Art. 101 Abs. 1 AEUV - jura.uni

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Was ist eine Wettbewerbsbeschränkung?
Tauchurlaub mit Tigerhaien bei Tigerbeach (Bahamas) für
$ 5.000
Käme ein solches Angebot in einer Planwirtschaft wie in
Nordkorea zustande?
1
Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (v. Hayek)
1. Auf dem Markt erforscht die Anbieterseite, welche Angebote auf Interesse bei der Nachfrageseite treffen.
2. Es folgen Fehlversuche, verbunden mit Anpassungsschwierigkeiten und Entwicklungsphasen.
3. Nach einer gewissen Konsoldierungsphase stellt sich
ein Marktergebnis ein. Bsp.: Eine Woche Tiger Beach
für $ 5.000 trifft auf Nachfrage.
Damit verbinden sich folgende Konsequenzen:
1. Das Marktergebnis (und als Teil desselben insbesondere
der Preis) wirkt wie ein Index, in den eine Vielzahl komplexer Informationen eingeht.
2. Dadurch dass das Angebot auf eine Nachfrage trifft, entsteht ökonomisch ein Wert (Wertschöpfung).
3. Mit der Wertschöpfung verbinden sich Wohlfahrtseffekte, dh. willkommene ökonomische Folgen (zB. das Entstehen von Arbeitsplätzen).
2
Wohlfahrtseffekte
Begriff: Marktergebnisse, die aus unterschiedlicher Betrachtungsweise (wettbewerblicher wie wirtschaftspolitischer) positiv erscheinen. Wohlfahrtseffekte des Wettbewerbs:
1. Einsatz der stets knappen volkswirtschaftlichen Ressourcen dort, wo sie am meisten benötigt werden: Durch die
Höhe des Preises signalisiert die Nachfrageseite, welchem
Verwendungszweck sie den Vorzug gibt. Die Angebotsseite
lenkt den Einsatz der Ressourcen gerade auf diesen Zweck
hin, weil dort der höchste Preis geboten wird (Preis als Indikator für eine optimale Ressourcenlenkung).
2. Dadurch dass die Nachfrager befriedigt werden, die den
höchsten Preis anbieten, sorgt der Wettbewerb dafür, dass für
die Ressourcen zur größtmöglichen Wertschöpfung eingesetzt werden.
3. Gleichzeitig sorgt die Konkurrenz der Anbieter dafür, dass
für die Nachfrageseite Wahlmöglichkeiten bestehen und keine
zu hohen Preise gezahlt werden müssen (Preisdruck im
Wettbewerb).
3
Wie kommt es zu Wertschöpfungsprozessen?
2 klassische Theorien:
1. Adam Smith: durch die Freiheit des Wettbewerbs. Sind die
Akteure im Wettbewerb frei in ihrem Verhalten, werden Sie
stets die Investitionsmöglichkeit suchen, die ihnen den größten
Profit bringt. Dabei erforschen sie, welche Investitionswünsche auf der Nachfrageseite bestehen.
2. Joseph Schumpeter (dynamische Theorie). Wachstum entsteht durch Innovation. Diese schafft neue Märkte und damit
eine Vermehrung des Wohlstands. Weil die Ressourcen einer
Volkswirtschaft stets begrenzt sind, müssen überlebte wirtschaftliche Institute häufig zerstört werden, damit Ressourcen
für Innovation wieder freigesetzt werden (schöpferische Zerstörung).
4
Die Aufgabe des Kartellrechts
Ausgangspunkt: Die Freiheit des Wettbewerbs ist zentrale
Grundlage des Wertschöpfungsprozesses.
Systemimmanente Pervertierung des Freiheitsgedankens:
Häufig versuchen die am Wertschöpfungsprozess Beteiligten,
die selbst von der Wettbewerbsfreiheit profitierten, diese
nachträglich zum eigenen Vorteil einzuschränken; Beispiele:
- Durch Preisabsprachen aller Anbieter sollen hohe Preise
am Markt und damit hohe Einnahmen garantiert werden.
- Durch Absprachen zwischen den Unternehmern sollen
Newcomer und neue Unternehmen vom Markt ferngehalten werden.
Das Kartellrecht, vor allem Art. 101 AEUV, sichert den Erhalt der Wettbewerbsfreiheit und die Offenhaltung der
Märkte ab.
5
Art. 101 Abs. 1 AEUV
- Aufbau 1. Verbotene Kooperationsform
a) Vereinbarung zwischen Unternehmen (funktionaler
Unternehmensbegriff),
b) abgestimmte Verhaltensweise zwischen Unternehmen
oder
c) Beschluss einer Unternehmensvereinigung.
2. Wettbewerbsbeschränkung
a) Bestimmung des betroffenen Marktes
b) Konzertierung auf diesem Markt
c) Konzertierung = Wettbewerbsbeschränkung?
3. Bezwecken oder Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung durch verbotene Kooperationsform
4. Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels
5. Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkungen
6
Zwecke der Artt. 101 ff. AEUV
Art. 32 lit. b AEUV: Zu den zentralen Bedingungen des
Gemeinschaftsrecht zählt die Entwicklung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Union,
soweit diese Entwicklung zu einer Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen führt.
Abschwächung gegenüber dem ehemaligen Art. 3 lit. f EG
a.F. (System unverfälschten Wettbewerbs)
! Wird einerseits gewährleistet durch die Artt. 34, 35
AEUG (Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung
wie mengenmäßige Beschränkungen (Cassis de Dijon,
Keck)).
! Über Artt. 101 ff. muss verhindert werden, dass Wettbewerber Schranken errichten, die denen der Artt. 34, 35
AEUV vergleichbar sind.
! Bedeutung der Artt. 101 ff. für die Integration des Gemeinsamen Marktes >< gelegentlich Spannungsverhältnis zur Wettbewerbsfreiheit.
7
Unternehmensbegriff
Grundsatz: jede Einrichtung, die eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform und
der Art der Finanzierung (beachte: EuGH WuW 2007, 407,
RdNr. 26-Fenin).
" Jedes Unternehmen soll daher eigenständig auf dem
Markt agieren und nicht in Absprache mit anderen
(Selbständigkeitspostulat)
Wegen des Merkmals der Selbständigkeit keine Anwendung auf
(1)
hoheitliches Wirken des Staates (vgl. aber
Art. 106 AEUV),
(2)
privaten Konsum und
(3)
Arbeitsmarkt und
(4)
Sozialversicherung.
Unmaßgeblich für den Unternehmensbegriff sind:
(1) Gewinnerzielungsabsicht,
(2) Umfang der Tätigkeit und
(3) Art der Finanzierung, freier Beruf oder Gewerbe.
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Konzernproblematik (1)
Problem: Ein Konzern entsteht (vgl. beispielhaft: §§ 17 f.
AktG), wenn ein Unternehmen die Stimmrechtsmehrheit
bei einem anderen Unternehmen hält. Das abhängige Unternehmen behält zwar seine rechtliche Selbständigkeit,
wird aber wirtschaftlich abhängig. Das herrschende Unternehmen leitet in einem solchen Fall einen Verbund aus
mehreren rechtlich selbständigen Unternehmen.
Für das Kartellrecht ergeben sich daraus folgende Fragen:
1. Kann das abhängige Unternehmen für einen Kartellrechtsverstoß belangt werden, da es doch gar nicht autonom iSd. Selbstständigkeitspostulats entscheidet?
