor über den Tenor der Rede unterhalten, und es war Trumans
Absicht, mit der Autorität Churchills in den USA eine Wende der amerikanischen Politik gegenüber dem Kommunismus
einzuleiten.
Es gibt folgenschwerere Beispiele politischer Lüge. So sei
nur erinnert an die wahrheitswidrige Begründung der Vietnam-Politik der USA in den sechziger Jahren, die 1971 durch
die Veröffentlichung der »Pentagon-Papiere« in der New York
Times enthüllt wurde.
Unsere Stichworte und Beispiele lassen erkennen, dass die
Verhaltensweisen je nach ihrem Kontext moralisch unter19
Einleitung: Politik und Moral
schiedlich zu bewerten sind. Persönliche Bereicherung scheint
moralisch schwerer zu wiegen als die Zuflucht zu einer diplomatischen Lüge; aber diese kann politisch viel erheblichere Folgen haben. Ferner sollten wir von Anfang an nicht vergessen,
dass moralisches Versagen nicht nur in der Politik vorkommt,
sondern in allen Sozialbereichen. Ethik sei kein Wurfgeschoß,
keine Munition, sagt der spanische Philosoph Fernando Savater; und auf die Frage, warum Politiker einen so schlechten
Ruf hätten, antwortet er: weil sie uns sehr ähnlich sind (1993,
S. 130). Nur betrifft das Versagen in der Politik unmittelbar die
Allgemeinheit, und deshalb muss dafür gesorgt werden, dass
es in öffentlicher Kritik aufgedeckt, angeklagt, kontrolliert,
möglichst auch eingedämmt und abgestellt werden kann.
Es gibt auf der anderen Seite eine moralisierende Bewertung von Politik, die kurzschlüssig ist. Es gibt in der öffentlichen Diskussion eine Art der moralischen Empörung und der
Anklage, die nicht die Problemfragen in ihrem Für und Wider
diskutiert, sondern im Bewusstsein der eigenen guten Gesinnung die des Gegners in Frage stellt. So ist es in der Umweltdiskussion für manche Beteiligten ganz selbstverständlich, dass
an der ganzen Misere das »Gewinninteresse der Industrie«
schuld sei. Dabei wird weder gefragt, wer denn »die Industrie«
sei, noch, ob nicht Gewinninteresse legitim und notwendig ist.
Mit derselben Berechtigung könnte man die Gegenthese aufstellen, die Schuld liege im Konsuminteresse der Bürger. Für
die Problemanalyse ist auch damit nichts geleistet; denn ehe
man von Schuld spricht, müsste analytisch nach Ursachen gefragt werden, dann danach, ob und durch wen diese Ursachen
verändert werden können und was dazu die Politik tun kann.
Erst dann ist es sinnvoll, auch moralisch zu fragen, ob und wieweit Politiker möglicherweise Angst haben vor unpopulären
Schritten, aber auch, ob die Bürger und die einzelnen Interessengruppen bereit sind, mitzugehen und ihre Wertpräferenzen
zu überdenken. Wo das nicht geschieht, wo nur moralisiert
wird, müssen wir mit Hermann Lübbe von der Verdrängung
20
Einleitung: Politik und Moral
der Urteilskraft durch Gesinnung sprechen. Politisch führt sie
in die Sackgasse.
Solche »gute Gesinnung« kann zur moralischen Überforderung von Politik führen. Man erwartet dann die Lösung der
Probleme davon, dass Politik unmittelbar Moral durchsetzt;
dass sie moralisches Verhalten der Menschen erzwingt auch in
Bereichen, wo dies problematisch ist und an Grenzen stößt. Politik kann die Menschen nicht unmittelbar moralisch bessern,
gar einen »neuen Menschen« schaffen, wie die Ideologen unseres Jahrhunderts gemeint haben. Ihre Aufgabe ist es, die äußeren Bedingungen des menschlichen Miteinanders zu gestalten
und zu verbessern und auf diesem Wege auch die Moral der
Menschen zu stützen.
Es gibt geradezu klassische Beispiele dafür, wie Politik,
wenn sie moralische Übel unmittelbar bekämpfen oder gar
beseitigen will, leicht das Gegenteil des Gewollten erreicht.
Eines der bekanntesten Beispiele ist die amerikanische Politik
der Prohibition, das Verbot des Handels und des öffentlichen
Ausschanks von Alkohol in den zwanziger Jahren. Man hoffte,
damit den Alkoholmissbrauch und die damit einhergehenden
anderen moralischen Übel einzudämmen, vielleicht gar überwinden zu können. Im Vollzug der entsprechenden Gesetze
musste der Staat in außerordentlichem Umfang Polizei und
Gerichte bemühen, ohne dass man das Problem »in den Griff
bekam«, wie Politiker gern sagen. Ganz im Gegenteil wuchs
die Kriminalität im Umgang mit Alkohol durch die bekannten
Phänomene des Schwarzmarktes, des illegalen Imports, der
Bestechung von Beamten, der Ausbildung von Strukturen organisierten Verbrechens. Anfang der dreißiger Jahre blies der
Staat zum Rückzug und gab die Politik der Prohibition auf.
Solche Versuche mögen noch verständlich, vielleicht sogar
sympathisch sein. Unerträglich wird die moralische Überforderung von Politik, wie sie uns in den totalitären Ideologien
und Systemen unseres Jahrhunderts begegnet ist. Sie traten mit
dem Anspruch auf, die Spannung von Politik und Moral besei21
Einleitung: Politik und Moral
tigt zu haben bzw. beseitigen zu können. Die »Volksgemeinschaft« der Nationalsozialisten war der Versuch, alle angeblich
Guten hinter dem Führer und seiner Bewegung zu sammeln,
während die Gegner als Querulanten, als Außenseiter, schließlich als Volksschädlinge bekämpft und in vielfältiger Weise
liquidiert wurden. Indem der Staat unmenschliche Praktiken,
ja sogar Verbrechen aus »höheren Gründen« legitimierte, verwirrte er zugleich das moralische Urteil des Durchschnittsbürgers, der nicht mehr recht wußte, was denn nun Recht und Unrecht sei.
In ähnlicher Weise verwirrte die »Sozialistische Moral«, wie
sie in der DDR gepredigt wurde, das moralische Urteil vieler
Bürger, vor allem solcher, die unmittelbar im Dienst des Regimes standen. Man denke nur an die Diskussionen, wie wir
sie heute führen müssen über die Beurteilung von Mitarbeit
bei der Stasi oder über das Verhalten von Grenzsoldaten und
Mauerschützen, die guten Gewissens glaubten, auf Flüchtlinge
schießen zu dürfen, ja sogar zu müssen.
In wieder anderer und, wie mir scheint, neuer Weise begegnet uns heute eine Überforderung von Politik, eine Überschätzung ihrer Möglichkeiten, die ins Negative umschlägt und klagend oder moralisierend daherkommt. So wird von manchen
Autoren, die sich die Theorie der »Risikogesellschaft« (Ulrich
Beck) zu Eigen gemacht haben, als ein Spezifikum dieser Gesellschaft behauptet, ihre Entwicklung sei durch ihr politisches
Handlungszentrum nicht mehr zu steuern. Politik laufe den
von anderen Kräften, von Wissenschaft, Technik und Industrie in Gang gesetzten Entwicklungen hinterher, sie könne nur
noch Schadensbegrenzung versuchen und müsse deshalb die
Gefahren verniedlichen oder gar verheimlichen. Als Beschreibung von Tatbeständen und Tendenzen ist das wohl nicht gerade falsch; aber es ist nicht neu. Schon für die vormoderne europäische Gesellschaft lässt sich zeigen, dass sie keineswegs von
einem politischen Zentrum aus gesteuert wurde, selbst nicht in
absolutistischen Zeiten; und damals ging »Entwicklung« sehr
22
Wolfgang Sohst
Kollektive moralische Verantwortung
Gliederung
Einleitung........................................................................ 265
1. 1.1 1.2 Akteur und moralische Handlung............................. 267
Zu den Begriffen des Akteurs und der Handlung..... 267
Die gleichzeitige Entstehung von Akteur und
Handlung......................................................................... 274
Der Unterschied von Ereigniseinheit und
Handlungseinheit........................................................... 280
Der Unterschied formalrechtlich und moralisch
verantwortlichen Handelns........................................... 281
1.3
1.4
2. 2.1 2.1.1
2.1.2
2.2 2.3 2.4 2.5 Das Formkontinuum zwischen individuellem
und körperschaftlichem Akteur.................................. 284
Der Zusammenhang von einzelmenschlichem
und körperschaftlichem Akteur................................... 284
Die primäre Verantwortung des Einzelakteurs
und der ontologische Status des Kollektivs . ............. 288
Weitere Argumente für das Durchschlagen
kollektiver Verantwortung auf den Einzelakteur...... 291
Die Stufen binnenstruktureller Festigung................... 294
Ein anderes Schema: Gemeinschaft,
Gesellschaft, Staat........................................................... 298
Unmittelbare vs. organisierte Sozialität...................... 304
Geltungskonflikte bei der Zuweisung kollektiver
Verantwortung................................................................ 310
3. 3.1 3.2 Individuelle und kollektive Handlungen................ 312
Eine bessere Form des sozialen Reduktionismus...... 316
Körperschaften als Bündel von
Vertretungsverhältnissen............................................... 319
Der Betrachtungshorizont kollektiver sozialer
Phänomene...................................................................... 323
3.3 261
Kollektive moralische Verantwortung: Gliederung
4. 4.1 4.2 Die Körperschaft als moralisches Subjekt............... 326
Sind körperschaftliche Akteure auch
moralisch verantwortlich?............................................. 327
Körperschaften als Normsubjekte................................ 330
5.
