Vorkurs Mathematik - Fachbereich Mathematik und Statistik

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Vorkurs Mathematik
Universität Konstanz
Fachbereich Mathematik und Statistik
D. K. Huynh
September 2013
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
4
1.1
Praktisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.2
Philosophisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.3
Ein Intelligenztest – oder wie werden die Folgen fortgesetzt? . . .
5
1.4
Beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
2 Natürliche Zahlen, Summen und Summenformeln
2.1
10
Die natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
2.1.1
Bubble Sort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
2.2
Das Summenzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
2.3
Ganze Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
3 Teilbarkeitslehre und Restklassenarithmetik
16
3.1
Gruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
3.2
Teilbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
3.3
Restklassenarithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
3.4
Modulo Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
4 Zahlenbereiche
4.1
23
Rationale Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
4.1.1
Addition von Brüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
4.1.2
Multiplikation von Brüchen . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
4.2
Dezimalzahlen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
4.3
Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
4.4
Einschub: Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
5 Polynomiale Gleichungen
5.1
28
Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
28
5.2
Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
5.3
Polynomgleichungen höheren Grades . . . . . . . . . . . . . . . .
30
5.3.1
Auflösbarkeit algebraischer Gleichungen durch Radikale .
30
5.3.2
Lemma von Gauß
30
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 Lineare Gleichungssysteme
33
6.1
Gaußsches Eliminationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
6.2
Matrizenmultiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
7 Determinanten und Ungleichungen
39
7.1
Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
7.2
Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
7.2.1
Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
7.2.2
Absolutbetrag
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
7.2.3
Die Dreiecksungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
8 Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion
46
8.1
Motivation
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
8.2
Illustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
8.3
Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
9 Komplexe Zahlen
50
9.1
Algebraische Form einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . .
51
9.2
Polarkoordinaten einer komplexen Zahl
52
. . . . . . . . . . . . . .
10 Folgen und Konvergenz von Folgen
10.1 Der Grenzbegriff für Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 Reihen, Funktionen
55
55
59
11.1 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
11.1.1 Geometrische Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
11.1.2 Die harmonische Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
11.2 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
12 Funktionen und Mächtigkeiten
67
12.1 Etwas Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
12.2 Injektive, surjektive und bijektive Funktionen . . . . . . . . . . .
67
2
13 Stetige Funktionen, Binomischer Lehrsatz
75
13.1 Funktionenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
13.2 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
13.3 Etwas Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
13.4 Der Binomische Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
14 Differentialrechnung
81
14.1 Geradengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
14.2 Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
14.3 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
15 Integralrechnung
87
15.1 Supremum und Infimum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
15.2 Flächeninhalt und Integral einfacher Funktionen . . . . . . . . .
88
15.3 Integral gutartiger Funktionen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
15.4 Integral von Treppenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
15.5 Das Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
16 Infinitesimalrechnung, Mengenlehre und logische Verknüpfungen
95
16.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . .
95
16.2 Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
16.3 Substitutionsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
16.4 Exponential- und Logarithmusfunktion . . . . . . . . . . . . . . .
98
16.5 Mengenlehre und logische Verknüpfungen . . . . . . . . . . . . . 100
3
Vorlesung 1
Einführung
1.1
Praktisches
Zeiten:
10:00-12:00
12:00-13:00
13:00-14:30
14:30-16:00
Uhr
Uhr
Uhr
Uhr
Vorlesung
Mittagspause
Präsenzübung
Übungsgruppen
Material:
∙ Papier und Stift
∙ wacher Verstand
∙ kein Taschenrechner
1.2
Philosophisches
∙ Was ist Mathematik?
Eine Strukturwissenschaft, eine Geisteswissenschaft, aber keine Naturwissenschaft.
∙ Was machen Mathematiker?
Mathematiker erforschen und analysieren Strukturen und führen Beweise.
Ziel ist es meist, Dinge möglichst gut zu abstrahieren. Es gibt sozusagen zwei Lager“ der Mathematiker: Die Theoriebauer“ und die Pro”
”
”
blemlöser“.
∙ Wo wird Mathematik eingesetzt? Was sind Anwendungen von Mathematik?
Beispielsweise in der Verschlüsselung (Kryptographie), für MP3s,...
4
∙ Ist alles in der Mathematik bereits erforscht?
Nein! Zum Beispiel gibt es die sogenannten die Millenium-Prize-Probleme,
die das Clay Mathematics Institute im Jahr 2000 auslobte. Für die Lösung
jedes dieser Probleme kann man eine Million US-Dollar gewinnen. Eines
davon ist das 𝑃 versus 𝑁 𝑃 -problem“:
”
𝑃 bezeichnet die Klasse derjenigen Fragestellungen, die in polynomialer
Zeit beantwortet werden können, d.h. es gibt einen Algorithmus, der in
polynomialer Zeit die Frage beantwortet. Die Frage kann also schnell beantwortet werden.
Es gibt aber Fragen, für die es keinen Algorithmus gibt. Wenn aber eine
Antwort existiert, so kann diese schnell überprüft werden. Diese Klasse,
für die man Antworten in polynomialer Zeit überprüfen kann, wird mit
𝑁 𝑃 bezeichnet.
Offenbar gilt 𝑃 ⊂ 𝑁 𝑃 .
Beispiel: Teilsummenproblem (subset sum problem)
𝐼 = {−2, −3, 15, 14, 7, −10}
Gibt es eine nicht-leere Teilmenge von 𝐼, sodass deren Elemente sich zu 0
aufaddieren? Die Antwort ist ja“, denn
”
(−2) + (−3) + (−10) + 15 = 0.
Dies können wir sofort (in polynomialer Zeit (linear)) überprüfen. Es ist
aber kein Algorithmus bekannt, mit dem man diese Frage in polynomialer
Zeit beantworten könnte (es gibt aber einen in exponentieller Zeit). Es
gilt:
𝑁 𝑃 schnell überprüfbar“
”
𝑃 schnell lösbar“
”
Es ist offenbar 𝑃 ⊂ 𝑁 𝑃 . Die wichtige Frage ist also: Gilt 𝑁 𝑃 ⊂ 𝑃 und
somit 𝑁 𝑃 = 𝑃 ? Viele glauben, dass die Gleichheit nicht gilt. Wer die
Frage eindeutig beantworten kann, erhält vom Clay Mathematics Institute
1 Mio. US-Dollar.
1.3
Ein Intelligenztest – oder wie werden die
Folgen fortgesetzt?
a) 2, 4, 6, 8, ...
b) 3, 5, 7, ...
c) −1, 2, −4, 8, −16, ...
Mögliche Antworten sind
a) Es kann als die Folge der geraden Zahlen fortgesetzt werden. Man könnte
die Folge aber auch so fortsetzen:
2, 4, 6, 8, 2, 4, 6, 8, ...
5
b) Es kann als die Folge der ungeraden Zahlen ≥ 3 fortgesetzt werden. Ebenso
könnte man die Folge auch als die der Primzahlen sehen.
Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl mit genau zwei Teilern (1 ist keine
Primzahl).
c) Die Zahlen werden verdoppelt mit wechselndem Vorzeichen. Letztendlich
könnte man die Folge aber auch beliebig fortsetzen, beispielsweise mit
−1, 2, −4, 8, −16, 100, 101, 𝜋, 𝑒, ...
Um eine Folge eindeutig festzulegen, bedarf es einer expliziten Darstellung, etwa:
a) 𝑎𝑛 = 2𝑛, 𝑛 ∈ ℕ
wobei ℕ die Menge der natürlichen Zahlen bezeichnet, also ℕ = {0, 1, 2, ...}.
Ob die Zahl 0 zu den natürlichen Zahlen gehört, ist unter Mathematikern
strittig. In dieser Veranstaltung legen wir fest, dass 0 ∈ ℕ ist.
b) 𝑏𝑛 = 2𝑛 − 1, 𝑛 ∈ ℕ, 𝑛 ≥ 1
Dann ist 𝑏𝑛 die Folge der ungeraden Zahlen ≥ 3.
c) Wie lautet die explizite Darstellung von
−1, 2, −4, 8, −16, ...?
Antwort: 𝑐𝑛 = (−1)(𝑛+1) 2𝑛 , 𝑛 ∈ ℕ.
Beachte: Für 𝑎 > 0 gilt 𝑎0 = 1 (Begründung später.)
Bemerkung. Die Essenz dieses Abschnitts ist folgende Feststellung: Die mathematische Sprache erlaubt es uns, in kurzer und prägnanter Form eine unendliche Folge exakt zu beschreiben.
Einschub: Die Binomischen Formeln
Für 𝑎, 𝑏 ∈ ℝ gilt:
(𝑎 + 𝑏)2 = 𝑎2 + 2𝑎𝑏 + 𝑏2
(𝑎 − 𝑏)2 = 𝑎2 − 2𝑎𝑏 + 𝑏2
(𝑎 + 𝑏)(𝑎 − 𝑏) = 𝑎2 − 𝑏2
Hier bezeichnet ℝ die Menge der reellen Zahlen. ℝ werden wir später noch
ausführlicher besprechen.
Wir betrachten die Folge
1, 4, 9, 16, 25, 36, ...
Um welche Folge handelt es sich hier? Was fällt auf? Es ist die Folge der Quadratzahlen:
1
4
9
16
25
∥
∥
∥
∥
∥
12
22
32
42
52
|{z}
+3
|{z}
+5
|{z}
+7
|{z}
+9
6
36 ⋅ ⋅ ⋅
∥
62
|{z}
+11
⋅⋅⋅
Wir beobachten: Die Differenz zweier aufeinander folgender Quadratzahlen ist
eine ungerade Zahl. Wie können wir eine solche Aussage beweisen? Manchmal
hilft eine Veranschaulichung:
Zur 𝑛-ten Quadratzahl addieren wir 2𝑛 + 1 und erhalten die nächste Quadratzahl, also:
𝑛2 + 2𝑛 + 1 = (𝑛 + 1)2
und das ist genau die erste Binomische Formel. 𝑛2 ist die 𝑛-te Quadratzahl und
(𝑛 + 1)2 ist die (𝑛 + 1)-te Quadratzahl. Ihre Differenz ist
(𝑛 + 1)2 − 𝑛2 = 2𝑛 + 1.
Wir haben soeben einen mathematischen Beweis erbracht.
1.4
Beweisen
Wie ist ein mathematischer Beweis aufgebaut?
Formal besteht ein Beweis aus:
∙ Behauptung: Voraussetzungen und eigentliche Behauptung
∙ Beweis: Aus den Voraussetzungen wird mittels einer Kette von logischen
Schritten die Behauptung hergeleitet.
Welche Sätze kennen Sie aus der Schule? Wahrscheinlich unter anderem den
Satz des Pythagoras. Im Folgenden werden wir diesen beweisen.
Voraussetzung: Das Dreieck ist rechtwinklig.
Behauptung: In einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Flächeninhalte
der Quadrate über den Katheten gleich dem Flächeninhalt des Quadrats über
der Hypotenuse.
Beweis. Wir erstellen ein Quadrat mit Kantenlänge 𝑐
c²
und errichten über jeder Seite des Quadrates das Dreieck 𝐴𝐵𝐶:
7
a
C
b
a
b
A
c
c²
B
Dann gilt für den Flächeninhalt 𝐴1 des neu entstandenen großen Quadrates mit
der Seitenlänge 𝑎 + 𝑏: 𝐴1 = (𝑎 + 𝑏)2 . Andererseits gilt: 𝐴1 = 4𝐴Δ + 𝑐2 wobei
𝐴Δ der Flächeninhalt des Dreiecks 𝐴𝐵𝐶 ist. Wir haben 𝐴Δ = 12 𝑎𝑏.
Somit gilt
𝐴1 = 4𝐴Δ + 𝑐2 = 4 ⋅ 12 𝑎𝑏 + 𝑐2 = 2𝑎𝑏 + 𝑐2 .
Ferner haben wir
𝐴1 = (𝑎 + 𝑏)2 = 𝑎2 + 2𝑎𝑏 + 𝑏2 .
Daraus folgt
𝑎2 + 2𝑎𝑏 + 𝑏2 = 2𝑎𝑏 + 𝑐2
und damit
𝑎 2 + 𝑏2 = 𝑐 2 .
An welcher Stelle haben wir ausgenutzt, dass das Dreieck 𝐴𝐵𝐶 rechtwinklig
ist?
Antwort: An der Stelle wir errichten über jeder Seite des Quadrates mit Kan”
tenlänge 𝑐. . .“. Das so erhaltene Polygon (Vieleck) ist genau dann ein Quadrat,
wenn 𝐴𝐵𝐶 rechtwinklig ist!
Bemerkung. 𝑎2 + 𝑏2 = 𝑐2 mit 𝑎, 𝑏, 𝑐, ∈ ℚ ist eine Diophantische Gleichung,
dabei interessieren wir uns nur für rationale Lösungen 𝑎, 𝑏 und 𝑐. Diophantische
Gleichungen sind ein Teilgebiet der Zahlentheorie – auch bekannt als Königin
”
der Mathematik“. Die Gleichung
𝑎 2 + 𝑏2 = 𝑐 2
besitzt unendlich viele rationale Lösungen – ein solches Lösungstripel (𝑎, 𝑏, 𝑐)
wird pythagoräisches Tripel genannt. Wir können allgemein fragen: Gibt es
Lösungen mit 𝑎, 𝑏, 𝑐 ∈ ℚ für
𝑎𝑛 + 𝑏𝑛 = 𝑐𝑛 mit 𝑛 ≥ 3?
Die Antwort ist Nein“ und ist Gegenstand von Fermats letzten Satz. Die Be”
hauptung stand über 350 Jahre im Raum und wurde schließlich von Andrew
Wiles in siebenjähriger Arbeit 1995 bewiesen. An dieser Stelle eine Literaturempfehlung: Simon Singh – Fermats letzter Satz.
Aus dem Satz des Pythagoras folgt:
Satz 1.4.1. (Möndchen des Hippokrates) Die Summe 𝐴1 und 𝐴2 der Flächeninhalte der Halbkreise über den Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks 𝐴𝐵𝐶
ist gleich dem Flächeninhalt 𝐴3 des Halbkreises über der Hypotenuse.
8
A1
A2
A3
Beweis. Übungsaufgabe 4 von Blatt 1.
Eine Verallgemeinerung von Pythagoras ist folgender
Satz 1.4.2. Errichtet man über den Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks 𝐴𝐵𝐶
ähnliche Polygone, so gilt: Die Summe der Flächeninhalte 𝐴1 und 𝐴2 der Polygone über den Katheten ist gleich dem Flächeninhalt 𝐴3 des Polygons über der
Hypotenuse.
A1
A2
A3
Zur Erinnerung: Zwei Polygone heißen ähnlich, wenn ihre Winkel übereinstimmen und alle ihre Begrenzungslinien jeweils im gleichen Verhältnis zueinander
stehen.
In der allgemeinen Form lautet der Satz des Pythagoras
Satz 1.4.3. Errichtet man über den Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks 𝐴𝐵𝐶
ähnliche Figuren, so gilt: Die Summe der Flächeninhalte der Figuren über den
Katheten ist gleich dem Flächeninhalt der Figur über der Hypotenuse.
9
Vorlesung 2
Natürliche Zahlen, Summen
und Summenformeln
2.1
Die natürlichen Zahlen
Die natürlichen Zahlen sind diejenigen Zahlen mit denen wir zählen
0, 1, 2, 3, . . .
Es gibt unendlich viele und wir schreiben kurz
ℕ = {0, 1, 2, 3, . . .}
Wir wissen, wie wir natürliche Zahlen addieren und multiplizieren. Wir kennen
auch die folgenden Gesetze für diese Verknüpfungen:
Addition
Multiplikation
Gesetz
𝑚+𝑛=𝑛+𝑚
𝑚⋅𝑛=𝑛⋅𝑚
Kommutativität
𝑘 + (𝑚 + 𝑛) = (𝑘 + 𝑚) + 𝑛
𝑘 ⋅ (𝑚 ⋅ 𝑛) = (𝑘 ⋅ 𝑚) ⋅ 𝑛
Assoziativität
Darüber hinaus gilt die Distributivität, d.h.
𝑘 ⋅ (𝑚 + 𝑛) = 𝑘 ⋅ 𝑚 + 𝑘 ⋅ 𝑛.
Wir setzen stillschweigend voraus: Es gilt Punkt- vor Strichrechnung.
Bemerkung. Aus der Distributivität ergibt sich z.B.
(10 + 𝑎) ⋅ (10 + 𝑏) = 10 ⋅ (10 + 𝑏) + 𝑎 ⋅ (10 + 𝑏)
= 100 + 10𝑏 + 10𝑎 + 𝑎𝑏
= 100 + 10(𝑎 + 𝑏) + 𝑎𝑏.
Und damit eine Rechenhilfe für das Große Einmaleins (wenn 𝑎, 𝑏 ∈ {0, 1, 2, . . . , 9})
aus dem kleinen Einmaleins – wir müssen lediglich die Einerstellen (𝑎 und 𝑏)
10
addieren, anschließend mit 10 multiplizieren. Das Resultat addieren wir zum
Produkt der Einerstellen und 100. Hierzu müssen wir nur das kleine Einmaleins
kennen.
Beispiel.
17 + 15 = 100 + 10 ⋅ (7 + 5) + 7 ⋅ 5 = 100 + 120 + 35 = 255.
Die Zahlen 0 und 1 spielen für die Addition bzw. Multiplikation eine Sonderrolle.
Sei 𝑛 ∈ ℕ. Dann gilt:
0+𝑛=𝑛
1⋅𝑛=𝑛
Wir nennen 0 ein neutrales Element für die Addition und 1 ein neutrales Element
für die Multiplikation.
Für natürliche Zahlen 𝑎, 𝑏 gelten:
𝑎 + 𝑏 = 0 ⇒ 𝑎 = 𝑏 = 0.
(Das gilt nicht für ganze Zahlen!) Und ferner:
𝑎 ⋅ 𝑏 = 0 ⇒ 𝑎 = 0 oder 𝑏 = 0.
Wir können natürliche Zahlen der Größe nach vergleichen:
Wir schreiben 𝑚 ≤ 𝑛, wenn es eine natürliche Zahl 𝑘 mit 𝑚 + 𝑘 = 𝑛 gibt.
In diesem Fall sagen wir: 𝑚 ist kleiner oder gleich 𝑛.
Beachten Sie: Dieses “oder” ist kein ausschließliches oder im Sinne von “entweder
oder”. Dazu später mehr.
Die Relation ’≤’ genügt den folgenden Gesetzen:
∙ Transitivität, d.h.
𝑘≤𝑚
und
∙ Reflexivität, d.h.
𝑚 ≤ 𝑛 ⇒ 𝑘 ≤ 𝑛.
𝑛 ≤ 𝑛.
∙ Antisymmetrie, d.h.
𝑚 ≤ 𝑛 und
∙ Totalität, d.h.
𝑚≤𝑛
𝑛 ≤ 𝑚 ⇒ 𝑚 = 𝑛.
oder
𝑛 ≤ 𝑚.
Darüber hinaus ist 0 ≤ 𝑛 für alle 𝑛 ∈ ℕ.
Bezüglich der Addition und Multiplikation gilt für ≤:
𝑚≤𝑛
𝑚≤𝑛
⇒𝑘+𝑚≤𝑘+𝑛
⇒ 𝑘 ⋅ 𝑚 ≤ 𝑘 ⋅ 𝑛.
11
2.1.1
Bubble Sort
In der Informatik (und immer da, wo wir es mit großen Datenmengen zu tun
haben) kommt es vor, dass wir eine ungeordnete Liste etwa nach Größe sortieren
müssen.
Ein Beispiel für einen Sortieralgorithmus ist bubble sort. Gegeben sei eine nicht
notwendigerweise sortierte Liste, etwa
6, 5, 3, 1, 4.
Im bubble sort Algorithmus durchlaufen wir die Liste von links nach rechts und
vergleichen das jeweils aktuelle Element mit seinem rechten Nachbar. Falls die
beiden das Sortierkriterium (z.B. 𝑎 < 𝑏) verletzen werden sie getauscht. Die
bubble-Phase“ wird solange wiederholt bis die Eingabeliste vollständig sortiert
”
ist. Dabei wandert das jeweils größte Element wie eine Blase“ nach oben,
”
6, 5, 3, 1, 4 → 5, 6, 3, 1, 4 → 5, 3, 6, 1, 4 → 5, 3, 1, 6, 4 → 5, 3, 1, 4, 6
→ 3, 5, 1, 4, 6 → 3, 1, 5, 4, 6 → 3, 1, 4, 5, 6 → 1, 3, 4, 5, 6.
Frage: Wieviele Operationen werden im best case“ bzw. im worst case“ bei
”
”
einer Liste von 10 Elementen benötigt?
∙ Im best case haben wir eine bereits sortierte Liste, etwa:
1, 2, 3, . . . , 10
Benötigt werden also 0 Operationen.
∙ Im worst case ist die Liste in umgekehrter Reihenfolge:
10, 9, 8, . . . , 1
Hier werden 9+8+7 . . .+1 Operationen benötigt, um die Liste zu sortieren.
2.2
Das Summenzeichen
Es stellt sich hier die Frage: Was ist 1 + 2 + 3 . . . + 9? Oder was ist z. B.
1 + 2 + 3 + 4 . . . + 100? Oder allgemein, was ist die Summe der ersten 𝑛 Zahlen?
Was ist 1 + 2 + 3 + . . . + 𝑛?
Um den Schreibaufwand zu reduzieren und aus Gründen der Übersichtlichkeit,
führen wir nun die in der Mathematik übliche Schreibweise für Summen ein.
Zum Beispiel haben wir
10
∑
𝑗 = 1 + 2 + . . . + 10.
𝑗=1
∑
Dabei bezeichnet der griechische Groß-Buchstabe Sigma
das Summenzeichen.
𝑗 ∈ ℤ ist der Laufindex, wobei hier 𝑗 = 1 der Startindex und 𝑗 = 10 der
Endindex ist. Hierbei durchläuft 𝑗 die Werte von 1 bis 10 und erhöht seinen
Wert bei jedem Durchlauf um 1, bis 10 erreicht ist. Allgemein:
12
Es sei 𝑓 : ℕ → ℝ eine Funktion. Dann haben wir mit dem Summenzeichen für
𝑚 ≤ 𝑛 folgende Identitäten
𝑛
∑
𝑓 (𝑗) = 𝑓 (1) + 𝑓 (2) + 𝑓 (3) + . . . + 𝑓 (𝑛)
𝑗=1
𝑛
∑
𝑓 (𝑗) = 𝑓 (𝑚) + 𝑓 (𝑚 + 1) + . . . + 𝑓 (𝑛).
𝑗=𝑚
Gilt 𝑚 > 𝑛, so haben wir die leere Summe, diese ist 0.
Beispiele
∙ Für 𝑓 (𝑥) = 𝑥3 erhalten wir
4
∑
𝑓 (𝑗) = 𝑓 (1) + 𝑓 (2) + 𝑓 (3) + 𝑓 (4) = 13 + 23 + 33 + 43 .
𝑗=1
∙ Wir haben
12
∑
√
𝑗=
√
9+
√
10 +
√
11 +
√
12,
𝑗=9
hier ist 𝑓 (𝑗) =
√
𝑗.
∙ Wir haben
1
∑
𝑗 = 0.
𝑗=3
∙ Wir haben
2
∑
𝑗 = (−3) + (−2) + (−1) + 0 + 1 + 2.
𝑗=−3
Was ist nun
𝑛
∑
𝑗=1
𝑗 = 1 + 2 + 3 + . . . + (𝑛 − 1) + 𝑛?
Die Folge der Summe der ersten 𝑛 Zahlen 1, 3, 6, 10, . . . lässt sich durch Dreiecke
darstellen; daher werden sie auch Dreieckszahlen genannt:
1
1+2=3
1+2+3=6
1 + 2 + 3 + 4 = 10
Die Gesamtanzahl der Punkte eines Dreiecks lässt sich nun leicht berechnen,
indem wir die Dreiecke spiegeln. Dann erhalten wir Rechtecke deren lange Seite
gerade eine Einheit länger ist als die kurze Seite:
13
11=1
23=6
3 4 = 12
4 5 = 20
Somit ist 𝑛 ⋅ (𝑛 + 1) die Anzahl der Punkte des 𝑛-ten Rechtecks. Teilen wir
anschließend durch 2, so erhalten wir die Anzahl der Punkte des 𝑛-ten Dreiecks;
diese entspricht der Summe der ersten 𝑛 Zahlen. Mithin haben wir folgende
Summenformel
𝑛
∑
𝑛(𝑛 + 1)
𝑗=
.
2
𝑗=1
Dies formulieren wir als Satz:
Satz 2.2.1 (Gaußsche Summenformel). Für die Summe der ersten 𝑛 Zahlen
gilt
𝑛
∑
𝑛(𝑛 + 1)
𝑗=
.
2
𝑗=1
Alternativ können wir die Summenformel wie folgt beweisen: Wir schreiben die
Zahlen von 1 bis 𝑛 von links nach rechts in einer Zeile auf und direkt darunter
von rechts nach links und erhalten
1
2
3
...
𝑛
(𝑛 − 1)
(𝑛 − 2)
...
(𝑛 − 1)
2
𝑛
1
Wir beobachten, dass die Summe von jeder Spalte 𝑛 + 1 ist. Es gibt 𝑛 Spalten.
Also ist 𝑛 ⋅ (𝑛 + 1) die zweifache Summe der ersten 𝑛 Zahlen. Somit gilt für die
Summe der ersten 𝑛 Zahlen:
𝑛
∑
𝑛(𝑛 + 1)
.
𝑗=
2
𝑗=1
Der Anekdote nach kam der berühmte Carl Friedrich Gauß auf diesen Ansatz
als Sechsjähriger. Einen weiteren Beweis werden wir sehen, wenn wir das Beweisfahren der vollständigen Induktion (Vorlesung 8) behandeln.
Unter Anwendung der Gaußschen Summenformel erhalten wir: bubble sort benötigt also im worst case bei einer Liste mit 𝑛 Elementen insgesamt
𝑛−1
∑
𝑗=1
𝑗=
𝑛 ⋅ (𝑛 − 1)
2
Operationen, um die Liste zu sortieren.
2.3
Ganze Zahlen
Im Bereich ℕ der natürlichen Zahlen können wir bekanntlich eine Gleichung
𝑎+𝑥=𝑏
14
nur dann in 𝑥 lösen, wenn 𝑎 ≤ 𝑏.
