Hyperkinetische Störungen Hyperkinetische Störungen (HKS) © H.-C. Steinhausen Definition (ICD-10) Diagnostische Leitlinien Eine Gruppe von Störungen, die charakterisiert sind durch: • frühen Beginn; • die Kombination von überaktivem, wenig moduliertem Verhalten mit deutlicher Unaufmerksamkeit und Mangel an Ausdauer bei Aufgabenstellungen; • Unabhängigkeit dieser Verhaltenscharakteristika von spezifischen Situationen sowie Beständigkeit über längere Zeit. F 90.0 F 90.1 Kardinalsymptome: - beeinträchtigte Aufmerksamkeit und Überaktivität Begleitmerkmale: - Distanzstörung in sozialen Beziehungen - Unbekümmertheit in gefährlichen Situationen - Impulsive Missachtung sozialer Regeln - Lernstörungen und motorische Ungeschicklichkeit Früher Beginn der Symptomatik (vor dem 6. Lebensjahr) Störungen von Aktivität und Aufmerksamkeit Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens Längere Dauer © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Klassifikation Diagnosekriterien ADD (ADS) • Eltern und Lehrer klagen über mangelnde Aufmerksamkeit, motorische Unruhe, Impulsivität und fehlende Verhaltenssteuerung. • In standardisierten Skalen zur Verhaltensbeurteilung weicht das Kind bedeutsam von altersgleichen Kindern ab. • Die Symptome sind situationsunabhängig (pervasiv). • Das syndromspezifische Verhalten liegt gemäss Elternbericht bereits seit dem Alter von mind. 5 Jahren vor. l Differenzierung von ADD+H und ADD-H im DSM-III (1980); ADD-H: Tagträumen, Hypoaktivität, Lernstörungen, weniger aggressiv und abgelenkt l Aufhebung der Differenzierung im DSM-III-R (1987); übrig blieb ADD+H= ADHD l Wiedereinführung der Differenzierung von ADD+H und ADD-H in DSM-IV (1994) • Die Dauer der Symptomatik beträgt mind. 1 Jahr. n ADHD kombinierter Typ • Die Intelligenz beträgt IQ > 70. n ADHD vornehmlich Aufmerksamkeitsdefizit-Typ n ADHD vornehmlich Hyperaktiv-impulsiver Typ © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen 1 Epidemiologie der ADHD Klinische Untersuchung (DSM-III/-R-Kriterien) Studie Region Alter Jahre Prävalenzrate % Anderson et al. (1987) New Zealand 11 6.7 Offord et al. (1987) Ontario, CDN 4-16 4.3 Bird et al (1988) Puerto Rico, USA 4-16 9.5 Taylor et al. (1991) London, UK 6-8 5.0 Leung et al. (1996) Hong Kong 7 9.0 Costello et al. (1996) Southeastern USA 9,11,13 1.9 Verhulst et al. (1997) Netherlands 13-18 2.6 Steinhausen et al. (1998) Zurich, CH 6-17 5.2 Steinhausen et al. (1999) Zurich, CH 15-19 2.6 l Interviews und Beobachtung l Fragebögen und Beurteilungsskalen l Neuropsychologische Testung l Körperliche und neuromotorische Untersuchung l Labor-Tests l Differentialdiagnose © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Diagnostik Diagnostik ADHD/ODD-Fragebogen ADHD/ODD-Fragebogen ADHD/ODD-Lehrerfragebogen W ie zu treffend sin d d ie fo lgen den B eschreibung en für Ih ren Schüler/Ih re Schü lerin in den letzten 6 M on aten ? ADHD/ODD-L D iese B eschreib ung stim m t gar n icht Name .......................................... ID-Nummer |__|__|__|__|__|__| |__|__| |__|__| |__|__|__|__| Heutiges Datum |__|__| |__|__| |__|__|__|__| Geburtsdatum Ausgefüllt von ....................................... Abgegeben von ..................................................... Wie zutreffend sind die folgenden Beschreibungen für Ihren Schüler/Ihre Schülerin in den letzten 6 Monaten? Diese Beschreibung stimmt gar nicht 1. Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei Schularbeiten oder anderen Aufgaben. 2. Hat oft Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Hausaufgaben oder beim Spiel aufrechtzuerhalten. 3. ein wenig weitgehend vollständig Scheint bei direkter Ansprache nicht zuzuhören. 4. Führt Anweisungen nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten nicht zu Ende bringen. 5. Hat Schwierigkeiten, Aufgaben oder Aktivitäten zu organisieren. 6. Vermeidet oder beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die eine längere geistige Anstrengung erfordern. 7. Verliert Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten nötig sind (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte oder Bücher). 8. Lässt sich durch äussere Reize ablenken. 