5.1 5.2
5.3
5.4 5.5 5.6
5.7
5.8 5.9 Mögliche Kriterien einer moralischen
Qualifikation kollektiven Handelns.......................... 337
Mitgliedschaft in einer Gruppe.................................... 337
Handlungserfolg............................................................. 344
Geteilte Intentionalität bzw. Zwecke,
gemeinsame Interessen und gemeinsames
Bewusstsein..................................................................... 345
Soziale Beziehungen zwischen Akteuren
als Bedingung kollektiver Handlung ......................... 354
Subjektiv-faktische kollektive
Verantwortungsgefühle................................................. 358
Die Wertegemeinschaft.................................................. 360
Soziale Identität ............................................................. 362
Abstammung und ethnische Zugehörigkeit............... 365
Keine Gleichheit im Unrecht......................................... 370
6. 6.1 Normbasierte und zweckorientierte
Organisation .................................................................. 372
Keine kollektive Verantwortung ohne innere
Organisation.................................................................... 374
6.2 Kollektive Scham als Indiz kollektiver
Verantwortung................................................................ 376
6.3 Individuelle Verantwortung für
kollektive Normen.......................................................... 377
6.4 Die kollektive Organisation als selbstständige
Zweckeinheit des Kollektivs......................................... 384
6.4.1 Die aktualistische Perspektive...................................... 393
6.4.2 Strukturelle Persistenz................................................... 397
6.4.3 Mögliche Gegenbeispiele struktureller Persistenz.... 403
6.5 Die andere Seite der kollektiven Verantwortung....... 405
6.6 Zwischenergebnis........................................................... 406
7. Die moralische Verantwortung des Individuums
aus völkerrechtlicher Perspektive.............................. 408
262
Kollektive moralische Verantwortung: Gliederung
8. 8.1
8.2 8.3 8.4 8.5 Soziale Normen und unsere Verantwortung
für ihre Erfüllung........................................................... 417
Normdimensionen.......................................................... 419
Die herausragende Bedeutung des Normranges
bei der Zuweisung kollektiver moralischer
Verantwortung................................................................ 422
Private und öffentliche Normen................................... 425
Subjektives Sollen und Eigenverantwortung............. 429
Die Pflicht zum moralisch vertretbaren und
kohärenten Verhalten..................................................... 432
9.
Der Unterschied von Schuld und Verantwortung 435
10. Der zeitliche Horizont kollektiver moralischer
Verantwortung............................................................... 441
Literaturverzeichnis....................................................... 446
263
Einleitung
Die folgende Arbeit ist, anders als es der Titel vielleicht vermuten lässt, keine unmittelbare, d.h. materiell-ethische Reflexion
der Pflichten menschlicher Kollektive. Sie ist auch kein Appell
an heutige Gesellschaften oder andere menschliche Verbände,
mehr zivile Verantwortung zu übernehmen, um möglichen
Fehlentwicklungen der Politik oder der Wirtschaft entgegenzuwirken. Sie ergründet ferner nicht den Begriff formalrechtlich kollektiver Verantwortung in Form legaler Pflichten und
Haftungsfolgen. Sie ist also weder ideologische Programmschrift noch rechtsphilosophisches Traktat, sondern eine sozialanalytische Reflexion. Sie versteht sich als Beitrag zur Erforschung der Voraussetzungen, unter denen gewisse Formen
menschlichen Zusammenlebens explizit moralische Verantwortung zugewiesen werden kann.
Zum Begriff der Moral: Leider hat es die Fachphilosophie bisher zu keiner Eindeutigkeit betr. die Unterscheidung von Ethik
und Moral gebracht. Am plausibelsten erscheint mir eine Unterscheidung, die auf der Grundlage der Unterscheidung von Theorie und Praxis aufbaut. Demzufolge ist Ethik die theoretische
Beschäftigung mit der Bewertung sozialen Verhaltens, Moral demgegenüber der wertende Aspekt des praktischen Umgangs mit
menschlichem Verhalten. So verstanden ist Moral nur zu geringen
Teilen rational begründbar. Sie wird meist über negative Emotionen ausgetragen, d.h. im Spektrum von Ablehnung, Empörung,
Vorwurf, Verachtung, Diskriminierung etc., während die Ethik
ihre Bewertungsmaßstäbe emotional neutral unter dem Axiom
argumentativer Kohärenz zu entwickeln versucht. Es gibt folglich
keine moralische Wissenschaft, sondern nur moralische Praxis. Es
gibt jedoch einen wissenschaftlichen Umgang mit der moralischen
Praxis; dieser kann einen mehr soziologisch-empirischen oder einen eher philosophisch-abstrakten Schwerpunkt haben. Dem hier
folgenden Aufsatz liegt die letztere Perspektive zugrunde.
265
Einleitung
Als soziales Phänomen ist die Moral von der gewohnheitsmäßigen Sitte und den gewachsenen Traditionen einerseits und
den gewillkürten, durch Beschluss und Verkündung zustande gekommenen Normen andererseits abzugrenzen. Sitte und
Tradition legitimieren sich letztlich durch ihren langfristigen,
praktisch-sozialen Erfolg; darin liegt der ideologische Kern des
politischen Konservatismus. Gewillkürte soziale Verhältnisse,
insbesondere gesatztes Recht, beziehen ihre Legitimität dagegen
schon immer aus dem korrekten Ablauf ihres formalen Zustandekommens (die heute sog. „Verfahrenslegitimität“). Die Spitze
der Hierarchie gesatzten Rechts ist in vielen Staaten eine Verfassung, die selbst nur noch schwach verfahrenslegitimiert ist und
stattdessen grundlegende Werte und deren Verhältnis zueinander kodifiziert, die ihrerseits auf Traditionen gestützt sind. Die
Moral ist neben Sitte und Tradition einerseits und gesatztem
Recht andererseits ein Drittes und vielleicht der methodisch
„schmutzigste“ Bereich der Steuerung menschlichen Verhaltens:
Sie ist in ihrer Gesamtheit unübersichtlich und inkonsistent und
obendrein ständig von schweren Gefühlsgewittern bedroht. Sie
ist eben praktisches Amalgam anderer sozialer Ordnungssplitter, deren praktischer Vollzug, mit stark abkürzendem Empfinden so zusammengedampft und für jeden von uns im Detail anders zurechtgelegt, dass man im Alltag damit schnell und wirksam zurechtkommt. Jeder kennt die sofortige Wirkung noch der
kleinsten tadelnden Geste und all die moralischen Untertöne in
scheinbar nebensächlichen Bemerkungen. Evolutionär ist die
Moral allerdings das älteste aller menschlichen sozialen Ordnungsmittel. Sie beruht im Wesentlichen auf biologischen Verhaltensmustern zur Erzwingung von gruppenkonformem Verhalten, d.h. beim Individuum auf der Angst vor innerartlicher
Aggression, und ein ganz klein wenig auch auf Empathie. Manche Verhaltensforscher, wie z.B. Frans de Waal, würden gerne
die Empathiefähigkeit der höheren Lebewesen zur Wurzel der
Moral erklären.2 Das halte nicht nur ich für illusorisch.
