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Harry Schröder
SCHOSTAKOWITSCH - DAS GEHEIMNIS DER 14. SINFONIE
2
Harry Schröder
SCHOSTAKOWITSCH
Das Geheimnis der 14. Sinfonie
pro literatur Verlag
3
Harry Schröder:
Schostakowitsch - Das Geheimnis der 14. Sinfonie
Erschienen im plV pro literatur Verlag, Mammendorf
© 2006 by Harry Schröder, 73614 Schorndorf
Alle Rechte vorbehalten!
1. Auflage 2006
ISBN 3-86611-192-4
4
INHALT
VORWORT ............................................................................ 6
DIE 14. SINFONIE - EIN STECKBRIEF ....................................... 10
VORHABEN UND ABGRENZUNGEN DIESES BUCHES .................... 12
ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DER 14. SINFONIE......................... 14
SUBTILE UND EXPONIERTE HINWEISE...................................... 19
BRÜCKEN ZU GOETHES FAUST ................................................ 22
Die musikalische Verbindung zu
Franz Liszts »Mephistowalzer«................................ 22
Die Assoziation zu Goethes »Faust« .............................. 30
Die geographische Beziehung zum »Faust« .................... 32
Die biographische Beziehung zum »Faust« ..................... 33
Eine weitere, kuriose Verbindung zum »Faust« ............... 35
DER TRANSFER ZU MUSSORGSKI ............................................ 36
DAS FLOHLIED ...................................................................... 40
DER KREUZLOSE SELBSTMÖRDER............................................ 43
VIELE MOSAIKSTEINE ERGEBEN EIN GANZES - EINE
ERSTE ZUSAMMENFASSUNG ............................................. 46
SCHOSTAKOWITSCH UND BACH .............................................. 48
BACH - DSCH ............................................................ 49
Der 7. Satz und seine Verbindung zu Bach ..................... 51
DSCH - SDCH ............................................................ 60
Schostakowitschs Opus 135 die »Leipziger Sinfonie«......................................... 60
DER TON »Des« ALS AUTOBIOGRAPHISCHES KÜRZEL ................ 62
DES-DUR UND G-MOLL........................................................... 67
VERGÄNGLICHKEIT................................................................ 70
UNVERGÄNGLICHKEIT............................................................ 78
VERBINDLICHKEIT................................................................. 83
DIE ZAHL 11......................................................................... 85
JESU, MEINE FREUDE............................................................. 92
ANMERKUNGEN ZU DEN EINZELNEN SÄTZEN ............................ 95
1. Satz »De profundis« ............................................... 95
2. Satz »Malagueña« .................................................. 97
3. Satz »Loreley« ....................................................... 97
5. Satz »Auf Wacht« ................................................... 98
6. Satz »Sehen Sie, Madame!«..................................... 99
7. Satz »Im Kerker der Santé«....................................101
8. Satz »Antwort der Zaporoger Kosaken
an den Sultan von Konstantinopel« ........................101
9. Satz »An Delwig« ...................................................102
TARNUNG.............................................................................103
RECHTFERTIGUNG .................................................................106
Anmerkungen .......................................................................110
Personenregister ...................................................................111
Verzeichnis der benutzten Literatur ..........................................113
Über den Autor .....................................................................114
5
VORWORT
»Schostakowitsch - Das Geheimnis der 14. Sinfonie«.
Dieser Buchtitel klingt recht theatralisch und nicht
unbedingt nach Sachbuch.
Fast würde man im Inhalt dieses Druckwerks einen Roman
erwarten, ein detektivisches Kinderbuch oder eine
anderweitig mysteriöse Erzählung.
Aber
doch
keine
Schrift,
welche
sich
die
Auseinandersetzung mit einer Sinfonie eines renommierten
russischen Komponisten zur Aufgabe macht!
Es war der Komponist selbst, der aus Beweggründen,
die nachfolgend noch eingehend beleuchtet werden sollen,
Anlass zu diesem Buchtitel gab.
Einer textlich-musikalischen Schnitzeljagd gleich
verstreute Schostakowitsch nämlich zahlreiche Hinweise.
Für sich allein genommen birgt keiner dieser Indizien
irgendeinen Fingerzeig auf geheime Botschaften, aber die
Menge der gefundenen Anspielungen wirkt erdrückend.
Mosaikähnlich führen sie beim Zusammensetzen hin
zu einem Bild: Zum Bild eines bedrängten und gepeinigten
Künstlers, der versucht, Botschaften dort unterzubringen,
wo sie im eigenen Land nicht enttarnt werden können.
Wie eine Flaschenpost soll die Botschaft möglichst
weit, fernab der eigenen Küste, gefunden und verstanden
werden.
Sicherlich sind längst nicht alle versteckten Hinweise
erspürt worden. Und so birgt dieses Buch auch nicht den
Anspruch auf Vollständigkeit.
Aber die hiermit veröffentlichen Fundstücke könnten
der Ausgangspunkt für die weitere intensive und spannende
Auseinandersetzung mit dieser Sinfonie sein. Denn - und
dies scheint ziemlich sicher zu sein - es handelt sich bei der
14. Sinfonie um das Vermächtnis Schostakowitschs.
Aussagen zu seiner persönlichen und künstlerischen
Entwicklung sind bisher kaum bei einem anderen Werk in
6
einem solchen Ausmaß gefunden und entschlüsselt worden,
wie es nun hier der Fall ist.
Natürlich wird in diesem Buch auch spekuliert.
Diese unwissenschaftlichste und suspekteste Form aller
Methoden der Annäherung an ein Forschungsobjekt ist da
nötig, wo man den verbalen Auskünften des Urhebers nicht
immer glauben kann. Es gibt genügend Hinweise dafür,
persönlichen Statements - auch in Briefen und sogar auch
gegenüber nahestehenden Mitmenschen - zu misstrauen.
Für mich zählte deshalb bei meiner Recherche einzig
und allein die Partitur!
Das
Einholen
von
Informationen
mittels
Sekundärliteratur war für das Erstellen eines historischen
und zeitgenössischen Blicks auf den Komponisten sicherlich
unumgänglich, stand bei meiner Arbeit aber zu keiner Zeit
im Mittelpunkt.
Im Gegenteil empfand ich es lange Zeit als
hinderlich, Aussagen von Schostakowitsch, von seinen
Biografen, von Zeitzeugen und von den Analytikern seiner
Musik mit dem in dieser Sinfonie Gefundenen in Einklang zu
bringen.
Und so wird man in diesem Buch manche Überlegung
finden, die das bisher übermittelte Schostakowitschprofil
nicht in der Gänze übernehmen will.
Schuld hieran ist wiederum die Prämisse, die Musik
in erster Linie allem Urteil zugrunde zu legen. Denn welche
Äußerung, wenn nicht die Musik selbst, darf man einem
Komponisten eigentlich abnehmen?
Ursprünglich hatte ich nie vor, mich mit der Musik
Schostakowitschs eingehender auseinanderzusetzen. So
sehr nahe stand mir diese eigentlich nie.
Erst durch die intensive Beschäftigung mit Leben und
Werk des Komponisten reiften bei mir auch Zutrauen und
Begeisterung zu dessen Schaffen.
7
Allzu sehr war der Name Schostakowitsch für mich
auch mit dem früher üblichen Beigeschmack eines
systemkonformen, patriotischen, marschverherrlichenden
Kulturschaffenden in den Reihen der sowjetischen
kommunistischen Partei verbunden. Ein Urteil, welches sich
beim nahen Blick auf die 14. Sinfonie Schostakowitschs
dann schnell verflüchtigte.
Und warum gerade die 14. Sinfonie?
Schuld daran ist unser Oberschulamt.
Es setzte dieses Werk auf die Liste der Abiturthemen,
was
für
mich,
als
den
Leiter
eines
damaligen
Musikleistungskurses, die intensive unterrichtsgemäße
Aufbereitung dieses Werkes zur Folge hatte.
Zunächst war ich hierbei recht ratlos, denn gute
Literatur über diese Sinfonie war damals im Jahr 2001 kaum
zu finden. Zumindest keine, die sich ausschließlich auf
dieses Werk konzentrierte und nicht noch das Durchforsten
unzähliger, für diese spezielle Sache überflüssiger, weiterer
Kapitel verlangte.
Auch analytisches Material, welches sich auf das
Aufzählen von Zwölftonreihen und das Vermitteln einiger
weniger Hintergrundinformationen beschränkte, befriedigte
mich
nicht.
Denn
schon
damals
nach
der
unterrichtsbedingten ersten Annäherung, aber vor der
eigentlichen durchdringenden Beschäftigung mit ihr erschien mir diese Sinfonie als extrem tiefgründig. Ein
Eindruck, der sich später nachdrücklich bestätigte.
Und so habe ich das Unternehmen gewagt, eine
eigene Sichtweise der 14. Sinfonie zu erarbeiten.
Dieser Prozess kam dadurch ins Rollen, dass mir
musikalische Motive auffielen, welche ich mit Liszts
»Mephistowalzer« in Verbindung brachte.
Bei einem zunächst unverfänglichen Nachforschen
stellten sich schnell weitere Verbindungen zu anderen
Werken heraus. Umkehr und Versuch, die Sache
schnellstmöglich zu vergessen, waren nun nicht mehr
möglich. Zumindest ab dem Zeitpunkt als ich ahnte, welche
Bedeutung
meinen
Entdeckungen
bezüglich
des
8
Schostakowitschbildes,
aber
auch
bezüglich
der
Anstrengungen des Komponisten, beizumessen war, gab es
kein Zurück mehr.
Also entledige ich mich mit der Veröffentlichung
dieser Schrift auch der Bürde, eine Flaschenpost
Schostakowitschs mit dem Etikett »14. Sinfonie« gefunden
und dechiffriert zu haben.
Und
diese
nun
vier
Jahre
dauernde
Auseinandersetzung mit dem Werk war spannend wie ein
Krimi. Vielleicht gelingt es mir ja, ein wenig von dem Gefühl
der Überraschung und des Erstaunens mit diesem Buch
weiterzugeben, wie es sich seinerzeit auch in mir formte.
Arnold Schönberg eröffnete seine Harmonielehre aus
dem Jahr 1911 mit dem berühmten Satz »Dieses Buch habe
ich von meinen Schülern gelernt«1. In Abwandlung dieses
Zitats kann ich nun behaupten: »Dieses Buch wurde von
meinen Schülern angeregt.«
Denn mehrmals, auch bereits nach dem Absetzen
des Sternchenthemas 14. Sinfonie, waren die sinfonischen
Inhalte und natürlich auch meine neuesten Erkenntnisse
Gegenstand für Diskussion und Auseinandersetzung im
Unterricht. Und hierbei kam so manch interessanter
Gedanke von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner
Abiturgruppen, denen ich nun hier an dieser Stelle für diese
Ideen danken möchte.
Danken möchte ich ebenfalls vielen Kolleginnen und
Kollegen, die mir entweder mit ihren Kenntnissen der
russischen Sprache zur Seite standen oder aber geduldig
meine begeisterten Ausführungen über sich ergehen ließen.
Ein besonderer Dank gilt meiner Frau, die immer
wieder Anlaufstelle für die Mitteilung meiner interessanten
Beobachtungen war und manch schwierigen Sachverhalt mit
mir diskutierte.
Schorndorf, im August 2006
9
DIE 14. SINFONIE - EIN STECKBRIEF
Entstehungszeit: 1969
Widmung: Benjamin Britten
Besetzung:
Kastagnetten, Holzblock, Tom-tom (3 verschiedene
Tonhöhen), Peitsche,
Röhrenglocken, Vibraphon, Xylophon, Celesta,
Sopran- und Bass-Soli,
10 Violinen/4 Violen/3 Violoncelli/2 Kontrabässe m.5 Saiten.
Die Sätze:
1. Satz De profundis
Originaltext: Federico Garcia Lorca
Russischer Text: I. Tinjanow
Deutscher Text: J. Morgener
2. Satz Malagueña
Originaltext: Federico Garcia Lorca
Russischer Text: L.Geleskul
Deutscher Text: J. Morgener
3. Satz Loreley
Originaltext: Apollinaire nach Clemens Brentano
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
4. Satz Der Selbstmörder
Originaltext: Apollinaire
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
5. Satz Auf Wacht
Originaltext: Apollinaire
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
10
6. Satz Sehen Sie, Madame!
Originaltext: Apollinaire
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
7. Satz Im Kerker der Santé
Originaltext: Apollinaire
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
8. Satz Antwort der Zaporoger Kosaken an den
Sultan von Konstantinopel
Originaltext: Apollinaire
Russischer Text: M. Kudinow
Deutscher Text: J. Morgener
9. Satz An Delwig
Originaltext (russisch): Wilhelm Küchelbeker
Deutscher Text: J. Morgener
10.Satz Der Tod des Dichters
Originaltext (deutsch): Rainer Maria Rilke
Russischer Text: T. Silman
11.Satz Schlussstück
Originaltext (deutsch): Rainer Maria Rilke
Russischer Text: T. Silman
Aus urheberrechtlichen Gründen muss darauf verzichtet
werden, die kompletten Liedtexte abzudrucken.
11
VORHABEN UND ABGRENZUNG DIESES BUCHES
Mit dieser Arbeit liegt keine umfassende Analyse der
14. Sinfonie im herkömmlichen Sinn vor.
Weder wird hier versucht, dieses Werk formal zu
durchleuchten und Formschemata der einzelnen Sätze zu
erstellen, noch ist es ein Anliegen, strukturelle Elemente,
Zwölftonreihen oder andere Modi mit ihren möglichen
Permutationen aufzuzählen.
Auch eine durchgängige Interpretation der Texte, in
historischen, persönlich-autobiographischen oder musikalischen Zusammenhängen findet nicht statt.
Hierfür gibt es inzwischen einige gute Bücher, allen voran
das ausgezeichnete und empfehlenswerte Buch von Andreas
Wernli Dmitri Schostakowitsch aus der Reihe Frequenzen
#01 (Rüffer+Rub Sachbuchverlag, Zürich, 2004 / ISBN 3907625-19-6).
Vielmehr soll in dem vorliegenden Buch versucht
werden, die zweite, subtile Ebene des Werkes zu
durchleuchten. Diese Ebene wird von Schostakowitsch nicht
über die gesamte Ausbreitung der Sinfonie in gleichem Maß
genährt, sondern findet sich nur bruchstückhaft.
Und so muss sich diese Ausarbeitung ebenso auf
Bruchstücke der Komposition beziehen, dabei manche Sätze
bevorzugen und wieder andere links liegen lassen.
Nicht immer verlaufen die Wichtigkeiten in dieser
untergründigen Ebene parallel zu den Aufsehen erregenden
Aussagen des offensichtlichen Materials. Zum Beispiel lässt
sich eine verbergende Beschaffenheit im 8. Lied der Sinfonie
Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von
Konstantinopel nicht ausmachen. Gerade hier verfährt ja
der Text rücksichtlos mit dem Peiniger Schostakowitschs,
und gerade hier sollte man eigentlich Verborgenes
vermuten.
Punktuell also führt dieses Buch in die untergründige,
perforierte Ebene der Sinfonie. Nicht den Anspruch
erhebend, hiermit eine umfassende analytische Betrachtung
des Werkes vornehmen zu wollen, sondern bereits
12
Bekanntes
um
einige
bis
Zusammenhänge zu bereichern.
heute
nicht
bekannte
Ein Hinweis soll an dieser Stelle noch auf die Sprache
des Originalwerkes, beziehungsweise dessen deutscher
Übertragung, erfolgen. Selbstverständlich erfolgte die
Textierung in Schostakowitschs Sinfonie in russischer
Sprache, wobei die Dichter allerdings internationaler
Herkunft waren und ihre Gedichte dem Komponisten auch in
ihrer ursprachlichen Version vorlagen.
Die deutsche Übersetzung hält sich in der Regel sehr
eng an die russische Version an und liegt deshalb auch
meist den Zitaten in diesem Buch zugrunde.
Bei Abweichungen, welche für die jeweilige Aussage
bedeutend sind, wird darauf hingewiesen.
13
ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DER 14. SINFONIE
Schon viele Jahre vor der eigentlichen Entstehung
der 14. Sinfonie im Jahr 1969 trug Schostakowitsch die Idee
zu diesem Werk mit sich herum. »Erstmals kam mir der
Gedanke daran im Jahr 1962. Ich orchestrierte damals
Mussorgskis Vokalzyklus Lieder und Tänze des Todes, ein
großartiges Werk, schon immer bewunderte ich es. Damals
dachte ich nur, dass ein gewisser Mangel dieses Werkes
seine Kürze sei: im ganzen Zyklus nur vier Lieder. Ob man
nicht Mut fassen und versuchen sollte, den Zyklus
fortzusetzen, dachte ich.«2
Ein Briefwechsel mit Isaak Glikman, welchen Krysztof
Meyer in seinem Buch über Schostakowitsch als einen der
wenigen wirklichen Freunde des Komponisten bezeichnet,
aus dem Jahr 1966 belegt die frühe Fertigung von Skizzen
zu diesem Werk.
Schließlich gab ihm ein Krankenhausaufenthalt
Anfang des Jahres 1969 Ruhe und Abgeschiedenheit, dieses
lang projektierte Werk auch zu vollenden. Die Belegung der
Quarantänestation - die Moskauer Bevölkerung war einer
sehr ansteckenden Grippeepedemie ausgesetzt - ließ
keinerlei Besuch zu. Nicht einmal seine Ehefrau durfte zu
ihm, und jegliche Kommunikation musste per Brief erfolgen.
Die Arbeit ging sehr zügig voran. Bereits nach einem
knappen Monat Aufenthalt im Moskauer Kreml-Krankenhaus
schrieb er am 17. Februar 1969 an Glikman: »Offensichtlich
entlässt man mich in etwa zehn Tagen aus dem
Krankenhaus. Gestern habe ich den Klavierauszug meiner
neuen Sinfonie beendet.«3
Weitere zwei Wochen später war auch die Partitur
ausgearbeitet und Schostakowitsch konnte sein neues Werk
seinen Künstlerkollegen Iwan Bunin, Rudolf Barschai und
Kirill Kondraschin vorstellen: »Irgendwann im Frühjahr 1969
rief mich Dmitri Dmitrijewitsch an und bat, bei ihm vorbei
zu kommen und seine neue Komposition einzusehen....Ihm
schmerzten die Hände und er konnte kaum spielen. Den
Vokalpart sang er selbst mit ziemlich leiser Stimme,... Man
spürte, dass dieses Werk Dmitri Dmitrijewitsch besonders
14
teuer war. Nach dem Spiel, bereits beim Teetrinken,
erwähnte er beiläufig, dass er mehrere Nächte lang nicht
geschlafen habe, nachdem er das Manuskript der Partitur
zum Abschreiben weggegeben hatte: Ich überlegte die
ganze Zeit, ob es mir gelingen würde, das Werk aus dem
Kopf niederzuschreiben, wenn das Original plötzlich
abhanden gekommen wäre.«4
Offenbar schien Schostakowitsch diese Sinfonie
besonders am Herzen zu liegen und Gedanken an einen
möglichen Verlust oder an die Unmöglichkeit seiner
Fertigstellung bereiteten ihm Unbehagen: »Ich habe sehr
schnell gearbeitet. Ich fürchtete, dass mir während der
Arbeit an der 14.Sinfonie irgendetwas zustößt, zum Beispiel
die rechte Hand hört endgültig auf zu funktionieren, ich
erblinde plötzlich etc. Diese Gedanken haben mir ziemlich
zugesetzt. Doch es ist alles gut ausgegangen. Die Hand
funktioniert halbwegs, die Augen sehen noch...«5
Die gezielte Auswahl der Gedichte, welche in der 14.
Sinfonie vertont werden, lässt auf eine längerfristige
Vorarbeit schließen. Wie noch später dargestellt werden
wird, sind diese Texte in ihrer Infrastruktur so sorgsam
zusammengestellt
worden,
dass
sie
neben
ihrem
offensichtlichen Inhalt auch dazu taugen, die verborgene
Ebene dieser Komposition mitzutragen. Unmöglich lässt sich
ein solches Vorhaben - ein vielschichtiges, in jeder seiner
Ebene schlüssiges Werk zu fertigen - in kurzer Zeit
vorbereiten.
Die Briefe Schostakowitschs an Glikman offenbaren
aber auch diesbezüglich Hinweise: »Alles, was ich innerhalb
vieler Jahre schrieb, war eine Vorbereitung auf diese
Komposition.«6
In welcher Weise sollten sich seine früheren Werke
dann vorbereitend in die 14. Sinfonie einbringen?
Könnte man die früheren Sinfonien als die direkten
stilistisch-musikalischen Wegbereiter der 14. Sinfonie
betrachten, oder bezieht sich Schostakowitschs Andeutung
doch auf eine nichtmusikalische Ebene?
Betrachtet man seine musikalisch-kompositorische
Entwicklung so ergibt sich keine erkennbare und
15
nachvollziehbare direkte Linie zur 14.Sinfonie. »Die
1.Symphonie, die Diplomarbeit Schostakowitschs, stellt die
Basis dar, von der aus sich seine Symphonik entwickelt. Die
2. und 3. sind der experimentellen Phase zuzurechnen; die
4. stellt in der Symphonik Schostakowitschs einen
Wendepunkt dar: In ihr sind Elemente der experimentellen
Phase enthalten, gleichzeitig ist aber eine Hinwendung zur
Tradition festzustellen. Sie leitet die 'mittlere' Periode ein.
Der Einschnitt zwischen mittlerer und später Periode ist
schwieriger auszumachen; ein augenfälliger Wandel in der
Konzeption ist in der 13. und 14. Symphonie festzustellen,
in denen Schostakowitsch das Wort einbezieht. Mit der 15.
Sinfonie kehrt er wieder zur reinen Instrumentalmusik
zurück.«7
Eine offensichtliche, zwingende musikalische Linie scheint
sich also wohl nicht durch sein sinfonisches Schaffen zu
ziehen.
Zumindest
keine,
deren
musikalische
Errungenschaften sich in der 14. Sinfonie widerspiegeln.
Allerdings muss man natürlich dabei berücksichtigen,
dass das Schreiben Schostakowitschs allzu häufig durch
Kritik und Vorgaben der Obrigkeit geformt und beeinflusst
wurde
Was verbergen und beinhalten dann also die dieser
Sinfonie vorausgehenden Werke Schostakowitschs, wenn sie
- gemäß des obigen Zitats Schostakowitschs - der
Vorbereitung dienten und was genau sollten sie vorbereiten?
Die Antwort kann nur im ideellen Bereich zu finden
sein und man muss sich mit der Vermutung arrangieren:
Dienten die Vorgängerwerke der 14. Sinfonie vielleicht dazu,
auf die in dieser Sinfonie enthaltenen beiden Ebenen offenliegend und verborgen - hinzuführen?
Erstere, die offenliegende Ebene, ist in ihrer
Vorbereitung durch frühere Werke durchaus nachvollziehbar. Sie demonstriert Schostakowitschs Einstellung zu
Terror und Gewalt und klagt die Tyrannen - allen voran
Stalin - angesichts ihres unmenschlichen Wirkens massiv
an.
16
Spätestens in der 13. Sinfonie können wir uns ja von
der
humanistischen
Gesinnung
Schostakowitschs
überzeugen, der sich hier mit der Vertonung von
Jewtuschenkos Gedicht Babij Jar für die Verfolgten und
Erniedrigten einsetzt.
Aber auch die früheren Sinfonien ohne vertonte
Worte liefern in ihrer teilweise skurrilen Karikatur
Anhaltspunkte für Kritik und Verspottung der Obrigkeit.
Freilich
meistens
unausgesprochen,
einzig
subtiler
Empfindung und Fantasie des Hörers ausgesetzt.
Aber auch die 10. Sinfonie kann als Meilenstein auf
der Straße zur 14. Sinfonie angesehen werden. Volkow sieht
den 2.Satz dieser Komposition als Schmähung Stalins an:
»Die zehnte Symphonie, die man mit Fug und Recht als sein
vollkommenstes Werk bezeichnen kann, hat ein klares
Sujet: die Konfrontation zwischen Künstler und Tyrann. Der
zweite Satz, ein wildes Furcht erregendes, den Hörer
überwältigendes Scherzo, ist ein musikalisches Portrait
Stalins. Das hat mir Schostakowitsch selbst einmal gesagt,
und sein Sohn Maxim hat es später bestätigt.«8
Die also nach außen hin wahrnehmbaren und in ihrer
Kritik unmittelbar verständlichen Ebenen dieser Werke
sorgte durchaus für manchen Eklat. So veranlasste das den
Antisemitismus in der Sowjetunion anklagende Gedicht
Jewtuschenkos Babij Jar - textliche Vorlage zur 13. Sinfonie
Schostakowitschs - den Umstand, dass diese Sinfonie einige
Jahre lang nach der Uraufführung kaum mehr gespielt
wurde. Allzu sehr geriet der Dichter nach der Publikation
seines Werkes in die öffentliche Kritik, was sich natürlich
auch
in
der
Aufführungsrate
der
13.
Sinfonie
Schostakowitschs widerspiegelte.
Die erste öffentliche Aufführung der 14. Sinfonie war
dann allerdings auch nicht dazu geeignet, auf allzu großes
Entgegenkommen der Beaufsichtigungsbehörden zu hoffen.
Diese Voraufführung des Werkes am 21. Juni 1969 rief
nämlich den Herzanfall eines der beiwohnenden Zuhörer,
ausgerechnet des Musikfunktionärs und SchostakowitschKritikers Apostolow, hervor:
17
»Bei der fünften Nummer meiner Symphonie wurde dem
Musikfunktionär Pawel Iwanowitsch Apostolow übel. Er
schaffte es, aus dem brechend vollen Saal herauszugehen,
und ist einige Zeit später gestorben.«9
Diese öffentliche Voraufführung sollte dazu dienen,
einen Mitschnitt des Werkes zu ermöglichen. Aus diesem
Grund bat der Komponist auch um Ruhe während des
Konzerts. Apostolows lautstarkes Aufstehen inmitten der
Aufnahme sorgte zunächst für den Verdacht eines
absichtlichen Protests. Völlig zu Unrecht, wie sich dann ja
später herausstellte.
Aber auch aufgrund der anklagenden Texte
gestaltete sich die Akzeptanz der 14. Sinfonie seitens der
Zensur
schwierig.
Zwar
wurde
kein
offizielles
Aufführungsverbot des Werkes ausgesprochen, aber kaum
fand sich ein Veranstalter, der es gewagt hätte, die
eigentliche Uraufführung vorzunehmen. Diese fand dann
allerdings doch am 29. September 1969 in der Leningrader
Kapella statt.
Bei den verborgenen Ebenen der Vorgängerwerke
lässt sich allerdings nur spekulieren. Allzu wenig wurden
untergründige Inhalte bisher schlüssig dargestellt.
Dennoch lässt sich aber unabhängig vom bisher
Gefundenen aufgrund der Äußerung gegenüber Glikman
erahnen, welche immense Bedeutung die 14. Sinfonie
seitens ihres Urhebers beigemessen wurde. Und auch die
oben dargestellte Besorgnis Schostakowitschs bezüglich der
ungehinderten Fertigstellung des Werkes verstärkt diesen
Eindruck der Wichtigkeit.
18
SUBTILE UND EXPONIERTE HINWEISE
Die genaue Untersuchung der 14. Sinfonie offenbart
verborgene Botschaften, die auf den ersten Blick oder beim
ersten Hören nicht wahrnehmbar sind.
Offenbar sind diese so sehr gestreut, so geschickt
und unscheinbar arrangiert, dass auch die nähere
Auseinandersetzung
kaum
zu
deren
überzeugender
Wahrnehmung führt.
Bei meiner Recherche bezüglich der 14. Sinfonie
erhielt ich auch gelegentlich die desillusionierende Kritik, ich
würde musikalische Allgemeinplätze zu hintergründigen
Symbolismen aufwerten.
Zugegeben:
Viele
dieser
hintergründigen
Erscheinungen sind allgemeiner Art und könnten ebenso in
manch anderem Werk anderer Komponisten stehen, sind
also nicht zwangsläufig spezifisch-musikalische Elemente
der 14. Sinfonie Schostakowitschs.
In ihrer Vielzahl liefern diese allerdings schon eine
beeindruckende Eindringlichkeit der Aussage und führen einem Puzzlespiel gleich - zu einer gemeinsamen Aussage.
Ginge es hierbei nicht um die rechtfertigende
Stellungnahme eines existenziell bedrängten Künstlers zu