2. Kann das herrschende Unternehmen kumulativ zum abhängigen Unternehmen Adressat des Bußgeldes werden?
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Konzernproblematik (2)
Vgl. etwa: EuG, WuW 2012, 301- Spanisches Rohtabakkartell und EuGH WuW 2013, 903 – Versalis
1. Das abhängige Unternehmen muss herangezogen werden können, damit das herrschende Unternehmen den
Kartellverstoß nicht gesellschaftsrechtlich so organisieren kann, dass es die wirtschaftliche Last eines Bußgeldes nicht trifft. Andernfalls könnte ein SPP (Special Purpose Vehicle) mit geringer Kapitalausstattung zur Begehung des Kartellverstoßes gegründet werden.
2. Dem herrschenden Unternehmen ist der Kartellverstoß
zurechenbar, wenn es mit dem abhängigen eine wirtschaftliche Einheit bilden.
a) Dies wird vermutet, wenn das herrschende U eine
hunderprozentige Beteiligung am abhängigen hält.
b) In allen übrigen Fällen muss die Kommission nachweisen, dass das abhängige Unternehmen keine eigenständige Geschäftspolitik gegenüber dem herrschenden Unternehmen betreibt.
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Vereinbarungen iSd. Art. 101 Abs. 1 AEUV
Definition: Eine Vereinbarung iSd. Art. 101 Abs. 1 AEUV
liegt vor, wenn „die fraglichen Unternehmen ihren gemeinsamen Willen, sich auf eine bestimmte Weise auf dem
Markt zu verhalten, zum Ausdruck gebracht haben.“ (EuGH
WuW 2005, 1311, RdNr. 118 (Eu-R 967-976 – Luxemburgische Brauereien).
Entscheidend ist das Zustandekommen eines tatsächlichen
Konsenses (EuGH aaO RdNr. 119).
Beachte:
Es kommt allein auf eine Konzertierung (ein Parallellaufen
von unternehmerischen Entscheidungen) an, nicht auf die
zivilrechtliche Wirksamkeit.
Grund: Die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßende
Vereinbarung ist nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig!
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Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (1)
Normzweck:
1.
Echte Vereinbarungen sind in der Praxis oft schwer
zu beweisen, weil es an schriftlichen Unterlagen fehlt.
Häufig erlauben aber äußere Indizien einen Rückschluss
darauf, dass die Beteiligten eine Konzertierung vorgenommen haben, die einer echten Vereinbarung gleichkommt.
2.
Entsprechend der Zwecksetzung des Art. 101 AEUV
kommt es nicht darauf an, mit welchen Mitteln die Parteien ihr gegenseitiges Verhalten gleichgeschaltet haben; es genügt, dass sie dies getan haben.
Ausgangspunkt:
(1) Die Marktbeteiligten müssen sich autonom verhalten
(Selbständigkeitspostulat).
(2) Ahmen sie das Verhalten der Konkurrenten nach (Parallelverhalten), gibt es dafür zwei Erklärungen:
a) Es liegt eine abgestimmte Verhaltensweise vor;
b) Die Marktteilnehmer haben sich autonom dafür entschieden, einander zu imitieren (erlaubtes Parallelverhalten).
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Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (2)
Nach Art. 2 Satz 1 VO Nr. 1/2001 muss die Kommission beweisen, dass das Parallelverhalten nicht auf einer autonomen
Entscheidung, sondern auf einer Fühlungnahme der Wettbewerber beruht.
Eine Fühlungnahme liegt vor, wenn die Beteiligten die Unsicherheiten einseitigen Wettbewerbsverhaltens auf dem
Markt durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen ausgeräumt haben (Verstoß gegen d. Selbständigkeitspostulat).
Indizien für eine Fühlungnahme:
(1) Längeres Parallelverhalten entgegen eigenen wirtschaftlichen Interessen;
(2) Teilnahme an einer Konferenz, auf der die Abstimmung
Tagesordnungspunkt war usw. (vgl. EuG, WuW 2010,709 –
BST/Kommission).
(3) Die bloße Teilnahme an einer Konferenz mit den Wettbewerbern genügt indes nicht, wenn nicht nachgewiesen werden
kann, dass der Kartellgegenstand auf der Tagesordnung stand
(EuGH WuW 2013, 662 – GEMA/Kommission).
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Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (3)
Beachte ferner den Wortlaut: „abgestimmte Verhaltensweise“
" Die Abstimmung (Fühlungnahme) muss kausal werden für eine Verhaltensweise.
Bei einem Marktinformationsverfahren, im Rahmen dessen
die Wettbewerber Informationen austauschen, wird die Kausalität vermutet.
Grund: Es spricht ein Erfahrungsaustausch dafür, dass die
Konkurrenten nur Informationen austauschen, die für sie
wichtig sind und die sie ihrem Marktverhalten zugrunde legen
(vgl. im Skript den Fall Asnef Equifax).
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Beschluss einer Unternehmensvereinigung (I)
Zweck des Tatbestandsmerkmals: Vermeidung von Umgehungen durch Zwischenschaltung eines gemeinsamen Dachverbandes der Kartellanten.
Beispiel: Wenn die Konkurrenten K1 und K2 keine Verereinbarung iSd. Art. 101 I AEUV treffen dürfen, muss verhindert
werden, dass sie einen Verein gründen und dieser ihnen durch
Beschluss die erwünschte konzertierte Verhaltensweise vorgeben kann.
Unterschied zur Vereinbarung: Die Willensbildung erfolgt
über einen Dachverband.
Aber Zweck des Merkmals: Auf der Wertungsebene Gleichbehandlung mit der „Vereinbarung“
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Beschluss einer Unternehmensvereinigung (II)
Praktische Anwendungsprobleme:
1. Es muss sich nicht um einen echten Beschluss iSd. § 32
Abs.
1
Satz
1
BGB
der
Gesellschafter-
/Mitgliederversammlung handeln. Auch ein Beschluss
des Vorstands oder der Geschäftsleistung reicht aus.
Grund: Auch dieser erlaubt eine Konzertierung.
2. Der Beschluss muss nicht rechtsgeschäftlich wirksam
sein, sondern nur praktisch ein konzertiertes Verhalten
ermöglichen. Gründe wie bei 1.
3. Der Beschluss ist dem Dachverband als verbotene Verhaltensweise zurechenbar, aber auch jedem Gesellschafter (auch dem überstimmten), der sich an ihn
hält.
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Bezwecken und Bewirken (1)
2 Zurechnungskriterien, aufgrund derer die Beteiligten der
verbotenen Kooperationsform für die Wettbewerbsbeschränkung verantwortlich sind. EuGH, 11.9.2014 – C-67/13- CB
Bezwecken: Vereinbarung ist ihrem Inhalt nach, aufgrund der
äußeren Begleitumstände usw. auf eine Wettbewerbsbeschränkung gerichtet (EuGH Rn. 53). Hier bedarf es keines
konkreten Nachweises der negativen Marktbeeinflussung.
"
typisch für Hardcore-Kartelle (Kartelle über Preis-
und Angebotsbedingungen sowie Kartelle über eine
Marktaufteilung).
Bewirkung = Auffangtatbestand. Bezwecken nicht vorhanden, aber dennoch können negative Folgen der verbotenen
Verhaltensweise auf dem Markt nachgewiesen werden.
Lehre vom neutralen Geschäft: Eine Verhaltensweise ist eigentlich nach Art. 101 I AEUV verboten. Doch führt sie zu
keiner Wettbewerbsbeschränkung, sondern zu einem Marktergebnis, das auch bei funktionierendem Wettbewerb einträte.
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Berührung des zwischenstaatlichen Handels
Doppelter Zweck:
1. Kollisionsnorm, die das europäische Kartellrecht vom nationalen Recht abgrenzt.
2. Erheblichkeitsschwelle für Kartellverstoß: Dieser ist nur
relevant, wenn er die die Integrationswirkung des gemeinsamen Marktes beeinträchtigt.
