Fichte und Austin Isabelle Thomas-Fogiel Université de Panthéon-Sorbonne Paris, et Université de Montréal, Canada Conférence prononcé à l’université de Halle (Allemagne) Der Einfluss eines Philosophen auf einen anderen kann auf unterschiedliche Weise verstanden werden. Zunächst kann dieser Einfluss reell und direkt sein. Ein Philosoph liest einen Philosophen aus der Vergangenheit und wird von dieser Lektüre beeinflusst. Dies ist zum beispiel der Fall bei Habermas mit Kant, bei Brandom mit Hegel oder aber bei Maine de Biran mit Fichte. In solchen Fällen lässt sich der Einfluss leicht erforschen: Der Philosophiehistoriker zählt die Zitate auf, untersucht die Begriffe, die von beiden Autoren benutzt werden, und kann somit den Einfluss des einen Autors auf den anderen nachweisen. Der Zusammenhang zwischen Philosophen kann als objektive Konvergenz ohne effektiven Einfluss angesehen werden. So hat Fichte zum Beispiel Plotin wahrscheinlich nie gelesen. Dennoch ist es möglich Themen ausfindig zu machen, die beiden Autoren gemeinsam sind, besonders in der WL 1804. In dieser zweiten Kategorie braucht der Philosophiehistoriker nicht zu wissen, ob dieser oder jener Philosoph den anderen gelesen hat. Er muss nur die gemeinsamen Themen und Gedanken aufzeigen, selbst wenn der erste den zweiten nicht gelesen hat. Wendet man diese Unterscheidung zwischen zwei Einflusstypen auf die Beziehung Fichtes zur analytischen Philosophie an, so stößt man auf die letztere. Darum möchte ich in diesem Vortrag den Zusammenhang zwischen beiden Autoren vor dem Hintergrund der objektiven Konvergenz zeigen. Ich werde aber nicht nur zeigen, dass Austin und Fichte über ein wesentliches Motiv verbunden sind, sondern auch, wie sich jeder Autor anhand des Anderen besser lesen und verstehen lässt. Ich werde versuchen zu zeigen, wie man Fichte philosophisch und philologisch anhand der Austinschen Kategorien verstehen kann; dann werde ich zeigen, inwiefern die spekulative Tradition, auf diese Weise betrachtet, es im Gegenzug möglich macht, das Begriffsfeld, welches Austin eröffnet, zu untersuchen. Ähnlich einem Entschlüssler von Anamorphosen werden wir uns einen ungewöhnlichen Blickwinkel zu eigen machen müssen, um das Bild zu erfassen, wie bei Die Gesandten von Holbein, wo der Totenkopf erst dann sichtbar wird, wenn man das Bild aus einem flachen Winkel von rechts betrachtet, einem ungewöhnlichen Blickwinkel um ein Bild zu bewundern. Ich werde also nicht nur zeigen, dass Fichte anhand der Begriffe von Austin gelesen werden kann (wie Hintikka gezeigt hat, dass das Cartesianische Cogito mit performativen Begriffen neu interpretiert werden konnte), sondern auch, dass wir Austin anhand der Fichteschen Fragestellung lesen können. Kann ein heutiger Leser von Fichte und Austin diese doppelte Anamorphose bewältigen? Kann man Fichtes Anliegen aus dem ungewöhnlichen Blickwinkel des Austinschen Denkens sehen und im Gegenzug den ungewöhnlichen Standpunkt Fichtes heranziehen, um eine bis jetzt unbekannte Anwendung Austins an den Tag zu fördern ? Das sind die Fragen, mit denen sich dieser Vortrag auseinandersetzen wird. Ich werde zuerst auf die objektive Konvergenz beider Autoren eingehen (also das wesentliche Thema, das beiden Autoren gemeinsam ist), dann auf die Frage, wie man Fichte anhand von Austin verstehen kann und schließlich wie man dank Fichte auf Austin einiges Licht werfen kann. Ich möchte wetten, dass jenseits des Traditionskonflikts eine solche Querbefruchtung der Theorien zu keinem zwittrigen Wesen führt, sondern viel eher zu einer fruchtbaren Mischung, die von jeher das Wesen der Philosophie ausgemacht hat. Erster Teil: die objektive Konvergenz zwischen den beiden Autoren Wir sind im