Gericht Entscheidungsdatum Geschäftszahl Kopf Spruch Text

Werbung
10.07.2003
Gericht
AUSL EGMR
Entscheidungsdatum
10.07.2003
Geschäftszahl
Bsw44179/98
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Murphy gegen Irland, Urteil vom
10.7.2003, Bsw. 44179/98.
Spruch
Art. 9 EMRK, Art. 10 EMRK - Verbot religiöser Werbung im Radio. Keine Verletzung von Art. 10 EMRK
(einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Der Bf. ist Seelsorger des Irish Faith Centre, einer christlichen Glaubensgemeinschaft in Dublin. Anfang 1995
beauftragte das Irish Faith Centre einen lokalen unabhängigen und kommerziellen Radiosender mit der
entgeltlichen Ausstrahlung einer Ankündigung. In dieser wurde auf ein Video über die Beweise für die
Auferstehung hingewiesen, das vom Irish Faith Centre in der Osterwoche vorgeführt werden würde und am
Ostersonntag auch über Satellit zu empfangen wäre. Der Radiosender erklärte sich mit der Ausstrahlung des
Werbespots einverstanden. Im März 1995 wurde die weitere Ausstrahlung der Ankündigung jedoch von der
Unabhängigen Radio- und Fernsehkommission (Independent Radio and Television Commission – IRTC) gemäß
§ 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz 1988 (Radio and Television Act 1988) (Anm.: Diese Bestimmung lautete:
„Keine Werbeankündigung soll ausgestrahlt werden, die religiöse oder politische Ziele verfolgt oder in
Zusammenhang mit Arbeitsstreitigkeiten steht.") untersagt. Die geplante Übertragung des Videos über Satellit
wurde von dieser Entscheidung nicht berührt.
Der Bf. beantragte eine gerichtliche Überprüfung (judicial review) der Entscheidung. Er machte geltend, dass die
IRTC § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz unrichtig ausgelegt hätte und dass, sollte die Auslegung der IRTC
korrekt gewesen sein, diese Bestimmung verfassungswidrig wäre. Der High Court verneinte am 25.4.1997 einen
Verstoß der IRTC gegen § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz. Er stellte fest, dass diese Bestimmung eine
gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf Kommunikation darstellen und gute Gründe des öffentlichen
Interesses für ein Verbot der Ausstrahlung sprechen würden. Der Supreme Court wies die dagegen erhobene
Berufung des Bf. zurück.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Recht auf Religionsfreiheit) und Art. 10 EMRK (Freiheit
der Meinungsäußerung).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:
Der Bf. bringt vor, die Anwendung des § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz in seinem Fall stelle einen Eingriff in
seine durch Art. 9 EMRK und Art. 10 EMRK garantierten Rechte dar. Nach Ansicht des GH geht es im
vorliegenden Fall in erster Linie um das Verbot der Ausstrahlung einer Ankündigung. Dies betrifft primär die
Regulierung der Mittel des Bf. zur Meinungsäußerung und nicht seinen Beruf oder die Ausübung seines
Glaubens. Art. 10 EMRK schützt nicht nur den Inhalt von Informationen, sondern auch die Wege und Mittel zu
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deren Verbreitung. Nach Ansicht des GH ist daher die Bsw. unter Art. 10 EMRK zu prüfen. Der GH erinnert
daran, dass auch Informationen, welche die religiösen Gefühle anderer verletzen, schockieren oder beunruhigen,
in den Anwendungsbereich von Art. 10 EMRK fallen.
Die Untersagung der Ausstrahlung der Ankündigung stellt einen klaren Eingriff in das Recht des Bf. auf freie
Meinungsäußerung dar. Es ist unbestritten, dass dieser Eingriff in § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz in
eindeutiger und zugänglicher Art und Weise gesetzlich vorgesehen war. Der GH sieht keinen Grund, am
Vorbringen der Reg. zu zweifeln, wonach das Sendeverbot der Sicherstellung des Respekts für die religiösen
Gefühle anderer diente und somit auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie auf den Schutz der Rechte
und Freiheiten anderer abzielte.
Zu prüfen ist, ob dieser Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Während Art. 10 (2)
EMRK den Staaten wenig Spielraum für eine Einschränkung von Äußerungen politischer Meinungen oder von
Beiträgen von öffentlichem Interesse zukommt, haben sie bei der Regulierung der Meinungsäußerung in
Zusammenhang mit Angelegenheiten, die dazu neigen, persönliche Überzeugungen im Bereich der Moral oder
insbesondere der Religion zu verletzen, einen größeren Ermessensspielraum.