äußerlicher Handlung und innerer Einstellung, so könnte
man aufgrund der Schlüssigkeit dieser vielen Hinweise
sogar respektlos von einem Indizienprozess sprechen.
Dieses - die Positionen umkehrende - Bild wirkt dann umso
nachhaltiger, wenn man die Statements Schostakowitschs in
seiner 14. Sinfonie nicht nur als Rechtfertigung betrachtet,
sondern
gleichzeitig
als
Anklage
gegenüber
dem
blutbefleckten stalinistischen Regime.
Warum wandte Schostakowitsch dieses Verfahren
der breit gestreuten Indizien eigentlich an?
Die Antwort hierauf gibt gewissermaßen schon die
oben genannte Kritik verschiedener, befragter Fachleute an
meiner
Verwertung
offensichtlich
allzu
allgemeiner
musikalischer Aussagen. Hätte Schostakowitsch an einer
einzigen Stelle einen überdeutlichen Hinweis auf mögliche
dissidentische Hinweise geliefert, so wäre die sowjetische
19
Zensurbehörde sicherlich sofort tätig geworden und hätte in
die öffentliche Verbreitung des Werkes eingegriffen.
Keineswegs war Schostakowitsch im Jahr 1969 in der Lage,
frei und ungehindert komponieren zu können. Allzu sehr
bedrohten Arbeits- und Aufführungsverbot seine Existenz.
Als exponierte Hinweise bezeichne ich in meiner
Arbeit Auffälligkeiten jeder Art. Diese kann man häufig nicht
funktionell einordnen, sie beeindrucken als klanglicher
Effekt, als Blickfang oder einfach nur als markant
gestaltendes musikalisches Gebilde.
So wirkt etwa das schrille, sogar im Kontrabass
auffallend
hoch
gestaltete
Aufeinanderprallen
der
musikalischen Linien im Takt 12 der Malagueña wie ein
Aufschrei, der nicht überhört werden kann (vgl.
Notenbeispiel 21).
Ohne das Wissen seines Hintergrunds freilich ist
dieser nicht interpretierbar, oder zumindest nicht in der vom
Komponisten angelegten untergründigen Weise.
Auch der merkwürdige Auf- und Abstieg zu Beginn
des siebten Satzes, in der Abwärtsrichtung spiegelbildlich
um einen Halbtonschritt versetzt, birgt Geheimnisse.
Häufig finden sich diese exponierten Hinweise also
am Satzanfang oder auch nach einer Zäsur.
Manchmal ist es sehr schwierig, die Hinweise des
Komponisten wahrzunehmen. Sie erschließen sich dann erst
nach intensivster Auseinandersetzung: Weder sind sie zu
hören noch zu sehen.
Aber gerade hierbei ist die Bestätigung, etwas
Wichtiges
entdeckt
zu
haben,
meist
besonders
eindrucksvoll. Und nicht selten ist der Beweis für die
berechtigte Vermutung eines außerordentlichen Fundes in
einem erhöhten Maß befriedigend und faszinierend.
Ein Beispiel für solch einen subtilen Hinweis
Schostakowitschs finden Sie unter anderem im vierten Satz
Der Selbstmörder. Hier werden Sie beim Analysieren der
Singstimme feststellen, dass an keiner Stelle ein Kreuz als
Akzidenz
verwendet
wurde.
Sämtliche
Alterationen
geschehen mittels .
20
Bei den subtilen Hinweisen kann es durchaus auch
vorkommen, dass bestimmte Textstellen zusammen mit
deren eng verbundenen Art der Vertonung eine neue
Deutung erfahren. Zu gegebener Zeit wird auch hiervon die
Rede sein.
Ein bekannter deutscher Komponist, dem ich von
meinen zahlreichen Funden in dieser Sinfonie Bericht
erstattete, schrieb mir hierauf: »Es ist schwer, in der Musik
von Schostakowitsch nichts zu finden.«
In der Tat sind die Stellen, bei denen man einen
autobiographischen Bezug vermuten kann, überaus reich
gesät. Man muss nur in der Hand haben, diese auch
adäquat zu verstehen.
21
BRÜCKEN ZU GOETHES FAUST
Der Brückenschlag Schostakowitschs zu Goethes
Faust geschieht auf mehrere Weisen. Nehmen wir uns
zunächst also den Weg vor, welcher sich mir auch als erster
erschloss.
Die musikalische
Mephistowalzer.
Verbindung
zu
Franz
Liszts
Schostakowitschs Liebe zum Werk Franz Liszts ist
bekannt: »Ungern spielte er Debussy und Ravel, am
liebsten
Bach,
Beethoven
und
Liszt,
denn
vom
Kompositorischen her
interessierten ihn diese am
meisten.«10
Dass er den Lisztschen Mephisto-Walzer – ein
pianistisches Standardwerk - gut kannte, ist deshalb
anzunehmen.
Franz Liszt schrieb sein virtuoses Werk in den Jahren
1858 und 1859; der genaue Titel lautet Mephisto-Walzer –
Episode aus Lenaus »Faust«: Der Tanz in der Dorfschenke.
Die romantische Dichtung Nikolaus Lenaus Faust –
Ein Gedicht (1836) liegt diesem Klavierwerk zugrunde.
Lenaus Werk ist bestimmt von Weltschmerz und
Melancholie; man kann ihn als einen übersteigendromantisierenden Vertreter des Wiener „Sturm und Drang“
ansehen.
Er dichtete den Faust auf seine ihm eigene Weise,
wobei er sich literarisch nicht immer sehr geschickt
anstellte: »Der größtenteils eingesetzte Paarreim (aabb)
und der kurzatmige Rhythmus sorgen gelegentlich für
unfreiwillige, entfernt an Limericks erinnernde Komik: 'Hier
unterschreib’ ich den Vertrag,/Weil ich nicht länger zweifeln
mag.'«11
Die Listzsche Klavierkomposition nimmt sich nur
eines Teils der gesamten Dichtung an, nämlich des 6.
Abschnitts, von Lenau mit Tanz betitelt:
22
Nikolaus Lenau:
Faust. Ein Gedicht (1836)
Der Tanz
Dorfschenke
Hochzeit. Musik und Tanz.
Mephistopheles als Jäger (zum Fenster herein)
Da drinnen geht es lustig zu;
Da sind wir auch dabei, Juchhu!
(Mit Faust eintretend)
So eine Dirne lustentbrannt
Schmeckt besser als ein Foliant.
Faust
Ich weiß nicht wie mir da geschieht,
Wie mich's an allen Sinnen zieht.
So kochte niemals noch mein Blut,
Mir ist ganz wunderlich zumut.
Mephistopheles
Dein heißes Auge blitzt es klar:
Es ist der Lüste tolle Schar,
Die eingesperrt dein Narrendünkel,
Sie brechen los aus jedem Winkel.
Fang eine dir zum Tanz heraus,
Und stürze keck dich ins Gebraus!
Faust
Die mit den schwarzen Augen dort
Reißt mir die ganze Seele fort.
Ihr Aug' mit lockender Gewalt
Ein Abgrund tiefer Wonne strahlt.
Wie diese roten Wangen glühn,
Ein volles, frisches Leben sprühn!
An diese Lippen sich zu schließen,
's muß unermeßlich süße Lust sein,
Die schmachtend schwellen, dem Bewußtsein
Zwei wollustweiche Sterbekissen.
Wie diese Brüste ringend bangen
In selig flutendem Verlangen!
Um diesen Leib, den üppig schlanken,
Möcht' ich entzückt herum mich ranken.
Ha! wie die langen schwarzen Locken
Voll Ungeduld den Zwang besiegen
Und um den Hals geschwungen fliegen,
23
Der Wollust rasche Sturmesglocken!
Ich werde rasend, ich verschmachte,
Wenn länger ich das Weib betrachte;
Und doch versagt mir der Entschluß,
Sie anzugehn mit meinem Gruß.
Mephistopheles
Ein wunderlich Geschlecht fürwahr,
Die Brut vom ersten Sünderpaar!
Der mit der Höll' es hat gewagt,
Vor einem Weiblein jetzt verzagt,
Das viel zwar hat an Leibeszierden,
Doch zehnmal mehr noch an Begierden.
(Zu den Spielleuten)
Ihr lieben Leutchen, euer Bogen
Ist viel zu schläfrig noch gezogen!
Nach eurem Walzer mag sich drehen
Die sieche Lust auf lahmen Zehen,
Doch Jugend nicht voll Blut und Brand.
Reicht eine Geige mir zur Hand,
's wird geben gleich ein andres Klingen,
Und in der Schenk' ein andres Springen!
Der Spielmann dem Jäger die Fiedel reicht,
Der Jäger die Fiedel gewaltig streicht.
Bald wogen und schwinden die scherzenden Töne
Wie selig hinsterbendes Lustgestöhne,
Wie süßes Geplauder, so heimlich und sicher,
In schwülen Nächten verliebtes Gekicher.
Bald wieder ein Steigen und Fallen und Schwellen;
So schmiegen sich lüsterne Badeswellen
Um blühende nackte Mädchengestalt.
Jetzt gellend ein Schrei ins Gemurmel schallt:
Das Mädchen erschrickt, sie ruft nach Hilfe,
Der Bursche, der feurige, springt aus dem Schilfe.
Da hassen sich, fassen sich mächtig die Klänge,
Und kämpfen verschlungen im wirren Gedränge.
Die badende Jungfrau, die lange gerungen,
Wird endlich vom Mann zur Umarmung gezwungen.
Dort fleht ein Buhle, das Weib hat Erbarmen,
Man hört sie von seinen Küssen erwarmen.
Jetzt klingen im Dreigriff die lustigen Saiten,
Wie wenn um ein Mädel zwei Buben sich streiten;
Der eine, besiegte, verstummt allmählich,
Die liebenden beiden umklammern sich selig,
Im Doppelgetön die verschmolzenen Stimmen
Auf rasend die Leiter der Lust erklimmen.
24
Und feuriger, brausender, stürmischer immer,
Wie Männergejauchze, Jungferngewimmer,
Erschallen der Geige verführende Weisen,
Und alle verschlingt ein bacchantisches Kreisen.
Wie närrisch die Geiger des Dorfs sich gebärden!
Sie werfen ja sämtlich die Fiedel zur Erden.
Der zauberergriffene Wirbel bewegt,
Was irgend die Schenke Lebendiges hegt.
Mit bleichem Neide die dröhnenden Mauern
Daß sie nicht mittanzen können bedauern.
Vor allen aber der selige Faust
Mit seiner Brünette den Tanz hinbraust;
Er drückt ihr die Händchen, er stammelt Schwüre,
Und tanzt sie hinaus durch die offene Türe.
Sie tanzen durch Flur und Gartengänge,
Und hinterher jagen die Geigenklänge;
Sie tanzen taumelnd hinaus zum Wald,
Und leiser und leiser die Geige verhallt.
Die schwindenden Töne durchsäuseln die Bäume,
Wie lüsterne, schmeichelnde Liebesträume.
Da hebt den flötenden Wonneschall
Aus duftigen Büschen die Nachtigall,
Die heißer die Lust der Trunkenen schwellt,
Als wäre der Sänger vom Teufel bestellt.
Da zieht sie nieder die Sehnsucht schwer,
Und brausend verschlingt sie das Wonnemeer.
Der Text gibt die Szenerie in der Dorfschänke wieder
und korrespondiert mit der Szene in Auerbachs Keller in
Goethes Faust. Das Leipziger traditionelle Studentengasthaus wurde hier also in eine Dorfschänke umgewandelt.
Aber auch Inhalt und Handlung dieser Szene müssen
sich
der
schwülstig-fantasievollen
Umformung
des
Romantikers unterwerfen. Ein Umstand, auf welchen wir
später noch gründlich zurückkommen müssen. Lediglich sei
an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Musizieren im
Wirtshaus bei Lenau in anderer Weise ausgeübt wird, als bei
Goethe. Ist es bei Letzterem ein Lied, welches Mephisto den
Mitzechern vorträgt, so erfolgt seine musikalische Äußerung
in der Lenau-Fassung durch die Violine, die auf teuflische
Weise erklingt und die Geiger des Dorfes ... die Fiedel zu
Erden werfen lassen.
25
Liszts Mephisto-Walzer-Komposition gibt diesen
furios-ekstatischen Tanz mit Vehemenz wieder. Die
Tempobezeichnung Allegro vivace (quasi presto) sorgt für
wilde Rastlosigkeit und nervöse Unruhe. Der Beginn erfolgt
mit Mephistos Stimmen der Geige, ein musikalisches
Fragment, welches sich bei Liszt nach einer einleitenden
Übereinanderschichtung mehrerer Quinten folgendermaßen
äußert:
Notenbeispiel 1
Für uns ist es wichtig zu erkennen, dass sich Franz
Liszt in seinem Klavierwerk Mephisto-Walzer wirklich der
Lenauschen Faust-Fassung anschließt: Die leeren Quinten
als leere Saiten der Violine des Beginns belegen dies
eindeutig.
Wagen wir an dieser Stelle nun bereits den Versuch
einer allerersten Annäherung an Schostakowitschs 14.
Sinfonie:
Der zweite Satz dieser Sinfonie Malagueña bringt –
nach dem chromatisch strukturierten ersten Takt - ebenfalls
das Spiel mit den leeren Saiten eines Instruments.
Notenbeispiel 2
Aufgrund der Auswahl der Töne - diese geben
allesamt die leeren Saiten der Gitarre wieder - könnte man
hier eine - allerdings noch höchst unscheinbare Korrespondenz der Sinfonie mit dem Mephisto-Walzer
26
einräumen.
Die
Wiedergabe
leerer
Saiten
von
Streichinstrumenten in der Klaviermusik ist allerdings nicht
sehr ungewöhnlich; viele Komponisten haben sich dieser
lautmalerischen Möglichkeit angenommen.
Allerdings erhält diese Übereinstimmung wesentlich
mehr Gewicht beim Erörtern des nächsten, wesentlich
kapitaleren, Brückenschlags. Dieser ist in den Takten 47/48
der Malagueña zu finden.
Hier führt die Stimme der Solo-Violine zu einer
weiteren,
prägnanten
motivischen
Verbindung
zur
Listzschen Komposition hin. Das Glissando von »h« nach
»d« ist ihre allererste musikalische Äußerung in der
gesamten Sinfonie. Das genaue Betrachten dieser Figur –
und vor allem der nachfolgende Vergleich mit der
Korrespondenzstelle im Mephisto-Walzer - offenbart deren
Wechselwirkung mit der Stimme der 1.Violine: Ein Glissando
wird durch das vielmalige Repetieren des »e« abgelöst;
knapp drei Takte später übernimmt die Solo-Violine wieder
das »e« und führt es nun zum »a« weiter:
Notenbeispiel 3
Die Korrespondenzstelle in Liszts Mephisto-Walzer ist
unübersehbar und fällt beim erstmaligen Betrachten der
Noten sofort ins Auge:
Notenbeispiel 4
27
Unübersehbar ist hier auch die Art der Verbindung:
Das Glissando beginnt mit dem »h« und endet mit dem
»d«; sowohl Anfangs- als auch Zielton stimmen mit
Notenbeispiel
3
überein.
Die
sich
anschließende
Tonwiederholung des »e« und die daraufhin folgende
Wendung zum a (bzw. A-Dur bei Liszt) vervollständigen in
verblüffender Konsequenz die Übereinstimmung beider
Fragmente.
Mag man – beiden Beweisführungen zum Trotz - hier
noch immer den Zufall für die Übereinstimmung
verantwortlich machen, so soll ein drittes motivisches
Bindeglied für Klarheit sorgen.
Und zwar – man muss bei Liszt wieder einmal an
einer auffälligen Position suchen - formiert sich das
Hauptthema
des
Mephisto-Walzers
aus
einer
Motiventwicklung heraus, welche man ab Takt 93 finden
kann:
Notenbeispiel 5
Das Gegenstück in Schostakowitschs 14. Sinfonie
gestaltet sich folgendermaßen:
Notenbeispiel 6
Allerdings muss man hier im dritten Satz der Sinfonie
nachsehen (T.168/169) bis man das Motiv in dieser
überzeugend übereinstimmenden Form findet. Ähnlich den
Verarbeitungsschritten im Mephisto-Walzer
begibt sich
dieses Motiv auch bei Schostakowitsch zunächst durch
mehrere Stadien der Umformung.
Besonders interessant: Beide Musikbeispiele 5 und 6
hintereinander gespielt ergänzen sich zu einer Art 6taktigen Periode, welche durchaus auch harmonisch in
ihrem Vorder- und Nachsatz annähernd übereinstimmt.
28
Kommen
wir
nun
wieder
auf
die
bereits
angesprochene Umwandlung Lenaus zu sprechen: Aus dem
Goetheschen Gesang wird hier die teuflisch gespielte Geige.
Ist der Mittelteil von Schostakowitschs Malagueña nicht
eben jener verführerischer Geigenklang, der von Lenau mit
den Worten »Erschallen der Geige verführende Weisen
skizziert wurde«?
Das erste Auftreten der Violine in der Malagueña
lässt sich durchaus als exponierte Erscheinung werten, der
Beginn mit dem Glissando weist deutlich zum MephistoWalzer; und nun, im Mittelteil dieses spanischen
Tanzsatzes, erschallt ein Walzer. Nicht nur verwirklicht
dieser Abschnitt die in der Listzschen Komposition
musikalisch und in dessen Textvorlage verbal geforderte
Teufelsgeige, nein, auch die Fremdhaftigkeit des Walzers
inmitten eines spanisch geprägten Tanzsatzes belegt dessen
unübersehbare Eigentümlichkeit.
Übrigens gibt es in der Malagueña weitere
lautmalerische Klänge, welche ländlich-derben Geigenklang
suggerieren wollen:
Notenbeispiel 7
Leere Saiten der Violinen stehen hier für die
Unbeholfenheit der bäuerlichen Tanzmusik, von dem sich
der nachfolgende geschwinde Walzer der Solo-Violine eben
teuflisch-virtuos abhebt.
29
Die Assoziation zu Goethes Faust
Schostakowitsch benutzt die Komposition Franz
Liszts und dessen dichterische Vorlage lediglich um eine
Brücke zu schlagen. Nicht der Lenausche Faust ist sein
eigentliches ideeles Ziel, sondern die Version Goethes.
Dem Tanz in der Dorfschenke entspricht hier die
Szene aus dem ersten Teil der Dichtung, welche Goethe mit
Auerbachs Keller in Leipzig überschrieben hat.
Hier treffen Faust und Mephisto in dem Gasthaus
Auerbachs Keller auf Frosch, Brandner, Siebel und
Altmayer, eine muntere Schar fröhlicher, angeheiterter
Studenten.
Diese
rätseln
über
die
Herkunft
der
Ankömmlinge und werden von Mephisto unterrichtet: »Wir
kommen erst aus Spanien zurück, dem schönen Land des
Weins und der Gesänge.«
Daraufhin singt Mephisto sein berühmtes Lied:
Es war einmal ein König
Der hatt einen großen Floh,
Den liebt, er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
Da, miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an!
In Sammet und in Seide
War er nun angetan
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt auch ein Kreuz daran
Und war sogleich Minister,
Und hatt einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
Bei Hof auch große Herrn.
Und Herrn und Fraun am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
30
Die Königin und die Zofe
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.
Die Zecher erfreuen sich am Gesang Mephistos, der
die Stimmung dann noch mit einigen teuflischen
Taschenspielertricks anheizt. Zunächst kündigt er an, Wein
aus dem Tisch zu zaubern, und wendet sich an Frosch:
»Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?« Dieser
antwortet daraufhin: »Gut! Wenn ich wählen soll, so will ich
Rheinwein haben.«
Aber nicht nur Wein vom Rhein fließt nun, sondern
auch
Champagner
und
Tokayer,
und
unachtsam
vergossener Wein beginnt wie ein Fegefeuer zu brennen.
Des Weiteren verzaubert er die Nasen der
Anwesenden in Trauben und jeder schickt sich an, die Nase
seines Nachbarn mit einem Messer abzuschneiden.
Die jungen Männer – nun wieder bei Sinnen - rätseln
darüber, was ihnen gerade widerfuhr und wollen Mephisto
für erlittene Verwirrung und Betrug zur Rechenschaft
ziehen: »Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre, er soll mir
nicht lebendig gehen!«
Doch Mephisto ist zusammen mit Faust bereits auf
wundersame Weise verschwunden, was von Altmayer
beobachtet wurde: »Ich hab ihn selbst hinaus zur Kellertüre
– auf einem Fasse reiten sehn.«
Der Transfer zu Goethes Faust geschieht in
Schostakowitschs 2.Satz der 14.Sinfonie Malagueña bisher
also dadurch, dass er – wie bereits beschrieben - die leeren
Instrumentalsaiten als Bindeglied benutzt: In Lenaus
romantischem Faust ist die Violine das Instrument, welches
in der Taverne zu Gehör kommt, während die Szene in
Auerbachs
Keller
des
Goetheschen
Faust
ohne
Violinbegleitung auskommt. Lediglich Gesang ertönt.
31
Die geographische Beziehung zum Faust
Wie im vorausgehenden Abschnitt erzählt, lassen
sich in der Szene von Auerbachs Keller in Goethes Faust
zwei geographische Angaben bemerken: Spanien und der
Rhein. Erstere geht dem Flohlied direkt voraus, während die
andere der musikalischen Einlage folgt.
Weitere geographische Hinweise erhalten wir zwar
anschließend, »Ich will Champagner Wein,....Ein echter
deutscher Mann mag keinen Franzen leiden...«, doch den
unmittelbaren Rahmen von Es war einmal ein König bilden
eben Spanien und der Rhein.
In der 14.Sinfonie Schostakowitschs spielen diese
beiden Regionen ebenfalls eine bedeutende Rolle:
Das erste Stück entstammt –wie auch das zweiteder Feder des spanischen Dichters García Lorcas.
Die geographischen Namen Andalusien und Cordoba
im Text des eröffnenden Liedes bestimmen dessen
spanische Ausrichtung.
Die bereits erwähnte Malagueña – eigentlich ein
spanischer Tanz - setzt die Reihe der Anspielungen auf
Spanien fort.
Nun folgt an dritter Position ein Lied des deutschen
Dichters Clemens Brentano Loreley.
Dieses berühmte Stück beschreibt das Schicksal der
falschen Zauberin, die ihrem Leben mit dem Sprung vom
hohen Fels in den Rhein ein Ende setzt.
Auch hier wieder finden sich also direkte Bezüge der
14. Sinfonie von Schostakowitsch zu Goethes Faust, welche
durch diese Häufung nun nicht mehr als zufällig betrachtet
werden können.
Sehr zielgerichtet ordnet der Komponist seine
Gesänge an, um damit die Brücke zu Goethes Faust zu
bauen.
Aber nicht das gesamte klassische Drama steht in
Beziehung zur Komposition, sondern nur derjenige Teil,
welcher von Schostakowitsch durch die geographischen
32
Begriffe zentriert wurde, nämlich das Lied Mephistos Es war
einmal ein König.
Wie sich zeigen wird, bildet es einen Schlüssel für die
von Schostakowitsch versteckten Botschaften.
Die biographische Beziehung zum Faust
Auch das Werkverzeichnis Schostakowitschs weist
eine Verbindung zum Faust auf. Unter der Opuszahl 146b
findet man eine Orchestrierung von Beethovens Vertonung
des Flohlieds. Schostakowitsch schrieb dieses Arrangement
für Solo-Bassstimme und Orchester im Jahr 1975. Es wurde
am 1.April desselben Jahres mit Jewgenij Nesterenko
uraufgeführt.
Darüber hinaus gibt es eine indirekte Beziehung
Schostakowitschs
zur
gleichen
Textvorlage
durch
Mussorgski, dem von Schostakowitsch überaus verehrten
russischen Romantiker:
»Wenn ich so Zug um Zug Mussorgskis Charakter
nachgehe, staune ich, wie ähnlich unsere Naturen sind,
trotz des deutlichen, ins Auge springenden Unterschieds.
Natürlich ist es unschicklich, über sich selbst allerlei Gutes
zu sagen (wissend, dass dies alles eines Tages gedruckt
werden wird), und einige Spießbürger können mir das
vorwerfen. Aber mir ist es nun einmal interessant Parallelen
zu ziehen, und in diesem Fall, ich verheimliche es nicht, ist
es auch angenehm.....Jedesmal, wenn ich an Mussorgskis
Kompositionen arbeitete, klärte sich Wichtiges für meine
eigenen Kompositionen....Über die Beziehung zwischen
»Lieder und Tänze des Todes« und meiner Vierzehnten habe
ich sogar etwas geschrieben und publiziert.«12
Als Fortsetzung der Lieder und Tänze des Todes von
Mussorgski,
welches
Schostakowitsch
für
Orchester
instrumentierte, beschrieb er seine Vierzehnte Sinfonie.
In ihrer Thematik des unnatürlichen, frühen Todes
knüpft sie an das Werk Mussorgskis an: »Dieselben
Gedanken fanden Niederschlag in der Vierzehnten. In ihr
33
protestiere ich nicht gegen den Tod, sondern gegen die
Henker, die an Menschen die Todesstrafe vollziehen.«13
Im Werkverzeichnis Mussorgskis findet sich also
ebenfalls eine Vertonung des Flohlieds in der Übersetzung
nach Strougowtschikow. Der Komponist fertigte sie im Jahre
1879 und widmete sie Darja Leonowa, einer Sängerin, der
er sich in seinen letzten Lebensjahren zuwandte.
Interessant ist hier die relative Übereinstimmung
beider Komponisten bezüglich der zeitlichen Stellung des
Flohlieds im Gesamtschaffen: Mussorgski schrieb das Lied
zwei Jahre vor seinem Tod, während die Instrumentation
Schostakowitschs der Beethovenschen Vertonung in dessen
letztem Lebensjahr erfolgte.
Mehr und mehr schien sich Schostakowitsch in
seinen letzten Jahren mit Mussorgski zu verbinden: Ȇber
all diese und viele andere Parallelen habe ich, ehrlich
gesagt, erst in letzter Zeit nachzudenken begonnen.
Wahrscheinlich ist das eines der Anzeichen beginnender
Senilität. Man fällt in die Kindheit zurück: Kinder vergleichen
sich gern mit großen Menschen. In der Kindheit und im Alter
ist der Mensch unglücklich, weil er nicht sein eigenes Leben
lebt, sondern fremde.«14
Die biographischen Beziehungen Schostakowitschs
zum Faust sollen nun abschließend noch um einen weiteren
Aspekt, der anscheinenden Doppelseitigkeit seiner offiziellen
und persönlichen Erscheinung, bereichert werden. Es ist
schon fast müßig darauf hinzuweisen. Allzu heftig wurde
hieraus das Klischee geformt, Schostakowitsch mit einem
offensichtlich-unglaubwürdigen und gleichzeitig einem
versteckt-oppositionellen Image darzustellen. Anlass zu
dieser Sichtweise gab es durchaus. Vor allem das
unnachvollziehbare Konvertieren zur Kommunistischen
Partei wog diesbezüglich sehr schwer.
Der Komponist sah sich selbst auch in dieser
zweigleisigen Rolle »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner
Brust« – und litt.
Die Einschätzung Schostakowitschs – vor allem in
den westlichen Ländern - widersetzte sich diesem Eindruck
ebenfalls nicht und ermöglichte so das Entstehen von
34
faustisch anmutenden dramaturgischen Kunstwerken, in
welchen Schostakowitsch die Hauptrolle zukam, wie zum
Beispiel in der im Jahr 2000 in Leipzig uraufgeführten Oper
Dmitri des Komponisten Luca Lombardi und des Librettisten
Hans-Klaus Jungheinrich.
Eine weitere, kuriose Verbindung zum Faust
»Ich erinnere mich sehr deutlich, wie ich vorhatte,
'Das Mädchen und der Tod' nach Gorki zu schreiben, und an
Deine Ratschläge bezüglich eines abschließenden Chors, der
dieses Werk vollenden sollte.«15
Dieser Auszug aus einem Brief Schostakowitschs an
Isaak Glikman bedarf des Empfängers weiterer Erläuterung:
»Gemeint ist ein kleiner, komischer Choral, den ich kurz vor
dem Krieg auf einen leicht veränderten Ausspruch Stalins
über Gorkis Poem Das Mädchen und der Tod komponiert
habe (Stalin sagte 'Die Sache ist stärker als der Faust von
Goethe, die Liebe besiegt den Tod.')
Der Ausspruch ist seinerzeit zur wichtigen Quelle
einer erschöpfenden Analyse des Goetheschen Faust
geworden. Diese üble Anekdote, die sich innerhalb der
sowjetischen
Literatur
zutrug,
erregte
auch
in
Komponistenkreisen großes Aufsehen, wo man so schnell
wie möglich eine Oper nach dem Sujet des Poems Das
Mädchen und der Tod zustande zu bringen wünschte, da es
der unfehlbaren Meinung Stalins nach nun einmal über
Goethes
Faust
stand.
Selbstverständlich
äußerte
Schostakowitsch den Gedanken, eine Oper nach dem Sujet
dieses Poems zu schreiben, im Scherz und unter Lachen.«16
Diese kuriose Brücke Schostakowitschs zum Faust
bezieht auch den Weg über Stalin mit ein. Stalins
annektierte, vermeintliche Kompetenz in Sachen Kunst,
Literatur und vor allem auch Musik war immer wieder
Gegenstand
für
Schostakowitschs
Verspottung
und
Missbilligung.
Es liegt nun also nahe, auch in dieser Begebenheit,
welche die sowjetische Literaturszene seinerzeit in Aufruhr
35
versetzte,
eine
weitere
unterschwellige
Verbindung
zwischen der 14. Sinfonie und dem Despoten Stalin zu
sehen.
DER TRANSFER ZU MUSSORGSKI
Mussorgskis Flohlied Pesnya Mefistofelya o blokhe
unterscheidet sich deutlich von der Goetheschen Vorlage (s.
Seite 30/31) dadurch, dass nun auskomponierte Lachsalven
»ha, ha, ha, ha« hinzugefügt werden:
Notenbeispiel 8
36