9. Ist bei Alltagstätigkeiten vergesslich. ein w enig vo llständig 10. Zappelt mit Händen oder Füssen oder rutscht auf dem Stuhl herum. © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Differentialdiagnosen -1• weitg ehend Differentialdiagnosen -2- Entwicklungsbedingte Hyperaktivität als normale Reifungsvariante, insbesondere im Kleinkind- und Vorschulalter • Deprivations- /Bindungsstörungen • Störungen des Sozialverhaltens • Organische Psychosyndrome (akut / chronisch) • Angststörungen • Erethie bei geistiger Behinderung • Affektstörungen • Frühkindlicher Autismus • Psychogene Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung - akut bei emotionaler Spannung - chronisch bei anhaltenden Konflikten und Spannungszuständen • Psychosen © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen 2 Ätiologie Therapie • wahrscheinlich polyätiologisch • relevante Faktoren : n Genetische Störungen n Neurotransmitterstörung (Noradrenalin, Dopamin) n Neurophysiologische Funktionsstörungen n Neuroanatomische Veränderungen n Neuropsychologische Funktionsstörungen n Ausgewählte Toxine (z.B. Alkohol) n Interaktionen mit psychosozialen Faktoren l Psychoedukation: Aufklärung / Beratung l Medikation, speziell Stimulantien l Verhaltensmodifikation in sozialen Kontexten (Familie, Kindergarten, Schule) l Selbstinstruktionstraining l Oligogene Diät l Integration der verschiedenen Ansätze l Behandlung komorbider Störungen © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Therapie Pharmakotherapie mit Stimulantien Medikation: Allgemeine Information Methylphenidat (RITALIN, MEDIKINET, EQUASYM) • Substanzen der Wahl: (1) Stimulantien; (2) Antidepressiva • Dauer der Therapie: prinzipiell nicht begrenzt • Dosis für Methylphenidat: 0.3-1.0 mg/KG/d; 2-3 /d • Nebenwirkungen von Methylphenidat: - Schlafstörungen, Appetitminderung, Dysphorie: eher zu Beginn - Motorische Tics bei prädisponierten Kindern: zusätzliche Gabe von Tiaprid oder Reduktion von MP - keine Verschlechterung von Krampfleiden - keine erhöhte Gefahr von Substanzmissbrauch 15 - 60 mg/d 0,30 - 1,0 mg/kg Dexroamphetamin (DEANOL) 10 - 40 mg/d 0,15 - 0,5 mg/kg Pemolin (TRADON) 0,50 - 2,0 mg/kg 20 - 120 mg/d © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Regeln für die Durchführung der Medikation Verhaltenstherapie • Ausschluss von Substanzmissbrauch in der Familie Prinzipien der Verhaltensmodifikation in sozialen Kontexten • Information von Kind, Eltern und Lehrern • Auflösung von Fehlinformationen • Individuelle Dosisgestaltung • Medikamentenpause in den Ferien • Regelmässige Überprüfung der Effekte l Identifikation spezifischer Problemsituationen und spezifischer Verhaltensprobleme l Kontinuierliches Aufzeichnen von Verhaltensverbesserungen l Analyse positiver und negativer Konsequenzen und Kontingenzen für angemessenes und problematisches Verhalten l Verbesserung der Wahrnehmung von Eltern / Lehrern in Supervisionssitzungen, wenn negative Interaktionen dominieren • Beachtung der Einstellung des Kindes zur Medikation • Kontrolle von Grösse, Gewicht, Puls und RR • Beachtung der Compliance © H.-C. Steinhausen -1- © H.-C. Steinhausen 3 Verhaltenstherapie Therapie Prinzipien der Verhaltensmodifikation in sozialen Kontexten l Vermittlung von effektiver Kommunikation l Einsatz von Münzverstärkung für angemessenes Verhalten l Einsatz von angemessenen negativen Konsequenzen für problematischesVerhalten (Verstärkerentzug und Verhaltensverträge) l Einbeziehung des Kindes als aktiven Teilnehmer des Therapieprozesses -2- Diäten l negative Evidenz für Salicylate, Farbstoffe und andere Zusätze, Zucker l begrenzt positive Evidenz für Nahrungsmittelintoleranzen (obligoantigene Diät) © H.-C. Steinhausen © H.-C. Steinhausen Verlauf Verlaufsformen • hohe Persistenz • Störungen des Sozialverhaltens, Straftaten und beeinträchtigte Lebensbewältigung • Risiko für die Entwicklung von Alkohol- und Drogenmissbrauch Empfohlene Literatur Symptomentwicklung • • • • Rückbildung der motorischen Unruhe stärkere Persistenz von Aufmerksamkeitsdefizit/Impulsivität Auswirkungen auf Schulleistungen/Beruf Selbstwertprobleme © H.-C. Steinhausen Literatur 4