6. Zusammenfassung Ziel dieser Untersuchung war die Ermittlung der minimalen aktiven Tastempfindlichkeit zwischen einem Einzelzahnimplantat und seinem antagonistischen natürlichen Zahn im intraindividuellen Vergleich mit der Tastempfindung eines natürlichen, antagonistischen Zahnpaares der kontralateralen Seite. Von anfänglich 71 Probanden konnten insgesamt 62 Probanden (n=40 aus Bonn, n=26 aus Bern) mit Einzelzahnimplantaten (22 Frontzahn- und 40 Seitenzahnimplantate) in die endgültige Auswertung einbezogen werden. Die Probanden wurden gebeten, auf Streifen aus Kupferfolie unterschiedlicher Dicke (5 – 200 µm) aufzubeißen und zu entscheiden, ob sie einen Fremdkörper zwischen ihren Zähnen entdecken könnten. Die Foliendicken und die Untersuchungspositionen, d.h. Implantat-Zahn oder Zahn-Zahn, wurden bei den jeweils 320 Versuchsdurchgängen pro Proband randomisiert gewählt, wobei jeweils 40 „Placebofolien“ in die Tests integriert wurden. Die minimale Tastempfindung wurde als 50%-Schwelle richtiger Antworten definiert und über die logistische Regression als 50%-Wert geschätzt. Die logistische Regression wurde in dieser Studie zum ersten Mal als Auswertungsmethodik zur Bestimmung des aktiven Tastempfindens angewendet und bot den Vorteil, dass nicht nur ein Wert in „µm“, sondern auch gleichzeitig zur Charakterisierung der Tastempfindung die Steigung der Kurve in diesem Wert angegeben werden konnte. Wenn die Steigung im Tastempfindungswert gering war, dann war dieser Wert nur einer in einem langsam ansteigendem Verlauf der Tastempfindungskurve. Wenn hingegen die Steigung groß war, stellte dieser Wert eher eine Grenze bzw. Schwelle für das Tastempfinden dar: geringer dimensionierte Fremdkörper wurden deutlich schlechter gefühlt bzw. weniger häufig erkannt. Probanden mit einer geringen Steigung im Tastempfindungswert zeigten größere Unsicherheiten in der richtigen Detektierung der interponierten Fremdkörper, hatten insgesamt höhere Tastempfindungsschwellen und zeigten größere Abweichungen zwischen der Tastsensibilität an der Implantatseite und der an der Kontrollseite. Neben der Methodik der logistischen Regression wurde zudem die bisherige Standardmethode nach Tryde et al. (1962) angewendet, wobei sich die geschätzten bzw. berechneten absoluten Tastempfindungswerte kaum unterschieden. Die Ergebnisse für das interokklusale Tastempfinden differierten interindividuell, also zwischen den verschiedenen Probanden in größerem Umfang als intraindividuell, also zwischen natürlichen Zähnen und Implantaten bei derselben Person: Implantat / natürlicher Zahn 2 - 54 µm (20 ± 11 µm); natürlicher Zahn / natürlicher Zahn 2 77µm (17 ± 11 µm). Intraindividuell betrugen die Unterschiede im Mittel lediglich 3 µm (± 10 µm). Unsere statistischen Berechnungen ergaben, dass das Einzelzahnimplantat sowohl im Frontzahn- als auch im Seitenzahnbereich in Kombination mit einem natürlichen Antagonisten ein ähnliches aktives Tastvermögen aufweist wie natürliche antagonistische Zahnpaare. Bei einer gemäß der dünnsten Okklusionsfolie definierten Grenze von 8µm konnte eine Äquivalenz nachgewiesen werden. Der Test auf Äquivalenz stellte den primären Endpunkt dieser Studie dar. (doppelter t-Test, Äquivalenzgrenze = ±0.008mm, p<0.01, Power > 80%) Bei der weiteren, deskriptiven, statistischen Auswertung wurde der Einfluss folgender Variablen auf das interokklusale Tastempfinden untersucht: 1) Probandenalter 2) Probandengeschlecht 1) Implantatposition (Ober- / Unterkiefer, Zahnposition, Front- / Seitenzähne) 2) Dynamische Okklusion 3) Implantatgeometrie (Länge / Dicke) 4) Implantatoberflächenstruktur (maschiniert, TPS,SLA) 5) Dauer der Zahnlosigkeit der Implantatregion 6) Dauer der Belastung (prothetische Versorgung) 7) Zahnärztlicher Versorgungsgrad der Implantatantagonisten und der Kontrollzähne 8) Untersuchungsort (Bonn, Bern). Sämtliche Variablen erwiesen sich in der Auswertung der intraindividuellen Differenz als statistisch nicht signifikant. Wenn man nur das Tastempfinden der untersuchten, antagonistischen natürlichen Zähne betrachtete, war ein statistisch signifikanter Einfluss des Alters der Probanden zu ermitteln (p=0.0006). Im Mittel erhöhen sich die 50%-Werte alle zehn Altersjahre um ca. 2,2µm. Eine Altersabhängigkeit der Tastempfindung auf der Implantatseite war jedoch nicht festzustellen; das Tastempfinden auf der Implantatseite entsprach mit ca. 20µm der Tastempfindung natürlicher Zähne bei älteren Probanden. Die Implantatoberflächenstruktur erwies sich in der alleinigen Betrachtung der Implantatseite als statistisch signifikanter Einflussfaktor (p= 0,023): SLA Oberflächen ergaben feinere Sensibilitäten als TPS beschichtete oder maschinierte. Im intraindividuellen Vergleich zur Kontrollseite war dieser Effekt jedoch nicht mehr zu beobachten. Damit wurde die Notwendigkeit des split-mouth Versuchsaufbaus zur Vermeidung von falschen Rückschlüssen, welche zu Studienbeginn postuliert worden war, bewiesen.