Moderato giusto
Gesang
Klavier
 
    
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   
Kö - nig,
der hatt'
 ei- nen gro
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
 
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
 

   
   

 






     




       


     
Floh,
liebt
er gar nicht
     







  


  









            



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
 
    
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Es

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

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-
ßen
  


  
Floh,
  
 
  


    
     
   
    
 

 
 
we - nig,


wie sei- nen eig - nen
 
 
 
 
 

            





 
    
    
Ha, ha, ha, ha, ha!
Den Floh? Ha, ha, ha, ha, ha!



  
     
   
    

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
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       
       




als
Notenbeispiel 8
37
ein- mal ein

    


  



     

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ei- nen Floh!  
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
  

  
war
Sohn.

 

ei- nen

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
 
 
 
Den

  
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
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Den Floh!
 
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


    

 

Den Floh!
            

   



             

 

Das vorausgehende Notenbeispiel gibt den Beginn
des Liedes wieder. Mussorgski hat den Text Goethes durch
die einbezogenen Lacher zu einem sarkastischen Spottlied
umfunktioniert.
Selbst am Ende des Gesangs - hier ist bereits vom
übergroßen
Machtmissbrauch
des
zum
Tyrannen
avancierten kleinen Schurken die Rede - verstummt das
Gelächter nicht, sondern gewinnt im Gegenteil noch an
Eindringlichkeit:
Notenbeispiel 9
Die
Brücke,
die
nun
mittels der Vertonung
Mussorgskis zum Goetheschen Faust geschlagen wird, baut
sich aus zwei Elementen auf:
1.)
Im 6. Lied seiner vierzehnten Sinfonie Sehen
Sie, Madame! übernimmt Schostakowitsch die
Idee Mussorgskis; auch hier wird der
ursprüngliche
Text
Apollinaires
durch
Lachsalven
bereichert.
Die
Textvorlage
beschreibt zwar das Lachen ...Il est ici j'en ris
j'en ris des belles amours que la mort a
fauchées (Es [das Herz] ist hier, ich lache
[laut] über die schönen Liebschaften, die der
Tod niedergemäht hat), weist aber keinerlei
Lachsilben auf. Dass diese dennoch in der
Vertonung Schostakowitschs zu finden sind,
beweist
die
Nähe
zur
Komposition
Mussorgskis. Offensichtlich wurden diese
Lacher vom Komponisten selbst eingefügt. Sie
stellen in der Beziehung der Sinfonie zum
Faust jedenfalls ein wichtiges Bindeglied dar:
38
Notenbeispiel 10
2.)
Aber nicht nur die Lachsalven selbst
stellen eine subtile Korrespondenz zur FaustVertonung Mussorgskis her, sondern auch ein
damit
verbundenes
charakteristisches,
musikalisch-motivisches
Element.
Dieses
findet sich bei Mussorgski zum ersten Mal im
dritten Takt (siehe Notenbeispiel 8) und
besteht lediglich aus einer stufenartig
aufsteigenden
Fünftonfolge.
Ein
„Allerweltsmotiv", welches allerdings dadurch
an Bedeutung für unsere Untersuchung
gewinnt, dass es beim ersten Auftreten des
Lachers von der Singstimme übernommen
wird. Hierdurch wird die Gestik des Lachens
eng mit dieser Tonleiter-Figur verknüpft:
Notenbeispiel 11
Der Blick zur 14. Sinfonie Schostakowitschs, hier im
nachfolgenden Beispiel die Takte 40 bis 45 wiederum des 6.
Liedes, offenbart die zweite und nicht minder eindrucksvolle
Verbindung dieses Satzes zum Flohlied Mussorgskis:
Notenbeispiel 12
39
Untrennbar sind nun die Lachausbrüche der
singenden Madame mit ebensolchen Tonleiterfolgen
gekoppelt. Zunächst noch - gegenüber Musikbeispiel 12 um eine Oktave erweitert, ab Takt 40 dann aber
ausschließlich auf den Quintambitus beschränkt.
Übrigens sind diese Fünftonfolgen im Werk
Schostakowitschs nicht auf diesen 6. Satz beschränkt,
sondern finden sich z.B. auch als Einleitung zum
darauffolgenden 7. Lied Im Kerker der Sante.
DAS FLOHLIED
Dieses Lied vom König und dem Floh manifestierte
sich im Schaffen Schostakowitschs also durch die
Auseinandersetzung mit den Vertonungen Beethovens und
Mussorgskis.
Inhaltlich stellt das diesem Lied zugrunde liegende
Gedicht Goethes den unaufhaltsamen Aufstieg des Flohs
dar, der - zunächst familiär aufgenommen - schließlich zu
einer solch uneingeschränkten Macht emporgelangt, dass er
sich die willkürliche Misshandlung seiner Mitmenschen
erlauben kann, ohne befürchten zu müssen, dafür zur
Rechenschaft gezogen zu werden, ohne kontrollierende oder
regulierende Instanz.
Der Floh wird hier als beißender Schädling
dargestellt; als Ungeziefer und Schurke, klein von Größe
und Herkunft, der sich aber doch mittels eigensüchtiger
Quälereien und Demütigungen anderer zu behaupten weiß
und seine Macht festigen kann.
Lassen wir uns hier an dieser Stelle einmal auf
Spekulationen ein! Schostakowitsch litt bekanntermaßen
sehr
unter
der
Bedrängnis
Stalins
und
seines
unmenschlichen Machtapparates.
Die
berufsund
persönlichkeitsvernichtenden
Möglichkeiten des stalinistischen Staats trafen ihn selbst
dermaßen hart, dass er sich von seinem Trauma der
massiven existenziellen Bedrängnis bis zu seinem
40
Lebensende nicht mehr erholen konnte. Dass er nicht selbst
in ein Arbeitslager eingeliefert wurde oder sogar noch
Schlimmeres passierte, ist lediglich dem Zufall - oder aber
der Berechnung Stalins, der offensichtlich auch mit der
vernichtenden Angst seiner politischen Gegner kokettierte zuzurechnen.
Seine Herzkrankheit - Schostakowitsch erlitt zwei
schwere Infarkte - bringt er mit seiner ständigen Sorge vor
Repressalien
und
Aufführungsverboten
seiner
Kompositionen in Verbindung.
Was liegt nun näher, als dass Schostakowitsch sich
in seiner Musik Luft macht und Anklage gegen denjenigen
hegt, der ihn so lange Zeit peinigt: Stalin.
Hier im Text des Liedes als Floh, als kleiner Schurke
und Emporkömmling dargestellt, deckt sich dieser
Ausgangspunkt seiner Machtergreifung doch völlig mit den
realen Gegebenheiten: Stalin gehörte als Sohn eines
georgischen Schuhmachers und dessen Frau, beide Kinder
Leibeigner, nicht gerade zur elitären Schicht.
Im Jahre 1922 stieg er zum Generalsekretär des
Zentralkomitees (ZK) der KpdSU auf, nicht unbedingt zur
uneingeschränkten Zustimmung Lenins, der schon damals
vor der Versuchung Stalins, seine unermessliche Macht zu
missbrauchen, eindringlich warnte.
Zunächst von einem Triumvirat zusammen mit
Kamenew und Sinowjew regiert, war die Sowjetunion ab
1927 der uneingeschränkten, blutigen Alleinherrschaft
Stalins ausgesetzt, lediglich von seinen ihm ergebenen
Gefolgsleuten, den im Gedicht zitierten „Geschwistern",
umgeben.
Die Opfer, welche die berüchtigten „Säuberungen"
mit sich brachten, sind leider allzu bekannt. Allein zwischen
1937 und 1939 schätzt man die Zahl der Ermordeten auf
1,5 Millionen. Millionen von Menschen, auch ganze
Volksgruppen, wurden zur Zwangsarbeit nach Sibirien
deportiert und politische Gefangene in „Gulags", sogenannte
„Besserungsanstalten", eingeliefert.
41
Und die Kunst musste sich der ideologischen Vorgabe
durch die Partei beugen, wobei jegliches Abweichen vom
vorgegebenen Weg hart geahndet wurde.
Bis zum Tod Stalins am 1. März 1953 hatte sich also
ebenfalls
Schostakowitsch
diesem
tyrannischen
Diktat zu unterwerfen. Und auch seine Kunst bekam die
Strenge des Regimes durch die beiden Scherbengerichte in
den Jahren 1936 und 1948 drastisch zu spüren.
Mit dem Flohlied bereitet Schostakowitsch dem
Tyrannen in der subtilen Ebene seiner 14. Sinfonie ein
verachtendes Denkmal.
Bezieht sich der gesamte Text Goethes eigentlich
schon auf die peinigende Herrschaft Stalins, so offenbart ein
Detail allerdings den Schlüssel für ein neues Verständnis der
Sinfonie.
Die Rede ist von der 12. Textzeile »Hatt auch ein
Kreuz daran«. Dieser Satz darf als eines der Kernstücke des
Werks betrachtet werden, welches unsere soeben
vorgenommene mutige Spekulation - der Identifizierung des
Goetheschen Flohs als Josef Stalin - rechtfertigen wird.
Gewissermaßen teilt es, die Übertragbarkeit auf den
Stalinismus vorausgesetzt, die Menschen des Sowjetstaates
in zwei Kategorien ein: Kreuzträger und Menschen ohne
Kreuz.
Erstere repräsentieren die Staatsmacht, die Partei,
die Anhänger und Genossen Stalins, der ja in dem Gedicht
Goethes als Träger des Kreuzes hingestellt wird.
Demgegenüber stehen die Menschen, die kein Kreuz
tragen, also die ihm nicht „geschwisterlich" nahe
Stehenden, ihm nicht ergeben Zeitgenossen.
42
DER KREUZLOSE SELBSTMÖRDER
Mit einem ersten Versuch der Decodierung soll nun
der vierte Satz der Sinfonie Der Selbstmörder auf
seinen hintergründigen Sinn hin untersucht werden.
Zunächst einmal muss auf einen bestechenden
exponierten Hinweis in diesem Satz verwiesen werden: Die
Singstimme
kommt
völlig
ohne
ein
Kreuz
als
Versetzungszeichen aus.
Das ist in dieser Sinfonie einmalig. Untersuchen wir
die anderen Sätze diesbezüglich, so ergeben sich die
folgenden statistischen Werte:
Zwar weisen nicht alle Sätze ein ausgeglichenes
Verhältnis zwischen # und b auf, aber dennoch gibt es - mit
Ausnahme des vierten Satzes - keinen, der völlig auf #
verzichtet.
In manchen Sätzen treten nur wenige # auf, aber
hier sind in der Regel die Anzahl der Akzidenzien insgesamt
recht gering.
43
Der Satz mit den meisten b ist ausgerechnet der
erwähnte Selbstmörder. Angesichts der hier gezählten 88 b
ist das völlige Fehlen von # mit musikalischen Argumenten
allein kaum erklärbar.
Und noch ein weiteres Ereignis misst dem „Kreuz"
besondere Geltung zu: Es handelt sich zu Beginn der
Singstimme um eine musikalisch-rhetorische Figur, welche
den griechischen Buchstaben Chi ( = X ) - eine Symbolfigur
für Christus, den Gekreuzigten - musikalisch nachzeichnet.
Notenbeispiel 13
Sträuben wir uns also nicht gegen den naheliegenden
Versuch Schostakowitschs, uns mit Hinweisen auf
verschiedenen Ebenen zu seinem versteckten Anliegen zu
führen.
Dieses kann in Zusammenhang mit dem Text nur
derart gedeutet werden, dass sich Schostakowitsch selbst in
die Rolle des Selbstmörders hinein begibt um hiermit eine
schlüssige, auf sich, seine Person und seine Vita bezogene
Aussage treffen zu können: Drei Lilien schmücken in Demut
mein kreuzloses Grab.
Wir erhalten hier ein Statement, welches Zweifel
klärt, die bei der Beurteilung von Schostakowitschs wahrer
Gesinnung stets für Uneindeutigkeit sorgten, nämlich seine
wahre Verbundenheit mit der kommunistischen Partei.
Eindeutig sagt er hier: Ich war keiner von denen, die
ein Kreuz trugen; keiner der mit Stalin oder der
kommunistischen Partei familiären Machthaber - »In
Sammet und in Seide/ War er nun angetan/ Hatte Bänder
auf dem Kleide,/ Hatt auch ein Kreuz daran/ Und war
sogleich Minister,/ Und hatt einen großen Stern./ Da wurden
seine Geschwister/Bei Hof auch große Herrn« - , sondern ich
bekenne mich zu meiner kreuzlosen - und nicht der Partei
44
ergebenen Vergangenheit. Als Nichtkreuzträger war ich
selbst einer der Gequälten und Gepeinigten und konnte
mich gegen die Anfeindungen, Verurteilungen und
Repressalien - »Die Königin und die Zofe/ Gestochen und
genagt,/ Und durften sie nicht knicken,/ Und weg sie jucken
nicht« - nicht wehren.
Und über den verbalen Bezug des Königs lässt sich
eine weitere Bestätigung obiger Darstellung anführen: Der
komplette Text des Refrains des vierten Satzes der 14.
Sinfonie lautet:
Drei Lilien schmücken in Demut
mein kreuzloses Grab.
Drei Lilien, bedeckt mit Gold, das
vom Winde verstreut auf den Wegen.
Leis glänzen sie auf, wenn die nachtschwarzen
Wolken sie tränken mit Regen und ragen in einsamer
Schönheit, voll Stolz wie der Könige Stab.
Die russischsprachige Übersetzung M.Kudinows von
Apollinaires Gedicht übergeht das Wort König; das
französische Original lautet dagegen: Majestueux et beaux
comme sceptres des rois.
Dieser Ausgangsfassung des Gedichts kommt die
deutsche Übersetzung inhaltlich recht nahe. Der Dichter
vergleicht auch hier die drei Lilien in ihrer Erhabenheit mit
dem Regentenstab der Könige.
45
VIELE MOSAIKSTEINE ERGEBEN EIN GANZES - EINE
ERSTE ZUSAMMENFASSUNG
Hier an dieser wichtigen Stelle, nach vielen - für ein
fest konturiertes Schostakowitsch-Bild - subtilen, aber
dennoch eindringlichen, Hinweisen soll das Bisherige noch
einmal zusammengefasst werden:
Musikalische Beziehungen zum Flohlied aus Goethes
Faust werden in der 14. Sinfonie über motivische
Zusammenhänge geknüpft, welche für sich allein durchaus
universellen
Charakter
haben,
aber
in
der
hier
vorgefundenen Häufung beide Werke eindeutig miteinander
verbinden.
Auch die geographischen Anspielungen decken sich:
Spanien und der Rhein bilden den Rahmen - sowohl im
Drama, als auch in der Komposition - für die musikalische
Eigen-Inszenierung Mephistos: Was sich im ersten als
Wirtshausgesang
inmitten
angeheiterter
Studenten
offenbart, ist beim zweiten ein furioser Tanz im
Dreiachteltakt: Der Mittelteil der Malagueña (ab T. 40) zeigt
sich
als
dem
Lisztschen
Mephisto-Walzer
nachempfundener - temperamentvoller Tanz.
Weitere Übereinstimmungen ergeben sich aus
Werkverzeichnis
und
Biographie
des
Komponisten.
Beethovens
Flohlied
wurde
von
Schostakowitsch
instrumentiert und Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes
- Werke jenes Komponisten, der in seinem eigenen Oeuvre
auch eine Vertonung von Es war einmal ein König aufweist dienten Schostakowitsch als ideeller Ausgangspunkt für
seine 14. Sinfonie.
Aber
nicht
nur
in
der
kompositorischen
Weiterführung des Todesgedankens äußert sich die Nähe
Schostakowitschs zu Mussorgski. Auch das Verfahren,
Silben des Gelächters eigenmächtig in die Vertonung
miteinfließen zu lassen, schafft Zusammenhang.
Auf das besagte Flohlied aus dem Faust zentriert sich
nun die Aufmerksamkeit. Mit seiner Hilfe lässt sich Satz
Nr.4 der Sinfonie, das Lied Der Selbstmörder, in einem
völlig
anderen
Licht
betrachten.
Verstärkt
von
46
Schostakowitschs exponiertem Hinweis auf die Wichtigkeit
der Akzidenzien, bekundet es das entschiedene Statement
des Komponisten: Ich war nie einer von denen, sondern ich
distanziere mich von jeglichem Vorwurf der ideologischen
Übereinstimmung mit den grausamen Machthabern.
Abschließend noch ein Wort zu Sprache und
Übersetzung.
Die russische Schreibung für Kreuz ist êðåñò. Dieses
ist ein allgemeiner Begriff für Kreuz und bezeichnet nicht
das Kreuz im musikalischen Sinne.
Dennoch: Schostakowitsch richtet sich auch hierbei
in Richtung geographischer Westen. Der Wink auf das
Kreuz, dessen Fehlen als musikalisches Symbol hier in
diesem Lied signifikant ist, wird sowohl mit der musikalischrhetorischen Kreuzfigur des Crux, als auch mit dem
Allgemeinbegriff vorgenommen. Unübersehbar spielt dieser
Begriff hier eine entscheidende Rolle, selbst wenn er nur in
seiner bedeutungsverwandten Version gebraucht wird.
47
SCHOSTAKOWITSCH UND BACH
Nicht weniger intensiv als die inneren Parallelen zu
Goethes Faust sind diejenigen zu Bach.
Bei der Analyse dieser Sinfonie haben sich mir diese
allerdings weitaus später offenbart. Sie liegen nicht so offen
und äußern sich auch weniger in musikalisch-motivischen
Übereinstimmungen. Vielmehr muss man zu deren
Feststellung bereits ein wenig tiefer in der musikalischen
und textlichen Infrastruktur graben.
Das Bachjahr 1950 ermöglichte Schostakowitsch den
Besuch in der ehemaligen DDR. Als einer der Juroren nahm
er am Leipziger Bach-Wettbewerb für junge Pianisten teil.
Auch
hielt
er
einen
Vortrag
über
den
großen
Barockkomponisten, wobei er seine tiefe Beziehung zu
dessen Werk eingestand: »Das musikalische Genie Bachs
steht mir besonders nahe. Es ist unmöglich, an ihm
vorüberzugehen. Ich höre seine Musik stets mit größtem
Gewinn und ungeheurem Interesse. Viele seiner Werke höre
ich mehrmals. Und jedesmal entdecke ich darin neue,
wunderschöne Stellen. Bach spielt in meinem Leben eine
bedeutende Rolle. Ich spiele täglich ein Stück von ihm. Dies
ist mir ein echtes Bedürfnis, und der tägliche Kontakt mit
der Bachschen Musik gibt mir ungeheuer viel.«17
Dass sich Schostakowitsch selbst kompositorisch an
einem polyphonen Klavier-Zyklus versuchte, verwundert
angesichts dieser Huldigung nicht. Dem Bachschen Original
nachempfunden entstanden kurz nach seiner Rückkehr aus
Leipzig 24 Präludien und Fugen op.87, allesamt in ihrer
musikalischen Gestaltung tief mit dem Vorbild verwurzelt.
Aber trotz der Rückbesinnung auf verständliche und
bekannte Hörmuster wurde diese Musik aus den Reihen der
Kollegen
zunächst
alles
andere
als
begeistert
aufgenommen. Erst als Tatjana Nikolajewa, die Gewinnerin
des Leipziger Klavierwettbewerbs, im Jahr 1952 die
öffentliche Uraufführung vornahm, kam ein allgemeines
Interesse an diesem Werk auf.
Biographisch äußert sich Schostakowitschs Vorliebe
für die Musik Bachs aber nicht nur durch sein tägliches
48
Studium von dessen Werken, sondern natürlich auch durch
den Aufenthalt in der eng mit der Entstehung von opus 87
in Verbindung stehenden Stadt Leipzig. Hier, an der
ehemaligen Wirkungsstätte des Thomaskantors, erhielt er
offensichtlich sein Anregung zu eigener polyphoner Arbeit.
BACH
-
DSCH
Beide Komponisten, Bach und Schostakowitsch,
signierten einige ihrer Werke mittels einer vierstelligen
Buchstabengruppe. Zumindest im Falle Bachs ist dieser
Umstand unumstritten, findet sich seine Signatur doch in
vielen seiner Werke an autobiographisch oder theologisch
relevanten Stellen.
Ein berühmtes Beispiel hierfür liefert die Kunst der
Fuge, Bachs letztes zyklisches Werk: In der Quadrupelfuge
dieses
kontrapunktischen
Meisterwerks
endet
die
handschriftliche Aufzeichnung Bachs mit den von seinem
Sohn Carl Philipp Emanuel wiedergegebenen Worten Ȇber
dieser Fuge, wo der Name BACH im Contrasubject
angebracht worden, ist der Verfasser gestorben.«18
Einige Werke Schostakowitschs weisen ebenfalls das
musikalische Signum ihres Schöpfers auf. Die Formulierung
dieser musikalischen Signatur geht wohl auf eine Initiative
Benjamin Brittens zurück, welcher Schostakowitsch 1936,
dem Jahr seiner ersten großen staatlichen Bedrängnis, eine
Kantate widmete. Diese Signatur des sowjetischen
Komponisten, in mitteleuropäischer Weise als D(mitri)
SCH(ostakowitsch) notiert, untermauerte durch ihre
musikalisch-textliche Ausrichtung die Anteilnahme Brittens:
Der Satz For silly fellow, silly fellow is against me, im
Original Worte der Entrüstung über die gewalttätigen
Machenschaften einiger Wachmänner, wurde in den
Chorstimmen
mit
den
Tönen
der
musikalischen
Schostakowitsch-Signatur versehen. Die auf diese Weise
initiierte musikalische Konfrontation Schostakowitschs mit
der staatlichen Obrigkeit sollte später von diesem selbst
übernommen und weitergeführt werden.
49
Berühmte Beispiele hierfür finden sich in der
10.Sinfonie. Diese wurde von Schostakowitsch selbst als ein
musikalisches Portrait Stalins bezeichnet. Das DSCH-Motiv
(der Buchstabe S steht für den Ton Es, da er diesen
phonetisch
wiedergibt)
spielt
hier
sicherlich
eine
autobiographische
Rolle,
welche
sich
auf
die
Auseinandersetzung mit Stalin bezieht.
Auch andere Werke aus Sinfonik und Kammermusik
weisen eine derartige musikalische Signatur auf.
In der 14. Sinfonie ist diese allerdings nicht
anzutreffen. Dafür gibt es aber Stellen, welche die gleichen
Töne in einer anderen Reihenfolge wiedergeben: SDCH.
Bei der Recherche zu diesem Buch hielt ich mich
lange Zeit mit diesem Problem auf: Hat die zu SDCH
umgestellte Buchstabenfolge des originalen Monogramms
die gleiche autobiographische Bedeutung? Oder verbindet
nur die authentische Vierergruppe persönliches Anliegen mit
der Musik?
Mit dieser Frage wandte ich mich an mehrere
Musikwissenschaftler und Komponisten. Die Antworten
waren völlig unterschiedlich.
»It's too much; warping the once proud and defiant
DSCH into an agonised, plunging SDCH, the dirge spills over
into massive mortification that is hammered home to
horribly enervating effect«19
Dieses Textfragment aus der Besprechung der WDREinspielung
Rudolf
Barshais
aller
15
Sinfonien
Schostakowitschs von Paul Serotsky könnte stellvertretend
stehen für manch weitere, ähnliche Meinung. Allerdings ist
hier die 15. Sinfonie angesprochen, wobei der Sachverhalt
natürlich der gleiche ist. Der autobiographische Bezug wird
untermauert, die Umstellung der Buchstaben- bzw.
Notenfolge mit der Depression erklärt.
Dieser Meinung steht die völlig konträre Auffassung
gegenüber, dass nur die authentische, originale Tonfolge
auch die persönliche Betroffenheit des Komponisten
widerspiegelt. Irgendwelche Permutationen der DSCH-Folge
finden in dieser Sichtweise keine Berücksichtung.
50
Aus der Sichtweise eines Komponisten würde ich
behaupten, dass das Komponieren mit modalen Strukturen
im 20. Jahrhundert eine durchaus übliche Praxis war.
Tongruppen wurden hier als tonale Bausteine eingesetzt;
diese konnten auch in ihrer internen Reihenfolge geändert
werden.
Für diese Art des Komponierens gibt es viele
Beispiele, welche von der Dodekaphonie bis hin zu
Messiaens Modi reichen. Gemeinsam ist allen das
Zusammenfassen mehrerer Tonhöhen zu - in ihren
Bestandteilen - fest gefügten Gruppen, die sich innerhalb
dieser aber auch anders anordnen durften.
Geht man nun bei Schostakowitsch von einer solch
modalen
Schreibweise
aus,
so
könnte
man
die
Permutationen natürlich auf einfache Weise erklären: So,
wie er zum Beispiel auch die in der 14. Sinfonie enthaltenen
12-Ton-Reihen immer wieder neu anordnet, könnte dies
also ebenfalls mit seinem eigenen Signum geschehen.
Doch diese Erklärung befriedigt natürlich nicht, ist
nicht zwingend.
Sehr lange Zeit musste ich unser Werk untersuchen
um doch noch zu einer wirklich zwingenden Erklärung zu
kommen.
Ob und wie weit sich diese auch auf die anderen
Werke Schostakowitschs mit variierter Tonfolgenreihe des
DSCH übertragen lässt, bedarf weiterer Untersuchungen.
Aber zumindest für die 14. Sinfonie dürfte meine Erkenntnis
von Bedeutung sein.
Der 7. Satz und seine Verbindung zu Bach
Hier an dieser Stelle sei nun noch einmal das früher
Erwähnte bekräftigt, dass die gesamte Sinfonie auch mit der
11-sätzigen Motette Jesu, meine Freude von Johann
Sebastian Bach in engem Zusammenhang steht. Wie im
nachfolgenden Abschnitt genau beschrieben, geht dieser
aber über die bloße Übereinstimmung der fugierten Teile
51
hinaus und umfasst noch weitere Erscheinungen ideeller
und formaler Art.
Die Überschrift zu diesem Kapitel verschafft
möglicherweise schon Ahnung: Die fugale Struktur in dem
7. Lied Im Kerker der Santé darf als ein exponierter Hinweis
des Komponisten verstanden werden. Hier versucht er
wiederum uns zu einer Gegebenheit zu leiten, welche für
das innere Verständnis des Werkes wichtig ist.
Genau genommen weist dieser Satz aber nicht nur
eine Fuge auf, sondern zwei. Die erste beginnt in Takt 34
und endet in Takt 68, ist also 34 Takte lang, während sich
die zweite lediglich viertaktig von Takt 100 bis Takt 103
erstreckt. Beide Fugati unterscheiden sich in erster Linie
also durch ihr extrem unterschiedliches Ausmaß.
In der Bachschen Motette haben wir es im 6. Satz
mit einer Doppelfuge zu tun, deren beide Themen zunächst
aus einem ausholenden und mannigfaltig strukturierten
zweitaktigen,
Notenbeispiel 14
und danach aus einem sehr kleinstrukturierten 2.
Soggetto bestehen, welches nachfolgend in seiner gesamten
ersten Durchführung abgebildet wird. Das Thema selbst
besteht hierbei nur aus zwei Achtelnoten, die in ihren
Tonhöhen durch eine aufsteigende Quarte gekennzeichnet
sind:
52
Notenbeispiel 15
Zum direkten Vergleich der Längenverhältnisse
werden nachfolgend die Dux-Einsätze der ersten und
zweiten Fugen beider Werke abgebildet:
Notenbeispiel 16
Auch wenn ich mich darauf einlasse, der
Überinterpretation bezichtigt zu werden, will ich mir
trotzdem
nicht
nehmen
lassen,
auf
weitere
Querverbindungen der Fugen hinzuweisen.
Ähnliche Dimensionen werden durch eine ähnliche
Tonanzahl bewirkt: im Dux der ersten Fuge der 14. Sinfonie
können wir 17 Töne zählen, während Bachs Entsprechung
es auf 19 Töne bringt. Die Soggetti der zweiten Fugen
53
weisen 1 Ton, bzw. 2 Töne auf; aufs Metrum bezogen
stimmen sie aber überein.
Weitere Gemeinsamkeiten sind die Quartstrukturen
aller Themen, mit Ausnahme natürlich des zweiten Themas
der Sinfonie. Diese Quartprägung des musikalischen
Materials in der Sinfonie ist relativ offensichtlich, bei Bachs
erstem Fugenthema muss man sich den Ambitus des ersten
melodischen
Abschnitts
anschauen,
ebenso
das
auskomponierte Komma nach »fleischlich«.
Aber eine weitere verblüffende Korrespondenz beider
erster Fugenthemen konnte ich feststellen. Wenn man sich
nämlich ansieht, an welcher Stelle Schostakowitsch ein
Komma oder eine Zäsur setzt, so kommt nur der dritte Takt
in Frage, im Anschluss an das »as«. Hier ist der größte
Pausenraum des Themas. Und nur dieser eignet sich als
Einschnitt, da nachher eine modifizierte Wiederholung des
Anfangs einsetzt. Vergleicht man den Verlauf der
musikalischen Figur bis dorthin, so findet sich in beiden
Themen zunächst eine Tonrepetition, dann ein Aufstieg,
bzw. Aufschwung und schließlich der kleinintervallische
Abstieg. Auch dieses ist eine Übereinstimmung, die nicht
nur aufgrund des Höhenverlaufs, sondern vor allem auch
bezüglich der Phrasierung auffallend ist.
Schließlich
noch
eine
weitere.
Bei
der
Auseinandersetzung mit diesen beiden Werken habe ich
zunächst hier an dieser Stelle nach der Signatur Bachs
gesucht. Es war mir relativ klar, dass dieser Satz mit Bach
in irgendeiner Form verbunden sein müsse. Hier wurde ich
allerdings nicht fündig, sondern erst am Satzende, wie
nachfolgend beschrieben.
Dennoch könnte man - ein wenig Fantasie mit
einbringend - das Bach-Logo hier vorfinden. Die beiden
ersten verschiedenen Töne des ersten Sinfoniethemas
verbinden sich nämlich mit den letzten beiden des ersten
Bach-Themas zu der gesuchten Buchstabenkonfiguration.
Doch der Zufall scheint bei dieser Betrachtung nicht ganz
ausgeschlossen zu sein.
54
Interessant ist, dass bei Schostakowitsch dem
Erscheinen des zweiten Themas ein musikalische Situation
unmittelbar vorausgeht, welche bemerkenswert ist: Bei den
Worten Erbarm dich, erbarm dich!, imitiert der Gesang die
Stimmen der zweiten Violoncelli und Kontrabässe in
Verkleinerung, während deren erste Vertreter jeweils mit
einer Umkehrung dazu zu hören sind.
Notenbeispiel 17
Das musikalische Motiv der Singstimme ist hierbei
gleichzeitig das, was von der Schostakowitsch-Forschung
allgemein als »Klagemotiv« bezeichnet wird. Es durchzieht
in so mancher Variante viele Werke des Komponisten und
ist in seiner Beschaffenheit mit dem traditionellen
Seufzermotiv identisch. »Drückt es immer das Gleiche aus?
Manchmal ist es in langsamen Sätzen zu hören, manchmal
in schnelleren. Im ersten Fall überwiegt der klagende
Charakter, im zweiten das starre Wiederholen.
In jedem Fall bedeutet es eine - wenn auch kurze Zäsur, ein Stocken im musikalischen Fluss, ein Verharren
ohne Sinn: eine Geste der Ohnmacht....Das Gemeinsame in
allen seinen Varianten scheint die ohnmächtige Klage zu
sein. Wie in der jüdischen Musik kann sie in
Schostakowitschs Musiksprache auch zu einem Ausdruck
der Aufhebung des Leidens in der Musik werden.
55
Das Motiv kann die Sinnlosigkeit des Leidens
ausdrücken, die Wut darüber, den Hohn, und es kann dies
alles
auch
maskieren
durch
den
Anschein
der
Bedeutungslosigkeit.«20
Betrachten wir bei unserem Musikbeispiel noch die
Stimme der Viola. In dieser finden wir zunächst das DSCHSignum - in umgekehrter und transponierter Form - und
anschließend eine weitere Diminution des Seufzermotivs.
Hier kombiniert der Komponist also zwei wesentliche,
aussagekräftige Motive miteinander.
Die Häufung kontrapunktischer Verarbeitungsweisen
ist an dieser Stelle auffallend: Imitationen und Verkleinerungen, wie wir sie ja auch von der barocken
Kontrapunktik her kennen, prägen das musikalische Bild.
Können
wir
diese
Stelle
aufgrund
dieser
Eindringlichkeit an Fugenpraktik nicht auch als exponierten
Hinweis werten? Will dieser nicht die Fugati als wichtiges
leitendes Element kenntlich machen und einen Bogen zur
Bachschen Fugenkunst schlagen?
Die Korrespondenz von Im Kerker der Santé und
Bachs Mittelsatz seiner Motette besteht hier also aus der
relativen
Übereinstimmung
der
Dimensionen
beider
Fugenthemen und - natürlich als Voraussetzung dazu überhaupt dem Vorhandensein zweier Fugenthemen.
Aber dieser Umstand ist für sich allein wieder nicht
aufsehenerregend und stellt beileibe noch keine zwingende
Verbindung zur Bachschen Motette her.
Es bedarf also weiterer exponierter Hinweise.
Einen solchen finden wir in der viertaktigen
Einleitung, welche von den Violoncelli und den Kontrabässen
gespielt wird:
Notenbeispiel 18
Hier haben wir es mit einer musikalischen
Pendelfigur zu tun. Diese ist wiederum spiegelbildlich
angelegt. Der Aufstieg besteht aus zwei Fünftonfolgen,
56
gefolgt von einer angehängten aufspringenden Quarte. Der
Abstieg in den Takten 3 und 4 erfolgt in genau umgekehrter
Weise.
Jede dieser Fünftonfiguren - wir haben diese bereits
im Zusammenhang mit dem 6. Satz der Sinfonie und mit
Mussorgskis Flohlied erwähnt - stellt einen Ausschnitt aus
einer Tonleiter dar:
Takt 1: B-Dur
Takt 2: e-moll
Takt 3: es-moll
Takt 4: A-Dur
Versteht man nun diese Einleitungstakte auch als
exponierte Hinweise, so ist deren Struktur zu untersuchen.
Genau genommen handelt es sich hier um zwei
Zweitaktgruppen, die sich in ihrer Tonhöhe jeweils genau
um eine kleine Sekunde unterscheiden: B-Dur und e-moll
stehen also es-moll und A-Dur gegenüber, die erste ist
aufsteigend, die zweite dagegen spiegelbildlich absteigend.
Diese Versetzung beider Gruppen um eine kleine
Sekunde fällt ins Auge. Und hier nun, in der
Halbtontransposition inmitten einer kontrapunktischen
Erscheinung, der intervallgetreuen Umkehrung, liegt auch
der Schlüssel für die nächste auffällige Erscheinung in
diesem Satz. Und zwar finden wir diese an dessem Ende:
Notenbeispiel 19
Diese vier Töne werden, den 7. Satz abschließend,
von der 1. Viola, dem 1. Violoncello und den Kontrabässen
gespielt, jeweils um eine Oktave getrennt. Im gleichen
Rhythmus dazu spielen die zweiten Bratschen und
Violoncelli das große und kleine c. Die Singstimme, hier der
Bass, beendet seinen Part unmittelbar mit dem Einsatz des
ersten Tones unseres Musikbeispiels 19.
57
Wenn man die Struktur der einleitenden vier Takte
(Notenbeispiel 18) also wieder als Hinweis versteht, mit
dessen Hilfe man den Kernaussagen in dieser Sinfonie näher
kommt, so ergibt sich ein interessantes, umwälzendes
Ergebnis. Die Rede ist von der kleinen Sekunde Strukturmoment der Einleitung - die nun dazu dienen kann,
die essientellen und verborgenen Aussagen dieses Satzes zu
entschlüsseln.
Der Hinweis auf die Verbundenheit dieses Satzes mit
Johann Sebastian Bach, durch die beiden Fugati bereits
vage angedeutet, vertieft sich durch die Betrachtung dieser
letzten vier Töne B H Des C.
Transponiert man diese nun um den Schlüsselwert
einer kleinen Sekunde hinunter, so erhält man die Töne A B
C H. Diese wiederum hängen mit dem Bachschen Signum
eng zusammen. Lediglich die vertauschten Positionen der
ersten beiden Buchstaben verhindern, dass die erhaltene
Viertonfolge mit B A C H völlig indentisch ist.
Wir finden hier also die Signatur Johann Sebastian
Bachs
wieder,
wobei
die
erste
und
zweite
Buchstabenposition des Originals miteinander verwechselt
sind. Es ergibt sich nun in der Reihenfolge der Töne die
arithmetische Reihe 2 1 3 4.
Wenige Takte vorher -in den Takten 121 bis 123stoßen wir auf die Töne e es des c:
Notenbeispiel 20
Gespielt werden diese von den Bratschen, alle
anderen Instrumente schweigen, ebenso die Singstimmen.
Verfahren wir hier nun genauso, wie unmittelbar
vorher bei
B A C H, so erhalten wir nach der
Abwärtstransposition der Viertongruppe um eine kleine
Sekunde die Töne Es D C H (= S D C H).
Alle vier Bestandteile der Signatur Schostakowitschs
finden sich hier, allerdings mit der gleichen positionellen
58
Unstimmigkeit, die auch die Transposition der Töne aus
Notenbeispiel 19 mit sich brachte: Die ersten beiden
Buchstaben sind vertauscht, wieder ergibt sich die
Tonreihenfolge 2 1 3 4. Ordnen wir diese - der Umformung
der Bachschen Signatur entsprechend - so erhalten wir die
authentische Schostakowitsch-Signatur D S C H.
Dass diese subtile Abgleichung der Signaturen von
Bach und Schostakowitsch ausgerechnet in einem Satz zu
finden ist, der durch die Fugati - die ersten dieser Art in
dieser Sinfonie - schon in die Bachsche Nähe gerückt ist,
lässt sich wiederum mit Zufall nicht erklären. Beide
Notenbeispiele - Nr. 17 und Nr. 18 - wurden nicht aus
einem größeren musikalischen Zusammenhang gelöst, in
welchem sie möglicherweise die Rolle einer unbedeutenden
Nebenstimme zu spielen haben, sondern werden von
Schostakowitsch
exponiert,
teilweise
solistisch
und
unverdeckt präsentiert.
Die Umformung der Bachschen Signatur bildet die
letzten vier Takte dieses Satzes.
Man könnte hier nun noch eine weitere Beziehung zu
den vier Anfangstakten in der Weise herstellen, dass man
aus der Umkehrung, welches dem ersten Notenbeispiel (Nr.
18) innewohnt, auch die entgegengesetzte Stellung der
exponierten Hinweise in diesem Satz folgert: Die erste
Viertaktgruppe bewegt sich in einer engen Beziehung zur
letzten Viertaktgruppe; ist gewissermaßen deren Schlüssel.
59
DSCH - SDCH
Man darf also aufgrund der soeben vorgenommenen
Entschlüsselung annehmen, dass die Folge S D C H in dieser
Sinfonie als Signatur des Komponisten fungiert.
Der Abgleich mit der Bachschen Signatur legitimiert
zu dieser Annahme. Naheliegend ist die unterschwellige
Verknüpfung beider Signaturen schon allein durch den
Umstand, dass diese jeweils aus vier Buchstaben bestehen,
welche sich in Tönen wiedergeben lassen.
Rätsel, die sich mir bei der Beobachtung der
Malagueña stellten, kann ich endlich als gelöst betrachten.
Hier findet sich die Tonfolge S D C H in stark gehäufter
Form. Wie wir noch später sehen werden ergeben sich durch
die neue Erkenntnis von der lediglichen Umpositionierung
der Signaturtöne aufregende autobiographische Bezüge.
Es stellt sich natürlich jetzt die Frage nach dem
Grund dieser Umpositionierung. Diese muss abschließend
unter Berücksichtigung aller bekannten Codierungen in
dieser Sinfonie noch erfolgen.
Schostakowitschs Op. 135 die »Leipziger Sinfonie«
Vieles in dieser Sinfonie weist auf eine mehrfach
frequentierte Station Schostakowitschs hin: auf die
ostdeutsche Stadt Leipzig.
Hier war er als Juror und Vortragender anlässlich des
Bach-Festivals im Jahr 1950 tätig und hier erhielt sein
Vorhaben, das Wohltemperierte Klavier Johann Sebastian
Bachs kompositorisch nachzuempfinden, Vertiefung und
Bestätigung.
Die Sinfonie verknüpft die Wirkungsstätte Bachs,
welcher ab dem Jahr 1723 bis zu seinem Tod in Leipzig als
Thomaskantor tätig war, eng mit den künstlerischen
Äußerungen Schostakowitschs. Diese erhielten, wie zuvor
60
dargestellt, in Leipzig ebenfalls massive künstlerische
Impulse.
Ein weiterer Bezug zu dieser Stadt lässt sich bei der
Reflektion des ersten Kapitels meines Buches ebenfalls nicht
übersehen: Das in dieser Sinfonie als Code verwendete Lied
Mephistos Es war einmal ein König wurde im Drama
Goethes in Auerbachs Keller gesungen. Dieses Gasthaus war
keine Erfindung Goethes, sondern gibt es heute noch immer
in Leipzig und stellt für alle literarisch interessierten
Touristen einen wesentlichen Anziehungspunkt dar.
Es liegt also nahe, dieses Werk Schostakowitschs als
die »Leipziger Sinfonie« zu titulieren! Vielleicht mag meine
Darstellung ja dazu dienen, diesen Bezug der 14. Sinfonie
des sowjetischen Meisters zu Leipzig aufzudecken und zu
manifestieren.
61
DER TON »DES« ALS AUTOBIOGRAPHISCHES KÜRZEL
Bisher war es nur denkbar, beim Antreffen der
Signatur DSCH in der dazu gehörigen Musik - oder auch im
vertonten Text - autobiographische Bezüge zu vermuten.
In dieser Sinfonie gibt es allerdings eine diesbezügliche
Ausweitung, die auf den ersten Blick überraschen mag,
letztlich aber nicht unlogisch ist.
Die Rede ist von dem Ton »des«, der durch die
Verknüpfungen mit der modifizierten DSCH-Reihe einen
stark komponistenbezogenen Wert erhält.
Das folgende Beispiel (Malagueña, T. 9-12) soll dies
verdeutlichen.
Notenbeispiel 21
Hier ist eine starke Zuspitzung in der Musik zu
erleben. Mehrere Parameter sind daran beteiligt: Rhythmus,
Dynamik und Tonhöhe. Beim Anhören dieser Stelle wird
man von dem klanglichen Sog, welcher ab T. 9 einsetzt,
unentrinnbar mitgerissen und erst wieder bei der Entladung
dieses Energieschwalls in T. 12 losgelassen.
