# 11 | April 2015 MAUSBLICK Mit gesunden Augen alt werden Studien am Tiermodell ermöglichen wichtige Fortschritte in der Augenmedizin Jede dritte Person über 70 leidet an einer Degeneration der Makula. Bei dieser Krankheit löst beispielsweise ein krankhaftes Gefässwachstum die Macula lutea (Gelber Fleck) in der Mitte der Netzhaut stellenweise ab und führt zu einer Verschlechterung der Sehfähigkeit. Wenige Jahre nach der Diagnosestellung können Patientinnen und Patienten mit einer altersabhängigen Makuladegeneration in der Regel nicht mehr lesen. Noch vor zehn Jahren gab es kaum Wege, diese Volkskrankheit zu behandeln. Makuladegeneration wird stabilisert Doch dann gelang es Forschern, die krankhafte Ablösung der Netzhaut mit der intravitrealen Injektion von VEGF-Inhibitoren (vascular endothelial growth factor) zu imitieren. Heute sind Medikamente zur Behandlung der Makuladegeneration weit verbreitet. Allein die Klinik für Augenheil­ kunde des Universitätsklinikums Freiburg i. Br. (Deutschland), die an der Entwicklung der neuen Therapie massgeblich beteiligt war, behandelt jährlich 10 000 ältere Menschen mit Makuladegenerati- on, indem die Ärzte Antikörper gegen VEGF in den Glaskörper spritzen. Bei den allermeisten Patienten kann die Verschlechterung des Sehvermögens gestoppt, in vielen Fällen sogar eine langfristige Verbesserung erzielt werden. Ohne den Einsatz dieser Medikamente zunächst im Mausmodell wäre eine solche Entwicklung undenkbar gewesen. «Wir brauchen die Tierversuche in allen Bereichen der Augenheilkunde, wo wir in Zukunft weitere Fortschritte erzielen wollen», betont Prof. Dr. med. Abb. 1 Klares Transplantat nach Keratoplastik. Foto: Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg i. Br. Thomas Reinhard, Direktor der Klinik für Augenheilkunde an der Universität Freiburg i. Br. Ein ­a ktuelles Forschungsfeld sind Hornhaut-Transplantationen. Tausende von Patienten erhalten jedes Jahr dank Gewebespenden eine neue Hornhaut für ihr Auge. Um Abstossungsreaktionen zu vermeiden, setzen Augenärzte in der Regel über eine gewisse Zeit kortisonhaltige Augentropfen ein. Die Behandlung ist wirksam, hat aber erhebliche Nebenwirkungen: Infektionen, trockenes Auge, Eintrübung der transplantierten Hornhaut, Grauer Star (= Ein­ trübung der Linse). Bei 20 bis 25 % der Patienten, den sogenannten Steroidrespondern, kann längerfristige Kortisongabe sogar den Sehnerv zerstören. Hornhaut-Transplantationen ohne Kortison Daher suchen Forscher nach Alternativen zum Kortison. Wissenschaftler um Thomas Reinhard setzen ihre Hoffnung unter anderem auf Azithromycin. Dieses Tropfpräparat mit antibiotischer Wirkung ist seit längeren auf dem Markt. Seit einigen Jahren wird vermutet, Azithromycin könnte auch antientzündlich wirken und damit als Kortison-Ersatz bei Hornhaut-Transplantationen geeignet sein. Die Freiburger Forscherin Dr. med. Katrin Wacker konnte jüngst an der Ratte zeigen, dass der Wirkstoff ­tatsächlich die Immunantwort hemmt, indem er proinflammatorische Zytokine (entzündungsfördernde Zellwachstumsproteine) blockiert. «Gemäss diesen Tierexperimenten ist die immunmodulatorische Wirkung von Azithromycin ähnlich effektiv wie Kortison», sagt Reinhard, «der Stoff verhindert das Eindringen von Abwehrzellen, die eine Abstossungsreaktion auslösen können und vermindert die Trübung der Hornhaut.» Die Freiburger Forscher erzielten die Ergebnisse am etablierten Hornhaut-Transplantationsmodell (Keratoplastik-Modell Ratten). Hierbei wurden die Hornhäute von Fischer-Ratten auf Lewis-Ratten transplantiert. Wurde die Hornhaut syngen transplantiert, also innerhalb des (genetisch identischen) Inzuchtstammes, löste die Operation keine Abstossungs- oder Entzündungsreaktion aus, da das Immunsystem das Transplantat nicht als fremd einstufte. Wurde die Hornhaut dagegen allogen (also auf einen genetisch fremden Stamm) transplantiert, traten