2
Siehe de Waal [2011], S. 19ff. Als extreme Gegenposition siehe wiederum
266
1. Akteur und moralische Handlung
Das Thema kollektiver moralischer Verantwortung ist deshalb intellektuell schwierig und sozialpsychologisch anstrengend. Während man aber im persönlichen Umgang moralische
Urteile zur Privatsache herunterstufen kann, die keiner letzten
Klärung zugänglich sind, können wir die großen, kollektiv-moralischen Gefühlswallungen nicht ignorieren. Sie lassen sich allerdings ethisch „zähmen“, d.h. zumindest teilweise unter theoretische Bewertungsraster bringen. Durch die Formulierung
eines solchen Rasters wird es möglich, rational begründbare
und damit berechtigte kollektive Wertungen von unberechtigten (z.B. aufgrund ethnischer Vorurteile) zu unterscheiden.
1. Akteur und moralische Handlung
1.1 Zu den Begriffen des Akteurs und der Handlung
In der sozialwissenschaftlichen Literatur werden üblicherweise diejenigen Teilnehmer sozialer Interaktion, die Gegen­stand
oder Ziel der Zuschreibung von Ereignissen als Handlung
sind, ‚Akteure’ genannt. Wir haben es hier also mit einer zweistelligen Beziehung zu tun, deren beide Glieder im einfachsten
Fall jeweils ein Akteur und eine Handlung sind. Akteur und
Handlung verbindet ein gemeinsames, sie gegenseitig definierendes Merkmal: ihre jeweilige Einheit als ein Akteur bzw.
als eine Handlung. Der Begriff der Einheit eines Gegenstandes
oder eines Ereignisses, ganz allgemein genommen, ist schon in
der Frühzeit der abendländischen Philosophie immer wieder
Thema gewesen. In der vorsokratischen Periode und später
nochmals im Neuplatonismus ging es dabei zunächst allerdings nicht um die Einheit eines einzelnen Gegenstandes, also
Kondylis [1984], auf den ich später noch genauer eingehe. – Das Buch ist
so aufgebaut, dass de Waal als Verhaltensforscher zunächst seine These
von der Empathie als Wurzel der Moral präsentiert und alle folgenden
philosophischen Beiträge darauf antworten. Keiner von ihnen folgt de
Waals These, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.
267
1. Akteur und moralische Handlung
auch nicht um die Einheit eines Akteurs und ‚seiner’ Handlung, sondern um die Einheit der gesamten Welt im Sinne einer Konsistenz und Kohärenz aller ihrer Gegenstände und Ereignisse. Auch der alte chinesische Daoismus und überhaupt
alle großen Naturreligionen beginnen ihr Begreifen der Welt
zunächst durch einen Akt der Zusammenfassung alles Gegebenen in einem großen Ganzen, in dem es für den einzelnen
Menschen seinen je eigenen Platz zu finden gilt. Dieses große
Ganze ist ursprünglich noch ganz ungetrennt sowohl der Naturkosmos insgesamt, als auch die Einheit des je eigenen Kollektivs. Mensch und Natur wurzeln in diesem Zustand noch
in derselben, überragenden Ordnung. In den Mythen solcher
frühen Gesellschaften ist die von Göttern bevölkerte und gesteuerte Einheit der Natur noch ein Abbild der Sozialstruktur genau jener Kollektive, die diesen Mythos pflegen.3 Erst
in einem sehr langen Entwicklungsprozess wird der Mensch
sich gewahr, dass es einzelne Personen und ihre persönlichen
Handlungen sind, die sich vom Hintergrund der Natur ablösen, und die zu betrachten sich lohnt, um spezifisch menschliches Dasein zu verstehen. Vollends seit der europäischen Aufklärung ist sich der abendländische Kulturraum darüber im
Klaren, dass der Mensch nicht mehr reine Natur ist, sondern
ihr sogar gegenübersteht. Die ist für Kant, wie er in seiner
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten selbstbewusst erklärt,
sogar der Ursprung aller praktischen Vernunft im Sinne einer
Freiheit von Natur.
Wie sich noch zeigen wird, ist der Begriff der Einheit des Akteurs und seiner Handlung für unsere weitere Untersuchung
zentral. Häufig ist versucht worden, diesen Begriff der Einheit
nicht nur der Person und ihrer Handlung, sondern von Gegen3
Eine sehr instruktive Zusammenfassung der seinerzeit bereits umfangreich vorliegenden ethnographischen Berichte zu den Weltvorstellungen
australischer Jäger- und Sammlerkulturen gibt Émile Durkheim in seinem
Buch ‚Die elementaren Formen des religiösen Lebens’, auch wenn seine
eigenen Schlussfolgerungen im Einzelnen heute nicht mehr aktuell sein
mögen, siehe Durkheim [2007].
268
1. Akteur und moralische Handlung
ständen und Ereignissen überhaupt, auf jenen der Summe ihrer Bestandteile zurückzuführen, d.h. den Begriff der Einheit
durch den der Gesamtheit zu ersetzen. Das Ungenügende hieran ist, dass die reine Summe von Teilen einer Gesamtheit in
sehr unterschiedlichen Formen auftreten kann. Die Gesamtheit einer Anzahl loser Fäden ist offensichtlich etwas anderes
als dieselben Fäden, sobald sie zu einem Tuch gesponnen sind.
Beide Male bilden die vielen Fäden eine Gesamtheit, nur im
letzteren Falle aber eine Einheit. Dieses Beispiel gilt auch für
die Einheit des Akteurs und seiner Handlung. Verstünden wir
sie nur als Summe einzelner Körperbewegungen und nervlicher Impulse etc., wäre sowohl die Einheit des Akteurs als
auch jene seiner Handlung verloren. Daraus folgt, dass die
Akteurs- und Handlungseinheit immer mehr ist als die Summe
ihrer Teile: Die Integration der analytischen Bestandteile zu einer neuen Einheit tritt zu diesen Bestandteilen als etwas hinzu,
was zuvor nicht da war. Was aber zeichnet generell die Einheit eines Gegenstandes über die reine Gesamtheit seiner Teile
hinaus aus? Auch hierüber gibt es schon seit vorsokratischen
Zeiten eine immer wieder aufflammende Auseinandersetzung,
wenn auch meist als Nebenschauplatz der jeweils wichtigeren
Hauptthemen.4 Tatsächlich ist der Begriff der gegenständlichen
Einheit so fundamental, dass er nicht nur theoretisch einer der
Grundbegriffe überhaupt allen Denkens, sondern sogar schon
4
In der Antike wurde der Begriff der Einheit indirekt bereits von Denkern
wie Parmenides (für die Einheit des menschlichen Seins und der Natur)
und Heraklit (für die Prozesseinheit der Welt) vorausgesetzt. Im europäischen Mittelalter interessiert die christlichen Philosophen vor allem die
Einheit der Seele, hierin an Aristoteles anschließend. Interessanterweise
thematisieren sie diese vor allem auch deshalb, weil nur so eine
Verantwortung des einzelnen Menschen vor Gott begründet werden kann,
aber auch eine Sorge Gottes für die einzelne Seele. In heutiger Zeit hat sich
vor allem Hermann Schmitz in zahlreichen seiner Bücher um den metaphysischen Begriff der gegenständlichen Einheit bemüht, nunmehr aus
phänomenologischer Sicht, siehe hierzu seinen neuesten Beitrag „selbst
sein“ (Schmitz [2015], dort vor allem der erste Beitrag, S. 13ff). Eine prozessontologische Herleitung des Begriffs und der Entwicklung der gegenständlichen Einheit liefert ferner meine Prozessontologie (Sohst [2009]).
269
1. Akteur und moralische Handlung
praktisch, d.h. vor aller Begriffsbildung, eine unverzichtbare
Voraussetzung überhaupt jeglicher Orientierung von Lebewesen, keineswegs nur der Menschen, in der Welt ist. Auf die metaphysischen Implikationen dieser Behauptung kann ich hier
nicht weiter eingehen, obwohl diese in der Tat erheblich sind.
Was das Thema dieses Aufsatzes betrifft, stelle ich lediglich fest,
dass es nicht die Zerlegbarkeit von Akteuren in Teilakteure ist,
noch die Zerlegbarkeit einer Handlung in Teilhandlungen, die
der Einheit eines Akteurs oder einer Handlung entgegenstehen. Für beide gilt jedoch: Zerlegen wir einen Akteur oder eine
Handlung in ihre einzelnen Teile oder Abschnitte, so geht im
Zuge dieser Analyse schon bald sowohl der Akteur, als auch
die Handlung verloren.
