Physik für Ingenieure I+II Ludger Santen Vorlesungsmanuskript Saarbrücken, WS 2004/05, SS 05 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Mechanik - Ein Crashkurs 2.1 Die Newton’schen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Kräfte und das 1. Newton’sche Gesetz . . . 2.1.2 Der Impuls und das 2. Newton’sche Gesetz 2.1.3 Das 3. Newton’sche Gesetz . . . . . . . . . 2.2 Impuls und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Erhaltung der Energie . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Kinetische Energie . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Eindimensionale Stoßprozesse . . . . . . . . 2.2.5 Potenzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Drehbewegungen und die Rotationsenergie . . . . . 2.3.1 Die Bewegungsgleichungen für Rotationen . 2.3.2 Der Drehimpuls und das Drehmoment . . . 2.4 Das Gravitationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Gravitationskraft . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Das Gravitationspotenzial . . . . . . . . . . 2.4.3 Kreisförmige Orbitale . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Die reduzierte Masse . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Die Kepler’schen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 3 4 5 7 7 8 8 10 11 12 15 16 18 18 19 20 20 21 3 Schwingungen 3.1 Einfache harmonische Schwingungen . . . . . . . . . . 3.2 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Schwache Dämpfung . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Starke Dämpfung (Kriechfall) . . . . . . . . . . 3.2.3 Kritische Dämpfung (Aperiodischer Grenzfall) 3.3 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Überlagerung der Schwingungen . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Schwebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Gekoppelte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 25 28 28 30 30 31 32 32 34 34 36 i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii INHALTSVERZEICHNIS 4 Quantenmechanik 4.1 Grundlagen der Quantenphysik . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Bausteine der Materie . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Struktur des Atomkerns . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Photoeffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Impuls des Photons: Der Compton-Effekt . . . . . 4.3 Teilchen-Welle Dualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Die Wellenfunktion eines freien Teilchens . . . . . 4.4.2 Interpretation der Wellenfunktion . . . . . . . . . 4.4.3 Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Die Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Bewegung in einem zeitunabhängigen Potential . . 4.4.6 Stationäre Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Teilchen in eindimensionalen Potentialen . . . . . . . . . . 4.5.1 Der endliche Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Die Potentialbarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 “Eingesperrte Teilchen” . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Quantenzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Der quantenmechanische Oszillator . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Das Korrespondenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Quantensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Das Wasserstoffatom . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Atomspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3 Eigenschaften von Atomen . . . . . . . . . . . . . 4.7.4 Der Spin des Elektrons . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.5 Der Drehimpuls und magnetische Dipolmomente . 4.8 Kernspinresonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1 Das Pauli-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2 Der Aufbau des Periodensystems . . . . . . . . . . 4.8.3 Bestimmung der Elemente durch Röntgenstrahlung 4.9 Laser und Laserlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.1 Die Funktionsweise eines Lasers . . . . . . . . . . . 4.9.2 Der He-Ne Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 39 39 40 40 41 42 42 43 45 45 46 47 48 48 49 49 50 51 51 53 55 57 57 58 58 58 59 63 64 64 66 67 68 69 70 70 71 A Konservative Kräfte 81 A.1 Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A.2 Konservative Kräfte und Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Kapitel 1 Einleitung 1 2 Kapitel 1. Einleitung Kapitel 2 Mechanik - Ein Crashkurs Wir wollen in diesem Abschnitt einige Grundbegriffe der Mechanik ansprechen, die für das Verständnis des weitereren Vorlesungsprogrammes von Bedeutung sind. Für eine umfassende Einführung in dieses Gebiet sei auf die Vorlesung “Technische Mechanik” verwiesen. 2.1 2.1.1 Die Newton’schen Gesetze Kräfte und das 1. Newton’sche Gesetz Wenn sich ein Körper in einem Ruhezustand befindet, bedeutet dies, dass die Kräfte, die auf ihn wirken, sich gegenseitig aufheben. F3 F2 F1 Bsp.: Ein Stab wird mit einem Faden an einem Nagel aufgehängt. Auf den Stab wirkt natürlich die Schwerkraft, die von der Aufhängung kompensiert werden muss. Ist dies der Fall, so gilt: F1 + F2 + F3 = 0 Wichtig ist dabei, dass die Kraft eine vektorielle Größe ist, d.h. durch ihren Betrag und ihre Richtung festgelegt wird. Allgemein kann man festhalten, dass bei Objekten in einer Ruhelage, die resultierende Kraft auf das Objekt verschwindet, also F = F1 + F2 + . . . + FN = N X i=1 3 Fi = 0 4 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs ist. Die Bestimmung der auftretenden Kräfte, auch bei ruhenden Objekten, ist in der Konstruktion von entscheidendem Interesse. Bei statischen Berechnungen muss nämlich überprüft werden, ob die ausgewählten Materialien den Anforderungen gerecht werden. Die Einheit der Kraft ist 1 Newton = 1N = 1 kg sm2 . Genau wie die Kraft ist auch die Geschwindigkeit eine vektorielle Größe. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Kraft und Geschwindigkeit besteht allerdings darin, dass Geschwindigkeiten relative Größen sind. Gewöhnlich messen wir Geschwindigkeiten, z.B. die eines Autos, relativ zur Erdoberfläche. Geschwindigkeiten werden in Einheiten von m/s gemessen. Bsp.: Auf einem Kreuzfahrtschiff, das sich mit der Geschwindigkeit v1 relativ zur Wasseroberfläche bewegt, geht ein Mann mit der Geschwindigkeit v2 von Steuerbord nach Backbord (d.h. von rechts nach links, wenn man vom Heck in Richtung Bug schaut). Damit ergibt sich dann die Geschwindigkeit v = v1 + v2 relativ zur Wasseroberfläche. v2 v v1 Nachdem wir Kräfte und Geschwindigkeit eingeführt haben, lässt sich auch das 1. Newton’sche Gesetz formulieren. Es besagt “Jeder Körper bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit, wenn die resultierende Kraft, die auf ihn wirkt, verschwindet.” Bem.: Der Betrag der Geschwindigkeit muss nicht von Null verschieden sein, d.h. die Ruhelage ist miteingeschlossen. 2.1.2 Der Impuls und das 2. Newton’sche Gesetz Die Umkehrung des 1. Newton’schen Gesetzes besagt, dass die Geschwindigkeit eines Körpers sich ändert, wenn eine Kraft auf ihn wirkt. Weiterhin wissen wir aus der täglichen Erfahrung, dass die Kraft, die wir zur Beschleunigung benötigen, von der Masse des Körpers abhängt. Eine Größe, die von Masse und Geschwindigkeit abhängt, ist der Impuls p = mv Wird ein Körper beschleunigt, so stellt dies eine Änderung des Impulses dar. Der Zusammenhang zwischen Impulsänderung und Kraft ist Gegenstand des 2. Newton’schen Gesetzes “Die resultierende Kraft auf einen Körper ist identisch mit der Rate der Impulsänderung” oder F= dp dt . 5 2.1. Die Newton’schen Gesetze Für konstante Massen entspricht dies F = m dv dt =: ma. Bem.: Das Gleichheitszeichen gilt nur in SI-Einheiten, d.h. die Einheit 1N = 1 kgs2m ist gerade so gewählt, dass die in F ∝ dp dt auftretende Proportionalitätskonstante 1 ist. Bsp.: Welche Geschwindigkeit hat ein Block der Masse 1000 kg, der sich auf einem Luftkissen reibungslos bewegen kann, wenn man 10 s lang eine Kraft von 10 Newton aufwendet und der Block zu Beginn ruht (die Kraft wirkt in x-Richtung)? Antwort: Wir brauchen nur die x-Komponente zu betrachten. Da die Kraft konstant ist, gilt: px ⇒ px = Fx ∆t ∆t 10 kgs2m · 10 s Fx ∆t m = = 0.1 m 1000 kg s Fx = ⇒ Vx = Diese Rechnung zeigt, dass wir relativ kleine Kräfte aufbringen müssen, um große Massen in Bewegung zu setzen, wenn wir die Reibung vernachlässigen können. Diese Tatsache wird z.B. bei großen Meßapparaturen von Teilchenbeschleunigern angewandt, die auf Luftkissentischen angebracht sind. Bei angeschaltetem Luftkissen können diese Apparaturen trotz ihrer großen Masse leicht neu ausgerichtet werden. 2.1.3 Das 3. Newton’sche Gesetz Bei der Betrachtung von statischen Gleichgewichten haben wir gesehen, dass sich Kräfte gegenseitig aufheben. Dies sei nochmal anhand eines Stuhles, der auf dem Fußboden steht, erläutert. Auf den Stuhl wirkt die Gewichtskraft, die den Stuhl nach unten zieht. Diese Kraft wird durch die Kraft, die der Fußboden auf den Stuhl ausübt, gerade kompensiert. Das dritte Newton’sche Gesetz erweitert diese Beobachtung auch auf sich bewegende Objekte: “Falls ein Objekt A eine Kraft F auf ein Objekt B ausübt, übt das Objekt B eine Kraft −F auf das Objekt A aus.” Bei statischen Gleichgewichten, wie in dem Beispiel des Stuhles auf dem Fußboden, ist dieses Gesetz Bestandteil unserer Alltagserfahrung. Man sollte sich aber vor Augen führen, dass das 3. Newton’sche Gesetz auch gilt, wenn z.B. ein Fallschirmspringer die Gravitationskraft der Erde erfährt. Auch hier wirkt eine Gegenkraft durch den Fallschirmspringer auf die Erde, die allerdings deren Dynamik nicht spürbar beeinflusst. Bsp.: Eine Lokomotive zieht zwei Wagons der Masse m = 1000 kg. Sie beschleunigt mit a = 1 sm2 . Was sind die Kräfte zwischen Lok und erstem Wagon und zwischen den beiden Wagons? F2 Lsg.: −F2 F1 −F1 6 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Die Kraft auf den zweiten Wagon ist F2 = ma (wir betrachten nur die nicht verschwindende Komponente von Fi ). Da auch der zweite Wagon mit a beschleunigt, muss auf ihn eine resultierende Kraft ma = F1 − F2 wirken, also F1 = 2ma. Anwendung der Newton’schen Gesetze: Der Raketenantrieb Wir betrachten einen Satelliten, auf den keine Kräfte wirken, wie z.B. an einem Punkt, an dem sich die Gravitationsfelder von Sonne und Erde aufheben. Der Satellit sei vom Kurs abgekommen. Daher muss von der Bodenstation aus eine Steuerrakete gezündet werden. Nach der Zündung strömt heißes Gas mit der Geschwindigkeit −vg relativ zur Rakete aus. Die Rakete brennt während des Zeitraums δt und verändert dabei ihre Masse um δm < 0. Die Impulsänderung des Gases ist daher: δp = −δm vg Damit ergibt sich nach dem zweiten und dritten Newton’sches Gesetz, dass die Kraft F = δm δp = vg δt δt auf den Satelliten wirkt. Die Richtung der Kraft auf den Satelliten ist der Austrittsrichtung entgegengesetzt. Falls die Gesamtmasse M sehr viel größer ist als δm (M ≫ δm), müssen wir die Änderung von M in unserer Bilanz nicht berücksichtigen und können die Geschwindigkeitsänderung des Satelliten δv leicht angeben: F =M δm δm δv = vg ⇒ δv = vg . δt δt M Wir wenden uns nun dem Fall zu, dass die Gravitationskraft nicht verschwindet und die Masse der Rakete als veränderlich angesehen werden muss, also der Situation beim Start. Die Rakete bewege sich wiederum gradlinig, so dass wir mit skalaren Geschwindigkeiten und Impulsen rechnen können (siehe Abb. 2.6). Der Impuls der Rakete zum Zeitpunkt t sei p = M v. Zum Zeitpunkt t + dt hat die Rakete den Impuls p′ = (M + dM )(v + dv) − U dM = M (v + dv) + vg dM, (2.1) (2.2) Die Geschwindigkeit vg = (v + dv) − U ist die (konstante) Austrittsgeschwindigkeit des Gases, v die Geschwindigkeit der Rakete und U die Geschwindigkeit des Gases relativ zu einem Beobachter auf der Erde. Als äußere Kraft wirkt die Gravitationskraft (Reibungskräfte werden wiederum vernachlässigt), so dass sich im Zeitintervall [t, t+dt] die folgende Impulsänderung ergibt: dp = p′ − p = M dv + vg dM = −gM dt , so dass sich die Raketengleichung dv = −vg dM − g dt M (2.3) 7 2.2. Impuls und Energie Abbildung 2.1: (a) Eine beschleunigte Rakete der Masse M zum Zeitpunkt t. Die Rakete hat die Geschwindigkeit v relativ zum Beobachter. (b) Dieselbe Rakete zum späteren Zeitpunkt t + dt, wobei U die Geschwindigkeit des austretenden Gases relativ zum Beobachter ist. (Aus: Halliday et al., Physik) ergibt. Die Raketengleichung ist eine partielle DGL mit den zeitabhängigen Variablen v(t), M (t). Solche Gleichungen lassen sich normalerweise nicht analytisch lösen. Hier liegt aber der Fall getrennter Variablen vor, so dass wir die Terme einzeln integrieren können: Zv 0 dv = −vg ZMf dM −g M Mi Zt dt 0 und damit ⇒ v(t) = vg ln Mi − gt Mf Wir haben dabei vorausgesetzt, dass die Rakete beim Start (t = 0) die Masse Mi und zum Zeitpunkt t die Masse Mf hat. Als Anfangsgeschwindigkeit wurde v = 0 gewählt. 2.2 2.2.1 Impuls und Energie Die Impulserhaltung In jedem abgeschlossenen System ist der Gesamtimpuls erhalten. Dies lässt sich leicht durch Anwendung der Newton’schen Gesetze herleiten. Wir betrachten ein System von N Teilchen mit den Massen mi und den Geschwindigkeiten vi . Der Gesamtimpuls des N P Systems sei p = mi vi . Wenn keine äußere Kraft auf das System wirkt, muss die i=1 8 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Summe der Kräfte Fi (Fi ist die Kraft, die auf das i-te Teilchen wirkt), verschwinden, N P d.h. Fi = 0. n=i Wenn wir nun die zeitliche Änderung des Gesamtimpulses betrachten, gilt: d p = dt N N X d d X mi vi = (mi vi ) dt dt n=i n=i = |{z} N X Fi = 0 2. Newton’sches Gesetz n=i Damit lässt sich also das Impulserhaltungsgesetz formulieren: “Der Impuls eines beliebigen abgeschlossenen Systems bleibt erhalten, wenn keine resultierende äußere Kraft auf das System wirkt.” 2.2.2 Erhaltung der Energie Um Kräfte generieren zu können, brauchen wir Energie, wie wir aus leidvoller Erfahrung beim Autofahren wissen. Damit der Energiebegriff in physikalischen Gesetzen anwendbar ist, müssen wir ihn sinnvoll definieren und mit einer Einheit versehen. Die Definition von Arbeit lautet: geleistete Arbeit := Kraft · Weg in Richtung der Kraft W := F · r (2.4) 2 Die Einheit der Arbeit ist Joule = 1 kgm . Genauso wie für den Impuls gilt auch für s2 die Energie ein Erhaltungssatz: “Die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems ist konstant” Diesen Erhaltungssatz kann man nicht direkt im Experiment überprüfen. Es zeigt sich aber, dass theoretische Betrachtungen, die die Energieerhaltung voraussetzen, zu korrekten Ergebnissen führen. 2.2.3 Kinetische Energie Wir wollen uns nun mit der Energie, die mit der Bewegung eines Körpers verknüpft ist, beschäftigen. Eine besonders einfache Situation ist die eines frei fallenden Körpers im konstanten Schwerefeld. Nach einer Zeit t erreicht der anfangs ruhende Körper die Geschwindigkeit1 v = gt. Er hat dabei den Weg s = 21 gt2 zurückgelegt. Entlang dieses 1 Wir betrachten wiederum nur die relevante Komponente von Geschwindigkeit und Schwerkraft, so dass beide Größen wie ein Skalar behandelt werden können. 