die immunologisch bedingten Abstossungseffekte auf. Auf dieser Grundlage konnte bereits in der Vergangenheit die Wirksamkeit potenzieller Medi- kamente wie Zyklosporin A oder jetzt eben von ­A zithromycin getestet werden. Die Versuche am Rattenmodell zeigten, dass bei Verwendung von Azithromycin zwei Drittel der Transplantate klar blieben und nur ein Drittel trotzdem abgestossen wurde. Das entspricht ungefähr dem Behandlungserfolg, wie er mit Kortison erzielt wird. Klinische Studien müssen nun nachweisen, in welchem Mass Azithromycin-Tropfen die Gabe von Kortison bei Hornhaut-Transplantationen senken kann. Augenforschung setzt auf die Maus «Tierversuche gibt es vor allem im pharmakologischen Bereich, während im chirurgischen Bereich andere Möglichkeiten wie beispielsweise Eingriffe im Kadaverauge im Vordergrund stehen», sagt Prof. Dr. med. Thomas Kohnen, Direktor der Frankfurter Universitätsaugenklinik. Kohnen berichtet von einem Forschungsprojekt mit Primaten zum Akkommodationsvorgang, welches einer seiner Oberärzte vor kurzen in den USA durchgeführt hat. In den 1970er Jahren wurden vom deutschen Augenarzt Rainer Sundmacher bei der Erforschung der von Herpex simplex-Viren hervorgerufenen Hornhautentzündung (Keratitis) Affen eingesetzt. Das mit ­Abstand wichtigste Tiermodell in der ophthalmologischen Forschung ist aber die Maus, sagt Thomas Reinhard. Diese ist gut definiert und einfach zu ­halten. Daneben kommen Ratten und bisweilen ­K aninchen zum Einsatz. Letztere zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Grauen Star (Katarakt). Diese Alterserkrankung geht mit einer Trübung der Linse einher. Sie wird in der Regel operativ mit der Einsetzung einer künstlichen Linse behandelt. Da in den Kapselsäcken von Kannichen eine relativ hohe Proliferationsrate besteht, stellt das Tiermodel hier eine optimale Situation für die Simulation beim Menschen dar, berichtet Prof. Kohnen. Die Operation ist sicher und mit geringem Aufwand durchführbar. Gefahr droht allerdings bei einer bakteriellen Infektion der Linse im Zuge der Operation. Diese Komplikation, die mit einem Risiko von 1 zu 1000 auftritt, kann zum Verlust des Auges führen. In Tierversuchen mit Kaninchen wird zur Zeit erforscht, ob man Infektionen durch eine Beschichtung der Linse noch zuverlässiger als heute vorbeugen kann. Die Wissenschaftler verwenden hierfür das Kaninchenmodell, weil das Kaninchenauge hinsichtlich der Linse dem Menschenauge ähnlicher ist als das Auge der Maus. Dank seiner Grösse lassen gen Blindheit und andere Sehbehinderungen direkt sich künstliche Linsen gut implantieren. auf menschlichem Gewebe. Dieses stammt von verstorbenen Hornhautspendern oder von Patienten, Dem 3R-Prinzip verpflichtet denen ein Auge entfernt werden musste. Die augenmedizinische Forschung unternimmt Anstrengungen, die Tierversuche nach dem 3R-Prinzip Glaukomforschung mit und ohne Tiere zu ersetzen und die Zahl der Versuchstiere bzw. de- «Für viele Augenerkrankungen wie z. B. das Normalren Belastung zu verringern. Ein Beispiel liefert das druckglaukom haben wir keine idealen TiermodelAachener Centrum für Technologietransfer in der le», sagt Prof. Dr. med. Josef Flammer, Leitender Arzt Ophthalmologie (ACTO). Dank dem hier entwickel- an der Augenklinik des Universitätsspitals Basel ten Ex Vivo Eye Irritation Test (EVEIT) können Versu- und führender Glaukomforscher. Das Normalche an lebenden Tieren vermieden werden. Für den druckglaukom ist die Form des Grünen Stars (GlauEVEIT wird eine Kaninchen-Hornhaut aus dem kom), die nicht mit einem erhöhten Augendruck Schlachthaus auf eine künstliche, von Flüssigkeit einhergeht. Die mit zunehmendem Alter auftretendurchströmte Augenkammer aufgesetzt. Mit dieser de Sehnervenerkrankung hat aber auch eine AusVersuchsanordnung ist das ACTO unter anderem in prägung, die mit einer Erhöhung des Augeninnender Lage, die