Die Frage der Einheit des Akteurs und seiner Handlung
stellt sich aber nicht nur beim einzelnen Menschen, der mehr
ist als die Summe seiner Körperbewegungen. Sie stellt sich
auch beim so genannten ‚kollektiven Akteur’ – sofern es ihn
überhaupt gibt – dahingehend, ob er jene Einheit bildet, die
mehr ist als die Summe der einzelnen Akteure und ihrer Handlungsbeiträge. Obwohl sich diese Vorstellung in Anbetracht
vieler massenpsychologischer Phänomene aufdrängt und immer wieder in Betracht gezogen wird, lehne ich sie ab: Die Rede
vom ‚kollektiven Akteur’ ist irreführend und deshalb falsch,
weil sie eine begriffliche Unentschiedenheit zwischen Vielheit
und Einheit von Akteur(en) und Handlung(en) aufrecht erhält,
die eine Aufklärung grundlegender Fragen verunmöglicht. Im
Ergebnis der Durchführung dieses Arguments und der daraus
folgenden begrifflichen Neuordnung wird die Beantwortung
der Frage, unter welchen Umständen wir überhaupt von der
Einheit eines Akteurs und damit uno actu auch von der Einheit
einer Handlung reden können, dafür umso deutlicher ausfallen (s. hierzu Abschnitt 4).
Die Frage nach den Voraussetzungen der Einheit jeweils
eines Akteurs und einer Handlung lässt sich auch so stellen:
Unter welchen Umständen können wir plausibel begründen
270
1. Akteur und moralische Handlung
und sind damit berechtigt, von der Einheit eines Akteurs bzw.
einer Handlung auszugehen? Rechte und Pflichten sind das
wesentliche Merkmal, das die menschlich-soziale Existenz
deutlich von der physikalischen, aber auch von der rein biologisch determinierten tierischen Ebene unterscheidet. Was auf
physikalischer oder biologischer Ebene eine Einheit sein mag
oder nicht, ist für die soziale Lebenswirklichkeit nur teilweise
verbindlich und umgekehrt. Soziale Gegenstände (z.B. Personen, Organisationen, Institutionen) und ihre Ereignisse sind in
ihrer Einheit praktisch nie einer physikalischen oder biologischen Analyse zugänglich, weil ihnen ein substanziell höherer
Begriff des Normativen innewohnt. Der Mensch unterscheidet
sich von aller ihn hervorbringenden und umgebenden Natur
dadurch, dass er soll und darf. Es wäre nun lächerlich, diesen
Unterschied aller nicht-menschlichen Natur als einen Mangel
anzukreiden. Noch glauben wir heute mehr, dass all dieses
Sollen und Dürfen seinen Ursprung in irgendeinem göttlichen
Willen hätte, und zwar selbst dann nicht, wenn wir uns religiös verpflichtet fühlen. Es handelt sich hier ganz profan um
unterschiedliche Ebenen der säkularen, zunächst biologischen,
dann aber auch sozialen Wirklichkeit, die folglich auch nach
unterschiedlichen Gesichtspunkten zu behandeln sind. Wann
eine Einheit eines Akteurs oder einer Handlung vorliegt, das
können wir folglich nur aus den sozialen Zusammenhängen
schließen, maximal noch unter Einbeziehung individualpsychologischer Aspekte, beispielsweise der kognitiven Reife der
betreffenden Personen. Wir sollten uns deshalb darüber bewusst sein, dass wir die Einheit des Akteurs und der Handlung
immer bereits voraussetzen, sobald wir von Ereignissen reden,
an denen Menschen beteiligt sind. Wir schreiben also einzelnen Menschen, manchmal aber auch Gruppen und insbesondere den formal konstituierten Körperschaften einheitliche
Handlungen als einheitliche Akteure zu. Die Frage wird sein,
wann eine solche Zuschreibung der Einheit des Akteurs und
der Handlung berechtigt ist und wann nicht.
271
1. Akteur und moralische Handlung
Zwecks Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit folgt aus
der Definition des Akteurs und seiner Handlung im nächsten
Schritt die Zusammenfassung der nur analytisch gesonderten
Einheit des Akteurs und seiner Handlung zur integralen Einheit der ‚Akteurshandlung’. Erst mit Anerkennung dieser Einheit von Akteur und Handlung sind wir auf der sozial unmittelbaren, d.h. primären Anschauungsebene angelangt. Und erst
auf dieser Ebene wird die Zuweisung von Verantwortung zum
jeweiligen Akteur möglich, d.h. sozial begründbar. Denn diese
Einheit zweiter Ordnung ist dort, wo sie plausibel behauptet
werden kann, notwendige Voraussetzung der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen Akteurs. Dies gilt unbeschadet der
Tatsache, dass alle Ereignisverläufe und Akteure immer auch
von außen determiniert sind, d.h. fortlaufend von der Umwelt
beeinflusst werden. Das Postulat der Eigenverantwortlichkeit
ist ein rein normatives, das seinen Ausgang bei der ursprünglichen Anschauungseinheit der jeweiligen Akteurshandlung
nimmt. Diese Verantwortung trifft allerdings nur den Akteur
für seine Handlung, weshalb immer eine Analyse des Gesamtereignisses in Akteur und Handlung notwendig ist. Mit der
hier vorgenommenen Begriffsbildung zeichnen wir folglich in
umgekehrter Richtung das nach, was uns die soziale Anschauung ganz selbstverständlich vorgibt: Das Primärmaterial unserer sozialen Anschauung ist die integrale Akteurshandlung;
erst die Notwendigkeit der Zuweisung von Verantwortung
erzwingt die Auflösung dieser Einheit in einzelne Akteure und
einzelne Handlungen. Diese primäre Anschauungseinheit ist
auch der Grund für die anhaltende Unsicherheit, wie man mit
gewalttätigen Spontangruppen und großkollektiven, historischen Ereignissen umgehen soll: Die phänomenal aufdringliche Einheit des Gesamtereignisses konkurriert mit der erforderlichen Analyse in einzelne Akteure und Handlungen, um
überhaupt Verantwortung zuweisen zu können. Wo dies nicht
gelingt, wie z.B. in komplexen, ethnisch motivierten Gewaltausbrüchen, bleibt ein drängend ungutes Gefühl zurück, weil
272
1. Akteur und moralische Handlung
ein offensichtlich schweres Fehlverhalten niemand Einzelnem
vorgeworfen werden kann.
Zwar gibt es Grenzfälle, wo z.B. aufgrund mangelnder Reife,
emotionaler Ausnahmezustände oder geistiger Beeinträchtigung nicht ganz klar ist, ob man selbst bei gelungener Analyse
im Einzelfall noch von der Eigenverantwortlichkeit eines Akteurs sprechen kann.5 Alle diese Grenzen und Ausnahmen tun
der Vorstellung des idealtypischen Akteurs als einheitlich und
aufgrund seiner inneren Autonomie eigenverantwortlich handelnd keinen Abbruch. Eine solche Handlungseinheit kann,
wie ich noch zeigen werde, sowohl einer einzelnen Person, als
auch einer Körperschaft zukommen.
Wie ich im Folgenden zeigen werde, können wir unter sehr
engen Umständen die gemeinsame Verantwortung mehrerer
Akteure auch dann behaupten, wenn die beteiligten Gruppen oder Kollektive keine einheitlichen Akteure sind. Damit
vermeiden wir von vornherein einen der schwierigsten Streitpunkte in der gesamten Geschichte der Soziologie, nämlich
jene nach der ontologischen Realität von Gruppen. Mit der
Auffassung des Akteurs als eigenverantwortlich Handelndem
ist ferner noch nichts darüber gesagt, wodurch ein aus einem
5
Die nicht-verantwortliche Zuschreibung von Ereignissen zu Akteuren
ist auch möglich. Auf die reguläre Verantwortung des Akteurs für sein
Handeln verzichten wir ausnahmsweise, wenn hierfür besondere Gründe
vorliegen, z.B. die geistige Unreife bei Kindern, mentale Störungen oder
unentrinnbarer äußerer Zwang (die juristische vis absoluta). Darüber hinaus ist Handeln eine echte Teilmenge der Obermenge von Ereignissen des
Typs ‚Verhalten’. Große Teile menschlichen Verhaltens, z.B. seine gesamten
vegetativen Stoffwechsel- und Bewegungsimpulse, aber auch erhebliche
Bereiche seiner kognitiven und emotionalen Steuerung (unwillkürliche
Wahrnehmungsmuster, allgemein als reflexartig anerkannte emotionale und motorische Reaktionen etc.) sind keine Handlungen und damit
von demjenigen, der sich so verhält, im normativen Sinne von ‚handeln’
vornherein nicht zu verantworten. Verhalten zeigen im Übrigen nicht nur
Menschen, sondern auch fast alle anderen Lebewesen (in eingeschränktem
Sinne auch die Pflanzen) und autonome Artefakte, also selbststeuernde
Automaten. Schulz-Schaeffer [2007, S. 433ff.] geht im Ergebnis sogar so
weit, letzteren eine eingeschränkte Form der Handlungsfähigkeit zuzuerkennen.