Stande zu beweisen, dass Fichte und Austin eine grundlegende These gemeinsam ist, da bei beiden Autoren der Begriff der Handlung eine zentrale Stelle einnimmt. In der Tat abstrahieren beide Autoren den Begriff « Handlung » aus seinem üblichen Bereich der Moral- und Politikphilosophie, um daraus einen Terminus zu machen, der das Denken selbst als Handlung definiert. Denken heißt handeln. Bei Fichte stehen die Vokabeln "denken" und "handeln" immer in Apposition und werden synonym verwendet. Genauso wie Austin für welchen jedes Denken Sprache ist - folgende Gleichung aufstellt: denken = sprechen = tun oder handeln. Ein Vergleich zwischen der zentralen Stellung des Handelns bei Austin und dessen Bedeutung bei Fichte lässt sich leicht ziehen. In der Überbrückung der Teilung zwischen dem theoretischen (das Denken, das Wissen) und dem praktischen Bereich (das politische oder das moralische Handeln) liegt wohl das Spezifische der Fichteschen Wende. Diese Wende wird dadurch möglich, dass Fichte das Denken als Handeln und das Handeln als Denken definiert. Das Handeln erhält eine epistemische Dimension und tritt aus der Sphäre der Moral und der Politik heraus, in der es eingeschränkt war. Im Vergleich zu Kant liegt der wirkliche und entscheidende Beitrag Fichtes in der Überwindung der Spaltung zwischen Wissenschaft und Moral, im Überqueren des Abgrundes, der die Fakten von den Normen trennt. Es geht nicht darum, eine Brücke zwischen Wissen und Moral zu schlagen, wie sie Kant in der dritten Kritik herbeiwünscht, sondern zu zeigen, dass das Handeln die Essenz des Denkens ist. Fichte vereinigt beide Bereiche, indem er zeigt, dass die Vernunft frei, also moralisch ist und dass die Freiheit die Rationalität selbst ist. Bei Fichte gibt es nicht zwei Bereiche, die dann miteinander verbunden werden sollen, sondern nur einen: denjenigen der Rationalität, welcher theoretisch weil praktisch und praktisch weil theoretisch ist. Die Kantische Spaltung will Fichte nicht ratifizieren, sondern transzendieren. Durch den Begriff Handeln wird die Vernunft geeinigt. Folglich liegt das Spezifische des Fichteschen sowie des Austinschen Ansatzes in der Bestimmung des Denkens als Handeln und des Handelns als Denken. Für beide heißt denken handeln. Genauer gesagt ist es uns möglich, einen strengen Vergleich zwischen dem spezifischen Begriff der "Sprechakte" und der Lehre des Satzes als Handlung bei Fichte anzustellen. Wir wissen, dass die wichtigste Neuerung bei Austin darin besteht, dass er die Handlungsdimension in allem Gesagten aufgezeigt hat. Der Sprechakt ist Ausdruck eines Aktes, nicht Beobachtung einer Tatsache. Nun ist diese Auffassung der zentrale Satz der Fichteschen Philosophie. Darüber hinaus kann leicht bewiesen werden, dass Fichte nicht von einer Tatsache, sondern vom Satz ausgeht. In der WL nimmt er sich nicht vor, Tatsachen zu beschreiben, sondern Sätze zu analysieren, sie zu zerlegen. Auf diesen Aspekt der Fichteschen Philosophie müssen wir Nachdruck legen. Durch das Denken Austins wird es möglich, diesen üblicherweise unberücksichtigten Aspekt der WL vollständig bewusst zu machen. So geht Fichte zum Beispiel gleich am Anfang der WL von 1794 vom Ich-"Satz", nicht von einer Bewusstseinstatsache aus. Sehr früh, schon im Jahre 1793, sprach Fichte von "Sätzen", nicht von "Urteilen" und bestimmte diese Sätze als "Handlungsweise". In diesem Sinne ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass Fichte der austinschste unter den Schülern des OxfordPhilosophen ist. Folglich ist die objektive Konvergenz zwischen beiden Autoren offensichtlich und sie kann mit folgendem Satz zusammengefasst werden: Der Akt ist ein epistemisches Prinzip, kein moralischer Begriff. Der