Die in der Werbeankündigung enthaltene Information ist ihrem Inhalt und Zweck nach als religiöse und nicht
etwa kommerzielle Meinungsäußerung anzusehen, auch wenn der Bf. die Sendezeit gekauft hat.
Der GH stimmt dem Vorbringen ds Bf. zu, dass das Konzept von Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit,
auf dem jede demokratische Gesellschaft beruht, bedeutet, dass Art. 10 EMRK nicht erfordert, dass eine
natürliche Person vor einer religiösen Anschauung geschützt wird, nur weil sie nicht deren eigener entspricht.
Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Meinungsäußerung, die an sich nicht verletzend ist, unter
bestimmten Umständen eine verletzende Wirkung haben könnte. Die vom GH zu erörternde Frage ist daher, ob
ein Verbot einer bestimmten Art (Werbung) der (religiösen) Meinungsäußerung in einer bestimmten Form
(Rundfunkmedium) unter den besonderen Umständen des Falles gerechtfertigt werden kann.
Der GH stellt fest, dass das Verbot von Werbesendungen religiösen Inhalts den Besonderheiten der irischen
Gesellschaft Rechnung tragen sollte. Religion war ein trennendes Element in der irischen Geschichte und viele
Iren würden religiöse Werbung anderer Glaubensrichtungen als verletzend empfinden, was zu Unruhe führen
könnte.
Das Verbot betraf nur die audiovisuellen Medien, die eine unmittelbarere und stärkere Wirkung auf die
Öffentlichkeit haben. Es stand dem Bf. frei, in Printmedien und bei öffentlichen Versammlungen für sein
Anliegen zu werben. Überdies bezog sich das Verbot nur auf Werbung. Diese Einschränkung spiegelt eine
vernünftige Unterscheidung wider, die der Staat zwischen gekaufter Sendezeit auf der einen und der Behandlung
religiöser Themen im übrigen Programm auf der anderen Seite trifft. Wie auch jeder andere Bürger konnte der
Bf. an Sendungen über religiöse Themen teilnehmen und Gottesdienste seiner Kirche in audiovisuellen Medien
übertragen lassen. Im Gegensatz zur Programmgestaltung, die unparteiisch, ausgewogen und neutral sein muss,
hat bezahlte Werbung ein spezielles parteiisches Ziel. Die Tatsache, dass Werbezeit verkauft wird, würde einem
unausgewogenen Gebrauch durch religiöse Gruppen mit größeren finanziellen Ressourcen Vorschub leisten.
Abgesehen von der untersagten Werbung im Rundfunk wurde die religiöse Meinungsäußerung des Bf. nicht
eingeschränkt. Diese Überlegungen stellen nach Ansicht des GH relevante Gründe für die Rechtfertigung der
Untersagung der Werbesendung dar. Dem Argument des Bf., diese Ziele könnten auch durch ein weniger
weitgehendes Verbot erreicht werden, ist entgegen zu halten, dass eine völlige oder teilweise Lockerung der
betreffenden Bestimmung schwer mit der Art und Intensität der religiösen Sensibilität der irischen Gesellschaft
und dem Grundsatz der Neutralität der Rundfunkmedien in Einklang gebracht werden könnte. Eine Bestimmung,
die einer Religionsgemeinschaft Werbung erlauben würde, einer anderen aber nicht, wäre nicht leicht zu
rechtfertigen. Ein System der Entscheidung im Einzelfall durch staatliche Organe wäre schwer in fairer,
objektiver und einheitlicher Art und Weise anzuwenden. Dem Argument der Reg. ist zuzustimmen, dass der
Ausschluss aller Religionsgemeinschaften von der Ausstrahlung von Werbeankündigungen weniger Unbehagen
bereitet, als eine Filterung nach dem Umfang und dem Inhalt von Meinungsäußerungen dieser Art. In Anbetracht
der Umstände des Falles und des den Staaten in solchen Fällen zukommenden Ermessensspielraumes hat die
Reg. relevante und ausreichende Gründe für den Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung des Bf.
dargelegt. Keine Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Handyside/GB v. 7.12.1976, A/24 (= EuGRZ 1976, 38).
Barthold/D v. 25.3.1985, A/90 (= EuGRZ 1985, 170).
Otto-Preminger-Institut/A v. 20.9.1994, A/295-A (= NL 1994, 292 = ÖJZ
1995, 154).
Wingrove/GB v. 25.11.1996 (= NL 1997, 13 = ÖJZ 1997, 714).
Verein gegen Tierfabriken/CH v. 28.6.2001 (= NL 2001, 121 = ÖJZ
2002, 855).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 10.7.2003, Bsw. 44179/98, entstammt der
Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2003, 203) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen
www.ris.bka.gv.at
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10.07.2003
Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die
Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/03_4/Murphy.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
www.ris.bka.gv.at
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