Gesundheitsgespräch Depression – eine Krankheit auf dem Vormarsch Sendedatum: 08.04.2017 Experte: Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik an der Technischen Universität München Autor: Holger Kiesel Stimmungsschwankungen kennt jeder. Es ist Teil des Lebens, die Dinge mal optimistischer und mal pessimistischer zu betrachten. Bedenklich wird es erst, wenn man aus einem dunklen Tief mehrere Wochen nicht mehr herauskommt und noch zusätzliche Symptome auftreten. So kann bei einer Depression etwa der Schlaf massiv gestört sein. Oder die Betroffenen haben keinen Appetit mehr. Oder ihnen fehlt es erkennbar an Selbstwertgefühl. Viele auffällige Veränderungen können mit einer Depression einhergehen. Und all das kann nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch die Partnerschaft und die Familie schwer belasten. Der Text beruht auf einem Gespräch von Holger Kiesel mit Prof. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik an der Technischen Universität München. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Krankheitsbild - Wann spricht von einer Depression? Es ist prinzipiell nicht ganz einfach, gewöhnliche Verstimmungszustände von einer richtigen Depression mit Krankheitswert abzugrenzen. Der gefundene Kompromiss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet: Es werden Symptome gezählt. Sind ausreichend Merkmale wie z.B. Antriebslosigkeit, Verlust von Interesse oder Schlafstörungen in deutlicher Ausprägung über mehr als zwei Wochen hinweg vorhanden, besteht der Verdacht auf eine behandlungsbedürftige Depression. Dabei sollte allerdings erwähnt werden, dass es auch deutlich kürzere und zum Teil ernsthafte depressive Episoden geben kann. In Deutschland zeigen mehr als zehn Prozent der Bevölkerung im Laufe eines Jahres Symptome einer Depression, von denen aber nicht alle tatsächlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung entwickeln. Wann wird die Stimmungsschwankung zur Depression? Stimmungsschwankungen kennt jeder Mensch. Sie können innerhalb von Stunden oder Tagen auftreten, und man kann oft sogar von ihnen profitieren: Dinge mal aus einem eher optimistischen, mal aus einem eher pessimistischen Blickwinkel zu betrachten kann Menschen helfen, am Ende die bestmögliche Entscheidung in einer unübersichtlichen Angelegenheit zu treffen. Depressive Verstimmungen können als Signale unseres Organismus aufgefasst werden sich vor einer drohenden Überlastung zu schützen. Der Burnout Vom Burnout spricht man, wenn jemand aufgrund dauerhafter Arbeitsüberlastung depressiv erkrankt. Es handelt sich um keine eigene Diagnose, sondern quasi um eine Spielart der Depression. "Meiner Ansicht nach ist der Burnout ein Etikett, das es gerade Männern leichter macht, über ihre Depressionen zu sprechen! Wenn sie zu viel Arbeit als Erklärung für ihre psychischen Probleme heranziehen können, kommen sie damit häufig besser klar." Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik an der Technischen Universität München Es trifft mehr Frauen als Männer Die Depression gilt gemeinhin als Erkrankung, die mehr Frauen als Männer trifft. Das könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Frauen häufig kommunikativer sind und eher dazu bereit, auch über ihre Schwächen offen zu reden. Depressive Männer entwickeln oft andere auffällige Verhaltensweisen (z.B. heftige Aggressionen), die primär gar nicht mit Depressionen in Verbindung gebracht werden – auch nicht von den Betroffenen selbst. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 In welchem Alter kommt eine Depression? Depressionen können im Prinzip in jedem Lebensalter auftreten. Etwas überdurchschnittlich betroffen sind Menschen mittleren Alters. Aber auch ältere Menschen leiden häufiger an Depressionen. In dieser Altersgruppe sind sie zudem oft schwerer zu behandeln, da es hier häufig Auslöser und Ursachen gibt (Einsamkeit, Verluste, körperliche Gebrechen), die nicht so leicht in den Griff zu bekommen sind. Symptome der Depression Die Liste der möglichen Symptome bei Depressionen ist lang. Für den Verdacht einer derartigen Erkrankung sollten mindestens zwei Haupt- und zwei Nebenmerkmale länger als zwei Wochen vorhanden sein. Die Hauptsymptome sind: • depressive Stimmung • verminderter Antrieb • Verlust von Interesse und Freude Daneben können auftreten: • Schlafstörungen • Schuldgefühle • Appetitlosigkeit • negative Zukunftsperspektiven • schwaches Selbstwertgefühl • verminderte Konzentration • Suizidgedanken Auslöser und Begleitfaktoren – Wann wird man depressiv? Nicht immer, aber recht häufig gehen einer Depression erkennbare Auslöser voraus. Es ist jedoch selten eine einzelne, einwandfrei zu identifizierende