NL 2003, 203 - Österreichisches Institut für Menschenrechte

Werbung
Murphy gg. Irland
NL 2003, S. 203 (NL 03/4/05)
MURPHY gegen Irland
Urteil vom 10. Juli 2003, Kammer III
Verbot religiöser Werbung im Radio
Art. 9 EMRK
Art. 10 EMRK
Sachverhalt:
Der Bf. ist Seelsorger des Irish Faith Centre, einer christlichen Glaubensgemeinschaft in Dublin.
Anfang 1995 beauftragte das Irish Faith Centre einen lokalen unabhängigen und kommerziellen
Radiosender mit der entgeltlichen Ausstrahlung einer Ankündigung. In dieser wurde auf ein Video
über die Beweise für die Auferstehung hingewiesen, das vom Irish Faith Centre in der Osterwoche
vorgeführt werden würde und am Ostersonntag auch über Satellit zu empfangen wäre. Der
Radiosender erklärte sich mit der Ausstrahlung des Werbespots einverstanden. Im März 1995 wurde
die weitere Ausstrahlung der Ankündigung jedoch von der Unabhängigen Radio- und Fernsehkom­
mission (Independent Radio and Television Commission – IRTC) gemäß § 10 (3) Radio- und
Fernsehgesetz 1988 (Radio and Television Act 1988)[1 ] untersagt. Die geplante Übertragung des
Videos über Satellit wurde von dieser Entscheidung nicht berührt.
Der Bf. beantragte eine gerichtliche Überprüfung (judicial review) der Entscheidung. Er machte
geltend, dass die IRTC § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz unrichtig ausgelegt hätte und dass, sollte
die Auslegung der IRTC korrekt gewesen sein, diese Bestimmung verfassungswidrig wäre. Der High
Court verneinte am 25.4.1997 einen Verstoß der IRTC gegen § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz. Er
stellte fest, dass diese Bestimmung eine gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf
Kommunikation darstellen und gute Gründe des öffentlichen Interesses für ein Verbot der
Ausstrahlung sprechen würden. Der Supreme Court wies die dagegen erhobene Berufung des Bf.
zurück.
Rechtsausführungen:
q Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Recht auf
Religionsfreiheit) und Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung).
q Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:
Der Bf. bringt vor, die Anwendung des § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz in seinem
Fall stelle einen Eingriff in seine durch Art. 9 EMRK und Art. 10 EMRK garantierten
Rechte dar.
Nach Ansicht des GH geht es im vorliegenden Fall in erster Linie um das
Verbot der Ausstrahlung einer Ankündigung. Dies betrifft primär die Regulierung der
Mittel des Bf. zur Meinungsäußerung und nicht seinen Beruf oder die Ausübung
seines Glaubens. Art. 10 EMRK schützt nicht nur den Inhalt von Informationen,
sondern auch die Wege und Mittel zu deren Verbreitung. Nach Ansicht des GH ist
daher die Bsw. unter Art. 10 EMRK zu prüfen. Der GH erinnert daran, dass auch
Informationen, welche die religiösen Gefühle anderer verletzen, schockieren oder
beunruhigen, in den Anwendungsbereich von Art. 10 EMRK fallen.
Die Untersagung der Ausstrahlung der Ankündigung stellt einen klaren Eingriff
in das Recht des Bf. auf freie Meinungsäußerung dar. Es ist unbestritten, dass
dieser Eingriff in § 10 (3) Radio- und Fernsehgesetz in eindeutiger und zugänglicher
Art und Weise gesetzlich vorgesehen war. Der GH sieht keinen Grund, am
Vorbringen der Reg. zu zweifeln, wonach das Sendeverbot der Sicherstellung des
Respekts für die religiösen Gefühle anderer diente und somit auf die öffentliche
Ordnung und Sicherheit sowie auf den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer
abzielte.
Zu prüfen ist, ob dieser Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig
war. Während Art. 10 (2) EMRK den Staaten wenig Spielraum für eine
Einschränkung von Äußerungen politischer Meinungen oder von Beiträgen von
öffentlichem Interesse zukommt, haben sie bei der Regulierung der
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Murphy gg. Irland
Meinungsäußerung in Zusammenhang mit Angelegenheiten, die dazu neigen,
persönliche Überzeugungen im Bereich der Moral oder insbesondere der Religion
zu verletzen, einen größeren Ermessensspielraum.
Die in der Werbeankündigung enthaltene Information ist ihrem Inhalt und
Zweck nach als religiöse und nicht etwa kommerzielle Meinungsäußerung
anzusehen, auch wenn der Bf. die Sendezeit gekauft hat.
