FREITAG, 30. OKTOBER 2015 | Eine Beilage der Investieren in Zeiten tiefer Zinsen Die Börsenkurse sind stark gestiegen. Soll man trotzdem noch in Aktien investieren. Werz: Mit einer langen Anlageoptik kann man noch in Aktien investieren. Ich empfehle Investments in dividendenstarke Aktien (z. B. Zurich, Swiss Re, Roche, Novartis, Nestlé, Swisscom). Die Dividendenrendite liegt bei diesen Aktien bei 3 bis 6 Prozent. Auch strukturierte Produkte können lohnend sein. Vielseitigkeit ist Trumpf. Gemäss dem Grundsatz «Nicht alle Eier in einen Korb» kann bei guter Diversifikation auch die Bonitätskomponente etwas nach unten geschraubt werden. Auch im gegenwärtigen «Renditewinter» bieten sich dem aktiven und risiko­ toleranten Investor Chancen. Davon ist Urs Werz, Finanz­ chef der Ersparniskasse Schaff­hausen, überzeugt. VON DANIELA GHISLET TI Die Zinsen sind auf historischen Tiefständen. Ist es noch möglich, das Geld zinsbringend anzulegen? Urs Werz: Wenn man generell bereit ist, höhere Risiken einzugehen, ja. Man kann beispielsweise mit Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit noch etwas Zins herausholen. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass bei steigenden Zinsen vorübergehend Kursverluste entstehen können. Will man dies vermeiden, muss man die Anleihen bis zum Schluss der Laufzeit halten. In Fremdwährungsanleihen, zum Beispiel in neuseeländischen und aus­ tralischen Dollars, lassen sich noch 3 bis 4 Prozent Zins generieren. Aufgrund der aktuellen Frankenstärke scheint das Devisenkursrisiko begrenzt. Die Renditen von Schweizer und anderen europäischen Staatsobligationen befinden sich teilweise im negativen Bereich. Kommt es zu einem Geldwertverlust? Werz: Negativzinsen führen zu einer äusserst paradoxen Situation, denn der Geldgeber muss Zinszahlungen leisten, nicht der Geldnehmer. Der Nominalzins abzüglich Inflation ist jedoch hierzulande dank der vorherrschenden Deflation weiterhin positiv. Das heisst, selbst wenn der Geldgeber Zinsen bezahlen muss, bleibt der Wert des Geldes erhalten, da das Preisniveau im Falle von deflationären Tendenzen sinkt. In anderen Ländern wie Japan, Wie sieht es mit Immobilienanlagen aus? Werz: Seit Einführung der Negativ­ zinsen sind mit Immobilienanlagen durchaus noch passable Renditen zu erzielen. Ich empfehle vor allem gut diversifizierte Immobilienfonds. Aufpassen muss man bei diesen Anlagen, dass nicht in überbewertete Fonds investiert wird. Die Ausschüttungsrendite liegt bei etwa 3 Prozent. «Mit Besonnenheit und Flexibilität kann auch unter diesen widrigen Umständen noch Performance nach Inflation erzielt werden. Zu warnen ist vor unkontrolliertem Renditehunger», sagt Urs Werz, Finanzchef der Ersparniskasse Schaffhausen. Bild zvg USA, Grossbritannien und in der Eurozone waren die Anleger zum Teil über einen längeren Zeitraum mit negativen Realzinsen konfrontiert. Welche Auswirkung hat die derzeitige Extremsituation an den Obligationenmärkten auf die Vermögensallokation? Werz: Um den Renditebedarf zu decken, strömen Anleger entweder in risikoreichere Anlagen – das heisst von erstklassigen Obligationen zum Beispiel in Aktien oder alternative Anlagen – oder lassen das Geld, im Falle von positiven Realzinsen, auf dem Konto liegen, da der reale Wert des Geldes erhalten bleibt. Im festverzinslichen Bereich präferieren Investoren diejenigen Länder, die positive Realzinsen aufweisen und deren Währungen mittelfristig Lorenz Spengler, gedrechseltes höfisches Kunstkammerstück um 1760. nicht durch geldpolitische Massnahmen unter Abwärtsdruck stehen. Wann steigen denn die Zinsen wieder? Werz: Zinsprognosen sind schwierig. Aufgrund der Tatsache, dass in den USA die wirtschaftliche Erholung weiter fortgeschritten ist als im Euroland, gibt es Anzeichen dafür, dass die amerikanische Notenbank die Zinsen erhöhen könnte. Da die Zinsen stark vom Verhalten der Zentralbanken bestimmt werden und sehr viele Faktoren für anhaltend tiefe Zinsen sprechen, ist hierzulande in nächster Zeit aber nicht von signifikanten Zinserhöhungen auszugehen. Wie können private Anleger diesem «Renditewinter» begegnen? Werz: Mit Besonnenheit und Flexibilität kann auch unter diesen widrigen Umständen noch Performance nach Inflation erzielt werden, auch wenn die Risikoprämien unbefriedigend erscheinen. Zu warnen ist vor unkontrolliertem Renditehunger. Dem aktiven und risikotoleranten Investor bieten sich immer noch Chancen. Gleichzeitig sollte man sich darauf einstellen, Obligationen bei steigenden Zinsen eventuell länger als geplant halten zu müssen. Der Bonität kommt damit eine gesteigerte Bedeutung zu. Geld- und geopolitische Entwicklungen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Anleger sollten sich der besonderen Situation entsprechend verhalten und Strategien verfolgen, die auf insgesamt geringere Umschichtungen zielen. Und wie steht es mit dem Gold? Werz: Gold ist immer eine gute Versicherung in extremen Zeiten. Aktuell notiert es weit unter dem Höchststand. Ich empfehle, maximal 5 bis 10 Prozent in Gold zu investieren. Es scheint, dass Geld anlegen im aktuellen Umfeld mit höheren Risiken verbunden ist. Ist das so? Werz: Ja, das ist schon so. Deshalb ist es wichtig, dass man in verschiedene Anlagen investiert und einen langen Anlagehorizont hat. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, bieten sich höher verzinsliche Konten mit etwas längeren Kündigungsfristen oder Kassenobligationen an. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Geld anlegen in diesem schwierigen Umfeld noch anspruchsvoller geworden ist. Ein Beratungsgespräch mit einem Anlageexperten lohnt sich auf jeden Fall. «Visitatio»: Die schwangere Maria besucht Elisabet. Lindenholzrelief aus dem frühen 16. Jahrhundert. Bilder Museum zu Allerheiligen