Philosoph muss nicht nur den Inhalt eines Satzes erforschen, sondern auch den Äußerungsakt. Nachdem dieser Punkt nun bewiesen ist, sind wir jetzt im Stande noch genauer zu zeigen, wie man Fichte aus der Sicht Austins lesen kann. II) Fichte im Licht der Pragmatik Wie kann man Fichte, den Denker der spekulativen Philosophie par excellence, anhand der innovativsten Kategorien Austins philosophisch und philologisch verstehen? Genauer gesagt: Wie können eine beziehungsweise mehrere von Austin erfundene Kategorien ein anderes Licht auf das System Fichtes werfen und es möglich machen, dieses System besser zu verstehen? Wie bei Descartes ist zunächst der Begriff des Performativen am fruchtbarsten, um Fichte zu lesen. In der Tat lässt sich der bekannte Satz der WL von 1794 "Ich = Ich" anhand dieses in How to do things with words erfundenen und schon in der ersten Konferenz eingeführten Begriffs leicht lesen. So kann das erste Prinzip "Ich = Ich" als eine performative Äußerung betrachtet werden, insofern als Fichte immer wieder betont hat, das erste Prinzip sei keine Bewusstseinstatsache. Ich komme auf das Ich nicht zurück, als eine Substanz, eine Realität oder eine Wesenheit, die meiner Handlung vorangehen würde. Das Ich ist eine Handlung (Tathandlung) , die ausgeführt wird, keine Tatsache, die ich bin. Wir stellen fest, wie dienlich uns Austins Kategorien dabei sind, die gewöhnlichen Irrtümer über das Ich zu vermeiden, wie zum Beispiel die Versuchung, daraus eine Sache, ein Seiendes unter den Seienden zu machen, dessen wir uns bewusst sein müssten. Über diesen wesentlichen Gewinn hinaus kann man sogar das ganze Fichtesche System anhand des Begriffs des Performativen lesen. Das absolute Prinzip, das Prinzip der Prinzipien, die Grundlage oder die Basis des Fichteschen Systems kann mit Austins Methode definiert werden, das heißt vermittels des Performativen. Beweisen wir diesen einen Punkt: Welches Prinzip liegt der Struktur des ganzen Fichteschen Prinzips zugrunde? Nicht die mythische Affirmation eines absoluten Ichs (die der ersten Philosophie zugewiesen wird); auch nicht die mystische Affirmation eines absoluten Gottes (die man der zweiten oder dritten Philosophie zuweist). Nein, das Prinzip der Prinzipien, welches seine ganze Philosophie strukturiert, ist das, was Fichte "Einklang zwischen Tun und Sagen" nennt. Worum geht es? Das Sagen ist hier als Inhalt eines philosophischen Diskurses zu verstehen – wie zum Beispiel der von Kant oder Spinoza. Das Fichtesche "Sagen" kann also mit dem verglichen werden, was Searle, und die Pragmatik, « Satzinhalt » nennt. Und das "Tun" soll streng als Akt oder Status der Äußerung verstanden werden; es ist nicht das, was Kant sagt (sein Sagen), sondern es geht laut der in der WL von 1804 vorgeschlagenen Formel um : "das gesagte sagen zu können, es voraussetzen musste“ (Meiner, 18) I.e was vorausgesetzt wird, damit er das sagen kann, was er sagt (sein Tun). Folglich ist das Sagen im Satz: "ich spreche nicht" das, was der Satz aussagt, während das Tun das ist, was ihn möglich macht, in anderen Worten der Akt des Sagens selbst. In diesem präzisen Fall stellt man gleich fest, dass der Akt den Satzinhalt selbst falsifiziert. In anderen Worten ist das Hauptprinzip der Fichteschen Lehre das, was wir heute mit Austin und dann Recanati performativen Nicht-Widerspruch oder pragmatische Identität nennen. Somit entwirft Fichte eine präzise Theorie der Bedeutung, die auf den Begriffen "Sagen" und "Tun" beruht (1804, Meiner 191, 1798, Einleitung, etc) . Fichte entwirft also eine Theorie der Bedeutung, die der pragmatischen Dimension der Bedeutung Rechnung trägt. Das Kongruenzprinzip zwischen Tun und Sagen ist ein Prinzip, das ausnahmslos