V100201 Statistik des Uranzerfalls 10.2.1 Statistik des Uranzerfalls ****** 1 Motivation Der radioaktive Zerfall von Uran wird mit einem Lautsprecher hörbar gemacht. Dies macht deutlich, dass der Zeitpunkt eines Zerfalls nicht vorherbestimmt ist, sondern nur durch ein statistisches Zerfallsgesetz beschrieben werden kann. 2 Experiment Abbildung 1: Versuchsanordnung zur Statistik des Uranzerfalls“ ” 2.1 Experimenteller Aufbau Die Versuchsanordnung ist in Abb. 1 zu sehen. Ein Stück Uranerz wird in die Nähe eines GeigerMüller-Zählrohrs gebracht. Die vom Zählrohr ausgehenden elektronischen Impulse werden auf ein en Philips-Scaler gegeben, welcher die einzelnen Zerfallssignale in fünf nebeneinander angebrachten Dekadenzählern anzeigt: Der ganz rechts stehende Dekadenzähler zählt die einzelnen Impulse und gibt beim erreichen von zehn Impulsen einen Impuls an den von ihm linksstehenden Zähler weiter, so dass damit insgesamt eine fünfstellige Dezimalzahl angezeigt wird. Der Ausgang des Philips-Scalers kann bei hohen Zählraten untersetzt werden, diese untersetzten Signale werden auf einen Scaler MFZG gegeben, welcher die Ereignisse mit Ziffern anzeigt, und bei dem man eine Messzeit einstellen kann. Dasselbe Signal wird auf eine sogenannte Knatterbox gegeben, die bei jedem Signal ein knatterndes Geräusch von sich gibt. 2.2 Einstellen der Betriebsspannung Mit einer scheibenförmigen 137 Cs-Eichquelle kann die Einstellung geprüft werden: Man bringt die Eichquelle auf ca. 10 cm Abstand vom Zählrohr und sollte dann ein heftiges Knattern hören. Falls kein Knattern hörbar wäre, sollte man die Quelle entfernen und die Hochspannung des Zählrohrs langsam erhöhen, bis eine Rate von ca. 5 s−1 erreicht ist. Physikdepartement ETH Zürich 1 V100201 Statistik des Uranzerfalls Falls dies nicht funktioniert, sollte man die Hochspannung wieder herunterfahren, eventuell unter den Anfangswert. Im Zweifelsfall sollte ein anderes Zählrohr verwendet werden. 2.3 Messung • Zuerst sollte man ohne Untersetzung der Rate messen (Ausgang an blauer Succobox). • Danach das Erz näher an das Zählrohr stellen und Anschluss am Drehschalter verwenden. • Untersetzung am Drehschalter wählen: Das Knattern wird regelmässiger bei stärkerer Untersetzung. • Messzeit ∆t = 10 s wählen. Zum Zurücksetzen der Anzeige Knopf 0“ drücken, neue ” Messung mit Knopf 1“ starten. ” • Bei konstanten Messbedingungen mehrfach messen und eine Häufigkeitsverteilung der dabei erzielten Messwerte erstellen (Poissonverteilung). 3 Theorie 3.1 Zerfallsgesetz Der Zerfall eines Teilchens gehorcht einem exponentiellen Zerfallsgesetz. Die Anzahl Zerfälle dN in einem Teilchenensemble mit N = N (t) während der Zeit dt ist proportional zur Anzahl N der Teilchen, die noch nicht zerfallen sind: ⇒ dN = −λN dt (1) −λt (2) N (t) = N0 e Dabei bedeuten λ die Zerfallskonstante und N0 die Anzahl Teilchen zur Zeit t = 0. Die mittlere Lebensdauer τ , die im Allgemeinen in der Teilchenphysik verwendet wird, beträgt τ= 1 λ (3) In der Kernphysik ist es dagegen üblich, die Halbwertszeit τ1/2 zu verwenden: τ1/2 = ln 2 = τ ln 2 λ (4) 3.2 Binomialverteilung Ein Versuch bestehe aus der einfachen Zerlegung E = A + Ā (5) und P (Ā) = 1 − p = q (6) mit den Wahrscheinlichkeiten P (A) = p In unserem Fall bedeutet A, dass ein Zerfall eintritt und Ā das Gegenteil dazu. Physikdepartement ETH Zürich 2 Physik II, Prof. W. Fetscher, FS 2008 1 V100201 300 103 Wpn (k) 150 Statistik des Uranzerfalls 103 Wpn (k) n = 10 p = 0,4 n = 30 p = 0,4 200 100 100 50 0 0 5 k 0 10 0 5 10 15 20 25 k 30 Abbildung6.1: 2: Binomialverteilung. Abbildung Binomialverteilung. Das Zeitintervall, während dessen gemessen wird, muss so klein sein, dass die Wahrscheinlichkeit für mehr als