9 2.2. Impuls und Energie Weges (der parallel zur Richtung der Schwerkraft verläuft) wirkt die Kraft F = mg auf den Körper. Damit ist die Arbeit, die geleistet wurde: E= 1 1 1 2 gt · mg = m(gt)2 = mv 2 2 2 2 Auf Grund der Energieerhaltung muss die geleistete Arbeit gleich der Energie sein, die in der Bewegung des Körpers gespeichert ist. Damit ist also die kinetische Energie des Körpers der Masse m: 1 mv 2 2 Ekin = Bem.: 1. Man kann auch für nicht geradlinige Wege und variable Kräfte zeigen, dass Ekin = 1 2 2 mv ist. 2. Der Schwerpunkt eines Systems von N-Teilchen mit den Massen mi und den Geschwindigkeiten vi wird durch R= N P mi ri i=1 N P = i=1 mi i=1 definiert, wobei die Gesamtmasse N P N 1 X mi ri M mi des Systems mit M bezeichnet wird. i=1 Wenn man die Lage der Körper relativ zum Schwerpunkt beschreibt, führt man ein spezielles Koordinatensystem ein, das sog. Schwerpunktsystem. Diese Wahl des Koordinatensystems hat folgende Konsequenzen: (i) Der Gesamtimpuls der Teilchen im Schwerpunktsystem verschwindet. Es sei: r′i = ri − R N d 1 X d ′ r = (ri − R) = vi − pi = vi′ ⇒ dt i dt M i=1 Damit gilt für den Gesamtimpuls: P = N X mi vi′ = i=1 i=1 = N X i=1 N X mi vi − M M N 1 X mi (vi − pj ) M j=1 N X j=1 so dass sich die obige Behauptung ergibt. pj = 0 , 10 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs (ii) Die kinetische Energie ist minimal, wenn sich der Beobachter mit dem Schwerpunkt bewegt. Für einen beliebigen Beobachter gilt: 1 ′ Ekin = Ekin + MV 2 2 , wobei V 2 der Betrag der Geschwindigkeit des Schwerpunktes relativ zum N P ′ mi (vi′ )2 Beobachter ist, und Ekin = 12 i=1 2.2.4 Eindimensionale Stoßprozesse Zur Betrachtung von Stoßprozessen müssen wir sowohl die Impuls- als auch die Energieerhaltung heranziehen. Zur Einführung betrachten wir folgendes Beispiel: v (a) v (b) Abbildung 2.2: (a) Ein Wagon der Masse m rollt mit der Geschwindigkeit v auf zwei stehende Wagons der gleichen Masse. (b) Die drei gekoppelten Wagon bewegen sich mit der Geschwindigkeit v ′ fort. Ein Wagon wird mit der Geschwindigkeit v auf zwei stehende Wagons gelenkt und angekoppelt. Die Impulserhaltung besagt, dass die Geschwindigkeit der drei Wagons nach dem Stoß v/3 ist, so dass der Gesamtimpuls nach wie vor p = mv ist. Was ist aber über die kinetische Energie zu sagen? Vor dem Stoß gilt: Ekin = 21 mv 2 , und nach dem Stoß Ekin = 32 m( v3 )2 = 16 mv 2 . Es ist also nur 31 der ursprünglichen kinetischen Energie erhalten geblieben, der Rest ist in Wärmeenergie umgewandelt worden. Einen Stoßprozess, bei dem die kinetische Energie vor und nach dem Stoß unterschiedlich ist, bezeichnet man als inelastischen Stoß; gilt neben der Impuls- auch Energieerhaltung, ist der Stoß elastisch. Ein Maß dafür, inwieweit der Stoß elastisch ist, ist der Restitutionskoeffizient r. Er gibt das Verhältnis der Relativgeschwindigkeiten vor (v1 − v2 ) und nach (v1′ − v2′ ) dem Stoß an: r := − v1′ − v2′ v1 − v2 (2.5) Bsp.: Autos sind so konstruiert, dass sie sich bei einem Aufprall auf ein Hindernis in Abhängigkeit von der Geschwindigkeitsdifferenz unterschiedlich stark deformieren. Bei kleinen Geschwindigkeitsdifferenzen ∆v sollen Schäden am Fahrzeug vermieden werden, so dass der Stoß möglichst elastisch erfolgen soll. Bei großen Werten von ∆v hingegen, müssen die Kräfte, die auf die Fahrzeuginsassen wirken, begrenzt werden, 11 2.2. Impuls und Energie 1 r 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 20 40 60 80 100 120 ∆V [km/h] Abbildung 2.3: Typischer Verlauf des Restitutionskoeffizienten r beim Heckaufprall in Abängkeitkeit von der Geschwindigkeitsdifferenz ∆V der beiden Fahrzeuge. um Verletzungen zu vermeiden. Daher hat der Restitutionskoeffizient den in Abb. 2.3 dargestellten Verlauf. Wenn wir davon ausgehen, dass beide Fahrzeuge die gleiche Masse m haben und Fahrzeug 1 mit der Geschwindigkeit v auf das stehende Fahrzeug 2 prallt, ergibt sich für die Geschwindigkeiten vi′ nach dem Stoß: 1 1−r (1 + r)v ; v1′ = v 2 2 Im Extremfall kann also die Geschwindigkeitsdifferenz um die Hälfte reduziert werden. Durch die Deformation werden die auftretenden Beschleunigungen weiter reduziert, da das Abbremsen entlang eines längeren Weges erfolgen kann. v2′ = 2.2.5 Potenzielle Energie Wenn wir die Bewegung eines Tischtennisballes verfolgen, den wir aus einer Höhe h auf eine Platte fallen lassen, sehen wir, dass der Ball zunächst beschleunigt bis er auf die Platte trifft. Setzt man voraus, dass der Stoß mit der Platte elastisch ist, d.h. kein Impulsübertrag erfolgt und der Luftwiderstand zu vernachlässigen ist, kehrt der Ball auf die ursprüngliche Höhe zurück. Die Geschwindigkeit des Balles an der Platte lässt sich leicht berechnen: Der Weg, der bei konstanter Beschleunigung zurückgelegt wird, v = gt. ist zur Zeit t: h = 12 gt2 . Zur selben Zeit t hat der Ball die Geschwindigkeit √ Damit ergibt sich h = 21 g( vg )2 oder für die Geschwindigkeit v = 2 gh. Die kinetische Energie ist also beim Aufprall Ekin = 12 mv 2 = mgh. Wegen der Energieerhaltung muss der Ball auch auf der Höhe h dieselbe Energie besitzen. Die Energie, die durch die Lage des Balles im Gravitationsfeld gespeichert ist, nennt man Potenzielle Energie. Sie hat in der Höhe h den Wert Epot = mgh. Schließlich wollen wir noch die Gesamtenergie des Balles auf der Höhe 0 ≤ z ≤ h berechnen: 1 mv 2 (z) + mgz E = Eh + Ep = 2 1 m(2g(h − z)) + mgz = mgh = 2 12 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Die Erhaltung der Gesamtenergie ist also durch die Einführung der potenziellen Energie zutreffend beschrieben. Kinetische Energie wird aber nicht in jedem Fall in einer Energieform gespeichert, die später wieder in kinetische Energie umgewandelt werden kann. Beispiel hierfür sind inelastische Stöße oder Bewegungen, bei denen Reibung auftritt. Bei diesen Systemen wird kinetische Energie in Wärmeenergie umgewandelt, die bei der Energieerhaltung berücksichtigt werden muss. Der Unterschied zwischen Bewegungen, bei denen die Umwandlung von kinetischer in potenzielle Energie vollständig oder nur partiell erfolgt, besteht darin, dass im Fall der vollständigen Umwandlung die Ep nur von der Postition r abhängt und nicht vom Weg, auf dem man zu dieser Position gelangt. Kräfte, die mit dieser Eigenschaft der potenziellen Energie verträglich sind, nennt man konservativ. Ein Beispiel einer solchen Kraft ist die Kraft auf einen Körper im Gravitationsfeld. Reibungskräfte sind dagegen nicht konservativ. Bem.: Man kann die Bedingung dafür, dass eine Kraft konservativ ist, einfach dadurch formulieren, dass die Arbeit, die entlang eines beliebigen geschlossenen Weges im Kraftfeld geleistet werden muss, verschwindet, also: I F · ds = 0 Die Berechnung eines solchen Wegintegrals wird im Anhang erläutert. Potenzielle Energie einer Feder: Bei vielen Federn ist zumindest über einen gewissen Bereich der Auslenkung x das Hook’sche Gesetz erfüllt. Das Hook’sche Gesetz besagt, dass die rücktreibende Kraft der Feder proportional zur Auslenkung ist, also F = −kx, wobei k die Federkonstante bezeichnet. Die potenzielle Energie einer Feder ist daher Epot (x) = − Zx kx′ dx′ = 1 2 kx 2 0 für die Auslenkung x. 2.3 Drehbewegungen und die Rotationsenergie Drehbewegungen lassen sich gut anhand von Drehungen von Fahrradrädern illustrieren. Wenn man ein Fahrrad auf den Kopf stellt und das Vorderrad dreht, lassen sich die Umdrehungen pro Zeiteinheit (sie werden oft in Umdrehungen pro Minute (U/min) angegeben) einfach dadurch ermitteln wie häufig das Ventil nach oben gelangt. Will man aber Bewegungsgleichungen für die Drehbewegungen formulieren, ist es häufig günstiger, die Winkelgeschwindigkeit ω zu betrachten. Einer vollen Umdrehung entspricht ein Drehwinkel von 360◦ oder 2π. Damit ist die Winkelgeschwindigkeit bei 60 U/min identisch mit ω = 2π rad s . Allgemein ist der Betrag der Winkelgeschwindigkeit durch ω= dΘ dt 13 2.3. Drehbewegungen und die Rotationsenergie ds dΘ r Abbildung 2.4: Im Zeitintervall dt legt das Ventil, das sich im Abstand r von der Drehachse befindet, den Weg ds zurück. Der Winkel, der dabei überstrichen wird ist dΘ. definiert, wobei dΘ der im Zeitintervall dt überstrichene Winkel ist (siehe Abb. 2.4). Wenn wir annehmen, dass das Ventil unseres Rades im Abstand r von der Drehachse ist, legt es bei einer Drehung um dΘ den Weg ds = dΘ · r zurück. Damit ist dann die Geschwindigkeit des Ventiles ds dΘ =r = rω. dt dt Mit der Drehung ist auch eine Rotationsenergie verbunden. Um dies zu veranschauliN P chen, zerlegen wir das Rad in N Stücke, die jeweils die Masse mi haben, also mi = i=1 M , wobei M die Gesamtmasse der Felge ist. Die gesamte kinetische Energie der Felge ist damit Ek = N X 1 i=1 2 N 1X 1 1 mi (rω)2 = M r 2 ω 2 = IF ω 2 2 2 2 mi v 2 = i=1 Die Größe IF = M r 2 bezeichnet das Trägheitsmoment der Felge. Die Formel E = 1 2 2 Iω ähnelt also der üblichen Form der kinetischen Energie mit den Ersetzungen m↔I und ω 2 ↔ v 2 . Wenn man das Trägheitsmoment eines ausgedehnten Körpers mit einer homogenen Dichte berechnet, kann man die obigen Überlegungen verallgemeinern. Ein Massenelement δmi des Körpers lässt sich mit Hilfe der Dichte ρ darstellen als δmi = ρ δVi wobei δVi das zu der Masse δmi gehörige Volumenelement ist. Wie bereits bei der Felge ergibt sich: X X I= ri2 δmi = ρ ri2 δVi i i wobei ri der Abstandsvektor von der Drehachse ist. Wenn nun die Teilvolumen infinitesimal sind, geht man von der Summe zum Integral über, so dass: Z I = ρ r 2 dV V 14 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs z y x Abbildung 2.5: Bestimmung des Trägheitsmoments eines Zylinders. Bsp.: Trägheitsmoment eines Zylinders, wobei die in der Abb. 2.5 gezeigte Drehachse auch Symmetrieachse des Zylinders ist. Wir wählen das Koordinatensystem so, dass das Zylindervolumen durch 0 ≤ x2 + y 2 ≤ R und 0 ≤ z ≤ h beschrieben ist. Damit gilt: Z (x2 + y 2 )dx dy dz . I =ρ V Das Integral lässt sich leichter in Zylinderkoordinaten auswerten: I=ρ Zh Z2π ZR 0 0 0 1 r 2 r dz dϕ dr = 2πρh r 4 |R 4 0 = 1 π ρhR4 = M R2 2 2 mit den Zylinderkoordinaten: p x = r cos(ϕ) r = x2 + y 2 ϕ = arctan(x/y) bzw. y = r sin(ϕ) z=z z=z Obwohl die Formel zur Berechnung von Trägheitsmomenten sehr einfach ist, kann die tatsächliche Berechnung mit Schwierigkeiten verbunden sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man das Trägheitsmoment von sehr irregulären Körpern auswertet. In diesem Fall ist es günstiger, denP Körper in endliche Massenelemente zu zerlegen und das Trägheitsmoment gemäß I = δ mi ri2 numerisch zu bestimmen. i Sehr nützlich bei der Berechnung von Trägheitsmomenten ist der Steiner’sche Satz: Wenn die Rotationsachse nicht durch den Schwerpunkt des Systems verläuft, sondern um eine um R verschobene Achse, so gilt IA = IS + M R2 , 15 2.3. Drehbewegungen und die Rotationsenergie δm i ri di A S R Abbildung 2.6: Drehung um eine parallele Achse, die gegenüber einer Achse, die durch den Schwerpunkt S geht, um den Vektor R veschoben ist. wobei IS das Trägheitsmoment des Körpers bei der Drehung um eine parallele Achse durch den Schwerpunkt bezeichnet. Dieses Ergebnis lässt sich leicht herleiten: IA = X δmi r2i i = X i = X i δmi (di − R)2 δmi d2i − 2 = IS + M R 2 , da P i X i δmi di R + R2 X δmi i δmi di = M S = O. (Wir haben den Schwerpunkt als Ursprung unseres Koordi- natensystems gewählt.) 2.3.1 Die Bewegungsgleichungen für Rotationen Damit sich das betrachtete Vorderrad überhaupt dreht, müssen wir es zunächst von Außen in Rotation versetzen. Dabei wenden wir eine Kraft auf, die das Rad beschleunigt. Die resultierende Winkelgeschwindigkeit hängt sowohl von der Stärke der Kraft als auch vom Abstand von der Drehachse ab. Wir wollen diesen Zusammenhang in diesem Abschnitt genauer diskutieren. Die Winkelgeschwindigkeit Bislang haben wir nur den Betrag der Winkelgeschwindigkeit betrachtet. Tatsächlich ist aber die Winkelgeschwindigkeit eine vektorielle Größe. Sie ist folgendermaßen definiert: 16 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Die Winkelgeschwindigkeit ω ist der Vektor vom Betrag ω, der parallel zur Drehachse verläuft und so orientiert ist, dass die Drehung im Uhrzeigersinn erfolgt, wenn man in Richtung von ω auf das Objekt schaut. Winkelbeschleunigung Angenommen, wir haben viel Geld in das Fahrrad investiert, so dass das Vorderrad seine Winkelgeschwindigkeit beibehalten wird, wenn wir nicht die Bremsen betätigen. Wenn wir aber abbremsen, reduziert sich die Winkelgeschwindigkeit, bis der Reifen zur Ruhe kommt. Wir wollen diese Situation genauer analysieren: Beim Bremsen wird eine Kraft mit Betrag F auf die Felge übertragen. Die Arbeit, die dabei verrichtet wird, wenn ein Segment dl durch die Bremsbacken rutscht, ist F dl. Somit ist die damit verbundene dl = F v. Die zeitliche Änderung der Rotationsenergie können wir ebenfalls Leistung F dt angeben: d d 1 2 dω(t) Erot = Iω (t) = Iω dt dt 2 dt Wir können nun die beiden Leistungen vergleichen: F v = F rω = −Iω dω , dt wobei das negative Vorzeichen daher rührt, dass die Reibungskraft der Bewegungsrichtung entegengesetzt wirkt. Damit ergibt sich F r = −I dω dt . Wenn wir eine beschleunigende Kraft verwenden, gilt: Fr = I 2.3.2 dω dt (2.6) Der Drehimpuls und das Drehmoment Das Drehmoment ist ebenso wie die Winkelgeschwindigkeit eine vektorielle Größe. Es ist definiert als M= r×F also dem Vektorprodukt des Abstandsvektors r (zwischen Drehachse und dem Angriffspunkt der Kraft) und der Kraft F, die aufgewendet wird. Das Drehmoment steht senkrecht auf der von r × F aufgespannten Ebene und zeigt damit in Richtung der Drehachse. Wir können also durch die Einführung von M die Gleichung (2.6) auch in vektorieller Form angeben: M=I dω dt Wir definieren nun zusätzlich den Drehimpuls L=Iω 17 2.3. Drehbewegungen und die Rotationsenergie mit dem wir die folgende Bewegungsgleichung für Rotation erhalten M= dL . dt Damit ist die Gleichung analog zum zweiten Newton’schen Gesetz. Bem.: (1) Man kann den Drehimpuls auch für nicht-kreisförmige Bewegungen herleiten. Und zwar gilt: L=r×p , wobei r der Richtungsvektor zwischen Objekt und dem Koordinatenursprung O ist und p der Impuls des Teilchens. (2) Der Gesamtdrehimpuls eines Systems von N Teilchen ist definiert als L = N P i=1 Für die Änderung des Gesamtdrehimpulses gilt ri ×pi . N X dri d dpi L = × p +r × i i dt dt dt | {z } i=1 = N X i=1 =mi (vi ×vi )=0 ri × Fi = X Mi = M . Damit kann man auch die Erhaltung des Drehimpulses formulieren: Der Drehimpuls eines Systems ist erhalten, wenn kein resultierendes Drehmoment auf das System wirkt. (3) Um einen Körper auf einer Kreisbahn zu halten, muss man eine Kraft aufwenden, die in Richtung der Kreismitte wirkt, die sogenannte Zentripetalkraft: Für eine Masse m, die auf den Körper wirkt, hat die Zentripetalkraft die Größe F = −mω 2 r Dieses Ergebnis lässt sich ebenfalls leicht herleiten: Für eine kreisförmige Bewegung in der Ebene lautet der zeitabängige Richtungsvektor r cos(ωt) r(t) = r sin(ωt) . 0 Damit ergibt sich für die Beschleunigung a(t) = d2 r(t) = −ω 2 r(t) dt2 und somit F = −mω 2 r nach dem zweiten Newton’schen Gesetz. 18 2.4 2.4.1 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Das Gravitationsgesetz Die Gravitationskraft Die Gravitationskraft ist ein Beispiel für eine Kraft, die auch auf Objekte wirkt, die nicht direkt miteinander in Kontakt sind. So spüren wir den Einfluss der Gravitationskraft auch dann, wenn wir uns nicht auf dem Erdboden befinden, wie z.B. beim Fallschirmsprung. Abbildung 2.7: Das Kraftfeld einer ausgedehnten und das einer punktförmigen Masse. Es zeigt sich, dass die Gravitationskraft F(r) = F(r), die von einem kugelförmigen Objekt mit Radius R ausgeht, für r > R (wobei wir annehmen, dass sich der Schwerpunkt der Kugel bei r = 0 befindet) die gleiche ist wie die von einem punktförmigen Objekt gleicher Masse. Je weiter wir uns von der Erde entfernen um so schwächer wird die Anziehungskraft der Erde. Eine quantitative Beschreibung der Gravitationskraft, die konsistent mit diesen Beobachtungen ist, gelang Newton. Das von ihm formulierte Gravitationsgesetz lautet m1 m2 Abbildung 2.8: Die Gravitationskraft wirkt entlang der Verbindungslinie zweier Massen. “Die anziehende Kraft zwischen zwei Körpern wirkt entlang ihrer Verbindungslinie. Der Betrag der Kraft ist porportional zum Produkt ihrer Masse und invers proportional zum Quadrat ihres Abstandes.” Der Betrag der Kraft ist also gegeben durch F =G m1 m2 r2 Der heute akzeptierte Wert der Gravitationskonstante ist G = 6.6726 ± 0.0009 × 10−11 N m2 kg−2 . 19 2.4. Das Gravitationsgesetz Mit einem relativen Fehler von 0.013% ist G eine der am schlechtesten bestimmten Naturkonstanten. Dies liegt darin begründet, dass die Gravitationswechselwirkung vergleichsweise schwach und damit schwer zu bestimmen ist. 2.4.2 Das Gravitationspotenzial Gravitationskräfte sind konservativ, d.h. wir können ein Potenzial angeben. Dazu betrachten wir eine Masse m, die sich im Abstand r1 von dem Mittelpunkt der Erde befindet. Was ist die Arbeit, die man leisten muss, um (entlang der Verbindungslinie der beiden Massen) von r1 zu r2 zu gelangen? r2 r1 Abbildung 2.9: Arbeit, die geleistet werden muss, um zwei Massen voneinander zu entfernen. An jedem Punkt entlang dieser Verbindungslinie gilt: mME , r2 wobei ME die Masse der Erde bezeichnet. Es muss also die Arbeit Zr2 Zr2 mME 1 1 dr = GmME − W = F (r) dr = G r2 r1 r2 F (r) = G r1 r1 geleistet werden. Diese Arbeit entspricht der Differenz zwischen der potenziellen Energie an den Punkten r1 und r2 . Die potenzielle Energie ist nur bis auf eine Konstante festgelegt. Die Konstante wählt man günstigerweise so, dass die potenzielle Energie im Unendlichen verschwindet. Diese Wahl bedeutet gleichzeitig, dass die potenzielle Energie negativ ist, wenn man sich der Erde annähert, da man die Energie mME , W∞ (r1 ) = G r1 aufwenden muss, um sich vom Abstand r1 aus dem Gravitationsfeld zu entfernen. Demnach ist die potenzielle Energie im Abstand r1 mME . r1 Diese Energie kann man als Bindungsenergie für Massen interpretieren, die sich im Einfluss des Gravitationsfeldes der Erde befinden. U (r1 ) = −G 20 2.4.3 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Kreisförmige Orbitale Wenn man die auf- bzw. untergehende Sonne betrachtet, stellt man fest, dass sie zu allen Jahreszeiten näherungsweise die gleiche Größe hat. Daraus kann man schließen, dass der Abstand zur Sonne im Verlauf eines Jahres nahezu unverändert bleibt, d.h. die Erde in guter Näherung eine Kreisbahn um die Sonne beschreibt. Wir wollen mit dieser vereinfachenden Annahme die Umlaufbahn der Erde genauer analysieren. Auf der Umlaufbahn der Erde müssen sich Zentrifugalkraft und Gravitationskraft kompensieren, d.h. G ME MS 2 ROrbit = ME a = ME ω 2 ROrbit = 4π 2 ME ROrbit . T2 Damit ergibt sich T2 = 3 4π 2 ROrbit G MS für die Umlaufzeit der Erde um die Sonne. Bemerkenswerterweise hängt die Umlaufzeit nur vom Radius des Orbitals und nicht von der Masse des Planeten ab. Der mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne definiert die Astronomische Einheit: 1 Astronomische Einheit = 1 AE = 1.496 · 108 km Mit diesem Wert können wir auch die Masse der Sonne bestimmen, sie beträgt ca. 1.99 · 1030 kg. Eine wichtige Anwendung kreisförmiger Umlaufbahnen um die Erde sind sogenannte geostationäre Satellitenbahnen. Die Satelliten bewegen sich einmal pro Tag um die Erde, so dass Funksignale dieser Satelliten immer dieselbe Erdhälfte abdecken. 