jede WL aufgreift. So findet man den Ausdruck "Tun und Sagen" in der WL von 1804 weit entwickelt vor, äquivalente Ausdrücke finden sich 1794 zum Beispiel mit der Wendung : „das Erklärende in dem Erklärungsgrunde " (1794, Meiner s.131) I. e Die Übereinstimmung zwischen dem, was geklärt wird und dem klärenden Prinzip, oder noch offensichtlicher zwischen „Ich gesetze and das setzende Ich“, I.e zwischen "Setzende und "Gesetze“, und so weiter und so fort. Dazu kann man anhand dieser pragmatischen Lesart noch eine Antwort auf die schwierige Frage der Entwicklung Fichtes vorschlagen. Seit langem hat die Fichte-Forschung dessen Philosophie in zwei, bzw. drei Perioden eingeteilt. In diesem Rahmen wäre der Standpunkt der ersten Philosophie rein Kantisch und transzendental, laut dem das Ich als ethischer Akt definiert wird, während die zweite – und für gewisse Forscher mehr noch die dritte – zu einer spekulativen Theorie zurückkehrt, in der das Ich im Denken Gottes aufgeht. Fichte würde die Idee einer Änderung der Welt, welche für die erste Philosophie kennzeichnend war, zugunsten einer Philosophie des Absoluten aufgeben, in der sich das "Ich" von der Tat abkehrt und zum passiven Nachbild Gottes wird. In dieser Perspektive würde sich Fichte als dogmatischer Philosoph profilieren, der hinter die kopernikanische Wende zurückfällt. Nun können wir eine andere Interpretation vorschlagen, laut der Fichte den transzendentalen Gesichtspunkt weder ändert noch verrät. Um diese These zu untermauern, gilt es darauf hinzuweisen, dass das Besondere der transzendentalen Philosophie bei Kant wie bei Fichte darin besteht, dass sie zu den Möglichkeitsbedingungen des Wissens überhaupt zurückführt. Diese Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen schlägt mit Fichte einen bestimmten Weg ein, insofern als er nicht von einer Tatsache ausgeht (wie Kant, der in der ersten Kritik zum Beispiel von der Tatsache ausgeht, dass die "Mathematik wahr ist"), um davon die Gültigkeitsbedingungen ausfindig zu machen. Fichte aber geht von einer Anmaßung, einer Forderung, einer Anforderung aus. Und diese Anforderung ist nichts Anderes als das oben genannte Identitätsgesetz. Diese Identität ist eine spezifische Identität und wurde von Fichte sehr früh, schon im Jahre 1793, entdeckt. Dieses Identitätsprincip würde Fichte nie aufgeben und er setzte es immer in den Mittelpunkt seines Systems. Fichte liefert verschiedene Formulierungen dieses Identitätsprinzips, welches im Licht der Konzepte der Pragmatik zu verstehen ist. Hier weist der Begriff des Performativen wiederum auf den streng innovativen Charakter von Fichte. Genauer – wie oben schon gesagt wurde – trägt die Lehre Fichtes dem Tun im Sagen Rechnung („Nicht Widerspruch zwischen dem Thun und dem Sagen“ Meiner 1804, s.191) und beruht auf diesem neuen Identitätsprinzip zwischen Sagen und Tun, einem Prinzip, das sich zum Muster für alle künftigen philosophischen Sätze erhebt. In allen WLn soll sich der Philosoph diese Identität zum Ziel setzen, wenn er zur Wahrheit gelangen und die Widersprüche vermeiden will, welche viele Philosophien belasten, sei es die Kants, die Spinozas oder auch die Jacobis. Dieser Widerspruch, den Fichte in den anderen Systemen ausfindig macht und oft mit dem lateinischen Ausdruck "propositio facto contraria" (1804, 191) bezeichnet, lässt sich nicht als Widerspruch in der formellen Logik interpretieren, sei es in der herkömmlichen Logik der Prädikate (A=A) oder in der propositionnellen Logik (P impliziert Q). Es ist auch kein Widerspruch zwischen zwei entgegengesetzten Elementen, so wie der newtonsche Widerspruch zwischen entgegengensetzten Kräften, den Kant « Opposition » nennt, auch nicht der Widerspruch