Umweltrecht VII

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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
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2. Abschnitt: Europäisches Umweltrecht
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1. Primärvertragliche Grundlagen
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zu den Tätigkeiten der Union gehört eine Politik auf dem Gebiet
der Umwelt (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. l EG a.F.; vgl. auch Art. 2 EG a.F.:
„ein hohes Maß an Umweltschutz“), hinsichtlich derer die Union
ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten teilt (vgl. Art. 4 Abs. 2
lit. e AEUV)
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gemäß der unionsrechtlichen Querschnittsklausel (Art. 11 AEUV)
ist die Umweltpolitik der Union Bestandteil aller anderen
Unionspolitiken, d.h. ihre Ziele (vgl. Art. 191 AEUV) sind bei
Maßnahmen in diesen Bereichen zu berücksichtigen
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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
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die Querschnittsklausel führt mithin dazu, dass die
umweltpolitischen Schutzgrundsätze (etwa das
Vorsorgeprinzip) im Bereich der anderen Politiken als
Abwägungsposition zu berücksichtigen sind; Art. 11
AEUV geht demnach über den Gehalt einer
Unionszielbestimmung hinaus, wenn ihm auch kein
genereller Vorrang des Umweltschutzes entnommen
werden kann
•
der EuGH hat auf Art. 6 EG (= Art. 11 AEUV) u.a. Bezug
genommen, um die Einbeziehung von
Umweltschutzaspekten bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge nach unionsrechtlichen Vorschriften über das
„wirtschaftlich günstigste Angebot“ zu rechtfertigen
(Concordia Bus Finland)
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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
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beachte zudem: der EuGH rechnet den Umweltschutz im
Zusammenhang mit den Grundfreiheiten zu den zwingenden
Erfordernissen des Allgemeinwohls, die zwischenstaatliche
Handelshemmnisse rechtfertigen können (PreussenElektra; dänische
Pfandflaschenregelung)
2. Rechts- und Kompetenzgrundlagen
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Rechtsgrundlage der unionsrechtlichen Umweltpolitik ist Titel XX AEUV
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Art. 191 AEUV formuliert die umweltpolitischen Ziele der Gemeinschaft,
Art. 192 AEUV ermächtigt sie zum Erlass umweltbezogener Rechtsakte;
Art. 193 AEUV bestimmt schließlich, dass die Mitgliedstaaten „verstärkte
Schutzmaßnahmen“ beibehalten oder ergreifen können, soweit sie mit
dem Vertrag vereinbar sind
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„verstärkte Schutzmaßnahmen“ müssen mit dem AEU-Vertrag
vereinbar sein und der Kommission mitgeteilt werden, vgl. Art. 193
Sätze 2 und 3 AEUV; die Notifizierung an die Kommission hat keine
konstitutive Wirkung
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beachte: der AEU-Vertrag enthält keine Definition von „Umwelt“;
daher ist auf die allgemeine Definition zurückzugreifen, wonach
„Umwelt“ i.S.v. Titel XX EG die Umweltmedien Luft, Boden, Wasser,
die natürlichen Organismen einschließlich des Menschen sowie die
Interdependenzen zwischen diesen und jenen erfasst
zentrale Kompetenznorm des Titels XX AEUV ist Art. 192 Abs. 1 AEUV; sie
betrifft sowohl die Verbands- als auch die Organkompetenz
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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
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Art. 192 Abs. 2 AEUV ist eine auf die aufgelisteten
Ausnahmefälle bezogene lex specialis, die ein von Abs. 1
abweichendes Beschlussverfahren (bloße Anhörung des
Parlaments; einstimmige Beschlussfassung im Rat) normiert
• Art. 192 Abs. 3 AEUV ist Grundlage der allgemeinen
Aktionsprogramme, in denen Maßnahmen, Ziele und Prioritäten
der EU-Umweltpolitik für einen Zeitraum von 4-10 Jahren in
allgemeiner Form festgelegt werden; der Inhalt der
Aktionsprogramme ist im Außenverhältnis unverbindlich, muss
aber durch Maßnahmen der Union, d.h. im Innenverhältnis
verbindlich gemacht werden
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• das 2002 beschlossene Sechste Aktionsprogramm mit einer
Laufzeit von 10 Jahren gibt konkrete Umweltziele zu den vier
Schwerpunktbereichen „Klimaänderungen“, „Natur und
biologische Vielfalt“, „Umwelt und Gesundheit“ und
„Lebensqualität, natürliche Ressourcen und Abfälle“ vor;
kürzlich ist das Siebte Aktionsprogramm (bis 2020) in Kraft
getreten)
• eine weitere Konkretisierung erfolgt durch die Grünbücher
der Kommission (Bsp.: Grünbuch „Die künftige
Meerespolitik der EU“), die dann ihrerseits im Anschluss an
eine Konsultationsphase durch konkrete verbindliche
Maßnahmen umgesetzt werden sollen (aber: nicht
umgesetzt werden müssen)
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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
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(P) Kompetenzabgrenzung
• vertikal, d.h. gegenüber den Mitgliedstaaten
• Reichweite der relevanten EU-Kompetenzen: ausschließliche,
geteilte oder parallele Kompetenzen
• auf dem Gebiet der Umweltpolitik ist die Zuständigkeit der
Gemeinschaft konkurrierender Natur („geteilt“); dies stellt der AEUVertrag nunmehr ausdrücklich klar (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e AEUV) und
ergibt sich zudem aus Art. 193 AEUV
• aber: auch im Falle geteilter Zuständigkeiten können die
Mitgliedstaaten nur solange und insoweit tätig werden, als die
Union auf dem betreffenden Tätigkeitsfeld untätig geblieben ist (vgl.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV) Sperrwirkung gemeinschaftlicher
Rechtsetzungsaktivitäten (nachträgliche Ausschließlichkeit der
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Unionskompetenz)
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• beachte: nach Art. 2 Abs. 2 AEUV nehmen „[d]ie
Mitgliedstaaten […] ihre Zuständigkeit erneut wahr, sofern und
soweit die Union entschieden hat, ihre Zuständigkeit nicht
mehr auszuüben.“
• eine ausschließliche Kompetenz besteht hiernach im gesamten
Bereich der Erhaltung der biologischen Meeresschätze im
Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit.