2.4.4 Die reduzierte Masse Bislang haben wir nur solche Umlaufbahnen betrachtet, bei denen die Mitbewegung der großen Masse vernachlässigt werden konnte. Dies ist aber z.B. für Doppelsterne nicht der Fall. Zur Analyse von Systemen zweier Massen ist es zweckmäßig, die sog. reduzierte Masse µ einzuführen: µ := m1 m2 m1 + m2 Durch die Einführung von µ kann man die Relativbeschleunigung der beiden Teilchen in der Form F12 = µ a12 angeben, wobei a12 = a1 − a2 . Dies lässt sich leicht herleiten, wenn man die Bewegungsgleichungen der beiden Teilchen betrachtet: m1 a1 = F12 bzw. m2 a2 = F21 = −F12 21 2.4. Das Gravitationsgesetz Damit ergibt sich: a12 F12 F21 = a1 − a2 = − = m1 m2 1 1 + m1 m2 F12 = µ F12 , also die gesuchte Form der Bewegungsgleichung. Wir betrachten nun die Bewegung zweier Massen um ihren Schwerpunkt, den wir als Koordinatensprung wählen, d.h. m1 r1 + m2 r2 = 0. Damit folgt für r1 = |r1 | und r2 = |r2 | die Beziehung m2 r1 = r2 m1 für die Radien der Umlaufbahnen. Für den Abstand r = r1 + r2 zwischen den beiden m2 ) und mit v1 = ωr1 bzw. v2 = ωr2 für die Massen ergibt sich also r = r2 (1 + m 1 kinetische Energie: 1 1 1 2 m2 2 2 2 2 Ekin = m1 v1 + m2 v2 = ω m1 ( r2 ) + m2 r2 2 2 2 m1 m21 m2 (m1 + m2 ) 1 1 2 2 m22 ω r2 + m2 = ω 2 r 2 = 2 m1 2 m1 (m1 + m2 )2 1 2 2 1 2 µω r = Iω = 2 2 mit dem Trägheitsmoment I = µr 2 des Systems. 2.4.5 Die Kepler’schen Gesetze Basierend auf eigenen und den Messungen von Tycho Brahe hat Johannes Kepler die folgenden Gesetze für Planetenbahnen formuliert: 1. Jeder Planet bewegt sich auf einer elliptischen Umlaufbahn, wobei sich die Sonne in einem der beiden Brennpunkte befindet. 2. Der Vektor von Sonne zum Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. 3. Das Quadrat der Perioden der Planetenbahnen ist proportional zu den Kuben ihrer mittleren Abstände. Wir wollen nun zeigen, dass diese Beobachtungen mit dem Newton’schen Gravitationsgesetz konsistent sind. Mathematische Beschreibung von Ellipsen Bevor wir die Verträglichkeit des Gravitationsgesetzes mit den Kepler’schen Gesetzen überprüfen, wollen zunächst an einige mathematische Eigenschaften der Ellipse erinnern: Die Bedeutung der Brennpunkte einer Ellipse wird durch die Konstruktionsvorschrift verdeutlicht. Man kann eine Ellipse zeichnen, wenn man einen Stift durch eine Schlaufe führen lässt, die von zwei Zwecken gehalten wird (siehe Abb. 2.10). Nach 22 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs r b r’ θ C ae a Abbildung 2.10: Konstruktion einer Ellipse. Die Brennpunkte der Ellipse sind durch (X) markiert; der Punkt symbolisiert den von der Schlaufe gehaltenen Stift. einem vollständigen Umlauf erhält man dann eine Ellipse, deren Brennpunkte die beiden Befestigungspunkte der Schlaufe sind. Desweiteren hat die Ellipse die folgenden definierenden Eigenschaften: Mit a (b) wird die Länge der großen (kleinen) Hauptachse bezeichnet. Die Exzentrizität der Ellipse ist so definiert, dass der Abstand vom Zentrum C der Ellipse zu einem Brennpunkt gerade ae ist. Offensichtlich ist ein Kreis ein Spezialfall der Ellipse für den e = 0 gilt. Für die Länge des Fadens gilt: l = 2ae + 2a = 2a (1 + e) . Mit diesen Definitionen können wir einige weitere Beziehungen herleiten. Die Ellipsengleichung r= a(1 − e2 ) 1 − e cos Θ stellt eine Beziehung zwischen dem Winkel θ und dem Abstand r zwischen Brennpunkt und einem beliebigen Punkt auf der Ellipse her (siehe Abb. 2.10, die obige Beziehung folgt aus dem Kosinussatz und r ′ = 2a − r.) Durch die Exzentrizität e wird auch das Verhältnis zwischen kleiner und großer Hauptachse festgelegt. Es gilt: b p = 1 − e2 , a so dass nur für große Werte von e(e ≈ 1) deutliche Unterschiede zwischen großer und kleiner Hauptachse existieren. Dies Ergebnis lässt die Beobachtungen Keplers noch spektakulärer erscheinen, denn für den Planeten Merkur, dessen Bahn nach dem Pluto die größte Exzentrizität hat, gilt e = 0.206 und damit b = 0.9786 a. Eine solch geringe Abweichung von der Kreisbahn mit den damaligen Methoden zu beobachten, ist in der Tat bemerkenswert! 23 2.4. Das Gravitationsgesetz Drehimpuls und Beschleunigung in elliptischen Orbitalen Die Gravitationskraft ist ein Beispiel einer Zentralkraft, einer Kraft zwischen zwei Objekten, die in Richtung des gemeinsamen Schwerpunktes zeigt. Dies bedeutet auch, dass es keine Komponente senkrecht zur Verbindungslinie der beiden Massen gibt. Daher wirkt kein Drehmoment auf das System, so dass der Drehimpuls erhalten sein muss. Wir wollen nun den Drehimpuls L = r×p auf einer elliptischen Umlaufbahn berechnen: In der Zeit δt bewegt sich das Teilchen von Q nach P und überstreicht dabei den Winkel δθ. Der zurückgelegte Weg ist dabei δs = r δθ. Daher ergibt sich für δt → 0 v⊥ = r dθ . dt und der Betrag des Drehimpulses L = r × p ist gegeben durch: L = µ v⊥ r = µ r 2 dθ , dt MS die reduzierte Masse des Systems Erde/Sonne bezeichnet. Wir wobei µ = MMEE+M S betrachten nun die Fläche des Dreiecks SP Q. Sie ist näherungsweise gegeben durch δA ≈ 12 r rδθ = 12 r 2 δθ gegeben, so dass die überstrichene Fläche pro Zeit im Limes δt → 0 durch: 1 dθ 1 dA = r2 = L dt 2 dt 2m gegeben ist. Wegen der Erhaltung des Drehimpulses ist also dA/dt konstant und somit das zweite Kepler’sche Gesetz gezeigt. Die Erhaltung des Drehimpulses bedeutet gleichzeitig, dass die Planeten sich schneller bewegen, wenn sie der Sonne näher kommen. Es gilt µv1 r1 = L = µv2 r2 und somit v1 r2 = . v2 r1 Wir betrachten nun die Zentripetalbeschleunigung auf elliptischen Bahnen, die durch a(r) = L2p 1 2 2 m a(1 − e ) r 2 gegeben ist. Dies ist konsistent mit dem Gravitationsgesetz, da die Kraft auf den Planeten invers proportional zum Quadrat des Abstandes ist. Damit sind Gravitationsund erstes Kepler’sches Gesetz verträglich. Um die Konsistenz des dritten Kepler’schen Gesetzes mit dem Gravitationsgesetz zu zeigen, muss man die Periode einer Umlaufbahn bestimmen. Dazu benutzen wir das zweite Kepler’sche Gesetz: Lp 1 dθ dA = r2 = = const . dt 2 dt 2µ 24 Kapitel 2. Mechanik - Ein Crashkurs Durch die Tatsache, dass dA/dt einen konstanten Wert annimmt, können √ wir die Umlaufzeit einfach aus der Division der Fläche der Ellipse A = π ab = π a2 1 − e2 durch dA/dt erhalten: √ 2πµa2 1 − e2 dA (2.7) = T = A/ dt Lp Auf dem elliptischen Orbital müssen sich Gravitationskraft und Zentripetalkraft gegenseitig aufheben, so dass: L2p 1 GMS Mp = r2 µa(1 − e2 ) r 2 (2.8) ⇒ L2p = GMS Mp µ a (1 − e2 ) für den Drehimpuls des Planeten folgt. Eliminiert man Lp in (2.7) und (2.8), erhält man T2 = 4π 2 a3 4π 2 µ2 a4 (1 − e2 ) = , GMS Mp µ a (1 − e2 ) G(MS + Mp ) also das dritte Kepler’sche Gesetz, bis auf kleine Korrekturen. Die erste Korrektur besteht darin, dass im Gesetz die Länge der großen Hauptachse auftritt und nicht, wie von Kepler postuliert, der mittlere Abstand. Dieser Unterschied ist jedoch relativ unbedeutend, wie die folgende Betrachtung zeigt: Wenn man nur die beiden Extrempunkte der Bahn nimmt, also das Perihel (sonnennächster Punkt) und das Aphel (sonnenfernster Punkt), ergibt das Mittel 21 (a(1 + e) + a(1 − e)) = a genau die Länge der großen Hauptachse. Gemittelt über das gesamte Orbital ergibt sich aber eine Abweichung in der Ordnung O(e2 ). Eine zweite Korrektur besteht darin, dass man den Abstand zum Schwerpunkt des Systems und nicht den zur Sonne betrachtet. Dies führt aber selbst für Jupiter nur zu Abweichungen im Promillebereich. Somit kann man feststellen, dass die Kepler’schen Gesetze tatsächlich mit sehr großer Präzision die Umlaufbahnen von Planeten beschreiben. Positionierung von Satelliten Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir noch kurz diskutieren wie man überhaupt Satelliten effektiv auf ihre Umlaufbahnen bringen kann. Bislang haben wir nur den Fall betrachtet, dass wir eine Rakete senkrecht zur Erdoberfläche starten. Wenn man aber die Rakete nur vertikal zur Erde beschleunigt, wird der Satellit einfach auf die Erde zurück fallen. Ähnliches gilt, wenn man die Rakete schräg abschießt: Der Satellit wird zwar auf eine elliptische Bahn gezwungen, aber möglicherweise steht einem Umlauf des Satelliten die Erde im Weg. Die Lösung des Problems besteht darin, dass man in ausreichender Höhe eine Geschwindigkeitskorrektur (z.B. durch Abbrennen einer zweiten Brennstufe) vornimmt, durch die der Satellit auf seine Umlaufbahn gebracht wird. Kapitel 3 Schwingungen In diesem Kapitel befassen wir uns mit oszillatorischen Bewegungen und deren quantitativer Beschreibung. Oszillatorische Bewegungen wiederholen sich nach einer Zeit T , die Periode genannt wird. Die Frequenz ν = T1 mit der Einheit 1 Hertz (Hz) [1 Hz= 1s ] beschreibt, wieviele Zyklen pro Sekunde durchgeführt werden. Bei Kreisbewegungen (siehe Abb. 3.1) wird vor allem die Winkelgeschwindigkeit zur Beschreibung herangezogen. In einer Zeit t überstreicht die Bewegung den Winkel ωt, mit ω = 2π T = 2πν. Die Zeitabhängigkeit der x-Koordinate wird dann durch x(t) = a sin (ωt) beschrieben. Man bezeichnet a als Amplitude der Schwingung und ω als Kreisfrequenz. 3.1 Einfache harmonische Schwingungen Einfache harmonische Schwingungen sind in der Physik von großer Bedeutung, da sie häufig eine gute Näherung der tatsächlichen freien Oszillationen sind. Beispiele: • Schwingungen einer Masse, die an einer Feder aufgehängt und aus der Ruhelage ausgelenkt wird. • Eine Flüssigkeit, die in einem U-Rohr oszilliert . . .. Die klassische Situation, bei der die Bewegung als harmonische Oszillation (näherungs– weise) beschrieben wird, ist diejenige, bei der ein Objekt aus der Ruhelage ausgelenkt wird und von einer Rückstellkraft in die Ruhelage zurückgetrieben wird. Wir betrachten den Fall, bei der die Rückstellkraft F für kleine Auslenkungen proportional zur Auslenkung ist, also: F (x) = −kx . Andererseits gilt nach dem dritten Newton’schen Gesetz F =m d2 x = mẍ . dt2 25 26 Kapitel 3. Schwingungen y ωt A a P x(t) a C O 0 x B -a 0 1 2 3 4 5 6 7 t [s] Abbildung 3.1: Die Abbildung zeigt ein Teilchen, das sich mit einer konstanten Geschwindigkeit auf einer mit Radius a Kreisbahn bewegt. Der rechte Teil der Abbildung stellt den zeitlichen Verlauf der x-Koordinate dar, wenn man davon ausgeht, dass sich das Teilchen zur Zeit t = 0 am Ort r = (0, a) befindet. Der Betrag der Winkelgeschwindigkeit sei ω = 3 rad/s. Es sollen nur kleine Auslenkungen der Masse aus der Ruhelage betrachtet werden, so dass wir tatsächlich von einer linearen Rückstellkraft ausgehen können und die Bewegungsgleichung ẍ + (mit ω02 := k m) k x = ẍ + ω02 x = 0 m erhalten. Man kann leicht nachrechnen, dass x(t) = x0 cos(ω0 t + ϕ) eine Lösung der obigen Differenzialgleichung darstellt. Wie bei jeder Differenzialgleichung zweiter Ordnung gibt es 2 sog. Integrationskonstanten (x0 , ϕ), die sich aus der Auslenkung x(0) = x0 cos(ϕ) und Geschwindigkeit v(t = 0) = ẋ(0) = x0 ω0 sin(ϕ) zur Zeit t = 0 ergeben. Die Energie der harmonischen Bewegung bzw. des harmonischen Oszillators wird durch die Konstanten k, m und x0 vollständig festgelegt. Zur Herleitung dieses Ergebnisses bestimmen wir zunächst das Potenzial U (x) des harmonischen Oszillators. Es gilt: F =− dU (x) , dx so dass U (x) = − Z 0 x 1 1 F (x′ )dx′ = kx′2 |x0 = kx2 . 2 2 27 3.1. Einfache harmonische Schwingungen l θ mg sin θ mg cos θ mg Abbildung 3.2: Darstellung des Pendels. Eine Masse m wird durch einen Faden der Länge l an einer Aufhängung befestigt. Der Winkel θ beschreibt die Auslenkung des Pendels. Die Gesamtenergie des Oszillators, d.h. die Summe aus potenzieller und kinetischer Energie ist daher 1 m (ẋ)2 = Epot + Ekin 2 1 1 k(x0 cos (ω0 t + ϕ))2 + m ω02 x20 sin2 (ω0 t + ϕ) . 2 2 E = U (x) + = Mit ω02 = k m gilt dann 1 2 kx (cos2 (ω0 t + ϕ) + sin2 (ω0 t + ϕ)) 2 0 1 2 1 kx = mω02 x20 . = 2 0 2 Damit haben wir uns davon überzeugt, dass die Energie konstant ist und nur von k und x0 abhängt. An den Umkehrpunkten ±x0 ist die Gesamtenergie identisch mit der potenziellen Energie, während beim Nulldurchgang E = Ekin gilt. E = Beispiel: Das Pendel Wie wir bereits oben bemerkt haben, ist die harmonische Bewegung häufig nur nä– he–rungs–weise für kleine Auslenkungen realisiert. Dies gilt auch für das in Abb. 3.2 dargestellte Fadenpendel, das wir im Folgenden genauer untersuchen wollen. Wir betrachten dazu eine Masse m, die an einem masselosen Faden der Länge l hängt. Auf die Masse wirkt die Schwerkraft, so dass bei einer Auslenkung um den Winkel θ die Rückstellkraft F = −mg sin θ wirkt. Für kleine Auslenkungen gilt sin θ ≈ θ, so dass die Tangentialkraft durch F = −mg sin θ ≈ −mg θ gegeben ist. Damit wirkt ein Drehmoment −mglθ auf die Masse und wir erhalten die Bewegungsgleichung I θ̈ = −mglθ . 28 Kapitel 3. Schwingungen Das Trägheitsmoment I der Anordnung ist ml2 , so dass θ̈ + g θ=0. l Das Pendel verhält sich also für kleine Auslenkungen wie ein einfacher harmonischer Oszillator mit der Kreisfrequenz ω02 = g/l und damit der Periode T = p 2π = 2π l/g . ω0 Bem.: Wenn man die Fadenlänge l = 1m wählt, gilt T ≈ 2s, d.h. nach jeweils einer Sekunde passiert die Masse die Position der Ruhelage. Man nennt ein solches Pendel daher auch Sekundenpendel. 3.2 Gedämpfte Schwingungen Bei realen Schwingungen spielen immer Reibungs- bzw. dissipative Kräfte eine Rolle. So treten dissipative Kräfte allein schon dadurch auf, dass sich das Objekt typischerweise in einem viskosen Medium bewegt. Daneben gibt es zahlreiche weitere Ursachen für Dissipation, wie z.B. die Reibungskräfte an der Aufhängung eines Pendels. Die Wirkung solcher dissipativer Kräfte wollen wir nun genauer analysieren. Wir betrachten den Fall, dass die Reibungskräfte proportional zur Geschwindigkeit sind, was für kleine Geschwindigkeiten häufig der Fall ist. Damit ergibt sich dann m ẍ = −kx − b ẋ , wobei b die Konstante ist, die die Stärke der dissipativen Kraft parametrisiert. Durch Division mit m ergibt sich ẍ + γ ẋ + ω02 x = 0 , mit ω02 = k/m und γ = b/m. Wie bereits für die harmonische Schwingung diskutieren wir nicht das allgemeine mathematische Lösungsverfahren für diese Gleichung, sondern benutzen physikalisch motivierte Lösungsansätze. Dabei müssen wir zwischen einigen Grenzfällen unterscheiden. 3.2.1 Schwache Dämpfung Mit schwacher Dämpfung bezeichnet man eine Schwingung, bei der durch die Reibungskräfte die Amplitude langsam verschwindet. Für diesen Fall machen wir den Ansatz: x(t) = exp(−βt) f (t) wobei β eine positive, reelle Konstante ist und f (t) eine Funktion, die wir in einem zweiten Schritt zu bestimmen haben. 29 3.2. Gedämpfte Schwingungen Es gilt: ẋ(t) = exp(−βt) (f˙(t) − βf (t)) ẍ(t) = exp(−βt) (f¨ − 2β f˙(t) + β 2 f (t)) Da exp(−βt) 6= 0, muss f (t) die folgende Gleichung erfüllen (aus ẍ + γ ẋ + ω02 x = 0): f¨(t) + (γ + 2β) f˙(t) + (β 2 + ω 2 − βγ) f (t) = 0 . 0 Diese Gleichung hat die gleiche Struktur wie unsere Ursprungsgleichung. Wir können aber β frei wählen, so dass wir durch γ/2 = β auf die Gleichung des harmonischen Oszillators geführt werden: f¨(t) + (ω 2 − γ 2 /4) f (t) = 0 . 0 ω02 Für − Frequenz γ 2 /4 > 0 muss f (t) also einer gewöhnlichen Schwingungsgleichung mit der ω= q ω02 − γ 2 /4 genügen. Durch die Dämpfung wird also auch die Frequenz verkleinert, wobei die Korrekturen mit schwächerer Dämpfung verschwinden. Wir erhalten damit für f (t) die Lösung f (t) = x0 cos(ωt + ϕ) und insgesamt x(t) = x0 exp(−γt/2) cos(ωt + ϕ) Auslenkung x(t) 0.08 m 0 -0.08 m 0 1 2 3 4 5 t [s] Abbildung 3.3: Die durchgezogene Line zeigt die Amplitude einer gedämpften Schwingung mit x0 = 0.08m, ω0 = 10rad/s und γ = 0.5. Die gestrichelte Linien beschreiben den zeitlichen Verlauf der maximalen Auslenkungen. Die Abbildung 3.3 zeigt den Verlauf einer gedämpften Schwingung. Die Zeitskala der Dämpfung τ wird durch γ festgelegt. Dies wird offensichtlich, wenn man x(t) in der Form x(t) = x0 exp(−t/τ ) cos(ωt + ϕ) 2 γ schreibt, so dass τ = die Zeit ist, während der sich die maximale Auslenkung um den Faktor 1/e verkleinert. 