Leitentscheidung EuGH (Slg. 1966, 281, 303-Maschinenbau
Ulm) -> sehr weitgehendes Begriffsverständnis: Im Rahmen
einer Gesamtbetrachtung muss der Warenverkehr mittelbar
oder unmittelbar, tatsächlich oder potenziell in einer Weise
beeinträchtigt sein, die mit den Zielen eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes unvereinbar ist.
Beispiel: Auch ein Kartell sämtlicher Anbieter eines Mitgliedstaates hat zwischenstaatliche Bedeutung, weil dieses sich von
vornherein gegen Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten richtet.
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Spürbarkeit
Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das sich aus dem
Zweck des Kartellrechts ergibt: Der Schutz der Wettbewerbsfreiheit gebietet dort kein Eingreifen der Kartellbehörden, wo die Auswirkungen einer Verhaltensweise gar nicht im
Wettbewerb spürbar ist (de minimis nun curat procurator = um
Kleinigkeiten kümmert sich der Prokurater nicht).
De-minimis-Bekanntmachtung der Kommission:
a) Bei Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Konkurrenten
greift sie nur ein, wenn ein Marktanteil von 10 % betroffen ist.
b) Bei Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Nichtkonkurrenten nur, wenn der Marktanteil 15 % beträgt.
Beachte: Der EuGH ist an diese Bekanntmachung nicht gebunden und geht – abhängig von der Gefährlichkeit der Art
der Wettbewerbsbeschränkungen – bei wesentlich geringeren
Schwellen gegen die Beteiligten vor (Faustregel ab 5 %).
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Wettbewerbsbeschränkung
Vgl. EuGH WuW 2007, 539=Eu-R 1241.
Ausgangspunkt:
1.) Das Selbständigkeitspostulat, wonach „jeder Teilnehmer
selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt“ (RdNr. 52).
2) Einseitige Verhaltensweisen darf jeder Wettbewerber, solange an den Tag legen, wie sie nicht gegen Art. 102 AEUV
verstoßen. Sie sind ja gerade erwünscht und Ausdruck der
Selbstständigkeit.
Konsequenz:
Eine WB ist daher eine gegenseitige (wechselseitige) Beschränkung der Freiheit, die normalerweise aus dem Selbständigkeitspostulat resultiert = Konzertierung eines freien Verhaltensparameters.
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Beachte: Die Beispiele in Art. 101 geben ebenfalls Auskunft
über eine mögliche Wettbewerbsbeschränkung.
21
Preis- u. Wertbildung auf dem Markt
1. Die Preis- oder Wertbildung erfolgt subjektiv, aus Sicht
der Marktgegenseite. Deshalb hat eine Sache nie einen
Wert an sich. Wenn sich für sie keine (potentiellen) Interessenten finden, ist sie wertlos.
2. Ausschlag gebend sind nicht die Bedürfnisse der Marktgegenseite (Motive, Wünsche etc.), sondern der in Form
einer Nachfrageentscheidung auf dem Markt angemeldete Bedarf.
3. Entscheidend hängt die Preisbildung dabei von den
Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite auf alternative Anbieter ab. Fehlen diese (Monopol), kann es
zu einer Ausbeutung der Marktgegenseite kommen (Monopolrente).
4. Die Preisuntergrenze hängt im übrigen von den Kosten
des Anbieters ab: Transaktionskosten (Kosten für die
Produkterstellung) und Opportunitätskosten (entgangene alternative Marktchancen, die dadurch entstehen, dass
die knappen Ressourcen genau auf das hergestellte Produkt verwendet wurden).
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Kreuzpreiselastizität der Nachfrage
Anbieter 1
Anbieter 2
(erhöht den Preis)
(günstiger als A1)
Die Nachfrage (Nachfrage N1, N2,…) gibt gegenüber A1
nach und wechselt zu A2: In diesem Fall ist die Nachfrage
(kreuzpreis-)elastisch. Findet eine solche Bewegung nicht
statt, bezeichnet man die Nachfrage als starr (Beispiel: Ein
kommunaler Wasserversorger ist für die Kunden ohne Alternative und erhöht deshalb die Preise).
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Marktbegriff
Der Markt ist ein juristischer Zweckbegriff. Es soll der Bereich festgestellt werden, innerhalb dessen sich Anbieter und
Nachfrager Wettbewerb machen. Es ist der Interaktionsraum,
wo Preise gebildet werden und deshalb Kreuzpreisbeziehungen bestehen. Materialien: Bekanntmachung der Kommission, WuW 1998, 261
1) Sachlich Relevanter Markt: Dazu gehören alle Angebote
(Produkte, Dienstleistungen), die aus Sicht der Nachfrager
austauschbar sind (Berühmtes Beispiel: Gehören Bananen und
Zitrusfrüchte zu einem Markt?; dazu United BrandsEntscheidung des EuGH).
2) Räumlich relevanter Markt: Alle Angebote innerhalb eines Gebiets, die aus Sicht der Nachfrager austauschbar sind.
Wird beeinflusst
-
durch regionale Verbrauchergewohnheiten und nationalstaatliche Regelungen
-
Transportkosten
-
Sprachbarrieren im Medienbereich
-
Bemühen um Integration des Gemeinsamen Marktes
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Potenzieller Wettbewerb
Fragestellung: Kommt ein Unternehmen, das nicht aktuell auf
dem Markt anbietet, potentiell als Wettbewerber in Betracht?
Hängt entscheidend von folgenden Faktoren ab:
1. Die mit dem Marktzutritt verbundenen Kostennachteile
an (Marktzutrittsschranken). Hier wirken sich insbesondere Fixkosten aus, die in voller Höhe erbracht werden
müssen, bevor ein einziges Produkt auf dem Markt abgesetzt werden kann (Bau eines Fabrikgebäudes mit Maschinenpark und Anstellung einer Belegschaft). Sie muss
der Newcomer tragen, während sie von der Konkurrenz
bereits aufgebracht wurden.
2. Entscheidend ist auch, ob der Kandidat bereits über eine
verwandte Basistechnologie verfügt: Wer Zivilflugzeuge herstellt, ist ein potentieller Wettbewerber auf dem
Markt für Kampfflugzeuge. Grund: Man kann sich beim
Marktzugang auf bisherige Investitionen stützen und
man kann beim Scheitern des Marktzugangs die Investitionen im alten, bislang betriebenen Geschäft nutzen.
3. Langfristige Gewinnentwicklung auf dem Zielmarkt:
Lohnt der Marktzutritt trotz aller Risiken und Erschwernisse?
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Art. 101 Abs. 3 AEUV (1)
Die vier Normvoraussetzungen im Überblick:
(1)Verbesserung der Warenerzeugung oder Verteilung bzw. Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts,
(2) Verbraucherbeteiligung am Gewinn,
(3) Unerlässlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung und
(4) Keine Ausschaltung des Restwettbewerbs.
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Art. 101 Abs. 3 AEUV (2)
a) Warenerzeugung und –verteilung.
Herstellung und Vertrieb von Waren.
Verbesserung auf der betriebswirtschaftlichen Seite: Durch
Einsparung von Kosten oder Erhöhung der Rentabilität (etwa
von Produktionsanlagen).
b) Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts
keine klare Abgrenzung gegenüber a): betrifft allerdings mehr
die technische Seite (Technik= Einsatz von Naturkräften).
Beispiel: Bereich Forschung und Entwicklung.
c) Verbraucherbeteiligung
Die jeweilige Marktgegenseite (nicht notwendig: Endverbraucher) muss an den Vorteilen der Wettbewerbsbeschränkung
beteiligt werden. Darin liegt der Unterschied zwischen einem
Wohlfahrtseffekt und einem die Strukturen schädigenden Kartell.
