1 Ergänzungen 1 Anschauungsebene und -Raum Wir betrachten zunächst die Menge aller Punkte einer Ebene oder des uns umgebenden Raums (ohne hier genau zu definieren, was diese Ebene bzw. der Raum ist). Durch eine Verschiebung (Translation) wird eine eineindeutige bzw. injektive Abbildung t der Ebene (bzw. des Raums) auf sich (also eine bijektive Abbildung) definiert. Sie ist schon durch ein Punktepaar, bestehend aus dem Urbildpunkt A und dem zugehörigen Bildpunkt A0 festgelegt, wobei die Wahl des Urbildpunktes frei ist. Zeichnerisch stellt man dieses geordnete Punktepaar (A, A0 ) oft durch einen Pfeil mit Anfangspunkt A und Endpunkt A 0 dar. Der Verschiebung t entspricht also die Menge aller Pfeile, die parallel, gleichorientiert und gleichlang sind. Die letztgenannten Begriffe müssen natürlich genauer präzisiert werde, und dazu benutzen wir im Moment die Anschauung und elementargeometrische Eigenschaften: Zwei Geraden, die in einer gemeinsamen Ebene liegen, heißen parallel, wenn sie keinen gemeinsamen Punkt besitzen. Zwei Strecken bzw. zwei Pfeile heißen parallel, wenn die Geraden durch die jeweiligen Endpunkte parallel oder gleich sind. (Diese Definition ist auch für Geraden, Strecken und Pfeile im Raum anwendbar. Bekanntermaßen gibt es im Raum auch windschiefe Geraden, d.h. Geraden, die weder gemeinsame Punkte haben noch parallel sind. Diese liegen aber auch nicht in einer gemeinsamen Ebene.) Wir betrachten nun zwei parallele Pfeile mit Anfangspunkten A bzw. A 0 und Endpunkten B bzw. B 0 : Liegen die Pfeile auf einer gemeinsamen Geraden, dann nennt man sie gleichorientiert, wenn beim Durchlaufen der Geraden jeweils Anfangspunkt und Endpunkt in derselben Reihenfolge durchlaufen wird, also z.B. in der Reihenfolge A, A 0 , B, B 0 oder B, A, B 0 , A0 , aber nicht A0 , B, B 0 , A. Liegen die Pfeile nicht auf einer gemeinsamen Geraden, dann nennt man sie gleichorientiert, wenn beide Endpunkte auf derselben Seite der Verbindungsgeraden der Anfangspunkte liegen. Die Länge einer Strecke und damit eines Pfeils in der Ebene oder im Raum zu bestimmen, ist ohne zusätzliche Hilfsmittel nicht möglich. Man braucht dazu zuerst eine Einheitsstrecke, also eine feste Strecke, der man die Länge 1 zuordnet. Ohne Einführung von Koordinaten benötigt man z.B. spezielle bijektive Abbildungen der Ebene (bzw. des Raums) auf sich, die Bewegungen“, und nennt zwei ” Strecken gleich lang, wenn sie durch eine Bewegung aufeinander abgebildet werden können. Wir fassen nun alle zu einer Translation t gehörenden Pfeile zusammen: Definition 1.1 Die Menge aller parallelen, gleichorientierten und gleichlangen Pfeile in der Ebene (bzw. im Raum) heißt Vektor. Bei der Definition werden verschiedene Objekte (Pfeile) als gleich angesehen, wenn sie in bestimmten Eigenschaften übereinstimmen. Das ist ein im normalen Leben gebräuchlicher Vorgang: 2 Wenn Sie bei einem Einkauf bezahlen, ist es dem Kaufmann egal, mit welcher Euro-M ünze Sie bezahlen. Er sieht alle Euro-Münzen als gleichwertig an. Das kann für einen Münzsammler anders sein z.B. ist eine finnische 1-Cent-Münze für den Sammler viel mehr wert als eine deutsche 1-Cent-Münze. Die Gleichwertigkeit wird in der Mathematik durch den Begriff der Äquivalenzrelation beschrieben, und die minimalen Anforderungen dafür werden in der nächsten Definition aufgeführt: Definition 1.2 Sei M eine Menge. (a) Eine Relation R auf M ist eine Teilmenge der Menge aller Paare M × M := {(a, b); a, b ∈ M }. Statt (a, b) ∈ R schreibt man auch a ∼ b. (b) Eine Relation heißt Äquivalenzrelation auf M , wenn folgende Eigenschaften (Axiome) gelten: (i) Für alle a ∈ M gilt a ∼ a. (Reflexivität) (ii) Für alle a, b ∈ M mit a ∼ b gilt b ∼ a. (iii) Für alle a, b, c ∈ M mit a ∼ b und b ∼ c gilt a ∼ c. (Symmetrie) (Transitivität) (c) Ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf M , a ∈ M beliebig, dann heißt Ka := {b ∈ M ; a ∼ b} Äquivalenzklasse von a bezüglich ∼. Beispiele 1.3 (1) parallel oder gleich“ ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Geraden der Ebene oder des ” Raums. (2) Zwei Mengen heißen gleichmächtig“, wenn es eine bijektive Abbildung zwischen ihnen gibt. ” Gleichmächtig“ ist eine Äquivalenzrelation und verallgemeinert die Beziehung haben gleich ” ” viele Elemente“, die nur für endliche Mengen sinnvoll ist. a c (3) Zwei Brüche und sind äquivalent, wenn sie durch Erweitern oder Kürzen ineinander überführt b d werden können, sie also dieselbe Bruchzahl darstellen. (4) Zwei Gleichungen sind äquivalent, wenn sie dieselbe Lösungsmenge besitzen. Die meisten Lösungsverfahren beruhen darauf, eine Gleichung oder ein Gleichungssystem durch bestimmte Umformungen in eine äquivalente Gleichung (bzw. ein äquivalentes Gleichungssystem) zu überführen, bei der die Lösungsmenge sofort ersichtlich ist. (5) Sei M eine beliebige nichtleere Menge von Menschen. größer als“ und größer oder gleich“ sind ” ” keine Äquivalenzrelationen auf M . Relationen dieser Art nennt man Ordnungsrelationen“. ” 3 Durch die Relation gleicher Zahlungswert“ wird auf der Menge aller im Umlauf befindlichen Cent- und ” Euromünzen eine Äquivalenzrelation festgelegt, die die Menge der Münzen vollständig und eindeutig in Teilmengen aufteilt, nämlich die Menge der 1-Cent-Münzen, die Menge der 2-Cent-Münzen usw. Das gilt allgemein für Äquivalenzrelationen: Satz 1.4 Ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf der Menge M , K a die Äquivalenzklasse von a bezüglich ∼, dann gilt [ (a) Ka = M . a∈M (b) Zwei Äquivalenzklassen sind entweder disjunkt (elementfremd) oder gleich, d.h. es gilt Ka ∩ Kb 6= ∅ ⇐⇒ a∼b ⇐⇒ K a = Kb . Die Charakterisierung einer Translation t durch einen Vektor entspricht der Repräsentation der Äquivalenzklasse durch ein beliebiges Element, einen Vertreter“. Wählt man einen festen Punkt als Null” ” punkt“ O und den zugehörigen Pfeil mit diesem Anfangspunkt, dann ist der Endpunkt das Bild t(O). Jeder Punkt kann als Endpunkt eines solchen Pfeils gewählt werden, und da jeder dieser Pfeile eindeutig eine Translation beschreibt, gibt es so viele Translationen wie Punkte. Diese Pfeile heißen auch Ortsvektoren der entsprechenden Endpunkte. Betrachten wir zwei Verschiebungen und einen beliebigen Punkt A: Die Verschiebung t 1 bildet A auf A0 ab, und die Verschiebung t2 den Punkt A0 auf einen Punkt A00 . P0 t1 b P : b Q t 2 Q0 t2 ◦ t 2 b t1 : 0 t2 A00 A A Die Verknüpfung t2 ◦ t1 der beiden Verschiebungen wird also durch einen Vektor repräsentiert, der entsteht, wenn man an den Endpunkt des Pfeils zu t 1 den entsprechenden Pfeil zu t2 ansetzt. Den zugehörigen Vektor nennt man die Summe der beiden einzelnen Vektoren. Wir betrachten einen beliebigen Vektor. Die zugehörigen Pfeile sind nach Definition alle gleichlang, und diese Länge kak nennen wir die Länge des Vektors. Sei α eine beliebige positive reelle Zahl. Die Menge aller Pfeile, die zu den Ausgangspfeilen parallel und gleichorientiert sind und die Länge α · kak haben, bilden einen Vektor, den man als Skalarprodukt von α mit dem Ausgangsvektor auffaßt. F ür negative α betrachtet man die entgegengesetzt gerichteten Pfeile. 