Wie eine Pfeilspitze stürzen diese Takte auf ihr Ziel.
Der Klang ist - besonders durch die extrem hohe Lage des
Kontrabasses - schrill und unruhig.
Erst mit dem Erreichen des Tones »des« löst sich die
akustische Umklammerung und sammelt sich wieder zum
nächsten Anlauf.
62
Gleichzeitig mit diesem offensichtlich wichtigen Ton
erklingt unsere nun durch BACH als autobiographisch
legitimierte Tonfolge SDCH.
Durch die extrem dichte Instrumentation der
Streicher in sehr hoher Lage werden die Elemente SDCH
und »des« quasi zusammengeschweißt. Fast möchte man
sich diesen Prozess hier bildlich vorstellen, zumal
Schostakowitsch in seiner Musik sowieso zum häufigen
Einsatz von abbildenden Hypotyposis-Figuren neigt.
Aber auch eine andere Stelle im gleichen Satz
(Vla.,Vc.,Kb. in T. 6/7) ermahnt uns, die besondere
Bedeutung des Tones »des« nicht zu übersehen:
Notenbeispiel 22
In diesem Beispiel wird uns zunächst die regelmäßige
Bewegung demonstriert, eine aufsteigende viergliedrige
Quartlinie. Danach scheint sich diese Eigenheit - nun um
eine Sekunde hinaus transponiert - fortzusetzen, aber der 7.
Ton »des« durchbricht bereits diese Konsequenz.
Wieder
erleben
wir
hier,
dass
unsere
Erwartungshaltung unterlaufen wird, wohl wiederum um auf
Wichtiges hinzuweisen.
Man kann sich natürlich ausmalen, welche Bedeutung
dieser auf- und abwälzenden Quartbewegung bei der
inhaltlichen Deutung des Textes zukommen könnte (Seht
den Tod ein- und ausgehn in der Taberne.; vgl. Text der
Malagueña auf S. 5/6 der Partitur). Ebenso wäre man
verleitet zu mutmaßen, was die Durchbrechung dieser im
Klang so rohen und fast brutalen Szene ausgerechnet durch
das »des« darstellen soll. Mutmaßungen, auf welche wir uns
nun nicht einlassen wollen.
Übrigens beginnt der Walzer im Mittelteil der
Malagueña auch mit einem exponierten »des«.
63
Offensichtlich also scheint der Komponist diesem
speziellen Ton einen Bezug auf sein persönliches Wirken zu
verleihen.
Im Lauf der gesamten Sinfonie finden sich immer
wieder Stellen, welche diese Vermutung zu nähren
scheinen.
Aber man muss sich davor hüten, hinter jedem
Erscheinen dieses Tones sogleich eine Anspielung auf Leben
und Leiden Schostakowitschs zu vermuten. Letztendlich
scheint dieser lediglich die im Notenbeispiel 21 dargestellte
Zusammenführung zwischen S D C H und »des« für das zu
benötigen, was er über das bisher Dargestellte in seiner 14.
Sinfonie noch aussagen möchte und was sich mit einer
Viertonfolge anscheinend nicht bewerkstelligen lässt. Aber
hierüber mag das nächste Kapitel unterrichten.
An dieser Stelle soll nun lediglich ein zweiter Grund
dafür aufgelistet werden, dass dem Ton »des« wirklich nur
eine punktuelle Verbindung mit der Biographie des
Komponisten eingeht: Wie bereits erwähnt hat die
Schreibweise
Schostakowitschs
durch
den
immer
wiederkehrenden
Einsatz
abbildender
Figuren
eine
stilistische Nähe zu den Komponisten der Barockzeit.
Manche Musiker haben ihn aufgrund seiner im
Spätwerk sehr durchsichtigen und klaren, dabei aber auch
ökonomischen und auf das Nötigste beschränkten
Kompositionsweise mit Mozart verglichen.
Ich gehe in der musikgeschichtlichen Chronologie
noch einen Schritt zurück und weise Schostakowitsch zumindest in dieser Sinfonie - einen Platz in der Nähe von
Heinrich Schütz zu. Und dies vorwiegend aufgrund seiner
klaren, durch musikalische Figur und Symbol geprägten
Setzweise. Aber auch in ihrer satztechnischen Konsequenz
ist die musikalische Sprache Schostakowitschs näher dem
noch stark in der Vokalpolyphonie der Renaissance
verhafteten Schütz, als den meisten zeitgenössischen
Kompositionstechniken.
Und das folgende Notenfragment aus der Motette Ich
bin eine rufende Stimme SWV 383 von Heinrich Schütz mag
auch ein wenig von der Einstellung vermitteln, mit welcher
64
Schostakowitsch seine musikalischen Ereignisse in puncto
Folgerichtigkeit und Konsequenz behandelt:
Notenbeispiel 23
Schütz stellt hier sehr bildlich das Richten des Weges
dar. Alle Unebenheiten - diese finden sich in den
punktierten
Rhythmen
der
beiden
beginnenden
Tenorstimmen - werden beseitigt. In der dritten Stimme
(Bass) ist dieser Prozess vollzogen; alle Hindernisse sind
verschwunden, der Rhythmus ist klar und regelmäßig.
In unserer aufgeklärten Vorstellung von Dramatik
und Handlung müsste nun das Problem eigentlich beseitigt,
die Bahn frei für weitere Entwicklungen sein.
Nicht so beim barocken Komponisten Heinrich
Schütz! Das Richten des Weges ist ein punktuelles Ereignis.
Einmal durchgeführt bedeutet dies nicht das Ende aller
Bemühen, es noch einmal bewältigen zu müssen. Im obigen
Musikbeispiel lässt sich dies sehr gut erkennen: Der Weg
wurde also (rhythmisch) geebnet, aber kurze Zeit später
65
setzen die nächsten Stimmen ein, welche den Weg nun
wieder ungerichtet vorfinden und das gleiche Spiel ein
zweites Mal durchführen müssen.
Natürlich sind musikalische Gründe an dieser
Inkonsequenz schuld, die in der Musik Fasslichkeit und
Einheitlichkeit durch Wiederholung verlangen.
Schostakowitsch behandelt in seiner Sinfonie den
Ton »des« ebenso punktuell, wie es Schütz vormachte.
Einmal mit einem Sinn versehen bedeutet dies nicht, dass
dieser seinem Objekt auf immer und ewig verhaftet ist.
Im Gegenteil sollte man vermeiden, diesen immer
währenden Sinn zu suchen. Denn dies führt in die Irre und
in die Sinnlosigkeit.
66
DES-DUR UND G-MOLL
Hatte der Ton »des« also nur punktuelle Bedeutung,
so kommt dem Des-Dur-Dreiklang, bzw. der Tonart DesDur, eine über das gesamte Werk verteilte Wichtigkeit zu.
Nehmen wir uns zunächst einmal den Dreiklang vor.
Für Schostakowitsch ist ein Dreiklang in dieser
speziellen symbolerfüllten Funktion die logische Erweiterung
des einzelnen Tones.
Oder anders gesagt: Der Ton bin ich, der Dreiklang
sind wir.
Dreiklangstöne passen zueinander, sind miteinander
verwoben und vertragen sich.
Auf das menschliche Miteinander bezogen könnte
man etwa sagen: Ich bin der Grundton, meine Familie,
meine Freunde und die, die mich verstehen und mit denen
ich übereinstimme, sind die Dreiklangstöne.
Diese Darstellung mag allzu platt erscheinen, zu
vereinfacht und primitiv. Obwohl wir in einem solchen
Denken natürlich irgendwie den Barockmenschen wieder
finden würden.
Dass wir auch Schostakowitsch dieses plakative
Kategorisieren
unterstellen,
macht
zunächst
einmal
betroffen.
Aber vielleicht ist es ja auch nur Taktik?
Erinnern wir uns doch daran, dass ihm nichts wichtiger war,
als dass seine Werke auch weiterhin aufgeführt werden.
Alles hätte er unternommen oder unterlassen, um als
Komponist nicht von der Bildfläche zu verschwinden.
Warum nicht also auch ein Flüchten in ein solcherart
unvermutetes Tarnen, wenn es darum geht, brisante
Statements nicht offenzulegen und allzu schnell entdeckbar
zu machen.
Schauen wir uns zunächst einmal den allerletzten
Akkord des Werkes an:
67
Notenbeispiel 24
Man kann feststellen, dass sich der oberste Ton
(1.Vl.) und die beiden tiefsten Töne (1.2.Kb.) zu einem DesDur-Dreiklang ergänzen.
Schostakowitsch hat hier den Text konsequent
umgesetzt: »Der Tod ist groß, wir sind die Seinen lachenden
Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu
weinen mitten in uns.«
Mitten in uns heißt in dieser Sinfonie bildlichmusikalisch gesprochen mitten in einem Des-Dur-Dreiklang.
Falls wir nun versuchen wollen, dasjenige, was sich
in der Mitte befindet, auf seine Struktur zu untersuchen und
mit uns bekannten Stellen des Todes zu vergleichen, so
werden wir ebenfalls fündig: Diese lassen sich, beim tiefsten
begonnen, in eine mit dem in der Taverne ein- und
ausgehenden Tod verhafteten ähnliche Quartschichtung
bringen (vgl. Notenbeispiel 22): e a d g [es].
Viel mehr noch als dieses Beispiel stärken andere
Stellen die Vermutung auf eine ganz besondere Verwendung
des Des-Durs.
Schauen
wir
uns
zunächst
einmal
die
Tonartengestaltung der gesamten zyklischen Sinfonie an.
Ohne Zweifel beginnt und schließt der erste Satz in
g-moll und verleiht dem gesamten Werk auch die
Grundtonart. Die nächsten drei Sätze sind durch die
Aufführungsanweisung attacca miteinander verbunden, erst
nach dem vierten Satz finden wir eine Pause.
Dieser vierte Satz schließt ebenfalls in g-moll.
Strukturell lässt dies die Vermutung einer auch im
harmonischen Sinn in sich abgeschlossenen Einheit
entstehen.
Der erste Satz fungiert hier gewissermaßen
als langsame Einleitung, welcher die dreiteilige, bzw.
dreisätzige Form nach sich zieht.
68
Ab dem fünften Satz haben wir wieder eine Einheit,
die drei Sätze zusammenfügt, wiederum ineinander
übergehend. Den Abschluss bildet jene bereits bekannte
modifizierte BACH-Signatur.
Und was noch fehlt, die Sätze 8 bis 11, fügt sich
zwar nicht lückenlos aneinander, korrespondiert aber durch
die immer wiederkehrende Ausrichtung auf Des-Dur
miteinander.
Bezüglich der Tonarten lässt sich also feststellen,
dass Anfang und Ende der Sinfonie durch den
Tritonusabstand bestimmt werden, der Beginn in g-moll und
der Schluss in Des-Dur.
Nicht nur kann man »g« und »des« als
Komplementärintervalle
bezeichen,
sondern
deren
Tongeschlechter stehen sich auch noch gegenüber.
Wieder einmal plakativ gedacht könnte man sagen,
dass
Des-Dur
im
Verbund
von
Harmonien
und
Tongeschlechtern die weitestmögliche Entfernung zu g-moll
aufweist und dass diese beiden Tonarten also die direkten
Gegenteile sind. So wie schwarz und weiß, wie hoch und
tief. Oder auch wie Vergänglichkeit und Unsterblichkeit.
69
VERGÄNGLICHKEIT
Die 14. Sinfonie liefert viele Facetten des Schmerzes
und Sterbens, des Todes mit Fremdeinwirkung und des
Selbstmords.
Alle diese Prozesse des lebensbeendenden Leidens,
ob gewalttätig herbeigeführt oder nicht, spiegeln die
Endlichkeit des Menschen wider.
Besonders das vierte Lied der Sinfonie Der
Selbstmörder nach Apollinaire ist in dieser Hinsicht
interessant.
Hier nun soll nicht darüber spekuliert werden,
welchen deutungsmäßigen oder personenbezogenen Wert
den Lilien zukommt, die aus Wunde, Herz und Mund des
begrabenen Selbstmörders heraus wachsen. Vielmehr soll
uns bei der ja angestrebten inneren Interpretation der
Sinfonie etwas anderes interessieren.
(Übrigens ist der Originaltext Apollinaires mit Le
guetteur mélancolique [der betrübte Wachposten] betitelt,
aus dem bei russischer und deutscher Übersetzung Der
Selbstmord wurde.)
Die Vergänglichkeit des Menschen äußert sich rein
bildlich im Vorgang des Verwesens. Die Körperlichkeit des
Menschen verliert sich nach dem Tod, wird chemisch
zersetzt, von Bakterien und Nekrophagen zerfressen.
Schließlich bleibt nur das Skelett übrig.
Der
Text
Apollinaires
deutet
diesen
Zersetzungsprozess an »...sort de mon cœr qui souffre sur
la couche où le rongent les vers...« (»...meinem Herzen,
das auf dem Lager leidet, wo es die Würmer zerfressen...«).
In Schostakowitschs musikalischer Umsetzung sieht
diese Stelle dann folgendermaßen aus:
70
Notenbeispiel 25
Zunächst einmal springt wieder das bereits bekannte
Klagemotiv in der Sopranstimme ins Auge, die beiden
abschließenden Zweitongruppen machen dieses häufig
benutzte Motiv Schostakowitschs aus.
Die Streicher untermalen die Singstimme mit einem
Tremolo, welches unmittelbar hier zum ersten Mal zum
Klingen kommt und in unserer Fantasie Bilder von diesem
besungenen schauerlichen Geschehen, dem Wurmfraß,
entstehen lassen soll.
Was man nicht hören kann, doch latent vorhanden
ist, bezieht sich auf die Tonart dieses Satzes, welche
anschließend zunehmend mehr durchscheint: g-moll.
Die nächste Stelle ist die Fortsetzung des vorherigen
Notenbeispiels, sie findet sich bereits vier Takte später:
Notenbeispiel 26
71
Eindeutig ist hier das g-moll erkennbar, Bratschen
und Solo-Violoncello und ein Teil der Tutti-Celli ergänzen
sich zu diesem Akkord.
Auffallend auch das dreimalige Erscheinen des
Klagemotivs, nun in dreifacher Oktavlage. Sicherlich ist
diese Dreiteilung der Violinen für den hier dramatisch
aufheulenden sinfonischen Klang nötig. Dennoch ist die Zahl
drei, das christliche Symbol für die Dreieinigkeit, an dieser
Stelle auffallend stark präsent.
Das vibrierende und zitternde g-moll in der Stimme
der Violen und des Solo-Violoncellos wird gegen Ende des
Beispiels langsamer, das »b« wechselt zum »c«. Und
schließlich
kommt
dieses
nervöse
Flattern
zum
Verstummen.
Dass es sich bei dieser musikalischen Schilderung um
das Sterben handelt, hat Schostakowitsch bei der
Parallelstelle, ebenfalls in diesem
Satz,
auffallend
untermauert (T. 103).
Der gleiche musikalische Prozess spielt sich nämlich
in diesem Codateil als Reminiszenz ab; der musikalische
Sterbeprozess erhält aber einen Ausführungshinweis:
morendo (Dieses Vorgehen ist nicht einzigartig an dieser
Stelle, sondern wird durch eine weitere im 6. Satz, Takt 33
in ihrer Schlüssigkeit belegt: Auch hier ist morendo mit den
Worten »Hier wölbt sich über mir das Grab, hier wartet nur
der Tod« gekoppelt - sinnverwandt mit unserem aktuellen
Beispiel
des
vierten
Satzes
und
durch
die
Vortragsbezeichnung auch gleich etikettiert). Hier kommt
wieder die nicht ganz unberechtigte Vermutung auf,
Schostakowitsch bediene sich erneut einer Metapher,
ähnlich der Neigung, Figur im Text durch Figur in der Musik
zu untermauern.
Die Zahl drei wird noch einmal mit Geltung erfüllt bei
dem nächsten Notenbeispiel, welches sich nach nur zwei
Takten Überleitung - auf diese seien Sie hier schon kurz
hingewiesen
in
auffallender
Weise
präsentiert
(Notenbeispiel 28).
72
Hier springt die auffahrende orchestrale Figur ins
Auge, allein schon durch die Optik erfährt dieses Geschehen
unsere Aufmerksamkeit.
In Halbtonabstand lässt der Komponist ein
Instrument nach dem anderen einsetzen, um sich der
anführenden 1. Violine anzuschließen.
Ein Cluster, welches sich nach und nach formiert und
zu einem lautstarken Geschrei ansetzt. Durch die
chromatischen Rückungen - die vier letzten punktierten
Achtelnoten sind hiermit gemeint - intensiviert sich die
Klage.
Was darauf folgt sind zwei Glockenschläge: Die
Totenglocke wird zum Klagen gebracht und symbolisiert das
leibliche Ende des Sterbenden.
Diese Interpretation habe ich immer wieder hören
können, wenn ich zum Beispiel mit meinen Schülern über
diese Stelle gesprochen habe. Und ehrlich gesagt ist mir
bisher auch nichts grundlegend Anderes hierzu eingefallen.
Aber man muss sich diesen musikalischen Abschnitt
in seiner Gesamtheit einmal ansehen, um von dieser
augenfälligen Vermutung wieder abzurücken:
73
Notenbeispiel 27
Entscheidend für meine Sichtweise ist nicht so sehr
diese klangliche Aufhäufung. Vielmehr wundere ich mich
über
die
süßlich
getönte,
versöhnlich
stimmende
Überleitung,
welche
ich
zwischen
den
beiden
vorausgehenden Notenbeispielen bewusst ausgelassen habe
und nun nachliefere:
74
Notenbeispiel 28
Ich erinnere nun noch einmal an Schostakowitschs
Vorwurf gegenüber denjenigen Komponisten, die den Tod
beschönigen und die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod
schüren. Richard Strauss etwa oder Guiseppe Verdi.
Entweder ist diese Stelle nun ein sehr übertriebener
Teil der angekündigten Polemik, fast schon eine Parodie,
oder aber es gibt doch noch eine andere Deutungsweise.
Jedenfalls klingt sie extrem zart und durch die
Flageoletts luftig und transparent. Einen klanglich
schwebenden Charakter erhält sie durch die pentatonische
Färbung.
Falls man sich darauf einlassen mag, kann man auch
hier, so wie bei der Coda der Loreley, Anklänge an Wagners
Rheingold hören.
Eingerahmt werden diese beiden Takte - um dies
noch einmal zu bekräftigen - durch das vorausgehende gmoll, das leibliche Ende, der Sterbevorgang, und durch das
nachfolgende anschwellende Cluster.
Alle drei monotheistischen Weltreligionen - der
Islam, das Judentum und das Christentum - stimmen in
dem Glauben überein, dass die Seele in den Himmel
aufsteigt, während die leibliche Hülle verwest.
Im
Volksglauben
finden
sich
mythologische
Darstellungen vom Auffahren der Seele ins Paradies.
Fast
ist
man
geneigt
zu
vermuten,
dass
Schostakowitsch die Verklärung auch hier in diesem Satz in
ein musikalisches Bild gegossen hat: Tod, Verklärung und
Auffahren der Seele.
Abwegig eine solche Unterstellung bei einem
Künstler, der beharrlich das Leben nach dem Tod leugnete?
Christliche Tugend und Ethik waren Schostakowitsch
ein Anliegen. Ohne Zweifel. Davon zeugen viele Werke, die
75
nicht nur die Lebensbedingungen im eigenen Land
anprangerten, sondern im christlich-humanistischen Sinn
Frieden und Nächstenliebe forderten. Aber das Paradies?
Es ist sicherlich sehr gewagt, diese Überlegungen
hier preiszugeben. Viele derjenigen Autoren, die über
Schostakowitsch selbst schrieben und ihn auch noch
kannten, werden beim Lesen dieser Zeilen die Nase
gerümpft haben.
Am Anfang meines Buches weise ich darauf hin, dass
ich die eigentlichen Erkenntnisse aus der Musik gezogen
habe. Die Partitur war beim Konzipieren dieses Buches
meine
wichtigste
Quelle.
Alle
anderen
Quellen,
Sekundärliteratur der verschiedensten Art, sollten lediglich
darin gefällig sein, musikhistorische Umstände näher zu
beleuchten. Zumindest dann, wenn diese für meine eigenen
Untersuchungen relevant waren.
Überwiegend die Musik sollte das sagen, was
Schostakowitsch selbst nie äußerte. Er empfahl ja selbst,
genau auf die Musik zu hören.
Aus den Zusammenhängen von Text, Musik und dem
bisherigen Hintergrundwissen erschließt sich mir der 4.Satz
der Sinfonie unausweichlich auf eine Weise, die mit der
christlichen Anschauung vom Weiterleben der Seele nach
dem Tod übereinstimmt.
Wir werden im Kapitel über die Motette Jesu, meine
Freude von Johann Sebastian Bach weitere Unterstützung
für diese ungewöhnliche Sichtweise der Auffassung
Schostakowitschs erhalten.
Nun muss aber noch festgehalten werden, dass sich
dieses musikalisch skizzierte leibliche Enden eng mit der
Tonart
g-moll
verbindet.
Auch
die
auf
unsere
vorausgehenden Notenbeispiele folgende Satzcoda steht in
dieser Tonart und beschließt diesen Satz auf diese Weise.
Diese vier ersten Sätze können als eine Einheit
betrachtet werden, denn der allererste Beginn wird genauso
durch g-moll geprägt wie der Schluss.
In der deutschen Übersetzung findet man in der
Coda - kurz vor dem bereits erwähnten morendo - die
76
Worte »Ihre [der Lilien] Schönheit ist nur ein Fluch, wie das
Schicksal ihn meiner Vergänglichkeit gab.«
Die Originalvorlage Apollinaires umgeht diesen