zwischen meinem Satz und dem Gegenstand, den er bezeichnen sollte. Es ist ein Widerspruch zwischen dem Akt, "X" zu sagen und dem, was von "X" gesagt wird, streng gesprochen ein performativer Widerspruch. Dieser Nicht-Widerspruch ist die epistemische Neuformulierung vom antiken noesis noeseos, welches Fichte in den Mittelpunkt seines Systems setzt, es ist das Oberprinzip der Vernunft, das den Wahrheitsfindungsprozess hervorbringt. Dieses neue Identitätsprinzip macht es uns möglich, neue Sätze zu entdecken. Nun liegt diese Definition der Identität als Identität des Tuns und des Sagens allen WLn zu Grunde, eine Identität, die wir heutzutage als performative Identität denken. Jeder Fassung der WL liegt diese Identität zu Grunde, welche das vollkommenste Modell der transzendentalen Argumentation darstellt. Ist aber dieses Prinzip wohl der gemeinsame Nenner, die gemeinsame Basis aller WL, wiederho(h)lt Fichte dafür aber nicht zwanzig Jahre lang das Gleiche. In der Tat ist es ja das Ziel und die Einheit aller WLn, dass sie die Identität zwischen Sagen und Tun vollbringen, in Einklang mit dieser Identität Sätze erstellen. Doch zieht der Philosoph nicht immer das gleiche Problem in Erwägung. In den Eigenen Meditationen zum Beispiel stellt Fichte die Frage nach der Vorstellung und zeigt, warum der Reinholdsche Begriff von Vorstellung kritisiert werden muss und schlägt eine neue Definition der Vorstellung vor, in Einklang mit dem neuen Identitätsprinzip. In den mittleren WLn dagegen ist das Problem nicht mehr das der Vorstellung, sondern das des Absoluten. Welches sind die Äußerungsbedingungen des Absoluten? Wie kann der Mensch, der endlich ist, widerspruchsfrei das Absolute benennen, äußern? So lautet 1804 die Frage. Anders gesagt, in der WL von 1794 wird die Frage nach der Äußerung des Endlichen aufgeworfen, während diejenige von 1798 nach den Bedingungen der Äußerung des Unbegrenzten fragt. Einerseits lautet die Frage: "wie kann man die Endlichkeit ohne performativen Widerspruch ausdrücken", andererseits "wie kann man das Unendliche ohne performativen Widerspruch ausdrücken". Identität und Unterschiede zwischen den WLn liegen also klar auf der Hand. Alle WLn sind identisch, insofern als in jeder die Dynamik der Beweisführung in der Identität zwischen Tun und Sagen besteht. In allen Fällen müssen wir den Widerspruch zwischen dem, was gesagt wird, und dem Äußerungsakt vermeiden. Es geht immer um eine Theorie des Wissens, die als Klarstellung der Regeln des Diskurses gedacht ist, welcher nach Gültigkeit und Wahrheit strebt. Dennoch sind die WLn keine bloße Wiederholung desselben: In jeder werden zwar die Bedingungen klargemacht, um "das sagen zu können, was man sagt", aber das, was man sagt, kann die Vorstellung (1793), das Endliche (1794), das Unendliche (1798), das Absolute (1804), das Sein (1805), das Erscheinen (1812) etc sein. Deswegen können wir damit schließen: Die pragmatische Identität erhellt das Fichtesche Identitätsgesetz und ermöglicht ein besseres Verständnis der Intention Fichtes. Indem man Fichte aus der Perspektive Austins liest, wird ersterer erhellt und Neuentdeckungen werden möglich. Dank der Konzepte der Pragmatik konnten wir erstens verstehen: Warum das Ich kein dogmatisches Konzept ist ; zweitens konnten wir die Natur des Prinzips der Prinzipien als Kongruenz zwischen Sagen und Tun einsehen; drittens haben wir entdeckt, dass dieses Prinzip ein neues Identitätsgesetz, eine revolutionäre Neuformulierung des Satzes des Widerspruchs ist und konnten zeigen, wie sehr anhand dieses Identitätsgesetzes die tiefe Einheit aller WL sichtbar wird. Darüber hinaus könnten sogar alle Elemente des Fichteschen Systems mit dem Austinschen Konzept des