4 Mit Hilfe dieser beiden Rechenoperationen kann man Geraden in der Ebene und im Raum sowie Ebenen im Raum beschreiben. Sei wieder ein Punkt als Nullpunkt O festgelegt. Der Ortsvektor x eines beliebigen Geradenpunktes läßt sich als Summe des Ortsvektors p eines festen Punktes P auf der Geraden mit dem Vielfachen eines festen Richtungsvektors v (der nicht die Länge 0 haben darf) beschreiben, d.h. die Gerade hat die Parameterdarstellung x = p + λ · v, v λ, µ ∈ IR. λ · v x : P O : bX * µw b λv λv + µw P b x p v : bw O Legt man auf einer Geraden einen Punkt als Nullpunkt und einen weiteren Punkt als Einheitspunkt fest, dem man die Zahl 1 zuordnet, dann kann man jeden Punkt der Gerade eindeutig durch eine reelle Zahl a beschreiben ( reelle Zah” lengerade“). Die Länge des entsprechenden Ortsvektors ist dann |a|, also der Betrag der Zahl a bzw. der Abstand des Punktes vom Nullpunkt. Analog legt man in der Ebene einen Punkt als Nullpunkt, zwei sich in diesem Punkt schneidende Geraden als Koordinatenachsen und auf diesen Achsen jeweils einen Punkt als Einheitspunkt fest, und kann dann jeden Punkt der Ebene eindeutig durch ein reelles Zahlenpaar (a, b) beschreiben. Sind e1 und e2 die Ortsvektoren der Einheitspunkte, dann ist der Ortsvektor des durch (a, b) festgelegten Punktes x = a · e1 + b · e2 . X b p λ ∈ IR. Um die Punkte einer Ebene zu beschreiben, braucht man 2 Richtungsvektoren v und w. Der Ortsvektor x eines beliebigen Ebenenpunktes läßt sich dann als Summe des Ortsvektors p eines festen Punktes P auf der Ebene mit der Summe von Vielfachen der beiden Richtungsvektoren beschreiben, d.h. die Ebene hat die Parameterdarstellung x = p + λ · v + µw, −3 −2 −1 0 1 2 3 3 2 1 e2 a : 1 2 e1 0 −1 −1 b −2 b −3 (a, b) Werden zwei Ortsvektoren x, y in der Ebene bezüglich eines Koordinatensystems durch die Zahlenpaare 5 (a1 , b1 ) und (a2 , b2 ) beschrieben, dann ist (a1 + a2 , b1 + b2 ) das zu der Summe x + y der Ortsvektoren und (αa1 , αb1 ) das zu dem Vielfachen αx gehörende Zahlenpaar. Entsprechendes gilt im Raum. Geometrische Objekte lassen sich damit durch Zahlen und Zahlenmengen beschreiben. Man kann aber auch Zahlenpaare, -Tripel oder -n-Tupel für sich allein betrachten und eine Addition und Skalarmultiplikation durch komponentenweise Addition und komponentenweise Multiplikation mit einer festen Zahl (dem Skalar) definieren. Als Verallgemeinerung ergibt sich Definition 1.5 Sei V eine beliebige nichtleere Menge, und für die Elemente sollen folgende Eigenschaften gelten: (a) Es gibt eine innere Verknüpfung“ auf V , d.h. jedem Paar (a, b) ∈ V × V von Elementen von ” V wird ein Element a + b von V zugeordnet. Weiter sollen für diese Verknüpfung folgende Rechenregeln gelten: • Assoziativgesetz: Für alle a, b, c ∈ V gilt a + (b + c) = (a + b) + c. • Existenz des neutralen Elements: Es gibt ein Element o ∈ V , so daß für alle a ∈ V gilt • Existenz des linksinversen Elements: Zu jedem a ∈ V gibt es ein b ∈ V mit a + o = o + a = a. b + a = o. • Kommutativgesetz: Für alle a, b ∈ V gilt: a + b = b + a. Eine Menge, für die eine solche innere Verknüpfung definiert ist, heißt kommutative bzw. abelsche Gruppe bezüglich der Verknüpfung. Gelten nur die ersten drei Rechenregeln, dann heißt die Menge Gruppe bezüglich der Verknüpfung. (b) Es gibt außerdem eine äußere Verknüpfung“ von IR mit V , d.h. jedem Paar (α, a) ∈ IR × V ” aus einer reellen Zahl α und einem Element a von V wird ein Element α · a von V zugeordnet. Weiter sollen für diese Verknüpfung folgende Rechenregeln gelten: • Distributivgesetz: Für alle α, β ∈ IR und a ∈ V gilt (α + β) · a = α · a + β · a. • Assoziativgesetz: Für alle α, β ∈ IR und a ∈ V gilt α · (β · a) = (αβ) · a. • Distributivgesetz: Für alle α ∈ IR und a, b ∈ V gilt • Für alle a ∈ V gilt α · (a + b) = α · a + α · b. 1 · x = x. Dann heißt V Vektorraum über IR oder IR-Vektorraum oder reeller Vektorraum, die Elemente von V heißen Vektoren, und die Elemente von IR bezeichnet man auch als Skalare und IR als Skalarenkörper. Die innere Verknüpfung heißt Vektoraddition oder kurz Addition und die äußere Verknüpfung Skalarmultiplikation. Das neutrale Element o von V bezüglich der Addition heißt Nullvektor. 6 Bemerkungen 1.6 (1) In der Definition 1.5 wird nicht gesagt, was ein Vektor ist, sondern die Vektoren werden als Elemente eines Vektorraums definiert, und dieser wiederum über die Rechenoperationen. Das ergibt die Möglichkeit, alle (noch zu findenden) Aussagen über Vektorräume auf viele verschiedene und unterschiedliche Bereiche anzuwenden. Es muß nur sichergestellt sein, daß es eine entsprechende innere und äußere Verknüpfung mit den entsprechenden Rechenregeln gibt. (2) Bei der Definition des Vektorraums betrachtet man nur nichtleere Mengen. Ein Vektorraum enthält im besonderen den Nullvektor o. Andererseits ist {o} ein Vektorraum, und damit der mit minimaler Elementzahl. (3) In der Definition der Gruppe wird nur die Existenz eines neutralen Elements und zu jedem a die Existenz eines linksinversen Elements gefordert. (Für kommutative Gruppen spricht man kurz vom inversen Element zu a.) Man leicht zeigen, daß es dann auch nur ein neutrales Element e und zu jedem a jeweils nur ein inverses Element −a gibt. (4) Wir haben zwar bei der Motivation vor Einführung des Vektorraums Längen von Vektoren betrachtet, aber in der Definition tritt der Begriff der Länge nicht auf. Es kann Vektorräume geben, bei denen die Länge von Vektoren keinen Sinn macht. Kann man jedem Vektor eine Länge (die man auch Norm nennt) zuweisen, dann nennt man den Vektorraum normiert. (5) Auch Winkel zwischen Vektoren sind im allgemeinen nicht definiert. In den sogenannten eukli” dischen Vektorräumen“ kann man sowohl Länge als auch Winkel mit Hilfe des Skalarprodukts definieren. Zu endlich vielen Vektoren x1 , x2 , . . . , xm ∈ V und m reellen Zahlen α1 , α2 , . . . , αm kann man die Linearkombination m X x := αi xi i=1 bilden. Ist M ⊂ V eine feste Menge und U die Menge aller möglichen Linearkombinationen von Vektoren aus M , dann heißt U lineare H ülle von M . Diese Teilmenge hat wie V die Vektorraumeigenschaften, ist also ein Untervektorraum von V . Um nachzuweisen, daß eine nichtleere Teilmenge U ⊂ V alle Vektorraumeigenschaften besitzt, muß man nur zeigen, daß für alle x, y ∈ U und α, β ∈ IR der Vektor αx + βy auch Element von U ist. Ist umgekehrt ein Untervektorraum U von V gegeben, dann sucht man eine (nach Anzahl der Elemente) möglichst kleine Menge M , so daß U lineare Hülle von M ist. Die Elemente von U sind dann so beschaffen, daß kein Element von M Linearkombination von anderen Elementen von M ist. Eine solche kleinste Menge heißt Basis von U . Zu einem festen Vektorraum V kann es mehrere verschiedene Basen geben, aber sie haben alle dieselbe Elementezahl (unendlich eingeschlossen). Diese Zahl heißt Dimension von V . Die Dimension der Anschauungsebene ist 2, und man kann einen beliebigen Punkt als Ursprung und die beiden Vektoren einer beliebigen Basis als Richtungsvektoren eines Koordinatensystems wählen. Analog ist die Dimension des Anschauungsraums 3. 7 2 Metrische, normierte und euklidische Vektorräume 2.1 Normierte Vektorräume Die Vektorraumtheorie ist für viele Anwendungen ein gutes mathematisches Modell. Oft muß man in solchen Anwendungen auch messen, d.h. den Objekten nichtnegative Zahlen zuordnen, um sie vergleichen zu können. Bei diesem Messen beachtet man immer gleiche Regeln, weshalb man die Meßergebnisse als Ergebnis einer Funktion auffassen kann, die bestimmten Regeln gen ügt. Ausgehend von der Längenmessung (von Strecken, Pfeilen usw.) ergibt sich folgende Definition: Definition 2.1 Sei V ein Vektorraum. Eine Funktion k · k : V → IR heißt Norm, wenn gilt: (i) kxk ≥ 0 für alle x ∈ V (ii) kαxk = |α| · kxk und kxk = 0 nur für x = o, (positiv definit) für alle α ∈ IR, x ∈ V , (iii) kx + yk ≤ kx + kyk für alle x, y ∈ V (positiv homogen) (Dreiecksungleichung). Beispiele und Bemerkungen 2.2 (1) Die Betragsfunktion in IR ist eine Norm. (2) Legt man auf einer Geraden g (im Anschauungsraum) einen Punkt o als Nullpunkt und einen weiteren Punkt e als Einheitspunkt“ fest, d.h. ordnet man der Strecke von o nach e die Länge“ ” ” kek = 1 zu, dann ergibt sich genau eine mögliche Norm. Sie entspricht der Betragsfunktion, dargestellt auf der Zahlengeraden g mit entsprechender Eichung. (3) Im IR2 kann man unendlich viele wesentlich verschiedene Normen definieren. (a) Das gebräuchlichste Beispiel ist die euklidische Norm q kxk := k(x1 |x2 )k := x21 + x22 . Alle Vektoren, deren Norm gleich 1 ist, d.h. die Einheitsvektoren, liegen auf einem Kreis um o mit Radius 1. (b) Spielen bei der Messung nur Abstände in zueinander senkrechten Richtungen ein Rolle, wie z.B. bei Verlegung von Leiterbahnen auf einem Chip, dann betrachtet man die Maximumsnorm kxk := k(x1 |x2 )k := max(|x1 |, |x2 |). Die Einheitsvektoren liegen hier auf dem achsenparallelen Quadrat mit Mittelpunkt o und Seitenlänge 2. (c) Mißt man Abstände, kann sich aber nur in zwei zueinander senkrechten Richtungen bewegen, dann betrachtet man die Oktaedernorm kxk := k(x1 |x2 )k := |x1 | + |x2 |. Die Einheitsvektoren liegen auf dem Quadrat mit den Ecken (1|0), (0|1), (−1|0), (0|−1). Da sie gut die Abstände in New York mißt, wenn man mit dem Taxi fährt, heißt sie manchmal auch Taxi-Norm. 8 (d) In den vorigen Beispielen im IR2 wurde zu der Norm die Menge der Einheitsvektoren bestimmt. Man kann aber auch umgekehrt eine (bezüglich o zentralsymmetrischen, konvexen, nicht o enthaltenden) Menge als Menge von Einheitsvektoren auffassen, und dann f ür jedes weitere x ∈ IR2 die Norm berechnen. (4) Alle Beispiele des IR2 lassen sich leicht auf den IR3 (und analog auf IRn mit n > 3) übertragen. Die Einheitsvektoren bilden dann eine Kugel, einen Würfel bzw. einen Oktaeder. (5) Die Menge C(I, IR) der auf einem Intervall I stetigen reellwertigen Funktionen bilden einen Vektorraum. Durch kf k := max{|f (t)|; t ∈ I} wird auf C(I, IR) eine Norm definiert. Sie heißt Maximumsnorm auf C(I, IR). Eine weitere Norm auf C(I, IR) ist kf k := sZ f (x) I 2 dx. Beide Normen sind wichtig bei der Untersuchung der Konvergenz von Funktionenfolgen. 2.2 Einschub: elementargeometrische Definition der trigonometrischen Funktionen Haben in der Anschauungsebene zwei rechtwinklige Dreiecke (neben dem rechten Winkel) einen weiteren Winkel α (und damit auch den dritten Winkel β) gemeinsam, dann sind sie ähnlich. Nach dem Strahlensatz bzw. den Ähnlichkeitssätzen sind entsprechende Seiten zweier Dreiecke zueinander proportional, d.h. für jedes dieser ähnlichen Dreiecke mit Winkel α sind die Quotienten Gegenkathete , Hypothenuse Ankathete , Hypothenuse Gegenkathete , Ankathete Ankathete Gegenkathete jeweils gleich, hängen also nur vom Winkel α ab. Man definiert daher für einen beliebigen Winkel α, 0 < α < 90 ◦ , und ein beliebiges rechtwinkliges Dreieck 4ABC mit rechtem Winkel bei C, Winkel α bei A und β bei B und Seiten a = BC, b = AC und c = AB: sin α = a a0 = 0, c c b b0 = 0, c c cos α = tan α = a a0 = 0, b b cot α = C0 q b0 C q b α A a0 a c β0 β c0 B B0 b b0 = 0. a a 9 Aus der Definition, β = 90◦ − α und dem Satz von Pythagoras folgt sofort (1) sin β = cos α, (2) tan α = cos β = sin α, sin α , cos α cot α = (3) sin2 α + cos2 α = 1, tan β = cot α, cot β = tan α, cos α , sin α 1 + tan2 α = 1 , cos2 α 1 + cot2 α = 1 . sin2 α Die Winkelfunktionen sind bisher nur für α ∈ (0◦ , 90◦ ) definiert. Betrachtet man nur rechtwinklige Dreiecke mit Hypothenusenlänge 1, dann stellen Sinus und Kosinus ebenfalls Längen dar, nämlich von Gegenkathete und Ankathete. Wir betrachten nun in einem Koordinatensystem den Kreis um den Ursprung mit Radius 1 (Einheitskreis) und definieren Sinus und Kosinus durch mit Vorzeichen versehene Streckenlängen: y F d 6 B d D d dP d d E C α O d A - x −→ P ist ein beliebiger Punkt des Einheitskreises und α der Winkel zwischen der positiven x-Achse ( OA) −−→ und dem Ortsvektor zu P (OP ). Da der Winkel α und die Länge AP des zugehörigen Kreisbogens proportional sind, mißt man den Winkel oft im Bogenmaß. Es entsprechen also 90◦ dem Bogenmaß π2 , 180◦ dem Bogenmaß π und allgemein α in Grad dem π Bogenmaß α · . 