Ursache. Meist handelt es sich um ein komplexes Geflecht von Umständen oder eine relativ rasche Abfolge von negativen (in seltenen Fällen aber auch mal positiven) Ereignissen. Mit jedem weiteren Schicksalsschlag steigt dann letztlich die Gefahr, dass sich eine Depression entwickelt. Woher die Depression kommt Für eine Depression ist durchaus nicht in jedem Einzelfall ein Grund auszumachen. Das hat damit zu tun, dass depressive Empfindungen sozusagen evolutionär in uns eingebaut sind. Sie verhindern, dass sich Menschen wie Maschinen in jeder Situation gleich verhalten. Sie bringen den Einzelnen dazu, auch bei gleichen Ausgangsbedingungen in seiner Reaktion zu variieren. Denn: Ein ausgewogenes Verhältnis von Optimismus und Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Pessimismus ist für unser Leben von Vorteil, um Entscheidungen abzuwägen und Risiken richtig einzuschätzen. Die Rolle der Gene Dass die Gene bei Depressionen eine relativ große Rolle spielen, ist sicher. Die genetischen Mitursachen affektiver Erkrankungen sind jedoch noch nicht annähernd ausreichend aufgeklärt. Bekannt ist jedoch beispielsweise, dass bestimmte Genvariationen die Ausschüttung und Wirksamkeit einzelner Botenstoffe im Gehirn (Dopamin, Serotonin) ungünstig beeinflussen. Damit erschweren diese Variationen ihren Trägern oft von Kindheit an die Bewältigung von Problemen und begünstigen somit Depressionen oder auch Suchtverhalten. Depressionen in der Familie Wer in der nahen Verwandtschaft Fälle von Depressionen hat, hat auch selbst ein höheres Risiko, an ihnen zu erkranken. Nicht nur aus genetischen Gründen, sondern auch durch die frühe prägende Erfahrung mit Depressivität. Aber er hat mitunter auch die Chance, frühzeitig erfolgreiche Strategien zu entwickeln, um besser mit Krisensituationen klarzukommen. Erhöhtes Demenz-Risiko Eine frühere Depression verdoppelt das Risiko, später an einer Demenz zu erkranken. Es gilt: Je schwerer die Depression war und je länger sie dauerte, umso höher ist das Risiko für eine Demenz. Der Grund: Die überdurchschnittliche Menge an Kortison, die während einer Depression langfristig ausgeschüttet wird, schädigt das Gehirn. Und: In depressiven Phasen haben wir kaum noch Antikörper gegen das Alzheimer-Protein Amyloid. Durch den bei einer Depression meist gestörten Schlaf wird auch weniger Alzheimer-Eiweiß aus dem Gehirn abtransportiert. Umfeld und Hilfe - Gute Ratschläge von außen Sätze wie 'Tu Dir doch mal was Gutes!' oder 'Denk doch positiv!' hören depressive Menschen häufig. Bei einer leichten Depression können solche Ratschläge auch durchaus hilfreich sein. In schwereren Fällen können sie von den Betroffenen jedoch einfach nicht mehr umgesetzt werden, führen deshalb oft zu eher abwehrenden Reaktionen und verschärfen so das Problem eher. "Als Angehöriger sollte man auf jeden Fall Hilfe und Unterstützung anbieten, sich aber nicht ständig aufdrängen!" Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik an der Technischen Universität München Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 Angehörige brauchen viel Kraft Angehörige von Depressiven müssen mit verschiedenen extremen Stimmungslagen der Betroffenen zurechtkommen. Neben der massiven Traurigkeit und Perspektivlosigkeit können zudem Aggressivität oder Selbstmordgedanken auch für das Umfeld sehr belastend sein. Ratschläge, wie Angehörige sich idealerweise verhalten sollten, kann man nur begrenzt geben. Natürlich wird man sich bemühen, die Betroffenen nach Kräften zu unterstützen. Hilfe richtig dosieren Aber: Dem Depressiven darf auch nicht zu viel abgenommen werden. Er sollte nicht in eine permanente Patientenrolle geraten, so dass er sich möglicherweise noch stärker als ohnehin schon entwertet fühlt. Gleichzeitig sollte Hilfe nicht mit einem permanenten unterschwelligen Vorwurf wegen der entstehenden Belastung verbunden sein. Kinder von Depressiven Besonders schwierig ist die Lage von Kindern von schwer depressiv Erkrankten. Sie geraten oft zu früh in eine Verantwortung für den erkrankten Elternteil, der sie sich nicht entziehen können. Sie stellen häufig ihre eigenen kindlichen Bedürfnisse hinten an, um die Familie zu stabilisieren und müssen ganz früh lernen, für andere da zu sein. Dadurch fehlt ihnen Zeit, sich selbst zu entwickeln und zu entfalten. Suizidgedanken ernstnehmen Wenn jemand öfter und eindringlich mit Suizid droht, muss man dies unbedingt ernst nehmen. Dies gilt besonders dann, wenn Mittel zur Selbsttötung direkt verfügbar sind. Dies erfordert in jedem Fall eine stationäre Behandlung. Hilfe bei Depressionen Die erste Anlaufstelle für Depressive und ihre Angehörigen ist meist der Hausarzt. Er kann in der Regel gut einschätzen, wann die Verschreibung eines Medikaments oder ambulante Hilfe ausreichen und wann fachärztliche Unterstützung nötig ist. Bei Bedarf kann der Hausarzt dann auch an den geeigneten Spezialisten weiterüberweisen. Hilfe nach einem Suizid Wenn jemand, der Depressionen hat, sich tatsächlich das Leben nimmt, finden Hinterbliebene Hilfe bei Vereinen wie DIE ARCHE e.V. in München oder AGUS e.V. bundesweit. http://www.die-arche.de/ https://www.agus-selbsthilfe.