Performativen neu interpretiert werden: das berühmte Ich, dann das Prinzip aller Prinzipien: das Identitätsgesetz, das den WLn ihre Einheit verleiht, aber auch Begriffe wie Freiheit, die Beziehung zwischen Endlichem und Unendlichem aber auch der eigentümliche Begriff der « Leistung » in der Rechtstheorie (Rechtslehre 1812). Am Ende dieser Untersuchung angelangt ist es nun klar, dass Fichte aus der Perspektive Austins gelesen werden kann, ohne dass man ihn verrät. Der Gesichtspunkt, so wie er von Austin definiert wird, ändert unser Verständnis dessen, was der deutsche Idealismus ist, und ermöglicht uns einen besseren Zugang zum Originaltext. Von Austin aus gesehen erscheint die WL Fichtes lange nicht als Höhepunkt der Metaphysik, sondern liefert viel eher eine Theorie der Handlung, die mit den zeitgenössischen Theorien durchaus vergleichbar ist. Buchstäblich sagt Fichte, dass wir im Sagen das Tun in Erwägung ziehen müssen. Die analytischen Philosophen machen es möglich, den deutschen Idealismus Fichtescher Fassung zu lesen und dadurch wird es möglich, den deutschen Idealismus nicht mehr als "hohle Dunkelheit" anzusehen, wie F. Nef es tut, der für die analytische Bewegung in Frankreich kennzeichnend ist. Weder wird Fichte so fremder, noch wird Austin an Genauigkeit verlieren. Unsere Lektüre legt die Deutlichkeit einer Philosophie an den Tag, die das Denken als Handlung, die Handlung als Denken und diesen Denkakt als Einverständnis zwischen Sagen und Tun bestimmt. Dieser letzte Aspekt führt uns zu unserem dritten Teil. Wie wir schon gesagt haben, wollten wir zunächst zeigen, wie Austin ein neues Licht auf die wichtigen Texte der Vergangenheit werfen konnte, um somit die falschen Interpretationen, die diese Texte entstellen, zu vermeiden. Dann aber sollten wir zeigen, wie Fichte, von diesem neuen Standpunkt aus betrachtet, uns wie in der Anamorphose, eine neue Sichtweise zum besseren Verständnis Austins an die Hand gibt. Kann Austin von diesem ungewöhnlichen und exzentrischen Standpunkt aus verstanden werden, wie das bei dem berühmten Porträts der Gesandten von Holbein der Fall ist ? III) Austin im Licht der Frage nach dem Tun und Sagen Um diese Denkerfahrung, die wir hier vorschlagen, vollziehen zu können, müssen wir zurück zur genauen Definition der Fichteschen These über Identität, streng verstanden als Angemessenheit zwischen Aussage und Äußerung, oder als Kongruenz zwischen Sagen und Tun. Diese Kongruenz ist ein epistemisches Prinzip, keine ontologische These. In dieser These steckt die Frage nach der Wahrheit, oder genauer gesagt nach dem Status des philosophischen Diskurses. Fichte zeigt, dass jeder philosophische Diskurs nach Wahrheit strebt. Nach der Wahrheit streben bedeutet selbstverständlich nicht, gleich zur Wahrheit zu gelangen, sondern nur, dass jeder Philosoph diesen seinem Diskurstyp innewohnenden Anspruch akzeptieren muss. Um es mit einem Beispiel deutlich zu machen kann man sagen, dass der Anspruch oder "Das Streben nach" eines Dichters von dem eines Philosophen abweicht. Der Philosoph behauptet, dass das, was er sagt, wahr ist, selbst wenn er irrt; der Dichter gibt vor, auf seinen Leser eine ästhetische Wirkung auszuüben; wenn Paul Eluard zum Beispiel schreibt "Die Erde ist blau wie eine Orange", beansprucht er mit dieser Aussage keine Wahrheit. Jeder Bereich, jedes Fach hat seine eigenen Ansprüche. Nun zurück zu unserem Problem: Wir können sagen, dass Fichtes Beitrag darin besteht, dass er gezeigt hat, wie oft der performative Widerspruch bei Philosophen wie Kant oder Spinoza vorzufinden war. Wie er sagt, ist "ihr Sagen nicht in Eintracht mit ihrem Tun" oder propositio facto contraria. Um diese Art Widerspruch, wie sie Fichte bei