27
Art. 101 Abs. 3 AEUV (3)
d) Keine Ausschaltung des Restwettbewerbs
aa) Keine Freistellung bei so genannten Kernbeschränkungen i.S.d. Art. 101 lit a bis c; wichtigste Beispiele Zerstörung
des Preisbildungsmechanismus und Aufteilung von Märkten.
bb) Keine pauschalen Freistellungen bei involvierten Marktanteilen von 30 % und mehr.
28
Art 101 Abs. 3 AEUV nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1/2003
Legalausnahme.
Entgegen dem Wortlaut bedarf es nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr.
1/2003 keiner Entscheidung der Kommission über die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall.
Vielmehr ist ein Kartell per se freigestellt, wenn es die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt.
Dies ist wegen der weiten Tatbestandsmerkmale des Art. 101
Abs. 3, die eine Einschätzungsprärogative der Kommission
vorsehen, nicht unproblematisch. Vgl. nämlich die Rechtsprechung des EuGH zu unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht: Unmittelbar anwendbar ist eine Norm des Gemeinschaftsrechts nur, wenn sie abschließend und inhaltlich
klar ist, zu ihrer Anwendbarkeit keiner weiteren Ausführungsakte bedarf und den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum einräumt.
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Gruppenfreistellungsverordnungen I
1) Zwischen Wettbewerbern (Horizontal)
a) Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission vom
21. März 2014 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union auf Gruppen von Technologietransfervereinbarungen, (ABl. EU 2014, L93 S. 17);
b) Verordnung (EG) Nr. 1218/2010 der Kommission vom
14.12.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3
AEUV auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (ABl. L 335, S. 43);
c) Verordnung (EG) Nr. 1217/2010 der Kommission vom
14.12.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3
des AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen
über Forschung und Entwicklung mit Bedeutung für den
EWR (F&E) (ABl. L 335, S. 36);
d) Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom
27.2.2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3
EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im
Versicherungssektor (ABl. L 53, S. 8);
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Gruppenfreistellungsverordnungen II
2) Vertikal
a) Verordnung (EG) Nr. 330/2010 der Kommission vom
20.4.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3
AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (ABl. L 102,
S. 1);
b) Verordnung (EG) Nr. 461/2010 der Kommission vom
27.5.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3
des AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen
und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. L 129, S. 52); Rumpfverordnung, die
in Art. 3 auf VertikalGVO verweist.
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Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Arten
Inhaltsbindung: Inhaltliche Festsetzung für Folgenverträge.
Ausschließlichkeitsbindung: Einschränkung der Belieferung
auf bestimmte Vertreter der Marktgegenseite.
Diskriminierung: Ungleichbehandlung der Vertreter der
Marktgegenseite.
Ambivalente Wirkung im Wettbewerb
Negativ:
- Beschränkung des produktinternen Preiswettbewerbs (Intra Brand-Wettbewerb);
- Marktzutrittsschranken und damit Angriff auf den
produktexternen
Wettbewerb
(Inter
BrandWettbewerb);
Positiv:
- Aufbau einer Produkt-/Marktstrategie durch Gestaltung seines Absatzsystems ist ein zentrales Recht
des Produzenten in der Marktwirtschaft,
- Eindämmung des Trittbrettfahrereffekt,
- Verschärfung des Inter Brand-Wettbewerbs durch
Einschränkung des Intra Brand-Wettbewerbs
- Verhinderung von positiven externen Effekten (Abwanderung von Absatzmittlern, in deren Aus- und
Fortbildung investiert wurde ).
32
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
1. Ausschließlichkeitsbindung: Belieferung von ausgesuchten Vertragspartnern. Typisches Beispiel: Fachhandelsbindung. Freigestellt nach Art. 2 Abs. 1 VertikalGVO.
2. Inhaltsbindung: Verpflichtung des Vertragspartners gegenüber seinen eigenen Anschlusskunden bestimmte
Vertragsinhalte zu vereinbaren. Typisches Beispiel:
Preisbindung. Verboten nach Art. 4 lit. a Vertikal-GVO.
3. Diskriminierung: Unterschiedliche Bedingungen gegenüber
den
eigenen
Vertragspartnern.
Im
EU-
Kartellrecht nicht geregelt, aber in § 20 Abs. 1 und 2
GWB, der gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 VO Nr. 1/2003
anwendbar bleibt.
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Schadensersatz (I)
Zentrale Überlegung: Schadensersatzansprüche sind
Teil des sog. Private Enforcement des Kartellrechts,
seiner privaten Durchsetzung. Sie sind deshalb im Interesse der Durchsetzung des Kartellrechts besonders
schutzwürdig.
Zentrale Anspruchsgrundlage: § 33 Abs. 3 Satz 1
GWB iVm. Art. 101 f. AEUV
Denkbar aber auch: § 823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 101
Abs. 1 AEUV sowie vertragliche Anspruchsgrundlagen.
Probleme:
1. Können nur die Vertragspartner der Kartellanten oder
auch indirekte Abnehmer gegen die Karellanten vorgehen? BGH: Auch mittelbar Geschädigte (indirekte
Abnehmer), weil auch sie vom Schutzzweck des Art.
101 Abs. 1 AEUV erfasst sind.
34
Schadensersatz (II)
2. Folgeproblem: Wie kann verhindert werden, dass der
Kartellant nicht nur von der Vertragsgegenseite, sondern von sämtlichen auf die Vertragsgegenseite folgenden Gliedern in der Vertragskette (indirekte Abnehmer)
kumulativ in Anspruch genommen wird?
Den Kartellanten steht die sog. Passing-on defense
nach § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB zu. Wenn der Abnehmer
den Schaden auf die nachgelagerte Handelsstufe weiterverlagern kann, wird dies im Rahmen der Vorteilsausgleichung anspruchsmindernd berücksichtigt (greift
auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB; BGH in Orwi).
3. Problem: Wie wird sichergestellt, dass der bei einem
Käufer anzurechnende Vorteil genau dem Schaden entspricht, den ein nachgelagerter Käufer gegenüber dem
Unternehmer geltend macht?
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Schadensersatz (III)
3. Problem (Fortsetzung): Indem der Kartellant den
nachgelagerten Abnehmern den Streit nach § 72 ZPO
verkündet. Diese sind dann an die Urteilsgründe iSd.
§ 68 ZPO gebunden.
4. Problem: Kann auch ein Kartellant gegen einen anderen Kartellanten aus §§ 33 Abs. 3 Satz 1 GWB iVm.
Art. 101 AEUV vorgehen? EuGH (ja) zwecks Private
Enforcement. Denkbar wenn er selbst vom anderen in
das Kartell gedrängt wurde, zB. in eine vertikale Wettbewerbsbeschränkung.
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Schadensersatz (IV)
4. Problem: Kann ein Gläubiger wegen seines Anspruchs aus § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB iVm. Art. 101
Abs. 1 AEUV auch Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1
Satz 1 StPO in die Einlassungen eines Kronzeugen erhalten? (EuGH, Pfleiderer)
Problem: Werden die Angaben über den Kronzeugen
den Schadensersatzgläubigern zugänglich, schreckt dies
mögliche Kronzeugen im Vorfeld ab, weil ihre Erklärungen (sog. corporate statements) in einem Folgeprozess zu Schadensersatzpflichten gegenüber den Abnehmern des Kartells führen (Tz. 27).
EuGH schließt Akteneinsicht nicht grundsätzlich aus,
sondern überlässt es den nationalen Behörden und Gerichten, im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob das Interesse an einer Durchsetzung von Kartellverstößen das
Interesse an einer Offenlegung der Informationen übersteigt (Tz. 31 f.). Problematisch.