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 Medikamentöse Therapie - Wann helfen Antidepressiva? Antidepressiva helfen bei depressiven Symptomen im Prinzip immer. Besonders wirksam sind sie jedoch dann, wenn eine Depression nicht durch anhaltende schwierige Lebensumstände oder durch andere schwere Erkrankungen (Krebs etc.) verursacht wird. Heutige Antidepressiva sind noch wirksamer als frühere Präparate und haben deutlich weniger Nebenwirkungen. Auch die Gefahr einer Überdosierung ist viel geringer geworden. Antidepressiva machen nicht süchtig Antidepressiva machen nicht abhängig! Mit dieser kleinen Einschränkung: Einige Präparate haben eine gewisse aktivitätssteigernde Wirkung, die manche Menschen als positiv und verführerisch empfinden. Wie wirken Antidepressiva? Moderne Antidepressiva (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, auf Englisch abgekürzt SSRIs) machen die Botenstoffe im Gehirn, die für eine ausgeglichene Stimmung verantwortlich sind (vor allem Serotonin), länger verfügbar. Das heißt, sie verbleiben länger an den Rezeptoren im Gehirn und werden erst verzögert wieder von den Nervenzellen aufgenommen. Aber: Erst die in der Folge eintretenden Veränderungen innerhalb der Nervenzellen selbst erzeugen die eigentliche Wirkung. Deshalb dauert es auch einige Tage, bis diese sich einstellt. Nebenwirkungen der SSRIs Die Nebenwirkungen der SSRIs sind meist gering. Neben Schweißausbrüchen oder einer leichten Zittrigkeit kommt es bei Männern manchmal zu einer zeitweiligen erektilen Dysfunktion (Potenzstörung). Medikamente wirken zweifach Die Gabe von Medikamenten hat – gerade bei Depressionen – nicht nur einen pharmakologischen, sondern auch einen psychologischen Effekt. Schon die Verschreibung eines Antidepressivums kann eine gewisse heilende Wirkung haben. Andere Therapieformen - Psychotherapie bei Depressionen Natürlich wäre es wünschenswert, wenn jedem Depressiven mit Psychotherapie geholfen werden könnte. Aber nicht jeder Betroffene ist bereit und in der Lage, sich dieser Form der Behandlung zu öffnen. Außerdem ist es für den Erfolg einer Psychotherapie ganz entscheidend, dass die richtige Art der Behandlung gewählt wird. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 Psychotherapie hilft nicht jedem Psychotherapie ist nur bei einem bestimmten Grad der Depressivität wirksam einsetzbar. Ist die Depression zu stark ausgeprägt, kann der Betroffene mit dem Gesprächsangebot nicht umgehen. Ist sie dagegen zu leicht, gibt es für den Patienten oft keinen ausreichenden Ansporn zu einer engagierten Mitarbeit. Was leistet Psychotherapie bei einer Depression? Psychotherapie bei einer Depression muss den individuellen Bedürfnissen angepasst werden. So kann zum Beispiel in der Behandlung nach möglichen Ursachen geforscht werden. Dadurch können Betroffene auch lernen, belastende Situationen rechtzeitig zu erkennen, um sie dann entweder vermeiden oder besser mit ihnen umgehen zu können. An eigenen Schwächen arbeiten Zum Behandlungsprozess kann es auch gehören, den eigenen Anteil an seiner schwierigen Situation wahrzunehmen und sein Verhalten entsprechend zu verändern. Auch an problematischen Lebenshaltungen, die letztlich eine Depression begünstigen können, wie z.B. extremem Perfektionismus oder großer Abhängigkeit vom Lob und der Anerkennung anderer, kann in der Psychotherapie gearbeitet werden. So kann etwa herausgefunden werden, wo der Einzelne zu hohe Ansprüche an sich selbst hat, die ihn belasten oder wo er möglicherweise auch anderen zu viel abverlangt. Auswege aus der akuten Depression Ist ein Patient in einer akuten depressiven Phase, kann es in der Psychotherapie auch um konkrete Auswege gehen, damit er wieder mehr am Leben teilhaben und trotz seiner beschränkten Ressourcen wieder etwas leisten kann. Sozialpädagogische Maßnahmen Eine wichtige Säule der Behandlung neben der Psychotherapie sind sozialpädagogische Maßnahmen. Hierbei kann es beispielsweise um die Bewältigung entscheidender Lebensprobleme (z.B. Wohnungs- oder Jobsuche) gehen. So vermittelt diese Form der Unterstützung ganz praktisch Lebensmut und echte Perspektiven. Den Schlaf wieder regulieren Massiv gestörter Schlaf ist ein häufiges Symptom der Depression mit dem konkret gearbeitet werden kann und muss. Hier gilt die Devise: Das Bett ist nur zum Schlafen da – und nicht um sich über Schlaflosigkeit zu ärgern und die Symptome der Depression zu kultivieren. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 Kinder im seelischen Tief – Depression bei Kindern Experte: Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Autorin: Monika Dollinger Nicht nur Erwachsene, auch Kinder und Jugendliche können an Depression erkranken. Nach unterschiedlichen Schätzungen leiden zwischen zwei und vier Prozent der Kinder über zwölf Jahren zeitweise an einer Depression. Ebenso wie Erwachsene brauchen depressive Kinder und Jugendliche Hilfe – von ihren Eltern, ihren Freunden, ihren Lehrern - vor allem, weil sie selbst häufig ihre Krankheit nicht als solche erkennen. Besteht die Traurigkeit, der Rückzug und die verminderte Aktivität länger als zwei Wochen, sollte unbedingt eine professionelle Untersuchung durchgeführt werden, denn nur, wenn die Probleme des Kindes und Jugendlichen richtig erkannt und verstanden werden, ist wirksame Hilfe möglich. Der Text basiert auf einem Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 8 Wie man eine Kinderdepression erkennt – die Symptome Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Während sie bei Säuglingen und Kleinkindern sehr selten auftritt, leiden Kinder im Vor- und Grundschulalter schon öfter an einer Depression und ab der Pubertät steigt die Häufigkeit deutlich an. Eine Depression bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen, ist für die Eltern oft schwierig, weil die Jugendlichen zunehmend weniger über ihre Stimmung, Emotionen und Erleben mit den Eltern sprechen. Kinder jeden Alters können Depression bekommen. Vorschulalter Auch Vorschulkinder können bereits eine Depression entwickeln, die schwer zu diagnostizieren ist. "Wenn ein Kind in diesem Alter ohne einen aktuellen Anlass länger traurig ist, sehr oft die körperliche Nähe zur Mutter sucht und sich nicht trennen kann, Phasen der Antriebslosigkeit hat, dann ist auch an eine depressive Episode bei diesem Kind zu denken." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Für die Diagnostik ist wichtig, das Kind über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Beispiel: Hinweis für eine depressive Entwicklung kann sein, dass das Kind im Kindergarten nicht mehr spielen möchte, sich in eine Ecke zurückzieht, an den Gruppenaktivitäten nicht mehr teilnimmt und zudem über Kopf- und Bauchweh oder andere körperliche Beschwerden klagt. Durch die ärztliche Untersuchung wird klar, ob diese körperlichen Beschwerden tatsächlich Ausdruck einer körperlichen Erkrankung, oder ein Hinweis auf eine Depression sind. Schulalter Eine Depression bei Schulkindern tritt selten plötzlich auf, meist ist der Verlauf schleichend. Das Nachlassen der Schulleistungen, das Absinken der Noten sowie Rückzugsverhalten und eine zunehmende Teilnahmslosigkeit sind Hinweise für eine depressive Entwicklung. Auch im äußeren Erscheinungsbild verändern sich die Kinder. Veränderung des Erscheinungsbilds: • • Die Gestik ist weniger ausdrucksvoll, der Gesichtsausdruck ist manchmal wie erstarrt, und Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 • die Körperhaltung (z.B. hängende Schultern) drücken die gedrückte Stimmung in dieser Weise aus. Im Gegensatz zu den Vorschulkindern können Eltern ihr Schulkind gezielt fragen, wie sie sich fühlen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Fragen immer eine Gewissheit über das Vorliegen einer Depression geben. "Obwohl bereits Grundschüler aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage sind, über ihre Gefühle und ihr Erleben zu berichten, ist es für sie oft schwierig, über Traurigkeit und andere negative Gefühle zu sprechen." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Jugendliche Mit dem Eintreten der Pubertät nimmt die Häufigkeit der Depression zu, insbesondere bei Mädchen. "Wir beobachten in den letzten Jahren eine Zunahme von leichteren Formen depressiver Störungen." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Die Gründe hierfür sind unterschiedlich: • • • Gesellschaftliche Anforderungen an die Autonomieentwicklung junger Frauen, die zu früh kommen und nicht selten diese Mädchen überfordern. Hormonelle Faktoren Schulische Belastungen (weniger im Bereich der Leistungsanforderungen, aber z.B. Mobbing, Cybermobbing) Die Symptome der Depression bei Jugendlichen und im jungen Erwachsenenalter sind ähnlich: Lebensmüde Gedanken treten häufiger auf, vereinzelt ist die depressive Erkrankung auch der Hintergrund für einen Suizidversuch. Geschlechtsspezifische Unterschiede Jungen und Männer versuchen eher, Stimmungstiefs zu verstecken als Mädchen. Deshalb verhalten sich depressive Jungen manchmal anders als die Mädchen. "Während Mädchen sich häufig zurückziehen, verwickeln sich depressive Jungen in Streitereien, beschädigen Gegenstände, fallen auf. Bei diesen Verhaltensmustern denken viele Eltern und Lehrer anfangs nicht an eine Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 Depression. Dabei ist die Grundstimmung bei den Jungen ähnlich wie bei den Mädchen: Sie sehen für sich keine Zukunftsperspektive, fühlen sich wertlos und haben kein Selbstvertrauen." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Depression = Unaufmerksamkeit? "Bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) tritt nicht selten auch eine gedrückte Stimmung auf, ein vermindertes Selbstwertgefühl verbunden mit einer negativen Zukunftserwartung. Auch bei depressiven Kindern ist die Aufmerksamkeit häufig beeinträchtigt. Es handelt sich aber um zwei verschiedene Störungsbilder, die auch unterschiedlich behandelt werden. Tritt aber bei einer Depression zusätzlich ein ADHS auf, müssen beide Störungen entsprechend den kinder- und jugendpsychiatrischen Leitlinien behandelt werden." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Wie eine Depression entstehen kann – die Auslöser Kinder, deren Eltern oder nahe Verwandte zeitweise an einer Depression erkrankt waren, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Meist kommt zu dieser genetischen Komponente noch ein belastendes Ereignis, bevor sich eine Depression im Kindes- und Jugendalter einstellt. "Das kann der Tod eines Elternteils, schwere Erkrankungen in der Familie, Trennung der Eltern, aber auch traumatische Erlebnisse, wie körperlicher und psychischer Missbrauch sein." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Wichtig: "Wir gehen davon aus, dass es nicht die Ursache der Depression gibt, sondern dass ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren ursächlich ist. Kinder, bei denen die genetische Disposition vorliegt, dass sie belastende Lebenssituation anders verarbeiten und auf die zusätzlich schwierige Lebensereignisse einwirken, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Diagnostik der Depression bei Kindern • Im Vordergrund steht das Gespräch mit dem Kind und Jugendlichen, seinen Eltern und manchmal auch mit weiteren Familienmitgliedern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11 • • • Dabei geht es um Fragen zur Entwicklung, zur Kindergarten- und Schulzeit, zur Lebenssituation der Familie, vor allem zu dem Denken, Gefühlen und Stimmung des Kindes. Zusätzliche Informationen aus dem psychosozialen Umfeld, vom Kindergarten oder der Schule helfen, die Symptomatik besser einzuschätzen. Da nicht selten körperliche Beschwerden bei Schulkindern in Form von Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen geschildert werden, ist eine körperliche Untersuchung notwendig. Anhand von Testverfahren werden die Gefühle und die veränderte Wahrnehmung des Selbst und der störenden und belastenden Gedanken genauer bestimmt. Schulprobleme werden mit am häufigsten berichtet, vor allem ein unerklärliches Nachlassen der Leistungsfähigkeit. Daher ist eine Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten und des individuellen Begabungsprofil mit seinen Stärken und Schwächen notwendig. Wichtig: Die Diagnostik sollte unbedingt durch einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie durchgeführt werden. Denn oft wird eine depressive Störung übersehen oder Emotionen, Verhalten und Erleben der Kinder und Jugendlichen falsch verstanden. Begleitprobleme Depressionen treten häufig zusammen mit anderen psychischen Problemen (wie Angststörungen und Essstörungen) auf. Diese sollten erkannt und entsprechend behandelt werden. An all diesen Störungen erkranken häufiger Mädchen und Frauen. „Wenn Essstörungen und Depression zusammen auftreten, ist die Behandlung besonders schwierig und sollte stationär in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie erfolgen. Die Mädchen können aus eigenem Antrieb nicht mehr essen, magern ab, und ihr Leben ist ernsthaft bedroht.“ Prof. Schulte-Körne Alkohol und Drogen Depressive Jugendliche versuchen manchmal, sich selbst zu behandeln, und greifen aus diesem Grund zu Alkohol und Drogen. „Jugendlichen erleben dadurch eine kurzfristige Abnahme ihrer Ängste, sie fühlen sich für einen Moment weniger belastet.