So können wir etwa
7+𝑥=5
mit 𝑥 ∈ ℕ nicht lösen.
Hierzu benötigen wir die negativen Zahlen.
Die ganzen Zahlen sind
. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .
Wir bezeichnen sie mit
ℤ = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .}.
Im Bereich der ganzen Zahlen gilt folgende Existenzaussage, die in ℕ noch falsch
ist: Zu jedem 𝑛 ∈ ℤ gibt es ein 𝑛′ mit 𝑛 + 𝑛′ = 0. Wir nennen 𝑛′ ein Inverses
von 𝑛 bezüglich der Addition.
15
Vorlesung 3
Teilbarkeitslehre und
Restklassenarithmetik
3.1
Gruppentheorie
Wie wir in Vorlesung 2 gesehen haben, hat die Menge ℤ mit der Addition gewisse
Eigenschaften. Wir fassen nun bestimmte Eigenschaften zusammen und führen
den fundamentalen Begriff einer Gruppe ein.
Definition 3.1.1. Ein Paar (𝐺, ∗) bestehend aus einer Menge 𝐺 und einer
Verknüpfung
∗: 𝐺×𝐺→𝐺
(𝑎, 𝑏) 7→ 𝑎 ∗ 𝑏
heißt Gruppe, wenn folgendes gilt:
(G1) Für alle 𝑎, 𝑏, 𝑐 ∈ 𝐺 gilt
(𝑎 ∗ 𝑏) ∗ 𝑐 = 𝑎 ∗ (𝑏 ∗ 𝑐)
(Assoziativität).
(G2) Es existiert ein neutrales Element 𝑒 ∈ 𝐺, so dass für alle 𝑎 ∈ 𝐺 gilt
𝑎 ∗ 𝑒 = 𝑎.
(G3) Für jedes 𝑎 ∈ 𝐺 existiert ein inverses Element 𝑎−1 ∈ 𝐺, so dass
𝑎 ∗ 𝑎−1 = 𝑒
gilt.
Hierbei bezeichnet 𝐺 × 𝐺 das kartesische Produkt mit sich selbst:
Definition 3.1.2. Seien 𝐴 und 𝐵 Mengen. Dann definieren wir das kartesische
Produkt von 𝐴 mit 𝐵 durch
𝐴 × 𝐵 := {(𝑎, 𝑏)∣𝑎 ∈ 𝐴, 𝑏 ∈ 𝐵}.
16
Das kartesische Produkt 𝐴 × 𝐵 ist also die Menge aller Tupel (𝑎, 𝑏) mit 𝑎 ∈ 𝐴
und 𝑏 ∈ 𝐵.
Die Gruppe heißt abelsch bzw. kommutativ, falls gilt
𝑎 ∗ 𝑏 = 𝑏 ∗ 𝑎.
Anstatt (𝐺, ∗) schreiben wir kurz 𝐺, wenn klar ist, welche Gruppe und welche
Verknüpfung gemeint ist.
Definition 3.1.3. (𝐻, ∗) heißt Halbgruppe, wenn die Verknüpfung ∗ assoziativ
ist.
Eine Halbgruppe ist eine Verallgemeinerung einer Gruppe. Bei einer Halbgruppe
fordern wir nicht die Existenz eines neutralen Elements oder die Existenz von
Inversen. Eine Gruppe ist stets eine Halbgruppe, umgekehrt gilt das natürlich
nicht.
Beispiele.
∙ Mit diesen Definitionen können wir sagen, dass (ℤ, +), d.h. die Menge
der ganzen Zahlen mit der gewöhnlichen Addition + als Verknüfung, eine
kommutative Gruppe ist: Die Addition ist assoziativ (G1):
(𝑎 + 𝑏) + 𝑐 = 𝑎 + (𝑏 + 𝑐).
Es gibt ein neutrales Element (G2), nämlich 0, so dass
𝑎 + 0 = 𝑎.
Zu jedem 𝑛 ∈ ℤ gibt es ein 𝑛′ ∈ ℤ (G3) mit
𝑛 + 𝑛′ = 0
(nämlich 𝑛′ = −𝑛).
Überdies gilt
𝑎 + 𝑏 = 𝑏 + 𝑎.
∙ Frage: Ist (ℕ, +) ist eine Gruppe? Nein! Das neutrale Element ist ebenfalls
die 0. Aber zum Beispiel hat das Element 2 ∈ ℕ kein Inverses: Es gibt kein
𝑛 ∈ ℕ mit
2 + 𝑛 = 0.
(ℕ, +) ist eine Halbgruppe.
∙ Frage: Ist (ℤ, ⋅) mit der gewöhnlichen Multiplikation eine Gruppe? Nein!
Das neutrale Element bezüglich der Multiplikation ist 1. Aber beispielsweise hat 2 ∈ ℤ kein multiplikatives Inverses. (ℤ, ⋅) ist eine Halbgruppe.
3.2
Teilbarkeitslehre
Es seien 𝑚, 𝑛 ∈ ℤ. Wir sagen 𝑚 ist durch 𝑛 teilbar, wenn es ein 𝑘 ∈ ℤ gibt mit
𝑚 = 𝑘 ⋅ 𝑛.
17
Anders formuliert: 𝑛 teilt 𝑚. Hierfür schreiben wir kurz
𝑛∣𝑚.
Wir bemerken: 0 ∈ ℤ ist durch jede Zahl 𝑛 ∈ ℤ teilbar, denn es gilt
0=0⋅𝑛
(wir wählen 𝑘 = 0).
Welche Teilbarkeitsregeln kennen Sie?
∙ Jede Zahl 𝑛 ∈ ℤ ist durch 1 teilbar. Es gilt
𝑛 = 𝑛 ⋅ 1.
∙ Eine Zahl 𝑛 ∈ ℤ ist genau dann durch 2 teilbar, wenn sie gerade ist, d.h.
ihre letzte Ziffer ist 0, 2, 4, 6 oder 8.
∙ 100 ist durch 4 teilbar. Somit ist auch jedes Vielfache von 100 durch 4
teilbar. Damit ist eine entsprechend große Zahl genau dann durch 4 teilbar,
wenn ihre beiden letzten Ziffern als Zahl aufgefasst durch 4 teilbar ist.
∙ Eine Zahl ist genau dann durch 5 teilbar, wenn ihre letzte Ziffer 0 oder 5
ist.
∙ 8∣1000 ⇒ 8∣1000𝑘, 𝑘 ∈ ℤ. Somit ist eine entsprechend große Zahl genau
dann durchh 8 teilbar, wenn ihre letzten 3 Ziffern als Zahl aufgefasst durch
8 teilbar ist.
∙ Für die Teilbarkeit durch 3 oder 9 gilt die Quersummenregel, siehe unten.
∙ Eine Zahl ist genau dann durch 6 teilbar, wenn sie durch 2 und 3 teilbar
ist.
∙ Für die Teilbarkeit durch 7 gibt es keine bekannte Regel.
Definition 3.2.1. Es sei 𝑛 ∈ ℕ eine (𝑚 + 1)-stellige Zahl, d.h. wir haben
𝑛=
𝑚
∑
𝑘=0
𝑎𝑘 ⋅ 10𝑘 mit 𝑎𝑗 ∈ {0, 1, . . . , 9}, 𝑗 = 0, . . . , 𝑚.
Die Quersumme von 𝑛 ist dann definiert durch
𝑄(𝑛) =
𝑚
∑
𝑎𝑘 .
𝑘=0
Die alternierende Quersumme von 𝑛 ist definiert durch
𝑄∗ (𝑛) =
𝑚
∑
(−1)𝑘 𝑎𝑘 .
𝑘=0
18
Beispiel. Wir haben
2792 = 2 ⋅ 103 + 7 ⋅ 102 + 9 ⋅ 101 + 2 ⋅ 100 .
Es gilt
𝑄(2792) = 2 + 7 + 9 + 2 = 20,
und
𝑄∗ (2792) = −2 + 7 − 9 + 2 = −2.
Satz 3.2.2 (Quersummenregel). Eine Zahl ist genau dann durch 3 teilbar, wenn
ihre Quersumme durch 3 teilbar ist. Eine Zahl ist genau dann durch 9 teilbar,
wenn ihre Quersumme durch 9 teilbar ist.
Wir werden diese Quersummenregeln nun beweisen. Dazu bedarf es etwas Theorie und wir führen in die Restklassenarithmetik ein.
3.3
Restklassenarithmetik
Sei 𝑛 ∈ ℤ. Bei Division durch 3 gibt es drei mögliche Reste, nämlich 0,1 oder
2. Der Rest 3 entspricht dem Rest 0, usw. Wir bezeichnen die Teilmenge der
ganzen Zahlen, die bei Division durch 3 den Rest 0 lassen, als Restklasse [0]3 .
Entsprechend bezeichnen die Restklassen [1]3 und [2]3 die Teilmengen der ganzen Zahlen, die den Rest 1 bzw. 2 bei Division durch 3 lassen.
Wenn klar ist, welche Restklassen wir betrachten, so können wir den Index
und die eckigen Klammern weglassen. Im folgenden lassen wir den Index weg,
behalten aber die eckigen Klammern bei.
Unter den Restklassen können wir nun eine Addition einführen, z. B. gilt
[0] + [2] = [2] oder
[2] + [2] = [1], denn
seien 𝑚, 𝑛 ∈ [2], dann gilt
𝑚 = 3𝑘 + 2, 𝑘 ∈ ℤ
𝑛 = 3𝑙 + 2, 𝑘 ∈ ℤ.
Somit gilt
𝑚 + 𝑛 = 3𝑘 + 3𝑙 + 2 + 2 = 3𝑘 + 3𝑘 + 3 + 1 = 3(𝑘 + 𝑙 + 1) + 1 ∈ [1].
Bemerkung. Die Menge aller Restklassen bei der Division durch 3 bezeichnen
wir mit ℤ3 , d.h.
ℤ3 := {[0], [1], [2]} = {0, 1, 2}.
Bemerkung. (ℤ3 , +) ist eine kommutative Gruppe.
Das neutrale Element ist [0]. Zu jedem Element gibt es ein Inverses: Das Inverse
zu [1] ist [2] und das Inverse zu [0] ist [0], wie wir der folgenden Additionstabelle
entnehmen können:
19
+
[0]
[1]
[2]
[0]
[0]
[1]
[2]
[1]
[1]
[2]
[0]
[2]
[2]
[0]
[1]
Die Assoziativität und Kommutativität ergeben sich aus der gewöhnlichen Addition in ℤ.
Wie sieht es mit der Multiplikation in ℤ3 aus? Was ist z.B. [0] ⋅ [1]? Antwort:
Wir haben [0] ⋅ [1] = [0], denn die Multiplikation einer durch 3 teilbaren Zahl
ergibt eine Zahl, die durch 3 teilbar ist.
Wir haben [1] ⋅ [1] = [1], denn
(3𝑘 + 1)(3𝑚 + 1) = 9𝑘𝑚 + 3 + 3𝑚 + 1 = 3 (𝑘𝑚 + 1 + 𝑚) +1.
{z
}
|
∈ℤ
Ebenso haben wir [2] ⋅ [2] = [1], denn
(3𝑘 + 2)(3𝑚 + 2) = 9𝑘𝑚 + 6𝑘 + 6𝑚 + 4 = 3 (3𝑘𝑚 + 2𝑘 + 2𝑚 + 1) +1.
|
{z
}
∈ℤ
Das neutrale Element bezüglich der Multiplikation in ℤ3 ist [1]. Somit ist [1]
zu sich selbst invers, ebenso ist [2] zu sich selbst invers. (ℤ3 , ⋅) ist jedoch keine
Gruppe, denn die [0] hat kein multiplikatives Inverses.
Bemerkung. Das neutrale Element 0 der Addition kann kein multiplikatives
Inverses haben. Gäbe es ein multiplikatives Inverses 𝑛, so erhielten wir
0 ⋅ 𝑛 = 1.
Wir betrachten daher ℤ3 ohne das Element [0] und setzen
ℤ∗3 := ℤ3 ∖{0}.
Dann ist (ℤ∗3 , ⋅) eine abelsche Gruppe.
Wir kombinieren nun die zwei Verknüpfungen der Addition und Multiplikation
und führen den wichtigen Begriff eines Ringes ein.
Definition 3.3.1. Sei 𝑅 eine Menge mit zwei Verknüpfungen
+:𝑅×𝑅→𝑅
⋅ : 𝑅 × 𝑅 → 𝑅.
𝑅 = (𝑅, +, ⋅) heißt Ring, wenn
(R1)
(𝑅, +) ist eine abelsche Gruppe.
(R2)
(𝑅, ⋅) ist eine Halbgruppe.
(R3)
Es gelten die Distributivgesetze, d.h.
𝑎 ⋅ (𝑏 + 𝑐) = 𝑎 ⋅ 𝑏 + 𝑎 ⋅ 𝑐 und (𝑎 + 𝑏) ⋅ 𝑐 = 𝑎 ⋅ 𝑐 + 𝑏 ⋅ 𝑐
für alle 𝑎, 𝑏, 𝑐 ∈ 𝑅.
20
Somit ist (ℤ3 , +, ⋅) ein Ring. Er heißt Restklassenring (modulo 3). Wir beweisen
nun die Quersummenregel (Satz 3.2.2): Eine Zahl ist genau dann durch 3 teilbar,
wenn ihre Quersumme durch 3 teilbar ist.
Beweis. Es bezeichne [𝑎] die Restklasse von 𝑎 bei Division durch 3. Es gilt
[10] = [1].
Damit ist jede Zehnerpotenz in der Restklasse [1], d.h.
[10𝑘 ] = [1] für alle 𝑘 ∈ ℕ.
Es sei
𝑎=
𝑁
∑
𝑘=0
(3.1)
𝑎𝑘 ⋅ 10𝑘 , 𝑎𝑘 ∈ {0, 1, . . . , 9}
eine (𝑁 + 1)-stellige natürliche Zahl, 𝑁 ∈ ℕ. Wir haben zu zeigen, dass
𝑎 ist durch 3 teilbar ⇔ 𝑄(𝑎) =
𝑁
∑
𝑎𝑘 ist durch 3 teilbar.
𝑘=0
In der Folge benutzen wir
[𝑚 + 𝑛] = [𝑚] + [𝑛],
(3.2)
[𝑚 ⋅ 𝑛] = [𝑚] ⋅ [𝑛],
(3.3)
und
welche leicht zu verifizieren sind. Wir haben dann
[𝑁
]
𝑁
𝑁
∑
(3.3) ∑
(3.2) ∑
[𝑎] =
𝑎𝑘 ⋅ 10𝑘 =
[𝑎𝑘 ] ⋅ [10𝑘 ]
[𝑎𝑘 ⋅ 10𝑘 ] =
𝑘=0
𝑘=0
𝑘=0
]
[𝑁
𝑁
(3.2) ∑
(3.1) ∑
[𝑎𝑘 ] =
=
𝑎𝑘 = [𝑄(𝑎)] .
𝑘=0
𝑘=0
Mithin liegen 𝑎 und 𝑄(𝑎) bezüglich der Division durch 3 stets in derselben
Restklasse. Daraus folgt sofort die Behauptung.
Bemerkung. Der Beweis für die Quersummenregel bei Division durch 9 läuft
analog.
Es gilt ferner: Eine Zahl ist genau dann durch 11 teilbar, wenn ihre alternierende
Quersumme durch 11 teilbar ist. Beweis als Übungsaufgabe unter Ausnutzung,
dass [10]11 = [−1]11 gilt.
3.4
Modulo Notation
Wir führen noch eine übliche Notation in der Restklassenarithmetik ein. Für
𝑚, 𝑛, 𝑝 ∈ ℤ schreiben wir
𝑚 ≡ 𝑛 (mod) 𝑝,
21
wenn 𝑚 und 𝑛 bei Division durch 𝑝 in der gleichen Restklasse liegen bzw. den
gleichen Rest lassen. Lies 𝑚 ist kongruent 𝑛 modulo 𝑝“, so gilt z. B.
”
8≡1
(mod) 7.
Beispiel. In der Aufgabe 2 vom Blatt 1 haben wir: Finden Sie 𝑚, 𝑛 ∈ ℤ mit
𝑚 𝑛
1
+ =
.
3
5
15
Mit der modulo Schreibweise bestimmen wir nun alle Lösungen. Wir haben
1
3𝑚 + 5𝑛
=
.
15
15
Das impliziert
3𝑚 = 1 − 5𝑛 ⇒ 𝑚 =
1 − 5𝑛
.
3
Es muss gelten
1 − 5𝑛 ≡ 0 (mod) 3 ⇒ 1 ≡ 5𝑛
(mod) 3.
Es gilt
5≡2
(mod) 3.
1 ≡ 2𝑛
(mod) 3.
Also folgt
Damit folgt
𝑛 ≡ 2 (mod) 3.
Wir können also schreiben
𝑛 = 3𝑘 + 2, 𝑘 ∈ ℤ.
Somit
𝑚=
1 − 10 − 15𝑘
−9 − 15𝑘
1 − 5(3𝑘 + 2)
=
=
= −3 − 5𝑘.
3
3
3
Ergo: Alle Lösungen sind gegeben durch
𝑛 = 3𝑘 + 2 und 𝑚 = −3 − 5𝑘 mit 𝑘 ∈ ℤ.
22
Vorlesung 4
Zahlenbereiche
4.1
Rationale Zahlen
Wir haben gesehen, dass nicht jedes Element aus ℤ ein multiplikatives Inverses
besitzt. Dies führt zur Einführung der rationalen Zahlen ℚ, wobei der Buchstabe
Q für Quotient“ steht. Eine rationale Zahl 𝑚
𝑛 ist ein Quotient ganzer Zahlen
”
𝑚, 𝑛 ∈ ℤ und 𝑛 ∕= 0. Dabei heißt 𝑚 Zähler und 𝑛 Nenner. Wegen 𝑚
1 = 𝑚 ist ℤ
eine Teilmenge von ℚ.
Zwei Brüche sind gleich:
𝑎
𝑎′
= ′
𝑏
𝑏
:⇐⇒
𝑎𝑏′ = 𝑎′ 𝑏
Wir können Brüche erweitern:
𝑎𝑐
𝑎
=
𝑏
𝑏𝑐
mit 𝑐 ∈ ℤ ∖ {0}.
Wir können Brüche kürzen:
𝑎
𝑎𝑐
=
𝑏𝑐
𝑏
mit 𝑐 ∈ ℤ ∖ {0}.
4.1.1
Addition von Brüchen
Wenn zwei Brüche den gleichen Nenner haben, so ist die Addition einfach:
𝑚 + 𝑚′
𝑚 𝑚′
+
:=
𝑛
𝑛
𝑛
Falls zwei Brüche keinen gleichen Nenner besitzen, dann können wir die Brüche
so weit erweitern, bis sie denselben Nenner haben:
𝑎
𝑏
𝑎𝑛 + 𝑏𝑚
+ =
𝑚 𝑛
𝑚𝑛
Es bietet sich an, das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV) von 𝑚 und 𝑛 als gemeinsamen Nenner zu wählen. Derart bleiben Zähler und Nenner kleinstmöglich.
23
0
, 𝑚 ∕= 0 ein neutrales Element bezüglich der Addition. Zu
Offenbar ist 0 = 𝑚
gibt es ein additives Inverses, nämlich −𝑚
𝑛 . Denn:
𝑚
𝑛
𝑚 −𝑚
𝑚−𝑚
0
+
=
= =0
𝑛
𝑛
𝑛
𝑛
Somit können wir
Vorsicht:
Es gilt nicht
1
𝑎+𝑏
=
Ebenso gilt nicht:
4.1.2
−𝑚
𝑛
𝑎
𝑏
1
𝑎
= −𝑚
𝑛 schreiben. Damit ist (ℚ, +) eine abelsche Gruppe.
+
+
1
𝑏
𝑎
𝑏′
(siehe auch Übungsaufgabe 17 auf Blatt 4).
=
𝑎
𝑏+𝑏′ .
Dies folgt sofort aus Obigem.
Multiplikation von Brüchen
Dies ist einfach
𝑎 𝑐
𝑎⋅𝑐
⋅ :=
𝑏 𝑑
𝑏⋅𝑑
mit 𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑 ∈ ℤ, 𝑏, 𝑑 ∈ ℤ ∖ {0}
Die Addition von Brüchen ist komplizierter als ihre Multiplikation.
(ℚ∖{0}, ⋅) ist eine abelsche Gruppe. Das neutrale Element ist 1. Für einen Bruch
𝑚
𝑛
𝑛 ∕= 0 ist das multiplikative Inverse gegeben durch 𝑚 .
Somit ist (ℚ, +, ⋅) ein Ring. ℚ ist sogar ein Körper, aber dazu später mehr.
Für 𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑 ∈ ℤ+ (ℤ+ enthält nur die positiven ganzen Zahlen) gilt immer:
𝑐
𝑎+𝑐
𝑎
+ >
,
𝑏
𝑑
𝑏+𝑑
also
𝑎
𝑐
𝑎+𝑐
+ ∕=
.
𝑏
𝑑
𝑏+𝑑
Diese Ungleichung ist leicht einzusehen, denn:
𝑎
𝑎
>
,
𝑏
𝑏+𝑑
=⇒
und
𝑐
𝑐
>
.
𝑑
𝑏+𝑑
𝑐
𝑎
𝑐
𝑎+𝑐
𝑎
+ >
+
=
𝑏
𝑑
𝑏+𝑑 𝑏+𝑑
𝑏+𝑑
Definition 4.1.1. Sei 𝐾 eine Menge mit zwei Verknüpfungen
+ : 𝐾 × 𝐾 −→ 𝐾
⋅ : 𝐾 × 𝐾 −→ 𝐾.
(𝐾, +, ⋅) heißt Körper, wenn
(K1) (𝐾, +) ist eine abelsche Gruppe.
(K2) (𝐾 ∖ {0}, ⋅) ist eine abelsche Gruppe.
(K3) Es gelten die Distributivgesetze, d.h. 𝑎(𝑏+𝑐) = 𝑎𝑏+𝑎𝑐 und (𝑎+𝑏)𝑐 = 𝑎𝑐+𝑏𝑐
für alle 𝑎, 𝑏, 𝑐 ∈ 𝐾.
24
Die Division zweier rationaler Zahlen ist definiert als
𝑎 𝑑
𝑎 𝑐
: := ⋅ ,
𝑏 𝑑
𝑏 𝑐
also die Multiplikation von
𝑎
𝑏
mit dem multiplikativen Inversen von 𝑑𝑐 .
Vorsicht: Mit der Bezeichnung 2 𝑎𝑏 ist im folgenden
mischter Bruch (vgl. 2 12 = 2 + 12 ).
4.2
2⋅𝑎
𝑏
gemeint und kein ge-
Dezimalzahlen
Jede rationale Zahl lässt sich als Bruch schreiben. Diese lässt sich in eine Dezimalzahl umwandeln, letztere ist entweder endlich oder periodisch. Genauer:
Satz 4.2.1. Die rationale Zahl 𝑛𝑧 mit 𝑧, 𝑛 ∈ ℤ in ihrer Darstellung als Dezimalzahl ist entweder abbrechend oder periodisch. Die Periode ist höchstens von der
Länge 𝑛 − 1.
Vor dem Beweis erinnern wir noch einmal an das schriftliche Dividieren; wir
betrachten 121 dividiert durch 7.
1 2 1 : 7 = 17,285714
−7
51
−4 9
20
−1 4
60
−5 6
40
−3 5
50
−4 9
10
−7
30
−2 8
2
Beweis. Es gibt bezüglich der Division durch 𝑛 insgesamt 𝑛 Restklassen. Beim
Verfahren des schriftlichen Dividierens kommen wir zum Abschluss, falls die
Restklasse 0 auftritt. Andernfalls können höchstens 𝑛 − 1 Restklassen auftreten.
Satz 4.2.2. Jede abbrechende oder periodische Dezimalzahl lässt sich als gewöhnlicher Bruch darstellen, ist also eine rationale Zahl.
Aus den Sätzen 4.2.1 und 4.2.2 folgt
25
Satz 4.2.3. Die rationalen Zahlen sind genau die abbrechenden oder periodischen Dezimalzahlen.
Die Umwandlung einer abbrechenden Dezimalzahl in einen Bruch ist einfach.
Für die Umformung von einer periodischen Dezimalzahl in einen Bruch benutzen
wir die folgenden Beziehungen:
0,1 =
1
,
9
0,01 =
1
,
99
0,001 =
1
999
Durch Multiplikation und Addition erhalten wir hieraus für alle periodischen
Dezimalzahlen die entsprechende Bruchdarstellung, z.B. 0, 2:
0,1 =
1
9
Insbesondere gilt:
1=
⋅2
=⇒
0,2 =
2
9
9
= 0,9.
9
Die Beziehungen ergeben sich aus
10 ≡ 1 mod 9,
100 ≡ 1 mod 99,
1000 ≡ 1 mod 999,
usw.
Allgemein gilt: Es sei 𝑚 eine 𝑘-stellige Zahl deren Ziffern alle 9 seien. Im Divisionsverfahren von 1 durch 𝑚 bedarf es nun 𝑘 Schritte, um 10𝑘 zu erreichen.
4.3
Reelle Zahlen
Nach Einführung der rationalen Zahlen könnte man meinen, diese füllten die
ganze Zahlengerade aus. In beliebiger Nähe einer rationalen Zahl liegen unendlich viele weitere rationale Zahlen. Anders formuliert: zwischen zwei beliebigen
rationalen Zahlen findet man immer eine weitere rationale Zahl.
Daher gibt es auch (anders als bei den ganzen Zahlen) zu den rationalen Zahlen
keine nächstkleinere oder nächstgrößere Zahl. Trotz der unendlich vielen rationalen Zahlen gibt es kein 𝑥 mit 𝑥2 = 2 und 𝑥 ∈ ℚ. Dies wollen wir nun beweisen
– und zwar mittels eines Beweises durch Widerspruch.
4.4
Einschub: Aussagenlogik
(Mehr davon später)
direkte Schlussfolgerung: 𝐴 ⇒ 𝐵
26
aus der Aussage 𝐴 folgt die Aussage 𝐵. Zuweilen ist ein direkter Beweis nicht
einfach. Dann kann ein Beweis durch Widerspruch gelingen. Eine Aussage ist
entweder wahr (w) oder falsch (f). Mit 𝐴𝑐 wird das Komplement von 𝐴 bezeichnet: die komplementäre Aussage.