30 3.2.2 Kapitel 3. Schwingungen Starke Dämpfung (Kriechfall) Wenn die dissipative Kraft stärker wird, kann sie dazu führen, dass Oszillationen ganz verhindert werden. Dieser Punkt ist erreicht, wenn γ 2 > 4ω02 gilt. In diesenm Fall lautet die Bestimmungsgleichung für f (t): f¨(t) − α2 f (t) = 0 (α2 = γ 2 /4 − ω02 > 0) . Diese Gleichung hat die allgemeine Lösung f (t) = A exp(−αt) + B exp(αt) , so dass sich für die Auslenkung x(t) = exp (−γt/2) (A exp(−αt) + B exp(αt)) ergibt. Die Integrationskonstanten werden durch die Anfangsbedingungen x(0) = A + B ẋ(0) = B (α − γ/2) − A (α + γ/2) bestimmt. Auslenkung x(t) 0.08 m stark kritisch 0.06 m 0.04 m 0.02 m 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 t [s] Abbildung 3.4: Vergleich eines stark (durchgezogene Linie) und eines kritisch gedämpften Oszillators. Die Grundfrequenz ist ω0 = 10 rad/s und die Anfangsauslenkung beträgt in beiden Fällen 0.08 m. Für die starke Dämpfung ist γ = 25 s−1 und für die kritische Dämpfung ist γ = 20 s−1 . Der typischen Verlauf der Auslenkung eines stark gedämpften Systems ist in Abb. 3.4 dargestellt. 3.2.3 Kritische Dämpfung (Aperiodischer Grenzfall) Zum Schluss diskutieren wir noch den Spezialfall γ = 2ω0 . Dies ist der Fall, bei dem die ausgelenkte Masse am schnellsten an den Ausgangspunkt zurückkehrt (siehe Abb. 3.4). Für die Funktion f (t) gilt nun einfach f¨ = 0, so dass wir f (t) = A+Bt erhalten. Damit ist x(t) = exp (−γt/2)(A + Bt) Lösung der Bewegungsgleichung. 31 3.3. Erzwungene Schwingungen Der Umstand, dass die kritische Dämpfung führt ein System am effektivsten in die Ruhelage zurückführt, macht diese Art der Dämpfung interessant für technische Anwendungen. Daher wird in Systemen (z.B. Fahrwerk eines Autos, CD-Spieler etc.), die eine effektive Dämpfung benötigen, versucht, den Fall kritischer Dämpfung zu realisieren. 3.3 Erzwungene Schwingungen Bislang haben wir nur solche Oszillatoren betrachtet, die nach einer Anfangsauslenkung sich selbst überlassen wurden. Häufig werden Schwingungen aber von periodischen Kräften angeregt. Ein Beispiel einer solchen Anregung sind schwitzende Eltern, die von ihren schaukelnden Kindern angefeuert (“höher!”) werden, ein gedämpftes System zu stationären Oszillationen mit maximaler Auslenkung zu verhelfen. Anregung Auslenkung t Abbildung 3.5: Zeitlicher Verlauf einer harmonischen Kraft (durchgezogene Linie) und der stationären Auslenkung (gestrichelte Linie) einer erzwungenen Schwingung. Wir betrachten in diesem Abschnitt den einfachsten Fall der Anregung eines Oszillatorsystems, nämlich einer Anregung durch eine harmonische Kraft Fh = F0 cos(ωt). Diese führt auf die Bewegungsgleichung dx F0 d2 x +γ + ω02 x = cos(ωt) . (3.1) 2 dt dt m Die obige Gleichung ist aus mathematischer Sicht eine lineare inhomogene Differenzialgleichung. Die allgemeine Lösung einer solchen DGL findet man dadurch, dass man zu einer speziellen Lösung xi (t) von (3.1) die allgemeine Lösung xh (t) der homogenen Differenzialgleichung ẍ + γ ẋ + ω02 x = 0 addiert. Wir suchen eine spezielle Lösung, die den stationären Fall beschreibt. Abb. 3.5 zeigt eine solche stationäre Lösung und die zugehörige anregende Kraft. Stationäre Schwingung und Anregung haben die gleiche Frequenz, sind aber gegeneinander phasenverschoben. Wir setzen daher eine Lösung der Form x(t) = x0 cos(ωt − ϕ) an, wobei ϕ die Phasendifferenz zwischen Anregung und Auslenkung beschreibt und ω die Frequenz der Anregung ist. Die Amplitude x0 und die Phasenverschiebung ϕ 32 Kapitel 3. Schwingungen zwischen Anregung und Auslenkung sind die Parameter, die wir zu bestimmen haben. Durch Einsetzen in (3.1) erhalten wir: (ω02 − ω 2 )x0 cos (ωt − ϕ) − ωγx0 sin (ωt − ϕ) = F0 cos(ωt) . m Diese Gleichung muss für alle Zeiten erfüllt sein, insbesondere auch für die Fälle (ωt − ϕ) = 0 und (ωt − ϕ) = π2 . Die Auswertung der Gleichung zu diesen Zeiten führt auf zwei Gleichungen für die Unbekannten x0 , ϕ: (ω02 − ω 2 )x0 = −ωγx0 = F0 cos ϕ m π F F0 0 cos +ϕ = sin ϕ . m 2 m Die Lösung dieses Gleichungssystems ist durch x0 = tan ϕ = p F0 /m (ω02 ω2 − ω 2 )2 + ω 2 γ 2 und ωγ − ω02 gegeben. Die Phasendifferenz ϕ wird also im Gegensatz zu der Phase bei der harmonischen Schwingung nicht von den Anfangsbedingungen bestimmt sondern von den physikalischen Eigenschaften des Systems. 3.3.1 Resonanz Wir wollen nun die Abhängigkeit der Amplitude von der Anregung untersuchen. Zunächst stellt man fest, dass die Auslenkung einfach proportional zur Stärke der Kraft ist. Bei diesem Ergebnis sollte man aber berücksichtigen, dass das Potenzial im generischen Fall nur für kleine Auslenkungen eine quadratische Form hat. Spektakulär ist die Abhängigkeit von der Anregungsfrequenz ω. So zeigt insbesondere für schwache Dämpfung die Amplitude ein ausgeprägtes Maximum bei ω = ω0 . Sie sollten sich aber auch bei diesem Ergebnis daran erinnern, dass die harmonische Näherung häufig nur für kleine Amplituden zutreffend ist. 3.4 Überlagerung der Schwingungen In diesem Abschnitt betrachten wir einen gedämpften Oszillator, der von zwei periodischen Kräften F1 (t) und F2 (t) angetrieben wird. Wenn nun x1 (x2 ) die Lösung des Systems ist, das von der Kraft F1 (F2 ) angetrieben ist, dann ist x(t) = x1 (t) + x2 (t) Lösung des Problems. Dies lässt sich leicht verifizieren, denn d2 x1 (t) d2 x2 (t) d2 (x1 (t) + x2 (t)) = + 2 dt dt2 dt2 33 3.4. Überlagerung der Schwingungen 2 1 0 0 5 15 10 20 25 t -1 -2 Abbildung 3.6: Überlagerung zweier Schwingungen mit gleicher Amplitude und ähnlicher Kreisfrequenz. Die Parameter der Auslenkungen x1 , x2 sind gegeben durch: ϕ1 = ϕ2 = 0, ω1 = 10 rad/s, ω2 = 10.5 rad/s, x1 = x2 = 1. und analog für dx1 (t) dx2 (t) d (x1 (t) + x2 (t)) = + dt dt dt Damit erhalten wir: d2 x dx +γ + ω02 x = F1 (t) + F2 (t) . dt dt Das Ergebnis für die Auslenkung lässt sich also durch Addition der Lösungen des einfach angeregten Oszillators bestimmen, d.h. x(t) = x1 cos (ω1 t + ϕ1 ) + x2 cos (ω2 t + ϕ2 ) , wobei ω1 , ω2 die Anregungsfrequenzen des Oszillators sind. Die Tatsache, dass man die Teillösungen einfach überlagern kann, liegt daran, dass die Amplitudengleichung des harmonischen Oszillators eine lineare Differenzialgleichung ist. Homogene lineare Differenzialgleichungen haben die Form k X dn an n y(x) = 0 dx n=0 wobei an beliebige Konstanten und y(x) eine beliebige Funktion sind. 34 3.4.1 Kapitel 3. Schwingungen Schwebungen Wenn die Frequenzen ω1 und ω2 sehr ähnlich sind, kommt es zu sog. Schwebungen. Dieses Phänomen kann man direkt durch die oben angegeben Lösung von x(t) erklären. Wir betrachten den Fall, dass die Amplitude der beiden Komponenten identisch sind, so dass x(t) = x0 [cos (ω1 t + ϕ1 ) + cos (ω2 t + ϕ2 )] Dies können wir durch die Beziehung cos(A+B)+cos(A−B) = 2 cos A cos B umformen in: ∆ω ∆ϕ x = 2x0 cos(ω0 t + ϕ0 ) cos t+ , 2 2 mit ω0 = 21 (ω1 + ω2 ) , ϕ0 = 21 (ϕ1 + ϕ2 ) , ∆ω = ω1 − ω2 und ∆ϕ = ϕ1 − ϕ2 . Die Superposition führt also zu einer Modulation der Amplitude (siehe Abb. 3.6), die man Schwebung nennt. Schwebungen werden beispielsweise zum Stimmen von Instrumenten genutzt: Frequenzunterschiede zwischen einem von einer Stimmgabel vorgegebenen Ton und dem Ton des Instruments bewirken Schwebungen, die durch die variable Lautstärke der überlagerten Schwingungen hörbar sind. 3.5 Fourier-Reihen Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass man bei Überlagerung von harmonischen Anregungen einfach die Amplituden zu den einzelnen Anregungen addieren kann, wobei die Zahl der Anregungsfrequenzen keine Rolle spielt. Diese Eigenschaft der harmonischen Anregungen motiviert dazu, eine beliebige periodische Anregung durch eine Summe von harmonischen Anregungen darzustellen (siehe Abb. 3.7 für das Beispiel einer Kippschwingung), so dass man entsprechend die Einzelamplituden überlagern kann. Diese Art der Reihenentwicklung von periodischen Funktionen geht auf Jean Baptiste Fourier zurück. Wir wollen Fourier-Reihen am Beispiel einer periodischen Kraft F (t), die auf einen gedämpften Oszillator angewendet wird, einführen. Die Periodendauer von F (t) sei T = 2π ω . Die harmonischen Anregungen, die die Kraft F (t) ersetzen sollen, müssen ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz ω sein, damit die Periode der Reihendarstellung und F (t) kompatibel sind. Wir machen für F (t) den Ansatz: F (t) = ∞ X an cos (n ωt) + bn sin (n ωt) . (3.2) n=0 Damit wir eine explizite Reihenentwicklung daraus gewinnen, müssen wir nun die Koeffizienten bestimmen. Dazu multiplizieren wir beide Seiten von (3.2) mit cos(p ωt) 35 3.5. Fourier-Reihen 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0,5 0 1 1,5 2,5 2 3 t Abbildung 3.7: Fourier-Entwicklung einer Kippschwingung (gelb). In rot (grün) ist die Fourier-Reihe bis einschließlich n = 2 (n = 4) dargestellt. (p ≥ 1) und integrieren über die volle Periode: ZT F (t) cos(p ωt) dt = 0 + ZT 0 ZT cos (p ωt) ∞ X ! an cos (n ωt) n=0 ∞ X cos(p ωt) bn sin (n ωt) dt dt (3.3) n=0 0 Die Integrale auf der rechten Seite der Gleichung (3.3) kann man unter Benutzung von ZT cos(p ωt) cos(n ωt) dt = 0 0 p 6= n T /2 p = n 0 p 6= n T /2 p = n und ZT sin(pωt) sin(nωt) dt = 0 sowie ZT sin(pωt) cos(nωt) dt = 0 p, n beliebig 0 leicht auswerten. Einen von Null verschiedenen Beitrag liefert lediglich der Summand: ZT 0 ap cos2 (pωt) dt = ap T . 2 36 Kapitel 3. Schwingungen Somit können wir also den Koeffizienten ap mit Hilfe von 2 ap = T ZT F (t) ωs (pωt) dt ZT F (t) sin(pωt) dt 0 bestimmen. Analog erhält man 2 bp = T 0 mit b0 = 0. Der Koeffizient a0 ist schließlich gegeben durch 1 a0 = T ZT F (t) dt 0 und entspricht dem Mittelwert von F (t). Mit diesen Koeffizienten lässt sich die Funktion also als Summe von harmonischen Funktionen darstellen. So ergibt sich beispielsweise für die in Abb. 3.7 dargestellte Kippschwingung F (t) = aT0 t die Reihenentwicklung: F (t) = ∞ a0 a0 X sin(nωt) − . 2 π n=0 n Mit Hilfe der Reihenentwicklung können wir nun die Lösung eines gedämpften Oszillators angeben, der von einer periodischen nicht harmonischen Kraft angetrieben wird. Sie ist einfach die Summe der Auslenkungen, die zu den einzelnen harmonischen Anregungen gehören. Die Amplituden zu einer gegebenen Frequenz ωn wird durch die zugehörigen Fourierkoeffizienten bestimmt. Gerade und ungerade Funktionen Die Berechnung der Fourierkoeffizienten wird im Fall gerader F (t) = F (+t) bzw. ungerader F (t) = F (−t) wesentlich erleichtert: Die Fourierentwicklung einer geraden Funktion muss natürlich auch gerade sein. Diese Eigenschaft trifft aber nur für die Kosinusterme (cos(x) = cos(−x)) zu, so dass bn = 0 für beliebige n gilt. Analog gilt an = 0 (n ≥ 0) für ungerade Funktionen. 3.6 Gekoppelte Schwingungen Bislang haben wir uns auf solche Systeme beschränkt, die durch eine zeitabhängige Variable beschrieben werden können. In vielen Systemen ist die Situation aber komplexer, häufig wechselwirken die Oszillatoren auch untereinander. Das zweiteinfachste Modellsystem, das wir in diesem Kontext analysieren können, ist ein System von zwei gekoppelten Oszillatoren. Beispiele: 37 3.6. Gekoppelte Schwingungen • Zwei Pendel, die durch eine Feder gekoppelt sind. • Zwei Massen, die jeweils von einer Feder gehalten werden und durch eine dritte Feder gekoppelt sind. Als physikalisches Modellsystem betrachten wir ein CO2 Molekül. Der Überlapp der Elektronenhüllen führt zur Bindung der beteiligten Atome, so dass sich die Atome in einer Reihe anordnen. Die zentrale Position nimmt dabei das Kohlenstoffatom ein. Quantenmechanische Rechnungen zeigen, dass man die Bindungen zwischen dem Kohlenstoff und den Sauerstoffatomen durch ein harmonisches Potenzial annähern kann. Die Bewegung des Schwerpunktes des CO2 Moleküls ist gradlinig und gleichförmig, so dass wir uns in erster Linie für die Relativbewegung der Atome interessieren. Durch die Auslenkungen, die auf der Abbildung dargestellt sind, verändert sich die Lage des Schwerpunktes gemäß: MX mx2 mx1 + + . M + 2m M + 2m M + 2m Wie üblich legen wir den Schwerpunkt in den Koordinatenursprung, so dass mx1 + M X + mx2 = 0 erfüllt ist. Durch die obige Beziehung wird die Zahl der unabhängigen Variablen auf zwei reduziert. Wir wählen die Auslenkungen der Sauerstoffatome x1 , x2 als unabhängige Variable, für die sich die Bewegungsgleichungen mẍ1 = k(x − x1 ) und mẍ2 = k(x − x2 ) ergeben, wobei die Stärke der harmonischen Bindung durch k parametrisiert wird. Wenn man nun die Variable X eliminiert, ergibt sich: m+M 1 ẍ1 = −kx1 = −αx1 − βx2 (3.4) − kx2 mM M 1 m+M = −αx2 − βx1 (3.5) − kx1 ẍ2 = −kx2 mM M k mit α = k m+M und β = M . mM Die Gleichungen (3.4) und (3.5) bilden ein System gekoppelter Differenzialgleichungen. Zur Lösung solcher Systeme muss man neue Variablen einführen, die die Gleichungen entkoppeln. Für unser Beispiel ist das recht einfach. Wir führen dazu die Variablen q1 = x1 + x2 und q2 = x1 − x2 ein, so dass sich q̈1 + q̈2 = 2ẍ1 = −α(q1 + q2 ) − β(q1 − q2 ) und q̈1 − q̈2 = −2ẍ1 = −α(q1 − q2 ) − β(q1 + q2 ) ergibt. Durch Addition und Subtraktion der beiden Gleichungen erhalten wir: q̈1 = −(α + β) q1 und q̈2 = −(α − β) q2 38 Kapitel 3. Schwingungen Die Differenzialgleichungen entsprechen denen zweier einfacher harmonischer Oszillatoren und haben die Lösungen 1 2 2 q1 = q10 cos(ω1 t + ϕ1 ) ω1 = α + β = k + m M k q2 = q20 cos(ω2 t + ϕ2 ) ω22 = α − β = m Für die Auslenkungen der Sauerstoffatome ergibt sich also: x1 (t) = x10 cos(ω1 t + ϕ1 ) + x20 cos(ω2 t + ϕ2 ) x2 (t) = x10 cos(ω1 t + ϕ1 ) − x20 cos(ω2 t + ϕ2 ) Die Konstanten x10 , x20 , ϕ1 , ϕ2 werden aus den Anfangsbedingungen für x1 , x2 und den Anfangsgeschwindigkeiten bestimmt. Sehr einfache Bewegungen ergeben sich für die Anfangsbedingungen (i) x10 = x0 ; x20 = 0 bzw. (ii) x20 = x0 ; x10 = 0. Die Lösungen in diesen beiden Fällen lauten: (i) x1 (t) = x0 cos(ω2 t + ϕ2 ) ; x2 (t) = −x0 cos(ω2 t + ϕ2 ) (ii) x1 (t) = x0 cos(ω1 t + ϕ1 ) ; x2 (t) = x0 cos(ω1 t + ϕ1 ) Im Fall (i) sind die Bewegungen um den Winkel π phasenverschoben, d.h. die beiden Sauerstoffatome schwingen gegeneinander. Im Fall (ii) schwingen beide Sauerstoffatome in Phase, d.h. sie schwingen synchron um die Gleichgewichtslage. Diese beiden Lösungen nennt man Normalmoden des Systems. Das Verhältnis der beiden Frequenzen der Normalmoden ist 1.91, in guter Übereinstimmung mit Resultaten quantenmechanischer Rechnungen für zwei Grundschwingungen des CO2 Moleküls. Bem.: Durch die einfache Struktur der Gleichungen ließ sicht recht einfach eine Koordinatentransformation angeben, die das System entkoppelt. Das Standardverfahren für solche gekoppelten linearen Differenzialgleichungen wird im Skript zum mathematischen Vorkurs erläutert. Kapitel 4 Quantenmechanik 4.1 Grundlagen der Quantenphysik Die Frage, ob Materie unendlich oft teilbar ist, oder aber nur bis hin zu kleinsten unteilbaren Einheiten, wurde schon im antiken Griechenland behandelt (z.B. Demokrit 460 - 370 v. Chr.: “Urgründe des Alls sind die Atome und das Leere”). Ein umfassendes Verständnis der Materie auf atomarer Skala wurde aber erst durch die Entwicklung der Quantentheorie bzw. synonym der Quantenmechanik entwickelt. Die Quantenmechanik beschreibt Prozesse auf (sub-)atomarer Skala, die allerdings auch zu makroskopischen Phänomenen führen können. Ein Beispiel für ein solches makroskopisches Quantenphänomen ist die Supraleitung, also der reibungsfreie Transport von Ladung, die sich nur im Rahmen der Quantenmechanik verstehen lässt. In diesem Kapitel wollen wir einen Überblick über die Bausteine der Materie und ihre grundlegenden Eigenschaften geben. 4.1.1 Die Bausteine der Materie Bei tiefen Temperaturen liegt Materie gewöhnlich als fest oder flüssig kondensiert vor. Im kondensierten Zustand sind die Atome dicht gepackt. Bei Kristallen beobachtet man sogar regelmäßige Anordnungen von Atomen. Wenn man Materie aufheizt, geht sie in den gasförmigen Zustand über; entweder direkt aus dem festen (Sublimation) oder aus dem flüssigen Zustand (Verdampfung). Dabei bleiben, wie z.B. beim Wasserkochen, die Molekülbindungen erhalten. Molekülbindungen kann man durch Bestrahlung mit Licht aufbrechen, wenn das Licht eine geeignete Frequenz hat. Die Frequenzabhängigkeit der Absorption ist die Konsequenz der Quantennatur des Lichtes, wie wir bei der Diskussion des Photoeffekts sehen werden. Durch Bestrahlung mit Licht kann man aber nicht nur Moleküle dissoziieren, sondern auch Atome in verschiedene Bestandteile zerlegen! Atome sind also nicht unteilbar, sondern bestehen aus einem Atomkern und einer Elektronenhülle. Elektronen haben die Masse me = 9.109 × 10−31 kg und besitzen die Ladung −e = −1.602 × 10−19 C (1C = 1 Coulomb). Atome sind elektrisch neutral, d.h. die Teilchen im Kern müssen die entgegengesetzt gleiche Ladung tragen. Wenn man Elektronen aus 39 40 Kapitel 4. Quantenmechanik der Elektronenhülle entfernt, verbleibt ein mit +e geladenes Ion. Die Energie, die dazu benötigt wird, ist von der Größenordnung 1eV = 1 Elektronenvolt = 1.602 · 10−19 J. Wenn man alle Elektronen aus der Hülle entfernt, verbleibt der Atomkern. Im Vergleich zu den Elektronen ist der Atomkern extrem schwer, selbst beim Wasserstoffatom ist das Verhältnis zwischen Kernmasse und Elektronenmasse etwa 2000 : 1. Gleichzeitig ist der Kern sehr kompakt, sein Durchmesser ist etwa 1/10000 des Abstandes von Atomen im Festkörper. 