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 12 Allerdings ist für die Gesamtperspektive das Vorliegen von zwei Erkrankungen schlechter. Zusätzlich erhöht der häufige Konsum von Alkohol das Risiko für weitere psychische Erkrankungen und für schwerwiegend körperliche Schädigungen. Wie man eine Kinderdepression behandelt – die Therapie Eine depressive Episode sollte in jedem Fall behandelt werden. Die Dauer der Episoden ist unterschiedlich, von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Zwischen den Episoden gibt es längere Intervalle, in denen die Symptome kaum, manchmal gar nicht auftreten. Gerade in diesen Intervallen ist eine Behandlungsmotivation meist gering. Behandlungsleitlinie Kürzlich wurde eine aktuelle Behandlungsleitlinie veröffentlicht, in der alle wichtigen Strategien der Behandlung auf der Basis der aktuellen Forschung für Kinder und Jugendliche mit einer depressiven Episode zusammengestellt wurden: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-043.html Kinder in die kinder- und jugendpsychiatrische Klinik? Abhängig vom Schweregrad der Störung ist eine ambulante, stationäre oder teilstationäre Behandlung zu überlegen. Hier kann zunächst ein beobachtendes Zuwarten ausreichend sein. Besteht die Symptomatik länger als zwei Wochen oder nimmt zu, sollte mit einer ambulanten Behandlung begonnen werden. • Leichte depressive Episoden werden überwiegend ambulant, z.B. bei einem niedergelassenen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater behandelt. • Bei mittelschwerer oder schwerer Ausprägung ist eine stationäre Behandlung zu empfehlen. Vor allem wenn lebensmüde Gedanken vorliegen und Kinder bereits Pläne haben, wie sie diese Gedanken umsetzen, ist zum Schutz des Kindes eine geschützte Behandlung in einer Klinik notwendig. Wie Kinder therapiert werden Im Vordergrund der Behandlung steht die Psychotherapie, die sowohl einzeln und in Gruppen angeboten wird. Auf der Basis einer tragfähigen TherapeutPatient-Beziehung geht es um die Stärkung eigener Ressourcen. Damit sollen soziale Kompetenzen wiedererlangt, das destruktive und meist eingeengte Denken verändert und vor allem die Stimmung verbessert werden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 13 Auch die Eltern Bei jüngeren Kindern ist ein wichtiger Baustein die Einbindung der Eltern in die Behandlung. Die Entlastung von Schuldgefühlen, die oft belastende Gefühle der Eltern sind, die Entwicklung einer veränderten intrafamiliären Kommunikation mit Stärkung der positiven Affekte sind Bausteine der Elternarbeit. Medikamente – Nur bei schweren Formen sind Antidepressiva notwendig Bei Kinder und Jugendlichen mit mittelschwerer oder schwerer Depression können Medikamente sehr hilfreich sein. Es besteht jedoch das Problem, dass viele Medikamente für Kinder und Jugendliche nicht zugelassen sind, also keine ausreichende Anzahl von Studien vorliegen, die die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung zeigen. „Für sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ist ein Medikament, Fluoxetin, zur Behandlung bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Die vorliegenden Studien zeigen eine gute Wirksamkeit, die Kombination aus Psychotherapie (Verhaltenstherapie) und Medikament ist besonders zu empfehlen.“ Prof. Schulte-Körne. Das psychosoziale Umfeld nicht vergessen! Stress in der Schule oder mit Gleichaltrigen kann oft ein Auslöser einer depressiven Episode sein. Daher sollte die Schule und die „Peer-Gruppe“ in die Behandlungsplanung mit einbezogen werden. Oft werden Kinder und Jugendliche in der Schule übersehen, da sie eher still und zurückgezogen sind. Aufklärung der Lehrkräfte und eine unterstützende Lehrer-Schüler-Beziehung kann helfen, dass die psychotherapeutische Behandlung besser gelingt. Wichtig: Beziehung aufbauen und halten „Wichtig für den Behandlungserfolg ist der Beziehungsaufbau. Da Kinder und vor allem Jugendliche mit einer Depression sich selbst oft gar nicht als krank erleben, sondern eher als Versager, ist es wichtig, mit ihnen gemeinsam eine Perspektive zu erarbeiten. Ihnen fehlt oft die Kraft, vor sich liegende Aufgaben anzugehen oder die Hoffnung zu haben, dass sich etwas bessern könnte. Deshalb ist ein konstantes Angebot, auch wenn Rückschritte in Behandlung auftreten, das Mut macht und Hoffnung gibt, für die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen sehr wichtig.“ Prof. Schulte-Körne. Strukturierung des Alltags als Rahmen, um sich aufzurichten Depressive Kinder und Jugendliche brauchen nicht selten eine klare und transparente Tagesstruktur, die ihnen hilft, die vor ihnen liegenden Aufgaben an zu gehen und zu meistern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 14 Erfolge aufzeigen: „Du kannst es doch!