180◦ Wir definieren sin α und cos α als y- bzw. y-Koordinate von P . Dann hat D für α 6= π2 , α 6= 3π 2 die y-Koordinate tan α und F für α 6= 0, α 6= π, die x-Koordinate cot α. Für die Vorzeichen der Winkelfunktionen ergibt sich 1. Quadrant 2. Quadrant 3. Quadrant 4. Quadrant α ∈ 0, π2 α ∈ π2 , π α ∈ π, 32 π α ∈ 32 π, 2π sin α + + − − cos α + − − + tan α + − + − cot α + − + − 10 und außerdem (1) sin(π − α) = sin α, cos(π − α) = − cos α, tan(π − α) = − tan α, cot(π − α) = − cot α, (2) sin(α + π2 ) = cos α, cos(α + π2 ) = − sin α, tan(α + π2 ) = − cot α, cot(α + π2 ) = − tan α, (3) sin(α + π) = − sin α, (4) sin(−α) = − sin α, cos(α + π) = − cos α, tan(α + π) = tan α, tan(−α) = − tan α, cos(−α) = cos α, cot(α + π) = cot α, cot(−α) = − cot α. Für spezielle Winkel ergeben sich folgende Funktionswerte: π 6 1 2 α 0 sin α 0 cos α 1 tan α 0 cot α nicht definiert π 4 √ 1 2 2 √ 1 2 2 √ 1 3 2 √ 1 3 3 √ 3 1 1 π 3 π 2 √ 1 3 2 1 1 2 0 √ 3 √ 1 3 3 nicht definiert 0 Mit der Definition sin(α + 2kπ) := sin α, cos(α + 2kπ) := cos α, tan(α + 2kπ) := tan α, cot(α + 2kπ) := cot α für beliebiges k ∈ ZZ kann man die Winkelfunktionen auf IR ausdehnen. Sinus- und Kosinusfunktionen sind also (2π)-periodisch, Tangens- und Kotangensfunktion π-periodisch. Weiter sind Sinus, Tangens und Kotangens ungerade Funktionen und Kosinus ist eine gerade Funktion. Für ein allgemeines Dreieck mit Seiten a, b, c und Winkel α, β und γ gilt sin β sin γ sin α = = a b c (Sinussatz) und als Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras a2 = b2 + c2 − 2bc cos α . (Kosinussatz) Von großer Wichtigkeit sind weiter die Additionstheoreme: (1) sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y, speziell sin(2x) = 2 sin x cos y, (2) cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y, speziell cos(x − y) = cos x cos y + sin x sin y, cos(2x) = cos2 y − sin2 x, x+y x−y cos , 2 2 x−y x+y cos , (4) cos x + cos y = 2 cos 2 2 (3) sin x + sin y = 2 sin sin(x − y) = sin x cos y − cos x sin y, x+y x−y sin , 2 2 x+y x−y cos x + cos y = −2 sin sin . 2 2 sin x − sin y = 2 cos 11 2.3 Skalarprodukt, euklidische Vektorräume Wir betrachten wieder die Anschauungsebene, in der ein Nullpunkt o und ein kartesisches (senkrechtes) Koordinatensystem festgelegt sind. Ist P 6= o ein beliebiger Punkt der Ebene mit Koordinaten (x 1 |x2 ), dann hat P (z.B. nach dem Satz des Pythagoras) vom Nullpunkt den Abstand q r = x21 + x22 . Der von o ausgehende Strahl durch P schließt mit der positiven x 1 -Achse einen Winkel ϕ, 0 ≤ ϕ < 2π, ein. Er schneidet den Einheitskreis (um o mit Radius 1) in einem Punkt P 0 , und P0 hat (nach Definition der trigonometrischen Funktionen am Einheitskreis) die x 1 -Koordinate cos ϕ und die x2 -Koordinate sin ϕ. x2 Pb b 6 b x2 b1 tan ϕ bb b sin ϕ P0 ϕ b b bb x1 arctan ϕ −1 cos ϕ O b 1 - x1 Offensichtlich kann man jeden Punkt P der Ebene (außer dem Nullpunkt) durch die Angabe des Abstandes r von o und des Winkels ϕ, den der Strahl von o durch P mit der positiven x 1 -Achse einschließt, umkehrbar eindeutig beschreiben. Man nennt r und ϕ die Polarkoordinaten des Punktes. Der Zusammenhang mit den kartesischen Koordinaten ist gegeben durch x1 = r · cos ϕ, bzw. q r = x21 + x22 , x2 = r · sin ϕ, (0 ≤ r, 0 ≤ ϕ0 < 2π) x2 arctan x1 π 2 x2 ϕ = arctan x + π 1 3π 2 x arctan 2 + 2π x1 für x1 > 0, x2 > 0 für x1 = 0, x2 > 0 für x1 < 0 . für x1 = 0, x2 < 0 für x1 > 0, x2 < 0 Wir betrachten nun 2 verschiedene Strahlen g 1 und g2 , die von einem Punkt S ausgehen. Sie schließen einen Winkel α ≤ π ein. Da sich dieser Winkel bei einer Parallelverschiebung nicht ändert, können wir annehmen, daß S der Nullpunkt ist. Seien nun weiter P 1 = (cos α1 ; sin α1 ) und P2 = (cos α2 ; sin α2 ) die entsprechenden Schnittpunkte der Strahlen mit dem Einheitskreis, dann folgt aus dem Additionstheorem für die Kosinusfunktion cos(α1 − α2 ) = cos α1 cos α2 + sin α1 sin α2 . 12 Speziell sind zwei Ortsvektoren a = (a 1 , a2 ) und b = (b1 , b2 ) genau dann zueinander senkrecht, wenn ihr Skalarprodukt“ ” ha, bi := a1 b1 + a2 b2 Null ist. Diese Betrachtungen werden auf allgemeine Vektorräume verallgemeinert. Dabei geht man aber von einem Skalarprodukt aus und definiert mit seiner Hilfe Länge und Winkel: Definition 2.3 Sei V ein reeller Vektorraum und h , i : V × V → IR eine Abbildung, d.h. es gilt (i) hαx + βx0 , yi = αhx, yi + βhx0 , yi (ii) hx, yi = hy, xi (iii) hx, xi > 0 für alle α, β ∈ IR, x, x0 , y ∈ V , (Linearität in der ersten Komponente) für alle x, y ∈ V , (Symmetrie) für alle x ∈ V , x 6= o (positive Definitheit). Dann heißt h , i Skalarprodukt auf V und V euklidischer Vektorraum. Bemerkungen 2.4 (1) Wegen der Symmetrie ist h , i auch linear in der 2. Komponente, d.h. bilinear“. ” (2) Für alle x ∈ V gilt hx, oi = ho, xi = 0, und speziell ho, oi = 0. (3) Positiv definit“ bedeutet nicht, daß ein Skalarprodukt immer positive Werte hat. Nur f ür ” x = y 6= o ist das Skalarprodukt auf jeden Fall positiv. Beispiele 2.5 (1) Das vor Definition 2.3 eingeführte Skalarprodukt im IR2 erfüllt die Bedingungen der Definition. n X Für beliebiges n ∈ IN heißt h , i : IRn × IRn → IR mit hx, yi := ξi ηi i=1 kanonisches Skalarprodukt des IRn . (2) Sei a < b, I = [a, b] ein kompaktes reelles Intervall und C(I; IR) der Vektorraum der in I stetigen Funktionen f : I → IR. Dann ist durch Z hf, gi := f (t) · g(t) dt I auf C(I; IR) ein Skalarprodukt erklärt. Es heißt das kanonische Skalarprodukt des C(I; IR). Für den Vektorraum der auf I integrierbaren Funktionen ist dies kein Skalarprodukt, denn z.B. Z 1 für t=a für f (t) := gilt hf, f i = f (t) · f (t) dt = 0 und f 6≡ 0. 0 für a < t ≤ b I 13 2.4 Normierte Vektorräume Üblicherweise bestimmt man mit Hilfe des Satzes des Pythagoras die Länge eines Vektors im IR2 bzw. IR3 . x3 6 q a1 ` 2 2 a2 1 + a2 + a3 a3 q x2 2 a2 1 + a2 x1 ` a2 Die entsprechende Formel kann man mit Hilfe des kanonischen Skalarproduktes ausdr ücken, denn es gilt v u n p uX kxk = hx, xi = t ξi2 , n = 2 oder n = 3. i=1 Natürlich kann man die Pythagoras-Formel auf beliebiges n ∈ IN ausdehnen. Die positive Definitheit des Skalarproduktes in einem euklidischen Vektorraum sichert, daß die Wurzel aus hx, xi reell ist. Damit ergibt sich Satz 2.6 Sei V ein euklidischer Vektorraum mit Skalarprodukt h , i. Dann ist p für alle x ∈ V k · k : V → IR mit kxk := hx, xi eine Norm auf V . Sie heißt die von dem Skalarprodukt induzierte Norm. Die Gültigkeit der Dreiecksungleichung einer induzierten Norm ergibt sich aus Satz 2.7 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) In einem euklidischen Vektorraum V gilt hx, yi · hx, yi ≤ hx, xi · hy, yi bzw. |hx, yi| ≤ kxk · kyk für alle Gleichheit gilt genau dann, wenn x und y linear abhängig sind. Bemerkungen 2.8 (1) Jeder euklidische Vektorraum ist also auch normierter Vektorraum. (2) Für eine induzierte Norm k · k gilt die Parallelogrammgleichung kx + yk2 + kx − yk2 = 2kxk2 + 2kyk2 . x, y ∈ V. 14 (3) Jede Norm in einem reellen Vektorraum ist eine konvexe Funktion, d.h. es gilt für alle x, y ∈ V, λ ∈ (0, 1). λx + (1 − λ)y ≤ λkxk + (1 − λ)kyk (4) Ist k · k eine induzierte Norm, dann gilt zusätzlich λx + (1 − λ)y für alle linear unabhängigen x, y ∈ V, < λkxk + (1 − λ)kyk λ ∈ (0, 1). Die Maximumsnorm ist also keine von einem Skalarprodukt induzierte Norm, d.h. nicht zu jeder Norm gibt es ein passendes Skalarprodukt. (5) Mit Hilfe der Norm kann man jedem Vektor x ∈ V , x 6= o, durch xe := x kxk einen Vektor der Länge 1 zuordnen. Ein Vektor x ∈ V wird damit beschreibbar durch seine Länge kxk und (für x 6= o) durch seine Richtung xe . Ein Vektor x ∈ V mit kxk = 1 heißt normiert oder Einheitsvektor. 