Der GH stimmt dem Vorbringen der Reg. zu, dass das Konzept von
Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, auf dem jede demokratische
Gesellschaft beruht, bedeutet, dass Art. 10 EMRK nicht erfordert, dass eine
natürliche Person vor einer religiösen Anschauung geschützt wird, nur weil sie nicht
deren eigener entspricht. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine
Meinungsäußerung, die an sich nicht verletzend ist, unter bestimmten Umständen
eine verletzende Wirkung haben könnte. Die vom GH zu erörternde Frage ist daher,
ob ein Verbot einer bestimmten Art (Werbung) der (religiösen) Meinungsäußerung in
einer bestimmten Form (Rundfunkmedium) unter den besonderen Umständen des
Falles gerechtfertigt werden kann.
Der GH stellt fest, dass das Verbot von Werbesendungen religiösen Inhalts den
Besonderheiten der irischen Gesellschaft Rechnung tragen sollte. Religion war ein
trennendes Element in der irischen Geschichte und viele Iren würden religiöse
Werbung anderer Glaubensrichtungen als verletzend empfinden, was zu Unruhe
führen könnte.
Das Verbot betraf nur die audiovisuellen Medien, die eine unmittelbarere und
stärkere Wirkung auf die Öffentlichkeit haben. Es stand dem Bf. frei, in Printmedien
und bei öffentlichen Versammlungen für sein Anliegen zu werben. Überdies bezog
sich das Verbot nur auf Werbung. Diese Einschränkung spiegelt eine vernünftige
Unterscheidung wider, die der Staat zwischen gekaufter Sendezeit auf der einen
und der Behandlung religiöser Themen im übrigen Programm auf der anderen Seite
trifft. Wie auch jeder andere Bürger konnte der Bf. an Sendungen über religiöse
Themen teilnehmen und Gottesdienste seiner Kirche in audiovisuellen Medien
übertragen lassen. Im Gegensatz zur Programmgestaltung, die unparteiisch,
ausgewogen und neutral sein muss, hat bezahlte Werbung ein spezielles
parteiisches Ziel. Die Tatsache, dass Werbezeit verkauft wird, würde einem
unausgewogenen Gebrauch durch religiöse Gruppen mit größeren finanziellen
Ressourcen Vorschub leisten. Abgesehen von der untersagten Werbung im
Rundfunk wurde die religiöse Meinungsäußerung des Bf. nicht eingeschränkt.
Diese Überlegungen stellen nach Ansicht des GH relevante Gründe für die
Rechtfertigung der Untersagung der Werbesendung dar. Dem Argument des Bf.,
diese Ziele könnten auch durch ein weniger weitgehendes Verbot erreicht werden,
ist entgegen zu halten, dass eine völlige oder teilweise Lockerung der betreffenden
Bestimmung schwer mit der Art und Intensität der religiösen Sensibilität der irischen
Gesellschaft und dem Grundsatz der Neutralität der Rundfunkmedien in Einklang
gebracht werden könnte. Eine Bestimmung, die einer Religionsgemeinschaft
Werbung erlauben würde, einer anderen aber nicht, wäre nicht leicht zu
rechtfertigen. Ein System der Entscheidung im Einzelfall durch staatliche Organe
wäre schwer in fairer, objektiver und einheitlicher Art und Weise anzuwenden. Dem
Argument
der
Reg.
ist
zuzustimmen,
dass
der
Ausschluss aller
Religionsgemeinschaften von der Ausstrahlung von Werbeankündigungen weniger
Unbehagen bereitet, als eine Filterung nach dem Umfang und dem Inhalt von
Meinungsäußerungen dieser Art. In Anbetracht der Umstände des Falles und des
den Staaten in solchen Fällen zukommenden Ermessensspielraumes hat die Reg.
relevante und ausreichende Gründe für den Eingriff in die Freiheit der
Meinungsäußerung des Bf. dargelegt. Keine Verletzung von Art. 10 EMRK
(einstimmig).
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Murphy gg. Irland
Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Urteile Handyside/GB v. 7.12.1976, A/24 (= EuGRZ
1976, 38); Barthold/D v. 25.3.1985, A/90 (= EuGRZ 1985, 170); Otto-PremingerInstitut/A v. 20.9.1994, A/295-A (= NL 1994, 292 = ÖJZ 1995, 154); Wingrove/GB v.
25.11.1996 (= NL 1997, 13 = ÖJZ 1997, 714); Verein gegen Tierfabriken/CH v.
28.6.2001 (= NL 2001, 121 = ÖJZ 2002, 855).
P.C.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format).
[1 ] Diese Bestimmung lautete: „Keine Werbeankündigung soll ausgestrahlt werden, die religiöse oder
politische Ziele verfolgt oder in Zusammenhang mit Arbeitsstreitigkeiten steht.“
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