“ „Eltern und Lehrer sollen auf Erfolge der Kinder hinweisen. So helfen sie, die negative Sichtweise zu verändern, indem sie von außen eine andere Sichtweise aufzeigen, die deutlich signalisiert: Ich sehe aber etwas Positives! Positive Signale setzen können alle: Eltern, Nachbarn, Freunde, aber auch die Lehrer!“ Prof. Schulte-Körne. Allerdings darf man nicht erwarten, dass diese Perspektive gleich übernommen wird. Nicht selten sind Eltern und Lehrer enttäuscht, dass trotz guten Zuredens sich nichts verändert. Dies erklärt sich durch die psychische Erkrankung, die es den Kindern und Jugendlichen erschwert, Perspektiven der Anderen zu übernehmen. Es ist daher ein wichtiges therapeutisches Ziel, den Kindern und Jugendlichen es zu ermöglichen, eine eigene positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die Rolle der Schule – Hilfe für die Eltern und das Kind Für Eltern ist es oftmals nicht einfach, mit ihrem depressiven Kind ins Gespräch zu kommen. Mit dem Alter kann sich dieses Problem verstärken. „Die Pubertät kennzeichnet sich auch dadurch, dass Jugendliche sich von den Eltern lösen und abgrenzen. Deshalb ist es manchmal für Menschen außerhalb der Familie, wie etwa Lehrer oder Ärzte, leichter, einen Zugang zu dem Jugendlichen zu bekommen.“ Prof. Schulte-Körne. Tipp: Ein Gespräch der Eltern mit den Lehrern kann deshalb nicht nur die schulische Situation verbessern helfen, sondern auch das Verhalten des Jugendlichen für die Eltern transparenter zu machen. Wichtig: Lob und Anerkennung durch die Lehrkräfte ...auch und gerade, wenn die schulischen Leistungen nachgelassen haben. „Lehrer sind hier gefordert, auch kleine Erfolge zu loben, das heißt nicht, dass alles schön geredet werden muss. Entscheidend ist, einen Schüler gerade auch dann anzusprechen und aufzurufen, wenn er sich nicht mehr meldet.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 15 Schulpsychologen können helfen Wenn die Beteilung im Unterricht zurückgeht, vielleicht auch die Noten schlechter werden, das Kind traurig ist und wenig im Kontakt zu den Mitschüler hat, sollte auch der schulpsychologische Dienst eingeschaltet werden. Wichtig: Für das betroffene Kind ist es wichtig zu erfahren: Du bist nicht dumm! Du bist auch nicht faul! Das ist nämlich ein typisches Erklärungsmuster, wenn die Noten absacken. „Gegenüber einem depressiven Schüler ist das aber völlig falsch! Denn bei schweren Depressionen kann die kognitive Leistungsfähigkeit zeitweise beeinträchtigt sein, weil das Denkvermögen so eingeengt ist und sozusagen die individuellen Ressourcen erschöpft sind. Daher steht im Vordergrund, die Wege zu bereiten, dass dem Jugendlichen fachärztliche bzw. psychotherapeutische Hilfen angeboten werden.“ Prof. Schulte-Körne. Hilfe für Eltern Im Einzelfall ist das Leben mit einem depressiven Kind oder Jugendlichen für die Eltern schwer auszuhalten. Es kostet viel Kraft und Nerven, immer wieder Geduld zu haben, Mut zu machen, aufzubauen, positive gegen negative Gedanken zu setzen, ungezählte Versuche zu unternehmen, Apathie und Antriebslosigkeit aufzubrechen. „Um mit dieser Problematik fertig zu werden, sollten Eltern entlastet werden, indem ihnen Unterstützung angeboten wird, zum Beispiel im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung des Kindes. Zusätzlich kann durch Besuch einer Elterngruppe Entlastung geschaffen werden, da Eltern erleben, wie es anderen Eltern geht und sehen, dass sie nicht allein mit ihrem Problem sind. Auch bietet dieses therapeutische Angebot den Eltern die Möglichkeit, Strategien zu lernen, wie sie ihr Kind zuhause unterstützen zu können.“ Prof. Schulte-Körne. Beschäftigung mit dem Tod Im Rahmen einer normalen Pubertätsentwicklung beschäftigen sich Jugendliche teilweise intensiv mit dem Thema Tod und der Endlichkeit des eigenen Lebens. „Da sich Gedanken an einen möglichen Selbstmord wie auch Selbstmordversuche häufig aus einer depressiven Episode heraus entwickeln können, sollte man im Gespräche zu diesem Thema Gesprächsbereitschaft signalisieren und das Gespräch auch suchen.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 16 Schlüsselfragen sind: • Bist du in einer Situation oder hast du dich schon einmal in einer Situation befunden, die du als ausweglos erlebt hast? • Hast du schon überlegt, wie du damit umgehst? • Hast du schon mal an Selbstmord gedacht? Wichtig: Die Gefahr eines Suizides kann nur durch eine fachärztliche Untersuchung beurteilt werden, daher ist bei lebensmüden Gedanken unbedingt der Kontakt zum Kinder- und Jugendpsychiater zu suchen. Prävention der Depression bei Kindern Die Folgen der Depression für die Kinder und Jugendlichen sind vielfältig. Oft geht die Störung mit schulischen Problemen einher, die Kinder erreichen einen niedrigen Schulabschluss, haben ein erhöhtes Risiko, weiter psychische Erkrankungen