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Schadensersatz (V)
5. Problem: Auch der Geschäftsführer oder Vorstand
eines Kartellanten haftet persönlich auf Schadensersatz,
aus §§ 33 Abs. 3 Satz 1, 830 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2
BGB (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.11.2013, VI-U (Kart)
11/13)
6. Problem: Die Kartellanten haften auch für Trittbrettfahrer, die dem Kartell nicht angehören, aber sich dessen Preismanipulationen anpassen (Preisschirmeffekte)
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Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung
Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. b FusionskontrollVO
a) Marktbezogene Kriterien
- Marktanteil;
- Marktzutrittsschranken (potentieller Wettbewerb);
b) Unternehmensbezogene Kriterien
- Finanzkraft (Entrenchment Effect)
- Vertikale Integration (Zugang zu Rohstoff- und
Absatzmärkten)
c) Sonstiges
- Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite
- Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen
Fortschritts (str., bilan économique).
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Zwei ergänzende Konzepte zur Bestimmung der Konzentration
SSNIP-Test: Small but significant non-transitory increase in price:
Würde auf dem Markt eine dauerhafte Preiserhöhung des Unternehmens von 5-10% zu Umsatzeinbußen führen, bestehen Ausweichbeziehungen zu anderen Anbietern und damit eine Nichtmonopolsituation.
Einwand: Sog. Cellophane Fallacy (Trugschluss): Bestand schon ein
Monopolpreis der bei einem Gewinnoptimum liegt, geht die Nachfrage auch in der Monopolsituation bei einer Preissteigerung zurück.
Herfindahl-Hirschman-Index (Vertikalleitlinie Nr. 119): Liegt die
Summe der Quadrate der Marktanteile sämtlicher Unternehmen eines
Marktes unter 1000 gilt der Markt nicht als konzentriert.
Beispiel 1: Anbieter A bis E jeweils 10%, F bis O jeweils 5%.
HHI-Index = 5 * 100 + 10 * 25 = 750 (keine Konzentration)
Beispiel 2: Anbieter A 40%, B 30%, C 20%, D 10%
HHI-Index = 1600 + 900 + 400 + 100 = 3000 (hohe Konzentration).
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Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Allgemeine Definition: Gefährdung oder Beeinträchtigung
der Marktstrukturen entgegen den Zwecksetzungen des Kartellrechts in einer Weise, die nur dem Marktbeherrscher möglich ist.
Prüfung in einer Klausur:
1. Anknüpfung an eines der Regelbeispiele des Art. 102 Abs.
1 Satz 2 AEUV?
2. Subsumtion unter eine der bekannten Fallgruppen. Keine
Subsumtion unter die allgemeine Definition ohne Bezug zu
einer Fallgruppe!
3. Allgemein gilt:
a) Der Missbrauch ist dem Unternehmen nur möglich ist,
weil sein Verhalten von Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrolliert wird und
b) hat Folgen, die die Wettbewerbsstrukuren der Märkte
schädigen.
41
Fallgruppen des Missbrauchs
1. Ausbeutungsmissbrauch (Art. 102 Satz 2 lit. a AEUV):
Der Marktbeherrscher kapitalisiert seine Stellung durch Forderung eines Entgelts über Marktniveau („Monopolrente“).
2. Verdrängungsmissbrauch (Art. 102 Satz 2 lit. b AEUV):
Verkauf unter Eintstandspreis und Rabattstrategien mit dem
Ziel die Konkurrenten vom Markt zu verdrängen.
3. Behinderungsmissbrauch (Art. 102 Satz 2 lit. b und d
AEUV): Preisschere, Errichtung von Marktzutrittsschranken
und Koppelungen
4. Diskriminierungen (Art. 102 Satz 2 lit. c AEUV): Durch
willkürliche Beeinflussung der Marktverhältnisse Beeinträchtigung von Wettbewerb.
5. Missbräuchlicher Lieferabbruch bzw. missbräuchliche
Lieferverweigerung: Marktbeherrscher behält sich eine Sekundärmarkt vor.
6. Verweigerung des Zugangs zu einer Essential Facility.
42
Ausbeutungsmissbrauch
Marktbeherrscher nutzt seine Stellung aus, um Preise über
Wettbewerbsniveau zu fordern. Problem: Wie kann das
Wettbewerbsniveau ermittelt werden?
1) Vergleichsmarktkonzepte (räumlich, sachlich, zeitlich).
Problem: Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen des
Vergleichsmarktes müssen berücksichtigt werden, sind aber
oft nur schwer zu quantifizieren.
2) Prinzip der Gewinnspannenbegrenzung: Addierung
der Kosten ergibt Wettbewerbspreis. Problem: Kostenzurechnung gerade von Fixkosten auf das einzelne produzierte Stück. Am leichtesten auf Rohstoffmärkten (Versorgungswirtschaft) zu implementieren.
43
Rabatte
Der Marktbeherrscher darf die bestehenden Marktverhältnisse
nicht durch Gewährung von Treuerabatten einfrieren. Durch
den Treuerabatt bindet er nämlich die Kunden dauerhaft an
sich, und ein Wechsel zur Konkurrenz ist nur schwer möglich.
Nimmt man hinzu, dass die Rabatte aus der „Monopolrente“
finanziert werden, ist dieser Zustand nicht haltbar.
Andererseits entspricht es dem Wettbewerbsprinzip, dass auch
der marktmächtige Unternehmer Effizienzvorteile an seine
Kunde im Rahmen eines Rabatts weitergeben darf (typisches
Beispiel: Mengenrabatte). Wäre ihm dies untersagt, fände kein
Wettbewerb mehr um die für einen Markt geeignete Unternehmensgröße statt (economies of scale).
44
Dumping und Verdrängungsmissbrauch (1)
Ausgangsüberlegung: Der Marktbeherrscher bietet zu Preisen an, die
unter Wettbewerbsniveau liegen und daher nur die Erklärung zulassen, dass er seine Ressourcen einsetzt, um die Konkurrenten außerhalb
des Wettbewerbs vom Markt zu drängen.
Problem: Muss eine Missbrauchsabsicht nachgewiesen werden?
Antwort des EuGH: Ja, wenn die durchschnittlichen variablen Kosten
des Marktbeherrschers gedeckt sind, die durchschnittlichen Gesamtkosten jedoch nicht.
Dazu im Einzelnen: Ausgangsfrage ist, wann der Preis des Marktbeherrschers unter Wettbewerbsniveau liegt.
Dies ist umstritten:
1. Auffassung: Wenn der Preis die durchschnittlichen variablen Kosten nicht deckt (sog. Areeda Turner-Regel).
2. Auffassung: Wenn der Preis die durchschnittlichen Gesamtkosten
nicht deckt.
3. Auffassung: Wenn der Preis die durchschnittlichen variablen Kosten nicht deckt oder wenn er nur die durchschnittlichen Gesamtkosten
nicht deckt und Missbrauchsabsicht nachgewiesen werden kann
(EuGH).
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Dumping und Verdrängungsmissbrauch (2)
Variable Kosten: Fallen pro produziertem Stück an (Rohstoffe,
Energie).
Fixkosten: Müssen unabhängig von der produzierten Stückzahl auf
einen Schlag erbracht werden (Werbung, Arbeitslöhne usw.).
A-T-Regel: Wettbewerbspreise decken die durchschnittlichen variablen Kosten. Areeda/Turner HarvardLR 1974, 697 ff.; Fixkosten
gehen als sog. sunk costs nicht in die laufende Kostenrechnung ein
(Rechtsprechung des EuGH). Dadurch wird vor allem Newcomern
auf dem Markt eine Chance eröffnet. Diese müssen nämlich anders als
die etablierten Unternehmen ihre Fixkosten häufig noch abtragen (finanzieren) und könnten deshalb nicht mit den etablierten Unternehmen konkurrieren.
