Europäisches Umweltrecht Vorlesung Besondere Bereiche des Europarechts Universität Trier, Fachbereich V Sommersemester 2010 Ass. jur. Jens Hamer Maître en droit européen Référendaire Kabinett Prof. Dr. Valerius M. Ciucă Gericht der Europäischen Union A. Die Entwicklung des Europäischen Umweltrechts Phase 1: 1957 bis 1972 – Keine umweltbezogenen Vorschriften in den Römer Verträgen – Geringes Umweltbewusstsein, aber Zunahme von Umweltbelastungen Phase 2: 1972 bis 1987 – – – – 1. UN Umweltkonferenz Pariser „Gipfel“ 1. Umweltaktionsprogramm Zunehmende Umweltgesetzgebung über Art. 100 und 235 EWGV – Ziel: der Gemeinsame Markt A. Die Entwicklung des Europäischen Umweltrechts Phase 3: 1987 bis 1993 – Einheitliche Europäische Akte – Schaffung von Umweltschutzkompetenzen in den Art. 130r,t,s und 100a Abs. 3 und 4 EWGV – Bestätigung der EuGH Rechtsprechung Phase 4: 1993 bis 1999 – – – – Maastrichter Vertrag über die Europäische Union Umweltbezug in den Leitartikeln 2 und 3 EGV Eigener Titel „Umwelt“ im EGV Umweltgesetzgebung danach im “Mitentscheidungsverfahren“ A. Die Entwicklung des Europäischen Umweltrechts Phase 5: 1999 bis 2007 – – – – – – Amsterdamer Vertrag Änderung in Art. 2 EGV Einbeziehung von Nachhaltigkeit „Beförderung“ des Integrationsprinzips Harmonisierungsabweichung in Art. 95 EG Mitentscheidungsverfahren als Standard im Umweltbereich (Art. 175 Abs. 1 und 252 EG) – Vertrag von Nizza; keine Bedeutung für Umweltkompetenz – Grundrechtscharta: Art. 37 A. Die Entwicklung des Europäischen Umweltrechts Phase 6: 2007 bis heute – – – – – – – – – – Vertrag von Lissabon Charta der GR erhält Rechtsverbindlichkeit Art. 37 als staatszielartige Bestimmung und rein objektiv-rechtliche Wdh. der Art. 6 und 174 EG Änderung in Art. 3 EUV Umwelt als geteilte Kompetenz in Art. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 e) AEUV Keine Änderungen in Art. 11 AEUV Klimawandel in Art. 191 AEUV eingefügt Änderungen in Art. 192 AEUV (ex-Art. 175 EG) Eigener Titel für die Energie (Art. 194 AEUV) Art. 260 AEUV B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge Art. 3 EUV: Aufgaben der EG Art. 4 Abs. 2 e) AEUV: EU Umweltrecht Art. 5 EUV: Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsprinzip Art. 11 AEUV: Integrationsklausel Art. 191 – 194 AEUV: Titel XX: „Umwelt“ B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 3 EUV Hohes Maß an Umweltschutz und an Verbesserung der Qualität der Umwelt Nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens An der Spitze der vertragsprägenden allgemeinen Grundsätze (EuGH Rs. 167/73) Rechtsverbindliches Gebot B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 3 EUV 1957: Art. 2 EWGV erwähnt Umwelt nicht, aber Auslegung 1992 (Maastricht): beständiges und umweltverträgliches Wachstum 1997 (Amsterdam): – Umweltschutz als eigenständiges Ziel – Nachhaltigkeit neu eingeführt 2009 (Lissabon): aktueller Wortlaut des Art. 3 EUV B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 3 EUV Doppelte Bedeutung: – Umweltziel stärkt Bedeutung der Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe; Konkretisierung in Art. 191 AEUV – Nachhaltige Entwicklung betont Umweltschutz als notwendige Komponente der Entwicklung Europas B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art.4 konkretisiert u.a die Aufgaben des Art. 3 EUV Grds. eingeführt durch Vertrag von Maastricht Umweltschutz Gegenstand einer gleichberechtigten, kohärenten Politik Jetzt Recht! Fällt in den Rahmen der geteilten Zuständigkeit Inhaltliche Ausgestaltung durch Art. 191 AEUV B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 5 EUV enthält drei Prinzipen mit umweltrechtlicher Relevanz: – Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Abs. 1 und 2) – Subsidiaritätsprinzip (Abs. 3) – Verhältnismäßigkeitsprinzip (Abs. 4) B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 5 EUV Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung – Relevant für die Ermächtigungsgrundlage – Keine Kompetenz-Kompetenz der EG – Relevant für die Art des Entscheidungsverfahren (hängt laut EuGH vom Hauptziel der Maßnahme ab) – Relevant für nationale Abweichungen B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 5 EUV Subsidiaritätsprinzip – – – – – entwickelt aus Art. 130r Abs. 4 EWGV a.F. Umwelt ist geteilte Zuständigkeit EU muss Art. 5 Abs. 3 EUV beachten Doppelte Voraussetzung Protokoll über Anwendung zum Amsterdamer Vertrag – Vor allem politische Bedeutung – Protokoll Nr. 2 zum EUV und AEUV B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 5 EUV Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Protokoll über Anwendung zum Amsterdamer Vertrag – EG Maßnahmen müssen auf ein Minimum reduziert sein und verhältnismäßig zur geplanten Aufgabe sein – großmöglichster Raum für nationale Entscheidungen – EuGH Anwendung – Protokoll Nr. 2 zum EUV und AEUV B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 11 EUV Zahlreiche Änderungen Urfassung durch EEA: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken der EG“ (Art. 130r Abs. 2 S. 2 EWGV a.F.) Erste Überarbeitung durch Vertrag von Maastricht: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden.“ (Art. 130r Abs. 2 S.3 EGV) Aktuelle Fassung (Lissabon) durch Amsterdam eingefügt Exponierte Stellung? Durch Lissabon verloren! B. Umwelt in den Prinzipien der Unionsverträge: Art. 11 EUV Änderungen sollten der Stärkung des Umweltschutzes dienen Erfordernisse des Umweltschutz nicht definiert, aber ergeben sich aus Art. 191 Abs. 2 und 3 AEUV Sind laut EuGH bei Gesetzgebung und Durchführung der Umweltpolitik zu beachten Einbeziehung (Politiken) über Art. 2 – 6 AEUV in alle dort genannten Bereiche Maßnahmen im Rahmen der Art. 288 ff. AEUV Insbes. zur Förderung nachhaltiger Entwicklung Bsp. aus EuGH-Rspr.: Rs. C-513/99 Concordia Bus Finland C. Umwelt und freier Warenverkehr Mehrfache Berührung Anwendungsbereich des freien Warenverkehrs: – Abfall als Ware iSd Art. 34 AEUV: Rs. C-2/90, Wallonische Abfälle – Dassonville-Formel; Rs. C-125/88, Rs. C-169/89 Ausnahmen nach Art. 36 AEUV: – Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen, nicht andere Aspekte des Umweltschutzes – Beachte Beweislast nach dem Vorsorgeprinzip! C. Umwelt und freier Warenverkehr Umweltschutz als zwingendes Erfordernis iSd Cassis-Rspr.: – Rs. 240/83, ABDHU – Rs. 302/86, Dänische Pfandflaschen – Rs. C-284/95, Safety Hi Tech – Rs. C-379/98, PreussenElektra – Rs. C-463/01 und C-309/02, deutsches Dosenpfand Grds. der Verhältnismäßigkeit D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 durch EEA eingeführt keine wesentlichen Änderungen durch Maastricht, Amsterdam und Nizza Lissabon fügt Bekämpfung des Klimawandels hinzu allgemein formulierte Ziele Begriff der Umwelt: Art. 3 UVP-RL – Mensch, Fauna und Flora – Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft – Sachgüter und kulturelles Erbe Siehe auch Art. 2 Nr. 1 Umwelthaftungs-RL entwicklungsoffener Begriff D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität – Bewahrung des status quo – Ausschluss einer Verschlechterung des Umweltschutzes – Z.B. Hochwasserschutz, Festlegung von Grenzwerten für Schadstoffemissionen – Verbesserung = zukunftsorientiert D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 Schutz der menschlichen Gesundheit – weiteres Ziel – In Ergänzung zu Art. 168 AEUV, der lex specialis ist – Begriff