273
1. Akteur und moralische Handlung
Gesamtereignis herausgelöstes Teilereignis zu einer Handlung
eines Akteurs wird. Eine solche Analyse ist erforderlich, um
sie einem Akteur als dem dafür Verantwortlichen zuschreiben zu können. Eine Handlung kann also nur vorliegen, wenn
wir nach der Herauslösung eines einzelnen Vorganges aus
dem großen Fluss des Weltverlaufs diesen zur einheitlichen
Akteurshandlung erklären und wiederum uno actu per Analyse zeigen, wer oder was das elementare Zuschreibungsziel
der jeweiligen Handlung ist. Erst mit dieser Folge kognitiver
Vollzüge, die uns so selbstverständlich sind, dass wir uns ihrer
normalerweise gar nicht gewahr sind, schaffen wir die Möglichkeit, Akteure und Handlungen in ein Verhältnis der Zurechenbarkeit zueinander zu bringen.
1.2 Die gleichzeitige Entstehung von Akteur und Handlung
Wenn im Folgenden von kollektiver Verantwortung die Rede
ist, so setze ich damit begrifflich einige Dinge voraus, die es
zunächst explizit zu machen gilt, damit die vorgetragenen Argumente nachvollziehbar sind. Die beiden grundlegendsten
begrifflichen Elemente unseres Untersuchungsgegenstandes
sind, wie bereits besprochen, jener des Akteurs und jener der
Handlung. Die sozialwissenschaftliche Handlungstheorie geht
unabhängig von ihren Schulen und unterschiedlichen Perspektiven davon aus, dass beide dieser Elemente durch einen
Vorgang der wechselseitigen Zuschreibung überhaupt erst
zustande kommen: Nur ein Akteur kann eine Handlung hervorbringen, und eine Handlung macht umgekehrt denjenigen,
der sie hervorbringt, überhaupt erst zum Akteur. Was auf den
ersten Blick trivial, wenn nicht gar wie eine zirkuläre Definition aussieht, ist dies in Wirklichkeit keineswegs. Die Sozialwissenschaften haben ihre diesbezügliche Auffassung nicht selber
konstruiert, sondern übernehmen sie aus der vortheoretischen
Lebenspraxis praktisch aller menschlichen Kulturen (siehe Fig.
1 auf der nächsten Seite):
274
1. Akteur und moralische Handlung
Zuschreibung von
Ausschnitten als
einzelne Handlung zu
Ereignisfluss
Akteur
verhält sich und
verlängert dadurch den
Fig. 1: Die wechselseitig Erzeugung von Handlung und Akteur
Wer aber nimmt die Zuschreibung von Ereignisausschnitten
zu einem Akteur vor und qualifiziert ihn damit überhaupt erst
zu einem solchen? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten,
weil sich eine solche Zuschreibung gleichzeitig von zwei unterschiedlichen Ebenen abhängig erweist. Offensichtlich sind
es andere Akteure, die eine solche Zuweisung vornehmen.
Das aber wirft die Frage auf, wie denn überhaupt je ein Akteur entstehen konnte, wenn es immer schon andere Akteure
geben muss, damit eine solche Zuschreibung stattfinden kann.
Es muss also eine ontologisch vorgängige, gewissermaßen ‚generative’ Ebene des Sozialen geben, die das Auftreten von Akteuren einerseits erst ermöglicht, andererseits auch provoziert.
Diese primäre, alle Akteure zu einer gegebenen Zeit jeweils uno
actu erzeugende Ebene wird durch das Milieu des kollektiven
Zusammenlebens selbst gebildet6; keineswegs ist ein solches
Milieu nur den menschlichen Kollektiven eigen. Wie zahllose
Untersuchungen vor allem in Primatenhorden, aber auch bei
einigen anderen Tierarten, z.B. Elefanten und Delphinen sowie
6
Siehe hierzu Kondylis [1999], II. Abschnitt: Sozialwissenschaft und Sozialontologie. Kondylis’ scharfsinnige Analyse weist den bekanntesten
Vertretern der soziologischen Schulen des 20. Jahrhunderts nach, dass sie
praktisch alle (bis auf Durkheim) den Fehler begehen, die Vorgängigkeit
der Gesellschaftlichkeit des Menschen vor seiner individuellen Verfassung entweder aus ideologischen Gründen zu leugnen oder schlichtweg
‚wegkonstruieren’, um die theoretische Kohärenz ihrer Modelle nicht zu
gefährden.
275
1. Akteur und moralische Handlung
Großwildkatzen, zeigen, ist die Herauslösung einzelner Gruppen- oder Herdenmitglieder als kausale Träger bestimmter
Funktionen und damit Handlungen keineswegs von menschlichem Sprechen oder anderen spezifisch menschlichen Fähigkeiten abhängig. Obwohl also im Endeffekt einzelne Akteure
ständig weitere Akteure erzeugen (und der menschliche Akteur auch sich selbst als Akteur wahrnimmt und entsprechend
beurteilt), werden diese einzelnen Zuschreibungen doch immer
getragen von einer kulturellen und letztlich sogar biologisch
konditionierten Sphäre des Sozialen, die sowohl die Grundlage
als auch den fortgesetzten dynamischen Zusammenhang dieses Wechselspiels von Ereignis und Handlung beisteuert.
Es ist also nicht nur der einzelne Akteur und die einzelne
Handlung, die im Wege dieser Zuschreibung entsteht, sondern
der vorgängig, d.h. ursprüngliche generative Zusammenhang
beruht auf kollektiven, kulturell tradierten Mustern und artspezifischen Fähigkeiten. Diese müssen uns aber im Moment nicht
weiter beschäftigen. Ein entsprechendes Modell stiftet folglich
einen fortlaufenden Zusammenhang im zeitlichen Fluss der
sozialen Ereignisse. Erst dieser Ereignisfluss macht es möglich,
einiges von dem, was um uns herum passiert, überhaupt erst
als einzelnes soziales Ereignis und nicht einfach nur als einen
naturgegebenen, riesigen und indifferenten Ereignisfluss von
allem, was überhaupt passiert, zu betrachten. Die Vereinzelung einzelner Ereignisse in jenem Fluss des ‚Allereignisses’ ist
überhaupt die erste Voraussetzung, dass sich aus solchen Ereignissen konkrete soziale Konsequenzen ableiten lassen.
Trägt man dieses Schema auf einer Zeitachse mit der Gegenwart als Mittelpunkt auf, so ergibt sich eine fortlaufende Spirale der wechselseitigen Erzeugung und Fortschreibung von
Akteuren und Handlungen, die unsere Wahrnehmung des laufenden menschlichen Soziallebens prägt (siehe Fig. 2 auf der
nächsten Seite).