Kant vorfindet, zu veranschaulichen, kann man sagen, dass Kant die Gültigkeit als « Anschauung + Konzept » definiert, doch ist diese Definition selbst nicht die Assoziation eines Konzeptes mit einer Anschauung und ist deswegen nicht gültig! Es gibt einen Hiatus, einen Widerspruch, da Kant bei seiner Definition der Gültigkeit beansprucht, dass diese Wahrheit gültig ist, doch lässt sich diese Definition der Gültigkeit nicht auf sich selbst anwenden. Dieser Satz ist nicht « selbstreferenziell », wie er es sein sollte. Diese wichtige Entdeckung Fichtes kann auf andere Philosophen als Kant und Spinoza angewendet werden. Fichte hat gezeigt, wie viele Philosophen dieser Art Widerspruch anheim fallen, und genau so wie Fichte Kant nach dem Status seines eigenen Diskurses fragt – zum Beispiel dessen Definition der Gültigkeit -, können wir anhand des Fichteschen Prinzips den Status des Diskurses Austins und allgemein der Pragmatik untersuchen. Dank Fichte können wir Austin die Frage stellen, ihn nach dem Status seines eigenen Diskurses fragen. Also denunziert die Philosophie der normalen Sprache, die Austin initiiert und auf die andere Denker wie Cavell heute zurückgreifen, die « essenzialisierenden », « verallgemeinernden » Vorstellungen der alten Philosophie. Es geht nicht mehr darum, nach der Essenz der Erscheinungen zu suchen, nicht einmal mehr nach ihren Möglichkeitsbedingungen, sondern nur noch darum, laut Austin, die Anwendung einer Äußerung je nach ihrem Kontext zu untersuchen; man muss also die Frage "was machen wir, wenn wir sagen, dass…" an Stelle der platonischen Frage "Ti esti ?", oder anstatt der transzendentalen Frage "unter welchen Bedingungen" stellen. Nun können wir diese Definition der Austinschen Philosophie anhand der Fichteschen Fragestellung des "Tun", oder genauer anhand der Frage aus dem Jahre 1804 : "was setzt Austin voraus, um das zu sagen, was er sagt" untersuchen. Wenden wir die Fichtesche Frage nach dem Status des Diskurses in ihrer ganzen Radikalität an, dann erscheint, ähnlich dem Totenkopf auf Holbeins Bild, eine propositio facto contraria. Außer, dass die Denunziation jeglicher Verallgemeinerung Gefahr läuft, ins Unendliche der Äußerungssituationen zurückzufallen, und in diesem Fall bestünde die Erforschung des Gebrauchs, wie sie Austin wünscht, in der Aufzählung aller idiomatischen Redewendungen, begegnen wir nämlich folgendem Widerspruch: Ist die Alltagssprache der einzige Vektor unserer Sätze (wie Cavell in der Folge Austins es behauptet), wie lässt sich die Möglichkeit der Analyse der Alltagssprache selbst erklären ? Vom Standpunkt des Ordinären aus betrachtet bleibt nämlich der Status der "Philosophie" oder der "Analyse" des Ordinären problematisch. Wie kann man verstehen, dass die Überlegungen Austins über die verschiedenen Gebrauche möglich sind, welche nicht der normalen Sprache, sondern deren Analyse angehören? Was ist die Wahrheit der Philosophie der normalen Sprache? Die Frage lautet ja hier: Kann man die Wahrheit als der normalen Sprache immanent ansehen, ohne dafür die Wahrheit dessen, was man über die normale Sprache sagt, zu hinterfragen? Wenn wir nicht wollen, dass die Philosophie der normalen Sprache in einem Selbstwiderspruch untergeht, der darin bestünde, gleichzeitig zu behaupten, die Analyse der normalen Sprache sei wahr und den Ort einer möglichen Wahrheit auf die normale Sprache reduzieren zu wollen, so müssen wir Austin und Cavell fragen, worin ihre Praxis der Analyse der normalen Sprache pragmatisch besteht. Folglich können Austin und Cavell als Theoretiker der normalen Sprache - selbst wenn beide die Benennung "Philosophen" ablehnen - der Frage nach dem Status ihrer Analysen nicht entgehen. Gilt