Beispiel:
𝐴 ≡ Die Sonne scheint.
𝐴𝑐 ≡ Die Sonne scheint nicht.
Falls 𝐴 wahr ist, dann ist 𝐴𝑐 falsch. Falls 𝐴 falsch ist, dann ist 𝐴𝑐 wahr.
(𝐴 ⇒ 𝐵) ⇔ (𝐵 𝑐 ⇒ 𝐴𝑐 )
Idee: 𝐴 ist wahr, 𝐴 ⇒ 𝐵 ist schwer zu zeigen. Wenn 𝐴 wahr ist, dann ist 𝐴𝑐
falsch. Angenommen, 𝐵 ist falsch, dann ist 𝐵 𝑐 wahr. Falls aus 𝐵 𝑐 wahr die
Aussage 𝐴𝑐 wahr folgt, dann haben wir einen Widerspruch, denn 𝐴𝑐 ist falsch!
Als Beispiel dient der Beweis von folgendem Lemma:
Lemma 4.4.1. 𝑥 =
√
2 ist keine rationale Zahl.
Beweis. Angenommen, 𝑥 ist eine rationale Zahl. Dann haben wir 𝑥 = 𝑚
𝑛 mit
ggT(𝑚, 𝑛) = 1 (d.h. die Bruchdarstellung von 𝑥 kann nicht weiter gekürzt werden). Daraus folgt:
𝑚2
=2
𝑛2
2
⇒ 𝑚 = 2𝑛2
𝑥2 =
2𝑛2 ist gerade, daraus folgt, dass auch 𝑚2 gerade sein muss. 𝑚2 kann nur gerade
sein, wenn 𝑚 gerade ist, daher 𝑚 = 2𝑘 für ein 𝑘 ∈ ℤ. Daraus folgt:
(2𝑘)2 = 4𝑘 2 = 2𝑛2
⇒ 2𝑘 2 = 𝑛2
Somit ist auch 𝑛2 eine gerade Zahl,
√ damit ist 𝑛 gerade. Hieraus folgt: ggT(𝑚, 𝑛)
≥ 2 ∕= 1. Widerspruch! Also ist 2 nicht rational.
√
2 ist irrational. Da die rationalen Zahlen genau die Zahlen sind, die eine abbrechende oder periodische Darstellung als Dezimalzahl haben, sind die irrationalen
Zahlen diejenigen, deren Dezimaldarstellung unendlich und nicht periodisch ist.
Definition 4.4.2. Die Menge der reellen Zahlen ℝ ist die Vereinigung der
rationalen Zahlen mit den irrationalen Zahlen.
Bemerkung. (ℝ, +, ⋅) ist ein Körper.
27
Vorlesung 5
Polynomiale Gleichungen
Definition 5.0.3. Ein Polynom 𝑝(𝑥) in der Variablen 𝑥 ∈ ℝ ist eine endliche
Summe von Potenzen von 𝑥, die Exponenten sind hierbei natürliche Zahlen.
Wir haben die Darstellung
𝑝(𝑥) =
𝑛
∑
𝑎𝑘 𝑥𝑘 = 𝑎𝑛 𝑥𝑛 + 𝑎𝑛−1 𝑥𝑛−1 + . . . + 𝑎1 𝑥 + 𝑎0
𝑘=0
mit 𝑎𝑗 ∈ ℝ, 𝑗 = 0, . . . , 𝑛.
Falls 𝑎𝑛 ∕= 0, so ist 𝑝(𝑥) ein Polynom von Grad 𝑛. Der Koeffizient 𝑎𝑛 ∕= 0 heißt
Leitkoeffizient und 𝑎0 heißt Absolutglied. Wir bezeichnen 𝑎1 𝑥 als lineares Glied,
𝑎2 𝑥2 als quadratisches Glied und 𝑎3 𝑥3 als kubisches Glied.
Falls die Koeffizienten 𝑎𝑗 , 𝑗 = 0, 1, . . . , 𝑛, und 𝑎𝑛 ∕= 0, von 𝑝(𝑥) alle rational
sind, so sagen wir, dass 𝑝(𝑥) ein ganzrationales Polynom von Grad 𝑛 ist.
5.1
Lineare Gleichungen
Für 𝑛 = 1 haben wir ein lineares Polynom
𝑝(𝑥) = 𝑎𝑥 + 𝑏, 𝑎 ∕= 0.
Wir können die Frage stellen, wann dieses Polynom verschwindet. Anders ausgedrückt: Für welche Werte von 𝑥 nimmt 𝑝(𝑥) den Wert 0 an? Alternativ gefragt:
Was sind die Nullstellen von 𝑝(𝑥)?
Hierzu setzen wir
𝑏
𝑝(𝑥) = 0 ⇔ 𝑎𝑥 + 𝑏 = 0 ⇔ 𝑥 = − .
𝑎
Somit hat 𝑝(𝑥) als einzige Nullstelle 𝑥 = − 𝑎𝑏 .
28
5.2
Quadratische Gleichungen
Für 𝑛 = 2 haben wir ein quadratisches Polynom 𝑝(𝑥) = 𝑎𝑥2 + 𝑏𝑥 + 𝑐 mit
𝑎 ∕= 0. Auch hier können wir nach Nullstellen von 𝑝(𝑥) fragen. Für welche 𝑥 gilt
𝑎𝑥2 + 𝑏𝑥 + 𝑐 = 0?
Zunächst können wir durch 𝑎 ∕= 0 dividieren, und erhalten 𝑥2 + 𝑎𝑏 𝑥 + 𝑎𝑐 = 0.
Da wir stets durch den Leitkoeffizienten (dieser ist ungleich 0 vorausgesetzt) dividieren können, können wir uns auf Polynome mit Leitkoeffizient 1 beschränken.
Es gilt nun
𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 = 0
zu lösen (𝑝 = 𝑎𝑏 , 𝑞 = 𝑎𝑐 ).
Dazu wenden wir quadratische Ergänzung an. Wir wollen 𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 überführen
in die Form
𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 = (𝑥 + 𝑡)2 + 𝑚.
Wir beachten, dass gilt (𝑥 + 𝑡)2 = 𝑥2 + 2𝑡𝑥 + 𝑡2 . Ein Koeffizientenvergleich mit
( )2
𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 liefert 2𝑡 = 𝑝, d.h. 𝑡 = 𝑝2 und damit 𝑡2 = 𝑝2 . Somit gilt
( 𝑝 )2 ( 𝑝 )2
(
𝑝 ) 2 ( 𝑝 )2
𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 = 𝑥2 + 𝑝𝑥 +
−
+𝑞 = 𝑥+
−
+ 𝑞.
2
2
2
2
( )2
Die quadratische Ergänzung von 𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 ist also 𝑝2 , d.h. wir lesen den
Koeffizienten des linearen Terms ab, halbieren und quadrieren anschliessend.
( )2
Wir addieren zur Gleichung 𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 = 0 also auf beiden Seiten 𝑝2 − 𝑞
hinzu,
( 𝑝 ) 2 ( 𝑝 )2
𝑥2 + 𝑝𝑥 +
=
− 𝑞.
2
2
Nun wenden wir auf der linken Seite die erste binomische Formel an,
(
𝑝 )2 ( 𝑝 )2
𝑥+
=
− 𝑞.
2
2
Lösen wir nun nach 𝑥 auf, so erhalten wir
√( )
𝑝 2
𝑝
𝑥=±
−𝑞− .
2
2
Die quadratische Ergänzung führt also zur sogenannten 𝑝, 𝑞−Formel bzw. Mitternachtsformel.
Bemerkung. Vermeiden Sie nach Möglichkeit die Benutzung der Mitternachtsformel, sondern benutzen Sie als Mittel der Wahl die quadratische Ergänzung.
( )2
Wir setzen 𝐷 := 𝑝2 − 𝑞 und nennen den Ausdruck die Diskriminante der
quadratischen Gleichung 𝑥2 + 𝑝𝑥 + 𝑞 = 0.
Offenbar hat die quadratische Gleichung
∙ genau zwei reellwertige Lösungen, wenn 𝐷 > 0.
∙ genau eine reellwertige Lösung, wenn 𝐷 = 0.
∙ keine reellwertige Lösung, wenn 𝐷 < 0.
29
5.3
Polynomgleichungen höheren Grades
Bevor wir uns Polynomgleichungen höheren Grades widmen, können wir die Frage stellen, wieviele Nullstellen ein Polynom 𝑛-ten Grades hat. Eine erschöpfende
Antwort gibt darauf der
Satz 5.3.1 (Fundamentalsatz der Algebra). Jedes Polynom 𝑛-ten Grades hat
genau 𝑛 komplexwertige Nullstellen (mit Vielfachheiten gezählt).
Dabei sind die komplexen Zahlen eine Erweiterung der reellen Zahlen. Aus dem
Fundamentalsatz der Algebra folgt: Ein Polynom 𝑛-ten Grades hat maximal 𝑛
reellwertige Nullstellen (mit Vielfachheiten gezählt).
Definition 5.3.2. Eine Nullstelle 𝑎 eines Polynoms 𝑝(𝑥) von Grad 𝑛 hat die
Vielfachheit 𝑘 (𝑘 ≤ 𝑛) falls sich 𝑝(𝑥) schreiben lässt als
𝑝(𝑥) = (𝑥 − 𝑎)𝑘 ⋅ 𝑔(𝑥),
wobei 𝑔(𝑥) ein Polynom vom Grad 𝑛 − 𝑘 ist mit 𝑔(𝑎) ∕= 0.
Beispiel: Wir betrachten 𝑝(𝑥) = 𝑥3 = (𝑥−0)3 ⋅1. Hier ist 𝑔(𝑥) = 1 ein Polynom
vom Grad 0, und damit 𝑥 = 0 eine Nullstelle von der Vielfachheit 3.
5.3.1
Auflösbarkeit algebraischer Gleichungen durch Radikale
Zur Lösung einer algebraischen Gleichung, wie sie ganzrationale Polynome definieren, benötigen wir die bekannten Operationen der Addition, Subtraktion,
Multiplikation, Division und das Wurzelziehen. Es stellt sich die Frage, ob es
stets möglich ist, durch wiederholte Anwendung dieser Operationen, die Lösungen aus den Koeffizienten des Polynoms zu gewinnen. Das ist die berühmte
Frage nach der Auflösbarkeit algebraischer Gleichungen durch Radikale.
Für 𝑛 = 1 und 𝑛 = 2 haben wir gesehen, dass Lösungsformeln existieren und die
Auflösbarkeit durch Radikale gegeben ist. Existieren Lösungsformeln für Polynomgleichungen mit Grad 𝑛 ≥ 3?
Diese Frage konnte der französische Mathematiker Galois im 19. Jahrhundert
vollständig beantworten. Eine Schlussfolgerung der Galois-Theorie ist: Für eine
Polynomgleichung vom Grad 𝑛 ≥ 5 existieren im Allgemeinen keine Lösungsformeln in Form von Radikalen.
Für 𝑛 = 3 und 𝑛 = 4 existieren Lösungsformeln. Diese sind aber recht kompliziert, so dass wir nun alternative Ansätze für bestimmte Gleichungen besprechen. Ausgangspunkt ist das Lemma von Gauß.
5.3.2
Lemma von Gauß
Satz 5.3.3 (Lemma von Gauß). Vorgelegt sei die Polynomgleichung
𝑎𝑛 𝑥𝑛 + 𝑎𝑛−1 𝑥𝑛−1 + . . . + 𝑎0 = 0
30
mit 𝑎𝑗 ∈ ℤ, 𝑗 = 0, . . . , 𝑛. Ferner gelte 𝑎𝑛 ∕= 0 und 𝑎0 ∕= 0.
Falls 𝑥 = 𝑝𝑞 mit 𝑝, 𝑞 ∈ ℤ und (𝑝, 𝑞) = 1 eine rationale Lösung der Polynomgleichung ist, so gilt:
(i) 𝑝 ist ein Teiler des Absolutglieds 𝑎0 .
(ii) 𝑞 ist ein Teiler des Leitkoeffizienten 𝑎𝑛 .
Beispiel zur Anwendung: Wir betrachten die Gleichung
𝑥3 + 15𝑥2 + 23𝑥 − 231 = 0.
Wir setzen 𝑝(𝑥) := 𝑥3 + 15𝑥2 + 23𝑥 − 231. Der Leitkoeffizient von 𝑝(𝑥) ist 1,
das Absolutglied ist −231. Nach dem Lemma von Gauß können als ganzzahlige
Nullstellen von 𝑝(𝑥) nur die Teiler von 231 in Frage kommen. Die Primfaktorzerlegung von 231 ist 231 = 3 ⋅ 7 ⋅ 11. Somit sind die Teiler von 231 gerade
die in 𝑇231 = {1, 3, 7, 11, 21, 33, 77, 231} enthaltenen Elemente. Wir raten, dass
𝑥 = 3 eine Nullstelle ist und finden 𝑝(3) = 33 + 15 ⋅ 32 + 23 ⋅ 3 − 231 = 0,
dass 𝑥 = 3 tatsächlich eine Nullstelle ist. Damit lässt sich 𝑝(𝑥) schreiben als
𝑝(𝑥) = (𝑥 − 3)𝑔(𝑥), wobei 𝑔(𝑥) ein Polynom von Grad 2 ist. Die Nullstellen von
𝑔(𝑥) sind auch Nullstellen von 𝑝(𝑥).
Da 𝑔(𝑥) der Quotient von 𝑝(𝑥) und (𝑥 − 3) ist, können wir 𝑔(𝑥) wie folgt durch
Polynomdivision bestimmen:
𝑔(𝑥) = 𝑝(𝑥) : (𝑥 − 3) = (𝑥3 + 15𝑥2 + 23𝑥 − 231) : (𝑥 − 3) = 𝑥2 + 18𝑥 + 77.
Für 𝑔(𝑥), als Polynom von Grad 2, wissen wir, wie wir die Nullstellen bestimmen.
Die Strategie zur Lösung von Polynomgleichungen mit ganzzahligen Koeffizienten ist zum Beispiel so vorzugehen:
∙ Mit dem Lemma von Gauß bestimmen wir mögliche rationale Lösungen.
∙ Liegen tatsächlich rationale Lösungen vor, so können wir Polynomdivision
durchführen und reduzieren so den Grad des Polynoms. Wir führen diesen Vorgang solange fort, bis wir einen Grad erreicht haben, von dem wir
wissen, wie wir die Nullstellen analytisch bestimmen können.
Wir beweisen nun das Lemma von Gauß.
Beweis. Sei 𝑥 = 𝑝𝑞 mit 𝑝, 𝑞 ∈ ℤ und (𝑝, 𝑞) = 1 eine rationale Lösung der
Polynomgleichung, also
( )𝑛−1
( )
( )𝑛
𝑝
𝑝
𝑝
+ 𝑎0 = 0.
+ 𝑎𝑛−1
+ . . . + 𝑎1
𝑎𝑛
𝑞
𝑞
𝑞
Dann ist
𝑎𝑛
( )𝑛
( )𝑛−1
( )
𝑝
𝑝
𝑝
= −𝑎0 .
+ 𝑎𝑛−1
+ . . . + 𝑎1
𝑞
𝑞
𝑞
31
Multiplizieren mit 𝑞 𝑛 liefert
𝑎𝑛 𝑝𝑛 + 𝑎𝑛−1 𝑝𝑛−1 𝑞 + . . . + 𝑎1 𝑝𝑞 𝑛−1 = −𝑎0 𝑞 𝑛 .
Ausklammern von 𝑝 auf der linken Seite ergibt
𝑝(𝑎𝑛 𝑝𝑛−1 + 𝑎𝑛−1 𝑝𝑛−2 𝑞 + . . . + 𝑎1 𝑞 𝑛−1 ) = −𝑎0 𝑞 𝑛 .
{z
}
|
∈ℤ
Daraus folgt: 𝑝 ist ein Teiler von 𝑎0 𝑞 𝑛 . Da 𝑝 und 𝑞 teilerfremd sind, sind
auch 𝑝 und 𝑞 𝑛 teilerfremd. Mithin muss 𝑝 ein Teiler von 𝑎0 sein.
Analog können wir die Polynomgleichung wie folgt umstellen:
𝑞(𝑎𝑛−1 𝑝𝑛−1 + 𝑎𝑛−2 𝑝𝑛−2 𝑞 + . . . + 𝑎0 𝑞 𝑛−1 ) = −𝑎𝑛 𝑝𝑛 .
|
{z
}
∈ℤ
Daraus folgt: 𝑞 ist ein Teiler von 𝑎𝑛 𝑝𝑛 . Da 𝑝 und 𝑞 teilerfremd sind, ist 𝑞
also ein Teiler von 𝑎𝑛 .
32
Vorlesung 6
Lineare Gleichungssysteme
Gegeben sei eine lineare Gleichung über ℝ
5𝑥 + 2 = 0.
Diese Gleichung ist eine Beschreibung des Elements 𝑥 = − 25 , denn genau dieses
erfüllt die Gleichung.
Offenbar ist eine lineare Gleichung in einer Variablen 𝑥
𝑎𝑥 + 𝑏 = 𝑒, 𝑎 ∕= 0
immer lösbar mit
𝑥=
6.1
𝑒−𝑏
.
𝑎
Gaußsches Eliminationsverfahren
In der Folge betrachten wir lineare Gleichungssysteme mit 𝑚 Gleichungen und
𝑛 Variablen:
𝑎11 𝑥1 + 𝑎12 𝑥2 + ... + 𝑎1𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏1
𝑎12 𝑥1 + 𝑎22 𝑥2 + ... + 𝑎2𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏2
..
..
.
.
𝑎𝑚1 𝑥1 + 𝑎𝑚2 𝑥2 + . . . + 𝑎𝑚𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏𝑚
Hierbei sind die Koeffizienten durch 𝑎𝑖𝑗 mit 𝑖 = 1, 2, ..., 𝑚; 𝑗 = 1, 2, ..., 𝑛, sowie
𝑏𝑘 mit 𝑘 = 1, 2, ..., 𝑚 gegeben.
Jedes 𝑛-Tupel 𝑥 = (𝑥1 , ..., 𝑥𝑛 ), welches dem linearen Gleichungssystem genügt,
heißt Lösung des LGS. Zur Bestimmung von 𝑥 benutzen wir das Gaußsche
Eliminationsverfahren.
Dabei führen wir wiederholt elementare Zeilenumformungen durch, die das Gleichungssystem in die sogenannte Zeilenstufenform überführen (Erklärung dazu
später). Die elementaren Umformungen verändern die Lösungemenge nicht. In
33
der Zeilenstufenform lässt sich eine mögliche Lösung schnell ablesen.
Elementare Zeilenoperationen sind:
∙ das Addieren von Vielfachen einer Zeile zu einer Zeile
∙ Vertauschen von zwei Zeilen
Wir illustrieren das Gaußsche Eliminationsverfahren an einem Beispiel:
Vorgelegt sei das folgende LGS mit zwei Variablen 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ und zwei Gleichungen (D.h. 𝑚 = 𝑛 = 2):
(I)
(II)
3𝑥 + 4𝑦 = 12
9𝑥 + 2𝑦 = −14.
Wir ersetzen die (II). Zeile durch 3(I)−(II) und erhalten als neues LGS
(I)
(II)
3𝑥 + 4𝑦 = 12
0𝑥 + 10𝑦 = 50.
Damit haben wir bereits die sogenannte Zeilenstufenform erreicht. Ein LGS ist
in Zeilenstufenform, wenn jede Zeile mindestens eine Variable weniger hat als
die vorangegangene Zeile. Aus Zeile (II) lesen wir ab:
10𝑦 = 50 ⇒ 𝑦 = 5.
Einsetzen von 𝑦 = 5 in (I) liefert:
8
3𝑥 + 4 ⋅ 5 = 12 ⇒ 3𝑥 = −8 ⇒ 𝑥 = − .
3
Damit ist 𝑥 = − 38 und 𝑦 = 5 Lösung des LGS.
Um den Schreibaufwand gering zu halten, ordnen wir die Koeffizienten in der
Form
(
)
3 4
.
9 2
Dies ist die Koeffizientenmatrix des LGS. Die erweiterte Koeffizientenmatrix
enthält darüber hinaus in der letzten Spalte die Werte der rechten Seite der
Gleichungen
(
)
3 4 12
9 2 −14
Die durchgeführten elementaren Zeilenoperationen werden dokumentiert:
)
)
(
(
(II)→ 51 (II)
3 4 12
3 4 12
(II)→3(I)−(II)
.
⇝
⇝
0 10 50
0 1 5
34
Zurück zu einem beliebigen LGS mit 𝑚 Gleichungen und 𝑛 Variablen:
𝑎11 𝑥1 + 𝑎12 𝑥2 + . . . + 𝑎1𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏1
𝑎12 𝑥1 + 𝑎22 𝑥2 + . . . + 𝑎2𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏2
..
.
(6.1)
𝑎𝑚1 𝑥1 + 𝑎𝑚2 𝑥2 + . . . + 𝑎𝑚𝑛 𝑥𝑛 = 𝑏𝑚
Die Koeffizienten 𝑎𝑖𝑗 mit 𝑖 = 1, 2, ..., 𝑚 und 𝑗
in der Form
⎛
𝑎11 𝑎12 . . .
⎜
⎜ 𝑎21 𝑎22 . . .
⎜
⎜ .
⎜ ..
⎝
𝑎𝑚1 𝑎𝑚2 . . .
= 1, 2, ..., 𝑛 ordnen wir zweckmäßig
⎞
𝑎1𝑛
⎟
𝑎2𝑛 ⎟
⎟
.
.. ⎟
. ⎟
⎠
𝑎𝑚𝑛
Ein solches Schema bezeichnen wir als Matrix. Genauer: (𝑚 × 𝑛)-Matrix bestehend aus 𝑚 Zeilen und 𝑛 Spalten. Wir betrachten die Spalten dieser Matrix
⎛
⎞
⎛
⎞
⎛
⎞
𝑎11
𝑎12
𝑎1𝑛
⎜
⎟
⎜
⎟
⎜
⎟
⎜ 𝑎21 ⎟
⎜ 𝑎22 ⎟
⎜ 𝑎2𝑛 ⎟
⎜
⎟
⎜
⎟
⎜
⎟
𝑣1 = ⎜ . ⎟ , 𝑣2 = ⎜ . ⎟ , . . . , 𝑣𝑛 = ⎜ . ⎟ .
⎜ .. ⎟
⎜ .. ⎟
⎜ .. ⎟
⎝
⎠
⎝
⎠
⎝
⎠
𝑎𝑚1
𝑎𝑚2
𝑎𝑚𝑛
Diese Spalten können wir als (𝑚 × 1)-Matrizen auffassen, kurz auch 𝑚-Tupel
von Zahlen genannt. Die Addition von 𝑚-Tupeln kann auf nahliegende Weise
definiert werden:
⎛
⎞
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
𝑐 1 + 𝑑1
𝑑1
𝑐1
⎜
⎟
⎜ . ⎟ ⎜ . ⎟
..
⎟,
⎜ . ⎟ + ⎜ . ⎟ := ⎜
.
⎝
⎠
⎝ . ⎠ ⎝ . ⎠
𝑐 𝑚 + 𝑑𝑚
𝑑𝑚
𝑐𝑚
ebenso die Multiplikation eines 𝑚-Tupels mit einer reellen Zahl 𝑎 ∈ ℝ:
⎛ ⎞ ⎛
⎞
𝑐1
𝑎 ⋅ 𝑐1
⎜ . ⎟ ⎜ . ⎟
. ⎟ ⎜ . ⎟
𝑎⋅⎜
⎝ . ⎠ = ⎝ . ⎠.
𝑐𝑚
𝑎 ⋅ 𝑐𝑚
⎛
⎞
𝑏1
⎜ . ⎟
. ⎟
Für das 𝑚-Tupel ⎜
⎝ . ⎠ schreiben wir kurz 𝑏. Das LGS (6.1) lässt sich kurz
𝑏𝑚
schreiben als
𝑥1 𝑣1 + 𝑥2 𝑣2 + ... + 𝑥𝑛 𝑣𝑛 = 𝑏.
35
(6.2)
Prägnante Redeweise: Wir nennen ein 𝑛-Tupel
⎛ ⎞
𝑥1
⎜ . ⎟
. ⎟
𝑥=⎜
⎝ . ⎠
𝑥𝑛
für welches (6.1) oder (6.2) gilt, eine Lösung des LGS.
6.2
Matrizenmultiplikation
Das LGS lässt sich noch kürzer schreiben. Dazu bedarf es der Einführung der
Matrizenmultiplikation. Sei 𝐴 eine (𝑚 × 𝑛)-Matrix, 𝐵 eine (𝑛 × 𝑙)-Matrix:
𝐴 = (𝑎𝑖𝑗 )1≤𝑖≤𝑚,1≤𝑗≤𝑛 , 𝐵 = (𝑏𝑗𝑘 )1≤𝑗≤𝑛,1≤𝑘≤𝑙
Die Anzahl der Spalten von 𝐴 entspricht der Anzahl der Zeilen von 𝐵. Es
bezeichne 𝑀𝑚×𝑛 = (𝑀𝑚×𝑛 , ℝ) die Menge der (𝑚 × 𝑛)-Matrizen mit reellen
Einträgen.
Definition 6.2.1 (Matrizenmultiplikation). Wir definieren eine Verknüpfung
⋅ : 𝑀𝑚×𝑛 × 𝑀𝑛×𝑙 → 𝑀𝑚×𝑙
(𝐴, 𝐵) 7→ 𝐶 = 𝐴 ⋅ 𝐵
durch
𝑐𝑖𝑘 :=
𝑛
∑
𝑗=1
𝑎𝑖𝑗 ⋅ 𝑏𝑗𝑘 .
Wir erhalten also 𝑐𝑖𝑘 durch komponentenweise Multiplikation der 𝑖-ten Zeile von
𝐴 mit der 𝑘-ten Spalte von 𝐵.
Beispiel:
⎛
7
⎜
⎜2
𝐴=⎜
⎜6
⎝
9
⎞
3
(
⎟
5⎟
⎟, 𝐵 = 7 4
8⎟
8 1
⎠
0
)
9
5
𝐴 ist eine (4 × 2)-Matrix und 𝐵 eine (2 × 3)-Matrix. Das Produkt von 𝐴 und 𝐵
ist eine (4 × 3)-Matrix 𝐶. In diesem Beispiel ist die Multiplikation von 𝐵 und 𝐴
nicht definiert, denn die Spaltenanzahl von 𝐵 stimmt nicht mit der Zeilenanzahl
36
von 𝐴 überein.