Begriff der Vergänglichkeit, ebenso wie die russische
Übertragung. Inhaltlich jedoch decken sich sämtliche
Ausgaben, bei allen ist das leibliche Ende des Menschen im
vereinsamten Grab Inhalt und Aussage.
Freilich bietet der gesamte Text natürlich an der
Oberfläche viel Raum für Spekulationen bezüglich der
inhaltlichen Bezogenheit auf den Komponisten.
Uns soll hier an dieser Stelle beim Untersuchen der
subtilen Ebene nur interessieren, dass Schostakowitsch für
die Darstellung der leiblichen Endlichkeit die Tonart g-moll
manifestierte.
77
UNVERGÄNGLICHKEIT
Es sandte mir das Schicksal frühen Schlaf.
Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume.
Ich leb in euch und geh durch eure Träume,
da uns, die wir vereint, Verwandlung traf.
Ihr glaubt mich tot. Doch: dass die Welt ich tröste,
leb ich mit tausend Seelen weiter dort
im Herz der Freunde. Nein, ich ging nicht fort:
Unsterblichkeit vom Tode mich erlöste.
(Michelangelo)
Im 9. Lied der Sinfonie An Delwig sind auffällige
harmonische Wendungen zu hören. Nicht nur werden wir
durch aneinandergereihte Dreiklänge klanglich durch das
Stück begleitet, sondern diese formieren sich sogar zu einer
Funktionstonalität. Eine regelrechte Kadenz ist schon zum
Beispiel in den Takten 7 und 8 anzutreffen, selbst wenn der
traditionelle Quintfall hier vermieden wurde.
Gefestigt werden die darauf folgenden Takte in ihrer
Harmonik durch einen Orgelpunkt »des« in den
Kontrabässen, der wiederum in eine Kadenz über
Doppeldominante und Dominante leitet.
Besonders auffällig ist das Kadenzgeschehen in den
Takten 35 und 36. Durch die Ausführungsanweisung
ritenuto verstärkt erleben wir hier eine beeindruckend klare
Kadenz. Sogar der Quintfall - in neuer Musik meist als
unbeliebtes Relikt einer harmonisch überfrachteten Zeit
bewertet - findet sich hier. Man kann nicht umgehen, dieses
harmonische Ausrufungszeichen wieder als exponierte
Erscheinung anzusehen. Leitet es doch eine Vokalphrase
ein, bei der die inhaltliche Deutung dieser Sinfonie einen
immensen Schub erhält:
Notenbeispiel 29
78
Reines, in dieser Sinfonie auf diese ungetrübte Weise
nie gehörtes, Des-Dur erklingt nun durch die Bassstimme
und verleiht dem Begriff der Unvergänglichkeit die
wohlklingende und vertrauensvolle Farbe.
Bis zum Satzende bleibt Schostakowitsch seinem
eingeschlagenen Weg treu und verlässt die neu geformte
Klanglichkeit nicht mehr.
Warum markiert Schostakowitsch hier den Begriff der
Unvergänglichkeit so auffällig?
Die
Hoffnung
auf
Unsterblichkeit
hat
den
Komponisten immer schon, auch in anderen Werken,
beschäftigt. Gemeint ist offensichtlich die künstlerische
Unsterblichkeit, das Weiterbestehen des Geschaffenen auch
über den Tod hinaus.
Schwer hat sich in Schostakowitschs Leben manch
künstlerischer Prozess gestaltet; meist waren dort, wo es
um
echtes
Entwickeln
und
Formen
der
Künstlerpersönlichkeit
Schostakowitsch
ging,
auch
gleichzeitig Kontrolle und Begrenzung von außen präsent.
Vieles musste mit unendlichen Sorgen um die gefällige
staatliche Akzeptanz und damit verbundenen möglichen
Repressalien geschrieben werden.
Muss man als Künstler befürchten, dass derlei
schwer errungene Werke mit dem Tod vergessen sein
sollten?
»Das alles ist so unfair. Die Menschen leiden, quälen
sich, denken - soviel Verstand, soviel Talent. Und kaum sind
sie tot, werden sie vergessen. Wir müssen alles tun, um die
Erinnerung an diese Menschen wachzuhalten. Wie wir uns
ihnen gegenüber verhalten, so wird man sich auch eines
Tages auch uns gegenüber verhalten. Wir müssen uns
erinnern, wie schwer es auch sein mag.«21
Als eine hehre, gute und wichtige Sache wird der
Begriff
der
Unvergänglichkeit
von
Schostakowitsch
musikalisch gestaltet. Man soll sie nicht überhören, diese
Mahnung
an
alle
Nachkommenden,
welche
mit
zunehmendem
Lebensalter
und
Todesnähe
bei
Schostakowitsch an Eindringlichkeit zunimmt.
79
Interessant in diesem Zusammenhang ist natürlich
auch der Schlusssatz der Suite nach Gedichten von
Michelangelo Buonarroti, dessen Text diesem Kapitel
vorangestellt wurde: »Leb ich mit tausend Seelen weiter
dort im Herz der Freunde.«
Der Dichter Wilhelm Küchelbeker sagt es in
Schostakowitschs Lied mit anderen Worten, meint aber
letztlich das Gleiche: »Denn unvergänglich ist der Geist, das
freie, freudig-stolze Wesen, das Bündnis, das die Menschen
eint, die von den Musen auserlesen.«
Ist es wirklich die Angst, nach dem Tod vergessen zu
werden, die Schostakowitsch bei der Wahl seiner vertonten
Texte treibt, oder vielleicht doch auch noch etwas anderes?
Mit Sicherheit ist jeder Künstler darauf bedacht, dass
sein Schaffen die Zeit überdauert. Konnte Schostakowitsch
aufgrund seiner übergroßen künstlerischen Anerkennung
nicht die Gewissheit haben, dass seine Kompositionen auch
weiterhin auf dem Spielplan zu finden sein werden?
Konnte ein Komponist, dem es bereits mit knapp
neunzehn Jahren gelang, eine Sinfonie zu schreiben, die
internationales Aufsehen erregte, wirklich am Fortleben
seiner Werke in den Repertoires der großen Bühnen und
Orchester dieser Welt zweifeln?
Es fällt schwer, dies zu glauben.
Wir erinnern uns daran, dass Schostakowitsch darauf
bedacht war nichts zu unternehmen, was die Aufführung
seines Werkes behindern könnte. Keine unreflektierte
Äußerung zu tätigen, die ihm angelastet werden konnte und
keine verbale Anklage gegen die Missstände in seinem Land
zu erheben. Dazu gehört auch, keinen Deutungen seiner
Musik zuzustimmen, die dort die Obrigkeit kritisiert finden
wollen.
»Was dachte er über das Leben, über sich und die
Zeit, und zwar nicht in Tönen, sondern in einfachen
menschlichen Worten? Immer wieder bat man ihn,
Memoiren zu schreiben - er verschloss sich, lehnte ab:
Hören Sie doch meine Musik, da ist alles gesagt. Man bat
ihn, den Sinn dieses oder jenes Werkes entdecken zu helfen
- er brachte das Gespräch auf ein anderes Thema. Die
80
ersten Gespräche mit Schostakowitsch versetzten meinen
Hoffnungen einen argen Stoß. Wie ich ihn auch ausfragte,
gelang es mir doch nicht, etwas aus ihm herauszulocken.«22
Nichts zu äußern, was Anstoß erregt, war das Motto
seiner künstlerischen Aktivitäten. Zumindest nach den
beiden großen Scherbengerichten in den Jahren 1936 und
1948.
Erst wieder in einer Zeit politischen Tauwetters, nach
Stalins Tod und besonders nach dem XX. Parteitag im Jahr
1956 - hier enthüllte Chruschtschow in einer denkwürdigen
Geheimrede die verbrecherischen Machenschaften Josef
Stalins - ließ sich etwas unbesorgter mit der Wahrheit
umgehen. Aber längst war dieser politische Wandel noch
kein Freibrief für künstlerische Agitation geworden. Im
Gegenteil engte sich die Situation für die Künstler wieder
ein, als Breschnjew nach dem Sturz Chruschtschows im Jahr
1964 an die Macht gelangte.
Schostakowitsch hätte also zu keiner Zeit Gedanken
geäußert, die Anlass geben konnten, ihn staatlicherseits zu
bedrängen.
Auch über das Dasein nach dem Tod reflektierte er
derart, dass er nicht aneckte. Seine Statements zur 14.
Sinfonie fielen derart aus, dass man die besungene
Unvergänglichkeit des Geistes nur schwerlich religiös deuten
kann.
In seiner 14. Sinfonie scheint alles auf den Atheisten
Schostakowitsch hinzuweisen. An das Publikum gerichtet
sagte er vor der ersten Aufführung des Werkes »unter
anderem, dass er in seiner Symphonie mit anderen
Komponisten polemisiere, die in ihrer Musik ebenfalls den
Tod darstellten. Er erwähnte Mussorgskis Boris Godunow,
Giuseppe Verdis Othello und Aida und Richard Strauss' Tod
und Verklärung - alles Werke, in denen nach dem Tod
Linderung, Trost und neues Leben folgen. Für ihn jedoch
bedeute der Tod das totale Ende, dem nichts mehr folgt.«23
Der letzte Satz der Sinfonie, Nr. 11 Schlussstück,
scheint die einführenden Worte des Komponisten zu
bestätigen. Ein durchgehender Pulsschlag, alternierend von
Schlaginstrumenten und Streichern durchgeführt, assoziiert
81
den Herzrhythmus. Der Zyklus erfährt hier sein Motto:
»Wenn wir mitten uns im Leben meinen, wagt er zu weinen
mitten in uns.« Gemeint ist der Tod, allgegenwärtiges
Thema der Sinfonie, welcher uns zu allen unvermuteten
Zeiten der Lebensfreude ereilen kann.
Und unvermittelt reist der rhythmische Puls ab,
verursacht von einem plötzlichen Herzrasen, welches in ein
Kammerflimmern übergeht: Der Komponist löst die
klangliche Darstellung so, wie wir dies bereits von der
Malagueña her kennen (vgl. Notenbeispiel 21).
Es folgt nach diesem dramatischen Geschehen das
Nichts. Kein besänftigendes und tröstliches Nachspiel Schostakowitsch hatte dies ja bereits angemeldet - und kein
Hinweis darauf, dass das Leben im geistlichen Bereich seine
Fortsetzung findet.
Alexander Solschenizyn, der sehr gläubige russische
Literaturnobelpreisträger, war tief brüskiert und kündigte
seinem langjährigen Freund die Freundschaft auf. Einer der
Gründe hierfür war das untröstliche Ende dieser Sinfonie,
mit welchem er sich seines Glaubens wegen nicht
arrangieren konnte.
Es ist bekannt, dass Schostakowitsch anstrebte, in
einem Gespräch mit Solschenizyn Klärung zu erlangen. Ob
dies auch die unchristliche Botschaft dieser Sinfonie hätte
betreffen sollen, oder eher andere Vorwürfe, ist nicht klar.
Weitere Anklagen Solschenizyns standen im Raum:
»In einem Brief an Schostakowitsch stieß er sich vor allem
an Apollinaires A la Santé: Der Dichter sei nur wenige Tage
eingesperrt gewesen, und sein Leiden lasse sich nicht mit
dem der Millionen Menschen vergleichen, die in
sowjetischen Gefängnissen und Lagern geschmachtet
hätten. Zudem hielt er Schostakowitsch für einen
Opportunisten, der kein einziges Mal seine Unterschrift für
die Sache der Dissidenten gegeben habe.«24
Zu diesem Gespräch kam es jedoch nie.
Solschenizyn lehnte es ab.
82
VERBINDLICHKEIT
Wie sehr ist ein Komponist dem gegenüber
verpflichtet, das er sich in seinen Werken zu Eigen macht?
Die Frage stellte ich mir während der Arbeit an
diesem Buch bewusst erneut, eigentlich hatte ich sie beim
eigenen Komponieren schon völlig verinnerlicht.
Bachs
christliche
Vorstellung
von
dem
nachkörperlichen Leben wurde von Schostakowitschs
Maßnahme mit in dessen Sinfonie aufgesogen.
Wie sieht es hierbei mit der Verbindlichkeit
Schostakowitschs gegenüber Bach aus?
Man muss sich klar machen, dass es mit dem
Heranziehen dieses Vokalwerks eine andere Bewandtnis hat,
als
mit
den
übrigen
Einbindungen
der
anderen
Komponisten.
Die mannigfachen Wege über Goethes Faust sollen
zum Flohlied weisen, welchem ja eine zentrale subtile
Bedeutung in dieser Sinfonie zukommt: Liszts MephistoWalzer diente zum musikalisch-motivischen Annähern an
Goethe. Mussorgskis Flohlied bringt den Code mit sich und
liefert beim Vergleich von vertontem Text und Textvorlage
wertvolle Hinweise zur Spurensuche in der 14. Sinfonie.
Wohin soll aber Bachs Motette zielen? Über die 11Sätzigkeit zur 11-Gliedrigkeit in der Sinfonie? Möglich. Aber
das
Problem
der
11er-Strukturen
ist
mit
einer
wahrscheinlich relativ unzugänglichen Lösung verknüpft.
Der Judas-Aspekt ist hier mehr Spekulation als
konkreter Inhalt. Oder soll die Motette zu Schostakowitschs
atheistischem Jenseitsdenken führen? Dies ist sehr
unwahrscheinlich, denn Bach würde hier als Ausgangspunkt
die Richtung vorgeben, in welche sich Schostakowitsch in
der
Erwartungshaltung
der
Betrachter
automatisch
einschwenken müsste.
Nein, mit dem Inkorporieren Bachscher Musik
betreibt Schostakowitsch einen zu den übrigen Zitaten
umgekehrten Weg: Die untergründige Ebene der 14.
Sinfonie wird nicht über Jesu, meine Freude erreicht,
sondern sie führt direkt dorthin!
83
Unwahrscheinlich,
dass
Schostakowitsch
auf
belanglose
Art
auf
möglicherweise
zufällige
Übereinstimmungen beider Werke hinweisen wollte.
Ebenso unwahrscheinlich, dass Schostakowitsch bei
der Feststellung kongruenter Botschaften beider Werke die
nicht gesuchte geistliche Mission des Motettentextes
ignorierte. Die Verbindlichkeit des Komponisten verlangt
hier sorgsamen Umgang mit dem Material. Unglaublich
bedachtsam
hat
Schostakowitsch
die
Textauswahl
vorgenommen. Eine Arbeit, welche sich angesichts der
Passgenauigkeit der Gedichte zu beiden Ebenen über viele
Jahre erstreckt haben muss. Deshalb ist anzunehmen, dass
er mit dem musikalischen Material genauso sorgsam
verfährt, abwägt und prüft.
Es bleibt nun noch die Möglichkeit, dass die
Ähnlichkeiten und Querverbindungen von Motette und
Sinfonie wirklich rein zufälliger Natur sind.
Man muss selbst prüfen und abwägen, für welche
Version man sich entscheidet. Fest steht, dass die Nähe
beider Werke Ungereimtheiten aufwirft. Die Partitur will es
so!
84
DIE ZAHL 11
Dass in dieser Sinfonie der Zahl 11 offenbar eine
besondere Bedeutung zukommt, überrascht nicht. Dem
Umgang mit dieser Zahl in Verbindung mit Satz- und
Taktanzahl begegnen wir im Werk Schostakowitschs
häufiger. Nicht nur diese Sinfonie weist 11 Sätze auf, auch
andere zyklische Werke tun dies, zum Beispiel die Suite
nach Gedichten von Michelangelo Buonarroti.
Aber es gibt in dieser Sinfonie durch die Zahl 11
strukturierte Elemente, die über diese Grobstruktur
hinausgehen.
Der in Bezug auf die 11-Gliedrigkeit auffälligste Satz
ist der zweite Malagueña.
Hier dreht sich vieles um die 11. Sie sorgt nach
einem prägnanten rhythmischen Motiv, welches sich nur aus
Tonwiederholungen ergibt, für die erste Zäsur im Satz:
Notenbeispiel 30
Ab Takt 12 folgt die nächste 11-Taktgruppe, wieder
auf die gleiche Weise abgeschlossen. Nach der nun
eingeschobenen 6-Taktgruppe folgt erneut eine 11-gliedrige
Taktgruppe.
In der Coda des Satzes (ab T.87) spielen die
Streicher zunächst 11 Takte allein, bevor sich die
Kastagnetten dazu gesellen. Dieser nun beginnende letzte
Abschnitt umfasst erst einmal drei ganze Takte (3/8-Takt),
dann folgen drei 4/4-Takte. Zusammen gerechnet ergeben
sich hierbei aber insgesamt 33 Achtelnoten, die - auf den
diesem Satz zugrunde liegenden 3/8-Takt bezogen ebenfalls 11 Takte ausmachen.
Eine besondere Bedeutung der Zahl 11 in diesem
Satz lässt sich also nicht übersehen.
Doch es gibt noch einen weiteren spannenden
Hinweis. Dieser betrifft das Tonmaterial. Hierzu müssen wir
im nächsten Satz Loreley nachschauen. Die Singstimme,
zunächst der Sopran, simuliert zwei 12-Ton-Reihen, aber
85
der für die Erfüllung dieses Prinzips entscheidende 12.Ton
fehlt jedes Mal:
Erste 11-Ton-Reihe (Takte 4 bis 10):
Zweite 11-Ton-Reihe (Takte 10 bis 15):
Verfolgt man den Verlauf der nun in T.18
einsetzenden Bassstimme, so ergibt sich ein ähnliches Bild.
Dieses ändert sich auch bis zum Takt 119 kaum, die
unvollständigen 11-Ton-Reihen lösen sich gegenseitig ab.
Aber hier nun begegnen wir zum ersten Mal in diesem Satz
einer vollständigen Reihe, welche sich von Takt 119 bis Takt
123 in der Sopranstimme erstreckt.
Betrachtet man die anderen Sätze hinsichtlich des
konsequenten Gebrauchs der Zwölftönigkeit, so kann man
das Folgende feststellen: Reduzierungen auf die 11Tönigkeit kommen fast ausschließlich in diesem 3. Satz vor.
Allerdings lieferte der Beginn der Malagueña bereits
einen Hinweis darauf, dass die 12-tönige Struktur
unterlaufen wird. Hier brechen die Stimmen der Violinen mit
Erreichen des 11. chromatischen Tones h - vom c
ausgehend - ab. Der furiose Beginn dieses Satzes und das
abrupte Hinwenden zu dem, was man als das genaue
Gegenteil der klanglich objektivierenden Zwölftönigkeit
betrachten kann, zur harmonisch inspirierten Struktur leerer
Gitarrensaiten,
lassen
den
Hörer
in
seiner
Erwartungshaltung bitter auflaufen. Hier wird dieser
unausweichlich darauf gestoßen, dass es etwas Wichtiges
mit dem Beginn auf sich haben muss:
86
Notenbeispiel 31
Untersuchen wir an dieser Stelle doch einmal, was
Schostakowitsch überhaupt dazu veranlassen könnte, 12tönige Elemente in seine 14. Sinfonie einzubinden. In
früheren Werken finden wir derartige kompositorische Mittel
kaum, eher noch in seiner letzten Sinfonie.
Schostakowitsch selbst äußerte sich in einem Brief an
A. Abramow im Jahr 1966 zu diesem Problem und gestand
zu, dass Zwölftonmusik durchaus »als Mittel zum Ausdruck
eines künstlerischen Zwecks beim Komponieren Anwendung
finden kann, aber als Selbstzweck taugt sie nicht, wie
übrigens jeder Selbstzweck.«25
Worin könnte ein solcher künstlerischer Zweck
liegen? Schostakowitsch formulierte im Jahr 1959 die
Bemerkung,
dass
die
Ausdrucksmöglichkeiten
der
Zwölftonmusik bestenfalls dazu imstande sind, »Zustände
der Niedergeschlagenheit, der völligen Erschöpfung und der
Todesangst auszudrücken.«26
Hierin, im Zitieren bestimmter Seelen- oder
Gemütszustände, sahen viele Komponisten die eigentlichen
Möglichkeiten
einer
12-tönigen
Musik.
Weder
für
Schostakowitsch noch für viele seiner Kollegen war es
nämlich interessant, die 12-Tönigkeit im Sinne einer
hierdurch
vertikal
und
horizontal
konsequent
durchstrukturierten Musik zu gebrauchen.
Ergänzen
könnte
man
die
Bemerkungen
Schostakowitschs bezüglich der Ausdrucksmöglichkeiten der
Zwölftonmusik noch dahingehend, dass sie durch das
Umgehen harmonischer Zentren durchaus auch dazu
geeignet
ist,
eine
im
Charakter
schwebende,
orientierungslose, nebulös-verschleiernde Klanglichkeit zu
erzeugen.
87
Zustände von Todesangst und Niedergeschlagenheit
gibt es in dieser Sinfonie zur Genüge, dies würde durchaus
den Einsatz der Dodekaphonie aus der Sichtweise
Schostakowitschs rechtfertigen. Warum aber weicht
Schostakowitsch von der Zwölftönigkeit ausgerechnet im 3.
Lied zugunsten einer alle Regeln der kompositorischen
Folgerichtigkeit sprengenden Elftönigkeit ab?
Liegt der Grund hierzu vielleicht im Text dieses
Liedes selbst und, falls ja, liefert uns diese Erkenntnis
weitere Anhaltspunkte für die Bevorzugung der Zahl 11 im
Spätwerk Schostakowitschs?
Stellen wir diese Frage noch einmal zurück und
betrachten wir die Handlung dieses Liedes.
Inhaltlich geht es in dieser Volkssage um die schöne
Loreley, welche durch ihren Blick allein viele Männer ins
Verderben führte. Vor den Bischof zitiert, wird sie als böse
Zauberin angeklagt. Doch der von Loreley selbst geforderte
Tod als Strafe für das angerichtete Böse wird ihr verweigert,
da der Bischof auch ihrer Schönheit erliegt. Statt dessen soll
sie im Kloster ihre Tat bereuen. Auf dem Weg dorthin bittet
sie ihre drei Bewacher darum, noch einmal auf dem Felsen
über dem Rhein stehen zu dürfen, um das Schloss ihres
Liebsten, der sie ja verlassen hat, sehen zu können. Tief