4.1.2 Struktur des Atomkerns Während Elektronen Elementarteilchen sind, sind die Atomkerne aus positiv geladenen Teilchen, den Protonen, und elektrisch neutralen Teilchen, den Neutronen, zusammengesetzt. Die verschiedenen Elemente unterscheiden sich durch die Ladung des Kerns. Für jedes Element gibt es dann noch eine Anzahl von Isotopen, die die gleiche Kernladungszahl, aber verschiedene Massen haben. Die Massenzahl A des Kerns ist die Summe der Protonen- und Neutronenzahl während die Kernladungszahl die Zahl der Protonen angibt. Ähnlich wie man Elektronen aus der Elektronenhülle entfernen kann, ist es auch möglich, Protonen bzw. Neutronen vom Kern zu entfernen. Man benötigt aber Energien in der Größenordnung von 1M eV = 106 eV . Um die verschiedenen Isotope eines Elements zu unterscheiden, wird die folgende Notation angewandt: Aց 12 C 6 Zր C = chemisches Symbol “Kohlenstoff” (Carbon) Das 12 C Atom dient auch zur Festlegung der atomaren Masseneinheit (amu): 1amu = (1.661 × 10−27 )kg = 1 Masse eines 12 C Atoms 12 Selbst Protonen und Neutronen sind keine Elementarteilchen, sondern aus sog. Quarks zusammengesetzt, wie man durch Streuexperimente mit hochenergetischen Teilchen (einige GeV ≡ 109 eV ) zeigen kann. Nach dem heutigen Stand der Forschung sind Quarks wie die Elektronen tatsächlich elementare Teilchen. Es gibt sechs verschiedene Quarks, die aber nicht als freie Teilchen beobachtbar sind: Sie treten immer paarweise oder zu dritt auf. 4.1.3 Radioaktivität Nicht alle Isotope eines Elements sind stabil. Für Wasserstoff existieren drei verschiedene Isotope mit 0, 1, 2 Neutronen. 21 H nennt man Deuterium oder auch schweren Wasserstoff. Das 31 H Isotop (“Tritium”) ist im Gegensatz zu den beiden anderen Isotopen nicht stabil. Es besitzt eine Halbwertszeit von 12 Jahren, d.h. nach dieser Zeit ist die Hälfte der Tritium Atome in 31 He umgewandelt worden. 41 4.1. Grundlagen der Quantenphysik Diese spontane Umwandlung von Kernen nennt man Radioaktivität (Becquerel, 1896). Durch die verschiedenen Zerfallsprozesse wird Strahlung emittiert. Man unterscheidet dabei drei Arten von Strahlung • α-Strahlung: Sie besteht aus 42 He-Kernen, die leicht abgeschirmt werden können. Durch die Emission von α-Teilchen reduziert sich Z um 2 und A um 4 Einheiten. 204 (Bsp. 208 84 P o →82 P b) • β-Strahlung besteht aus Elektronen oder Positronen (Ladung +e). Sie ist gut abschirmbar, kann aber einige mm Plastik durchdringen. Durch die Emission von β-Strahlung wird tritt keine Änderung der Massenzahl auf, die Kernladungszahl wird aber geändert: 40 19 K 40 21 Se → → 40 20 Ca 40 20 Ca (β − -Strahlung) (β + -Strahlung) • γ-Strahlung besteht aus hochenergetischen Photonen, die sogar Blei durchdringen können. A und Z bleiben bei der Emission von γ-Strahlung erhalten. 4.1.4 Radioaktiver Zerfall Im Gegensatz zur klassischen Physik sind die Aussagen in der Quantenmechanik nicht deterministisch. Wir können also vorhersagen, dass nach 12 Jahren die Hälfte aller Tritium Atome in 3 He umgewandelt worden ist, wann dies aber exakt für ein einzelnes Atom der Fall ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir kennen aber für eine Probe radioaktiven Materials die Zerfallsrate, d.h. die Anzahl der pro Zeiteinheit zerfallenen Kerne: − dN = λN dt Die Größe λ ist die sog. Zerfallskonstante. Die Lösung dieser Differentialgleichung ist durch N (t) = N0 e−λt gegeben. Nach einer Zeit t = λ−1 , der Zerfallszeit, ist die ursprüngliche Anzahl der Atome im Mittel auf Ne zurückgegangen (e = 2.718). Eine weitere wichtige Größe ist die Halbwertszeit τ1/2 , also die Zeit nach der die Hälfte der Atome zerfallen ist. Aus 1 = exp (−λ τ1/2 ) 2 ergibt sich τ1/2 = 0.693 . λ Man beobachtet eine sehr große Variabilität der Halbwertszeiten bis hin zu 2.1 × 1015 Jahren (144 N d: Neodymium). Alle Kerne mit A > 120 sind instabil, allerdings nur in dem Sinn, dass bei ihrer Spaltung Energie frei wird, und nicht, dass man den spontanen Zerfall der Kerne auf experimentell realisierbaren Zeitskalen beobschten kann. Durch radioaktive Strahlung wird eine große Menge Energie transportiert. So werden z.B. 42 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.1: Experimenteller Aufbau zum Photoeffekt: Das einfallende Licht trifft auf eine Metallplatte und ionisiert die Metallatome. Die gelösten Elektronen werden im Gegenfeld abgebremst und treffen bei ausreichend hoher Energie auf den Kollektor. beim Zerfall von 238 U α-Teilchen mit einer kinetischen Energie von 4.197M eV frei. Dadurch können α-Teilchen Atome in ihrer Umgebung ionisieren und Molekülbindungen aufbrechen, wodurch die verheerende Wirkung radioaktiver Strahlung auf biologische Zellen bedingt ist. Es gibt verschiedene Größen, die die Stärke der Radioaktivität einer Probe charakterisieren, wie die sog. Aktivität einer Probe. Die Aktivität einer Probe wird in Becquerel = 1Bq = 1 Zerfall pro Sekunde angegeben. R=− 4.2 dN = λN0 e−λt = λN dt Photonen Genauso wie Materie ist auch Licht nicht unendlich oft teilbar, sondern stellt einen Strom aus Teilchen dar, die man Photonen nennt. Jedes Photon besitzt eine wohldefinierte Menge an Energie, die man Energiequant nennt. (Für Photonen wird auch der Begriff Lichtquant verwendet). Gleichzeitig besitzt Licht aber auch Wellencharakter, wie wir im vorangegangenen Abschnitt an Hand der Beugungs- und Interferenzphänomene gesehen haben. Die Eigenschaft, dass das Licht gleichzeitig Wellenund Teilchencharakter besitzt, nennt man Welle-Teilchen Dualismus. 4.2.1 Der Photoeffekt Wie wir in der Einleitung zu diesem Kapitel bemerkt haben, kann Licht Atome ionisieren. Wenn ein Photon durch das Atom absorbiert, ein Elektron emittiert und ein ionisiertes Atom zurückgelassen wird, nennt man dies “Photoelektrischen Effekt”. Der Nachweis des Photoeffekts geschieht im folgenden klassischen Aufbau: Man legt eine 43 4.2. Photonen Abbildung 4.2: Verlauf der Gegenspannung in Abhängigkeit von der Frequenz des einfallenden Lichtes. Spannung zwischen zwei metallische Platten an. Durch das elektrische Feld werden die aus der Anode emittierten Elektronen abgebremst, so dass ausschließlich solche Elektronen auf die Kathode treffen, die ausreichend viel kinetische Energie besitzen. Die gemessene Stromstärke ist proportional zur Intensität der Lichtquelle. Durch die Gegenspannung kann man aber die maximale kinetische Energie der freien Elektronen bestimmen: Die Elektronen erreichen nur dann die Kathode, wenn Ekin ≥ qU ist. Damit kann man aus der Spannung U in Volt, bei der der Strom gerade verschwindet, die maximale kinetische Energie der Photoelektronen bestimmen. Die Abhängigkeit von Emax von der Frequenz des Lichtes ist in Abb 4.2. Wenn man die lineare Funktion bis hin zu ν = 0 extrapoliert, erhält man eine negative Energie von einigen eV . Diese Energie ϕ hängt vom Material der Anode ab, die Steigung der Gerade ist dagegen universell und hat den Wert h = 4.1 × 10−15 eV /Hz = 6.6 × 10−34 Js Diese Beobachtungen lassen sich erklären, wenn man folgende Annahmen über Photonen macht: 1. Die Energie des Lichts setzt sich aus diskreten Einheiten, den Photonen, zusammen. 2. Für eine feste Frequenz haben alle Photonen dieselbe Energie. 3. Ein Photon der Frequenz ν besitzt die Energie hν. Die universelle Konstante h nennt man das Planck’sche Wirkungsquantum. Mit der Beziehung aus 3. gilt dann Emax = hν − ϕ, so dass mit ϕ die Austrittsarbeit des Elektrons bezeichnet wird. 4.2.2 Impuls des Photons: Der Compton-Effekt Beim Photoeffekt haben wir bislang die Erhaltung des Impulses nicht berücksichtigt Da die austretenden Elektronen einen Impuls besitzen, der der Ausbreitung der Elektronen entgegengesetzt ist, muss ein Impulsübertrag stattgefunden haben und zwar 44 Kapitel 4. Quantenmechanik hν (a) v (b) hν’ Abbildung 4.3: (a) Ein Photon mit der Frequenz ν trifft auf ein ruhendes Elektron. (b) Nach dem frontalen Stoß bewegt sich das Elektron mit Geschwindigkeit v, während das sich Photon mit der Frequenz ν ′ in die entgegengesetzte Richtung bewegt. vom Photon auf die metallische Platte. Wegen der im Vergleich zum Elektron großen Masse der Platte wird diese nicht nennenswert beschleunigt. Eine andere Situation ergibt sich aber bei der Streuung von Licht an freien Elektronen. In diesem Fall müssen wir neben der Energie- auch die Impulserhaltung berücksichtigen. Es stellt sich daher die Frage: Was ist der Impuls eines Photons mit Wellenlänge λ? Wenn man naiv die Beziehung zwischen kinetischer Energie und Impuls klassischer Teilchen ansezten würde, d.h. pc = 2 Evkin = me v, wie sie für das Elektron gilt, würde der Impuls des Photons 2hν/c sein. Dies gilt aber nur, wenn sich die Teilchen mit einer Geschwindigkeit v ≪ c bewegen, was offensichtlich für Photonen nicht der Fall ist. Der korrekte relativistische Ausdruck für den Impuls des Photons lautet pν = hν c bzw. pν = h , λ also die Energie des Photons durch die Lichtgeschwindigkeit. Die relativistische Beziehung unterscheidet sich um einen Faktor 2 von dem Ausdruck, den man klassisch erwartet. Wir betrachten nun die folgende Situation (siehe Abb. 4.3): Ein Elektron wird frontal von einem Photon mit der Energie hν gestoßen. Das Elektron besitze nach der Kollision die Geschwindigkeit v ≪ c und das Photon die Frequenz ν ′ . Dann gilt: (i) Impulserhaltung: hν ′ hν =− + me v c c (ii) Energieerhaltung: 1 hν = hν ′ + me v 2 2 Aus diesen beiden Erhaltungsgrößen lässt sich die Änderung der Wellenlänge berechnen: λ − λ′ = 2h me c 45 4.3. Teilchen-Welle Dualität Wir haben dabei benutzt, dass wegen v ≪ c die Näherung 4h2 νν ′ = m2e v 2 c2 − 14 m2e v 4 ≈ m2e v 2 c2 verwendet werden kann1 . Wenn wir den Fall betrachten, dass das Elektron nicht frontal gestoßen wird, ergibt sich λ′ − λ = h (1 − cos Θ) me c Die Größe mhe c nennt man Compton-Wellenlänge. Sie hat den Wert 2.43 × 10−12 m, was im Vergleich zu sichtbarem Licht (gelbes Licht ≃ 500 nm = 5 × 10−7 m) sehr klein ist. Wenn man den Energieübertrag betrachtet, ergibt sich: 1 (1 − cos Θ) 1 − = hν ′ hν me c2 wobei me c2 die Ruheenergie des Elektrons ist. Es gilt me c2 = 511keV. 4.3 Teilchen-Welle Dualität Photo- und Comptoneffekt zeigen den Teilchencharakter von Photonen. Gleichzeitig hat Licht aber auch Wellencharakter, wie Beugungsexperimente zeigen. Wenn man diese Beugungsexperimente für sehr niedrige Lichtintensitäten durchführt, sieht man, dass die Abbildung eine körnige Struktur hat, die durch das Auftreten einzelner Photonen hervorgerufen wird. Dies ist so zu interpretieren, dass die Wellenbeschreibung des Lichtes uns lediglich die Wahrscheinlichkeit dafür voraussagt, wo ein einzelnes Photon auf den Schirm treffen wird. Die Teilchen-Welle Dualität spielt für praktische Anwendungen nur in einem Bereich der Wellenlänge von 10−5 m (Infrarot) bis 10−11 m (Röntgen) eine Rolle. Für größere Wellenlängen ist die Energie von einzelnen Photonen zu niedrig, um mit der Materie wechselzuwirken. Für Wellenlängen kleiner als 10−11 m wird es unmöglich, Objekte so zu platzieren, dass Beugungsmuster erzeugt werden. Nichtsdestotrotz spielt gerade die Röntgenbeugung bei der Strukturaufklärung von Materie eine wichtige Rolle. Die Teilchen-Welle Dualität gilt aber nicht nur für Photonen, sondern ist eine allgemeine Eigenschaft der Materie. De Broglie hat angenommen, dass für Elektronen die gleiche Relation wie für Photonen gilt, also λ= h pe wobei pe der relativistische Impuls des Elektrons ist. Diese Annahme ist experimentell bestätigt worden. 4.3.1 Die Unschärferelation Eine aus der Optik bekannte Tatsache ist, dass man Licht nicht exakt in einem Punkt fokussieren kann. Die Beugung des Lichtes bestimmt immer die kleinstmögliche Abbildung. 46 Kapitel 4. Quantenmechanik Für die Anordnung gilt, dass der kleinste dunkle Beugungsring den Durchmesser λ/ sin Θ hat, also ist der kleinstmögliche Radius der Abbildung λ. Was bedeutet diese Auflösung für ein einzelnes Photon? Wenn wir davon ausgehen, dass sich das Photon im 0ten Beugungsmaximum befindet, können wir den Ort des Photons mit einer Genauigkeit von δx = 2λ/ sin Θ bestimmen. Den Impuls des Photons können wir ebenfalls nur mit endlicher Genauigkeit bestimmen: Das Photon bewegt sich mit einem Winkel zwischen −Θ und Θ relativ zur xAchse. Da der Impuls des Photons hν c ist, liegt der Wert der x-Komponente zwischen ±hν sin Θ/c. Daher gilt für das Produkt von Impuls- und Ortsunschärfe δx · δpx ≃ λ hν sin Θ hνλ · = =h sin Θ c c d.h. die Unschärfe hängt nur von der universellen Konstante h ab. Die obige Relation besagt, dass man Ort und Impuls eines Photons nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit bestimmen kann. Man kann die Unschärferelation auch theoretisch herleiten. Wenn ∆x , ∆px die mittlere quadratische Abweichung der x-Koordinate bzw. des Impulses in x-Richtung bezeichnet, gilt ∆x∆px ≥ h ~ = 2 4π Analog gilt: ∆y∆py ≥ ~2 und ∆z∆pz ≥ ~2 . Aber nicht nur gleichzeitige Orts- und Impulsbestimmungen haben eine endliche Genauigkeit, sondern auch gleichzeitige Energieund Zeitmessungen: 1 ∆E∆t ≥ ~ . 2 Dies hat z.B. zur Folge, dass bei radioaktiven Kernen mit endlicher Lebensdauer die Energie der emittierten Strahlung in einem Intervall endlicher Breite ∆E um den Mittelwert verteilt ist. 4.4 Die Schrödinger-Gleichung Im vorangegangenen Abschnitt haben wir gesehen, dass mikroskopische Teilchen gleichzeitig auch Wellencharakter haben. Diese Tatsache wirft zwei Fragen auf: 1. Wie interpretiert man Materie, wenn man die quantenmechanische Wellenfunktion an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt kennt? 2. Welche Differentialgleichung beschreibt die Materiewellen? Genau diese Fragen werden wir in diesem Abschnitt diskutieren. 1 Die obige Beziehung gilt exakt, wenn man auch für das Elektron die relativistischen Ausdrücke für Energie (E = mc2 (γ − 1); γ = √ 1 2 ) und Impuls (p = γmv) verwendet. 1−(v/c) 47 4.4. Die Schrödinger-Gleichung 4.4.1 Die Wellenfunktion eines freien Teilchens Im Kapitel über Wellenausbreitung haben wir gesehen, dass man Wellen in großem Abstand von der Quelle immer als ebene Wellen approximieren kann. Wenn wir annehmen, dass sich die Welle in x-Richtung ausbreitet, kann man eine solche ebene Welle durch ξ = ξ0 cos(ωt − kx) beschreiben, wobei ξ0 die Amplitude, ω die Frequenz und k die Wellenzahl bezeichnet. Außerdem erinnern wir uns daran, dass bei realen Wellen nicht nur eine einzige Frequenz vorliegt, sondern dass die Frequenzen in einem schmalen Band um die mittlere Frequenz verteilt sind. Wir machen einen ähnlichen Ansatz für die Beschreibung von Materie, benutzen allerdings die komplexe Form der Wellenfunktion ψ = ψ0 ei(ωt−kx) wobei i = √ (4.1) −1 und eix = cos(x) + i sin(x) (vgl. Taylorreihen). Dispersionsrelation Die Wellenfunktion (4.1) muss mit der Physik von Photonen und Materiewellen kompatibel sein, wenn sie die tatsächlich gesuchte Wellenfunktion ist. Dies wollen wir nun überprüfen. Die Energie eines Photons ist gegeben durch E = hν = ~ω . Wir nehmen an, dass dieser Ausdruck auch für massive Teilchen zutreffend ist. Die 2 kinetische Energie eines Teilchen der Masse m ist mv 2 , so dass ω= mv 2 2~ Die de Broglie-Beziehung besagt, dass einem Teilchen mit Impuls p die Wellenlänge λ = hp zugeordnet wird. Damit erhalten wir für ein nicht-relativistisches massives Teilchen mv = so dass die Dispersionsrelation ω = ~k 2 2m h = ~k λ folgt. Wenn wir annehmen, dass das Teilchen durch ein Wellenpaket beschrieben wird, so ist die Geschwindigkeit des Teilchens durch Gruppengeschwindigkeit vg = ~k dω = =v dk m gegeben. Die Gruppengeschwindigkeit stimmt also wie erwartet mit der Teilchengeschwindigkeit überein, so dass der Ansatz (4.1) konsistent mit dem Teilchenbild ist. 48 Kapitel 4. Quantenmechanik 4.4.2 Interpretation der Wellenfunktion Die Wellenfunktion beschreibt die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu finden. Diese Interpretation wurde experimentell verifiziert. Genauer gilt: “Die Wahrscheinlichkeit zu einer Zeit t in einem infinitesimalen Intervall zwischen x und x + dx zu finden, ist proportional zu dx und dem Betragsquadrat der Wellenfunktion bei (x, t).” Wir bezeichnen mit p(x, t)dx die Wahrscheinlichkeit das Teilchen zur Zeit t zwischen x und x + dx zu finden. Dann gilt2 p(x, t) ∝ ψ ⋆ (x, t) ψ(x, t)dx Wir haben gesehen, dass durch die Wellenfunktion (4.1) ein Teilchen mit der Geschwindigkeit v beschrieben wird. Gleichzeitig gilt p(x, t)dx ∝ ψ02 dx d.h. die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen an einem beliebigen Ort zu einer beliebigen Zeit zu finden, ist konstant. Damit ist die Ortsunschärfe ∆x = ∞, so dass trotz ∆p = 0 (das Teilchen hat exakt die Geschwindigkeit v!) die Heisenberg’sche Unschärferelation erfüllt werden kann. 4.4.3 Normierung Bislang haben wir p(x, t) nur bis auf eine Proportionalitätskonstante bestimmt. Da durch p(x, t) die Wahrscheinlichkeitsamplitude für ein einzelnes Teilchen bestimmt wird, muss p(x, t) normierbar sein, d.h. Z∞ Z∞ p(x, t) dx = ψ ⋆ ψ dx = 1 −∞ −∞ Diese Bedingung führt für den Ansatz ebener Wellen zu Problemen, da Z∞ Z∞ 2 dx = 1 p(x, t) dx = ψ0 −∞ ψ02 −∞ gelten muss, was gleichbedeutend mit = 0 ist. Das Problem der Normierung lässt sich durch folgende Annahme beseitigen: ψ(x, t) = ψ0 ei(ωt−kx) sei die Approximation einer Wellengruppe mit sehr schmalem Impulsintervall. Die Approximation sei gültig auf dem Intervall von [−L, L]. Damit ist ψ(x, t) normiert, wenn ψ0 = √12L gilt. Dieses Ergebnis besagt auch, dass die Wellenfunktion die Dimension 1 [ψ(x, t)] = [Länge]− 2 hat. 2 Es sei z = x + iy eine komplexe und x, y reell. Dann ist z ⋆ = x − iy die zu z komplex konjugierte Zahl. 49 4.4. Die Schrödinger-Gleichung 4.4.4 Die Schrödinger-Gleichung Nachdem wir eine geeignete Wellenfunktion zur Beschreibung eines freien Teilchens gefunden haben, wollen wir nun die Differentialgleichung bestimmen, deren Lösung durch ψ(x, t) gegeben ist. Dazu betrachten wir die partiellen Ableitungen der Wellenfunktionen nach dem Ort und der Zeit. Die erste partielle Ableitung nach x ergibt: ∂ψ(x, t) = −ik ψ0 ei(ωt−kx) ∂x und die zweite Ableitung ∂ 2 ψ(x, t) = −k2 ψ0 ci(ωt−kx) = −k2 ψ(x, t) . ∂x Für partielle Ableitung nach der Zeit ergibt sich: ∂ψ(x, t) = iω ψ0 ci(ωt−kx) = iωψ(x, t) ∂x Wenn wir zusätzlich die Dispersionsrelation ω = − ~k 2 2m ausnutzen, erhalten wir: ~2 ∂ 2 ψ(x, t) ~ ∂ψ(x, t) = 2 2m ∂x i ∂t Dies ist die Schrödingergleichung für ein freies Teilchen. 