d AEUV)
• horizontal, d.h. auf unionsrechtlicher Ebene
• problematisch ist die Abgrenzung verschiedener
unionsrechtlicher Kompetenzgrundlagen; dies gilt jedenfalls
dann, wenn die parallel einschlägigen Kompetenznormen
unterschiedliche Gesetzgebungsverfahren vorsehen
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• ordentliches Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 289 AEUV):
gemeinsame Handelspolitik (vgl. Art. 207 Abs. 2 AEUV),
Binnenmarkt (vgl. Art. 114 Abs. 1 AEUV), transeuropäische
Netze (vgl. Art. 172 AEUV), Umwelt (vgl. Art. 192 Abs. 1
AEUV), Energie (vgl. Art. 194 Abs. 2 AEUV),
Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Art. 209 Abs. 1 AEUV)
• besondere Gesetzgebungsverfahren: Umwelt (vgl. Art.
192 Abs. 2 AEUV: Einstimmigkeit), Binnenmarkt (vgl. Art.
115 AEUV: Einstimmigkeit), Energie (Maßnahmen
überwiegend steuerlicher Art, vgl. Art. 194 Abs. 3 AEUV:
Einstimmigkeit), außergewöhnliche Maßnahmen bei
Notlagen (vgl. Art. 122 AEUV: Ratsbeschluss)
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• mögliche Lösungen:
• Anordnung formeller Subsidiarität? i.d.R. nein
• mit Blick auf Art. 114 AEUV (Binnenmarktharmonisierung
Beseitigung von Wettbewerbshindernissen) ist nach
Rechtsprechung des EuGH der Hauptzweck/Schwerpunkt der
geplanten Maßnahme maßgeblich; dient der Rechtsakt in erster
Linie umweltschutzpolitischen Zielen und nur mittelbar der
Verwirklichung des Binnenmarkts, ist Art. 192 AEUV einschlägig
(Bsp.: einheitliche Umweltqualitätsstandards)
• wie aber etwa im Hinblick auf Art. 43 Abs. 3 AEUV?
(Kompetenzabgrenzung Umweltschutz / Fischerei)
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sinnvollste Lösung: Differenzierung zwischen sachlichgegenständlichen („engen“) und final umschriebenen („weiten“)
Kompetenzgrundlagen
• Anhaltspunkte für Vorliegen eines weiten (final-orientierten)
Kompetenztitels
• Existenz von Querschnittsklauseln (vgl. Art. 11 [Umwelt],
Art. 114 Abs. 3 [Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz,
Verbraucherschutz] und „Chapeau“ des Art. 194 Abs. 1
[Binnenmarkt und Umwelt] AEUV)
• Vorbehalte zugunsten mitgliedstaatlicher Regelung
(„Souveränitätsvorbehalte“), vgl. Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2
AEUV (nicht aber Art. 193 AEUV!)
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(nur) in dem Fall, dass eine Regelung in zwei verschiedene
Kompetenztitel fällt, gilt der Vorrang der sachlich-gegenständlichen
Kompetenznorm, da die Anforderungen der finalen umschriebenen
Grundlagen ohnehin zu berücksichtigen sind (vgl. Art. 11 AEUV)
Außenkompetenz (= Zuständigkeit für den Abschluss völkerrechtlicher
Verträge)
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Art. 191 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV begründet keine Außenkompetenz der
Gemeinschaft auf dem Feld der Umweltpolitik, sondern setzt diese
voraus keine explizite Außenkompetenz der EU auf dem Gebiet
des Umweltschutzes
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aber: Außenkompetenz ist stets gegeben unter den
Voraussetzungen von Art. 216 AEUV (implizite Außenkompetenzen)
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Kap. 1: Kompetenzgrundlagen und Strukturprinzipien
• beachte: auch nach dem Vertrag von Lissabon ist die Frage
der vertikalen Abgrenzung der Außenkompetenzen nicht
eindeutig geregelt
• Art. 3 Abs. 2 AEUV lautet: „Die Union hat ferner die
ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss
internationaler Übereinkünfte, wenn der Abschluss einer
solchen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt der
Union vorgesehen ist, wenn er notwendig ist, damit sie
ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, oder soweit er
gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren
Tragweite verändern könnte.“
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• richtig wohl: einschränkende Auslegung, da Art. 3 Abs. 1 AEUV
die Bereiche auflistet, in welchen die Gemeinschaft über eine
ausschließliche Zuständigkeit verfügen soll
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