es also dann nicht diesen Gebrauch zu hinterfragen, sprich den philosophischen Gebrauch der Sprache, anstatt dessen Relevanz widersprüchlich abzustreiten? Die Kategorien « performativ » und « verdiktiv » gehören nicht der Alltagssprache an und sind für den Neophyten genauso unklar wie die Fichteschen Kategorien der Tathandlung, der Leistung, des Tuns und des Sagens. Wie kann man sie klassifizieren, wenn man zugleich die Irrelevanz oder Schädlichkeit einer Sprache, die nicht die Alltagssprache ist, immer weiter unterstreicht? Wie lässt sich erklären, dass die Rückkehr zum Normalen die Anwendung einer nicht alltäglichen Sprache voraussetzt – wie die Praxis Austins es selbst beweist – ? Und wirft diese Praxis nicht, in fine, die Frage nach der philosophischen Sprache auf, nach deren Anwendungen, nach deren eigenen Regeln? Die Untersuchung der Alltagssprache oder « linguistische Phänomenologie » muss sich, in ihrer Anmaßung, etwas sagen zu wollen, auch selber als Analyse betrachten, sonst geht sie in der Selbstwiderlegung unter, genauso wie der radikale Skeptizismus. Also ist die Lektüre Austins anhand eines Fichteschen Satzes möglich und fruchtbar. Dank Fichte entsteht eine Dimension, die ohne ihn womöglich unsichtbar bliebe: die Frage nach dem Status des Diskurses des Philosophen, verstanden als Kongruenz zwischen Tun und Sagen, Aussage und Äußerung, zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was – laut der Formulierung aus dem Jahre 1804 – vorausgesetzt wird, damit das Gesagte gesagt werden kann. Zum Schluss haben wir also festgestellt, dass es möglich war, einen Dialog zwischen zwei scheinbar entgegengesetzten Traditionen herzustellen. Wir haben zuerst gezeigt, dass trotz ihrer scheinbaren Distanz Austin und Fichte eine ähnliche Grundthese gemeinsam hatten: Denken heißt Handeln. Bei Fichte wie bei Austin wird die Handlung aus dem Bereich herausgeholt, in dem sie gemeinhin eingesperrt war, um zu einem epistemischen Prinzip, zur Grundlage jeglichen Wissens zu werden. Wir haben gezeigt, inwiefern Fichte anhand der perfomativen Äußerung gelesen werden konnte und wie sehr diese Lektüre einen wesentlichen Aspekt seiner Philosophie enthüllte. Dafür konnten wir zeigen, inwiefern Austin selber anhand Fichtes Entdeckung erhellt werden konnte: anhand des Identitätsgesetzes als Gesetz der Übereinstimmung zwischen Sagen und Tun. So sehen wir also, dass es einen Überweg gibt, dass eine Brücke zwischen analytischer und kontinentaler Tradition geschlagen werden kann, und dies dank deren kontinentalster Dimension, nämlich der des deutschen Idealismus. Es existiert also eine Brücke zwischen Oxford und Jena und diese Brücke kann geschlagen werden, ohne dass der eigentliche Sinn jedes untersuchten Textes verraten beziehungsweise verstümmelt wird. Fichte geht tatsächlich auf die Frage des Tun und Sagen ein und Austins Begriffe machen es möglich, einen der fruchtbarsten Aspekte seiner Philosophie an den Tag zu legen. Gleichzeitig ist die Frage nach dem Status der Analyse Austins eine relevante Frage und das Prinzip Fichtes macht es uns möglich, diese Frage nach dem Status des Denkens in der analytischen Philosophie aufzuwerfen. Wir haben Fichte unter dem Gesichtspunkt Austins betrachtet und Austin unter dem Gesichtspunkt Fichtes, und dank dieses Perspektivenwechsels werden neue Konstellationen sichtbar, ähnlich wie der Perspektivenwechsel in Holbeins Bild eine neue Bedeutung enthüllt. Also konnten wir trotz der scheinbaren Opposition zwischen den Traditionen die Möglichkeit einer Überbrückung ausfindig machen, die Möglichkeit einer Brücke zwischen beiden Traditionen, denn es ist dieser Durchgang, wie W. Benjamin es wollte wo das Denken, der Gedanke entsteht.