⎛
7
⎜
⎜2
𝐴⋅𝐵 =⎜
⎜6
⎝
9
Wir haben
⎛
⎞
3
7⋅7+3⋅8 7⋅4+3⋅1
)
(
⎜
⎟
⎜
5⎟
⎟ ⋅ 7 4 9 = ⎜2 ⋅ 7 + 5 ⋅ 8 2 ⋅ 4 + 5 ⋅ 1
⎜6 ⋅ 7 + 8 ⋅ 8 6 ⋅ 4 + 8 ⋅ 1
⎟
8⎠
8 1 5
⎝
0
9⋅7+0⋅8 9⋅4+0⋅1
⎛
⎞
73 31 78
⎜
⎟
⎜ 54 13 43⎟
⎟
=⎜
⎜106 32 94⎟ .
⎝
⎠
63 36 81
{z
}
|
7⋅9+3⋅5
⎞
⎟
2 ⋅ 9 + 5 ⋅ 5⎟
⎟
6 ⋅ 9 + 8 ⋅ 5⎟
⎠
9⋅9+0⋅5
=𝐶
Beispiel:
Sei
⎛
𝑎11
𝑎12
...
𝑎1𝑛
⎞
⎜
⎟
⎜ 𝑎21 𝑎22 . . . 𝑎2𝑛 ⎟
⎜
⎟
𝐴=⎜ .
.. ⎟
...
⎜ ..
⎟
.
⎝
⎠
𝑎𝑚1 𝑎𝑚2 . . . 𝑎𝑚𝑛
⎛ ⎞
𝑥1
⎜ . ⎟
. ⎟
eine (𝑚 × 𝑛)-Matrix, sei 𝑥 = ⎜
⎝ . ⎠ eine (𝑛 × 1)-Matrix (also ist 𝑥 ein 𝑛-Tupel)
𝑥𝑛
⎛ ⎞
𝑏1
⎜ . ⎟
. ⎟
und sei 𝑏 = ⎜
⎝ . ⎠. Wir definieren
𝑏𝑚
𝑏𝑗 :=
𝑛
∑
𝑎𝑗𝑘 𝑥𝑘 .
𝑘=1
Also ist 𝑏 = 𝐴𝑥, denn
⎛
𝑎11
𝑎12
...
𝑎1𝑛
⎞
⎛ ⎞
⎟
⎜
𝑥
⎜ 𝑎21 𝑎22 . . . 𝑎2𝑛 ⎟ ⎜ 1 ⎟
⎟ ⎜ .. ⎟
⎜
⋅⎝ . ⎠
𝐴𝑥 = ⎜ .
..
.. ⎟
⎜ ..
.
. ⎟
⎠
⎝
𝑥𝑛
𝑎𝑚1 𝑎𝑚2 . . . 𝑎𝑚𝑛
⎛
⎞ ⎛ ⎞
𝑎11 𝑥1 + 𝑎12 𝑥2 + ... + 𝑎1𝑛 𝑥𝑛
𝑏1
⎜
⎟ ⎜ . ⎟
.
⎟ = ⎜ . ⎟.
..
=⎜
⎝
⎠ ⎝ . ⎠
𝑎𝑚1 𝑥1 + 𝑎𝑚2 𝑥2 + ... + 𝑎𝑚𝑛 𝑥𝑛
𝑏𝑚
37
Mit der Matrizenmultiplikation lässt sich das LGS (6.1) also kompakt schreiben
als
𝐴 ⋅ 𝑥 = 𝑏.
38
Vorlesung 7
Determinanten und
Ungleichungen
7.1
Determinante
Mit der Matrizenmultiplikation (siehe Vorlesung 6) lässt sich das LGS (6.1)
kompakt schreiben als
𝐴𝑥 = 𝑏.
𝐴 und 𝑏 sind gegeben und wir interessieren uns für die Lösung 𝑥.
Es sind zentrale Themen der linearen Algebra folgende Fragen zu beantworten:
∙ Unter welchen Bedingungen hat das LGS 𝐴𝑥 = 𝑏 Lösungen?
∙ Wann gibt es eine eindeutige Lösung?
∙ Wann keine bzw. unendlich viele Lösungen?
Diese Fragen beantworten wir nun zur Illustration für Gleichungssysteme mit
2 Gleichungen und 2 Variablen. Den allgemeinen Fall behandeln Sie in der B1Vorlesung (Lineare Algebra I).
Wir betrachten das Gleichungssystem:
(I) 𝑎𝑥 + 𝑏𝑦
(II) 𝑐𝑥 + 𝑑𝑦
=
=
𝑒
𝑓
Was sind die Bedingungen an die Koeffizienten 𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑, damit es eine Lösung
gibt? Keine Lösung? Mehrere Lösungen?
Sei einer der Koeffizienten ungleich 0, etwa 𝑎 ∕= 0.
Wir führen die Zeilenoperation (II) → (II) − 𝑎𝑐 (I) durch:
(II)
(I) 𝑎𝑥 + 𝑏𝑦
(
𝑐)
0+ 𝑑−𝑏
𝑦
𝑎
39
=
𝑒
=
𝑓−
𝑐
𝑒
𝑎
Also gilt:
(
𝑑−𝑏
Multiplikation mit 𝑎 liefert
𝑐
𝑐)
𝑦 = 𝑓 − 𝑒.
𝑎
𝑎
(𝑎𝑑 − 𝑏𝑐) 𝑦 = 𝑎𝑓 − 𝑐𝑒.
Es ist entscheidend, ob die Zahl 𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑) = 𝑎𝑑 − 𝑏𝑐 verschieden von Null ist.
Fall A: 𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑) ∕= 0
Dann ist
𝑦=
𝑎𝑓 − 𝑒𝑐
𝛿(𝑎, 𝑒, 𝑐, 𝑓 )
𝑎𝑓 − 𝑒𝑐
=
=
.
𝑎𝑑 − 𝑏𝑐
𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑)
𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑)
Eine leichte Rechnung zeigt:
𝑥=
𝑒𝑑 − 𝑏𝑓
𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑓, 𝑑)
=
.
𝑎𝑑 − 𝑏𝑐
𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑)
In diessem Fall A ist das LGS also eindeutig lösbar.
Fall B: 𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑) = 0
Dann ist
(𝑎𝑑 − 𝑏𝑐) 𝑦 = 𝑎𝑓 − 𝑐𝑒
nicht immer lösbar.
Denn falls die rechte Seite der Gleichung 𝑎𝑓 − 𝑐𝑒 ∕= 0, z.B. 𝑎 = 𝑐 = 𝑓 = 1, 𝑒 = 0,
dann ist das LGS nicht lösbar.
Falls die rechte Seite der Gleichung 𝑎𝑓 − 𝑐𝑒 = 0, dann können wir für 𝑦 jede
beliebige Zahl einsetzen. Das LGS ist dann lösbar, aber nicht eindeutig.
Für die (2 × 2)-Matrix
(
)
𝑎 𝑏
𝑀=
𝑐 𝑑
heißt 𝛿(𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑) Determinante von M.
Die Determinante ist entscheidend, ob das von 𝑀 definierte LGS eindeutig
lösbar ist, oder nicht. Jede quadratische (𝑛×𝑛)-Matrix 𝑀 hat ihre Determinante
det(𝑀 ). Diese ist eine Funktion:
det:
𝑀𝑛×𝑛 → ℝ mit 𝑀 7→ det(𝑀 ).
Falls det(𝑀 )∕= 0, so ist das durch 𝑀 definierte LGS eindeutig lösbar. Falls
det(𝑀 ) = 0, so ist das durch 𝑀 definierte LGS nicht lösbar oder nicht eindeutig
lösbar. Für 𝑛 = 1 entspricht det(𝑀 ) der Matrix 𝑀 . Beispielsweise ist
3𝑥 = 𝑏
40
eindeutig lösbar, hier ist 𝑀 = det(𝑀 ) = 3 ∕= 0 und wir erhalten als einzige
Lösung 𝑥 = 3𝑏 . Auf der anderen Seite ist
0⋅𝑥=𝑏
mit 𝑀 = det(𝑀 ) = 0 nicht lösbar, wenn 𝑏 ∕= 0 gilt und hat unendlich viele
Lösungen, wenn 𝑏 = 0 gilt.
(
)
𝑎 𝑏
Für 𝑛 = 2, also 𝑀 =
, ist det(𝑀 )= 𝑎𝑑 − 𝑏𝑐, wie oben gesehen. Wie
𝑐 𝑑
man det(𝑀 ) für allgemeines 𝑛 ∈ ℕ bestimmt, lernen Sie in der B1-Vorlesung
(Lineare Algebra I).
7.2
Ungleichungen
Der Umgang mit Ungleichungen ist ebenso wichtig wie der Umgang mit Gleichungen. Ähnlich wie bei Gleichungen werden Ungleichungen durch Äquivalenzumformungen gelöst. In der Regel geht es darum eine eher unübersichtliche
Ungleichung so zu vereinfachen, dass die Lösungsmenge leicht abzulesen, bzw.
leicht zu veranschaulichen ist.
Beispiel.
𝑥 − 2 > 2𝑥 − 1
⇔0>𝑥+1
⇔ −1 > 𝑥.
Die Lösungsmenge sind alle 𝑥 ∈ ℝ mit 𝑥 < −1.
Die durchgeführten Umformungen im Beispiel sowie allgemein das Rechnen mit
Ungleichungen beruhen auf den sogenannten Anordnungsaxiomen in ℝ. Dabei lässt sich alles auf den Begriff des positiven Elements zurückzuführen. In ℝ
sind gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet (Schreibweise: 𝑥 > 0), so dass
folgende Anordnungsaxiome erfüllt sind:
7.2.1
Anordnungsaxiome
(A1) Für jedes 𝑥 ∈ ℝ gilt genau eine der Beziehungen:
𝑥 > 0,
𝑥 = 0,
𝑥 < 0.
(A2) Sind 𝑥 > 0 und 𝑦 > 0, so folgt 𝑥 + 𝑦 > 0.
(A3) Sind 𝑥 > 0 und 𝑦 > 0, so folgt 𝑥𝑦 > 0.
Definition 7.2.1. Wir setzen 𝑥 > 𝑦, falls 𝑥 − 𝑦 > 0 gilt. Statt 𝑥 > 𝑦 schreiben
wir auch 𝑦 < 𝑥. 𝑥 ≥ 𝑦 bedeutet 𝑥 > 𝑦 oder 𝑥 = 𝑦.
41
Definition 7.2.2. Ein Körper, in dem gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet sind, so dass die Anordnungsaxiome (A1), (A2) und (A3) gelten, heißt angeordneter Körper.
Beispielsweise sind ℝ und ℚ angeordnete Körper. (ℤ2 , +, ⋅) ist kein angeordneter
Körper, weil (A2) nicht erfüllt ist. Denn 1 > 0 und 1 + 1 = 0.
Aus den Anordnungsaxiomen ergeben sich die folgenden Aussagen (i) – (xi),
die von der Schule her bekannt sind. Wir beweisen die Aussagen (i), (ii) und
(iii); die Beweise der restlichen Aussagen können als Übungsaufgaben angesehen
werden. Wir haben also
(i) 𝑥 < 0 ⇔ −𝑥 > 0.
Beweis. 𝑥 < 0 bedeutet nach Definition 0 > 𝑥. Das ist gleichbedeutend
mit 0 − 𝑥 > 0, d.h. −𝑥 > 0.
(ii) Aus 𝑥 < 𝑦 und 𝑦 < 𝑧 folgt 𝑥 < 𝑧.
(Transitivität)
Beweis. Nach Definition gilt 𝑥 < 𝑦 ⇔ 𝑦 − 𝑥 > 0 und 𝑦 < 𝑧 ⇔ 𝑧 − 𝑦 > 0.
Mit (A2) folgt dann (𝑦 − 𝑥) + (𝑧 − 𝑦) > 0. Daraus folgt 𝑧 − 𝑥 > 0 ⇔ 𝑧 > 𝑥,
d.h. 𝑥 < 𝑧.
(iii) Aus 𝑥 < 𝑦 und 𝑎 ∈ ℝ folgt: 𝑎 + 𝑥 < 𝑎 + 𝑦.
Beweis. Nach Voraussetzung ist (𝑎 + 𝑦) − (𝑎 + 𝑥) − 𝑦 − 𝑥 > 0. Daher ist
nach Definition 𝑎 + 𝑥 < 𝑎 + 𝑦.
(iv) Aus 𝑥 < 𝑦 und 𝑥′ < 𝑦 ′ folgt 𝑥 + 𝑥′ < 𝑦 + 𝑦 ′ .
(v) Aus 𝑥 < 𝑦 und 𝑎 > 0 folgt 𝑎𝑥 < 𝑎𝑦.
(vi) Aus 0 ≤ 𝑥 < 𝑦 und 0 ≤ 𝑎 < 𝑏 folgt 𝑎𝑥 < 𝑏𝑦.
(vii) Aus 𝑥 < 𝑦 und 𝑎 < 0 folgt 𝑎𝑥 > 𝑎𝑦.
(viii) Für jede reelle Zahl 𝑥 ∕= 0 gilt 𝑥2 > 0.
(ix) Falls 𝑥 ≷ 0, so auch 𝑥−1 ≷ 0.
(x) Aus 0 < 𝑥 < 𝑦 folgt 𝑥−1 > 𝑦 −1 .
(xi) Es gilt 1 > 0.
Mit diesen Aussagen können wir Ungleichungen lösen.
42
7.2.2
Absolutbetrag
Zuweilen interessieren wir uns für den Abstand einer reellen Zahl 𝑥 ∈ ℝ zur 0.
Dieser Abstand wird durch den Absolutbetrag von 𝑥 bemessen.
Definition 7.2.3. Gegeben sei die Abbildung
∣ ⋅ ∣ : ℝ → ℝ+
0
𝑥 7→ ∣𝑥∣
mit
∣𝑥∣ =
{
𝑥,
−𝑥,
falls 𝑥 ≥ 0
falls 𝑥 ≤ 0.
Diese Abbildung heißt Betragsfunktion und ordnet jedem Element seinen Absolutbetrag zu.
Wir erhalten den Absolutbetrag einer reellen Zahl durch das Weglassen des
Vorzeichens. In Abbildung 7.1 ist der Graph der Betragsfunktion dargestellt.
Betragsfunktion im Intervall [−10,10]
9
7
y
5
4
3
2
0
 −2
0
2
4
6
8
1
x
Abbildung 7.1: Betragsfunktion 𝑦 = ∣𝑥∣ mit 𝑥 ∈ [−10, 10].
Der Absolutbetrag hat folgende Eigenschaften:
∙ Offenbar gilt stets ∣𝑥∣ ≥ 0 und ∣𝑥∣ = 0 genau dann, wenn 𝑥 = 0.
∙ Wir haben ∣ − 𝑥∣ = ∣𝑥∣ für alle 𝑥 ∈ ℝ.
Beweis. 1. Fall: 𝑥 ≥ 0.
Dann gilt ∣𝑥∣ = 𝑥. Ferner ∣ − 𝑥∣ = −(−𝑥) = 𝑥. Also ∣𝑥∣ = ∣ − 𝑥∣.
2. Fall: 𝑥 < 0.
Dann gilt ∣𝑥∣ = −𝑥. Da 𝑥 < 0 ist −𝑥 > 0. Somit ∣ − 𝑥∣ = −𝑥. Also
∣𝑥∣ = ∣ − 𝑥∣.
∙ Wir haben ∣𝑥𝑦∣ = ∣𝑥∣∣𝑦∣, für alle 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ.
43
Beweis. Wir verifizieren diese Identität durch Überprüfung aller vier Möglichkeiten.
1. Fall: 𝑥 ≥ 0, 𝑦 ≥ 0.
⇒ 𝑥𝑦 ≥ 0 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = 𝑥𝑦. Nach Definition der Betragsfunktion gilt aber
auch: ∣𝑥∣∣𝑦∣ = 𝑥𝑦 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = ∣𝑥∣∣𝑦∣.
2. Fall: 𝑥 < 0, 𝑦 ≥ 0.
⇒ 𝑥𝑦 ≤ 0 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = −𝑥𝑦. Nach Definition der Betragsfunktion gilt aber
auch: ∣𝑥∣∣𝑦∣ = 𝑥(−𝑦) = −𝑥𝑦 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = ∣𝑥∣∣𝑦∣.
3. Fall: 𝑥 < 0, 𝑦 ≥ 0.
⇒ ∣𝑥𝑦∣ ≥ 0 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = −𝑥𝑦. Nach Definition der Betragsfunktion gilt aber
auch: ∣𝑥∣∣𝑦∣ = −𝑥𝑦 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = ∣𝑥∣∣𝑦∣.
4. Fall: 𝑥 < 0, 𝑦 < 0.
⇒ ∣𝑥𝑦∣ ≥ 0 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = 𝑥𝑦. Nach Definition der Betragsfunktion gilt aber
auch: ∣𝑥∣∣𝑦∣ = −𝑥(−𝑦) = 𝑥𝑦 ⇒ ∣𝑥𝑦∣ = ∣𝑥∣∣𝑦∣.
∙ Wir haben 𝑥𝑦 =
∣𝑥∣
∣𝑦∣ ,
für alle 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ, 𝑦 ∕= 0.
Beweis. Es gilt 𝑥 = 𝑥𝑦 𝑦 und somit ⇒ ∣𝑥∣ = 𝑥𝑦 ∣𝑦∣.
𝑥
⇔ ∣𝑥∣
∣𝑦∣ = 𝑦 .
7.2.3
Die Dreiecksungleichung
Einer der wichtigsten Ungleichungen der Mathematik ist die Dreiecksungleichung. Sie besagt
Satz 7.2.4 (Dreiecksungleichung). Für alle 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ gilt: ∣𝑥 + 𝑦∣ ≤ ∣𝑥∣ + ∣𝑦∣.
C
B
A
Anschaulich am Dreieck 𝐴𝐵𝐶: Der
direkte Weg von 𝐴 nach 𝐶 ist immer kürzer als der Umweg über einen weiteren
Punkt 𝐵 nach 𝐶. Die Länge der Strecke des direkten Weges ist ∣𝐴𝐶∣. Dieser ist
stets kürzer als die Länge des Umwegs ∣𝐴𝐵∣ + ∣𝐵𝐶∣.
Beweis der Dreiecksungleichung. Es gilt:
{
𝑥 + 𝑦,
∣𝑥 + 𝑦∣ =
−(𝑥 + 𝑦),
falls 𝑥 + 𝑦 ≥ 0
falls 𝑥 + 𝑦 < 0
Wir müssen zeigen, dass 𝑥 + 𝑦 ≤ ∣𝑥∣ + ∣𝑦∣ und −(𝑥 + 𝑦) ≤ ∣𝑥∣ + ∣𝑦∣ gilt.
44
Da 𝑥 ≤ ∣𝑥∣ und 𝑦 ≤ ∣𝑦∣ folgt 𝑥 + 𝑦 ≤ ∣𝑥∣ + ∣𝑦∣.
Überdies gilt:
−𝑥 ≤ ∣𝑥∣ und −𝑦 ≤ ∣𝑦∣. Somit haben wir −(𝑥 + 𝑦) = −𝑥 − 𝑦 ≤ ∣𝑥∣ + ∣𝑦∣.
45
Vorlesung 8
Das Beweisverfahren der
vollständigen Induktion
8.1
Motivation
Treffen wir eine Aussage über endlich viele Elemente einer Menge, so können
wir die Gültigkeit der Aussage für jedes Element per Hand verifizieren (oder
widerlegen). Bei unendlich vielen Elementen ist dieses Vorgehen nicht möglich
– wir können nicht von Hand die Gültigkeit für jedes Element verifizieren.
Das Prinzip der vollständigen Induktion erlaubt es uns, die Gültigkeit einer
Aussage über die natürlichen Zahlen zu verifizieren. Es besagt:
Angenommen, von der Behauptung 𝐴(𝑛) über beliebige natürliche Zahlen 𝑛 ∈ ℕ
ist Folgendes bekannt:
(IA) Die Behauptung 𝐴(𝑛) gilt für ein 𝑛0 .
(IS) 𝐴(𝑛) ⇒ 𝐴(𝑛 + 1).
Dann gilt die Behauptung 𝐴(𝑛) für alle 𝑛 ∈ ℕ mit 𝑛 ≥ 𝑛0 .
Bemerkung.
(IA) nennen wir Induktionsanfang.
(IS) nennen wir Induktionsschluss (oder Induktionsschritt).
Es ist sehr wichtig, darauf zu achten, dass für das Beweisverfahren der vollständigen Induktion stets Induktionsanfang und Induktionsschluss benötigt werden.
8.2
Illustration
Wir machen eine Aussage 𝐴 über die natürlichen Zahlen. Je nach Gültigkeit
der Aussage, die wahr oder falsch sein kann, setzt ein Männchen eine Reihe von
unendlich vielen Dominosteinen
46
0 1 2 3 4 5 6 7
...
Wenn die Aussage 𝐴 für ein 𝑘 richtig ist, so können wir den 𝑘-ten Stein umwerfen.
Wenn die Aussage falsch ist, dann nicht (Stein ist zu schwer).
Angenommen, eine Aussage 𝐵 gilt für alle natürlichen Zahlen. Dann können
wir den nullten Stein umwerfen (Induktionsanfang). Die Dominosteine stehen
so dicht beieinander, dass, wenn der 𝑛-te Stein fällt, auch der (𝑛 + 1)-te Stein
fällt (Induktionsschluss).
Angenommen, eine Aussage 𝐶 gilt nur für alle 𝑛 ≥ 3. Dann können wir nullten,
ersten und zweiten Stein nicht umwerfen (direkte Überprüfung). Den dritten
Stein aber schon (Induktionsanfang) und wieder stehen die Steine dicht genug
beieinander (Induktionsschluss).
Angenommen, eine Aussage 𝐷 gilt nur für 𝑛 = 10 und ist falsch für alle 𝑛 ∕= 10.
Dann können wir den zehnten Stein umwerfen. Es wird uns aber (in der Regel)
nicht gelingen, nachzuweisen, dass die Steine dicht genug beieinander stehen.
8.3
Beispiele
(i) Behauptung: Für alle 𝑛 ∈ ℕ+ gilt
𝑛
∑
𝑘=
𝑘=1
𝑛(𝑛 + 1)
.
2
Beweis: Wir führen vollständige Induktion durch.
Induktionsanfang mit 𝑛 = 1. Für die linke Seite gilt
1
∑
𝑘 = 1.
𝑘=1
Für die rechte Seite gilt
1(1 + 1)
= 1.
2
Die linke Seite stimmt mit der rechten Seite überein, also ist die Behauptung wahr für 𝑛 = 1.
Induktionsvoraussetzung:
Wir nehmen an, die Behauptung gelte für 𝑛, also
𝑛
∑
𝐴(𝑛) :
𝑘=
𝑘=1
Zu zeigen ist dann:
𝐴(𝑛 + 1) :
𝑛+1
∑
𝑘=
𝑘=1
47
𝑛(𝑛 + 1)
.
2
(𝑛 + 1)[(𝑛 + 1) + 1]
.
2
Induktionsschluss:
𝑛+1
∑
𝑛
∑
𝑘=
𝑘 + (𝑛 + 1)
𝑘=1
𝑘=1
𝑛(𝑛 + 1)
+ (𝑛 + 1)
2
𝑛(𝑛 + 1) 2(𝑛 + 1)
=
+
2
2
(𝑛 + 2)(𝑛 + 1)
=
.
2
IV
=
Nach dem Prinzip der vollständigen Induktion gilt die Behauptung für alle
𝑛 ∈ ℕ+ .
(ii) Behauptung: Für die Summe der ersten 𝑛 ungeraden Zahlen gilt
𝑛
∑
(2𝑘 − 1) = 𝑛2 .
𝑘=1
Beweis: Induktionsanfang mit 𝑛 = 1:
Für die linke Seite gilt
1
∑
(2𝑘 − 1) = 2 ⋅ 1 − 1 = 1.
𝑘=1
Für die rechte Seite gilt
12 = 1.
Linke und rechte Seite stimmen überein, also gilt die Behauptung für
𝑛 = 1.
Induktionsschluss:
Es gelte die Behauptung für 𝑛. Wir haben
𝑛+1
∑
𝑘=1
(2𝑘 − 1) =
IV
𝑛
∑
(2𝑘 − 1) + (2(𝑛 + 1) − 1)
𝑘=1
= 𝑛2 + 2(𝑛 + 1) − 1
= 𝑛2 + 2𝑛 + 2 − 1
= 𝑛2 + 2𝑛 + 1
= (𝑛 + 1)2 .
(iii) Ein Beispiel dafür, dass der Induktionsanfang wichtig ist.
Behauptung: (2𝑛 + 1) ist eine gerade Zahl für alle 𝑛 ∈ ℕ.
Induktionsschluss:
Es gelte die Behauptung für ein 𝑛, d.h. (2𝑛 + 1) sei gerade.
Dann ist nach Induktionsvoraussetzung auch
2(𝑛 + 1) + 1 = (2𝑛 + 1) + 2
48
gerade.
Hier gelingt der Induktionsschluss, aber die Behauptung ist offenbar falsch!
(2𝑛 + 1) ist stets eine ungerade Zahl.
Zum Beweisverfahren der vollständigen Induktion gehören stets Induktionsanfang und Induktionsschluss.
(iv) Behauptung: 𝑛5 − 𝑛 ist für alle 𝑛 ∈ ℕ durch 5 teilbar.
Beweis: Induktionsanfang mit 𝑛 = 0. Offenbar ist 05 − 0 = 0 durch 5
teilbar. (𝑛 ∣ 𝑚, 𝑛 teilt 𝑚“, genau dann, wenn 𝑚 bei Division durch 𝑛 den
”
Rest 0 lässt.)
Induktionsschluss:
Es gelte die Aussage für 𝑘, d.h. 𝑘 5 − 𝑘 sei durch 5 teilbar.