Kritik: In der Praxis existieren oft hohe Fixkosten (Entwicklungskosten, Patentlizenzen, Arbeitslöhne usw.) und geringe variable Kosten
(vgl. nur Software). Alternative: Der Preis muss sich zwischen den
durchschnittlichen variablen Kosten und den durchschnittlichen Gesamtkosten befinden, weil andernfalls ein dauerhafter Verlust eintritt
und die Kosten niemals ganz gedeckt sind (Joskow/Klevorik Yale Law
Journal 1979, 214 ff.).
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Dumping und Verdrängungsmissbrauch (3)
Kritik der Chicago- School: Das Konzept ist insgesamt verfehlt. Der
Marktbeherrscher kann sich nicht erlauben, nach Verdrängung der
Konkurrenz Monopolrenten einzufahren, weil er damit Newcomer auf
den Markt lockt.
Dagegen: Wegen tatsächlicher Marktzutrittschranken können potenzielle Wettbewerber nicht zeitnah reagieren; für den Marktbeherrscher
bleibt immer die Möglichkeit, zwischenzeitlich Monopolrenten zu realisieren und diese später gegen den Newcomer im Wege von Niedrigpreisstrategien einzusetzen.
EuGH: Grundsätzlich Orientierung an den variablen Kosten, aber bei
nachgewiesener Missbrauchsabsicht (etwa durch ein Drohschreiben)
muss auch ein Unterschreiden der durchschnittlichen Gesamtkosten
berücksichtigt werden (Akzo-Entscheidung).
47
Koppelung
Beruht auf der Verbindung zweier Marktergebnisse, entweder durch
Zwang (Bezugspflicht, Vertragsstrafe)
oder
Anreiz (Rabatt für Bezug der Produkte beider Märkte).
Wirkung: Hebel-Effekt oder Leverage-Effekt: Die gestörten Wettbewerbsverhältnisse auf dem Ausgangsmarkt werden zum "Hebelpunkt" für die Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse auf dem
Zielmarkt. Durch die Verbindung der beiden Marktergebnisse werden die Störungen auf dem Ausgangsmarkt auf den Zielmarkt ausgeweitet.
(1)
Auf dem Ausgangsmarkt mit beherrschender Stellung zwingt
der Marktbeherrscher die Marktgegenseite, das Produkt auf
dem Zielmarkt abzunehmen.
(2)
Auf dem Zielmarkt gerät dadurch die Preisbildungsfunktion
aus den Fugen. Nicht mehr das beste Produkt ist erfolgreich,
sondern dasjenige, das weiterhin eine Abnahme des alternativlosen Produkts auf dem Ausgangsmarkt e
48
Diskriminierungen Art. 102 Satz 2 lit. c AEUV
Problem: Marktbeherrscher benutzt seine Macht, um die Wettbewerbsbedingungen auf dem betroffenen Markt in seinem Sinne zu gestalten.
Beachte:
(1) Anders als § 19 Abs. 2 Nr. 1 erster Fall bzw. § 20 Abs. 1 GWB
setzt die Norm voraus, dass der Marktbeherrscher konkret ein Unternehmen anders behandelt als ein anderes.
(2) Die Marktöffnungsfälle des § 19 Abs. 2 Nr. 1 erster Fall und § 20
Abs. 1 GWB werden im Europäischen Kartellrecht von der Fallgruppe
der missbräuchlichen Lieferverweigerung bzw. des missbräuchlichen
Lieferabbruchs erfasst.
Wichtigster Fall: Das Google-Verfahren der Kommission. Vorwurf:
Werden Informationen mit der Suchmaschine gesucht, bevorzugt
Google Treffer, die mit firmeneigenen Unternehmen zu tun haben und
benachteiligt Treffer, die sich auf die Konkurrenz beziehen.
Problem: Die Diskriminierung findet nicht auf einem Markt statt, da
die Suchtreffer unabhängig von einer Gegenleistung des Kunden bzw.
des Gesuchten angezeigt werden.
49
Lieferabbruch (1)
Missbräuchlich ist die grundlose Verweigerung einer Lieferbeziehung
durch den Marktbeherrscher bzw. der grundlose Abbruch einer bestehenden Lieferbeziehung.
Hintergrund: Das europäische Kartellrecht kennt kein allgemeines
Diskriminierungsverbot mit Marktöffnungfunktion wie § 19 Abs. 2
Nr. 1 erster Fall bzw. § 20 Abs. 1 GWB. Ein Aspirant kann also vom
Marktbeherrscher nicht einfach einen Vertragsabschluss oder die Unterlassung der Kündigung mit der Begründung verlangen, dass keine
Sachgründe für eine andere Entscheidung bestehen. Das Diskrimierungsverbot des Art. 102 Satz 2 lit. c AEUV setzt vielmehr eine konkrete Ungleichbehandlung zweier Unternehmer durch den Marktbeherrscher voraus.
Die so entstehende Lücke schließt das Europäische Kartellrecht teilweise über die vorgenannte Fallgruppe, die es deshalb im deutschen
Kartellrecht bei der Konkretisierung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 zweiter Fall
GWB nicht gibt.
50
Lieferabbruch (2)
Beispiel für die koppelungsgleiche Wirkung des Lieferabbruchs
(1)
Marktbeherrschung bezieht sich auf einen Markt für einen
Rohstoff oder ein Zulieferprodukt.
(2)
Der Marktbeherrscher verweigert die Belieferung mit dem
Rohstoff ohne Sachgrund.
(3)
Wie bei der Koppelung kommt es zu einer Verbindung zweier Marktergebnisse: Die Herrschaftsverhältnisse auf dem
Rohstoffmarkt werden zum Hebel für die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt für das Produkt höherer Fertigungsstufe.
(4)
Als Sachgrund wird vom EuGH nicht akzeptiert, dass der
Marktbeherrscher sich den nachgelagerten Markt vorbehalten
will (Schutz aber vor konkret drohendem Zahlungsausfall des
Käufers oder konkreten Angriffen auf das Unternehmen des
Marktbeherrschers).
(5)
Unterschied zur Essential Facility-Lehre: Der Marktbeherrscher verweigert nicht den Zugang zu einer Infrakstruktur
(Eigentum, Urheberrecht), sondern nur einen Vertragsschluss
(negative Vertragsfreiheit).
51
Essential Facility-Doktrin
1. Recht (Eigentum, Besitzrecht, Urheberrecht usw.), das auf
einem Inputmarkt gehandelt wird und auf einem Sekundärmarkt benötigt wird. Beachte: Ein Inputmarkt besteht auch,
wenn das Recht gar nicht vom Inhaber zum Erwerb angeboten
wird (potenzieller Inputmarkt).
2. Unerlässlichkeit des Rechtserwerbs, um auf den Sekundärmarkt vorzudringen. Unerlässlichkeit besteht, wenn auf
dem Sekundärmarkt kein effektiver Wettbewerb (teilweise
auch gar kein Wettbewerb, str.) besteht.
3. Der Rechtserwerb führt zur Herstellung eines neuen Produkts (Bedeutung: Es kann kein Zugang auf dem Inputmarkt
verlangt werden wie bei IMS Health).
4. Durch Verweigerung muss die Vermarktung eines Produktes auf dem Sekundärmarkt verhindert werden, für das eine
potenzielle Nachfrage besteht.