Die bekannten soziologischen Schulen unterscheiden sich
hier durch den Schwerpunkt ihrer Betrachtung, der sich aus ih276
1. Akteur und moralische Handlung
Gegenwart
Soziale Relevanz
Ereignisfluss wird zu
Handlungsfolge
Zukunft
Vergangenheit
erzeugt forlaufenden Zusammenhang
Fig. 2: Die Transformation des kontinuierlichen Ereignisflusses
in eine Abfolge einzelner, kausal verketteter Handlungen
rer jeweiligen Perspektive auf das Soziale ergibt. So gehen beispielsweise die strukturalistischen Schulen (am bekanntesten
sind hier Talcott Parsons in den USA, Ferdinand de Saussure
und Claude Lévi-Strauss in Frankreich, Niklas Luhmann in
Deutschland) weniger auf die individualpsychologische Entstehung einzelner Handlungen ein. Dies leisten eher die phänomenologischen Schulen. Die vorstehende Darstellung beruht
im Wesentlichen auf dem phänomenologischen Handlungsmodell, wie es am prominentesten von Alfred Schütz entwickelt
wurde.7 Die Eigenverantwortlichkeit ist in diesem Modell und
ganz allgemein in der soziologischen Handlungstheorie eine
unverzichtbare Eigenschaft menschlichen Handelns. Auch Tiere
handeln sicherlich in dem Sinne, dass sie sich absichtsvoll verhalten, d.h. planvoll Zwecke verfolgen.8 Gegenüber der menschlichen Handlung fehlt dem tierischen Handeln allerdings ein
wichtiges Merkmal. Tierisches Verhalten wird zur Handlung
bereits allein durch die Absichtlichkeit oder Zweckhaftigkeit
des Verhaltens.9 Menschliches Verhalten fügt diesem Merkmal
7
8
9
Vgl. Schütz [1974]. Die vorstehende Illustration ist eine zusammenfassende Verkürzung des phänomenologischen Handlungsbegriffs aus der
Perspektive der hier verhandelten Fragestellung.
Dies war lange Zeit umstritten, wird heute aber praktisch von allen soziologischen Schulen anerkannt.
Nicht jedes adaptive Verhalten ist auch zweckhaftes Verhalten. Wäre
277
1. Akteur und moralische Handlung
jedoch noch ein weiteres und sehr wichtiges Merkmal hinzu,
nämlich die Bestimmung, ob zweckhaftes Handeln einem abstrakten Dürfen und/oder Sollen entspricht. Dieses Merkmal bezeichne ich als die normative Qualität von Handlungen.
Natürlich dürfen und sollen auch Tiere und Maschinen bestimmte Dinge und andere nicht. Es sind aber niemals die Tiere
und Maschinen selbst, die dieses Dürfen oder Sollen bestimmen und durchsetzen, sondern es wird an sie erst durch die
menschliche Sozialität herangetragen. Tiere und Maschinen
sind dem menschlichen Sollen und Dürfen also lediglich heteronom unterworfen; sie steuern zu dieser normativen Bestimmung genauso wenig; sie sind ihnen genauso einseitig unterworfen wie den zwingenden Vorgaben der Biologie, Chemie
und letztlich der Physik. Der Ausdruck ‚normative Qualität von
Handlungen’ umfasst allein beim Menschen dagegen nicht nur
die einseitige Unterworfenheit unter Regeln, die dem Akteur
fremd sind, sondern vielmehr die wechselseitige Fortschreibung
des jeweiligen Dürfens und Sollens. Der Mensch ist das einzige
Wesen, das grundsätzlich10 an der Gestaltung der sozialen Normen, denen es unterworfen, selbst gestaltend teilhat.
dies der Fall, müssten wir mehr oder weniger allen Lebewesen, sogar
schon den Einzellen und Pflanzen, bereits eine Fähigkeit zu zweckhaftem Handeln zugestehen. Die Voraussetzungen zweckhaften Verhaltens
werden nach wie vor sehr kontrovers diskutiert. Eine gut begründete
Position gerade im Hinblick auf kollektive Akteure nimmt hier Philip
Pettit ein, siehe Mantzavinos [2009], S. 69ff. Dabei ist zu beachten, dass
der Unterschied der deutschen Attribute ‚zweckvoll’ und ‚intentional’ im
Englischen häufig verwischt wird bzw. gar nicht gesehen wird. Während
das deutsche Wort ‚Intentionalität’ als philosophischer Fachbegriff die
Bezogenheit menschlicher Wahrnehmung und Kognition auf einzelne bestehende Gegenstände und Ereignisse meint, bedeutet ‚Zweckhaftigkeit’
die Gerichtetheit des eigenen Verhaltens auf das zu realisierende Ziel
einer Tätigkeit, also auf einen künftigen Zustand. Auch im Deutschen
geht der Unterschied zwischen beiden Begriffen allerdings im Vergleich
der Bedeutungen von ‚Intention’ und ‚Zweck’ tendenziell verloren.
‚Intention’ wird umgangssprachlich synonym zu ‚Absicht’ gebraucht,
und zwischen ‚Absicht’ und ‚Zweck’ bestehen nur noch minimale semantische Unterschiede.
10 Sofern es vom jeweiligen Kollektiv hierzu zugelassen ist. Beispielsweise
dürfen erst volljährige Menschen an politischen Wahlen teilnehmen, ha-
278
Personenverzeichnis
A
Freud, Sigmund 292, 318f.
Friedrich II 414
Fukuyama, Francis 305, 412
Apel, Karl-Otto 53, 54f.
Arendt, Hannah 14, 37, 155f.
Aristoteles 5, 24, 27, 32, 34, 48,
211, 227
Augustinus 27, 28, 106
G
Ghandi, Mahatma 184
Giddens, Anthony 293
Gierke, Otto v. 300f., 305
Goldhagen, Daniel 400, 416
Greve, Jens 313
Grotius, Hugo 414
B
Beld, Ton van den 314, 358, 441
Bielefeldt, Heiner 241
Böckenförde, Ernst-Wolfgang
96, 306, 409
Bodin, Jean 414
Boix, Carl 305f., 366
Brandom, Robert B. 307, 432
Brecht, Bertold 441
Brentano, Franz 346f.
H
Habermas, Jürgen 53, 182, 211,
213, 221, 251
Hättich, Manfred 97, 136
Hayek, Friedrich August 124
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 307
Hitler, Adolf 303, 340, 342, 400,
416
Hobbes, Thomas 50, 60f., 100,
107, 186, 221, 319, 395,
409, 412f.
Höffe, Otfried 56, 92, 107, 127,
139, 238, 251
Homann, Karl 219
Horaz 434
Horowitz, Donald 295, 324,
368, 370
Husserl, Edmund 346
C
Churchill 19
Coleman, James 284f., 314f.,
361, 378, 385, 389, 393,
418f., 427
D
Dalai Lama 426
Dennett, Daniel 328
E
Erskine, Toni 294, 310, 313, 321
Etzioni, Amitai 149
I
F
Inglehart, Ronald 132
Fontane, Theodor 374
Fraenkel, Ernst 94, 95
Freisler, Roland 283
French, Peter 285, 313, 323, 326,
348f., 356
J
Joas, Hans 241, 242
457
Personenverzeichnis
K
P
Kant, Immanuel 5, 14, 24, 50ff.,
56, 63, 66, 75, 81, 137,
152, 187, 191, 215, 220,
240f., 413, 434
Kelsen, Hans 300
Kerber, Walter 121
Kersting, Wolfgang 197, 221,
229ff., 238, 253
Klages, Helmut 133f.
Kondylis, Panjotis 275, 290,
363ff., 382
Korsgaard, Christine M. 432, 434
Kriele, Martin 61f.
Kroslak, Daniela 310, 335
Parsons, Talcott 277, 284, 361,
418f.
Pettit, Philip 278, 316, 319,
320ff., 356
Platon 34, 106
Pufendorf, Samuel 241, 414
R
Radbruch, Gustav 360, 379f.,
382, 428
Rawls, John 56, 107, 119f., 150,
182, 197ff., 213, 221,
225ff., 229, 254
Reese-Schäfer, Walter 221ff.,
238
Reichel, Hans 380
Rousseau, Jean-Jacques 50, 221,
319
Runciman, David 321, 335
L
Lenin 27ff., 211
Levi-Strauss, Claude 407
List, Christian 27, 187, 316, 320,
322, 356
Locke, John 50, 61, 107, 221,
319, 412
Luhmann, Niklas 277, 285, 361,
407, 418f., 425
S
Scheler, Max 360
Schelsky, Helmut 69f.
Schetter, Conrad 370
Schimank, Uwe 292
Schmidtchen, Gerhard 134
Schmitt, Carl 364
Schnabel, Andrea 313
Schulz-Schaeffer, Ingo 273, 280,
316, 328, 349ff., 369
Schütz, Alfred 277, 284, 346
Senghaas, Dieter 251
Simmel, Georg 102, 300
Stalin 19
Sverdlik, Steven 351
M
Machiavelli, Niccolo 27ff., 211,
382, 413
Maier, Hans 31, 175
Marx, Karl 27ff., 211
Maturana, Humberto 346
May, Larry 323, 325f., 352, 354ff.