Wir müssen zeigen, dass (𝑘 + 1)5 − (𝑘 + 1) durch 5 teilbar ist (Induktionsbehauptung). Es gilt:
(𝑘 + 1)5 − (𝑘 + 1) = k 5 + 5𝑘 4 + 10𝑘 3 + 10𝑘 2 + 5𝑘 + 1−(k + 1)
(𝑘 5 − 𝑘)
| {z }
=
durch 5 teilbar nach IV
(v) Behauptung:
+ 5(𝑘 4 + 2𝑘 3 + 2𝑘 2 + 𝑘)
|
{z
}
offenbar durch 5 teilbar
(∀𝑛 ∈ ℕ)[(𝑛 ≥ 10) ⇒ (2𝑛 < 𝑛3 )].
Beweis: Induktionsanfang mit 𝑛 = 10. Es gilt
210 = 1024 > 1000 = 103 .
Also gilt die Behauptung für 𝑛 = 10.
Angenommen, die Aussage gilt für ein 𝑘 ≥ 10, das heißt es ist
2𝑘 > 𝑘 3 .
Wir müssen zeigen, dass
2𝑘+1 > (𝑘 + 1)3 .
Nach IV gilt
2𝑘+1 = 2 ⋅ 2𝑘 > 2𝑘 3 .
Es reicht daher zu zeigen, dass
2𝑘 3 > (𝑘 + 1)3
ist. Dies ist äquivalent zu
𝑘 3 − 3𝑘 2 − 3𝑘 − 1 > 0.
Da 𝑘 ≥ 10 haben wir 𝑘 − 3 ≥ 7 und 𝑘 2 ≥ 100. Somit haben wir
𝑘 3 − 3𝑘 2 − 3𝑘 − 1 = (𝑘 − 3)(𝑘 2 − 3) − 10 > 0.
Daraus folgt die Behauptung.
49
Vorlesung 9
Komplexe Zahlen
Die Gleichung
𝑥2 = −1
ist in ℝ nicht lösbar, weil es keine Zahl gibt, deren Quadratwurzel eine negative
Zahl ist. Die Mathematiker erfanden“ zu den reellen Zahlen eine neue Zahl 𝑖“,
”
”
die die Eigenschaft hat, dass
𝑖2 = −1.
Der Buchstabe 𝑖 wurde gewählt, weil wir es mit einer Zahl zu tun haben, die
zunächst nur in unserer Vorstellung existiert und sozusagen imaginär“ ist. 𝑖
”
heißt imaginäre Einheit. Die Menge bestehend alleine aus ℝ und der Zahl 𝑖 hat
noch keine wohldefinierte algebraische Struktur. Dazu müssen wir ℝ und 𝑖 in
eine größere Menge einbetten. Es stellt sich heraus, dass diese größere Menge
gerade die Menge der komplexen Zahlen ist.
Definition 9.0.1. Eine komplexe Zahl 𝑧 ist ein geordnetes Tupel (𝑥, 𝑦) ∈ ℝ2 . 𝑥
heißt Realteil von 𝑧 und wird mit Re(𝑧) bezeichnet (wir schreiben 𝑥 = Re(𝑧)).
𝑦 = Im(𝑧) heißt Imaginärteil von 𝑧. Die Menge der komplexen Zahlen wird mit
ℂ bezeichnet.
Wir erklären nun, wie wir komplexe Zahlen addieren und multiplizieren.
Definition 9.0.2. Es seien 𝑧 = (𝑥, 𝑦) und 𝑤 = (𝑢, 𝑣) komplexe Zahlen. Wir
setzen
𝑧 + 𝑤 := (𝑥 + 𝑢, 𝑦 + 𝑣)
𝑧 ⋅ 𝑤 := (𝑥𝑢 − 𝑦𝑣, 𝑥𝑣 + 𝑦𝑢).
Bemerkung.
∙ Die Addition ist einfach; wir addieren komponentenweise.
∙ Später werden wir sehen, dass wir die Multiplikation mit Hilfe der imaginären Einheit herleiten“ können.
”
∙ Insbesondere gilt (0, 1) ⋅ (0, 1) = (0 − 1, 0 ⋅ 1 + 1 ⋅ 0) = (−1, 0).
50
Lemma 9.0.3. Die Addition und die Multiplikation komplexer Zahlen sind
kommutativ und assoziativ. Das neutrale Element bzgl. der Addition ist (0, 0)
und das der Multiplikation ist (1, 0). Überdies gelten die Distributivgesetze.
Wir machen folgende grundlegende Beobachtung für zwei komplexe Zahlen, deren Imaginärteil gleich Null ist:
Lemma 9.0.4. Es gilt:
(𝑥, 0) + (𝑦, 0) = (𝑥 + 𝑦, 0) und (𝑥, 0) ⋅ (𝑦, 0) = (𝑥 ⋅ 𝑦 − 0 ⋅ 0, 𝑥 ⋅ 0 + 0 ⋅ 𝑦) = (𝑥 ⋅ 𝑦, 0).
Das bedeutet: Komplexe Zahlen, deren zweite Komponente Null ist, verhalten
sich wie reelle Zahlen.
Z.B. gilt 7 + 11 = 18 und (7, 0) + (11, 0) = (18, 0). Für eine komplexe Zahl (𝑥, 0)
können wir kurz 𝑥 schreiben, d.h. jede reelle Zahl lässt sich als komplexe Zahl
interpretieren.
Definition 9.0.5. Die komplexe Zahl (0, 1) nennen wir imaginäre Einheit 𝑖,
also 𝑖 = (0, 1). Wie oben festgestellt, gilt
𝑖2 = 𝑖 ⋅ 𝑖 = (0, 1) ⋅ (0, 1) = (−1, 0) = −1 ∈ ℝ.
9.1
Algebraische Form einer komplexen Zahl
Mit der imaginären Einheit können wir eine neue Schreibweise für die komplexen
Zahlen einführen: Wir haben
𝑧 = (𝑥, 𝑦)
=
=
=
(𝑥, 0) + (𝑦, 0)
(𝑥, 0) + (0, 1) ⋅ (𝑦, 0)
𝑥 + 𝑖𝑦, 𝑥 ∈ ℝ.
Anders formuliert, anstatt der Tupelschreibweise (𝑥, 𝑦) für die komplexe Zahl 𝑧
können wir die algebraische Form 𝑧 = 𝑥 + 𝑖𝑦, 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ verwenden. In dieser
Darstellung können wir die Multiplikation leichter“ ausführen.
”
Es seien 𝑧 = 𝑥 + 𝑖𝑦 und 𝑤 = 𝑢 + 𝑖𝑣 komplexe Zahlen. Wir haben:
𝑧⋅𝑤
=
=
(𝑥 + 𝑖𝑦)(𝑢 + 𝑖𝑣)
𝑥𝑢 + 𝑖𝑥𝑣 + 𝑖𝑢𝑦 + 𝑖2 𝑦𝑣
=
𝑥𝑢 − 𝑦𝑣 + 𝑖(𝑥𝑣 + 𝑦𝑢)
Die Addition ist einfach
𝑧 + 𝑤 = (𝑥, 𝑦) + (𝑢, 𝑣) = (𝑥 + 𝑢, 𝑦 + 𝑣)
Folgende Begriffe sind wichtig:
Definition 9.1.1. Es sei 𝑧 = (𝑥, 𝑦) ∈ ℂ. Die Zahl 𝑧 := (𝑥, −𝑦) = 𝑥 − 𝑖𝑦 heißt
komplex konjugierte Zahl zu 𝑧.
Definition 9.1.2. Der Betrag ∣𝑧∣ einer komplexen Zahl ist ihr Abstand zum
Nullpunkt. In Einklang mit Pythagoras setzen wir
√
√
√
∣𝑧∣ := 𝑥2 + 𝑦 2 = (𝑥 + 𝑖𝑦)(𝑥 − 𝑖𝑦) = 𝑧 ⋅ 𝑧.
51
Eine reelle Zahl liegt auf der reellen Zahlengerade. Eine komplexe Zahl liegt in
der komplexen Zahlenebene (Gaußsche Zahlenebene).
9.2
Polarkoordinaten einer komplexen Zahl
Eine weitere wichtige Repräsentation einer komplexen Zahl ist ihre Darstellung
in Form von Polarkoordinaten. Hierzu wiederholen wir kurz die Sinus- und Kosinusfunktion elementargeometrisch am rechtwinkligen Dreieck.
Sinus:
𝑎
𝑐
cos(𝛼) = 𝑐𝑏
tan(𝛼) = 𝑎𝑏
sin(𝛼) =
Gegenkathete durch Hypothenuse“
”
Ankathete durch Hypothenuse“
Kosinus:
”
sin(𝛼)
Tangens:
= cos(𝛼)
Gegenkathete durch Ankathete“
”
Bemerkung. In der Hochschulmathematik werden Sinus- und Kosinusfunktion
über unendliche Summen (Reihen) definiert, s. A1-Vorlesung. Üblicherweise verwenden wir als Argumente in den trigonometrischen Funktionen keine Winkel,
sondern die zu ihnen korrespondierenden Bogenmaße. Konkret bedeutet dies:
∙ 0∘ =
ˆ 0,
∙ 𝑘∘ =
ˆ
360∘ =
ˆ 2𝜋
∘
𝑘
360∘ 2𝜋
(volle Umdrehung)
(z.B. 180∘ =
ˆ
180∘
360∘ 2𝜋
= 𝜋).
52
Im rechtwinkligen Dreieck habe die Hypotenuse nun die Länge 1, d.h. 𝑐 = 1.
Dann gilt cos(𝛼) = 𝑏 und sin(𝛼) = 𝑎. Wir betrachten Punkte auf dem Einheitskreis.
Offenbar haben wir 𝑥 = cos(𝜑) und 𝑦 = sin(𝜑). Eine komplexe Zahl 𝑧 = (𝑥, 𝑦)
auf dem Einheitkreis hat ebenso die Darstellung
𝑧 = (cos(𝜑), sin(𝜑)) = cos(𝜑) + 𝑖 sin(𝜑)
mit −𝜋 < 𝜑 ≤ 𝜋. Eine beliebige komplexe Zahl 𝑧 = (𝑥, 𝑦) mit Betrag 𝑟 ≥ 0
lässt sich daher schreiben als
𝑧 = (𝑟 cos(𝜑), 𝑟 sin(𝜑))
mit 𝑟 = ∣𝑧∣ und 𝜑 = arg(𝑧). 𝜑 wird auch Argument von 𝑧 genannt. 𝑟 = ∣𝑧∣ und
𝜑 = arg(𝑧) sind die Polarkoordinaten von 𝑧. Die Angabe der Polarkoordinaten
legt einen Punkt in der komplexen Zahlenebene eindeutig fest. Ausgehend vom
Punkt (1, 0) wird festgelegt, wie dieser um den Pol“ (Nullpunkt) mit Bogen”
maß 𝜑 gedreht und anschließend mit der Länge 𝑟 gestreckt werden muss:
53
Mit den Reihendarstellungen der Sinus-, Kosinus- und Exponentialfunktion ergibt sich die Eulersche Formel:
𝑒𝑖𝜑 = cos(𝜑) + 𝑖 sin(𝜑).
Eine komplexe Zahl 𝑧 hat damit die Darstellungen
∙ als Tupel 𝑧 = (𝑥, 𝑦)
∙ in algebraischer Form 𝑥 + 𝑖𝑦
∙ in Form von Polarkoordinaten
𝑧 = (𝑟 cos(𝜑), 𝑟 sin(𝜑)) = 𝑟(cos(𝜑) + 𝑖 sin(𝜑)) = 𝑟 ⋅ 𝑒𝑖𝜑
mit −𝜋 < 𝜑 ≤ 𝜋.
Alle Darstellungen lassen sich jeweils in eine andere überführen.
Beispiel. Es sei 𝑧 = (1, 1). Dann ist 𝑧 = 1 + 1 ⋅ 𝑖. Es gilt ∣𝑧∣ =
und 𝜑 = arctan( 11 ), wobei
( 𝜋 𝜋)
arctan : ℝ → − ,
2 2
√
√
12 + 12 = 2
die Umkehrfunktion der Tangens-Funktion bezeichnet. Es gilt arctan(1) = 𝜋4 ,
denn das vorliegende rechtwinklige Dreieck ist gleichschenklig. Somit hat 𝑧 die
folgende Polarkoordinatendarstellung
(𝜋)
( 𝜋 )) √ 𝜋
√ (
𝑧 = 2 cos
+ 𝑖 sin
= 2𝑒𝑖 4 .
4
4
54
Vorlesung 10
Folgen und Konvergenz von
Folgen
10.1
Der Grenzbegriff für Folgen
Definition 10.1.1. Eine Folge reeller Zahlen ist eine Abbildung
𝑎:ℕ
−→
𝑛
7−→
ℝ
𝑎𝑛
Wir schreiben kurz (𝑎𝑛 )𝑛≥1 oder oft auch (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ .
Beispiele.
Folgenglieder
explizite Darstellung
implizite/rekursive
Darstellung
𝑎, 𝑎, 𝑎, 𝑎, 𝑎, ... (𝑎 ∈ ℝ)
𝑎𝑛 = 𝑎
𝑥, 𝑥 , 𝑥 , 𝑥 , 𝑥 , ...
𝑎𝑛 = 𝑥
1,
1 1 1 1
2 , 3 , 4 , 5 , ...
1
2
3
4
𝑎𝑛 =
𝑎𝑛+1 =
𝑎𝑛 = 2
0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ...
𝑎𝑛 =
𝑎𝑛
1+𝑎𝑛
𝑎𝑛+1 = 𝑎𝑛 ⋅ 𝑥
𝑛
1, 2, 4, 8, 16, ...
Fibonacci-Folge
𝑎𝑛+1 = 𝑎𝑛
1
𝑛
𝑛
√
√1 [( 1+ 5 )𝑛
2
5
√
− ( 1−2 5 )𝑛 ]
𝑎𝑛+1 = 𝑎𝑛 ⋅ 2
𝑎0 = 0, 𝑎1 = 1,
𝑎𝑛+1 = 𝑎𝑛 + 𝑎𝑛−1
Folgender Begriff ist von zentraler Bedeutung:
Definition 10.1.2. Sei(𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge. Sie konvergiert gegen ein 𝑎 ∈ ℝ,
lim 𝑎𝑛 = 𝑎
𝑛→∞
falls es zu jedem 𝜀 > 0 ein 𝑁 (𝜀) ∈ ℕ gibt, derart, dass gilt
∣𝑎𝑛 − 𝑎∣ < 𝜀,
für alle 𝑛 ≥ 𝑁 (𝜀).
55
Bemerkung. 𝑁 (𝜀) hängt von 𝜀 ab.
Definition 10.1.3. Für 𝑎 ∈ ℝ und 𝜀 > 0 definieren wir als 𝜀-Umgebung 𝑈𝜀 (𝑎) =
(𝑎 − 𝜀, 𝑎 + 𝜀)
Sprechweise: Fast alle“ bedeutet alle bis auf endlich viele Ausnahmen“.
”
”
Lemma 10.1.4. Eine Folge (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ konvergiert gegen 𝑎 genau dann, wenn für
jedes 𝜀 > 0 fast alle Elemente der Folge in der 𝜀-Umgebung von 𝑎 liegen.
Andere Formulierung: Wir sagen eine Folge hat den Grenzwert 𝑎, wenn gilt:
Zu jedem 𝜀 > 0 (dieser Wert legt die Umgebung von 𝑎 fest) gibt es ein 𝑁 ,
so dass alle Folgenglieder, die einen höheren Folgenindex als 𝑁 haben, in der
𝜀-Umgebung von 𝑎 liegen. Somit haben wir
lim 𝑎𝑛 = 𝑎
𝑛→∞
⇔
⇔
∀𝜀 > 0∃𝑁 ∈ ℕ :
∀𝜀 > 0∃𝑁 ∈ ℕ :
∣𝑎𝑛 − 𝑎∣ < 𝜀 ∀𝑛 ≥ 𝑁
∀𝑛 ≥ 𝑁 ⇒ ∣𝑎𝑛 − 𝑎∣ < 𝜀.
Beispiele.
∙ Die konstante Folge 𝑎𝑛 = 𝑎 hat den Grenzwert 𝑎.
Beweis. Sei 𝜀 > 0 beliebig aber fest vorgegeben. Wir setzen 𝑁 (𝜀) = 1.
Dann gilt
∣𝑎𝑛 − 𝑎∣ < 𝜀
| {z }
∀𝑛 ≥ 𝑁 = 1
∣𝑎−𝑎∣=0<𝜀
Bemerkung. In diesem Beispiel können wir auch 𝑁 = 2 oder 𝑁 = 2013
wählen.
𝑛
∙ Wir betrachten die Folge 𝑎𝑛 = 𝑛+1
. Wir raten und nehmen an der Grenzwert ist 1, also lim𝑛→∞ 𝑎𝑛 = 1.
Beweis. Um zu 𝜀 > 0 ein 𝑁 (𝜀) zu finden, rechnet man oft versuchsweise
rückwärts:
𝑛
∣𝑎𝑛 − 𝑎∣ = ∣ 𝑛+1
− 1∣ < 𝜀
𝑛
∣ 𝑛+1
−
⇔
1
𝑛+1
⇔
⇔
Zu 𝜀 > 0 wählen wir 𝑁 (𝜀) mit 𝑁 (𝜀) >
𝑛 > 𝑁 (𝜀) ⇒ 𝑛 >
𝑛
𝑛→∞ 𝑛+1
Das beweist lim
= 1.
<𝜀
<𝜀⇔𝑛+1>
𝑛>
1
𝜀
𝑛+1
𝑛+1 ∣
1
𝜀
1
𝜀
−1
− 1. Dann gilt:
1
1
1
−1⇒𝑛+1> ⇒
<𝜀
𝜀
𝑛 + 1
𝜀
𝑛
⇒ − 1 < 𝜀.
𝑛+1
56
1
. Dann gilt für 𝑁 > 1𝜀 − 1 =
Hierzu ein Zahlenbeispiel: Wähle 𝜀 = 10
10 − 1 = 9: 𝑛 > 9 ⇒ ∣𝑎𝑛 − 1∣ < 𝜀. So gilt z.B. für 𝑎10 , dass ∣𝑎10 − 1∣ =
1
1
∣ 10
11 − 1∣ = ∣ 11 ∣ < 10 .
1
𝑛→∞ 𝑛
∙ Es gilt lim
= 0.
Beweis. Rückwärts rechnen liefert:
1
− 0 < 𝜀 ⇔ 1 < 𝜀 ⇔ 𝑛 > 1
𝑛
𝑛
𝜀
Sei nun 𝜀 > 0 beliebig aber fest vorgegeben. Dann wählen wir 𝑁 >
Somit gilt:
1
1
𝑛 > 𝑁 = ⇒ − 0 < 𝜀
𝜀
𝑛
∙ Wir wollen zeigen, dass gilt: lim𝑛→∞
𝑛
2𝑛
1
𝜀.
= 0.
Beweis. Wir beweisen zunächst induktiv für 𝑛 > 4 die Behauptung I:
𝑛2 ≤ 2𝑛 ⇔ 2𝑛𝑛 ≤ 𝑛1 (Übung). Mit Behauptung I gilt für 𝑛 ≥ 4:
𝑛
𝑛
1
𝑛 − 0 = 𝑛 ≤
2
2
𝑛
Wähle 𝑁 (𝜀) = 1𝜀 . Dann gilt:
𝑛 > 𝑁 (𝜀) ⇒ 𝑛 >
𝑛
1
1
⇒ < 𝜀 ⇒ 𝑛 − 0 < 𝜀
𝜀
𝑛
2
∙ Wir betrachten die Folge 𝑎𝑛 = (−1)𝑛 und wollen zeigen, dass (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ
nicht konvergiert. Wir führen einen Widerspruchsbeweis.
Beweis. Angenommen die Folge konvergiert gegen einen Grenzwert 𝑎 ∈ ℝ.
Dann gilt lim𝑛→∞ (−1)𝑛 = 𝑎. Also gibt es zu 𝜀 = 12 ein 𝑁 (𝜀) mit 𝑛 ≥ 𝑁 ( 21 )
⇒ ∣(−1)𝑛 − 𝑎∣ < 21 . Also gilt für 𝑛 ≥ 𝑁 ( 12 ):
2 = ∣(−1)𝑛 − (1)𝑛+1 ∣ = ∣(−1)𝑛 − 𝑎 + 𝑎 − (−1)𝑛+1 ∣
△−𝑈 𝑛𝑔𝑙.
≤
∣(−1)𝑛 − 𝑎∣ + ∣(−1)𝑛+1 − 𝑎∣
1 1
≤ + = 1 Widerspruch!
2 2
Satz 10.1.5 (Grenzwerte und algebraische Operationen, Grenzwertsätze“).
”
Seien (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ und (𝑏𝑛 )𝑛∈ℕ konvergente Folgen mit Grenzwerten 𝑎 = lim𝑛→∞ 𝑎𝑛
und 𝑏 = lim𝑛→∞ 𝑏𝑛 .
57
(i) Seien 𝜆, 𝜇 ∈ ℝ. Dann konvergiert die Folge (𝜆𝑎𝑛 + 𝜇𝑏𝑛 )𝑛∈ℕ und es gilt:
lim 𝜆𝑎𝑛 + 𝜇𝑏𝑛 = 𝜆𝑎 + 𝜇𝑏
𝑛→∞
(ii) Die Folge (𝑎𝑛 ⋅ 𝑏𝑛 )𝑛∈ℕ konvergiert und es gilt:
lim 𝑎𝑛 ⋅ 𝑏𝑛 = 𝑎 ⋅ 𝑏
𝑛→∞
(iii) Sei 𝑏 ∕= 0. Dann gibts es 𝑛0 mit 𝑛 ≥ 𝑛0 ⇒ 𝑏𝑛 ∕= 0. Dann konvergiert
( 𝑎𝑏𝑛𝑛 )𝑛≥𝑛0 und es gilt:
lim
𝑛→∞
𝑎𝑛
𝑎
=
𝑏𝑛
𝑏
Beispiele. Wir wenden Satz 10.1.5 auf die Folge 𝑎𝑛 =
𝑛2 +4𝑛+5
𝑛2 +𝑛+1
=
4
1+ 𝑛
+ 𝑛52
1
+ 𝑛12
1+ 𝑛
.
Wir dürfen nun den Grenzwert jedes Summanden des Nenners und des Zählers
einzeln bestimmen. Wir haben bereits gezeigt, dass lim𝑛→∞ 𝑛1 = 0. Daraus
folgt:
lim 4
𝑛→∞ 𝑛
lim 12
𝑛→∞ 𝑛
=
lim 4 ⋅
𝑛→∞
lim 1
𝑛→∞ 𝑛
=
lim 52
𝑛→∞ 𝑛
=
lim 5 ⋅
𝑛→∞
⋅
1
𝑛
1
𝑛
10.1.5
1
𝑛
10.1.5
⋅
=
=
1
𝑛
10.1.5
=
4⋅0=0
0⋅0=0
5⋅0⋅0=0
Daher gilt für den Nenner bzw. den Zähler der Folge 𝑎𝑛 :
5 10.1.5
4
+ 2 = 1+0+0=1
𝑛 𝑛
1
1 10.1.5
lim 1 + + 2 = 1 + 0 + 0 = 1.
𝑛→∞
𝑛 𝑛
lim 1 +
𝑛→∞
Daraus folgt nun lim𝑛→∞ 𝑎𝑛 =
1
1
= 1.
Satz 10.1.6. (Sandwich-Lemma)
Falls 𝑎𝑛 ≤ 𝑏𝑛 ≤ 𝑐𝑛 für fast alle 𝑛 ∈ ℕ gilt und lim𝑛→∞ 𝑎𝑛 = lim𝑛→∞ 𝑐𝑛 ist, so
folgt lim𝑛→∞ 𝑏𝑛 = lim𝑛→∞ 𝑎𝑛 = lim𝑛→∞ 𝑐𝑛 .
1
Beispiele. Betrachte die Folge 𝑏𝑛 = 𝑛!
. Wir schätzen diese Folge nach unten
hin mit der konstanten Folge 𝑎𝑛 = 0 und nach oben hin mit der Folge 𝑐𝑛 = 𝑛1
ab. Dann gilt für alle 𝑛 ∈ ℕ:
𝑎𝑛 ≤ 𝑏𝑛 ≤ 𝑐𝑛 ⇐⇒ 0 ≤
1
1
≤
𝑛!
𝑛
Zudem wissen wir schon:
lim 𝑎𝑛 = lim 𝑐𝑛 ⇐⇒ 0 = lim 0 = lim
𝑛→∞
𝑛→∞
𝑛→∞
Es folgt also mit Satz 10.1.6, dass lim 𝑏𝑛 = 0.
𝑛→∞
58
𝑛→∞
1
=0
𝑛
Vorlesung 11
Reihen, Funktionen
11.1
Reihen
Gegeben sei eine Folge (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ .
Aus ihr können wir eine neue Folge konstruieren durch
𝑠𝑛 := 𝑎0 + 𝑎1 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑎𝑛 =
𝑠𝑛 ist die 𝑛-te Partialsumme von 𝑎𝑛 .
𝑛
∑
𝑎𝑘 .
𝑘=0
Definition 11.1.1. Die Folge 𝑠𝑛 der 𝑛-ten Partialsumme heißt Reihe. Konvergiert 𝑠𝑛 , so nennen wir
lim 𝑠𝑛 = lim
𝑛→∞
𝑛→∞
den Wert der Reihe.
𝑛
∑
𝑘=0
𝑎𝑘 =
∞
∑
𝑎𝑘
𝑘=0
Es ist zentrales Thema der Analysis zu untersuchen, ob eine Reihe konvergiert
oder nicht.
11.1.1
Geometrische Reihen
Für 𝑥 ∈ ℝ ist eine geometrische Reihe von der Form
∞
∑
𝑥𝑘 .
𝑘=0
Wir haben gezeigt (Blatt 2, Aufgabe 9):
𝑛
∑
𝑘=0
𝑥𝑘 =
1 − 𝑥𝑛+1
für 𝑥 ∕= 1 (geometrische Summe).
1−𝑥
59
Mit ∣𝑥∣ < 1 folgt
∞
∑
𝑥𝑘 =
𝑘=0
1
.
1−𝑥
An dieser Stelle haben wir benutzt, dass lim 𝑞 𝑛 = 0 falls ∣𝑞∣ < 1; einen Beweis
𝑛→∞
hierfür wird in der A1-Vorlesung behandelt.
11.1.2
Die harmonische Reihe
Die harmonische Reihe ist
∞
∑
1
.
𝑘
𝑘=1
Diese divergiert! Das ist auf dem ersten Blick nicht so offensichtlich, denn wir
summieren über eine Nullfolge.