einen Zerfall vernachlässigbar klein ist. Es werden nun n unabhängige Versuche durchgeführt. Durchschnittlich tritt dabei das Ereignis A µ = pn ∈ R mal ein. Damit ist die Wahrscheinlichkeit p, dass A eintritt, gegeben durch: 0≤p= µ <1 n (7) Bei einer Wiederholung dieses Experiments werden k Zerfälle gemessen. Gesucht ist damit die Wahrscheinlichkeitsdichte Wpn (k)1 , dass bei n Versuchen A genau k mal eintritt. Dazu nehmen wir zunächst an, dass genau bei den ersten k Versuchen A eintritt und bei den restlichen Versuchen Ā. Die Wahrscheinlichkeit P dafür ist P = k Y i=1 pi n Y (1 − p)j = pk (1 − p)n−k (8) j=k+1 Nun gibt es nk verschiedene Kombinationen, bei denen genau k mal der Wert A eintritt. Damit erhalten wir für die gesuchte Wahrscheinlichkeit die Binomialverteilung: n k n Wp (k) = p (1 − p)n−k (9) k bzw. Wµn (k) n µ k µ n−k = 1− k n n Abb. 2 zeigt zwei Binomialverteilungen mit p = 0,4 und n = 10 bzw. n = 30. Physikdepartement ETH Zürich 1 Man beachte, dass µ eine beliebige positive reelle Zahl ist, k dagegen eine natürliche Zahl sein muss! 3 (10) Physik II, Prof. W. Fetscher, FS 2008 1 V100201 103 P (k, λ) Statistik des Uranzerfalls 103 P (k, λ) 200 λ = 4,0 100 λ = 12,0 100 50 0 0 5 k 10 0 0 5 10 15 20 25 k 30 Abbildung6.1: 3: Poissonverteilung. Abbildung Poissonverteilung. 3.3 Poissonverteilung Wir verwenden nun von die soeben gefundene Binomialverteilung, um die Häufigkeitsverteilung der Zerfälle in einem vorgegeben, beliebig langen, Zeitintervall ∆t zu berechnen. Da die Zeit eine kontinuierliche Variable ist, werden wir den Grenzübergang n → ∞ durchführen, verlangen dabei aber, dass gleichzeitig p → 0 geht derart, dass der Erwartungswert µ = np konstant bleibt. Wµn (k) µ k n µ n−k = 1− k n n k n! µ µ n µ −k = · k · 1− · 1− k!(n − k)! n n n k (n − k + 1) µ µ −k n (n − 1) = · ··· · · 1− n n n k! | {zn } | {z } →1 →1 µ n · 1− (n → ∞) | {zn } (11) (12) (13) →e−µ Dies ist die gesuchte Poissonverteilung: P (k, µ) = µk −µ ·e k! Abb. 3 zeigt zwei Poissonverteilungen mit µ = 4,0 bzw. µ = 12,0. Physikdepartement ETH Zürich 4 (14) V100201 Statistik des Uranzerfalls Man beachte den wichtigen Unterschied zwischen Binomial- und Poissonverteilung: Bei der Binomialverteilung kann k nur einen Wert aus dem Bereich [0, . . . , n] annehmen, während der Definitionsbereich bei der Poissonverteilung [0, . . . , ∞) ist. Beiden Verteilungen gemeinsam ist, dass sie Wahrscheinlichkeitsdichten darstellen, wie man leicht beim Betrachten der Abbn. 2 und 3 einsehen kann. Bei jedem Wert von k wird die Wahrscheinlichkeit durch die farbig markierte Fläche dargestellt, die ein Produkt der Abszissen- mit der Ordinatenbreite ist. 3.4 Momente der Poissonverteilung Die Poissonverteilung ist auf 1 normiert: ∞ X ∞ X µk P (k, µ) = k=0 k=0 −µ =e k! · e−µ ∞ X µk k! k=0 −µ µ =e ∞ X e =1 P (k, µ) = 1 (15) k=0 Der Erwartungswert E(k) ist gleich E(k) = ∞ X k=0 = ∞ µk −µ X µk −µ ·e = k ·e k· k! k! k=1 ∞ X µ · µk−1 j=1 (k − 1)! ⇒ −µ ·e =µ ∞ X µj j=0 j! · e−µ (16) E(k) = µ Der Erwartungswert E(k 2 ) berechnet sich entsprechend: 2 ∞ X ∞ X µk−1 · e−µ k! (k − 1)! k=1 k=1 ∞ ∞ j j X X µ µ =µ (j + 1) · e−µ = µ j · e−µ + 1 j! j! E(k ) = k k 2µ −µ ·e =µ j=0 k· j=0 ⇒ E(k 2 ) = µ(µ + 1) Mit den Gln. (16) und (17) lässt sich die Varianz der Verteilung berechnen: σ 2 (k) = E(k 2 ) − E(k)2 = µ(µ + 1) − µ2 Physikdepartement ETH Zürich 5 (17) V100201 Statistik des Uranzerfalls ⇒ σ 2 (k) = µ (18) Zuletzt berechnen wir noch die Schiefe der Verteilung: µ3 = E (k − E(k))3 = µ Die Schiefe ist damit gleich ⇒ γ= µ3 µ = 3/2 = µ−1/2 3 σ µ Die Poissonverteilung wird demnach umso symmetrischer, je grösser µ ist. √ Für genügend grosse µ kann man also µ als Messfehler annehmen. Physikdepartement ETH Zürich 6 (19)