2.5 Winkel Wir betrachten im euklidischen Vektorraum IR 2 (mit dem kanonischen Skalarprodukt) den kanonischen Einheitsvektor e1 und einen weiteren Einheitsvektor x e . xe kann man bezüglich der Basis B = {e1 , e2 } durch die Koordinaten (cos ϕ, sin ϕ) darstellen, wobei ϕ der orientierte Winkel zwischen der positiven e1 -Achse und der Ursprungsgeraden mit Richtungsvektor x e ist. Dann gilt he1 , xe i = cos ϕ bzw. ϕ = arccoshe1 , xe i. Die Größe des eingeschlossenen Winkels ϕ ist natürlich unabhängig von der Länge der beteiligten Vektoren, d.h. für x1 = λ · e1 und einen beliebigen Vektor x2 gilt ϕ = arccosh x1 x2 hx1 , x2 i , i = arccos . kx1 k kx2 k kx1 k · kx2 k Ist V ein beliebiger euklidischer Vektorraum mit Skalarprodukt h , i und induzierter Norm | · |, dann folgt aus der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung −1 ≤ hx, yi ≤ 1. kxk · kyk Damit kann man den Bruch als Funktionswert der Kosinus-Funktion auffassen. Definition 2.9 Sei V ein beliebiger euklidischer Vektorraum mit Skalarprodukt h , i und induzierter Norm k · k. hx, yi (a) < ) (x, y) := arccos heißt Winkel zwischen x und y. kxk · kyk 15 (b) x, y ∈ V mit hx, yi = 0 heißen zueinander orthogonal. Schreibweise: x ⊥ y. (c) Zwei Teilmengen M1 und M2 von V heißen zueinander orthogonal, wenn für beliebige x1 ∈ M1 , x2 ∈ M2 gilt x1 ⊥ x2 . Schreibweise: M1 ⊥ M2 . (d) Sei m ∈ IN. S := {x1 , · · · , xm } ⊂ V heißt Orthonormalsystem, wenn für alle 1 ≤ i, j ≤ m gilt hxi , xj i = δij . Bemerkungen 2.10 (1) Die Winkelfunktion ist symmetrisch und unabhängig von der Länge der Vektoren, d.h. für alle x, y ∈ V , α > 0, gilt <) (x, y) =<) (y, x), <) (αx, y) =<) (x, y) =<) (x, αy). (2) Für beliebige Einheitsvektoren x, y ∈ IR 2 gibt es α, β ∈ [0, 2π) mit x = (cos α, sin α), y = (cos β, sin β). Dabei ist α bzw. β der Winkel zwischen der positiven ξ 1 –Achse und der von x bzw. y aufgespannten Ursprungsgeraden. Aus den Additionstheoremen für den Kosinus folgt hx, yi = cos α cos β + sin α sin β = cos(β − α), d.h. <) (x, y) = β − α. (3) o ist zu jedem x ∈ V orthogonal. Zwei zueinander orthogonale Vektoren x 6= o, y 6= o eines euklidischen Vektorraums schließen π ein. den Winkel 2 (4) Betrachtet man für x, y ∈ IRn die von x und y aufgespannte Ebene. Aus der Definition des Winkels folgt hx, yi = kxk · kyk · cos <) (x, y). Das Skalarprodukt von x und y ist also das Produkt der Länge kxk von x mit der Länge kyk cos <) (x, y) der senkrechten Projektion von y auf die von x aufgespannte Gerade. (5) Es gilt der Kosinussatz kx − yk2 = kxk2 + kyk2 − 2 hx, yi = kxk2 + kyk2 − 2kxk · kyk · cos <) (x, y). Die wichtigsten Teilmengen eines allgemeinen Vektorraums sind die linear unabhängigen Erzeugendensysteme, d.h. die Basen. In euklidischen Vektorräumen sollten die betrachteten Basisvektoren möglichst bezüglich ihrer Länge und der Winkel zueinander besondere Eigenschaften haben. Ersetzt man Basisvektoren durch Einheitsvektoren gleicher Richtung, dann erhält man natürlich wieder eine Basis. Interessant ist also der Zusammenhang zwischen Orthogonalität und linearer Unabhängigkeit. 16 Satz 2.11 Sei V ein euklidischer Vektorraum. (a) Ist S ⊂ V ein Orthonormalsystem, dann ist S linear unabhängig. (b) Ist B = {b1 , b2 , · · · } ⊂ V eine abzählbare (endliche oder unendliche) linear unabhängige Teilmenge von V , dann gibt es genau ein Orthonormalsystem S = {d 1 , d2 , · · · } mit X dk = αjk bj , αjk ∈ IR, j ≤ k, und αkk > 0. j≤k Insbesondere gilt lin {b1 , · · · , bk } = lin {d1 , · · · , dk } für jedes k. (Gram–Schmidtsche Orthonormalisierung) Folgerung 2.12 Jeder n–dimensionale euklidische Vektorraum V hat eine Orthonormal–Basis, d.h. eine Basis, die Orthonormalsystem ist. Beispiele 2.13 (1) Die kanonische Basis {e1 , · · · , en } ist Orthonormalsystem im IRn . (2) Für I = [−π, π] erhält man für das Skalarprodukt von Beispiel 2.5 (2) das Orthonormalsystem 1 1 1 { √ , √ cos mt, √ sin mt; m ∈ IN} π π 2π des Vektorraums C(I; IR) der auf I stetigen Funktionen. Man kann die Koordinaten bezüglich einer Orthonormalbasis leicht über das Skalarprodukt ausrechnen: Satz 2.14 Sei V ein n–dimensionaler euklidischer Vektorraum, B = {b 1 , . . . , bn } eine Orthonormalbasis. Dann gilt für alle x, y ∈ V x= n X i=1 hx, bi ibi , hx, yi = n X i=1 hx, bi i · hy, bi i. 17 3 Geometrie und Graphentheorie 3.1 Reguläre Polyeder Wir betrachten einen festen Kreis und n Punkte auf einer Kreislinie, die so verteilt sind, daß die dazwischen liegenden Kreisbögen jeweils gleich lang sind. Wir verbinden jeweils zwei benachbarte Punkte durch eine Strecke. F r rE A r rD B r r C Die entstandene Figur heißt regelmäßiges n-Eck oder regelmäßiges Polygon mit n Ecken. Die Ausgangspunkte heißen Ecken und die Verbindungsstrecken Seiten oder Kanten des Polygons. Es ist klar, daß man (bei vorgegebenem Umkreis) zu jedem n > 2 ein regelmäßiges n-Eck finden kann. In der griechischen Geometrie standen Konstruktionen mit Zirkel und Lineal im Vordergrund, und schon Euklid (ca. 300 v.Chr.) (und wahrscheinlich auch schon den Pythagoräern (ca. 500 v.Chr.)) war bekannt, daß man für viele n ein entsprechendes regelmäßiges n-Eck konstruieren kann, indem man ausschließlich Zirkel und Lineal zu Hilfe nimmt, z.B. • für n = 4 und alle höheren Potenzen von 2, • für n = 3 und alle n der Form n = 3 · 2k , • für n = 5 und alle n der Form n = 5 · 2k • und für n = 15. Aber z.B. für n ∈ {7, 9, 11, 13, 14, 17, 19, 21, 22, 23, 25, . . .