5. Der Inhaber einer E.F. lässt das andere Unternehmen gar
nicht oder nicht zu Marktbedingungen (upon just and
reasonable terms) zu. Zweite Alternative vergleichbar Ausbeutungsbrauch (Entgelt liegt über Marktniveau).
52
Prüfung eines Unternehmenszusammenschlusses
Ausgangspunkt: Entscheidung nach Art. 2 Abs. 3 FKVO
1. Aufgreifkriterien:
a) Überschreitung der Schwelle des Art. 1 FKVO. Ansonsten keine Zwischenstaatlickeitsprüfung!
b) Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO: Stets geht es
um externes Unternehmenswachstum. Der Zusammenschluss führt dazu, dass die Entscheidungsautonomie bei
einem oder mehreren Marktbeteiligten dauerhaft untergeht.
2. Eingreifkriterien
a) Begründung einer marktbeherrschenden Stellung.
Beachte hier Art. 2 FKVO!
b) SIEC-Test (im deutschen Recht nicht bekannt): Wirksame Behinderung von Wettbewerb (eigene Folie)
53
Wettbewerbliche Wirkungen von vertikalen Fusionen
Lesenswert: Denzen/Herrmann WuW 2007, 566 zu den
Leitlinien der Kommission.
Prinzip. Diese Fusionen fördern den Wettbewerb, wenn es
auf keinem Teilmarkt zur Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung kommt.
Wichtig ist der sog. Foreclosure-Effekt = Synonym für
Marktzugrittsbeschränkung.
a) Input Foreclosure: Der aufgekaufte Lieferant, beliefert
die Konkurrenten nicht mehr.
b) Customer Foreclosure: Der aufgekaufte Nachfrage erwirbt nicht mehr von den Konkurrenten.
Problem: Beide Gefahren müssen im Wege der Prognose
festgestellt werden.
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Wettbewerbliche Wirkungen von konglomeraten Fusionen
Lesenswert: Denzen/Herrmann WuW 2007, 566 zu den
Leitlinien der Kommission.
1. Porfolio-Effekt: Eine bekannte Marke im Verein mit
anderen Faktoren iSd. Art. 2 lit. b FusionskontrollVO
kann zu einer starken Kundenbindung auch hinsichtlich
funktional austauschbarer Produkte desselben Herstellers führen und damit Behinderungseffekten für Konkurrenten führen. Bsp: Fall Coca Cola/Carlsberg ABl. 1998
L 1998, 24 ff. (JURIS: Stichworte Coca Cola Carlsberg).
2. Bundling und Tying: Koppelungsstrategien werden
möglich. Darunter dürften auch die sog. crossmedialen
Effekte zählen: Einheitliche Werbeangebote auf verschiedenen Plattformen.
3. Finanzkraft = Entrenchment-Effekt (z.T. Deep Pocket
Theory). Tritt in der Bedeutung gegenwärtig zurück.
55
Hintergrund des SIEC-Tests
Das Kartellrecht zeigt sich dem Oligopolproblem nicht gewachsen (oligopoly blindspot).
Durch einen Zusammenschluss kann eine oligopolistische
Marktstruktur entstehen, durch die der Preiswettbewerb auch
ohne Konzertierung durch bloßes Parallelverhalten zum Erliegen kommt (vgl. Mineralölmärkte in Deutschland!).
" Bereits bei der Zusammenschlusskontrolle muss deshalb
die Entstehung einer entsprechenden Marktstruktur verhindert werden; so bereits der U.S.-amerikanische SLCTest (Substantial Lessening of Competion)
" SIEC-Test = Kompromiss aus SLC-Test und Marktbeherrschungstest
" Problem: Prognose einer für den Preiswettbewerb schädlichen Oligopolsituation ist oft nicht möglich. Vgl. die
Airtours-Kriterien.
56
SIEC-Test in Art. 2 Abs. 3 FKVO (I)
Significant Impediment to Effective Competition
Gegenstand: Ein Zusammenschluss ist nicht nur verboten,
wenn eine marktbeherrschende Stellung entsteht, sondern auch
dann wenn es zu einer wirksamen Behinderung von Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben kommt.
Motive:
Einschränkung des sog. Konzentrationsprivilegs (anders als
ein Kartell, ist der viel Zusammenschluss etwa im deutschen
Recht erst bei Erreichung einer marktbeherrschenden Stellung
verboten).
More Economic Approach-der Kommission:
-) Anpassung des Kartellrechts an die ökonomische Realität;
-) mehr Einzelfallgerechtigkeit und
-) Rechtssicherheit durch Erarbeitung von „safe harbors“
57
SIEC-Test (2)
Praktische Konsequenzen:
-) sog. unilateralen Effekte können Berücksichtigung finden
= einseitiges Verhalten, dass durch Wegfall eines Konkurrenten möglich wird. Bsp.: Parallelverhalten in einer Oligopolsituation
-) Berücksichtigung von koordinierten Verhaltensweisen (=
Fälle kollektiver Marktmacht). Für ein Unternehmen besteht
infolge des Zusammenschlusses ein Anreiz, mit anderen am
Markt ansässigen Unternehmen nicht in Wettbewerb zu treten.
Allerdings sind die Anforderungen in der Praxis sehr hoch:
EuG (6.6.2002 - T-342/99 – airtours, Rn. 121 ff.). Kollektive
Marktmacht wird danach nur vermutet, wenn
(1) Markt so transparent ist, dass die beteiligten Unternehmen in
ausreichendem Maße überwachen können, ob die Modalitäten der
Koordinierung eingehalten werden.
(2) Aus Gründen der Disziplin muss eine Art Abschreckungsmechanismus gegen Abweichungen vom gemeinsamen Vorgehen geben.
Nicht ausreichend: Angebotsausweitung bei den Beteiligten um 10 %.
(3) Die Reaktionen von Unternehmen, die sich nicht an der Koordinierung beteiligen, dürfen den voraussichtlichen Effekt der Koordinierung nicht in Frage stellen.
58
Beispiel für den SIEC-Test
Entscheidung der Kommission vom 25.4.2006 – 32007D0193
– T-Mobile Austria/tele.ring (Zahlen frei erfunden, da in
Entscheidung nicht mitgeteilt)
Mobilkom
30 % Marktanteil
T-Mobile Austria 23 % Marktanteil
One
20 % Marktanteil
H3G
10 % Marktanteil
Tele.Ring
7 % Marktanteil
Marktanteil von 30 % genügt nicht für die Begründung einer
marktbeherrschenden Stellung.
Aber: Tele.Ring war das einzige Unternehmen auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt, das den Preiswettbewerb durch
neue und spektakuläre Aktionen belebt hatte, ein sog. Maverick.
Kommission: Tele.Ring und Telekom Austria mussten Unternehmensteile veräußern, dann Genehmigung.
59
Gemeinschaftsunternehmen im Anwendungsbereich des
Art. 2 Abs. 4 FKVO
Kooperatives GU = Institutionalisierung eines Kartells unabhängiger
Mütter.
Konzentratives GU = Im Einflussbereich des GU geraten die Entscheidungen der Mütter unter dessen Kontrolle i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit
b FKVO:
Beachte: Im Fall des Art. 2 Abs. 4 FKVO entscheidet die Kommission
nach Art. 8 Abs. 3 FKVO (nicht nach Art. 7 VO Nr. 1/2003!) über das
Verbot des Art. 101 AEUV (ex-Art. 81 EG). Kriterien:
- Wettbewerbsbeschränkung zwischen den Müttern (Gruppen- oder Spillover-Effekt?) Besonders gefährlich bei Einund Verkaufsgemeinschaften.
- wird Dritten der Marktzugang erschwert (Foreclosure)?