zu entwickeln. Daher ist es wichtig, möglichst frühzeitig eine depressive Entwicklung zu erkennen. Studie zur Früherkennung Im Rahmen von Studien am Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der LMU München wurden mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit zwei Verfahren entwickelt, die es dem niedergelassen Hausarzt und Kinderarzt ermöglichen, depressive Entwicklung frühzeitig zu erkennen. Es sind der sogenannte CHILD-S und der DesTeen. Dabei handelt es sich um kurze Fragebögen, die es erlauben, eine erste Einschätzung vorzunehmen, ob eine depressive Episode vorliegt oder nicht. Der Child-S hat nur acht Fragen ist für Kinder von 9-12 Jahren geeignet, der DesTeen beinhaltet 14 Fragen für Kinder zwischen 13 und 16 Jahren. Für Interessierte: Interessierte Praktiker können die beiden Screeninginstrumente kostenlos über die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie per Mail an das Forschungssekretariat (Frau Rupprecht) anfordern: [email protected] . Frühe Hilfe von Freunden Um der Stigmatisierung psychischer Erkrankung zu begegnen und insbesondere über depressive Störungen aufzuklären, wurde in einem Modellprojekt in München und in den angrenzenden Landkreise in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien untersucht, wie man durch Information die Schwelle für Jugendliche erniedrigen kann, sich bei einer drohenden Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 17 depressiven Entwicklung Hilfe zu suchen und wie kann man sich gegenseitig stärkt. Broschüre „Paul ganz unten“ Anhand der für das Jugendalter ansprechenden Broschüre „Paul ganz unten“ wird eine Geschichte von Jugendlichen erzählt, die bereits depressiv erkrankt waren und aktuell sind. Die Geschichte spielt in einer größeren Gruppe von Jugendlichen und zeigt Wege auf, wie Jugendliche die Erkrankung erleben, wie die Umwelt darauf reagiert und wie professionelle Hilfe aussieht. “Paul ganz unten“ wurde an über 600 Neuntklässlern aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien in München Stadt und Land mit Unterstützung von Gesund.Leben.Bayern evaluiert. Schülerinnen und Schüler aller Schulformen konnten von der Broschüre profitieren und ihr Wissen zu Depression signifikant steigern. Dieser Effekt war auch einen Monat später noch nachweisbar. Außerdem wurde die Broschüre von den Schülern sehr gut angenommen und als hilfreich eingeschätzt, um sich mit dem Thema Depression besser auszukennen. Die Aufklärungsbroschüre kann somit einen Beitrag dazu leisten, Hürden auf dem Weg in eine Behandlung abzubauen und Stigmata gegenüber Betroffenen zu verringern. Da die Broschüre nachgewiesenermaßen wirksam ist in der Wissensvermittlung und eine hohe Akzeptanz in der Zielgruppe besitzt, ist eine Verbreitung in den weiterführenden Schulen Bayerns wünschenswert. Hilfe für Familien – PRODO PRODO ist ein familienbasiertes Präventionsprogramm zur Reduktion des Erkrankungsrisikos für eine depressive Störung und zur Verbesserung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Einer der wichtigsten Risikofaktoren für das Auftreten einer depressiven Störung ist das Vorliegen einer depressiven Störung eines Elternteils. Kinder und Jugendliche, bei denen mindestens ein Elternteil an einer depressiven Störung erkrankt ist, weisen ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko auf, selbst an einer depressiven Störung zu erkranken - gegenüber Kindern und Jugendlichen, deren Eltern nicht depressiv sind. Zwölf Sitzungen à 90 Minuten Das Programm ist für vier bis fünf Familien gestaltet und besteht aus zwölf Sitzungen, die jeweils 90 Minuten dauern. An manchen Sitzungen nehmen Eltern und Kinder zusammen teil, während andere getrennt durchgeführt werden. Hauptbestandteile des Programms sind Edukation über Depression, Verbesserung der Bewältigungsstrategien des Kindes und Verbesserung der Erziehungsfähigkeiten des Elternteils. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 18 Probanden gesucht! Mit Unterstützung von Gesund.Leben.Bayern wird das Präventionsprogramm hinsichtlich seiner Wirksamkeit untersucht. PRODO richtet sich an Familien mit mindestens einem Elternteil, der an einer depressiven Episode erkrankt ist (oder war, seit Geburt des Kindes). Die teilnehmenden Kinder sollten zwischen 8 und 17 Jahre alt und weder aktuell noch jemals an einer depressiven Störung erkrankt oder deswegen in Behandlung gewesen sein. Sollten Sie Fragen zu der Studie haben, oder bei Interesse an einer Teilnahme der Studie, können Sie sich gerne wenden an: Dr. Belinda Platt Telefon: 089 - 4400 56932. Email: [email protected] http://www.prodo-studie.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 19