} waren keine Konstruktionen bekannt. Gauß (1777-1855) fand eine Beziehung zwischen den Konstruktionen in der Geometrie, die ausschließlich Zirkel und Lineal benutzen, und der Lösung von algebraischen Gleichungen der Form am xm + am−1 xm−1 + am−2 xm−2 + . . . + a2 x2 + a1 x + a0 = 0 mit ak ∈ ZZ, 0 ≤ k ≤ m, und am 6= 0. Man nennt solche Lösungen algebraische Zahlen. Damit zeigte er, daß ein regelmäßiges n-Eck genau dann nur mit Zirkel und Lineal konstruiert werden kann, wenn n außer der 2 nur Primteiler der Form 2 k + 1 mit k ∈ IN hat und keiner der ungeraden Primteiler in der Primfaktorzerlegung von n mehrfach vorkommt. 18 k darf selbst keinen ungeraden Teiler u > 1 haben, denn mit k = c · u und a := 2 c erhält man die Zerlegung n = 2k + 1 = (2c )u + 1 = au + 1 = (a + 1) · (au−1 − au−2 + au−3 − . . . + a2 − a + 1) und beide Faktoren sind größer als 1, d.h. n ist keine Primzahl. Damit kommen für den Exponenten k nur Potenzen von 2 in Frage, n muß also die Darstellung s n = Fs = 22 + 1 haben. Diese Zahlen heißen Fermatsche Primzahlen. F1 = 5, F2 = 17, F3 = 257 und F4 = 65.537 sind die bis jetzt einzigen bekannten Fermatschen Primzahlen. Man weiß z.B., daß F k für alle k mit 5 ≤ k ≤ 20 zusammengesetzt ist. Aus den gleichen Überlegungen folgt, daß ein anderes antikes Problem, nämlich die Teilung eines beliebigen Winkels in 3 gleiche Winkel nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal, nicht möglich ist: Da der Winkel von 60◦ als Basiswinkel eines gleichseitigen Dreiecks mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, wären sonst die Winkel von 20◦ , also auch von 40◦ und damit ein reguläres Neuneck konstruierbar. Es gibt exakte Konstruktionen, die einen beliebig vorgegebenen Winkel in 3 gleiche Teile zerlegen, die aber zusätzliche Hilfsmittel benutzen (z.B. von Descartes (1596-1650), der eine feste Parabel benutzte), und Näherungskonstruktionen nur mit Zirkel und Lineal. Gauß stellte mit seinen Überlegungen den Zusammenhang zwischen einem weiteren antiken geometrischen Problem, nämlich der Quadratur des Kreises, und speziellen Eigenschaften der Zahl π her. Unter der Quadratur des Kreises“ versteht man eine Methode, zu einem vorgegebenen Kreis (z.B. ” mit Radius 1) nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal ein flächengleiches Quadrat zu konstruieren. Das geht nur, wenn die Zahl π, die die Fläche des Einheitskreises beschreibt, Lösung einer algebraischen Gleichung ist. Lindemann zeigte 1882, daß π keine algebraische Zahl ist, daß also die Quadratur des Kreises nicht möglich ist. Wir wollen nun untersuchen, welche regelmäßigen räumlichen Gebilde den regulären Polygonen entsprechen. Dem Kreis entspricht im Raum eine Kugel. Die Kugeloberfläche gleichmäßig zu unterteilen, ist relativ schwierig. Daher übertragen wir andere wesentliche Eigenschaften der regelmäßigen Polygone: (i) Die neuen Objekte sollen beschränkt sein (d.h. es soll zu jedem Objekt eine Kugel geben, in der es vollständig liegt). (ii) Weiter sollen sie eine Oberfläche haben, die aus ebenen Polygonen besteht. (iii) Zu jeder Ecke soll es mindestens eine Ebene geben, so daß die Ebene die Ecke enthält und alle anderen Ecken auf einer Seite der Ebene (d.h. in einem der beiden von der Ebene erzeugten Halbräume) liegen. Geometrische Gebilde dieser Art nennt man allgemein konvexe Polytope. Beispiele sind Quader, Pyramiden, Parallelotope oder Prismen. Sterne sind nicht konvex, und der Projektionskegel eines n-Ecks ist nicht beschränkt. 19 Die ebenen Polygone, die die Oberfläche bilden, heißen Seiten, die Strecken, die jeweils als Schnitt zweier Seiten auftreten, Kanten und die Endpunkte der Kanten Ecken des Polytops. Wir suchen nun besonders regelmäßige konvexe Polytope, z.B. solche, bei denen (i) alle Seiten zueinander kongruente reguläre n-Ecke sind, (ii) und an jeder Ecke jeweils die gleiche Anzahl von Seiten zusammenstoßen. (Man nennt diese Anzahl Eckenvalenz. Sie ist auch gleich der Anzahl der Kanten, die in dieser Ecke zusammenstoßen.) Für den Würfel treffen diese Bedingungen zu, denn die Oberfläche setzt sich zusammen aus kongruenten Quadraten, und an jeder Ecke treffen jeweils 3 Quadrate zusammen. Gibt es noch andere konvexe Polytope, die diese Bedingungen erfüllen? Wir betrachten ein solches konvexes Polytop. Es habe eine Oberfläche aus regulären n-Ecken, von denen jeweils m an einer Ecke zusammenstoßen. (Dabei kennen wir die möglichen Werte von m und n natürlich nicht!) An jeder Ecke treffen mindestens 3 Seiten zusammen, d.h. es gilt m ≥ 3. Klappt man an einer Ecke die zusammenstoßenden Seiten in eine gemeinsame Ebene, dann muß die 360◦ Summe der Polygonwinkel kleiner als 360 ◦ sein, d.h. der Polygonwinkel muß kleiner als sein. m Andererseits ist der Eckenwinkel eines regulären n-Ecks mit n ≥ 6 Ecken mindestens 120 ◦ , d.h. die Seiten dürfen höchstens 5 Ecken haben. Da sie mindestens 3 Ecken haben, kann das gesuchte konvexe Polytop nur gleichseitige Dreiecke, Quadrate oder regelmäßige Fünfecke als Seiten haben. Wegen 4 · 90◦ = 360◦ und 4 · 108◦ > 360◦ können nur dann mehr als 3 Seiten an einer Ecke zusammenstoßen, wenn die Seiten Dreiecke sind. Es gibt höchstens eine Art, wie m regelmäßige n-Ecke an einer Ecke zusammenstoßen, und da an jeder Ecke eines dieser Polytope dieselbe Situation auftritt, kann es höchstens (bis auf Ähnlichkeit) jeweils ein solches Polytop geben. Für jede noch verbleibende Möglichkeit für (m, n), nämlich (m, n) ∈ {(3, 3), (3, 4), (3, 5), (4, 3), (5, 3)} erhält man wirklich ein Polytop, nämlich • das Tetraeder mit 4 gleichseitigen Dreiecken, • das Oktaeder mit 8 gleichseitigen Dreiecken, • das Ikosaeder mit 20 gleichseitigen Dreiecken, • den Würfel mit 6 Quadraten und 20 • das Dodekaeder mit 12 regulären Fünfecken. Diese 5 Polytope waren schon in der antiken griechischen Geometrie bekannt und waren f ür Plato (427-347 v.Chr.) Symbole für die vier Elemente“ Erde, Wasser, Feuer, Luft und das Universum. Sie ” heißen allgemein platonische Körper. Durch Betrachtung der Drehungen des Raums um die Mittelsenkrechte einer festen Seite um ganzzah360◦ lige Vielfache von erkennt man, daß die Mittelsenkrechten aller Seiten sich in einem gemeinsamen n Punkt schneiden. Da alle Punkte einer Mittelsenkrechten von allen Ecken der entsprechenden Seite denselben Abstand haben, liegen also alle Ecken eines platonischen Körpers auf einer Kugel. Projeziert man den platonischen Körper auf die Umkugel-Oberfläche vom Kugelmittelpunkt aus, dann erhält man eine gleichmäßige Aufteilung der Kugeloberfläche in sphärische“ n-Ecke. ” Analog zu der Tatsache, daß in der Ebene unter allen Flächen mit vorgegebenem Umfang der Kreis den größtmöglichen Flächeninhalt hat, unter allen Vierecken mit festem Umfang das Quadrat und allgemein unter allen n-Ecken mit festem Umfang das entsprechende reguläre n-Eck, haben die platonischen Körpern (vielleicht mit Ausnahme des Ikosaeders) unter allen Körpern mit ebener Oberfläche und entsprechender Ecken-, Kanten- und Seitenzahl bei festem Oberflächeninhalt das größtmögliche Volumen. 