Die Divergenz sehen wir so
(
∞
∑
1
1
1
=1+ +
𝑘
2
3
𝑘=1
(
1
1
>1+ +
2
4
1
=1+ +
2
= ∞.
1
+
4
+
1
2
1
4
)
)
+
+
+
(
(
1 1 1 1
+ + +
5 6 7 8
1 1 1 1
+ + +
8 8 8 8
1
2
)
)
+
+
+
(
(
1
1
+ ... +
9
16
)
+ ...
)
1
1
+ ...
+ ... +
16
16
1
+ ...
2
Wir haben in dieser Abschätzung also benutzt, dass für alle 𝑘 ∈ ℕ gilt:
𝑘
2
∑
𝑘
1
≥1+ .
𝑛
2
𝑛=1
Bemerkung. Geometrische Reihen und die harmonische Reihe gehören zu den
wichtigsten Reihen der Analysis. Die Summation bei einer geometrischen Reihe
beginnt bei 𝑘 = 0 und bei der harmonischen Reihe bei 𝑘 = 1.
Beispiel: Es gilt
∞
∑
𝑘=1
Beweis. Wir haben
1
= 1.
𝑘(𝑘 + 1)
(11.1)
1
1
1
= −
,
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘 𝑘+1
denn
1
𝑎
𝑏
𝑎(𝑘 + 1) + 𝑏𝑘
𝑎𝑘 + 𝑎 + 𝑏𝑘
𝑘(𝑎 + 𝑏) + 𝑎
= +
=
=
=
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘 𝑘+1
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘(𝑘 + 1)
⇒ 1 = (𝑎 + 𝑏)𝑘 + 𝑎. Mit Koeffizientenvergleich folgt 𝑎 + 𝑏 = 0, das heißt 𝑎 = 1
und 𝑏 = −1.
60
Somit gilt
𝑛
𝑛
∑
𝑛
∑1 ∑ 1
1
=
−
𝑠𝑛 =
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘
𝑘+1
𝑘=1
𝑘=1
𝑘=1
) (
)
(
1 1
1
1
1
1 1
−
+ + ⋅⋅⋅ + +
= 1 + + + ⋅⋅⋅ +
2 3
𝑛
2 3
𝑛 𝑛+1
1
=1−
→ 1 für 𝑛 → ∞,
𝑛+1
also
∞
∑
𝑘=1
1
= 1.
𝑘(𝑘 + 1)
Zuweilen können wir die Berechnung eines Wertes einer Reihe auf bekannte
Reihen zurückführen: Dafür haben wir folgenden
Satz 11.1.2. (Reihen und algebraische Operationen)
∞
∞
∑
∑
𝑏𝑘 zwei konvergente Reihen mit Grenzwerten 𝑎 und 𝑏. Seien
𝑎𝑘 und
Seien
𝑘=1
𝑘=1
𝜆, 𝜇 ∈ ℝ. Dann konvertiert die Reihe
∞
∑
(𝜆𝑎𝑘 + 𝜇𝑏𝑘 ) und zwar gegen 𝜆𝑎 + 𝜇𝑏.
𝑘=1
Beispiel.
( ( )
)
∞
𝑘
∑
1
4
3
=3⋅
+
2
(𝑘 + 1)(𝑘 + 2)
∞ ( )𝑘
∑
1
𝑘=0
2
𝑘=0
| {z }
+ 4⋅
∞
∑
𝑘=0
1
(𝑘 + 1)(𝑘 + 2)
=2 (geom. Reihe)
=3⋅2+4⋅
∞
∑
1
𝑘(𝑘 + 1)
𝑘=1
|
{z
}
=1 vgl.(11.1)
= 6 + 4 ⋅ 1 = 10.
Vorsicht: Zu beachten ist:
∞
∑
𝑘=1
𝑎𝑘 𝑏𝑘 ∕=
∞
∑
𝑘=1
𝑎𝑘 ⋅
∞
∑
𝑏𝑘 .
𝑘=1
Hilfreich ist das Nullfolgenkriterium:
∞
∑
𝑎𝑘 konvergiert, so ist 𝑎𝑘 notwendigerweise eine Nullfolge.
Satz 11.1.3. Falls
𝑘=0
Beispiel: Die Reihe
∞ √
∑
𝑛 divergiert.
𝑛=1
√
Beweis. 𝑎𝑛 := 𝑛 ist keine Nullfolge. Nach dem Nullfolgenkriterium divergiert
∞ √
∑
𝑛.
𝑛=1
Für weitere Konvergenzkriterien: siehe A1-Vorlesung.
61
11.2
Funktionen
Definition 11.2.1. Es seien 𝑋 und 𝑌 Mengen. Eine Funktion 𝑓 von 𝑋 nach
𝑌 ordnet jedem Element 𝑥 ∈ 𝑋 in eindeutiger Weise ein 𝑦 ∈ 𝑌 zu.
Wir verwenden die Bezeichnungen
𝑓: 𝑋 →
𝑥 7→
𝑌
𝑓 (𝑥) = 𝑦
Die Menge 𝑋 heißt Definitionsbereich. Die Menge 𝑓 (𝑋) := {𝑓 (𝑥) ∈ 𝑌 ∣ 𝑥 ∈ 𝑋}
heißt Wertebereich von 𝑓 oder auch das Bild von 𝑋 unter 𝑓 .
Bemerkung. Nicht jedem Element 𝑦 ∈ 𝑌 muss ein 𝑥 ∈ 𝑋 zugeordnet worden
sein!
Definition 11.2.2. Unter dem Graphen von 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 verstehen wir die
Menge
𝐺𝑟𝑎𝑝ℎ(𝑓 ) = {(𝑥, 𝑓 (𝑥))∣ 𝑥 ∈ 𝑋} ⊂ 𝑋 × 𝑌.
Im Folgenden beschäftigen wir uns zunächst mit reellwertigen Funktionen, das
heißt 𝑓 : 𝑋 → ℝ.
Beispiele:
∙ Konstante Funktionen
f(x) = c
𝑓: ℝ →
𝑥 7→
ℝ
𝑓 (𝑥) = 𝑐, 𝑐 ∈ ℝ.
∙ Identische Abbildung
f(x) = x
idℝ : ℝ →
𝑥 7→
ℝ
𝑥.
62
∙ Absolutbetrag
∣ ∣: ℝ →
𝑥 7→
ℝ
∣𝑥∣
f(x) = |x|
(oder alternativ: abs : ℝ → ℝ)
∙ Ganzzahlfunktion, auch Gauß-Klammer genannt
[ ]: ℝ →
ℝ
(oder alternativ: entier : ℝ → ℝ)
Für 𝑥 ∈ ℝ bezeichnen wir mit [𝑥] die
größte ganze Zahl ≤ 𝑥. Das heißt [𝑥] ist
diejenige ganze Zahl mit 𝑥−1 < [𝑥] ≤ 𝑥.
Der Wertebereich von [ ] ist ℤ.
Beispiel: [1,5]=1.
63
∙ Quadratwurzel
→
sqrt : ℝ+
0
𝑥 7→
ℝ
√
𝑥
∙ Exponentialfunktion
exp : ℝ
𝑥
→
7→
ℝ
exp (𝑥) (= 𝑒𝑥 )
∙ Polynomfunktionen
𝑝: ℝ →
𝑥 7→
ℝ
𝑝(𝑥) = 𝑎𝑛 𝑥𝑛 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑎1 𝑥 + 𝑎0
64
mit 𝑎𝑗 ∈ ℝ, 𝑗 = 0, 1, . . . 𝑛
∙ Treppenfunktion
Seien 𝑎 < 𝑏 reelle Zahlen. Eine Funktion
𝜑 : [𝑎, 𝑏] → ℝ
heißt Treppenfunktion, wenn es eine
Unterteilung
𝑎 = 𝑡0 < 𝑡1 < . . . < 𝑡𝑛−1 < 𝑡𝑛 = 𝑏
des Intervalls (𝑎, 𝑏) und Konstanten
𝑐1 , 𝑐2 , . . . , 𝑐𝑛 ∈ ℝ, so dass
𝜑(𝑥) = 𝑐𝑘
für alle 𝑥 ∈ (𝑡𝑘−1 , 𝑡𝑘 ), 1 ≤ 𝑘 ≤ 𝑛. Die
Funktionswerte 𝜑(𝑡𝑘 ) in den Teilpunkten sind beliebig.
∙ Beispiel für eine Funktion, deren Graphen wir nicht zeichnen können:
Dirichletsche Sprungfunktion
{
0, falls 𝑥 ∈ ℚ
𝑓 (𝑥) =
1, falls 𝑥 ∈ ℝ ∖ ℚ.
Wir können durch algebraische Operatoren aus Funktionen neue Funktionen
konstruieren.
Definition 11.2.3. Seien 𝑓, 𝑔 : 𝑋 → ℝ Funktionen und 𝜆 ∈ ℝ.
Dann sind die Funktionen
𝑓 + 𝑔: 𝑋 → ℝ
𝜆𝑓 : 𝑋 → ℝ
𝑓 ⋅ 𝑔: 𝑋 → ℝ
definiert durch
(𝑓 + 𝑔)(𝑥)
:=
𝑓 (𝑥) + 𝑔(𝑥)
(𝜆 ⋅ 𝑓 )(𝑥)
(𝑓 ⋅ 𝑔) (𝑥)
:=
:=
𝜆 ⋅ 𝑓 (𝑥)
𝑓 (𝑥) ⋅ 𝑔(𝑥).
Sei 𝑋 ′ = {𝑥 ∈ 𝑋∣ 𝑔(𝑥) ∕= 0}. Dann ist die Funktion
𝑓
: 𝑋′ → ℝ
𝑔
definiert durch
( )
𝑓 (𝑥)
𝑓
(𝑥) :=
.
𝑔
𝑔(𝑥)
65
Bemerkung. Durch wiederholte Anwendung algebraischer Operationen entstehen aus idℝ und der konstanten Funktion 1 alle rationalen Funktionen.
Eine weitere wichtige Konstruktionsmöglichkeit neuer Funktionen gibt die folgende Definition:
Definition 11.2.4. (Komposition von Funktionen)
Es seien 𝑓 : 𝑋 → ℝ und 𝑔 : 𝑌 → ℝ Funktionen mit 𝑓 (𝑋) ⊂ 𝑌 . Dann ist die
Funktion
𝑔 ∘ 𝑓 : 𝑋 → ℝ (Komposition von 𝑓 mit 𝑔)
definiert durch
(𝑔 ∘ 𝑓 )(𝑥) := 𝑔(𝑓 (𝑥))
𝑓
𝑋
für 𝑥 ∈ 𝑋.
𝑔
−−→ 𝑌 −→
𝑓 ∘𝑔
ℝ
−−−−−−→
Dabei lesen wir von rechts nach links (von innen nach außen).
Beispiel: Sei 𝑔 : ℝ → ℝ mit 𝑔(𝑥) = 𝑥2 .
Dann lässt sich abs : ℝ → ℝ schreiben als abs = sqrt ∘ 𝑔, denn für 𝑥 ∈ ℝ gilt
sqrt ∘ 𝑔(𝑥) = sqrt(𝑔(𝑥)) = sqrt(𝑥2 ) = ∣𝑥∣ = abs(𝑥).
66
Vorlesung 12
Funktionen und
Mächtigkeiten
12.1
Etwas Mengenlehre
In der Folge arbeiten wir intuitiv mit Mengen. Eine Menge ist eine Zusammenfassung von Elementen. Zum Beispiel ist 𝐴 = {1, 2, 3, 4, 5} eine endliche Menge
mit 5 Elementen. Die Menge ℕ der natürlichen Zahlen hat unendlich viele Elemente. Die Menge ℝ auch. Es stellt sich heraus, dass ℝ mächtiger“ als ℕ
”
ist.
Definition 12.1.1. Bei einer endlichen Menge 𝐴 bezeichnet ihre Mächtigkeit
die Anzahl der Elemente von 𝐴. Wir schreiben hierfür ∣𝐴∣ oder auch #𝐴.
Beispiel. Für 𝐴 = {1, 2, 3, 4, 5} gilt ∣𝐴∣ = 5. Um die Mächtigkeit für unendliche
Mengen zu erklären, benötigen wir gewisse Klassen von Funktionen.
12.2
Injektive, surjektive und bijektive Funktionen
Definition 12.2.1. Es seien 𝑋 und 𝑌 Mengen und 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 eine Funktion.
𝑓 ist injektiv, wenn gilt:
∀𝑥1 , 𝑥2 ∈ 𝑋 : 𝑓 (𝑥1 ) = 𝑓 (𝑥2 ) ⇒ 𝑥1 = 𝑥2 .
Äquivalente Formulierungen sind
∙ ∀𝑥1 , 𝑥2 ∈ 𝑋 : 𝑥1 ∕= 𝑥2 ⇒ 𝑓 (𝑥1 ) ∕= 𝑓 (𝑥2 )
∙ Jedes 𝑦 ∈ 𝑌 tritt höchstens einmal als Bild (Funktionswert) unter 𝑓 auf
∙ Stimmen zwei Bilder überein, so müssen schon die Urbilder übereinstimmen.
67
Vorsicht: Injektivität bedeutet nicht
∀𝑥1 , 𝑥2 ∈ 𝑋 : 𝑥1 = 𝑥2 ⇒ 𝑓 (𝑥1 ) = 𝑓 (𝑥2 )
Diese Implikation gilt für alle Funktionen und ist damit keine Charakterisierung von Injektivität.
Bemerkung. Eine injektive Funktion 𝑓 heißt Injektion. Wir injizieren“ bzw.
”
betten die Menge 𝑋 in 𝑌 ein.
Beispiele.
∙ In Abbildung 12.1 ist die Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 injektiv, da jedes 𝑦 ∈ 𝑌
höchstens einmal als Bild auftritt.
a
1
b
c
2
d
4
e
X
Y
Abbildung 12.1: Injektive Funktion 𝑓
∙ In Abbildung 12.2 ist die Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 nicht injektiv, da das
Element 𝑎 ∈ 𝑌 zweimal getroffen wird.
a
1
b
c
2
3
4
X
Y
Abbildung 12.2: Nicht injektive Funktion 𝑓
Es seien 𝑋 und 𝑌 endliche Mengen. Damit eine injektive Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌
existieren kann, darf 𝑋 höchstens so viele Elemente haben wir 𝑌 , d.h.
∣𝑋∣ ≤ ∣𝑌 ∣.
Würde ∣𝑋∣ > ∣𝑌 ∣ gelten, so hätten mindestens zwei Elemente 𝑥1 , 𝑥2 ∈ 𝑋 und
𝑥1 ∕= 𝑥2 das gleiche Bild, d.h. 𝑓 (𝑥1 ) = 𝑓 (𝑥2 ).
68
Weitere Beispiele.
(i)
𝑓 :ℤ→ℤ
𝑛 7→ 2𝑛
ist injektiv, denn
𝑓 (𝑛1 ) = 𝑓 (𝑛2 ) ⇒ 2𝑛1 = 2𝑛2 ⇒ 𝑛1 = 𝑛2 .
(ii) Die Funktion
𝑓 :ℝ→ℝ
𝑥 7→ 𝑥2
ist nicht injektiv, denn 𝑓 (2) = 𝑓 (−2), aber 2 ∕= −2 (siehe Abbildung 12.3).
8
6
4
2
-3
-2
-1
1
2
3
Abbildung 12.3: Normalparabel
Definition 12.2.2. Es seien 𝑋, 𝑌 Mengen und 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 eine Funktion. 𝑓
heißt surjektiv, wenn gilt:
∀𝑦 ∈ 𝑌 ∃𝑥 ∈ 𝑋 : 𝑓 (𝑥) = 𝑦.
Äquivalente Formulierung: 𝑓 ist surjektiv, wenn jedes Element 𝑦 ∈ 𝑌 unter der
Abbildung 𝑓 mindestens einmal getroffen wird.
Beispiele.
∙ In Abbildung 12.4 ist die Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 surjektiv, da jedes 𝑦 ∈ 𝑌
mindestens einmal getroffen wird.
69
a
1
b
c
2
3
4
d
5
X
Y
Abbildung 12.4: Surjektive Funktion 𝑓
∙ In Abbildung 12.4 ist die Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 nicht surjektiv, da das
Element 𝑐 ∈ 𝑌 nicht im Bild von 𝑓 ist.
a
1
b
c
2
3
4
d
5
X
Y
Abbildung 12.5: Nicht surjektive Funktion 𝑓
Es seien 𝑋, 𝑌 Mengen. Damit eine surjektive Abbildung 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 existieren
kann, muss 𝑋 mindestens genauso viele Elemente haben wir 𝑌 , d.h. ∣𝑋∣ ≥ ∣𝑌 ∣.
Würde ∣𝑋∣ < ∣𝑌 ∣ gelten, so gibt es ein 𝑦 ∈ 𝑌 , das nicht als Bild unter 𝑓 auftritt.
Beispiele.
(i) Die Funktion
𝑓 :ℕ→ℕ
𝑛 7→ 2𝑛
ist injektiv. 𝑓 ist nicht surjektiv, denn für 𝑦 = 3 ∈ ℕ existiert kein 𝑛 ∈ ℕ,
so dass 𝑓 (𝑛) = 3.
(ii) Die Funktion
𝑓 :ℝ→ℝ
𝑥 7→ 2𝑥 + 1
ist surjektiv (siehe Abbildung 12.6). Sei 𝑦 ∈ 𝑌 vorgegeben. Gesucht ist
𝑥 ∈ 𝑋, so dass 𝑓 (𝑥) = 𝑦. Nebenrechnung: Wir haben 2𝑥 + 1 = 𝑦 ⇒
𝑦−1
2𝑥 = 𝑦 − 1 ⇒ 𝑥 = 𝑦−1
2 . Sei 𝑦 ∈ 𝑌 . Wir setzen 𝑥 :=
2 . Dann gilt
70
3
2
1
- 2.0
- 1.5
- 1.0
- 0.5
0.5
1.0
-1
-2
-3
Abbildung 12.6: Gerade 𝑓 (𝑥) = 2𝑥 + 1
𝑦−1
𝑓 (𝑥) = 𝑓 ( 𝑦−1
2 ) = 2( 2 ) + 1 = 𝑦. Somit gibt es zu jedem 𝑦 ∈ 𝑌 ein 𝑥 ∈ 𝑋
mit 𝑓 (𝑥) = 𝑦.
Definition 12.2.3. Es seien 𝑋 und 𝑌 Mengen. Eine Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 ist
bijektiv, wenn sie injektiv und surjektiv ist. D.h. für jedes 𝑦 ∈ 𝑌 gibt es genau
ein 𝑥 ∈ 𝑋 mit 𝑓 (𝑥) = 𝑦.
Beispiel. In Abbildung 12.7 ist die Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 bijektiv.
a
1
b
c
2
3
4
d
X
Y
Abbildung 12.7: Bijektive Funktion 𝑓
Beispiel. Die Funktion
𝑓 :ℝ→ℝ
𝑥 7→ 𝑥 + 1
ist injektiv: Es gelte 𝑓 (𝑥1 ) = 𝑓 (𝑥2 ) ⇒ 𝑥1 + 1 = 𝑥2 + 1 ⇒ 𝑥1 = 𝑥2
𝑓 ist surjektiv: Für 𝑦 ∈ 𝑌 wählen wir 𝑥 = 𝑦 − 1. Dann gilt 𝑓 (𝑥) = 𝑓 (𝑦 − 1) =
(𝑦 − 1) + 1 = 𝑦. Also ist 𝑓 bijektiv.
Bemerkung. Bei den Begriffen Injektivität, Surjektivität und Bijektivität einer
Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 kommt es entscheidend auf den Definitionsbereich 𝑋 und
die Zielmenge 𝑌 an.
Beispiel.
(i) Die Funktion
𝑓1 : ℝ → ℝ
𝑥 7→ 𝑥2
71
ist nicht injektiv (siehe Abbildung 12.8), zum Beispiel gilt 𝑓1 (2) = 𝑓1 (−2)
aber 2 ∕= −2. 𝑓1 ist nicht surjektiv, denn es gibt kein 𝑥 mit 𝑓1 (𝑥) = −1 ∈ ℝ.
4
3
2
1
-2
-1
1
2
-1
-2
Abbildung 12.8: Funktion 𝑓1 : ℝ → ℝ mit 𝑥 7→ 𝑥2
(ii) Die Funktion
𝑓2 :ℝ+
0 →ℝ
𝑥 7→ 𝑥2
ist injektiv (im Vergleich zu 𝑓1 ist der Definitionsbereich eingeschränkt),
denn 𝑓2 (𝑥1 ) = 𝑓2 (𝑥2 ) ⇒ 𝑥1 = 𝑥2 (siehe Abbildung 12.9). 𝑓2 ist nicht
surjektiv, wieder gibt es kein 𝑥 ∈ ℝ+
0 mit 𝑓2 (𝑥) = −1.
4
3
2
1
0.5
1.0
1.5
2.0
-1
-2
2
Abbildung 12.9: Funktion 𝑓2 : ℝ+
0 → ℝ mit 𝑥 7→ 𝑥
(iii) Die Funktion
𝑓3 :ℝ → ℝ+
0
𝑥 7→ 𝑥2
ist nicht injektiv (siehe Abbildung 12.10). 𝑓3 ist surjektiv, denn für alle
𝑦 ∈ ℝ+
0 gibt es ein 𝑥 ∈ ℝ mit 𝑓3 (𝑥) = 𝑦.
72
8
6
4
2
-3
-2
-1
0
1
2
3
2
Abbildung 12.10: Funktion 𝑓3 : ℝ → ℝ+
0 mit 𝑥 7→ 𝑥
(iv) Die Funktion
+
𝑓4 :ℝ+
0 → ℝ0
𝑥 7→ 𝑥2
ist injektiv und surjektiv, und damit bijektiv (siehe Abbildung 12.11).
4
3
2
1
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
+
2
Abbildung 12.11: Funktion 𝑓4 : ℝ+
0 → ℝ0 mit 𝑥 7→ 𝑥
Es seien 𝑋 und 𝑌 endliche Mengen. Wir haben gesehen:
∙ ∣𝑋∣ ≤ ∣𝑌 ∣ ⇐⇒ Es existiert eine injektive Abbildung 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 .
𝑋 ist weniger mächtig als 𝑌 oder gleichmächtig zu 𝑌 .“
”
∙ ∣𝑋∣ ≥ ∣𝑌 ∣ ⇐⇒ Es existiert eine surjektive Abbildung 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 .
𝑋 ist mächtiger als 𝑌 oder gleichmächtig zu 𝑌 .“
”
∙ ∣𝑋∣ = ∣𝑌 ∣ ⇐⇒ Es existiert eine bijektive Abbildung 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 .
𝑋 ist genauso mächtig wie 𝑌 .“
”
Wir können diese Sprechweise übertragen auf die unendliche Menge ℕ.
Definition 12.2.4. Eine Menge 𝑀 heißt gleichmächtig zu ℕ, wenn es eine
Bijektion 𝑓 : ℕ → 𝑀 gibt. 𝑀 heißt dann abzählbar (unendlich).
Zum Beispiel ist die Menge 𝑀 = {0, 2, 4, 6, 8, 10, ...} der geraden Zahlen gleichmächtig zu ℕ. Obwohl 𝑀 eine echte Teilmenge von ℕ ist, haben beide gleich
”
73
viele“ Elemente. Dies ist bei endlichen Mengen nicht möglich! Eine echte Teilmenge kann nicht gleichmächtig (d.h. genauso viele Elemente haben) wie ihre
Obermenge. Wir weisen nun nach, dass ∣𝑀 ∣ = ∣ℕ∣.
Wir definieren
𝑓 :ℕ→𝑀
𝑛 7→ 2𝑛.
Dann ist 𝑓 bijektiv, denn 𝑓 ist injektiv:
𝑓 (𝑛1 ) = 𝑓 (𝑛2 ) ⇒ 2𝑛1 = 2𝑛2 ⇒ 𝑛1 = 𝑛2 .
𝑓 ist surjektiv: Sei 𝑦 = 2𝑛. Wähle 𝑥 = 𝑛. Dann gilt 𝑓 (𝑛) = 2𝑛 = 𝑦.
Illustration (siehe Abbildung 12.12): Die natürlichen Zahlen haben einen Bezeichner. Mit der Bijektion 𝑓 kleben“ wir andere Bezeichnungen auf, so wird
”
aus 0“ eine neue 0“, aus 1“ wird 2“, aus 2“ wird 4“, usw.
”
”
”
”
”
”
die natürlichen Zahlen
0
1
2
3
die geraden Zahlen
0
2
4
6
Abbildung 12.12: Bijektion zwischen ℕ und 𝑀
74
Vorlesung 13
Stetige Funktionen,
Binomischer Lehrsatz
13.1
Funktionenfolgen
Wir verbinden nun den Grenzwertbegriff mit dem Funktionsbegriff. Es seien
(𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ eine reelle Folge und 𝑓 : ℝ → ℝ eine Funktion.
Zur Erinnerung: 𝑎𝑛 ist nichts anderes als eine Abbildung 𝑎 von den natürlichen
in die reellen Zahlen
𝑎 : ℕ → ℝ mit
𝑎𝑛 := 𝑎(𝑛).
Somit können wir die Funktionenfolge
𝑓 ∘ 𝑎𝑛 :
ℕ →ℝ→ℝ
𝑛
7→ 𝑎𝑛 → 𝑓 (𝑎𝑛 )
betrachten.
Beispiel. Es seien
𝑓:
𝑎𝑛
ℝ→ℝ
𝑥 7→ 𝑥2
=
1
𝑛, 𝑛
>0
Dann ist die Funktionenfolge 𝑔𝑛 = 𝑓 (𝑎𝑛 ) =
𝑔1 = 1, 𝑔2 =
1
𝑛2 , 𝑛
>0
1
1
, 𝑔3 = , ...
4
9
Definition 13.1.1. Sei 𝐷 ⊂ ℝ und 𝑓 : 𝐷 → ℝ eine Funktion und 𝑎 ∈ ℝ derart,
dass es mindestens eine Folge (𝑎𝑛 )𝑛∈ℕ , 𝑎𝑛 ∈ 𝐷, gibt mit
lim 𝑎𝑛 = 𝑎.