4.4.5 Bewegung in einem zeitunabhängigen Potential Im nächsten Schritt wollen wir die quantenmechanische Beschreibung eines Teilchens in einem zeitunabhängigen Potential untersuchen. Zur Vereinfachung der Diskussion betrachten wir ein zeitunabhängiges Potential, das nur von der x-Koordinate abhängt, also U = U (x). Wenn wir die Schrödinger-Gleichung für ein freies Teilchen betrachten, ergibt sich für die linke Seite − ~2 ∂ 2 ψ(x, t) (~k)2 1 = ψ(x, t) = mv 2 ψ(x, t) 2m ∂x2 2m 2 wobei wir die Relation ~k m = v benutzt haben. Dieser Ausdruck ist also die klassische kinetische Energie des Teilchens multipliziert mit der Wellenfunktion. Für die rechte Seite der Gleichung ergibt sich ~ ∂ψ(x, t) = ~ω ψ(x, t) i ∂t also die Energie des Teilchens multipliziert mit der Wellenfunktion. Für ein freies Teilchen stimmen kinetische und Gesamtenergie überein. Diese Form suggeriert, dass 50 Kapitel 4. Quantenmechanik die Schrödingergleichung bei einem Teilchen, das sich in einem Potential U (x) bewegt, die Form − ~ ∂ψ(x, t) ~ ∂ 2 ψ(x) + U (x)ψ(x) = 2m ∂x2 i ∂t besitzt. Diese Form der Schrödingergleichung hat sich für nicht-relativistische Teilchen als korrekt erwiesen, d.h. sie liefert ähnlich wie die Newton-Gleichungen für makroskopische Teilchen, sehr gute Vorhersagen solange v ≪ c. 4.4.6 Stationäre Zustände Die Zeitunabhängigkeit des Potentials stellt eine große Erleichterung bei der Berechnung der Lösung der Schrödingergleichung dar, da man in diesem Fall den orts- und zeitabhängigen Teil der Wellenfunktion unabhängig voneinander bestimmen kann. Wir machen dazu den Ansatz ψ(x, t) = ϕ(x)ρ(t), d.h. zeit- und ortsabhängiger Anteil faktorisieren. Wenn wir diesen Ansatz in die Schrödingergleichung einsetzen, erhalten wir −ρ ~2 d2 ϕ dρ + U (x)ρϕ = −iϕ~ , 2 2m dx dt so dass sich durch Division mit ρϕ ~ dρ 1 ~ d2 ϕ + U (x) = −i − ϕ 2m dx2 ρ dt {z } | | {z } x−abh. zeitabh. ergibt. Die linke Seite der Gleichung ist zeitunabhängig während die rechte Seite nicht von der x-Koordinate abhängt. Damit kann die Gleichung nur dann erfüllt sein, wenn beide Seiten denselben konstanten Wert annehmen. Wenn wir diese Konstante E nennen, erhalten wir die beiden folgenden Gleichungen − ~2 d2 ϕ + U (x)ϕ = Eϕ 2m dx2 für den ortsabhängigen Teil und ~ dρ = Eρ i dt für ρ(t). Die zeitabhängige Gleichung wird offensichtlich durch ρ(t) = eiEt/~ gelöst. Damit gilt für beliebige Zeiten ρρ⋆ = 1, so dass automatisch ψ(x, t) durch Normierung von ϕ(x) normiert wird. Für zeitunabhängige Potentiale besteht also der nichttriviale Teil der Lösung der Schrödingergleichung darin, eine Lösung ϕ(x) für die stationäre Schrödingergleichung − zu finden. ~2 d2 ϕ + U (x)ϕ = Eϕ 2m dx2 4.5. Teilchen in eindimensionalen Potentialen 4.5 51 Teilchen in eindimensionalen Potentialen Wir werden in diesem Abschnitt die Physik von Teilchen in eindimensionalen stückweise konstanten Potentialen untersuchen. Diese Potentiale dienen als Modellsysteme für realistischere Potentialformen. Die Untersuchung dieser einfachen Potentialformen hat den Vorteil, dass die Schrödingergleichung verhältnismäßig einfach zu lösen ist. Gleichzeitig sind diese Modellsysteme aber auch geeignet, um grundlegende Phänomene der Quantenmechanik zu studieren. Für diese Form des Potentials nimmt die stationäre Schrödingergleichung die einfache Form ~2 d2 ϕ + U ϕ = Eϕ 2m dx2 2m bzw. ϕ′′ + 2 (E − U )ϕ = 0 ~ − an. Damit ergeben sich je nach Vorzeichen von (E − U ) die folgenden allgemeinen Lösungen der Schrödingergleichung • 1. Fall: (E − U ) < 0: Dieser Fall ist in der klassischen Mechanik nicht sinnvoll definiert, da im Rahmen der klassischen Mechanik die Gesamtenergie nicht kleiner als die potentielle Energie des Teilchens sein kann. In der Quantenmechanik dagegen spielen, wie wir an konkreten Realisierungen des Potentials sehen werden, auch Lösungen der Schrödingergleichung für diesen Fall eine Rolle. Die allgemeine Lösung der Schrödingergleichung für (E − U ) < 0 lautet: ϕ(x) = Ae−αx + Beαx mit α = √ 2m(U −E) . ~ Der Koeffizient α hat die Dimension 1/Länge. • 2. Fall: (E − U ) > 0: In diesem Fall werden die Lösungen der Schrödingergleichung durch ebene Wellen beschrieben: ϕ(x) = Ae−iαx + Beiαx mit α = 4.5.1 √ 2m(E−U ) . ~ Der endliche Potentialtopf Als erstes Modellsystem betrachten wir den sog. Potentialtopf, der in der obigen Abbildung dargestellt ist. Diese Form des Potentials können wir als eine (grobe) Näherung für das tatsächliche Potential annehmen, wenn ein Teilchen in einem bestimmten Abschnitt gebunden ist. Für den Fall, dass das Teilchen die Energie E < U0 besitzt, kann man es als zwischen 0 und L gebunden ansehen. Der Wert |U0 −E| entspricht gleichzeitig der Bindungsenergie 52 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.4: Verlauf des endlioh tiefen Potentialtopfs. des Teilchens, da genau diese Energie nötig ist, um das Teilchen aus dem Potentialtopf zu befreien. Innerhalb des Potentialtopfes gilt (E − U ) > 0, so dass gemäß der obigen Diskussion die Lösung der Schrödingergleichung durch eine ebene Welle beschrieben wird. Für x ≤ 0 und x ≥ L lautet die allgemeine Form der Lösung ϕ(x) = Ae−αx + Beαx . Damit aber die Lösung der Schrödingergleichung normierbar bleibt, muss B = 0 für x ≥ L gelten. Wir erhalten daher eine exponentiell abklingende Amplitude im klassisch verbotenen Bereich. Analog muss A = 0 für x < 0 gelten. Insgesamt ergeben sich also folgende Teillösungen des Problems: • x ≤ 0: In diesem (klassisch verbotenen) Bereich lautet die Wellenfunktion: ϕI (x) = Beαx • 0 ≤ x ≤ L: In diesem (klassisch erlaubten) Bereich ist die allgemeine Lösung der Wellenfunktion durch ϕII (x) = Ceikx + De−ikx gegeben. • x > L In diesem (klassisch verbotenen) Bereich ist die allgemeine Lösung der Wellenfunktion durch: ϕIII (x) = Ae−αx gegeben. Die Bestimmung der Koeffizienten A, B, C, D ist möglich, wenn man die Stetigkeit der Wellenfunktion und der ihrer ersten Ableitung bei x = 0, L ausnutzt. Diese Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Wellenfunktion für ein Potential mit endlichem Sprung Lösung der Schrödingergleichung sein kann. Damit erhalten wir die Gleichungen ϕI (0) = ϕII (0) und ϕII (L) = ϕIII (L). Zwei weitere Gleichungen ergeben sich aus der Stetigkeit der ersten Ableitungen bei x = 0, L. Die explizite Bestimmung der Koeffizienten führt auf eine transzendente Gleichung, die nur numerisch ausgewertet werden kann. Wir halten aber fest, dass die Koeffizienten A, B nicht verschwinden, 53 4.5. Teilchen in eindimensionalen Potentialen Abbildung 4.5: Wahrscheinlichkeitsdichten im endlichen Potentialtopf, für die drei energetisch günstigsten Zusände. d.h. im qualitativen Unterschied zur klassischen Mechanik dringt das Teilchen also auch in den Bereich mit x > L bzw. x < 0 ein. Dieses Phänomen, das zu den wichtigen Ergebnissen der Quantenmechanik gehört, wollen wir im Folgenden genauer untersuchen. 4.5.2 Die Potentialbarriere Wir betrachten das in Abb. 4.6 dargestellte stückweise konstante Potential. Zwischen den Regionen A (x < 0) und B (x > L) liegt eine Potentialbarriere der Höhe U0 . Wenn das Teilchen eine positive Energie E < U0 besitzt, läuft die Welle bis zur Potentialbarriere, wo sie teilweise reflektiert und transmittiert wird. In dem Abschnitt A hat die Welle daher die Form ψA = ψ0 ei(ωt−kx) + R ei(ωt+kx) mit ω = E/~ und der Wellenzahl k = 2π/~ = Welle die Form ψB = T ei(ωt−kx) √ 2mE/~. In Abschnitt B habe die 54 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.6: (a) Ein Elektron mit Energie E trifft auf eine Potentialbarriere der Höhe U0 . (b) Darstellung der Wahrscheinlichkeitsamplitude für die Potentialbarriere. Durch die Überlagerung der einlaufenden und reflektierten Welle im Bereich x < 0 ergibt sich eine räumlich veränderliche Wahrscheinlichkeitsamplitude in diesem Bereich. wobei mit R bzw. T die Amplitude des reflektierten bzw. transmittierten Anteils bezeichnet wird. Innerhalb der Barriere gilt − ~2 d2 ϕ + U0 ϕ = Eϕ 2m dx2 für die zeitunabhängige Schrödingergleichung. Da (U0 − E) > 0 ist, hat die obige Gleichung die allgemeine Lösung ϕ = C eαx + D e−αx √ 2m(U −E) 0 . Wir müssen also die Konstanten R, T, C, D bestimmen. Wegen wobei α = ~ der Stetigkeit der Wellenfunktion muss ϕ(L) = ψB (L) und ϕ(0) = ψA (0) gelten. Weiterhin muss auch die 1te Ableitung der Wellenfunktion bei ±L/2 stetig sein, was auf ′ ϕ′ (L) = ψB (L) ′ und ϕ′ (0) = ψA (0) 4.5. Teilchen in eindimensionalen Potentialen 55 führt. Wenn man das Gleichungssystem für L ≫ 1/α auswertet, ergibt sich T ≈− 4ikα e−(α+ik)L (α − ik)2 so dass wir in diesem Limes für die Tunnelwahrscheinlichkeit |T |2 = T T ⋆ T ⋆T ≈ 16α2 k2 e−2αL (α2 + k2 )2 erhalten. Die Tunnelwahrscheinlichkeit √ nimmt also exponentiell mit der Breite der Potentialbarriere und (wegen α ∼ U0 − E) der Wurzel aus der Differenz zwischen Höhe der Barriere und Energie des Teilchens ab. Beispiele für solche Tunnelereignisse sind das Tunneln von Elektronen durch isolierende Schichten zwischen zwei Leitern oder das Tunneln von α-Teilchen durch die Potentialbarriere der repulsiven Coulomb-Wechselwirkung beim α-Zerfall schwerer Kerne. 4.5.3 “Eingesperrte Teilchen” Abbildung 4.7: Der unendlich tiefe Potentialtopf. Das einfachste Beispiel eines eindimensionalen Potentials ist der unendlich hohe Potentialtopf (siehe Abb. 4.7), d.h. ∞ |x| ≥ L/2 U (x) = 0 |x| ≤ L/2 Für ein Teilchen mit endlicher Energie bedeutet dies, dass das Teilchen im Intervall zwischen [0, L] eingesperrt ist. Innerhalb des Potentialtopfes lautet die zeitunabhängige Schrödingergleichung: − ~2 ′′ ϕ (x) = Eϕ 2m 56 Kapitel 4. Quantenmechanik bzw. ϕ′′ + α2 ϕ = 0 mit α2 = 2mE ~2 Die DGL hat die allgemeine Lösung: ϕ(x) = A eiαx + B e−iαx Zur vollständigen Bestimmung der Lösung müssen wir also die Konstanten A, B bestimmen. Dazu nutzen wir aus, dass die Stetigkeit der Wellenfunktion ϕ(−L/2) = ϕ(L/2) = 0 (da wg. U (x) = ∞ ϕ(x) für |x| ≥ L2 verschwinden muss). Wir erhalten also die Gleichungen: L L 0 = A eiα 2 + B e−iα 2 = (A + B) cos(αL/2) + i(A − B) sin(αL/2) und L L 0 = A e−iα 2 + B eiα 2 = (A + B) cos(αL/2) − i(A − B) sin(αL/2) Die Gleichungen sind erfüllt, falls (i) A=B und cos(αL/2) = 0 ⇒ αL/2 = nπ/2 ; n = 1, 3, 5, . . . oder (ii) A = −B und sin(αL/2) = 0 ⇒ αL/2 = nπ/2 ; n = 2, 4, 6, . . . Für den Fall (i) ergibt sich für die Wellenfunktion ϕn = 2A cos (nπx/L) mit n = 1, 3, 5, . . . und En = ~2 2 ~2 n2 π 2 α = 2m 2mL2 Im Fall (ii) lautet die Wellenfunktion: ϕn = 2A sin(nπx/L) mit n = 2, 4, 6, . . . und En wie für (i). Wir sehen also, dass die Energien diskrete Werte annehmen, die nur von den fundamentalen Konstanten n, π, der Länge des Intervalls L und der Masse des Teilchens abhängen. Durch die Wahl des Energieeigenwertes wird auch die Wellenfunktion festgelegt. Unser Ergebnis ist auch konsistent mit der Unschärferelation, wie folgende Überlegung √ zeigt: Für die niedrigste Energie E1 gilt für den Betrag des Impulses p = 2mE = h ~π L = 2L . Da wir die Richtung des Teilchens nicht kennen, hat die Impulsunschärfe den Wert ∆p = h/L, so dass ∆p∆x ≃ h, was konsistent mit der Unschärferelation ist. 57 4.6. Der quantenmechanische Oszillator 4.5.4 Quantenzahlen Die ersten beiden Wellenfunktionen sind in der nebenstehenden Abbildung gezeigt. Die erlaubten Energien En und die dazu gehörige Wellenfunktion ϕn werden durch die Zahl n festgelegt, so hat z.B. die Wellenfunkion ϕn (n + 1) Knoten (einschließlich der Knoten bei x = ±L/2). Die Zahl n hat für dieses Problem die Rolle einer Quantenzahl. Quantenzahlen sind physikalischen Messgrößen oder Observablen zugeordnet, die einen scharfen konstanten Wert besitzen, in unserem Fall die Energie des Teilchens En . Bem.: Wir haben bislang die Wellenfunktion nur bis auf eine Konstante A bestimmt. Die Konstante ergibt sich aus der Normierung der Wellenfunktion. 4.6 Der quantenmechanische Oszillator Wir betrachten nach diesen einführenden Beispielen mit dem Oszillatorpotential ein Potential, das eine realistischere Form hat. Das Bindungspotential in zweiatomigen Molekülen hat beispielsweise die typische Form wobei xs den Abstand zwischen den Kernen bezeichnet. Ähnlich wie beim klassischen System ist es sinnvoll, das Potential in der Nähe des Minimums durch ein Oszillatorpotential zu nähern, d.h. 1 V (xs ) ≃ k(x − x0 )2 2 Damit lautet dann die zeitunabhängige Schrödingergleichung − 1 ~ ′′ ϕ (x) + kx2 ϕ = Eϕ 2m 2 Die Lösung der obigen Gleichung erfordert die Einführung einiger Begriffe und wird im Anhang erläutert. An dieser Stelle wollen wir nur die wichtigsten Ergebnisse zusammenfassen. Genau wie im Fall des Potentialtopfes werden die verschiedenen Lösungen durch die Quantenzahl n festgelegt, wobei n = 0, 1, 2, . . .. Die Energie wächst mit n genauso wie die Komplexität der zugehörigen Wellenfunktion. Der Grundzustand des Systems (d.h. die Wellenfunktion zu n = 0) ist gegeben durch r mω k −a2 x2 /2 2 ϕ0 = A0 e mit a = ,ω= ~ m Die zugehörige Grundzustandsenergie ist E0 = gegeben durch ~ω 2 . Der erste angeregte Zustand ist 2 x2 /2 ϕ1 = A1 x e−a wobei A0 , A1 die Normierungskonstanten bezeichnen. Einsetzen von ϕ1 in die stationäre Schrödingergleichung führt auf E1 = 32 ~ω. Die einfache Beziehung zwischen n und En gilt auch für n > 1, d.h. En = (n + 21 )~ω. 58 Kapitel 4. Quantenmechanik Der Vergleich zwischen Vibrationsenergien für reale Moleküle und dem Spektrum der Energieeigenwerte zeigt eine gute Übereinstimmung, wobei auch messbare Abweichungen von der konstanten Energiedifferenz zwischen benachbarten Energieniveaus existieren. 4.6.1 Das Korrespondenzprinzip Wie unterscheiden sich nun die klassische und die quantenmechanische Lösung des Oszillators? Die Bewegung eines klassischen Teilchens im Oszillatorpotenzial wird durch x = x0 cos(ωt) beschrieben. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung p(x)dx wird durch die Zeit bestimmt, die das Teilchen zwischen x und x + dx verbringt. Diese Kurve hat den folgenden Verlauf: An den Umkehrpunkten verlangsamt sich die Bewegung des Teilchens, so dass p(x) bei ±x0 divergiert. Diese Form unterscheidet sich signifikant von der Aufenthaltswahrscheinlichkeit im quantenmechanischen Grundzustand des Teilchens. Andererseits wissen wir aber, dass die klassische Mechanik für makroskopische Teilchen eine zutreffende Beschreibung liefert. Daher muss die Quantenmechanik im klassischen Limes dieselben Vorhersagen wie die klassische Mechanik treffen. Dies ist das sog. Korrespondenzprinzip. Der Übergang vom quantenmechanischen zum klassischen Oszillator findet bei hoher Energie statt, da dann der Abstand zwischen zwei Energieniveaus ~ω klein wird im Vergleich zur Energie des Oszillators E = (n + 21 )~ω. Für große Werte von n oszillieren die Eigenfunktionen von n sehr schnell und nähern sich tatsächlich der Verteilung des klassischen Oszillators an. 4.7 4.7.1 Quantensysteme Das Wasserstoffatom Das Wasserstoffatom ist das einfachste aller Atome, bestehend aus einem Proton und einem Elektron. Die physikalischen Eigenschaften des H-Atoms werden durch die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den gegensätzlich geladenen Teilen des Atoms bestimmt. Die Coulombkräfte zwischen Elektron und Proton verschwinden wie die Gravitationskräfte mit dem Abstandsquadrat, d.h. wie 1/r 2 . Die Form des Potentials legt also nahe, dass wir die Ergebnisse, die wir bei der Diskussion des Gravitationspotentials kennen gelernt haben, auf das Wasserstoffatom übertragen können. Dies würde insbesondere für die gebundenen Zustände bedeuten, dass sich das Elektron auf periodischen Bahnen um den Atomkern bewegt, wobei die Energie des Elektrons aus einem kontinuierlichen Intervall gewählt werden kann. Wir haben aber schon bei der Diskussion der gebundenen Zustände in eindimensionalen Potentialen gesehen, dass wir diese Analogie für mikroskopische Teilchen nicht direkt nutzen können, da: 1. Wegen der Unschärferelation kann man den Ort und den Impuls des Elektron nicht gleichzeitig exakt bestimmen ⇒ Man kann keine “Bahn” für die Bewegung des Elektrons angeben 59 4.7. Quantensysteme 2. Die Energie eines Elektrons, das im Potential des Kerns gebunden ist, kann nur diskrete Werte annehmen. 