3.2 Eulersche Polyederformel Bei der Verallgemeinerung der regulären n-Ecke haben wir nach Polytopen gesucht, deren Oberfläche aus gleichgroßen regulären Polygonen mit derselben Eckenzahl besteht, und von denen immer dieselbe Anzahl an einer Ecke zusammenstoßen, und fanden genau fünf. Wieviele gibt es, wenn man die Forderungen etwas abschwächt? Gibt es z.B. ein konvexes Polytop, dessen Oberfläche aus (nicht regulären) Siebenecken besteht und bei dem jede Ecke gleiche Eckenvalenz hat? Die folgende Tabelle beschreibt für bestimmte Polytop-Beispiele die sogenannten kombinatorischen Eigenschaften, d.h. die Anzahlen e der Ecken, k der Kanten, s der Seiten sowie die Eckenzahl n der Seiten sowie die Eckenvalenzen m: Polytop Tetraeder Oktaeder Ikosaeder Würfel Dodekaeder Pyramide über n-Eck Doppel-Pyramide über n-Eck Prisma über n-Eck Antiprisma über n-Eck e 4 6 12 8 20 n+1 n+2 2n 2n k 6 12 30 12 30 2n 3n 3n 4n s 4 8 20 6 12 n+1 2n n+2 2n + 2 n 3 3 3 4 5 n/3 3 n/4 n/3 m 3 4 5 3 3 n/3 n/4 3 4 21 Zwischen Ecken-, Kanten- und Seitenzahl besteht offensichtlich ein Zusammenhang: Satz 3.1 (Eulerscher Polyedersatz f ür konvexe Polytope) Für jedes konvexe Polytop im Raum mit e Ecken, k Kanten und s Seiten gilt e − k + s = 2. Um diesen Satz zu beweisen, untersuchen wir eine spezielle Projektion dreidimensionaler Polytope in die Ebene, die jede Ecke, jede Kante und jede Seite genau einmal zeigt sowie ihren Zusammenhang, d.h. welche Ecke zu welcher Kante bzw. Seite und welche Kante zu welcher Seite gehört. Dazu projeziert man ein konvexes Polytop von einem Punkt sehr dicht an einer festen Seite auf die Ebene, die diese Seite enthält. Man erhält ein Bild in der Ebene, das zwar nicht die Größenverhältnisse widerspiegelt, aber die kombinatorischen Eigenschaften: Die Bilder zweier Kanten schneiden sich höchstens in einer Ecke, jede Ecke ist sichtbar mit allen Kanten, die dort zusammenstoßen, und die Ebene wird durch die Kantenzüge in s Bereiche zerlegt, die Projektionen der Polytopseiten sind. Dabei faßt man das unbeschränkte Außengebiet als Bild der Seite auf, auf die projeziert wird. Für das Bild eines Tetraeders bzw. eines Würfels ergibt sich zum Beispiel: b b b b b b b b b b b b Für die kombinatorischen Eigenschaften ist es offensichtlich gleichgültig, ob die Ecken durch Strecken oder krumme Kurven verbunden sind. Wir wollen dies nun verallgemeinern: Definition 3.2 Gegeben seien eine Menge E, eine Menge K und eine Vorschrift, die jedem k ∈ K genau zwei (verschiedene oder gleiche) Elemente a und b aus E zuordnet. Diese Konfiguration heißt Graph, die Elemente von E Ecken und die Elemente von K Kanten des Graph. Die beiden einer Kante zugeordneten Ecken heißen End-Ecken der Kante. Sind die End-Ecken einer Kante gleich, dann heißt die Kante Schlinge. Üblicherweise veranschaulicht man einen Graphen durch ein Punkt-Linien-System in der Ebene. Dabei muß bei den die Schnittpunkten der Kanten unterscheiden, ob sie Ecken darstellen oder nicht. Zwei Ecken eines Graphen können auch durch mehrere Kanten (sog. Mehrfachkanten) verbunden sein. 22 e4 b Beispiel 3.3 Das nebenstehende Bild veranschaulicht einen Graph mit Eckenmenge E = {e1 , . . . , e6 } und Kantenmenge K = {k1 , . . . , k8 }. Zur Ecke e5 gehört keine Kante (sie ist isoliert), zu den Ecken e1 , e4 die Mehrfachkanten k4 und k5 , und k8 ist eine Schlinge mit Endecke e6 . k6 k4 b e1 e3 b k3 k8 k7 b e5 k5 k1 k2 b e6 b e2 Einen Graph ohne Schlingen und Mehrfachkanten nennt man auch einfach. Die Anzahl der Kanten, die eine feste Ecke e als Endecke haben, nennt man den Grad der Ecke. Bei einer Schlinge zählt man dabei jeden in e ankommenden Teil der Kante einzeln. In Beispiel 3.3 hat die Ecke e4 Grad 4, die Ecke e3 Grad 3, die Ecke e5 Grad 0 und die Ecke e6 Grad 2. Sind e0 , e1 , . . . , ek Ecken und gibt es zu jedem i eine Kante k i , die die Ecken ei−1 und ei verbindet, dann nennt man die Vereinigung der Kanten Kantenzug von e 0 nach ek . Im Beispiel 3.3 ist (k1 , k6 , k3 , k2 ) = (e1 , e2 , e4 , e3 , e2 ) ein Kantenzug, der die Ecken e1 und e2 verbindet. Gibt es zu je zwei Ecken einen verbindenden Kantenzug, dann heißt der Graph zusammenh ängend. Gibt es eine Darstellung, in der sich Kanten nur an Ecken schneiden, dann nennt man den Graph plättbar und die spezielle Darstellung heißt ebener Graph. Der Graph aus Beispiel 3.3 ist nicht eben. Stellt man allerdings z.B. die Kante k 6 durch eine Linie von e4 nach e2 dar, die außerhalb des Quadrats verläuft, dann erhält man eine ebene Darstellung, der Graph ist also plättbar. Durch einen ebenen Graph wird die Ebene in endlich viele zusammenhängende Gebiete zerlegt, von denen genau eines nicht beschränkt ist (das Außengebiet“). Wir nennen diese Gebiete L änder. In ” der Sprache der Graphentheorie lautet der vorige Satz: Satz 3.4 (Eulerscher Polyedersatz f ür Graphen) In einem ebenen zusammenhängenden Graphen mit e Ecken, k Kanten und s Länder gilt e − k + s = 2. Wir betrachten nun ein konvexes Polytop P im Raum mit e Ecken, k Kanten, s Seiten, dessen Oberfläche aus n-Ecken besteht und bei dem an jeder Ecke genau m Kanten zusammenstoßen. Zählt man die Ecken, die in einer festen Seite liegen, und addiert über alle Seiten, dann erhält man e0 = s · n. Dabei wird aber jede Ecke so oft gezählt, wie sie in verschiedenen Seiten liegt, also m-mal, d.h. es gilt e0 = m · e. Zählt man analog die Ecken pro Kante und addiert über alle Kanten, dann erhält man e00 = 2 · k = m · e. 23 Damit kann man Ecken-, Kanten- und Seitenzahl in Abhängigkeit von n und m darstellen. Man erhält e= 4n , 2n − mn + 2m k= 2mn , 2n − mn + 2m s= 4m . 