Mead, George Herbert 291,
346, 418
Moore, George Edward 438
Münkler, Herfried 246, 251
T
N
Talleyrand 156
Thoreau, H. D. 181
Tönnies, Ferdinand 299, 300f.,
305, 307
Nell-Breuning, Oswald von
90, 97
Neuhäuser, Christian 327
458
Personenverzeichnis
Truman 19
V
Valentin, Karl 131
Varela, Francisco 346
W
Walzer, Michael 228f., 249, 251
Weber, Max 39, 154f., 159f.,
212, 298f., 304, 412, 418f.
Wight, Colin 294, 318, 323, 325
Wilson, Woodrow 302
Wimmer, Andreas 370
Z
Zippelius, Reinhold 300f.
459
Stichwortverzeichnis
A
DDR 22, 341, 379, 401, 403f.
Demokratie 14, 30, 38, 49, 54,
57f., 70f., 79, 107, 115,
117, 141, 147ff., 151f.,
157, 171, 173, 181, 221,
228, 231
Diskriminierung 224, 234, 265, 345
Diskursethik 53ff., 213, 214
Durchgriff, moralischer 293,
331, 336, 416
Durchsetzungsvermögen 164f.
Dürfen und Sollen 271, 278
Affekte 170
Akteursmehrheit 326, 337
Aktiengesellschaften, moralische Verantwortung
von 393
Amtsethos 72, 218
Angriffskrieg 191, 340, 384
Archipel Gulag 29
Armutsbekämpfung 201
Asylbewerber 83
Atomenergie 16, 183, 187
E
B
Egalitarismus 123, 199, 230
Egoismus 98f., 174
Eigennutz 94
Eigentum 61, 68, 98, 138
Eigenverantwortlichkeit 272f.,
277, 427, 431, 434
Einheit der Handlung 319.
Siehe auch Handlungseinheit
Einheit des Akteurs 268, 270f.,
316, 318f., 357
Entscheidung 38, 45, 77, 84,
183, 245
Entscheidungsträger 333
Entwicklungspolitik 200f.
Ereigniseinheit 261, 280
Erfüllung (von Bedürfnissen
oder Normen) 68f., 109,
110, 113, 135, 224, 282,
288, 353, 378f., 381, 389,
393, 406, 417, 420, 425,
427f., 429, 431
Erinnerung 78
Erlösung 28, 402, 406, 443
Ethik 265
Euthanasie 16, 143, 145
Beliebigkeit 16, 83
Bescheidenheit (im Ziel) 30
Bewertung 20, 79, 131
Bewertungssubjekt 262, 330,
334f.
Binnenstruktur (sozialer Formationen) 297
Blutsverwandtschaft 314f.,
365ff., 369
bonum commune. Siehe Gemeinwohl
Bürgergesellschaft 152, 204
Bürgerkrieg 62, 64, 73, 91, 188,
334
Bürgertugend 106, 113, 118
C
Christentum 31, 215, 253
CIA 350, 377
common interest 355f.
common sense 414, 430
D
Daoismus 268
460
Stichwortverzeichnis
F
Besitzstands- 122f.
Chancengleichheit, als 122f.,
126, 201, 202, 232
gesetzliche 109, 112
Leistungs- 122f., 126, 201
politische 119ff., 127, 128,
224f.
soziale 121f., 224
Verteilungs- 114, 117f., 125,
197f., 199, 202f., 232
Zukunfts- 122, 201
Geschicklichkeit 78f.
Gesinnung 20f., 76, 109, 137,
186, 345, 353, 373, 394,
412
Gestapo 116, 415
Gewinninteresse 20
Gewissen 31, 70, 81f., 84, 86,
113, 145, 177, 178, 184,
240
Gewissensentscheidung 84f., 180
Gewohnheiten 17, 44, 75, 195
Glaubensgemeinschaft 375ff.
Gleichheit im Unrecht, keine
262, 370f.
Goldene Regel 111, 150
Großgruppe 44ff., 55, 111
Grundrechte 127, 139, 140f.,
194, 233, 332
Grundwerte 17, 129, 140, 360
Gruppendiskriminierung 324f.
Siehe auch Diskriminierung
Gruppengeist 322
Feigheit 103
Flashmob 296
Formelkompromiss 103
Fortschritt 43, 44, 168
Fraktionsdisziplin 86
Freiheit 6, 35f., 46, 47, 49, 50,
52, 56, 59, 60ff., 68f., 72,
76, 82, 89, 96, 106, 119,
127, 141, 147, 161, 187,
189, 190, 194f., 214, 217,
220, 224, 228, 230, 232,
238, 240, 255
Koalitions- 125, 128, 161
Parteien- 128
Friedenssicherung 65, 196, 244
Fundamentalismus 24
G
Geltung (von Prinzipien, Normen etc.) 80, 96, 159,
173, 183, 189, 194, 209,
232, 237, 238, 240, 242f.,
251, 279, 309, 310, 334,
344, 367, 372, 374, 377,
385, 386, 426
Gemeinsinn 7, 16, 89, 98, 112,
129, 146, 148, 149, 150,
152, 154, 175, 217, 218
Gemeinwohl 7, 15, 31, 60, 71f.,
89, 91ff., 104, 112, 114ff.,
118, 137, 154, 164f., 174,
177f., 186, 188, 223f.
Genforschung 16
Gerechtigkeit 7, 14f., 33, 35,
46, 55f., 59ff., 72, 74,
76, 81, 86, 89, 96, 106ff.,
139, 141f., 154, 161ff.,
166f., 172, 173, 187, 189f.,
196ff., 209, 213f., 217f.,
224f., 227ff., 254f.
austeilende 109, 118
Bedürfnis- 122f., 126, 201
H
Handlung, normative Qualität
von 278f.
Handlungseinheit 261, 269,
273, 280, 286, 292, 326,
414
Handlungserfolg 262, 344f.,
351, 407, 423
461
Stichwortverzeichnis
K
Handlungszuschreibung 288f.,
349, 369. Siehe auch Verantwortung, Zuschreibung von
Kategorischer Imperativ 51ff.,
56, 215
Klassenkampf 29
Klugheit 49, 52, 72ff., 77f., 80f.,
96, 108, 113, 117, 162f.,
167, 171, 189, 218, 249,
255
Kommunismus 19, 29, 30, 33
Kommunitarismus 149f.
Kompromiss 41, 82, 86, 99,
102ff., 146, 154, 235
Konflikt 56, 59, 65, 82, 89, 99,
101, 104ff., 112, 145, 154,
164, 172, 246, 249, 250,
252
Konfliktfähigkeit 164
Konfliktfall 94, 139, 176, 240
Konflikthandeln 89, 102, 105
Konsens 24, 30, 55, 86, 134, 136,
141, 143, 146, 150, 214,
228, 237, 239, 247
Krieg 15, 27, 64f., 111, 114,
189f., 244, 247f., 253, 303,
334, 342, 404
Krieg, gerechter 247f.
Kultur 43, 48, 70, 90, 121, 130f.,
149, 176, 182, 194, 198,
215, 218, 222, 237
Kündigungsschutz 125
I
Identität, soziale 150, 291, 311,
324, 341, 361ff., 375, 395,
398, 406, 429, 442
Ideologie 23, 37, 185, 235
Individualismus, methodologischer 293, 298f., 325
Individualismus, normativer
221, 230, 232
Individualität 43, 226, 231
Infotainment 175
Institution 41, 46, 67f., 142
Institutionenethik 46, 66, 72f., 97
Institutionenkritik 67f.