umfasst alle seelischen und körperlichen Lebensvorgänge (WHO) – Hervorhebung – Betrifft insbes. Verunreinigungen von Luft, Wasser und Boden D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 Umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen – Schon im 1. Ziel enthalten – besondere Hervorhebung des Ressourcenschutzes – Umfasst alle natürlichen Ressourcen, ob regenerierbar oder nicht – Verantwortungsvolle und schonende Nutzung D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme – Auch im 1. Ziel enthalten, aber bes. Hervorhebung – Eigener Anspruch mit hoher Praxisrelevanz – Int. Abkommen wie Cartagena-Protokoll D. Ziele des EU Umweltrechts: Art. 191 Abs. 1 Bekämpfung des Klimawandels – Eingefügt durch Lissabonner Vertrag – Spezifizierung des vorangegangenen Ziels – UNFCC – Kioto-Protokoll – RL 2003/87 über Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Geändert durch RL 2009/29 – C-127/07 Arcelor; T-16/04 Arcelor E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Entwicklung – – – Aus dem 1. UAP Art. 130r nach der EEA Vorsorgeprinzip durch Maastrichter Vertrag Bedeutung – Konkretisierung der Art. 3 EUV sowie 4 und 11 AEUV – Erfordernisse des Umweltschutzes, die nach Art. 11 AEUV für das gesamte Gemeinschaftshandeln von Relevanz sind E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Grundsatz der Vorbeugung – Aus 1. UAP entwickelt – Teilweise Deckungsgleich mit Vorsorgeprinzip (Vorstufe) – Vorrangige Vermeidung von Umweltschäden – Sinnbild präventiver Umweltpolitik – Auch wirtschaftlich sinnvoll – Bsp. UVP, Umwelthaftung E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Vorsorgeprinzip – Durch Maastrichter Vertrag eingeführt – Vermeidung von Umweltschäden – Nicht nur Gefahrenabwehr, sondern Risikovermeidung – Schutzmassnahmen ohne wissenschaftlichen Nachweis – Frühest möglicher Zeitpunkt zur Risikoverhinderung – Auch ohne Kausalitätsnachweis E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 Vorsorgeprinzip – Mitteilung der Kommission: KOM (2000) 1 endg. – EuGH Rs. C-355/90, Santona – EuGH Rs. C-355/90, C-157/96, C-180/96, BSE Fälle, auch T-199/96 – EuG Rs. T-13/99, Pfizer, und T-70/99, Alpharma – Und EuGH Rs. C-378, 379 und 380/08 ERG u.a. E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Ursprungsprinzip – neue Formulierung durch Maastricht – Ergänzt Vorbeuge- und Vorsorgeprinzip – Verhinderung der Verlagerung von Umweltbeeinträchtigungen – Präferenz für Emissionsstandards – EuGH Rs. C-2/90, Wallonische Abfälle: Abfallentsorgung so nah wie möglich am Ort des Entstehens E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Verursacherprinzip – Aus 1. UAP – „polluter pays principle“ – Verursacher trägt Kosten der Vermeidung und Beseitigung von Umweltschäden – Repressive und präventive Wirkung – Bedeutsam für Umweltschutzbeihilfen – Bsp. Umwelthaftungs-RL – Bsp. Rspr.: EuGH verb. Rs. C-34/01 – C38/01, Gemo E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Hohes Schutzniveau – EG Umweltpolitik stellt auf hohes Schutzniveau ab – Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen – Schon in Art. 3 EUV – Nicht gleich höchst mögliches Niveau – Gilt auch für Legislativfunktion (Rat, EP) – Nichtigkeitsklage möglich? – Bsp. IVU-RL (RL 96/61) mit ausdrücklicher Berücksichtigung E. Gestaltungsprinzipien: Art. 191 Abs.2 AEUV Schutzklausel – Gem. Art. 174 Abs. 2 UA 2 RG – Ermächtigung der MS für vorläufige Umweltschutzmassnahmen – Aber keine echter Grundsatz – Bsp. Art 11 Abs. 1 RL 91/414 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln For further information on EEL: European Environmental Law Homepage www.eel.nl Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!