unten erkennt sie ihren Geliebten in einem Boot, der ihr
zuwinkt und sie zum Kommen auffordert. Loreley stürzt sich
daraufhin in die Tiefe und ertrinkt in den Fluten.
Halten wir hier zunächst einmal die doppelte Moral
Loreleys fest. Einerseits das schöne, Männer anziehende
und verführende Wesen; andererseits die Hexe, welche ihre
berauschende Schönheit allein zu dem Zweck einsetzt, ihre
Opfer in den Tod zu treiben.
Sicherlich bestand einer der Gründe für die
Aufnahme dieses Gedichtes in die Sinfonie - wie im früheren
Kapitel über die Wege zu Goethes Faust beschrieben - in der
Notwendigkeit, den Rhein als geographische Angabe
einzubinden. Aber spiegelt sich im Schicksal der Loreley
nicht auch Schostakowitschs eigenes Ergehen wieder?
Anklage und Bestrafung etwa.
88
Oder ist über diesen allgemeinen Punkt hinaus
gehend nicht sogar noch viel mehr ein anderer Aspekt
enthalten, den es nachfolgend zu erörtern gilt:
Die ganze Sinfonie steht unter dem Anliegen
Schostakowitschs, Verständnis und Rehabilitation für sein
Hinwenden zur kommunistischen Partei zu erlangen. Wie wir
bereits lesen konnten diente dieser von seiner Umgebung
nicht verstandene Schritt dazu, selbst angesichts der
ständig immer wieder erfolgten Seitenhiebe der Obrigkeit
endlich in Ruhe komponieren zu können.
»Im Herbst dieses Jahres [1960] vollendete
Schostakowitsch sein Achtes Streichquartett. Diese bittere
Selbstbetrachtung, das Nachdenken über die Ruine, zu der
er ausgebrannt war, ließ ihn als Gegenbild die Zwölfte
Symphonie konzipieren, jenen Hymnus auf Lenin, dessen
Partei er soeben als Kandidat beigetreten war. Alle Opfer
schienen einen Sinn zu bekommen. Jetzt stand er nicht
mehr außerhalb, sondern gehörte zur Bewegung (und er
war nicht mehr ohne Schutz gegen die dreistesten Angriffe).
Doch in dem Augenblick, als er endlich die Fesseln
abstreifte, schien er vom Talent verlassen zu sein und
produzierte den matten Abklatsch einer Symphonie. Die
Zwölfte Symphonie op. 112 wurde am 1, Oktober 1961
anlässlich des XXII. Parteitags uraufgeführt: Dies war das
öffentliche Bekenntnis zum System. Er opferte seinem
Glauben - aber die enge Nachbarschaft des Achten
Streichquartetts zur Zwölften Symphonie zeigt, dass er
neben dem Glaubensbekenntnis auch die geheimen Zweifel
bewahrte.«27
Aber wie muss Schostakowitsch sich bei seinem
verzweifelten Schritt im Jahr 1960 gefühlt haben?
Als Verräter? Als Judas? Als Nestbeschmutzer?
Jedenfalls
wurde
er
zunehmend
der
Unglaubwürdigkeit bezichtigt, welche durch sein offizielles,
amtliches Auftreten Nahrung fand. So urteilte sein
Zeitgenosse Alexander Abramow über ihn: «Allen war klar,
dass man seinen offiziellen Sprüchen zu 99 Prozent nicht
glauben konnte.»28
89
Sah Schostakowitsch sein Schicksal nicht auch eng
mit dem der Loreley verknüpft? Erkannte er bei sich nicht
vielleicht auch ihre Doppelgesichtigkeit: das nach außen hin
erscheinende repräsentative Gesicht und das eigentliche
Gesicht, welches doch in seiner Moral so drastisch vom
sichtbaren Antlitz abweicht.
Dies wäre eine weitere Erklärung für die Wahl dieses
Textes; aber noch nicht für die Vertonung des Gedichts fast
ausnahmslos in 11-Tongruppen.
Kommen wir hier also auf die anfängliche Frage nach
der verborgenen Zahlensymbolik zurück, und damit
verbunden auch auf Judas.
In der christlichen Zahlensymbolik steht die 11 für
Verrat. Diesen beging Judas an Jesus und schied damit aus
dem Kreis der zwölf Jünger aus. Aber auch die Übertretung
der zehn Gebote verbindet die christliche Numerologie mit
dieser Zahl.
Kam sich Schostakowitsch nicht - Judas gleich - wie
ein Verräter vor, der in dieser Sinfonie beteuern muss: Ich
war doch keiner von denen, selbst wenn ich Parteimitglied
war.
Diese Sichtweise erfährt durch folgende Überlegung
Vertiefung: Betrachtet man die 11-Tonreihen nicht als
absolute,
von
jeder
höheren
Ordnung
losgelöste
Klangreihen, sondern als Tonfolgen, welche erst durch ihre
Abweichung von der Norm der 12-Gliedrigkeit auffällig sind,
so erscheinen die 11-Tonreihen in einem anderen Licht.
Stets muss hier nämlich der Vergleich von Norm und
Abweichung getätigt werden; ohne die vorgegebene Norm
12 wäre die 11 keine Abweichung und somit nicht weiter
diskussionswürdig.
In unserem konkreten Fall bedeutet dies den
möglichen Abgleich des Kreises der Jünger mit dem
chromatischen Tonvorrat. In einem Fall entsteht die
Elfgliedrigkeit durch den Ausschluss von Judas, im anderen
Fall durch den Verzicht auf einen vervollständigenden Ton.
Beides entwächst aber einem eigentlich geschlossenen
System der Zwölfgliedrigkeit.
90
Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, dass der
letztere Punkt eine wesentliche Triebfeder für die
ungewöhnliche Zahlenausrichtung dieses Werkes ist.
Allerdings kommen weitere sehr gewichtige Aspekte
nun noch hinzu:
Die Elfsätzigkeit ist bei Schostakowitsch häufig. In
seinem Spätwerk führt über diese vor allem eine
Querverbindung zur Suite nach Gedichten von Michelangelo
Buonarotti für Bass und Orchester op. 145a. Sogar gibt es
hier thematische Verbindungen, die Musik scheint an vielen
Stellen miteinander verwoben zu sein.
Entscheidend für die Verknüpfung beider Werke
dürfte wohl die Seelenverwandtschaft Schostakowitschs und
Michelangelos sein.
Beide arbeiteten unter einem
immensen Druck, der von Staat bzw. Kirche erzeugt wurde.
Und beide mussten sich in ihrem künstlerischen Wirken
auch häufig den Wünschen und Vorstellungen ihrer Peiniger
unterwerfen. Michelangelo verfasste eine Reihe von
Sonetten, welche seinen inneren Konflikt mit Papst Julius II
widerspiegeln.
Unter
unmenschlichen
Bedingungen
arbeitend fühlte er sich ausgenutzt und bedroht.
Aber nicht nur zu Michelangelos Sonette führt die
Spur der Elfsätzigkeit, sondern auch zu einem weiteren
Werk, dessen Urheber ganz eng mit dieser Sinfonie
verbunden ist, zur Motette «Jesu, meine Freude» von
Johann Sebastian Bach.
Das nachfolgende Kapitel soll über die verblüffenden
Übereinstimmungen beider Werke unterrichten.
Zum Abschluss dieser numerologischen Betrachtung
soll noch ein Hinweis auf einen St.Petersburger Literaten
erfolgen, welcher die Schostakowitsch-Forschung zur
weiteren Untersuchung dieses Zahlenproblems eigentlich
interessieren müsste.
Gemeint ist Alexander Blok (1880 bis 1921). Sein im
Jahr 1918 entstandenes Poem Die Zwölf behandelt genau
diesen Judas-Aspekt, allerdings in einer auf die russische
Oktoberrevolution bezogenen Weise.
91
JESU, MEINE FREUDE
Kommen wir nun wieder zurück zu diesem
Vokalwerk.
Johann Sebastian Bach schrieb seine Motette
wahrscheinlich im Jahr 1723, also zu Beginn seiner
Dienstzeit an der Leipziger Thomaskirche. Diese währte vom
Jahr 1723 bis zu seinem Tod im Jahr 1750. Belege zur
genauen
und
unzweifelhaften
Feststellung
des
Entstehungsdatums existieren nicht. Sicher ist lediglich,
dass diese Komposition in die Leipziger Zeit hinein fällt.
(Wieder begegnen wir also hier der Stadt Leipzig!).
Dieses Chorwerk besitzt eine charakteristische Form:
11 Sätze sind um eine zentrale Fuge herum in der Weise
angeordnet, dass jeweils zwei Sätze davon hinsichtlich
Besetzung und Text miteinander korrespondieren:
Da für unsere Untersuchung hauptsächlich der
mittlere Satz von inhaltlicher Bedeutung ist, soll hier auf die
nähere Betrachtung der übrigen Sätze verzichtet werden.
Bachs Motette ist eine Sterbemotette, geschrieben
zum Andenken an die Leipziger Bürgerin Johanna Maria
Kees.
Die zentrale theologische Aussage »Ihr aber seid
nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in
euch wohnet. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht
sein« findet sich in diesem mittleren 6. Satz.
Dieser Mittelsatz besitzt kein Pendant, sondern steht
mit seiner wichtigen Aussage völlig für sich allein. Die ihn
92
umgebende Bogenform leitet freilich zu diesem zentralen
Teil hin, die gesamte Gruppierung aller Motettenteile richtet
sich an diesem aus und rahmt ihn ein.
Die Bedeutung, die Bach dieser Bibelstelle aus dem
Römerbrief beimisst, wird durch deren Stellung im
Gesamtablauf des Werkes deutlich.
Aber nicht nur formal bildet der 6. Satz eine
Ausnahme,
sondern
ebenfalls
hinsichtlich
der
kompositorischen Struktur. Hier finden wir die bereits
zitierte Doppelfuge, deren beide Themen in den
Notenbeispielen 14 bis 16 dargestellt werden.
Ohne Zweifel exponiert Bach seinen 6. Satz durch die
fugale Setzweise und durch die Stellung im Satzablauf
derart, dass es gerechtfertigt ist, hier das Zentrum des
Werkes in Musik und Text zu vermuten.
Verdeutlichen wir uns noch einmal den Beginn des
Bibeltextes: »Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern
geistlich«.
Ein Polarität im Wesenszustand des Menschen wird
hier angesprochen: Die Fleischlichkeit des Menschen äußert
sich in seinem irdischen Dasein, in seinem Leben und Tun.
Wohingegen die Geistlichkeit jene Seelenkräfte bezeichnet,
die nach dem Tod des fleischlichen Körpers weiterwirken durch den zu Lebzeiten bewiesenen Glauben und durch das
Wirken im Geiste Christi - und zur Auferstehung hinleiten.
Auf diese Grundgerüste der Wesenszustände
reduziert könnte man den 6. Satz der Motette Jesu, meine
Freude als polarisiert zwischen der endlichen Fleischlichkeit
und der unendlichen Geistlichkeit des Menschen ansehen.
In der 14. Sinfonie Schostakowitschs finden wir die gleichen
semantischen Inhalte. Was Bach hier als fleischlich und
geistlich vertont, findet sich bei Schostakowitsch als
Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit.
Weitere Übereinstimmungen beider zyklischer Werke
ist die 11-teilige Form; eine bemerkenswerte Parallele,
zumal die 11-Sätzigkeit in der Musikgeschichte ja recht
unüblich ist.
Über erstaunliche satztechnische Verbindungen
wurde ebenfalls schon diskutiert: Beide Werke weisen in
93
ihrem Innersten zwei Fugen auf. Eine davon mit
ausladendem Dux, die andere dagegen sehr knapp
dimensioniert.
Weitere Bezugspunkte der Komponisten Bach und
Schostakowitsch wurden offengelegt: die gemeinsame
Beziehung zu Leipzig etwa, oder die Verwendung ihrer
vierstelligen Signatur.
Es ist nicht zu übersehen, dass die Verbindungen
Schostakowitschs zu Bach in diesem Werk enorm tief sind.
94
HINWEISE ZU EINZELNEN SÄTZEN
1. Satz »De profundis«
Mit dem Beginn der Totensequenz Dies Irae beginnt
auch die 14. Sinfonie Schostakowitschs.
Notenbeispiel 32
Die Violinen intonieren dieses ruhige Thema ohne
jegliche Begleitung. Interessant ist die unmittelbare
Fortsetzung der zweieinhalb beginnenden g-moll-Takte
durch Des-Dur. Hier werden die essentiellen Tonarten der
Sinfonie also gleich exponiert. Die erste Phase der 3/4Takte dauert genau 11 Takte (!), bis ein Taktwechsel
erfolgt.
Der Takt 28 bringt die textliche Aussage »Rot sind
die langen Straßen, die Straßen von Andalusien«,
Notenbeispiel 33
gefolgt von der Phrase »Grüne Olivenbäume bei Cordoba
sich neigen.«
Notenbeispiel 34
Die Farben rot und grün dienen hier zur Polarisierung
und nehmen bereits eine der Kernaussagen voraus:
Mit Kreuzen gestaltet ist das rote Thema; rot im
Sinne des kommunistischen Regimes, die Farbe der
95
Machthaber und damit auch der Kreuzträger. Dem steht die
grüne Farbe komplementär gegenüber, so wie sich g-moll
und Des-Dur polarisieren.
(Zu dieser Stelle gibt es übrigens eine Parallelstelle im
7.Satz, wiederum mit zwei sich gegenüberstehenden
Textfragmenten: »Wo seid ihr Freunde, euer Sang,« und
»ihr Mädchenlippen rot.« Auch hier das gleiche Bild: Durch
b erniedrigte Töne beim ersten und durch Kreuz erhöhte
beim zweiten Abschnitt.)
Auf diese rot und grün gefärbten Textzeilen folgt die
Conclusio in Textform: »Dort stehen hundert Kreuze...«
Auf engem Raum wird bereits angedeutet, was sich im
nächsten Satz dann so deutlich durch die auskomponierte
Kreuzlosigkeit erhärtet.
Auf ein Detail außerhalb dieser Sinfonie erlaube ich
mir hier an dieser Stelle hinzuweisen: Der deutsche
Komponist Karl Amadeus Hartmann setzte den gleichen
Text Lorcas auch in seiner Musik ein, jedoch nicht als
Vorlage für Vokalmusik: »Karl Amadeus Hartmann
verbarrikadierte sich in der inneren Emigration, ließ seine
Werke nur im Ausland erklingen und boykottierte jahrelang
den
von
der
»Reichsmusikkammer«
geforderten
»Ariernachweis«. Stattdessen komponierte er Miserae
(1933-1934), eine sinfonische Dichtung zum Gedenken der
ersten im KZ Dachau ermordeten Häftlinge - die dezidiert
erste
antifaschistische
Komposition
überhaupt.
Die
Widmung lautet: »Meinen Freunden, die hundertfach
sterben mussten, die für die Ewigkeit schlafen - wir
vergessen
Euch
nicht
(Dachau
1933-1934)«;
die
Uraufführung beim Festival der Internationalen Gesellschaft
für Neue Musik 1935 in Prag war ein großer Erfolg.«29
Obwohl diese Zeilen Lorcas häufiger in der
Geschichte der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts in
musikalische Schöpfungen eingebunden wurden, z.B. auch
von Luigi Nono, wäre die Untersuchung einer möglichen
Querverbindung von Schostakowitsch zu Hartmann sinnvoll.
Nicht nur sind diese beiden Künstler als seelenverwandt zu
werten, sondern auch andere Gemeinsamkeiten weist ihr
96
Werk auf. So haben sich beide zum Beispiel intensiv um das
Einbinden jüdischer Volksmelodien in ihr Schaffen bemüht.
2. Satz »Malagueña«
Über diesen Satz, die musikalische Skizzierung
Stalins, wurde in diesem Buch schon Vieles geschrieben.
Allzu sehr ist er ausgestattet mit Auffälligkeiten und
exponierten Erscheinungen.
Ein
unübersehbares
und
eigentlich
auch
unüberhörbares - Charakteristikum dieses Satzes ist die
starke musikalisch-figürliche Zeichnung Schostakowitschs.
Das Textfragment »Seht den Tod ein- und ausgehn
in der Taberne« wurde in den ihm innewohnenden Sinn in
vielfältiger Weise dargestellt. Hinweise darauf erfolgten
bereits bezüglich der quartenimmanenten Erscheinung der
auf- und abstampfenden Basslinie.
Aber auch die Singstimme ist solchermaßen
angelegt, selbst wenn dies auf den ersten Blick nicht
deutlich zu erkennen ist. Sie wechselt im ersten Teil - einer
auf- und absteigenden Kurve gleich - hin und her zwischen
diesen beiden Zweitongruppen:
Wieder einmal aufschlussreich dürfte die Beobachtung sein,
dass die erste Zweitongruppe das »g« als Basis hat,
während die zweite sich über dem «des« aufbaut.
Diese Anmerkung soll die bereits reichlich getätigten
Hinweise um ein wichtiges Indiz zur Personenbindung der
Sinfonie ergänzen.
3. Satz »Loreley«
Auch dieser Satz stand bereits mehrfach im
Mittelpunkt der Darstellungen in diesem Buch. Aufgrund vor
allem textlicher Besonderheiten sollte er - als auf den
97
Erkenntnissen meiner Arbeit aufbauend - unbedingt noch
weiter untersucht werden.
Das Klagemotiv spielt hier eine prägende Rolle,
ebenso Transpositionen des DSCH (bzw. SDCH) auf andere
Tonstufen.
Sehr ausgeprägt auch wieder die abbildenen Figuren:
Das Aufwärtsstürmen Loreleys auf die Höhe des Felsens,
musikalisch dargestellt durch die sich auftürmende
Instrumentation, stützt den im Zusammenhang mit der
»Vergänglichkeit« geäußerten Verdacht. Denn ebenso wie
dort wurde in der »Loreley« die aufwärts gerichtete
Bewegung durch musikalische Wortmalerei untermauert.
5. Satz »Auf Wacht«
Auch in diesem Satz sind wieder viele biographische
Anspielungen zu finden. Zum Beispiel die folgende Stelle:
Notenbeispiel 35
Zwei
Mal
findet
sich
die
Initialenreihe
Schostakowitschs in diesem kurzen Fragment, zunächst als
S D C H ab müde, dann in gleicher Form, allerdings um drei
Halbtonschritte nach unten transponiert, ab nur. Das
doppelte Auftreten des musikalischen Logos belegt die
Wichtigkeit dieser Stelle für den Komponisten. Dem
besungenen Sturmsoldat gleich sieht er sich ebenfalls in der
undankbaren Rolle, seiner Pflicht gegenüber einem
lebensverachtenden Regime tagtäglich nachkommen zu
müssen.
Die Vermutung, welche im Kapitel über die Zahl 11
geäußert wurde, verstärkt sich durch eine Stelle in den
Takten 80 bis 82 (ohne Abbildung). Parallel zur soeben
zitierten Passage erfolgt auch hier das Zitat der Initialen
zwei Mal, nun allerdings durch den folgenden Text
unterlegt: »In tiefer Sünde wie im Tode...«
98
6. Satz »Sehen Sie, Madame!«
Auf den Zusammenhang dieses Satzes mit
Mussorgskis Vertonung von »Es war einmal ein König«
wurde bereits hingewiesen.
Über diese Brückenfunktion hinaus weist er allerdings
noch einige sehr auffällige Eigenheiten auf. Gemeint ist hier
die Einbettung des Satzteiles »Einmal gab ich's her, einmal
nahm ich's zurück,...« in das musikalische Geschehen.
Zunächst muss festgehalten werden, dass diese
Aussage in ihrem Kern wieder das ambivalente Ergehen
Schostakowitschs trifft. Und zwar sowohl auf sein
Komponieren - das Verurteilen seiner als formalistisch
angeprangerten Werke mit dem späteren Anlauf der
Rehabilitierung - als auch auf sein Funktionärsdasein mit
dem unverstandenen Eintritt in die Partei bezogen.
Stark ist diese Stelle durch Parameter seiner
Initialenreihe verknüpft:
Notenbeispiel 36
Der Abschnitt des Weggebens steht auch musikalisch
dem des Zurücknehmens gegenüber. Der Ambitus beider
Teile macht genau eine verminderte Quarte aus, das
Rahmenintervall der Initialreihe. Durch die Töne S C H wird
der autobiographische Bezug weiter gefestigt.
Die Geste des Hin- und Hergebens wird durch die
Instrumente
im
darauf
folgenden
Satzabschnitt
charakteristiert,
übrigens
in
formal
völliger
Übereinstimmung mit der gesanglichen Darstellung des Einund Ausgehens des Todes in der Malagueña.
Den Positiv- und Negativausschlägen einer Parabel
gleich schwingt sich die musikalische Szene zunächst in die
Höhe, um daraufhin von einer völlig entgegengerichteten
Bewegung abgelöst zu werden (Takte 32 bis 41).
99
Aus diesem Geschehen heraus entwächst das
musikalische Gelächter, auf welches ebenfalls hingewiesen
wurde, gewissermaßen als Abspaltung.
Es beeindruckt die musikalische Satzweise in diesem
6.
Gesang.
Völlig
unselbstständig
sind
hier
die
Instrumentalstimmen geführt. Zunächst in Form eines
Orgelpunktes (bis Takt 11), dann als eng mit der
Singstimme
verknüpfte,
meist
unisono
geführte,
Stützstimmen. Die Darstellung der Pendelbewegungen löst
diese ab und führt hin zum auskomponierten Lachen.
Ließe sich der Begriff »Unisono« auf die Weise
semantisch
deuten,
dass
innerhalb
der
textlichmusikalischen Szenerie Übereinstimmung herrscht, so
könnte man hier einen Kernsatz der gesamten Sinfonie
vermuten. Gewissermaßen würde dies die demonstrierte