𝑛→∞
75
Wir schreiben
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑐
𝑥→𝑎
falls für jede Folge (𝑥𝑛 )𝑛∈ℕ ∈ 𝐷 mit lim 𝑥𝑛 = 𝑎 gilt: lim 𝑓 (𝑥𝑛 ) = 𝑐
𝑛→∞
𝑛→∞
Sprechweise: Der Grenzwert der Funktionswerte 𝑓 (𝑥) für 𝑥 → 𝑎 ist 𝑐.
Definition 13.1.2. Voraussetzungen wie oben.
Falls für jede Folge (𝑥𝑛 )𝑛∈ℕ mit 𝑥𝑛 ∈ 𝐷 und 𝑥𝑛 > 𝑎 und lim 𝑥𝑛 = 𝑎 gilt:
𝑛→∞
lim (𝑥𝑛 ) = 𝑐,
𝑛→∞
so schreiben wir
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑐
𝑥→𝑎+
oder 𝑥→𝑎
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑐
𝑥>𝑎
lim = 𝑐 ist der rechtsseitige GW von 𝑓 (𝑥) für 𝑥 → 𝑎.
𝑛→𝑎+
Falls für jede Folge (𝑥𝑛 ) mit 𝑥𝑛 ∈ 𝐷 mit 𝑥𝑛 < 𝑎 und lim 𝑓 (𝑥𝑛 ) = 𝑎 gilt
𝑛→∞
lim 𝑓 (𝑥𝑛 ) = 𝑐,
𝑛→∞
so schreiben wir
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑐
𝑥→𝑎−
oder 𝑥→𝑎
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑐
𝑥<𝑎
lim = 𝑐 ist der linksseitige GW von 𝑓 (𝑥) für 𝑥 → 𝑎.
𝑛→𝑎−
Bemerkung. lim 𝑓 (𝑥) existiert genau dann, wenn der linksseitige und der
𝑥→𝑎
rechtsseitige GW existieren und übereinstimmen, d.h.
lim 𝑓 (𝑥) = lim− 𝑓 (𝑥) = lim 𝑓 (𝑥)
𝑥→𝑎+
𝑥→𝑎
𝑥→𝑎
Beispiel: Wir betrachten die Ganzzahlfunktion
entier : ℝ → ℝ
∙ Es gilt lim entier(𝑥) = 1 und lim entier(𝑥) = 0. Also existiert
𝑥→1+
𝑥→1−
lim entier(𝑥) nicht.
𝑥→1
∙ Es gilt lim+ entier(𝑥) = 0 und lim− entier(𝑥) = 0. Also existiert
𝑥→ 12
𝑥→ 21
lim entier(𝑥) und ist gleich 0.
𝑥→ 21
13.2
Stetigkeit
Wir kommen zu einem fundamentalen Begriff.
Definition 13.2.1. Sei 𝑓 : 𝐷 → ℝ eine Funktion und 𝑎 ∈ 𝐷. Die Funktion 𝑓
heißt im Punkt 𝑎 stetig, falls gilt
lim 𝑓 (𝑥) = 𝑓 (𝑎).
𝑥→𝑎
𝑓 heißt stetig in 𝐷, wenn 𝑓 in jedem Punkt von 𝐷 stetig ist.
76
Stetigkeit von 𝑓 in 𝑎 bedeutet also: Für 𝑥 → 𝑎 konvergieren die Bilder 𝑓 (𝑥)
gegen das Bild 𝑓 (𝑎).
Intuitiv bedeutet Stetigkeit:
∙ 𝑓 (𝑥) ändert sich wenig, wenn 𝑥 sich wenig ändert.
∙ Eine Funktion ist stetig, wenn ihr Graph keine Sprünge macht.
∙ Eine Funktion ist zu 99% stetig, wenn man ihren Graphen ohne Absetzen
zeichnen kann.
Bemerkung. Stetigkeit einer Funktion ist eine schöne“ Eigenschaft, da sich
”
stetige Funktionen in vielerlei Hinsicht gutartig verhalten.
Angenommen, wir haben eine Messreihe mit endlich vielen Messwerten (siehe
Abbildung 13.1).
m(x4)
m(x5)
m(x3)
m(x2)
m(x6)
m(x1)
m(x7)
x1
x2 x3
x4
x5
x6 x 7
Abbildung 13.1: Messreihe mit endlich vielen Messwerten
Unterstellen wir eine stetige Funktion, die die gegebenen Punkte beschreibt,
dann können wir auch etwas über Punkte sagen, für die keine Messwerte vorliegen (siehe Abbildung 13.2).
m(x4)
m(x5)
m(x3)
m(x2)
m(x6)
m(x1)
m(x7)
x1
x2 x3
x4
x5
x6 x 7
Abbildung 13.2: Stetige Funktion, die die Messwerte beschreibt
77
Beispiele.
∙ Die identische Abbildung id : ℝ → ℝ, 𝑥 7→ 𝑥 ist stetig.
Beweis. Sei 𝑎 ∈ ℝ. Sei (𝑥𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge mit lim 𝑥𝑛 = 𝑎.
𝑛→∞
Es gilt id(𝑥𝑛 ) = 𝑥𝑛 . Daher
lim (𝑥𝑛 ) = lim 𝑥𝑛 = 𝑎 = id(𝑎)
𝑛→∞
𝑛→∞
Damit ist die identische Abbildung in jedem Punkt stetig.
∙ Die konstanten Funktionen sind stetig.
Beweis. Klar.
Satz 13.2.2. Es seien 𝑓, 𝑔 : 𝐷 → ℝ Funktionen in 𝑎 ∈ 𝐷 stetig. Sei 𝜆 ∈ ℝ.
Dann sind die Funktionen
𝑓 +𝑔 :
𝜆𝑓 :
𝑓𝑔 :
𝑓
:
𝑔
𝐷→ℝ
𝐷→ℝ
𝐷→ℝ
𝐷′ → ℝ mit 𝐷′ = {𝑥 ∈ 𝐷 : 𝑦(𝑥) ∕= 0}
in 𝑎 ∈ 𝐷 stetig.
Aus dem Satz folgt: Jede Polynomfunktion ist stetig.
Beispiel. Wir betrachten die Funktion
{
0 für 𝑥 < 0
𝑓 (𝑥) =
1 für 𝑥 ≥ 0.
Offenbar ist 𝑓 (𝑥) für 𝑥 ∕= 0 stetig. Zu untersuchen ist 𝑥 = 0.
Behauptung: 𝑓 ist nicht stetig in 𝑥 = 0.
Beweis. Es gilt lim 𝑓 (𝑥) = 1 und lim 𝑓 (𝑥) = 0.
𝑥→0+
𝑥→0−
Damit existiert lim 𝑓 (𝑥) nicht und 𝑓 (𝑥) ist nicht ste𝑥→0
tig in 𝑥 = 0.
78
13.3
Etwas Kombinatorik
Zur Erinnerung: Für 𝑛 ∈ ℕ setzen wir
𝑛! := 1 ⋅ 2 ⋅ 2 ⋅ 3 ⋅ . . . ⋅ 𝑛 und 0! = 1
Zu 𝑛! sagen wir 𝑛-Fakultät.
Wir haben die Rekursion
𝑛! = (𝑛 − 1)!𝑛.
Satz 13.3.1. Die Anzahl aller Anordnungen 𝑛 verschiedener Elemente ist 𝑛!.
Beweis. Gegeben seien 𝑛 Elemente und 𝑛 Felder. Wir besetzen die Felder mit
den Elementen. Für das 1. Feld stehen 𝑛 Elemente zur Auswahl. Für das 2.
Feld entsprechend (𝑛 − 1), usw. Demnach gibt es 𝑛 ⋅ (𝑛 − 1) ⋅ . . . ⋅ 3 ⋅ 2 ⋅ 1 = 𝑛!
Möglichkeiten 𝑛 Elemente anzuordnen.
Satz 13.3.2 (Satz und Definition). Die Anzahl der 𝑘-elementigen Teilmengen
einer nicht-leeren Menge mit 𝑛 Elementen ist im Fall 0 < 𝑘 ≤ 𝑛 :
( )
𝑛
𝑛(𝑛 − 1) ⋅ . . . ⋅ (𝑛 − 𝑘 + 1)
=:
𝑘!
𝑘
und im Fall 𝑘 = 0 :
Die Zahlen
(𝑛)
𝑘
( )
𝑛
1 :=
0
heißen Binomialkoeffizienten. Lies 𝑛 über 𝑘“.
”
Beweis. Sei zunächst 𝑘 ∕= 0. Zur Bildung 𝑘-elementiger Teilmengen stehen für
ein erstes Element einer Teilmenge alle 𝑛 Elemente der gegebenen Menge zur
Auswahl, usw.
Insgesamt gibt es also 𝑛(𝑛 − 1) ⋅ . . . ⋅ (𝑛 − 𝑘 + 1) Möglichkeiten, 𝑘-elementige Teilmengen herzustellen. Unter diesen Möglichkeiten sind auch 𝑘-elementige Teilmengen, die sich nur in der Reihenfolge der Elemente unterscheiden. Es gibt
genau 𝑘! verschiedene Anordnungen einer 𝑘-elementigen Menge. Durch diese
Anzahl müssen wir dividieren; demnach gibt 𝑛(𝑛−1)⋅...⋅(𝑛−𝑘+1)
die Anzahl der
𝑘!
𝑘-elementigen Teilmengen eine 𝑛-elementigen Menge an.
Für 𝑘 = 0 : Die leere Menge ist die einzige 0-elementige Teilmenge. Damit ist
die gesuchte Zahl 1.
Bemerkung. Es gilt
(
)
( )
𝑛
𝑛!
𝑛
=
=
𝑘!(𝑛 − 𝑘)!
𝑛−𝑘
𝑘
Beweis. Einfaches Nachrechnen!
Beispiel.
6 aus 49“. Aus einer Menge mit 49 Elementen können wir
”
( )
49 ⋅ 48 ⋅ ⋅47 ⋅ 46 ⋅ 45 ⋅ 44
49
= 13.983.816
=
1⋅2⋅3⋅4⋅5⋅6
6
6-elementige Teilmengen bilden. Die Wahrscheinlichkeit beim Lotto 6 aus 49“ die
”
richtigen 6 Zahlen zu raten, ist also ungefähr 1:14 Millionen.
79
13.4
Der Binomische Lehrsatz
Es gilt der
Satz 13.4.1 (Binomischer Lehrsatz). Für 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ und 𝑛 ∈ ℕ gilt:
𝑛 ( )
∑
𝑛 𝑛−𝑘 𝑘
𝑛
𝑥
𝑦
(𝑥 + 𝑦) =
𝑘
𝑘=0
( )
( )
(
)
𝑛 𝑛−1
𝑛 𝑛−2 2
𝑛
= 𝑥𝑛 +
𝑥
𝑦+
𝑥
𝑦 + ... +
𝑥𝑦 𝑛−1 + 𝑦 𝑛 .
1
2
𝑛−1
( )
Beweis. Es gibt 𝑛𝑘 Möglichkeiten, 𝑘 Faktoren (𝑥 + 𝑦) aus (𝑥 + 𝑦)𝑛 auszuwählen.
Eine solche Auswahl ist zum Beispiel
(𝑥 + 𝑦)𝑛 = (𝑥 + 𝑦) ⋅ . . . ⋅ (𝑥 + 𝑦) ⋅(𝑥 + 𝑦) ⋅ . . . ⋅ (𝑥 + 𝑦) .
{z
}|
{z
}
|
𝑘−𝑚𝑎𝑙
(𝑛−𝑘)−𝑚𝑎𝑙
Für jede Auswahl erhalten wir nach Ausmultiplizieren
von (𝑥 + 𝑦)𝑘 je einmal als
(𝑛)
𝑘
höchste Potenz von 𝑥 genau 𝑥( .)Es gibt 𝑘 solche Auswahlmöglichkeiten, also
tritt die Potenz 𝑥𝑘 insgesamt 𝑛𝑘 -mal auf. Jeder Faktor (𝑥 + 𝑦)𝑘 korrespondiert
𝑛−𝑘
zu einem Faktor (𝑥 + 𝑦)𝑛−𝑘 . Im letzteren ist die
.
(𝑛)höchste Potenz 𝑦 genau 𝑦
𝑘 𝑛−𝑘
Demnach tritt der Faktor 𝑥 𝑦
insgesamt 𝑘 auf. Daraus ergibt sich der
Binomische Lehrsatz.
Bemerkung. Der Binomische Lehrsatz lässt sich auch mittels vollständiger
Induktion beweisen.
Für die ersten 𝑛 erhalten wir für den Binomischen Lehrsatz
(𝑥 + 𝑦)0 = 1
(𝑥 + 𝑦) = 𝑥 + 𝑦
(𝑥 + 𝑦)2 = 𝑥2 + 2𝑥 + 𝑦 2
(𝑥 + 𝑦)3 = 𝑥3 + 3𝑥2 𝑦 + 3𝑥𝑦 2 + 𝑦 3
(𝑥 + 𝑦)4 = 𝑥4 + 4𝑥3 𝑦 + 6𝑥2 𝑦 2 + 4𝑥𝑦 3 + 𝑦 4
Die Koeffizienten können im Pascalschen Dreieck angeordnet werden.
1
1
1
1
1
1
2
3
4
5
1
1
3
6
10
1
4
10
1
5
1
Aufgrund der Beziehung
( ) (
) (
)
𝑛
𝑛−1
𝑛−1
=
+
𝑘
𝑘−1
𝑘
(siehe Übungsaufgabe 63, Blatt 13) ist jede Zahl im Innern des Dreiecks die
Summe der beiden unmittelbar über ihr stehenden.
80
Vorlesung 14
Differentialrechnung
Ein immer wiederkehrendes Konzept in der Mathematik ist die Zurückführung
auf Bekanntes, beziehungsweise auf besonders einfache“ Fälle. Besonders ein”
”
fach“ sind lineare Funktionen in der Analysis. In der Differentialrechung führen
wir Linearisierungen durch, das heißt nichtlineare Funktionen werden durch lineare Funktionen approximiert.
14.1
Geradengleichung
Gegeben seien zwei Punkte 𝐴(𝑥𝑎 ∣𝑦𝑎 ) und 𝐵(𝑥𝑏 ∣𝑦𝑏 ). Diese legen eine Gerade
𝑔 = 𝑔𝐴𝐵 eindeutig fest.
yb
y=yb-ya
ya
x=x -xa
c
xa
0
g
xb
Abbildung 14.1: Geradensteigung und Differenzenquotient
Die allgemeine Geradengleichung lautet:
𝑔:
𝑦 = 𝑚𝑥 + 𝑐
Δ𝑦
Dabei bezeichnet 𝑚 = Δ𝑥
die Steigung und 𝑐 den 𝑦−Achsenabschnitt. Die
Steigung (siehe Abbildung 14.1)
𝑚=
𝑦𝑏 − 𝑦𝑎
𝑦𝑎 − 𝑦𝑏
Δ𝑦
=
=
Δ𝑥
𝑥𝑏 − 𝑥𝑎
𝑥𝑎 − 𝑥𝑏
wird auch Differenzenquotient genannt. Dabei steht Δ für Differenz“. Fassen
”
81
wir 𝑓 (𝑥) als eine Funktion der Zeit 𝑥 auf, so ist
𝑓 (𝑥2 ) − 𝑓 (𝑥1 )
Δ𝑦
=
Δ𝑥
𝑥2 − 𝑥1
die mittlere Änderungsrate ( Durchschnittsgeschwindigkeit“) der zeitabhängi”
gen Funktionswerte zwischen zwei Zeitpunkten 𝑥1 und 𝑥2 (siehe Abbildung
14.2).
f
f(x1)
f(x2)
x2
x1
Abbildung 14.2: Mittlere Änderungsrate der Funktion 𝑓
Was passiert nun, für Δ𝑥 → 0? Anders formuliert, wie ist die Änderungsrate
wenn 𝑥2 mit 𝑥1 zusammenfällt?
Wir sprechen in diesem Fall von der momentanen Änderungsrate ( Momentan”
geschwindigkeit“) im Punkt 𝑥1 , wenn
𝑓 (𝑥1 + ℎ) − 𝑓 (𝑥1 )
𝑓 (𝑥2 ) − 𝑓 (𝑥1 )
𝑓 (𝑥2 ) − 𝑓 (𝑥1 )
= lim
= lim
𝑥2 →𝑥1
Δ𝑥→0
ℎ→0
Δ𝑥
𝑥2 − 𝑥1
ℎ
lim
existiert. Die momentane Änderungsrate im Punkt 𝐴(𝑎∣𝑓 (𝑎)) entspricht genau
der Tangentensteigung der Tangente am Punkt 𝐴.
f
m
f(a+h)
B
A
t
f(a)
a
a+h
Abbildung 14.3: Die mittlere Änderungsrate 𝑚 der Funktion 𝑓 wird zur Tangente 𝑡 für ℎ → 0
Für ℎ → 0 wandert der Punkt 𝐵(𝑎 + ℎ∣𝑓 (𝑎 + ℎ)) auf den Punkt 𝐴(𝑎∣𝑓 (𝑎)) zu
(vgl. Abbildung 14.3).
82
14.2
Differenzierbarkeit
Definition 14.2.1. Eine Funktion 𝑓 : 𝐷 → ℝ heißt differenzierbar in 𝑎 ∈ 𝐷,
falls
𝑓 (𝑎 + ℎ) − 𝑓 (𝑎)
lim
ℎ→0
ℎ
existiert. Dieser Grenzwert wird Differentialquotient genannt. Wir setzen dann
𝑓 (𝑎 + ℎ) − 𝑓 (𝑎)
ℎ→0
ℎ
𝑓 ′ (𝑎) := lim
und nennen 𝑓 ′ (𝑎) die erste Ableitung von 𝑓 im Punkt 𝑎. Wir sagen 𝑓 ist differenzierbar, wenn sie für jeden Punkt des Definitionsbereiches differenzierbar ist.
Die Funktion 𝑓 ′ : 𝑥 7→ 𝑓 ′ (𝑥) heißt Ableitungsfunktion bzw. erste Ableitung von
𝑓.
Beispiele
∙ 𝑓 : 𝐷 → ℝ, 𝑓 (𝑥) = 𝑥.
Die Funktion 𝑓 (𝑥) = 𝑥 ist differenzierbar und es gilt 𝑓 ′ (𝑥) = 1.
Beweis. Sei 𝑥 ∈ 𝐷. Es gilt
𝑓 (𝑥 + ℎ) − 𝑓 (𝑥)
𝑓 (𝑥 + ℎ) − 𝑓 (𝑥)
(𝑥 + ℎ) − 𝑥
ℎ
=
=
= =1
(𝑥 + ℎ) − 𝑥
ℎ
ℎ
ℎ
Daraus folgt nun
𝑓 (𝑥 + ℎ) − 𝑓 (𝑥)
= lim 1 = 1 = 𝑓 ′ (𝑥).
ℎ→0
ℎ→0
ℎ
lim
∙ 𝑔 : 𝐷 → ℝ, 𝑔(𝑥) = 𝑥2 .
Die Funktion 𝑔 ist differenzierbar und es gilt 𝑔 ′ (𝑥) = 2𝑥.
Beweis. Sei 𝑥 ∈ 𝐷. Es gilt
𝑔(𝑥 + ℎ) − 𝑔(𝑥)
(𝑥 + ℎ)2 − 𝑥2
=
(𝑥 + ℎ) − 𝑥
ℎ
2
𝑥 + 2ℎ𝑥 + ℎ2 − 𝑥2
2ℎ𝑥 + ℎ2
=
=
= 2𝑥 + ℎ.
ℎ
ℎ
Damit folgt:
lim
ℎ→0
𝑔(𝑥 + ℎ) − 𝑔(𝑥)
= lim (2𝑥 + ℎ) = 2𝑥 = 𝑔 ′ (𝑥).
ℎ→0
ℎ
∙ 𝑓 : ℝ → ℝ, 𝑓 (𝑥) = 𝑥𝑛 , 𝑛 ∈ ℕ.
Die Funktion 𝑓 ist differenzierbar mit 𝑓 ′ (𝑥) = 𝑛𝑥𝑛−1 .
83
(𝑥)
Beweis. Es gilt 𝑓 (𝑥+ℎ)−𝑓
=
ℎ
satz (vgl. Vorlesung 13) gilt:
𝑛
(𝑥 + ℎ) =
𝑛 ( )
∑
𝑛
𝑘=0
𝑘
(𝑥+ℎ)𝑛 −𝑥𝑛
.
ℎ
Nach dem Binomischen Lehr-
𝑥𝑛−𝑘 ℎ𝑘
( )
( )
𝑛 ( )
𝑛 𝑛 0
𝑛 𝑛−1 1 ∑ 𝑛 𝑛−𝑘 𝑘
𝑥 ℎ +
𝑥
ℎ +
𝑥
ℎ
0
1
𝑘
𝑘=2
𝑛 ( )
∑
𝑛 𝑛−𝑘 𝑘
𝑛
𝑛−1
𝑥
ℎ
= 𝑥 + 𝑛𝑥
ℎ+
𝑘
=
𝑘=2
Daher haben wir
∑𝑛 ( )
𝑥𝑛 + 𝑛𝑥𝑛−1 ℎ + 𝑘=2 𝑛𝑘 𝑥𝑛−𝑘 ℎ𝑘 − 𝑥𝑛
(𝑥 + ℎ)𝑛 − 𝑥𝑛
=
ℎ
ℎ
𝑛 ( )
∑
𝑛
𝑥𝑛−𝑘 ℎ𝑘−1
= 𝑛𝑥𝑛−1 +
𝑘
𝑘=2
−→ 𝑛𝑥𝑛−1 (für ℎ → 0).
Also gilt 𝑓 ′ (𝑥) = 𝑛𝑥𝑛−1 .
Bemerkung. Für 𝑥 > 0 und 𝑎 ∈ ℝ gilt für 𝑓 (𝑥) = 𝑥𝑎 , dass 𝑓 ′ (𝑥) = 𝑎𝑥𝑎−1 .
Einen Beweis sehen Sie in der A1-Vorlesung. Im obigen Beispiel ist 𝑎 ∈ ℕ.
Satz 14.2.2. Die Funktion 𝑓 : 𝐷 → ℝ ist genau dann in 𝑎 ∈ 𝐷 differenzierbar,
wenn gilt
lim
ℎ→0, ℎ>0
𝑓 (𝑎 + ℎ) − 𝑓 (𝑎)
𝑓 (𝑎 + ℎ) − 𝑓 (𝑎)
= lim
.
ℎ→0, ℎ<0
𝑎+ℎ−𝑎
𝑎+ℎ−𝑎
Beispiel. Die Betragsfunktion 𝑓 (𝑥) = ∣𝑥∣ ist differenzierbar für alle 𝑥 ∈ ℝ ∖ {0}
und nicht differenzierbar an der Stelle 𝑥 = 0. Es gilt:
{
−𝑥 für 𝑥 < 0
𝑓 (𝑥) = ∣𝑥∣ =
𝑥
für 𝑥 ≥ 0.
Für 𝑥 ∕= 0 ist klar, dass 𝑓 differenzierbar ist. Wir haben
ℎ
𝑓 (0 + ℎ) − 𝑓 (0)
= lim
=1
ℎ→0, ℎ>0 ℎ
0+ℎ−0
𝑓 (0 + ℎ) − 𝑓 (0)
−ℎ
lim
= lim
= −1
ℎ→0, ℎ<0
ℎ→0, ℎ<0 ℎ
0+ℎ−0
lim
ℎ→0, ℎ>0
Also folgt die Behauptung, da
𝑓 (0 + ℎ) − 𝑓 (0)
𝑓 (0 + ℎ) − 𝑓 (0)
∕= lim
.
ℎ→0, ℎ>0
ℎ→0, ℎ<0
0+ℎ−0
0+ℎ−0
lim
84
14.3
Ableitungsregeln
Satz 14.3.1. Es seien 𝑓, 𝑔 : 𝐷 → ℝ in 𝑥 ∈ 𝐷 differenzierbar und 𝜆 ∈ ℝ. Dann
sind 𝑓 + 𝑔, 𝑓 ⋅ 𝑔, 𝜆𝑓 und im Falle 𝑔(𝑥) ∕= 0 auch 𝑓𝑔 differenzierbar und es gilt:
(𝑓 + 𝑔)′ (𝑥) = 𝑓 ′ (𝑥) + 𝑔 ′ (𝑥)
(𝑓 𝑔)′ (𝑥) = 𝑓 ′ (𝑥)𝑔(𝑥) + 𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥)
(𝜆𝑓 )′ (𝑥) = 𝜆𝑓 ′ (𝑥)
( )′
𝑓
𝑓 ′ (𝑥)𝑔(𝑥) − 𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥)
(𝑥) =
𝑔
𝑔 2 (𝑥)
(Summenregel)
(Produktregel)
(Quotientenregel).
Darüberhinaus gilt:
(𝑓 (𝑔(𝑥))′ = 𝑓 ′ (𝑔(𝑥)) ⋅ 𝑔 ′ (𝑥)
(Kettenregel)
wobei 𝑓 : 𝐷 → ℝ, 𝑔 : 𝐸 → ℝ mit 𝑔(𝐸) ⊂ 𝐷.
Beweis. (Summenregel) Nach Definition des Differentialquotienten gilt
(𝑓 + 𝑔)(𝑥 + ℎ) − (𝑓 + 𝑔)(𝑥)
ℎ
(𝑓
)(𝑥
+
ℎ)
− (𝑓 )(𝑥)
(𝑔)(𝑥 + ℎ) − (𝑔)(𝑥)
𝐺𝑊 𝑆
= lim
+ lim
ℎ→0
ℎ→0
ℎ
ℎ
= 𝑓 ′ (𝑥) + 𝑔 ′ (𝑥)
(𝑓 + 𝑔)′ (𝑥) = lim
ℎ→0
GWS bezeichnet an dieser Stelle die Grenzwertsätze (Satz 10.1.5). Die restlichen
Ableitungsregeln können als Übung bewiesen werden (siehe z.B. Übungsaufgabe
67, Blatt 14).
Beispiele.
(i) 𝑓 (𝑥) = 𝑥3 − 2𝑥2 + 2𝑥 + 1, dann ist die Ableitung 𝑓 ′ (𝑥) = 3𝑥2 − 4𝑥 + 2
√
(ii) 𝑓 (𝑥) = 𝑥, 𝑔(𝑥) = 𝑥2 + 1.
√
1
∙ ℎ(𝑥) = 𝑓 (𝑔(𝑥)) = 𝑥2 + 1 = (𝑥2 + 1) 2 . Nach der Kettenregel ergibt
1
sich für die Ableitung von ℎ: ℎ′ (𝑥) = 𝑓 ′ (𝑔(𝑥))⋅𝑔 ′ (𝑥) = 21 (𝑥2 +1) 2 ⋅2𝑥.