körperlichen Vorgänge, die mit der Ver- drucks verbunden ist. Für dieses Krankheitsbild abreichung eines Medikaments einhergehen (Phar- baut die Forschung wiederum auf Tierversuche. makokinetik), ausserhalb des lebenden Auges zu un- Zum Beispiel für die Messung des Augeninnendrucks, die die Grundlage für ein besseres Verständtersuchen. nis der Erkrankung und für effektive Therapien «Mit der Methodik sind wir weltweit führend», sagt ­bildet. Die Medizintechnikfirma Implandata OphtDr. Michael Dutescu, Facharzt für Augenheilkunde halmic Products hat einen erbsengrossen Druckund wissenschaftlicher Mitarbeiter am ACTO. Mit sensor entwickelt, der ins Auge implantiert und mit dem EVEIT untersuchen die Forscher zum Beispiel, dem der Augeninnendruck telemetrischen ausgelewie Arzneistoffe oder pflegende Substanzen zur sen werden kann. Der Sensor wurde an VersuchstieHeilung der Hornhaut beitragen, wenn diese vor- ren getestet. Zur Zeit läuft eine Anwendungsstudie gängig durch kleine Läsionen an deren Oberfläche in sechs deutschen Universitätsaugenkliniken. beeinträchtigt wurde. Einen anderen Weg zur Vermeidung von Tierversuchen haben Forscher des ­Werner-Reichardt-Centrums für integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen eingeschlagen. Sie testen Behandlungsmethoden ge- Der Augeninnendruck, der für die Funktion des Auges wesentlich ist, wird durch das Kammerwasser geregelt. Dieses wird vom Ziliarkörper gebildet, fliesst beim gesunden Menschen dann von der Abb. 2 D as ringförmige Augenimplantat der Medizintechnikfirma Implandata Ophthalmic Products. Foto: Uwe Seidenfaden/Universitätsklinikum Magdeburg ­ interen in die vordere Augenkammer und von dort h über das feinporige Trabekelwerk und den Schlemm’schen Kanal in den Blutkreislauf. Ist der Abfluss des Kammerwassers gestört, steigt der Augeninnendruck und führt zu den für das Glaukom typischen Sehnervschädigungen. Um das Glaukom zu behandeln, versuchen Ärzte heute, den Augeninnendruck medikamentös zu senken. Ein anderer Weg besteht darin, einen künstlichen Abflussweg durch Lederhaut und Bindehaut anzulegen. Ein aktuelles Forschungsprojekt an der Universität Freiburg i. Br. untersucht im Mausmodell, wie künstliche Abflusswege von «langer Lebensdauer» unter Verwendung von Spezialbeschichtungen hergestellt werden könnten. Mausmodell für das trockene Auge Ein weiteres Forschungsprojekt der Freiburger Augenklinik betrifft das trockene Auge. «Wir wissen über das trockene Auge in der Pathophysiologie unglaublich wenig», sagt Prof. Thomas Reinhard. Um die Krankheit besser zu verstehen, bauen die Forscher in Zusammenarbeit mit der Tierversuchsanstalt ein geeignetes Mausmodell auf. Im ersten Schritt wollen die Wissenschaftler die immunologischen Grundlagen aufklären, die zum trockenen Auge führen. In einem zweiten Schritt wollen sie herausfinden, mit welchen immunmodulativen Substanzen das trockene Auge wirksamer als heute behandelt werden kann. «Dank der Tierversuche können wir Nutzen und Risiken neuer Therapien für Patienten zuverlässig abschätzen», sagt Prof. Reinhard. «Ich würde mich in den allermeisten Fallen nicht trauen, neue Therapieansätze direkt beim Menschen auszuprobieren.» Ideal wäre es, wenn wir ein Verständnis der komplizierten Abläufe in einem Organismus auch ohne belastende Tierversuche gewinnen könnten. Leider ist dies jedoch bis heute nicht möglich. Das Dilemma wird uns aber noch lange Zeit begleiten: Grundlagenforschung ohne Tierversuche würde den Verzicht auf medizinischen Fortschritt bedeuten. «Mausblick» will über die Hintergründe aufklären und berichtet daher über Erfolgsgeschichten in der Medizin, die nur dank Tierversuchen möglich waren. IMPRESSUM Herausgeberin in Kooperation: Basel Declaration Society, www.basel-declaration.org www.forschung-leben.ch I www.recherche-vie.ch Autor: Dr. Benedikt Vogel Redaktion: Astrid Kugler, Geschäftsführerin