Übereinstimmung des Urhebers mit den Inhalten bedeuten.
Oder in diesem konkreten Beispiel: Ich, der
Komponist habe mein wechselseitiges Verhalten leben
müssen, und zu diesem Entschluss stehe ich. Aber heute
lache ich darüber.
Weiterhin ist aufschlussreich, dass Schostakowitsch
diesen Satz mit dem um eine kleine Terz aufwärts
transponierten Bach-Initial unterschreibt,
Notenbeispiel 37
einige Takte später gefolgt von einer weiteren Anspielung
auf den barocken Meister:
Notenbeispiel 38
100
Hier finden sich die Rahmentöne aus Beispiel 37,
wobei das »cis« durch enharmonische Verwechslung
zustande kommt. Der erste Abschnitt dieses Fragments
findet seine Umarbeitung im zweiten. Durch die
Augmentation dieser Tongruppe werden wir hingeführt zu
Bach und dem ihm gewidmeten 7. Satz der 14. Sinfonie.
Nr. 7 Im Kerker der Santé
Auch dieser Satz war bereits mehrfach im Gespräch.
Über all die bereits aufgelisteten Auffälligkeiten hinaus
verdient eine Stelle besondere Beachtung. Wieder in reinem
Des-Dur vertonte Schostakowitsch die Textphrase »Nein, ich
bin nicht der, als der ich einst geboren«:
Notenbeispiel 38
Erneut also eine Anspielung auf die erzwungenen
Veränderungen in den Lebens- und Arbeitsumständen.
Nr. 8 »Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan
von Konstantinopel«
Mit Sicherheit dürfte dieser Satz ganz eng mit den
anfänglich ablehnenden Reaktionen der sowjetischen
Öffentlichkeit auf dieses Werk im Zusammenhang stehen.
Eine offene, verbal sehr dreist und abfällig
inszenierte Beschimpfung Stalins scheint hier das Anliegen
zu sein.
Und stets wird die ungestüme Dramatik durch jene
musikalischen Figuren begleitet, welche wir bereits im 6.
Satz als hämisches Gelächter vorgefunden haben.
101
Ein wildes Stück, das durch seine dichten ClusterKlänge im krassen Widerspruch zu den harmonisch getönten
Passagen der Freundesverbundenheit steht. Zum Beispiel
zur Nr. 9.
Nr. 9 »An Delwig«
Welch ein Kontrast zum vorhergehenden Satz!
Man könnte meinen, dass mit der vorausgehenden
Generalpause der Fall Stalin für Schostakowitsch abgehakt
ist: Plötzlich und unvermittelt brechen die wüsten
Beschimpfungen ab, um freundschaftlicheren Klängen Raum
zu geben.
Harmonisch führt der Komponisten hier zu einer der
Kernaussagen hin, zur Unvergänglichkeit des Geistes. Stets
wieder gesäumt von Elementen, welche die Ich- oder
Wirbezogenheit einräumen.
102
TARNUNG
In einem seiner populärsten Werke, seiner 14.
Sinfonie, hat Schostakowitsch also verborgene Inhalte
untergebracht. Daten, die für das Schostakowitsch-Bild sehr
wichtig sind, und die dem Komponisten beim Chiffrieren
wohl auch ebenso wichtig waren.
Warum wusste man davon bisher noch nichts?
Häufig erntete ich bei meinen Recherchen Kritik und
Unverständnis. Fachlich kompetente Menschen, die ich
befragte, winkten ab mit dem Argument »Schon wieder
einer, der dem neuen Sport erlegen ist und versteckten
Geheimnissen im Werk Schostakowitschs nachjagt.«
Und tatsächlich: Wenn man im Internet nachschaut
und testet, was die Suchmaschinen hergeben, wenn man sie
mit den
Keywords
»Schostakowitsch«,
»versteckt«,
»Botschaft« usw. füttert, dann versteht man diese harsche
Abfuhr.
Besonders im Schostakowitsch-Jahr 2006 scheint alle
musikalische Welt auf Spurensuche zu sein.
Wilden Vermutungen bezüglich Tonartenfolgen wird
ebenso nachgeforscht wie Zahlenakrobatik. Und hinter jeder
musikalischen Grimasse scheint sich gleich grotesk
formulierte Verachtung und Widerwillen gegenüber Stalin
und seinem Regime zu verbergen.
Warum ist dies so?
Weil der Komponist selbst dafür sorgte, sich kaum zu
seinem Werk äußerte und damit den Nährboden für
Spekulation und Geheimniskrämerei züchtete. Aus Angst.
Spätestens seit dem Erscheinen von Wolkows
Bestseller Testimony Erzählungen des gereiften
Schostakowitschs über sein wechselhaftes Leben und
Wirken in Russland - war die musikalische Welt sensibilisiert
für Sensationen aus dem sowjetischen Musikbereich.
Auch die weitere Vor- und Nachgeschichte dieses
Buches, das Schmuggeln des Manuskripts in den Westen
und die nacheditorialen Authentizitätsvorbehalte, heizten
das Interesse der musikalisch-sensationsgierigen Welt noch
an.
103
Heute,
nach
hunderten
Stunden
der
Auseinandersetzung mit der 14. Sinfonie und deren
Entstehung
verstehe ich die Haltung derjenigen
Musikwissenschaftler, die sagen: »Verschont uns mit
irgendwelchen neuen Theorien«.
Längst
hätte
ich
die
Finger
von
meinem
Schostakowitsch-Projekt gelassen, wenn ich nicht die
besondere Priorität spüren würde, die von meinen Funden
auszugehen scheint. Ich hätte mir viel Zeit, Geld und
Missbilligung ersparen können.
Aber die Umstände wollten es, dass ich ausgerechnet
in einer Sinfonie essentielle Aussagen Schostakowitsch
aufgespürt habe, die seitens der Musikwissenschaft
offensichtlich noch nicht in ihren Tiefen ergründet war.
Wenn ich Literatur über dieses Werk durcharbeite,
dann finde ich viele vernünftige und nachvollziehbare
Interpretationen der vertonten Gedichte: In allen diesen
lassen sich Übereinstimmungen mit dem bedrängten Leben
Schostakowitschs finden: Ungerechtigkeit, Bedrängnis,
Strafe und natürlich die hämische Rache an Stalin; alles dies
findet sich in den Texten der 14. Sinfonie. Und es ist
berechtigt, hier authentische Belege zu seiner Existenz zu
vermuten.
Aber Schostakowisch wollte uns noch mehr mitteilen.
Doch dies durfte offensichtlich nicht allzu bald entdeckt
werden. Denn es handelt sich um sein Vermächtnis, sein
Versuch der Rehabilitation, seine Botschaft an die
Nachkommenden.
Die Zeitgenossen in seiner Heimat war es nicht
zugedacht. Diesen gegenüber bestand seitens des
Komponisten wenig Zutrauen: »In Schostakowitschs letzten
Jahren gab es in der Sowjetunion selbst jedoch keinerlei
positive Entwicklungen mehr. Er ging dem Tod entgegen
und sah keinen Grund für Hoffnung. Der Tod wurde zum
Generalthema des Spätwerks.«30
Also kleidete er wohl die kritischen Äußerungen in ein
solches Gewand, welches sich in seinem Heimatland nicht
ablegen ließ. Auch sein D S C H-Logo ist ja aufgrund seiner
sprachlichen Beschaffenheit eher dem Westen zugänglich.
104
Es ist ein kluger Schachzug, Schätze dort zu
verstecken, wo man sie nicht vermutet! Kein Mensch würde
annehmen, dass in einem Werk, welches bereits an der
Oberfläche so viel Kritik übt, eine weitere, möglicherweise
noch aussagekräftigere, Ebene anzutreffen ist.
Dies ist sicherlich auch der eigentliche Grund dafür,
dass die Verbindungen zu Goethe und Bach bisher noch
nicht entdeckt wurden.
105
RECHTFERTIGUNG
Gerd Ruge führte im Jahr 1959 ein Gespräch mit
Schostakowitsch. Sein Bericht über dieses Zusammentreffen
vermittelt ungefähr das Bild, welches sich der Westen zur
damaligen Zeit von dem Komponisten und seiner Funktion
in der sowjetischen Öffentlichkeit zurecht schneiderte.
In die Rolle der Ergebenheit eines gestraften und
gedemütigten Kindes schien sich der Komponist hierbei zu
flüchten, zumindest wenn man der Dokumentation Ruges
Glauben schenken kann: »Dann öffnet sich die Tür zu einem
unbehaglichen
und
unpersönlichen
Büroraum:
dem
Empfangszimmer des Verbandsvorstandes, in dem an
diesem Nachmittag Dimitri Schostakowitsch 'Sprechstunde'
hält, in dem er als Vorstandsmitglied Bittsteller empfängt
und Ratschläge erteilt. Obwohl ich angemeldet war, scheint
er
von
meinem
Besuch
überrascht
und
wirkt
unvorbereitet...Wenn er antwortet, blickt er im Zimmer
herum, fährt sich ständig mit zitternden Händen durch das
kurze Haar, reibt sich die Augenbrauen, setzt die Brille auf
und ab. Er spricht schnell und dennoch oft stockend, so als
kontrolliere er sich bei jedem Satz, um ja nichts Falsches zu
sagen. Selten ist es mir so schwer geworden, ein Gespräch
zu führen...Er tut regelmäßig seine Arbeit im Verband. Er
reist mit einem Diplomatenpass um die Welt, und er ist
außerdem ein Komponist. Dimitri Schostakowitsch ist ein
gehetzter Mann, und vielleicht erklärt sich daraus jene
Nervosität, die dem Besucher wie Unsicherheit vorkommt.
Vielleicht ist er tatsächlich ganz zufrieden damit, dass ihn
die Partei vom 'Irrweg des Formalismus' zurückholte - als
eine strenge und harte Lehrerin, die zu strafen, aber auch
zu belohnen und zu verzeihen weiß. Niemand kann sagen,
was ihn diese Entscheidung gekostet hat, und niemand kann
wissen, was hinter dem zuckenden Gesicht vorgeht.«31
Wenn wir nun abschließend noch einmal die
Mitteilungen Schostakowitschs in seiner 14.Sinfonie
überblicken, dann können wir an vorderster Position seinen
Versuch der Rechtfertigung entdecken: Ich war keiner von
denen!
106
Anders als viele seiner Zeitgenossen, die nicht
weniger bedroht waren als er, blieb er seiner Nation treu,
verließ das Land nicht.
Einer möglicherweise drohenden Ausbürgerung, wie
sie Galina Wischnewskaja und Mstislaw Rostropowitsch,
dem Künstlerehepaar, widerfuhr, kam er durch das stärkere
Einbringen in die Staatsangelegenheiten zuvor. Ein
Umstand, welcher ihm schwer zu schaffen gemacht haben
muss angesichts seiner Freundschaft mit diesen beiden. Und
natürlich auch gegenüber Solschenizyn, dem es ja noch
übler erging.
In die innere Emigration flüchtete er, lebte behutsam
seinen Widerstand unter dem Deckmantel der Konformität.
Und musste sich hierbei auch zum Beispiel den Vorwurf
Solschenizyns
gefallen
lassen,
denn
er
hielt
»Schostakowitsch für einen Opportunisten, der kein einziges
Mal seine Unterschrift für die Sache der Dissidenten
gegeben habe«.32
Konnte
es
für
Schostakowitsch
schlimmere
Anschuldigungen geben, als diese?
Fassen
zusammen:
wir
abschließend
nun
noch
einmal
Eine mögliche Grundaussage Schostakowitschs durch sein mosaikhaftes Spurenlegen initiiert - könnte also
sein:
Das menschenverachtende Handeln der Despoten
und Henker, von Stalin und seinen Handlangern, kann zwar
den leiblichen Tod bewirken, nicht aber das geistliche
Weiterexistieren verhindern. Und es kann nicht den
Fortbestand meiner geschaffenen Kunstwerke und der
meiner Leidensgenossen und Freunde gefährden, die ihre
Kunstwerke unter unsäglichen Mühen und Gefahren erstellt
haben. Dies alles zur Anklage Stalins vorbringen zu können
war die Absicht meiner Konvertierung zur Partei und zum
damit verbundenen Flüchten in die innere Emigration.
107
Im nun folgenden Zitat bezieht sich Schostakowitsch
eigentlich auf die Rehabilitation seiner Kompositionen, die
im Lauf seiner Wirkungsphase immer wieder dem Vorwurf
des Formalismus und Revisionismus ausgesetzt waren. Aber
könnte es sich nicht ebenso auch auf seine von außen
unverstandenen Schritte des Konvertierens zur Partei
beziehen?
»Wir wollen nicht weiter über die Berichtigung von
Fehlern sprechen. Das führt zu nichts. Wichtiger ist etwas
anderes. Mir gefällt das Wort 'Rehabilitierung'. Noch mehr
beeindruckt mich das Wort 'posthume Rehabilitierung'. Um
eine Erfindung unserer Ära handelt es sich dabei allerdings
nicht.
Bei Nikolaj I. beklagte sich einst ein General, dass
irgendein Husar seine Tochter entführt, sie sogar geheiratet
habe. Aber der General war dagegen. Der Imperator dachte
eine Weile nach und erließ dann folgenden Beschluss: 'Ich
befehle, die Ehe zu annullieren. Das Mädchen ist als
Jungfrau zu betrachten. Trotzdem gelingt es mir nicht, mich
als Jungfrau zu fühlen.«33
108
Anmerkungen
1 Arnold Schönberg: Harmonielehre. Wien 1922, S.V
2 Lothar Seehaus: Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk. Wilhelmshaven
1986, S.177
3 Dmitri Schostakowitsch: Chaos statt Musik? Briefe an einen Freund,
herausgegeben und kommentiert von Isaak Dawydowitsch Glikman, deutsch
herausgegeben von Reimar Westendorf. Berlin 1995, S. 272 (Glikman)
4 K.I.Kondraschin: aus einem Manuskript (Erstveröffentlichung); Chandos
Multimedia-CD-Rom DSCH Shostakovich, 2000
5 Glikman, S.272
6 Glikman, S.273
7 Karen Kopp: Form und Gehalt des Symphonien des Dmitrij
Schostakowitsch. Bonn 1990, S.88
8 Solomon Volkow: Stalin und Schostakowitsch. Berlin 2004, S.387
9 Glikman, S. 279
10 Krzysztof Meyer: Dmitri Schostakowitsch. Leipzig, 1980, S.54
11 Michael Lösch: Goethes Faust. München 1999, S.107
12 Glikman, S. 279
13 Glikman, S. 272
14 Glikman, S. 277
15 Glikman, S.59
16 Glikman S.60
17 Meyer, S.353
18 Anmerkung Carl Philipp Emanuel Bachs im Autograph der Kunst der Fuge
19 Paul Serotsky in einer Besprechung der Gesamteinspielung Rudolf Barshais
der Sinfonien Schostakowitschs mit dem WDR-Sinfonieorchester
http://www.musicweb-international.com//classrev/2002/Aug02/
Shostakovich_symphonies_Barshai3.htm
20 Bernd Feuchtner: Dimitri Schostakowitsch. Kassel 2002, S.163/164
21 Solomon Volkow: Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch.
Neuausgabe von Michael Koball, Berlin-München 2003, S.187
22 Alexander Abramow: Macht und Infantilität des Genies in Vremja i my.
New York, Jerusalem, Paris 1981, S.163
23 Meyer, S.493
24 Andreas Wernli: Dmitri Schostakowitsch/Frequenzen #01. Zürich 2004,
S.42
25 Schostakowitsch, Brief an A.Abramow vom 9.3.1966, in: Erfahrungen,
S.246
26 D.Schostakowitsch in Erfahrungen, S.141
27 Feuchtner, S. 191
28 Alexander Abramow: Macht und Infantilität des Genies, S.77
29 Hartmut Lück: Musik in einem unfriedlichen Zeitalter. Aus Politik und
Zeitgeschichte; Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament. 11/2005, 14. März
2005 / S. 23
30 Feuchtner, S. 211
31 Gerd Ruge: Ein Interview mit Schostakowitsch, in Musik und Szene,
Theaterzeitschrift der Deutschen Oper am Rhein, 4.Jahrg. 1959/60, Nr.5
32 Andreas Wernli: Dmitri Schostakowitsch/Frequenzen #01. Zürich 2004,
S.42
33 Solomon Volkow: Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, S.187
109
Notenbeispiele:
Die folgenden Notenbeispiele wurden der Taschenpartitur zu Schostakowitschs
14. Sinfonie Op. 135, Verlag Sikorski Hamburg 1970 Ed.Nr. 2174, entnommen:
2, 3, 6, 7, 10, 12, 13, 16-22, 24-39
Die folgenden Notenbeispiele wurden der Notenausgabe Franz Liszt: MephistoWalzer, herausgegeben von August Schmid-Lindner, Schott Verlag Mainz ISMN
M-001-08925-8, entnommen: 1, 4, 5
Die folgenden Notenbeispiele wurden der Notenausgabe Johann Sebastian
Bach: Jesu, meine Freude, Breitkopf & Härtel Ed. Nr. EB7227, entnommen:
14, 15, 16
110
Personenregister
Abramow, Alexander 89
Apollinaire 10f, 37, 77, 82
Apostolow, Pawel 18
Bach, Johann Sebastian 48, 51ff, 58ff, 63, 69, 76, 83,
91ff, 101
Barschai, Rudolf 14, 50
Beethoven, Ludwig v. 33, 34
Brentano, Clemens 10, 32, 70
Breschnew, Leonid 80
Britten, Benjamin 10
Bunin, Iwan 14
Claudius, Matthias 108
Chruschtschow, Nikita 80
Debussy, Claude 22
Geleskul, L.
10
Glikman, Isaak 14f, 107
Goethe, Johann Wolfgang v. 22, 25, 30ff, 36f, 40, 42, 46,
48, 61, 83, 88, 108
Gorki, Maxim 107f
Hartmann, Karl Amadeus 96
Jewtuschenko, Jewgeni 17
Papst Julius II 91
Jungheinrich, Hans-Klaus 35
Kamenew, Lew Borissowitsch 41
Kees, Johanna Maria 92
Kondraschin, Kyrill 14
Kudinow, M 10f
Küchelbeker, Wilhelm 11, 79
Lenin, Wladimir 41, 89
Lenau, Nikolaus 22, 25f, 29, 31
Liszt, Franz 8, 22, 26ff, 46, 83
Lombardi, Luca 35
Lorca, Federico Garcia 10, 96
Meyer, Krysztof 14
Michelangelo Buonarroti 78f, 85, 91
111
Morgenew, J.
10f
Mussorgski, Modest 14, 33f, 36ff, 40,m 46, 81, 83, 99
Nesternko, Jewgeni 33
Nikolaj I. 110
Nikolajewa, Tatjana 48
Ravel, Maurice 22
Rilke, Rainer Maria 11
Rostropowitsch, Mstislaw 107
Ruge, Gerd 106
Schönberg, Arnold 8
Schostakowitsch, Maxim 17
Schubert, Franz 107f
Schütz, Heinrich 64ff
Serotsky, Paul 50
Silman, T. 11
Sinowjew, Grigori 41
Solschenizyn, Alexander 81f, 106
Stalin, Josef 16f, 40ff, 50, 80, 102ff, 107ff
Strauss, Richard 81
Strougowtschikow, 34
Tinjanow, I.
10
Verdi, Guiseppe 81
Wagner, Richard 75
Wernli, Andreas 12
Wischnewskaja, Galina 107
Wolkow, Solomon 17, 103
112
Verzeichnis der benutzten Literatur
Alexander Abramow: Macht und Infantilität des Genies in Vremja i my.
New York, Jerusalem. Paris 1981
Chandos Multimedia-CD-Rom DSCH Shostakovich. 2000
Hans Heinrich Eggebrecht: Bachs Kunst der Fuge. München-Zürich 1984
Bernd Feuchtner: Dimitri Schostakowitsch. Kassel 2002
Goethe-Gesamtausgabe, Band III. Frankfurt am Main 1979
Detlef Gojowy: Schostakowitsch. Reinbek bei Hamburg 1983
Stephen Jackson: Dmitri Shostakovich. London 1997
Karen Kopp: Form und Gehalt des Symphonien des Dmitrij
Schostakowitsch. Bonn 1990
Michael Lösch: Goethes Faust. München 1999
Hartmut Lück: Musik in einem unfriedlichen Zeitalter. Aus Politik und
Zeitgeschichte; Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament. 11/2005, 14.
März 2005
Natalja Walerewna Lukjanowa: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch.
Mainz-München 1993
Artin Malia: Vollstreckter Wahn. Berlin 1998
Krzysztof Meyer: Dmitri Schostakowitsch. Leipzig, 1980
Maximilien Rubel: Stalin. Reinbek bei Hamburg 1975
Dmitri Schostakowitsch: Chaos statt Musik? Briefe an einen Freund,
herausgegeben und kommentiert von Isaak Dawydowitsch Glikman, deutsch
herausgegeben von Reimar Westendorf. Berlin 1995
Dmitri Schostakowitsch, Brief an A.Abramow vom 9.3.1966, in: Erfahrungen
Dmitri Schostakowitsch: 14. Symphonie op. 135. Taschenpartitur. Sikorski
Hamburg 1970
Dmitri Schostakowitsch: Suite nach Gedichten von Michelangelo
Buonarroti für Bass und Orchester. Taschenpartitur. Sikorski 1974
Lothar Seehaus: Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk. Wilhelmshaven
1986
Paul Serotskys Besprechung der Gesamteinspielung Rudolf Barshais der
Sinfonien Schostakowitschs mit dem WDR-Sinfonieorchester
http://www.musicweb-international.com//classrev/2002/Aug02/
Shostakovich_symphonies_Barshai3.htm
Andreas Wernli: Dmitri Schostakowitsch/Frequenzen #01. Zürich 2004, S.42
Solomon Wolkow: Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch. Neuausgabe
von Michael Koball, Berlin-München 2003
Solomon Wolkow: Stalin und Schostakowitsch. Berlin 2004
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Über den Autor:
Harry Schröder, Jahrgang 1956, studierte
Dirigieren und Komposition in Graz und Stuttgart.
1986 erhielt er einen Kompositionspreis des ORF für
contentio für Solo-Violoncello und 8 Streichinstrumente.
Viele seiner Werke (Kammermusik, Chor, Klavier,
usw.) wurden bei verschiedenen Verlagen herausgegeben
oder vom Rundfunk produziert.
Harry Schröder unterrichtet derzeit Musik an der
Freien Waldorfschule Winterbach-Engelberg und lebt in
Schorndorf.
Falls Sie dem Autor eine Mitteilung machen wollen:
[email protected]
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