2n − mn + 2m Da e, k, s, m, n natürliche Zahlen sind, muß der Nenner 2n − mn + 2m = 4 − (m − 2)(n − 2) positiv sein, also für die natürlichen Zahlen m ≥ 3 und n ≥ 3 die Forderung (m − 2)(n − 2) < 4 erfüllt sein. Es gibt daher nur die durch die platonischen Körper beschriebenen kombinatorischen Möglichkeiten. Teilt man die Oberfläche einer Kugel oder eines beliebigen konvexen Körpers, z.B eines Würfels oder eines Ellipsoids, in s Länder mit k kreuzungsfreien Linien und e Ecken, dann gilt ebenso die EulerFormel, d.h. es gibt ebenso nur 5 regelmäßige vollständige Aufteilungen. Für die Oberfläche eines Torus (Autoreifens) gilt die Beziehung des Eulerschen Polyedersatzes nicht. Dort gilt e − k + s = 0. In der Topologie klassifiziert man geschlossene 2-dimensionale Flächen im Raum. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß mit jedem Punkt der Fläche auch eine kleine Kreisscheibe um diesen Punkt Teil der Fläche ist, sie also keinen Rand hat. Beispiele sind eine Zylindermantelfläche, die Oberfläche einer Kugel ( Sphäre“) oder ein Möbius-Band. ” Zwei Flächen betrachtet man in der Topologie als gleich, wenn sie durch Verbiegungen oder Streckungen ineinander überführt werden können, aber ohne Gebrauch von Schere und Klebstoff. Zuerst unterscheidet man zwischen orientierbaren (zweiseitigen) und nichtorientierbaren (einseitigen) Flächen. (Eine Ameise kann bei einer orientierbaren Fläche niemals durch Durchlaufen einer geschlossenen Kurve die Richtungen oben“ und unten“ verändern.) Die Sphäre ist orientierbar, das ” ” Möbiusband ist nichtorientierbar (aber natürlich keine geschlossene Fläche). Man kann zeigen, daß es Standardformen gibt, die man durch ihr Geschlecht beschreibt. Der Kugeloberfläche ordnet man das Geschlecht 0 zu. Setzt man an eine Kugeloberfläche h Henkel an, dann erhält man eine orientierbare Fläche Oh vom Geschlecht h. Der Torus ist damit eine orientierbare Fläche vom Geschlecht 1. Schneidet man andererseits in eine Kugeloberfläche k kreisförmige Löcher und identifiziert bei jedem Loch jeweils die sich gegenüberliegenden Randpunkte (verklebt sie), dann erhält man eine nichtorientierbare Fläche Nk vom Geschlecht k. Auf jeder dieser Standardformen F zeichnet man eine Landkarte ein mit e Ecken, k kreuzungsfreien Kanten und s Ländern, und berechnet E(F ) := e − k + s. Man kann nun zeigen, daß der Wert von E(F ) charakteristisch für die Art der Fläche ist und nicht von der speziell gewählten Landkarte abhängt. E(F ) heißt Euler-Charakteristik der Fläche. 24 Satz 3.5 Es gilt E(Oh ) = 2 − 2h und E(Nk ) = 2 − k. Betrachten wir nochmals die Tabelle, die die kombinatorischen Eigenschaften der platonischen Körper, der Pyramiden und Prismen wiedergibt: Vertauscht man beim Würfel Ecken- und Seitenzahl sowie m und n, dann erhält man die Konfiguration des Oktaeders. Dasselbe gilt für Ikosaeder und Dodekaeder sowie bei der Doppelpyramide über einem n-Eck und dem Prisma über einem n-Eck. Man kann diesen Zusammenhang auch geometrisch veranschaulichen: Man legt in jede Seite einen Punkt und verbindet zwei dieser Punkte genau dann, wenn die zugehörigen Seiten eine gemeinsame Kante haben. Den entstandenen Körper nennt man dual zu dem Ausgangskörper. Dieselbe Konstruktion ist auch anwendbar auf Graphen und führt dann zu dem dualen Graph. Wählt man bei einem platonischen Körper als Ecken des dualen Körpers gerade die Mittelpunkte der Flächen, dann erhält wieder einen platonischen Körper, und zwar zum Tetraeder ein Tetraeder, zum Oktaeder einen Würfel, zum Ikosaeder ein Dodekaeder, zum Würfel ein Oktaeder und zum Dodekaeder ein Ikosaeder. Wir schwächen nun die Anforderungen an die Regelmäßigkeit weiter ab. Läßt man z.B. auch konvexe Polytope zu, bei denen alle Ecken gleichberechtigt sind, und deren Oberfläche aus regelmäßigen Polygonen besteht. Allerdings können dies verschieden große Polygone sein, und es können verschiedene Eckenzahlen auftreten, d.h. die Oberfläche ist z.B. zusammengesetzt aus Fünfecken und Sechsecken. Es gibt genau 13 Arten dieser Polytope, die man archimedische K örper nennt. Läßt man andererseits die Forderung nach Konvexität fallen, dann erhält man als weitere Körper 4 regelmäßige Sternpolyeder. Diese Körper sind nach Kepler (1571-1630) bzw. Poinsot (1777-1859) benannt. Für sie gilt die Eulerformel für die Kugel natürlich nicht. Die konvexe Hülle ist jeweils ein platonischer Körper, und zwar einmal ein Ikosaeder und dreimal ein Dodekaeder. INHALTSVERZEICHNIS 25 Inhaltsverzeichnis 1 Anschauungsebene und -Raum 2 Metrische, normierte und euklidische Vektorr äume 2.1 Normierte Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Einschub: elementargeometrische Definition der trigonometrischen Funktionen 2.3 Skalarprodukt, euklidische Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Normierte Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . 7 7 8 11 13 14 3 Geometrie und Graphentheorie 3.1 Reguläre Polyeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Eulersche Polyederformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 17 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index h , i, 12 <) , 14 ⊥, 15 eben, 22 einfach, 22 plättbarer, 22 zusammenhängend, 22 Gruppe, 5 abelsche, 5 kommutative, 5 Addition von Vektoren, 5 Additionstheoreme, 10 Äquivalenzklasse, 2 Äquivalenzrelation, 2 algebraische Gleichung, 17 algebraische Zahl, 17 Antiprisma, 20 archimedische Körper, 24 Assoziativgesetz, 5 Ikosaeder, 20 Kante, 17, 19, 21 Kantenzug, 22 Kommutativgesetz, 5 Koordinaten Polar-, 11 Kosinussatz, 10, 15 bilinear, 12 Bogenmaß, 9 Land, 22 Linearkombination, 6 Distributivgesetz, 5 Dodekaeder, 20 Doppel-Pyramide, 20 Dreiteilung des Winkels, 18 dual, 24 Norm euklidische, 7 induzierte, 13 Maximums-, 7, 8 Oktaeder-, 7 normiert, 14 Nullvektor, 5 Ecke, 17, 19, 21 Eckenvalenz, 19 Einheitsvektor, 14 Element linksinverses, 5 neutrales, 5 Euler-Charakteristik, 23 Oktaeder, 20 orthogonal, 15 Orthonormalbasis, 16 Orthonormalsystem, 15 Ortsvektor, 3 Fermatsche Primzahlen, 18 Funktion Kosinus-, 9 Kotangens-, 9 Sinus-, 9 Tangens-, 9 Winkel-, 9 parallel, 1 Parallelogrammgleichung, 13 Parameterdarstellung einer Ebenen, 4 einer Geraden, 4 plättbar, 22 platonische Körper, 20 Polarkoordinaten, 11 Polygon regelmäßiges, 17 Polytop konvexes, 18 Geschlecht, 23 gleichorientiert, 1 Grad einer Ecke, 22 Gram-Schmidtsche Orthonormalisierung, 16 Graph, 21 26 INDEX positiv definit, 7, 12 positiv homogen, 7 Prisma, 20 Pyramide, 20 Quadratur des Kreises, 18 reflexiv, 2 Relation, 2 Richtungsvektor, 4 Schlinge, 21 Seite, 17, 19 Sinussatz, 10 Skalar, 5 Skalarenkörper, 5 Skalarmultiplikation, 5 Skalarprodukt, 12 kanonisches, 12 Sternpolyeder, 24 symmetrisch, 2, 12 Tetraeder, 20 transitiv, 2 Ungleichung Cauchy–Schwarzsche, 13 Dreiecks-, 7 Vektor, 1, 5 Vektorraum, 5 euklidischer, 12 reeller, 5 Verknüpfung äußere, 5 innere, 5 Winkel, 14 27