- gehen die beschränkenden Vereinbarungen innerhalb der
Satzung über das Ziel des gemeinsamen Betriebs eines GU
hinaus? (Ancillary Restraints: Nebenabreden, die über das
Ziel hinausschießen)
- Netzeffekt: Durch Organisation von Netzen von GU mit
den immer gleich beteiligten Müttern entsteht eine Wettbewerbsbeschränkung.
60
Art. 106 Abs. 1 AEUV (1)
I. Zweck
Verhinderung einer Umgehung der Artt. 34 ff. AEUV und der
Artt. 101 ff. AEUV dadurch, dass ein Mitgliedstaat über ein
von ihm beeinflusstes Unternehmen in den Wettbewerb eingreift.
II. Rechtsfolge:
(1) Das Wirken des Staates wird insgesamt an den Artt.
101 ff. AEUV und dem allemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) gemessen.
(2) Praktisch bedeutet dies, dass das Wirken des Staates
(Erlass eines Gesetzes) und das Wirken des von ihm
beeinflussten Unternehmens einer einheitlichen Beurteilung unterzogen werden. Dem Unternehmen wird
das staatliche Gesetz, dem Staat das unternehmerische
Wirken zugerechnet.
61
Art. 106 Abs. 1 AEUV (2)
III. Tatbestandvoraussetzungen
1. Öffentliches Unternehmen: wird durch den Staat kontrolliert (idR. durch gesellschaftsrechtliche Beteiligung)
2. Unternehmen, dem besondere oder ausschließliche
Rechte gewährt werden:
a. Gerichtet auf eine individuelle Privilegierung
b. Recht bringt Unternehmen in besondere Beziehung
zum Staat. Dadurch Abhängigkeit des Unternehmens
vom Staat, weil dieser das Recht jederzeit wieder entziehen kann.
c. Ausschließlichkeit: Exklusivität ggü. anderen Unternehmen.
62
Art. 106 Abs. 2 AEUV
Besondere Ausnahme gegenüber dem Kartellrecht unter folgenden Voraussetzungen:
1. Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
(DAWI). Beispiele: Telekommunikation, Gesundheits-, Bildungswesen usw.
a) Allgemeines Interesse nicht Partikularinteressen.
b) Wirtschaftliches Interesse nicht sonstige (kulturelle) Interessen.
2. Verhinderung der Tätigkeit, nicht bloße Erwschwerung.
3. Aus Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV: Ultima-ratio-Prinzip
und Verhältnismäßigkeitsprinzip.
63
Zulässigkeit der Vorlage nach Art. 267 AEUV
1. Statthaftigkeit (Unterabsatz 1)
Gegenstand ist die Auslegung des Vertrages (lit. a) oder
die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.
2. Zuständigkeit: EuGH (Unterabsatz 1)
3. Ein Gericht muss vorlegen (Unterabsatz 2):
a) auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet,
b) ständiger und obligatorischer Charakter,
c) entscheidet einen rechtsstaatliche geordnetes Verfahren,
d) in richterlicher Unabhängig,
e) rechtskräftig.
4. Erforderlichkeit der Vorlage (Unterabsatz 2)
! fällt grundsätzlich in die Beurteilung des anrufenden Gerichts;
! ausgeschlossen durch EuGH nur, wenn kein Bezug zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts erkennbar oder der
Gegenstand der Vorlegungsfrage nicht mit hinreichender
Klarheit erkennbar ist.
! (Hinweis: Es besteht ein Vorlagerecht des Gerichts
weder durch Parteidisposition noch durch nationales
Recht ausgeschlossen werden kann).
64
Vorlagepflicht nach Art. 267 Unterabs. 3 AEUV
1. Gericht, dessen Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann.
! Als Rechtsmittel gelten auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision oder die Nichtvorlagebeschwerde; Konsequenz: OVG und OLG sind keine Adressaten nach Art. 267
Abs. 3 AEUV.
! Die Pflicht besteht nicht im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, weil hier Streit in der Hauptsache weiterverfolgt werden
kann.
! Nicht, wenn eine gefestigte Rechtsprechung des EuGH bereits
besteht.
2. Die Vorlagepflicht muss eine Frage i.S.d. Art. 267 Abs. 1 AEUV
betreffen.
Beachte: Ausnahmsweise auch jedes andere Gericht, wenn es Teile
des Gemeinschaftsrechts oder Akte von Gemeinschaftsorganen für
unwirksam hält. Begründung: Keine Verwerfungskompetenz der MSGerichte hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts zu. Dazu sind sie nicht
(demokratisch) legitimiert, und außerdem würde die Rechtseinheitlichkeit in der Gemeinschaft gefährdet.
Sanktionen bei Verletzung:
1. Vertragsverletzungsverfahren nach Artt. 258 AEUV.
2. Eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den
gesetzlichen Richter Art. 101 Abs. 1 GG ist in jedem Fall gegeben
(BVerfGE 73, 339, 366-Solange II).
65
Die Nichtigkeitsklage gegen Entscheidungen der Kommission
Hinweis: Ergeht auf der Grundlage eines Verfahrens nach Art. 7 VO
Nr. 1/2003 eine Entscheidung der Kommission, kann gegenüber dieser
Klage nach Art. 256 Abs. 1 i.V.m. 263 Abs. 4 AEUV erhoben werden. Diese kann von dem Verfahrensbeteiligten, aber auch einem Dritten erhoben werden, soweit eine Betroffenheit in der Sache besteht (
Art. 263 Abs. 4). Die Klage ist darauf gerichtet, die Entscheidung der
Kommission wegen Rechtsverletzung für nichtig zu erklären. Zuständig ist nach Art. 256 Abs. 1 AEUV iVm. Art. 51 der Satzung des
EuGH das Gericht erster Instanz.
Zulässigkeitsvoraussetzungen (Überblick):
1. Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 1 und 4
AEUV)
- Verbotsverfügung nach Art. 7 VO Nr. 1/2003
- Bußgeld nach Art. 23 VO Nr. 1/2003.
Nach Art. 230 Absatz 2 AEUV muss im Hinblick auf diese Maßnahme die unrechtmäßige Anwendung der Artt. 101 ff. AEUV gerügt
werden.
2. Zuständig
Für die Klage eines Unternehmens oder einer natürlichen Person ist
nach Art. 51 der Satzung des EuGH iVm. Art. 256 Abs. 1 AEUV das
Gericht erster Instanz zuständig
3. Klagebefugnis (Art. 263 Abs. 4 AEUV)
Der Kläger muss unmittelbar und individuell durch die Handlung der
Kommission betroffen sein.
Unmittelbar: Wenn kein weiterer Hoheitsakt erforderlich ist, damit
die Entscheidung auf den Betroffenen einwirkt.
Individuell: Wenn Kläger am Verfahren nach Art. 7 VO Nr. 1/2003
teilgenommen hat oder seine Marktposition wesentlich durch die Entscheidung beeinträchtigt ist.
4. Frist (Art. 263 Abs. 6 AEUV)
Zwei Monate seit der Handlung.
66
Das Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Europäischen Gerichts erster Instanz
1. Statthaftigkeit nach Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV
Es muss eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz
auf der Grundlage des Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV ergangen
sein.
2. Zulässiger Klageantrag nach Art. 58 der Satzung des EuGH
a) Klageantrag muss auf Rechtsfragen beschränkt sein, und zwar auf
- die Unzuständigkeit des Gerichts,
- auf einen Verfahrensfehler oder
- auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts.
b) Die Rechtsmittelschrift muss konkrete Anträge beinhalten und
Rechtsgründe benennen.
3. Rechtsmittelfrist nach Art. 56 der Satzung des EuGH
Zwei Monate seit Zustellung der Entscheidung.
67
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