Intentionalität 262, 278, 328,
344ff., 388, 406, 423
Intention und Zweck, Unterschied von 372
Interaktion 42, 45f., 53, 66, 69,
74, 106, 155
Interesse
Gewinninteresse 20
Interessenkonkurrenz 46, 60,
91, 185
Konsuminteresse 20
Machtinteresse 29
Interessenkonflikt 86, 106
Interessenverbände 46, 159, 174
Interpretationsspielraum 63
Irrationalität 433
iustitia commutativa. Siehe Vertragsgerechtigkeit
iustitia distributiva. Siehe Teilhabegerechtigkeit
L
Lebensführung 34f., 48, 74,
130f., 135, 137, 168
Lebenswandel 17
Legalität 52, 137, 182, 220, 245
Legitimation 69, 107, 156
Legitimität 54, 123, 182, 245,
246, 252, 266, 411
Verfahrens- 266
Lernbereitschaft 78
Letztbegründung 5, 24, 47, 50,
53, 75, 211, 239
J
Jäger- und Sammlergesellschaft
268, 306
462
Stichwortverzeichnis
N
Lohnfindung 117
Loyalität 112f., 146, 218
Nationalstolz 400
Natur 43, 48, 129, 143, 155, 239,
241
Naturreligion 268
Norm 43, 53, 94, 123
Soziale Normen 263, 279, 417,
418
Normadressat 297, 333
Normdimension 419
Normrang 422, 434
Normsubjekt 283, 330, 333. Siehe auch Normadressat
NSDAP 342f., 415
M
Macht 7, 15, 27, 28, 31f., 41,
52, 55, 59, 72, 78, 111f.,
154ff., 166, 171, 192, 217,
245
Machtmensch 166
Machtmissbrauch 160f.
Machtstaat 28
Marktwirtschaft, soziale 97,
118, 126, 169, 199, 202
Marxismus 128, 211
Massenmedien 15, 130, 164,
171
Mäßigung 75, 111f., 154, 162f.,
167ff., 171
Mehrheitsbeschluss 320f.
Meineke, Friedrich 413f.
Meinung, öffentliche 157
Meinungskampf 63
Menschenhass 104
Menschenrechte 30, 33, 49, 51f.,
56, 104, 127, 129f., 139f.,
149, 151, 188ff., 209, 217,
221, 231ff., 249f., 254f.
Menschenrechtsethik, universale 144, 152, 186, 188
Menschenwürde 48, 51f., 59,
109, 140, 149, 220, 240,
241f.
Missbrauch 15
Mitgliedschaft (in einer Gruppe
o. Gemeinschaft) 229,
293, 330, 337ff., 350,
362f., 375, 388, 394f., 406,
415
Mitwisserschaft 293
Moore, George Edward 438
Moralität 50, 52, 137, 215, 220,
240
Mythos 268, 340
O
Opportunismus 79, 103
Opposition 79, 86, 167, 180ff.
Organhaftung 331
Organisation, soziale 304, 309
Organisationsstruktur 169
Organismus, Körperschaft als
lebender 336
Orientierung 6, 46, 48, 58f., 66,
68, 71, 82, 90, 96, 103,
202, 211, 218, 244
P
Palästinenser 384
Partizipation 133, 147
Persistenz, strukturelle (der
moralischen Verantwortung) 262, 324, 397ff.,
402ff., 408
Person 43, 47ff., 51, 57ff., 67f.,
70, 74, 81, 84f., 93ff., 98,
102, 104, 108, 109, 111,
121, 127, 143f., 152, 210,
215, 220, 226, 241f.
juristische 327, 330, 357
Pluralismus 7, 24, 94, 129ff.,
154, 194, 221, 228
463
Stichwortverzeichnis
Poiesis 34f.
Polarität 43, 213
policy 41f., 59
Polis 27, 32, 34, 48, 93, 138
Politikbegriff 27
polity 41f., 59
Prävention 23, 253
Praxis 5, 6, 34ff., 51f., 74f., 100,
102, 117, 151, 181, 231,
247, 254
Primaten 275
Prinzip 47, 50, 55, 58, 62, 96,
110f., 116, 127f., 136, 179,
183, 189, 191, 196ff., 216,
225, 245, 253
384, 400, 435, ff.
Schuld und Verantwortung,
Unterschied von 263,
435f., 439
Schwangerschaft 145
Schwangerschaftsabbruch 138,
142f., 146
Scientology 342
Sinngebung 90
Sitte 266
Solidarität 16, 80, 95, 97, 131,
152, 162, 174f., 185f., 188,
190, 200, 221, 230ff., 253
Sollen, das. Siehe auch Dürfen
und Sollen
Soziale Identität 262, 362f.
Sozialstaat 62, 114, 117, 122,
124, 126, 138, 224, 229ff.
Sozialversicherung 125
Staatsbürgerschaft 228, 339,
399, 403
Sterbehilfe 142f., 145
Streikrecht 125
Struktur 35, 67, 76, 101, 114,
156
Subsidiarität 231f.
Q
Quelle, der Mensch als 43
Querulanten 22
R
Radbruch’sche Formel 379, 428
Rationalität 72, 170, 216, 219
Rechenschaft 31, 85
Rechthaberei 174
Rechtsstaat 94, 111, 113, 117,
127, 130, 137, 145, 173,
180, 182ff., 223
Regeltreue 71, 146, 218
Reife, kognitive 271
Reife, mangelnde 271, 273
responsible government 31
Revolution 23, 29, 31, 61, 64,
119, 303, 325, 357, 399,
415, 426
Risiko 23, 77
Risikogesellschaft 16, 22, 80
Rohingya 294, 368
Roma und Sinti 342
T
Tapferkeit 35, 74, 154, 163f.,
166f., 218
Tarifpartei 117
Tätergeneration 358, 441
Tauschgerechtigkeit. Siehe Vertragsgerechtigkeit
Teilhabegerechtigkeit 109,
114f., 118, 128, 203, 232
Terror 29, 65
Terrorismus 210
Terroristen 250, 342, 375
Theorie 265, 284f., 290, 292,
307, 313, 318, 378, 412f.,
437
Totalitarismus 292, 409, 430
S
Scham 376
Schuld 20, 42, 138, 310, 358,
464
Stichwortverzeichnis
Tradition 5, 24, 31, 44, 137,
150f., 211, 215, 236, 240f.,
266, 284, 346, 361, 412f.
Trägerkollektiv 377, 389, 392,
441
Transzendenz 58f., 152
Tugend 52, 74, 76, 89, 98, 107ff.,
113, 118, 125, 163, 167ff.,
220
Vertragsgerechtigkeit 109,
110f., 161, 202
Vertragstheorie 49, 221, 239
Vertretungsverhältnissen, Körperschaften als Bündel
von 261, 319, 320f.
Völkerrecht 191ff., 245ff.,
408ff., 410
Voraussicht 23, 78ff.
Vorwürfe, moralische, gegen
Körperschaften 335
U
Überforderung, moralische 6,
18, 21f., 124, 217
Überlieferung 43f.
Überzeugungspluralismus 47
Ungehorsam. bürgerlicher 83,
113, 177, 180ff.
UNO 190ff., 195f., 233f., 236,
244f., 247ff., 403, 408
UNO (Vereinte Nationen) 316
Unwert 47
Unwerturteil 310, 353
W
Waffentechnik 187, 250
Wahlrecht 119, 128, 161, 180
Wahrhaftigkeit 96, 115ff., 172
Wahrheit, praktische 35
Weltanschauuung (als Grundlage sozialer Organisation) 374
Weltflüchtlingsproblem 200.
Siehe auch Asylbewerber
Weltstaat 28, 190, 193f., 199
Wert 47, 51, 58, 90, 94, 133, 135,
194, 228f., 233, 242, 361,
408
Wertbewusstsein 16
Wertediskurs 361
Wertegemeinschaft 262, 360,
407
Wertepluralismus 47
Wertewandel 131ff., 141, 148
Wertkonflikt 140
Wertneutralität 139
Wertsynthese 133f.
Wertung, ethische und emotionale 213, 283f., 344
Widerstand 83, 129, 166,f.,
177ff., 184
Widerstandsrecht 154, 177, 180,
424
Wiedergutmachung 312, 398,
400ff., 436
V
Verantwortung, Zuschreibung
von 287, 324, 350
Verband, politischer 40, 89, 93,
109, 152, 158, 194
Vereinte Nationen 191f., 195f.,
233f., 237, 241, 243f., 251,
254, 408
Verfassungsordnung 57, 182
Verfassungsstaat, freiheitlicher
24, 30ff., 62, 83, 118, 136,
140, 180, 189
Verhaltenserwartung, generalisierte 418, 425f., 427
Versagen, moralisches 18, 20
Verschleierung 103, 172, 185
Verschmelzung (individueller
und kollektiver Identität) 317, 355, 356
Verständigung 16, 36, 48, 103, 132
465
Stichwortverzeichnis
Z
Zielkonflikte 64f.
Zielwerte 60, 62f., 89, 106, 141
Zivilcourage 164, 167
Zuschreibung (von Handlungen) 267, 271, 273ff.,
287, 289, 311, 322, 324,
339, 349f., 355, 367, 369
466
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