4.7.2 Atomspektrum Wir haben bei der Diskussion des Photoeffekts gesehen, dass die Energie eines Photons den Wert E = hν hat. Dies bedeutet, dass sich die Gesamtenergie eines Systems um hν verringert, wenn ein Elektron ausgesendet wird. Das Spektrum von Glühbirnen ist kontinuierlich, d.h. wir können davon ausgehen, dass die kontinuierlich verteilten Energien bei einer Glühlampe auftreten. Anders verhält es sich bei Licht, das von einer sog. Gasentladungslampe ausgesendet wird: Eine Gasentladungslampe hat folgenden schematischen Aufbau: In einer Röhre befindet sich ein Gas einer bestimmten Atomsorte. Es werden zwei Elektroden in der Röhre angebracht, so dass ein Strom zwischen den Elektroden fließen kann. Wenn man Wasserstoffgas in eine Röhre bringt, liegt der Wasserstoff als H2 Molekül vor. Durch die Elektronen, die im Feld der beiden Elektroden beschleunigt werden, wird ein Teil der Moleküle dissoziiert. Die Elektronen der einzelnen H-Atome befinden sich dann typischerweise in einem angeregten Zustand, so dass beim Übergang in den Grundzustand Licht emittiert wird. Wenn man das Spektrum der Gasentladungslampe analysiert, stellt man fest, dass das emittierte Licht den Frequenzbereich nicht kontinuierlich abdeckt, sondern nur Licht zu bestimmten Frequenzen vorliegt. Sichtbares Licht des H-Atoms Die ausgesendeten Photonen stammen von Übergängen zwischen verschiedenen Energieniveaus des H-Atoms, so dass wir durch die Analyse des Spektrums, den experimentellen Nachweis für die diskreten Energieniveaus der gebundenen Elektronen erbracht haben. Um die Eigenschaften des H-Atoms genauer zu charakterisieren, müssen wir die Schrödingergleichung lösen, wobei wir uns wiederum auf die stationäre SG beschränken können. Zudem können wir wie beim klassischen System zu Schwerpunktskoordinaten übergehen. Das Coulombpotential hängt, (wie das Gravitationspotential) nur vom Abstand r ab. Wir müssen aber trotzdem die dreidimensionale stationäre SG lösen. Die Form des Potentials legt nahe Kugelkoordinaten einzuführen. Die Wellenfunktionen hängen dann von den Variablen (r, θ, ϕ) ab. Es existiert aber auch eine Klasse von Lösungen, die nur von der Variablen r abhängt. Für diese Lösungen ϕ(r) ist analog zu den bisher diskutierten Fällen die Wahrscheinlichkeit, Elektronen im infinitesimalen Volumen dV bei r zu finden, gegeben durch ϕ⋆ (r) ϕ(r) dV Die Normierungsbedingung lautet entsprechend: Z∞ Z2π Zπ 0 0 0 2 ⋆ dr dϕ dθ r sin θ ϕ (r)ϕ(r) = 4π Z∞ 0 dr [rϕ⋆ (r)][rϕ(r)] = 1 60 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.8: Potentialverlauf des Wasserstoffatoms. Das Potential wurde symmetrisch um r = 0 gezeichnet, um an die dreidimensionale Struktur des Potentials zu erinnern. Die Normierungsbedingung unterscheidet sich also nur durch den Faktor 4π und der Ersetzung ϕ(r) → rϕ(r) von der Normierung eindimensionaler Wellenfunktionen. Wenn wir die Ersetzung n(r) = rϕ(r) machen, ergibt sich die 1d Gleichung: − ~2 d2 n + V (r)n = En 2m dr 2 V (r) bezeichnet die potentielle Energie für Teilchen im Abstand r. Wie bereits erwähnt wechselwirken Elektron und Proton durch das Coulombpotential, das die Form V (r) = − e2 4πǫ0 r hat, also bis auf einen Vorfaktor mit dem Gravitationspotential übereinstimmt. Bem.: Die obige SG gilt strenggenommen nur, wenn r hinreichend groß ist, da der Atomkern eine endliche Ausdehnung hat. Diese ist jedoch im Vergleich zum typischen Abstand des Elektrons zu vernachlässigen. Wir erhalten also insgesamt: − e2 ~2 d2 n n = En − 2m dr 2 4πǫ0 r (4.2) V (r) für das H-Atom Wir interessieren uns für gebundene Zustände, also Zustände mit E = −EB < 0, wobei EB die Bindungsenergie des Elektrons bezeichnet. Zur Lösung der SG betrachten wir zunächst den Wert von n(r) bei 0 und ∞. Da ϕ(r) am Ursprung endlich sein sollte, gilt n(0) = 0ϕ̇(0) = 0. Damit ϕ(r) normierbar ist, sollte limr→∞ n(r) = 0 gelten. Wir suchen also Lösungen, die bei 0 und ∞ verschwinden. Wenn wir die stationäre SG für r → ∞ auswerten, verschwindet das Potential, so dass n(r) für r → ∞ näherungsweise der Gleichung: − ~2 ′′ n = −EB n 2m 61 4.7. Quantensysteme bzw. n′′ − a2 n = 0 mit a2 = 2mEB ~2 Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet n(r) = A e+ar + B e−ar Aus der Normierbarkeitsbedingung folgt sofort A = 0. Wir suchen also eine Funktion, die die asymptotische Form n(r) = Be−ar besitzt und bei r = 0 verschwindet. Die einfachste Funktion, die diese Bedingung erfüllt, ist 1/2 3/2 1 1 r e−r/a0 n1 (r) = π a0 {z } | const Diese Funktion ist Lösung der Gleichung (4.2), wenn a0 = 4πǫ0 ~2 me2 ; E=− e2 8πǫ0 a0 Der Abstand a0 hat den Wert 0.53 · 10−11 m. a0 wird Bohr Radius genannt. Damit lautet die normierte Wellenfunktion insgesamt ϕ1 (r) = n1 (r) = r 1/2 3/2 1 1 e−r/a0 π a0 Abbildung 4.9: Wahrscheinlichkeitsdichten im Grundzustand des Wasserstoffatoms. Links: Darstellung der Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeitsdichte vom Kernabstand. Rechts: Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte. Die Abb. 4.9 zeigen ϕ(r) und rϕ(r) = n(r). n(r) nimmt bei a0 ein Maximum an, während ϕ(r) für r = 0 maximal ist. Ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit, 62 Kapitel 4. Quantenmechanik ein Elektron im Abstand r zu finden, ist aber n(r), da die Wahrscheinlichkeitsdichte ∼ r 2 ϕ2 (r) = n2 (r) ist. Durch n1 (r) wird der Grundzustand des H-Atoms beschrieben. Die zugehörige Energie ist −13.6eV bzw. −2.18 · 10−18 J. Neben dem Grundzustand gibt es auch angeregt radialsymmetrische Zustände, deren Wahrscheinlichkeitsamplitude mehrere Maxima aufweisen. Das Eigenwertspektrum lautet: e2 1 1 = 2 E1 En = − 2 n 8πǫ0 a0 n Die verschiedenen Eigenwerte werden also durch die Hauptquantenzahl n festgelegt. Wir haben aber bisher die Winkelabhängigkeit der Wellenfunktion außer Acht gelassen. Wenn man diese berücksichtigt, kann man weitere Zustände unterscheiden, die durch die Wellenzahlen l, m festgelegt werden. Man kann zeigen, dass für die Quantenzahlen gilt: 1. n = 1, 2, 3, . . . 2. l = 0, 1, . . . , n − 1 3. m = −l, −l + 1, . . . , l − 1, l d.h. für n = 1 haben wir genau einen Zustand mit n = 1, l = 0 und m = 0, den oben diskutierten Grundzustand des H-Atoms. Für den ersten angeregten Zustand haben wir aber bereits 4 Zustände mit den Quantenzahlen: n 2 2 2 2 l 0 1 1 1 m 0 -1 0 1 Aufgrund der Symmetrie des Wasserstoffatoms hängt die Energie der Zustände nur von der Hauptquantenzahl ab. Bei den Zuständen tritt für l 6= 0 eine Winkelabhängigkeit auf, wie in Abb. 4.10 gezeigt. Diese Winkelabhängigkeit führt auf ein Problem: Die Zustände besitzen mit der z-Achse eine ausgezeichnete Symmetrieachse, das Potenzial des H-Atoms dagegen nicht. Dieser scheinbare Widerspruch wird dadurch gelöst, dass man alle Zustände zu einem festen l überlagert. Dann ergibt sich wieder eine kugelsymmetrische Aufenthaltswahrscheinlichkeit, entsprechend der Symmetrie des Problems. Wir können uns also vorstellen, dass das Elektron mit der Energie En alle n2 Zustände mit gleicher Wahrscheinlichkeit besetzt. Die mathematische Beschreibung des H-Atoms wird im Anhang kurz skizziert. Nach dem Korrespondenzprinzip würden wir erwarten, dass die Zustände zu großen Quantenzahlen, den klassischen Bahnen von Teilchen im Zentralpotential entsprechen. Dies ist tatsächlich der Fall, wie die ringförmige Wahrscheinlichkeitsdichte P (r) für den Zustand mit n = 45 und l = 44 zeigt. 63 4.7. Quantensysteme 4.7.3 Eigenschaften von Atomen Der Atomaufbau folgt einer Systematik Wenn man die Ionisierungsenergie von Atomen betrachtet, sieht man, dass sich eine gewisse Struktur ergibt. Man kann die Atome in Gruppen einteilen. Das erste Element dieser Gruppe ist leicht ionisierbar, während zur Ionisierung des letzten Elementes eine große Energie benötigt wird. Die ersten Elemente einer Gruppe sind die reaktionsfreudigen Alkalimetalle und die letzten die Edelgase. Die Anzahl der Elemente in einer Gruppe bzw. Periode sind 2, 8, 8, 18, 18 und 32. Diese Zahlen lassen sich mit Hilfe der Quantenmechanik leicht erklären. Atome emittieren und absorbieren Licht Genauso wie beim H-Atom gibt es auch bei den übrigen Atomen diskrete Energieniveaus. Übergänge zwischen diesen Niveaus können durch die Absorption und Emission von Licht mit der Frequenz ν= Eh − Et h Eh > Et induziert werden. Die Energieniveaus, die diese Frequenzen bestimmen, lassen sich mit Hilfe der Quantenmechanik berechnen. Atome haben magnetische Eigenschaften Bei der Behandlung des Wasserstoffatoms haben wir gesehen, dass der Zustand des Elektrons durch die Quantenzahlen n, l, m festgelegt ist. Die Quantenzahlen l, m beziehen sich auf den Betrag und die z-Komponente des Drehimpulses des Elektrons. Wir wollen kurz diskutieren, welche Konsequenzen klassisch der Drehimpuls eines geladenen Teilchens hat. Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass bewegte elektrische (Biot-Savart Gesetz), wobei I die Ladungen Magnetfelder induzieren dB = µ4π0 I dl×r r3 Stromstärke, dl einen infinitesimalen Abschnitt in Stromrichtung und r den Abstandsvektor von der bewegten Ladung bezeichnet. Man kann sich auch davon überzeugen, dass durch einen Kreisstrom ein magnetisches Dipolfeld, das entgegen gesetzt zum Drehimpuls orientiert ist. Obwohl wir bei quantenmechanischen Zuständen nicht von der Bewegung der Elektronen entlang klassischer Bahnen ausgehen können, zeigt sich, dass auch mit dem quantenmechanischen Drehimpuls ein magnetisches Dipolmoment verbunden ist. Die Verkopplung von Drehimpuls und magnetischem Moment lässt sich durch das Einstein-de Haas-Experiment nachweisen. Bei diesem Experiment wird ein Eisenzylinder in eine Spule gebracht. Wird der Spulenstrom eingeschaltet, richten sich die magnetischen Momente der Elektronen entlang des Magnetfeldes aus. Da aber die magnetischen Momente mit den Drehimpulsen der Atome gekoppelt sind, entsteht ein resultierendes Drehmoment der Atome, das aufgrund der Erhaltung des Gesamtdrehimpulses durch eine gegensinnige Rotation des Zylinders erfolgen muss. Dieser Versuch ist ein Beispiel dafür, wie ein quantenmechanischer Effekt zu makroskopisch beobachtbaren Phänomenen führt. 64 Kapitel 4. Quantenmechanik 4.7.4 Der Spin des Elektrons Unabhängig davon, ob ein Elektron sich frei bewegt oder in einem Potential gebunden ist, hat es einen sogennanten Spindrehimpuls S oder kurz Spin. Der Spin ist wie die Masse oder Ladung eine charakteristische Eigenschaft des Elektrons. Im Gegensatz zu anderen Größen gibt es zum Spin keine klassische Referenzgröße, er ist also rein quantenmechanischer Natur. Der Betrag des Spins S ist quantisiert und wird durch die Spinquantenzahl s festgelegt. Für Elektronen gilt genauso wie für Protonen und Neutronen immmer s = 21 . Mit dem Spin ist eine weitere Quantenzahl ms verbunden, die die Komponente von S entlang einer beliebigen Achse festlegt. Damit ist nun die Liste der Quantenzahlen des Elektrons im Wasserstoffatom vollständig: n Hauptquantenzahl l, ml ms n = 1, 2, 3, . . . Bahndrehimpuls l = 0, 1, . . . , n − 1 ; m = −l, −l + 1, . . . , l − 1, l Spin ± 12 Alle Zustände mit gleichem n bilden eine Schale. Es gibt insgesamt 2n2 Zustände in einer Schale. Alle Zustände mit gleichem n und l bilden eine Unterschale. In einer Unterschale kann man 2(2l + 1) Zustände unterscheiden. 4.7.5 Der Drehimpuls und magnetische Dipolmomente Der Bahndrehimpuls Der Betrag des Bahndrehimpulses L eines Elektrons ist quantisiert, d.h. er kann nur diskrete Werte annehmen. Diese Werte sind: p L = l(l + 1)~ wobei l die Bahndrehimpulsquantenzahl ist. Für eine gegebene Hauptquantenzahl n kann l die Werte l = 0, 1, 2, . . . , n − 1 annehmen. Mit dem Bahndrehimpuls ist ein magnetisches Dipolmoment µorb verbunden, das gegeben ist durch µorb = − e L 2m Dadurch, dass der Bahndrehimpuls quantisiert ist, muss auch der Wert des magnetischen Moments quantisiert sein. Man kann weder alle Komponenten von µ (und damit genauso wenig alle Komponenten von L) gleichzeitig messen, wie man den Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig bestimmen kann. Es ist aber möglich, eine Komponente des Drehimpulses zu bestimmen. Die z-Komponente des Dipolmomentes ist quantisiert und gegeben durch µorb,z = −ml µB 65 4.7. Quantensysteme e~ = 0, 274 × 10−24 J/T Bohrsches Magneton genannt wird. Für die wobei µB = 2m z-Komponente von L gilt: Lz = m l ~ Man kann sich den Wert von Lz durch das obige Vektorbild (siehe Abb. 4.11) veranschaulichen. Bei Visualisierung wie dieser muss man sich aber vergegenwärtigen, dass nicht alle Komponenten von L gleichzeitig bestimmt werden können. Das magnetische Moment des Spins Für den Spin gilt: S= p s(s + 1)~ = ~√ 3 2 da für den Spin immer s = 21 gilt. Genauso wie für den Bahndrehimpuls ist mit dem Spin ein magnetisches Moment verbunden: µ=− e S, m dessen Komponente in z-Richtung gemessen werden kann. Die z-Komponente des Drehimpulses in z-Richtung lautet µs,z = −2ms µB wobei ms = ± 21 . Bem.: Der Faktor kann erst durch die relativistische Dirac-Theorie verstanden werden. Der Gesamtdrehimpuls Bei Atomen mit z Elektronen lautet der Gesamtdrehimpuls J = (L1 + L2 + . . . + Lz ) + (S1 + S2 + . . . + Sz ) Das magnetische Moment, das mit dem Gesamtdrehimpuls verbunden ist, zeigt wegen des Faktors 2 beim magnetischen Moment des Spins nicht in Richtung von −J, sondern bildet einen Winkel zu diesem Vektor. Das Stern-Gerlach Experiment Der Nachweis der Quantisierung des Drehimpulses wurde durch das Stern-Gerlach Experiment erbracht (siehe Abb. 4.12). Bei diesem Versuch wird Silber in einem Ofen verdampft. Einige Silberatome können durch einen Schlitz aus dem Ofen austreten. Sie werden durch einen evakuierten Kanal geleitet und passieren dann einen weiteren Schlitz, so dass ein fokussierter Strahl von Silberatomen entsteht. Dieser Strahl wird durch das Magnetfeld eines Elektromagneten geleitet und trifft auf einen Schirm. Durch das Magnetfeld kann der Strahl der 66 Kapitel 4. Quantenmechanik Silberatome abgelenkt werden. Da die Atome elektrisch neutral sind, erfolgt die Ablenkung nicht durch die Lorentzkraft (F = qv × B), sondern Kopplung des magnetischen Dipolmomentes an das Feld. Die Potentielle Energie eines Dipols im Feld B lautet: U = −µB Wenn wir ein Magnetfeld anlegen, dessen einzige nicht verschwindende Komponente in z-Richtung zeigt, gilt: U = −µz B Wir wollen nun untersuchen, welche Kraft auf das Atom wirkt: Es gilt: Fz = − dU dB = µz , dz dz d.h. der Gradient des Magnetfeldes bestimmt die Ablenkung der Silberatome. Klassisch würde man eine kontinuierliche Intensitätsverteilung der Silberatome zwischen maximaler Ablenkung in ±z-Richtung erwarten, da alle Orientierungen in z-Richtung möglich sind. Stattdessen beobachtet man die Aufspaltung des Strahls in zwei Anteile (siehe Abb. 4.13). Dieses Ergebnis kann man durch die Quantenmechanik leicht verstehen: In der Elektonenhülle des Silberatoms heben sich die magnetischen Momente der Elektronen alle bis auf das Spinmoment eines Elektrons gegenseitig auf. Damit gibt es für die ablenkende Kraft nur zwei Einstellungen: dB Fz = ±µB dz was zur Aufspaltung des Strahles führt. 4.8 Kernspinresonanz Nicht nur Elektronen haben ein Spin, sondern auch Protonen. Damit besitzen sie auch ein magnetisches Moment. In einem konstanten Magnetfeld B = Bez gibt es nur zwei mögliche Einstellungen des Spins, d.h. es gibt parallel und antiparallel zum Feld orientierte Spins. Diese beiden Zustände unterscheiden sich energetisch, d.h. Protonen, die antiparallel zum Feld ausgerichtet sind, besetzen ein um 2µz B höher liegendes Energieniveau. (siehe Abb. 4.14) Wenn man nun zusätzlich zum statischen Magnetfeld ein Wechselfeld mit der Frequenz f anlegt, kann man Protonen, die sich im energetisch günstigeren Spinzustand befinden, anregen, d.h. man ändert die Orientierung des Spins. Man spricht dabei auch vom Umklappen des Spins. Die “passende” Frequenz für diesen Prozess ist hf = 2µz B, 67 4.8. Kernspinresonanz d.h. bei dieser Frequenz tritt die sog. Kernspinresonanz auf. Messbar wird dieser Resonanzeffekt dadurch, dass dem elektromagnetischen Wechselfeld Energie fr das Umklappen der Kernspins entzogen wird, da sich ohne die Anregung eine größere Zahl von Kernen im energetisch günstigeren Zustand befinden. Für Protonen (d.h. Wasserstoffkerne) wird die Resonanzbedingung nicht nur durch das äußere Feld bestimmt, sondern auch durch ein charakteristisches lokales Feld, das durch die magnetischen Momente der benachbarten Atome und Kerne hervorgerufen wird. Damit lautet die Resonanzbedingung hf = 2µz (Bext + Blokal . Die Korrektur durch das lokale Feld ist der Grund dafür, dass man die Kernspinresonanz zur Spektroskopie verwenden kann. Dies zeigt die Resonanzkurve für Ethanol CH3 − CH2 − OH, (siehe Abb. 4.15) die sich aus der Variation der Stärke des äußeren Magnetfeldes bei fester Frequenz des äußeren Wechselfeldes ergibt. Dieses Beispiel zeigt, dass sich die Kernspinresonanz zur Analyse chemischer Verbindungen eignet. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld ist die Kernspintomographie, bei der das äußere Feld nicht räumlich konstant ist. Dadurch variiert auch die Resonanzbedingung räumlich, so dass man eine Zuordnung von Resonanzsignal zum Entstehungsort vornehmen kann. Es ist somit beispielsweise möglich, die lokale Dichte von Wasser zu bestimmen, die für unterschiedliche Gewebearten charakteristische Werte aufweist. Die Auflösung dieser Methode hängt davon ab, wie gut man die Resonanzbedingung lokalisieren kann. Daher werden bei dieser Methode sehr starke Magnetfelder eingesetzt, so dass auch bei sehr geringen räumlichen Abständen ein gutes Signal-/Rauschverhältnis vorliegt. 4.8.1 Das Pauli-Prinzip Bislang haben wir nur jeweils ein Teilchen in einem Potential und die zugehörigen Quantenzustände untersucht. Wenn wir nun aber Potentiale betrachten, in denen sich mehrere Teilchen mit halbzahligem Spin befinden, müssen wir das sogenannte PauliPrinzip berücksichtigen: Zwei Teilchen mit halbzahligem Spin (z.B. Elektronen) können niemals den gleichen Zustand besetzen. Bem.: Mit dem allgemeinen Formalismus der Quantenmechanik kann man zeigen, dass das Pauli-Prinzip direkt aus dem Prinzip der Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen folgt. Wir wollen nun die Konsequenz des Pauli-Prinzips für den eindimensionalen Potentialtopf diskutieren. Die Zustände sind durch die Quantenzahlen n (Energie) und die Quantenzahl ms = ± 12 für Spin- 21 -Teilchen charakterisiert. Damit können wir jedes Energieniveau (wir setzen voraus, dass es keine Wechselwirkungen zwischen den Teilchen gibt) zweifach besetzen, jeweils mit einem Teilchen mit 68 Kapitel 4. Quantenmechanik ms = 12 und ms = − 12 . Die Konsequenzen des Pauli-Prinzips kann man für ein System mit 3 Teilchen in einem eindimensionalen unendlich hohen Potentialtopf verdeutlichen. Die Energieniveaus für dieses System sind gegeben durch 2 h En = n2 8mL2 Wir können also das niedrigste Energieniveau E1 mit zwei Teilchen besetzen, die sich durch die Spinquantenzahl ms = ± 12 unterscheiden. Das dritte Teilchen kann aber das niedrigste Niveau nicht mehr besetzen, da es sonst im Widerspruch zum Pauli-Prinzip zwei Teilchen gäbe, die in allen Quantenzahlen übereinstimmen würden. Somit besetzt das dritte Teilchen das Energieniveau zu n = 2 und es gilt für die Gesamtenergie des Systems 2 3 h2 h (2 · 1 + 4) = Eges = 2E1 + E2 = 8mL2 4 mL2 Sie ist also doppelt so hoch wie die Gesamtenergie ohne Pauli-Verbot. 4.8.2 Der Aufbau des Periodensystems Die Zustände des Elektrons im Wasserstoffatom lassen sich durch 4 Quantenzahlen charakterisieren, und zwar n, l, ml , ms . Dies ist auch für komplexere Atome der Fall, allerdings sind die Zustände und Energieniveaus von denen des H-Atoms verschieden, da man neben der Coulombwechselwirkung mit dem Kern auch die Wechselwirkung der Elektronen untereinander berücksichtigen muss. Dieses Problem lässt sich nur noch durch numerische Methoden exakt behandeln. Wie lässt sich nun aber die Struktur des Periodensystems erklären? Zunächst stellen wir fest, dass alle Zustände mit denselben Werten für n, l zu derselben Unterschale gehören. Es gibt daher 2(2l + 1) mögliche Zustände in einer Unterschale. Es zeigt sich ferner, dass alle Zustände in einer Unterschale dieselben Energien haben, wobei der Wert der Energie hauptsächlich von n abhängt. Man verwendet zur Bezeichnung der Unterschalen die Buchstaben l = 0, 1, 2, 3, 4, 5 s, p, d, f, g, h (z.B. n = 3, l = 2 ⇒ 3d-Unterschale) Bei der Besetzung der Unterschale spielt das Pauli-Prinzip eine wichtige Rolle. Ohne das Pauli-Verbot würden alle Elektronen den 1s -Zustand besetzen. Dies ist aber nur für zwei Elektronen möglich. Die Besetzung der Schalen wollen wir für zwei Elemente erläutern. 1. Neon (10 Elektronen) → 2 Elektronen besetzen die 1s Unterschale → 2 Elektronen besetzen die 2s Unterschale (n = 1, l = 0 = ml , ms = ± 12 ) (n = 2, l = 0 = ml , ms = ± 12 ) 69 4.8. Kernspinresonanz → 6 Elektronen besetzen die 2p Unterschale (n = 2, l = 1, ml = −1, 0, 1, ms = ± 12 ) Damit sind alle Unterschalen vollständig besetzt. Solche Atome (Edelgase) sind sehr reaktionsträge. 2. Eisen (26 Elektronen) Konfiguration 1s2 2s2 2p6 3s2 3p6 3d6 4s2 Beim Eisenatom ist bemerkenswert, dass die Elektronen nicht die 3d Schale vollständig füllen, sondern zunächst die 4s Schale, da dies energetisch günstiger ist. Diese Tatsache ist verantwortlich dafür, dass das Per 4.8.3 Bestimmung der Elemente durch Röntgenstrahlung Wenn man einen Festkörper einem Elektronenstrahl aussetzt, emittiert dieser Röntgenstrahlung. In der obigen Abb. 4.17 ist das charakteristische Röntgenspektrum eines Festkörpers schematisch dargestellt. Wir können dabei einen kontinuierlichen Hintergrund und zwei charakteristische Peaks unterscheiden. Der kontinuierliche Teil des Spektrums entsteht durch die Streuung der Elektronen an den Atomen des Festkörpers. Dabei werden die Elektronen abgebremst, so dass ein Teil der kinetischen Energie der Elektronen durch Emission von Röntgenstrahlung wieder frei wird. Die Grenzwellenlänge ergibt sich gerade für den Prozess, bei dem das Elektron direkt seine gesamte kinetische Energie abgibt, also Ekin = hf = hc . λmin Das charakteristische Röntgenspektrum entsteht durch folgenden Mechanismus: 1. Das energiereiche Elektron schlägt ein Elektron aus einer tief liegenden Unterschale. 2. Das verbleibende Loch wird durch ein Elektron aus einer höheren Schale besetzt. Bei der Besetzung des Lochs wird ein Photon mit der charakteristischen Wellenlänge abgestrahlt. Diesen Effekt kann man zur Bestimmung der Elemente heranziehen (Moseley 1913). Wenn man die Wurzel der Frequenz der ha Linie gegenüber der Ordnungszahl z aufträgt, erhält man eine Gerade. Die lässt sich einfach durch die Betrachtung der Energieniveaus erklären. Für das H-Atom gilt En = − 13.6eV 1 mc4 =− · n2 8ǫ20 h2 n2 n = 1, 2, . . . Bertachten wir nun ein Elektron aus der k-Schale (n = 1, l = 0) eines Mehrelektrons, so ergibt sich: 70 Kapitel 4. Quantenmechanik 1. Wird ein Elektron aus der K-Schale entfernt, verbleibt dort nur noch ein Elektron. Dieses Elektron schirmt die Kernladung teilweise ab, so dass die effektive Kernladung (Z − 1)e beträgt. 2. Wir nehmen an, dass mit der Verallgemeinerung En = − (13.6 eV )(Z − 1)2 m(Z − 1)2 e2 e2 1 = − n2 n2 8ǫ20 h2 auch für Mehrelektronensysteme gültig ist. Damit gilt für die ha -Strahlung hfa = ∆E = E2 − E1 = (10.2 eV )(Z − 1)2 so dass gilt. p fα = r 10.2 eV (Z − 1) h Damit haben wir den experimentell gefundenen linearen Zusammenhang bestätigt. 4.9 Laser und Laserlicht Neben dem Transistor zählt der Laser zu den wichtigsten Anwendungen der Quantenmechanik. Laser sind mittlerweile in CD-Spielern, Scanner-Kassen etc. verbaut. Er zeichnet sich gegenüber dem weißen Licht einer Glühbirne durch folgende Eigenschaften aus: 1. Laserlicht ist monochromatisch, d.h. es kann eine relative Schärfe erreichen (Vergl. Neonleuchte 106 ). λ ∆λ = 1015 2. Laserlicht ist hochgradig kohärent: Lange Wellenzüge können sich über mehrere hundert Kilometer erstrecken ⇒ man kann Interferenzmuster über sehr lange Strecken herstellen. 3. Laserlicht ist hochgradig gerichtet: Die Verbreiterung tritt nur durch die Beugung an der Austrittsöffnung auf. 4. Laserlicht kann sehr scharf fokussiert werden, so dass man extrem hohe Intensitäten erreichen kann. 4.9.1 Die Funktionsweise eines Lasers Die Grundlage für die Funktionsweise eines Lasers liegt in der stimulierten Emission von Licht (Light Amplification by the Stimulated Emission of Radiation). Entscheidend für die Wirkungsweise eines Lasers sind die folgenden Prozesse: 71 4.9. Laser und Laserlicht 1. Absorption Trifft ein Photon mit der Energie hf auf ein Atom, so kann es (bei passender Frequenz) das Atom in einen angeregten Zustand mittlerer Energie Ex versetzen hf = Ex − E0 , wobei E0 die Grundzustandsenergie ist. 2. Spontane Emission Wenn sich das Atom in seinem angeregten Zustand befindet, geht es spontan in den Grundzustand über. Typische Lebensdauern solcher Zustände sind 10−8 s, es können aber Lebensdauern von 10−3 s auftreten (metastabile Zustände). 3. Stimulierte Emission Wenn ein Photon der Energie hf auf ein angeregtes Atom trifft, kann es den Übergang zum Grundzustand stimulieren. Dann wird ein weiteres Photon der Energie hf frei. Wenn man es also schafft, viele Atome in einen angeregten Zustand zu versetzen, kann man durch die stimulierte Emission einen starken Lichtimpuls aussenden. Dazu kann man sich zunächst fragen, wieviele Atome sich ohne externe Manipulation in dem angeregten Zustand befinden. Dies wird durch die sog. Boltzmann-Statistik beschrieben. Es gilt: Nx = N0 e−(Ex −E0 )/kB T wobei Nx(0) die Zahl der Atome im angeregten Zustand (Grundzustand) beschreibt, kB ist die Boltzmann-Konstante (kB = 1.38 × 10−23 J/K) und T bezeichnet die Temperatur. Hier halten wir zwei Tatsachen fest: 1. Da Ex > E0 ist, folgt immer Nx < N0 . 2. N0 und Nx gleichen sich für hohe Temperaturen an. Um aber Laserlicht zu produzieren, muss man es schaffen, eine Inversion der Besetzungszahlen zu erreichen, d.h. man muss Zustände generieren bei denen Nx > N0 ist. Eine Anordnung die dies erlaubt, ist der He-Ne Laser, dessen prinzipielle Funktionsweise im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. 4.9.2 Der He-Ne Laser Bei He-Ne Laser befindet sich ein 20 : 80 He/Ne Gemisch in einer Gasentladungsröhre (siehe Abb. 4.20). Durch einen elektrischen Strom werden die He-Atome in einen angeregten Zustand mit Energie E2 = 20.66 eV versetzt. Bei der Kollision eines He-Atoms im angeregten Zustand mit einem Ne-Atom, kann das N e-Atom, in einen Zustand mit Energie E2 = 20.66 eV übergehen. Beim Übergang E2 → E1 wird dann ein Photon ausgesendet, aus dem später der Laserimpuls entsteht. In diesem System kann dann die Besetzungsinversion relativ leicht erreicht werden, da 72 Kapitel 4. Quantenmechanik 1. der E1 -Zustand des N e-Atoms sehr schnell zerfällt, so dass anfangs nur Atome im Grundzustand vorliegen. 2. Durch die Metastabilität des E3 -Zustandes des He-Atoms bleibt genug Zeit, um den E2 -Zustand von N e zu stimulieren. 3. Der Zerfall von E1 − E0 bei N e schnell ist, so dass man die N e-Atome schnell wieder anregen kann. Wir haben nun eine Sequenz von Quantenübergängen, die es erlaubt, dass stimulierte Emission von sichtbarem Licht auftritt. Dieses Licht wird dann in der Röhre gehalten, so dass die Stimulation des E2 → E1 Übergangs gewährleiset bleibt. Den von dieser Anordnung generierten Laserstrahl bildet der Teil des Lichtes, der durch einen teildurchlässigen Spiegel austritt. 4.9. Laser und Laserlicht 73 Abbildung 4.10: Wahrscheinlichkeitsdichten für die Zustände des Wasserstoffatoms zu den Quantenzahlen n = 2, l = 1 und m = −1, 0, 1. 74 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.11: Einstellungen der z-Komponente eines Bahndrehimpulses mit l = 2. 4.9. Laser und Laserlicht 75 Abbildung 4.12: Schematischer Aufbau des Stern-Gerlach Experiments: In einem Ofen mit einer kleinen Austrittsöffnung wird Silber verdampft. Die austretenden Silberatome werden zu einem Strahl fokussiert und durch ein Magnetfeld geleitet. Die durch das Magnetfeld abgelenkten Atome werden auf einem Schirm aufgefangen. Abbildung 4.13: Darstellung der z-Abhängigkeit der Intensitätsverteilung des Atomstrahls bei aus- (blau) und eingeschaltetem (orange) Magnetfeld. 76 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.14: (a) Orientierungen des magnetischen Moments des Kernspins in einem konstanten Magnetfeld. (b) Die Energiedifferenz zwischen dem angeregten Zustand (antiparallel) und dem Grundzustand (parallel) beträgt 2µz B. 4.9. Laser und Laserlicht 77 Abbildung 4.15: Kernspinresonanzspektrum von Ethanol. Die Spektrallinien treten für eine Wechselfeld mit fester Frequenz dann auf, wenn für eine gegebene Stärke des äußeren Magnetfeldes B die Resonanzbedingung erfüllt ist. Die Feldstärken, bei denen Resonanz auftritt, sind charakteristisch für die jeweilige Untergruppe, so dass man auf diese Weise die Zusammensetzung komplizierter chemischer Verbindungen bestimmen kann. Abbildung 4.16: Kerspintomographie von Herzgefäßen. 78 Kapitel 4. Quantenmechanik Abbildung 4.17: Typisches Röntgenspektrum eines Festkörpers. Abbildung 4.18: Links: Übergänge zwischen verschiedenenen Energieniveaus und charakteristische Röntgenstrahlung. Rechts: Quadratwurzel der Frequenz der Kα Strahlung in Abhängigkeit von der Elementnummer. 4.9. Laser und Laserlicht 79 Abbildung 4.19: Die für die Funktionsweise eines Lasers entscheidenden Quantenübergänge: (a) Anregung eines höherliegenden Energieniveaus durch Absorption eines Photons mit der passenden Frequenz. (b) Spontane Emission eines Photons durch einen Übergang auf ein niedrigeres Energieniveau. (c) Stimulierter Übergang auf ein niedrigeres Energieniveau. Abbildung 4.20: Links: Übergänge beim He-Ne Laser. Durch den in der Gasentladungsröhre fließenden Strom werden bei den He-Atomen Übergänge von Grundzustand auf das metastabile E3 Niveau generiert. Durch Kollision der angeregten He-Atome mit Ne-Atomen im Grundzustand werden die Ne-Atome in den E2 -Zustand gebracht. Beim spontanen bzw. stimulierten Übergang auf das instabile E1 Niveau wird Licht der Wellenlänge λ =nm emittiert. Rechts: Schematischer Aufbau des He-Ne Lasers. Ein He-Ne Gemisch befindet sich in einer Gasentladungsröhre. Nur ein Bruchteil des emittierten Lichts verlässt die Röhre durch einen teildurchlässigen Spiegel, so dass die stimulierte Emission des Laserlichts kontinuierlich aufrecht erhalten werden kann. 80 Kapitel 4. Quantenmechanik Anhang A Konservative Kräfte A.1 Wegintegrale Wir betrachten Integrale der Form Z a · dr C wobei a ein Vektorfeld, z.B. eine Kraft F, und d r ein infinitesimaler Richtungsvektor ist. Mit C bezeichnen wir die Raumkurve, entlang der das Integral ausgewertet wird. Wir können wie bei gewöhnlichen Integralen in einer Dimension auch das Wegintegral als Grenzwert einer Summe definieren: Z C a · d r = lim N →∞ N X p=1 a(xp , yp , zp ) · ∆rp , wobei wir annehmen, dass |∆rp | → 0 für N → ∞. Die Kurve kann entweder offen (Anfangs- und Endpunkt sind verschieden) oder geschlossen (gleicher Anfangs- und Endpunkt) sein. Die Wegintegrale werden berechnet, indem man das Skalarprodukt ausführt, d.h. Z Z Z Z a · d r = ax dx + ay dy + az dz C C C C und die entsprechenden eindimensionalen Integrale auswertet. Wir wollen dies an einem Beispiel erläutern: Es sei x+y a= y−x das Vektorfeld und C die Kurve, die durch x = 2u2 +u+1 und y = 1+u2 parametrisiert wird. Wir betrachten das Integral für den Anfangspunkt (1, 1) und den Endpunkt (4, 2). Damit ist ax = x + y = 3u2 + u + 2 und ay = −(u2 + u) sowie dx = (4u + 1)du und 81 82 Kapitel A. Konservative Kräfte dy = 2u du. Der Punkt (1, 1) ergibt sich für u = 0 und der Endpunkt für u = 1. Damit gilt: I= Z ax dx + C Z ay dy = Z1 = Z1 0 C 0 2 (3u + u + 2)(4u + 1) du − 12u3 + 7u2 + 9u + 2du − Z1 2u(u2 + u) du 0 Z1 2u3 + 2u2 du 0 1 4 2 3 1 7 3 9 2 1 4 = 3u + u + u + 2u |0 − u + u |0 3 2 2 3 2 5 = 5 + + 4 = 10 3 3 Bemerkungen: (1) Wenn man Anfangs- und Endpunkt der Kurve vertauscht, hat der Wert des Integrals das umgekehrte Vorzeichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man eine geschlossene Kurve in umgekehrter Richung entlang läuft. (2) Man kann die Integrale auch stückweise auswerten, d.h. wenn P ein Punkt auf der Kurve C mit den Anfangspunkten A, B ist, gilt: I= Z C A.2 a · dr = ZB a · dr = A ZP a · dr + A ZB a · dr P Konservative Kräfte und Potenziale Ein Kraftfeld ist in einem einfach zusammenhängenden Gebiet G1 genau dann konservativ, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: RB F · d r (wobei A und B innerhalb von G liegen) ist unabhängig vom H Weg A zu B. Daher gilt auch C F · d r = 0 für jede beliebige geschlossene Kurve in G. (1) Das Integral A (2) Es existiert eine Funktion ϕ, so dass ∂x ϕ(r) F = ∂y ϕ(r) =: ∇ϕ(r) , ∂z ϕ(r) ∂ ∂ ∂ , ∂y = ∂y , ∂z = ∂z . wobei ∂x = ∂x (3) Die Rotation von F(r) verschwindet: ∇ × F(r) = 0 , 1 d.h. jede geschlossene Kurve in G lässt sich auf einen Punkt zusammenziehen, ohne dass man G verlässt, z.B. der Zwischenraum zwischen zwei konzentrischen Kugeloberflächen ist einfach zusammenhängend, das Innere eines Torus (“Fahrradschlauch ohne Ventil”) dagegen nicht. A.2. Konservative Kräfte und Potenziale 83 wobei ∂y Fz (r) − ∂z Fy (r) ∇ × F = ∂z Fx (r) − ∂x Fz (r) . ∂x Fy (r) − ∂y Fx (r) (4) F · d r ist ein exaktes Differenzial2 . Das totale Differenzial einer Funktion f (x, y, z) ist df = ∂f dx + ∂f dy + ∂f dz. Differenziale, ∂x ∂y ∂z zu denen man die Stammfunktion f (x, y, z) angeben kann, nennt man exakt. Eine notwendige und = ∂∂x ∂f usw. hinreichende Bedingung dafür ist, dass für alle möglichen Kombinationen gilt: ∂∂y ∂f ∂x ∂y 2