√ 2
∙ Definiere nun 𝑘(𝑥) = 𝑔(𝑓 (𝑥)) = ( 𝑥) +1 = 𝑥+1. Daraus folgt sofort
𝑘 ′ (𝑥) = 1. Zur Übung wenden wir die Kettenregel an und erhalten
natürlich das gleiche Resultat – wir haben 𝑘 ′ (𝑥) = 𝑔 ′ (𝑓 (𝑥)) ⋅ 𝑓 ′ (𝑥) =
√
1
2 𝑥 ⋅ 12 𝑥− 2 = 1.
Definition 14.3.2. Sei 𝑓 : (𝑎, 𝑏) → ℝ eine Funktion. Wir sagen, 𝑓 hat in 𝑥 ∈
(𝑎, 𝑏) ein lokales Maximum (Minimum), wenn es eine Umgebung 𝑈𝜀 (𝑥) gibt, mit
𝑓 (𝑥) ≥ 𝑓 (𝜉) für alle 𝜉 ∈ 𝑈𝜀 (𝑥)
(𝑓 (𝑥) ≤ 𝑓 (𝜉) für alle 𝜉 ∈ 𝑈𝜀 (𝑥)).
Falls das Gleichheitszeichen nur für 𝑥 = 𝜉 gilt, so nennen wir 𝑥 ein isoliertes Maximum (Minimum). Der Oberbegriff für Maximum und Minimum ist Extremum.
Anstelle vom lokalen Extremum sprechen wir auch vom relativen Extremum.
85
Ein notwendiges Kriterium für ein Extremum liefert der folgende Satz:
Satz 14.3.3. Die Funktion 𝑓 : (𝑎, 𝑏) → ℝ besitze im Punkt 𝑥 ∈ (𝑎, 𝑏) ein lokales
Extremum und sei in 𝑥 differenzierbar. Dann gilt: 𝑓 ′ (𝑥) = 0.
Beweis. Siehe Übungsaufgabe 68, Blatt 14.
Folgerung. Falls 𝑓 ′ (𝑎) ∕= 0 so kann 𝑎 kein Extremum sein.
86
Vorlesung 15
Integralrechnung
15.1
Supremum und Infimum
Zunächst ein paar grundlegende, wichtige Definitionen.
Definition 15.1.1. Eine Menge 𝑀 ⊂ ℝ heißt nach oben beschränkt, wenn es
ein 𝑠 ∈ ℝ gibt, so dass 𝑥 ≤ 𝑠 für alle 𝑥 ∈ 𝑀 . 𝑀 ist nach unten beschränkt,
wenn es ein 𝑠 ∈ ℝ gibt mit 𝑠 ≤ 𝑥 für alle 𝑥 ∈ 𝑀 .
Definition 15.1.2 (Supremum und Infimum). 𝑠 ∈ ℝ heißt Supremum der Menge 𝑀 ⊂ ℝ, falls 𝑠 die kleinste obere Schranke von 𝑀 ist, d.h.
(i) 𝑠 ist eine obere Schranke
(ii) Ist 𝑠′ < 𝑠, so ist 𝑠′ keine obere Schranke.
Es gibt höchstens ein solches 𝑠. Im Existenzfall schreiben wir 𝑠 = sup(𝑀 ) =
sup 𝑀 .
Analog heißt 𝑠 ∈ ℝ Infimum der Menge 𝑀 , wenn 𝑠 die größte untere Schranke
ist, d.h.
(i) 𝑠 ist untere Schranke von 𝑀
(ii) 𝑠′ > 𝑠 ist keine untere Schranke von 𝑀 .
Im Existenzfall schreiben wir 𝑠 = inf(𝑀 ) = inf 𝑀 .
Beispiel: Sei 𝑀 = (𝑎, 𝑏). Dann gilt: inf(𝑀 ) = 𝑎 und sup(𝑀 ) = 𝑏. Dabei
gilt, dass sup(𝑀 ) ∈
/ 𝑀 und inf(𝑀 ) ∈
/ 𝑀.
Bemerkung. Gilt sup(𝑀 ) ∈ 𝑀 , bzw. inf(𝑀 ) ∈ 𝑀 , dann sprechen wir vom
Maximum bzw. Minimum. Wir schreiben max(𝑀 ) und min(𝑀 ).
87
Beispiele:
∙ Es sei 𝑀 = {1, 4}, dann gilt: inf(𝑀 ) = min(𝑀 ) = 1 und sup(𝑀 ) =
max(𝑀 ) = 4.
∙ Es sei 𝑀 = { 𝑛1 , 𝑛 ∈ ℕ>0 } = {1, 21 , 31 , 41 , . . .}, dann gilt:
sup(𝑀 ) = max(𝑀 ) = 1, und inf(𝑀 ) = 0. Das Infimum liegt nicht in der
Menge, also existiert das Minimum nicht.
15.2
Flächeninhalt und Integral einfacher Funktionen
Gegeben sei nun eine konstante Funktion 𝑓 : [𝑎, 𝑏] → ℝ ; 𝑥 7→ 𝑐 mit 𝑎 < 𝑏.
Fassen wir 𝑓 als eine Kostenfunktion auf, so können wir nach den Gesamtkosten
𝐺[𝑎,𝑏] im Intervall [𝑎, 𝑏] fragen. Diese entsprechen gerade dem Flächeninhalt des
Rechtecks 𝑅.
𝑅 = 𝐺[𝑎,𝑏] = (𝑏 − 𝑎) ⋅ 𝑐.
Hier heißt
(𝑏 − 𝑎) ⋅ 𝑐 =:
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
𝑎
das Integral von 𝑓 im Intervall [𝑎, 𝑏].
15.3
Integral gutartiger Funktionen
Analog können wir fragen, wie groß der Inhalt der Fläche ist, die durch den
Graphen einer gutartigen“ Funktion 𝑓 im Intervall [𝑎, 𝑏] begrenzt wird. Dabei
”
verstehen wir gutartig in dem Sinne, dass wir den Flächeninhalt bestimmen
können.
88
Können wir diese Frage befriedigend beantworten, so können wir die Inhalte von
Flächen berechnen, die krummlinig begrenzt sind, etwa die Fläche, die durch
die Graphen von den gutartigen Funktionen 𝑓 und 𝑔 begrenzt wird.
Es stellt sich heraus, dass zu den gutartigen Funktionen die Riemann-integrierbaren Funktionen zählen.
15.4
Integral von Treppenfunktionen
Für konstante Funktionen im Intervall [𝑎, 𝑏] ist die Bestimmung des Flächeninhalts einfach. Der nächst schwierigere“ Fall ist die Bestimmung des Flächen”
inhalts, bzw. die Bestimmung des Integrals einer Treppenfunktion 𝜑 : [𝑎, 𝑏] → ℝ.
Zur Erinnerung (vgl. Vorlesung 11): Eine Funktion 𝜑 : [𝑎, 𝑏] → ℝ heißt Treppenfunktion, wenn es eine Unterteilung (Partition)
𝑎 = 𝑥0 < 𝑥1 < . . . < 𝑥𝑛−1 < 𝑥1 = 𝑏
89
des Intervalls [𝑎, 𝑏] und Konstante 𝑐1 , 𝑐2 , . . . , 𝑐𝑛 ∈ ℝ gibt, so dass 𝜑(𝑥) = 𝑐𝑘
mit 𝑥 ∈ (𝑥𝑘−1 , 𝑥𝑘 ) und 𝑘 = 1, . . . , 𝑛. Funktionswerte 𝜑(𝑥𝑘 ) in Teilpunkten sind
beliebig.
Für den Flächeninhalt 𝐴 einer Treppenfunktion 𝜑 gilt:
∫ 𝑏
𝑛
∑
𝜑(𝑥)𝑑𝑥.
𝑐𝑘 ⋅ (𝑥𝑘 − 𝑥𝑘−1 ) =:
𝐴=
𝑎
𝑘=1
∫
steht für S wie Summe, 𝑑𝑥 steht für infinitesimal kleine 𝑥-Werte.
Es sei 𝑓 : [𝑎, 𝑏] → ℝ eine beschränkte Funktion im Intervall [𝑎, 𝑏]. 𝑓 sei hinreichend gutartig“, so dass sich 𝑓 durch Treppenfunktionen approximieren lässt.
”
Sei 𝑃 eine Partition des Intervalls [𝑎, 𝑏] gegeben:
𝑎 = 𝑥0 < 𝑥1 < . . . < 𝑥𝑛−1 < 𝑥𝑛 = 𝑏.
Wir setzen als Untersumme
𝑛
∑
(𝑥𝑘 − 𝑥𝑘−1 )
𝑈 (𝑃 ) :=
𝑘=1
inf
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
𝑓 (𝑥),
90
Abbildung 15.1: Darstellung von Obersumme und Untersumme im Intervall
[𝑎, 𝑏]. Hier ist 𝑛 = 6.
dabei bezeichnet inf das Infimum der Funktionswerte im Intervall (𝑥𝑘−1 , 𝑥𝑘 );
das ist die größte untere Schranke der Funktionswerte.
Wir setzen als Obersumme
𝑂(𝑃 ) :=
𝑛
∑
(𝑥𝑘 − 𝑥𝑘−1 )
sup
𝑓 (𝑥),
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
𝑘=1
dabei bezeichnet sup das Supremum der Funktionswerte im Intervall (𝑥𝑘−1 , 𝑥𝑘 );
das ist die kleinste obere Schranke der Funktionswerte.
Offenbar gilt:
𝑈 (𝑃 ) ≤
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 ≤ 𝑂(𝑃 ).
Die Partition werde nun unendlich fein und wir setzen
∫
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
=
inf 𝑂(𝑃 ) = inf{𝑂(𝑃 ) : 𝑃 ist eine Partition von [𝑎, 𝑏]}
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
=
sup 𝑈 (𝑃 ) = sup{𝑈 (𝑃 ) : 𝑃 ist eine Partition von [𝑎, 𝑏]}.
𝑎
𝑃
𝑏
𝑎
𝑃
∫𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 nennen wir Oberintegral und
Offenbar gilt
𝑎
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 ≤
∫𝑏
∫
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 nennen wir Unterintegral.
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥.
𝑎
91
15.5
Das Riemann-Integral
Definition 15.5.1 (Riemann-Integral). Sei 𝑓 : [𝑎, 𝑏] → ℝ eine beschränkte
Funktion. Falls
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 =
𝑎
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
𝑎
gilt, so sagen wir, dass 𝑓 Riemann-integrierbar ist und wir setzen
∫
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 :=
𝑎
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 =
𝑎
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥.
𝑎
Für jede Treppenfunktion 𝜑 : [𝑎, 𝑏] → ℝ gilt:
∫
𝑏
𝜑(𝑥)𝑑𝑥 =
𝑎
∫
𝑏
𝜑(𝑥)𝑑𝑥.
𝑎
Deshalb ist jede Treppenfunktion Riemann-integrierbar. Für Riemann-integrierbar
schreiben wir kurz integrierbar.
Satz 15.5.2. Jede stetige Funktion 𝑓 : [𝑎, 𝑏] → ℝ ist integrierbar.
Für einen Beweis siehe A1-Vorlesung.
∫1
Beispiel: Wir wollen 0 𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 mit 𝑓 (𝑥) = 𝑥2 bestimmen. Hierfür benötigen
wir folgende Summenformel:
𝑛
∑
𝑘=1
𝑘2 =
𝑛(𝑛 + 1)(2𝑛 + 1)
6
(Beweis durch vollständige Induktion).
Wir wählen eine äquidistante Partition des Intervalls [0,1] mit 𝑥𝑘 =
0, 1, . . . , 𝑛). Es gilt
inf
𝑓 (𝑥)
=
sup
𝑓 (𝑥)
=
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
(
)2
inf
𝑓 (𝑥)
𝑘−1
𝑛
( )2
𝑘
.
𝑛
und
Für die Untersumme von 𝑃 gilt daher
𝑈 (𝑃 ) =
=
𝑛
∑
(𝑥𝑘 − 𝑥𝑘−1 )
𝑘=1
𝑛
∑
𝑘=1
1
𝑛
(
𝑘−1
𝑛
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
)2
𝑛
1 ∑
(𝑘 − 1)2
= 3
𝑛
𝑘=1
92
𝑘
𝑛
(𝑘 =
1
= 3
𝑛
(
𝑛
∑
𝑘=1
2
𝑘 −2
𝑛
∑
𝑘+
𝑛
∑
1
𝑘=1
𝑘=1
)
(
)
1 𝑛(𝑛 + 1)(2𝑛 + 1) 𝑛(𝑛 + 1)
−
+
𝑛
𝑛3
6
2
(
)
3
1 2𝑛 𝑛
= 3
+
𝑛
3
3
2
1
1
für 𝑛 → ∞ .
= + 2 →
3 3𝑛
3
=
Daher gilt
∫
1
𝑥2 𝑑𝑥 =
0
1
.
3
Für die Obersumme von 𝑃 gilt analog
𝑂(𝑃 )
=
=
𝑛
∑
(𝑥𝑘 − 𝑥𝑘−1 )
𝑘=1
𝑛
∑
1
𝑛
𝑘=1
=
=
=
sup
𝑓 (𝑥)
𝑥𝑘−1 <𝑥<𝑥𝑘
( )2
𝑘
𝑛
𝑛
1 ∑ 2
𝑘
𝑛3
𝑘=1
)
(
𝑛2
𝑛
1 𝑛3
+
+
𝑛3 3
2
6
1
2
𝑛
1
+ + 2 →
für 𝑛 → ∞ .
3 𝑛 6𝑛
3
Daher gilt
∫
1
𝑥2 𝑑𝑥 =
1
.
3
𝑥2 𝑑𝑥 =
∫
0
Insgesamt erhalten wir
∫
1
𝑥2 𝑑𝑥 =
0
∫
1
0
1
𝑥2 𝑑𝑥 =
0
1
.
3
Satz 15.5.3 (Linearität des Integrals). Es sei 𝑓, 𝑔 : [𝑎, 𝑏] → ℝ integrierbare
Funktionen und 𝜆 ∈ ℝ. Dann sind auf 𝑓 + 𝑔 und 𝜆𝑓 bzw. 𝜆𝑔 integrierbar und
es gilt:
(i)
∫
𝑏
(𝑓 + 𝑔)(𝑥)𝑑𝑥 =
𝑎
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 +
𝑎
∫
𝑏
𝑔(𝑥)𝑑𝑥
𝑎
(ii)
∫
𝑏
(𝜆𝑓 )(𝑥)𝑑𝑥 = 𝜆
𝑎
93
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
𝑎
(iii)
Aus 𝑓 ≤ 𝑔 folgt
∫
𝑏
𝑎
94
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 ≤
∫
𝑏
𝑔(𝑥)𝑑𝑥.
𝑎
Vorlesung 16
Infinitesimalrechnung,
Mengenlehre und logische
Verknüpfungen
16.1
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
Wir verknüpfen nun Differential- mit Integralrechnung.
Definition 16.1.1. Eine differenzierbare Funktion 𝐹 : 𝐼 −→ ℝ heißt Stammfunktion einer Funktion 𝑓 : 𝐼 −→ ℝ, falls 𝐹 ′ = 𝑓 .
Der folgende Satz ist grundlegend:
Satz 16.1.2. (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung)
Teil 1: Sei 𝑓 : 𝐼 −→ ℝ eine stetige Funktion und 𝑎 ∈ 𝐼. Dann ist für alle 𝑥 ∈ 𝐼
die Integralfunktion
∫ 𝑥
𝑓 (𝑡)𝑑𝑡
𝐹 (𝑥) :=
𝑎
differenzierbar und eine Stammfunktion von 𝑓 .
Teil 2: Überdies gilt für alle 𝑎, 𝑏 ∈ 𝐼:
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 = 𝐹 (𝑏) − 𝐹 (𝑎)
Bemerkung. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (HDI) ist
eines der Hauptresultate der A1-Vorlesung. Ein Beweis würde den Rahmen des
Vorkurses sprengen.
Teil 1 des HDI bedeutet die Existenz von Stammfunktionen und stellt den
Zusammenhang zwischen Ableitung und Integral her.
Teil 2 erklärt, wie Integrale berechnet werden können.
95
Beispiele.
∙ Für 𝑓 (𝑥) = 𝑥𝑛 , 𝑛 ∈ ℕ ist 𝐹 (𝑥) =
denn 𝐹 ′ (𝑥) = 𝑓 (𝑥).
1
𝑛+1
𝑛+1 𝑥
eine Stammfunktion zu 𝑓 (𝑥),
∙ Für die trigometrischen Funktionen gilt
sin′ (𝑥) = cos(𝑥)
cos′ (𝑥) = − sin(𝑥).
Demnach gilt
∫
sin(𝑥)𝑑𝑥 = − cos(𝑥) + 𝑐
ist eine Stammfunktion von sin(𝑥) und
∫
cos(𝑥)𝑑𝑥 = sin(𝑥) + 𝑐
eine Stammfunktion von cos(𝑥).
Hier bezeichnet 𝑐 eine Konstante. Stammfunktionen unterscheiden sich
nur in einer Konstanten. Der Beweis folgt in der A1-Vorlesung, benutzt
wird dabei die Reihendarstellung der Sinus- und Kosinusfunktion.
∙ Es gilt
∫
𝑒𝑥 𝑑𝑥 = 𝑒𝑥 + 𝑐.
Bemerkung. (Notation)
Es sei 𝑓 : 𝐼 −→ ℝ stetig und 𝐹 die Stammfunktion von 𝑓 . Nachdem HDI gilt
∫ 𝑏
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 = 𝐹 (𝑏) − 𝐹 (𝑎).
𝑎
Wir schreiben hierfür auch
∫ 𝑏
𝑎
16.2
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 = [𝐹 (𝑥)]𝑏𝑎 = 𝐹 (𝑥) ∣𝑏𝑎 .
Partielle Integration
Vorsicht:
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥)𝑑𝑥 ∕=
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥 ⋅
∫
𝑏
𝑔(𝑥)𝑑𝑥.
𝑎
Stattdessen gilt der folgende Satz.
Satz 16.2.1. (Partielle Integration)
Es seien 𝑓, 𝑔 : [𝑎, 𝑏] −→ ℝ stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt
∫ 𝑏
∫ 𝑏
𝑔(𝑥) ⋅ 𝑓 ′ (𝑥)𝑑𝑥
𝑓 (𝑥) ⋅ 𝑔 ′ (𝑥)𝑑𝑥 = 𝑓 (𝑥) ⋅ 𝑔(𝑥) ∣𝑏𝑎 −
𝑎
𝑎
Kurzschreibweise:
∫
𝑓 ⋅ 𝑑𝑔 = 𝑓 ⋅ 𝑔 −
∫
𝑔 ⋅ 𝑑𝑓
96
Beweis. Wir setzen 𝐹 (𝑥) = 𝑓 (𝑥) ⋅ 𝑔(𝑥). Dann gilt nach der Produktregel der
Differentiation 𝐹 ′ (𝑥) = 𝑓 ′ (𝑥)𝑔(𝑥) + 𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥). Aufgrund der Linearität des Integrals gilt
∫
𝑏
′
𝐹 (𝑥)𝑑𝑥 =
𝑎
∫
𝑏
′
𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥)𝑑𝑥 +
𝑎
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥)𝑑𝑥
𝑎
Nach dem HDI gilt
∫
𝑏
𝐹 ′ (𝑥)𝑑𝑥 = 𝐹 (𝑥) ∣𝑏𝑎 = 𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥) ∣𝑏𝑎
𝑎
Daraus folgt
𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥)
∣𝑏𝑎 =
∫
𝑏
′
𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥)𝑑𝑥 +
𝑎
∫
𝑏
𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥)𝑑𝑥
𝑎
und sofort die Behauptung.
Definition 16.2.2. Eine Funktion 𝑓 : [𝑎, 𝑏] −→ ℝ heißt stetig differenzierbar,
wenn sie differenzierbar ist und ihre Ableitung 𝑓 ′ stetig ist.
Gesucht ist eine Stammfunktion von 𝑥 ⋅ sin(𝑥). Nach dem HDI ist
∫Beispiele.
𝑥
𝑡
⋅
sin(𝑡)𝑑𝑡
eine Stammfunktion. Wir wenden partielle Integration an:
𝑎
∫
∫
𝑓 (𝑥)𝑔 ′ (𝑥)𝑑𝑥 = 𝑓 (𝑥)𝑔(𝑥) − 𝑓 ′ (𝑥)𝑔(𝑥)𝑑𝑥
∫
𝑥
𝑎
partielle
𝑡 ⋅ sin(𝑡) 𝑑𝑡
|{z}
| {z }
=:𝑓 (𝑡) =:𝑔 ′ (𝑡)
Integration
=
𝑡 ⋅ (− cos(𝑡))
= −𝑡 ⋅ cos(𝑡) ∣𝑥𝑎 +
∫
∣𝑥𝑎
−
∫
𝑥
1(− cos(𝑡))𝑑𝑡
𝑎
𝑥
cos(𝑡)𝑑𝑡
𝑎
= −𝑥 ⋅ cos(𝑥) + 𝑎 ⋅ cos(𝑎) + sin(𝑡) ∣𝑥𝑎
= −𝑥 ⋅ cos(𝑥) + 𝑎 ⋅ cos(𝑎) + sin(𝑥) − sin(𝑎)
Somit ist −𝑥 ⋅ cos(𝑥) + sin(𝑥) eine Stammfunktion von 𝑥 ⋅ sin(𝑥).
16.3
Substitutionsregel
Zur Bestimmung des Integrals bzw. einer Stammfunktion von verketteten Funktionen benutzen wir den folgenden Satz.
Satz 16.3.1. (Substitutionsregel)
Sei 𝑓 : 𝐼 −→ ℝ eine stetige Funktion und 𝑔 : [𝑎, 𝑏] −→ ℝ eine stetig differenzierbare Funktion mit 𝑔([𝑎, 𝑏]) ⊂ 𝐼. Dann gilt
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑔(𝑡)) ⋅ 𝑔 ′ (𝑡)𝑑𝑡 =
97
∫
𝑔(𝑏)
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥
𝑔(𝑎)
Beweis. Sei 𝐹 : 𝐼 −→ ℝ eine Stammfunktion von 𝑓 . Für 𝐹 ∘ 𝑔 : [𝑎, 𝑏] −→ ℝ gilt
nach der Kettenregel
(𝐹 ∘ 𝑔)′ (𝑡) = 𝐹 ′ (𝑔(𝑡)) ⋅ 𝑔 ′ (𝑡) = 𝑓 (𝑔(𝑡)) ⋅ 𝑔 ′ (𝑡)
Mit dem HDI gilt
∫
𝑏
𝑎
𝑓 (𝑔(𝑡)) ⋅ 𝑔 ′ (𝑡)𝑑𝑡 = (𝐹 ∘ 𝑔)(𝑡) ∣𝑏𝑎
= 𝐹 (𝑔(𝑏)) − 𝐹 (𝑔(𝑎))
∫ 𝑔(𝑏)
𝑓 (𝑥)𝑑𝑥.
=
𝑔(𝑎)
∫2
Beispiel. Zu bestimmen ist 0 𝑥 ⋅ sin(𝑥2 + 1)𝑑𝑥. Wir setzen 𝑓 (𝑥) = sin(𝑥) und
𝑔(𝑥) = 𝑥2 + 1. Daraus folgt 𝑓 (𝑔(𝑥)) = sin(𝑥2 + 1) und 𝑔 ′ (𝑥) = 2𝑥. Nun gilt
∫
16.4
2
∫
1 2
2𝑥 ⋅ sin(𝑥2 + 1)𝑑𝑥
𝑥 ⋅ sin(𝑥 + 1)𝑑𝑥 =
2 0
∫ 𝑔(2)
Substitution 1
=
𝑓 (𝑢)𝑑𝑢
2 𝑔(0)
∫ 2
1 2 +1
sin(𝑢)𝑑𝑢
=
2 02 +1
1
= [− cos(𝑢)]51
2
1
= (cos(1) − cos(5)).
2
2
0
Exponential- und Logarithmusfunktion
𝑥
Definition 16.4.1. Sei 1 ∕= 𝑎 > 0. Dann heißt 𝑓 : ℝ −→ ℝ+
0 mit 𝑥 7−→ 𝑎
eine Exponentialfunktion mit Basis 𝑎. Falls 𝑎 = 𝑒, wobei 𝑒 die Eulersche Zahl
bezeichnet, so sprechen wir von der Exponentialfunktion. Für 𝑒𝑥 schreiben wir
auch exp(𝑥).
Die Exponentialfunktion exp(𝑥) besitzt eine Reihendarstellung
exp(𝑥) =
∞
∑
𝑥𝑘
𝑘=0
𝑘!
Diese Reihe konvergiert für jedes 𝑥 ∈ ℝ. Nach einem Satz aus der Analysis
dürfen wir gliedweise differenzieren, das heißt
∞
∞
∞
∞
𝑘=0
𝑘=0
𝑘=1
𝑘=1
∑ 𝑑 𝑥𝑘
∑
∑ 𝑥𝑘−1
𝑑
𝑥𝑘−1
𝑑 ∑ 𝑥𝑘
(𝑘 − 1)
exp(𝑥) =
=
=
=
𝑑𝑥
𝑑𝑥
𝑘!
𝑑𝑥 𝑘!
𝑘!
(𝑘 − 1)!
98
=
∞
∑
𝑥𝑘
𝑘=0
𝑘!
= exp(𝑥).
𝑑
Dabei bedeutet 𝑑𝑥
𝑓 (𝑥) = 𝑓 ′ (𝑥). Somit gilt (exp(𝑥))′ = exp(𝑥), also ist die
Exponentialfunktion ihre eigene Ableitung.
Satz 16.4.2 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion). Es gilt
exp(𝑥 + 𝑦) = exp(𝑥) ⋅ exp(𝑦)
∀𝑥, 𝑦 ∈ ℝ.
Satz 16.4.3. Die Exponentialfunktion exp : ℝ −→ ℝ ist streng monoton wachsend und bildet ℝ bijektiv auf ℝ+ ab. (ℝ+ bedeutet ohne 0)
Die Umkehrfunktion ln : ℝ+ −→ ℝ ist stetig und streng monoton wachsend
und heißt natürlicher Logarithmus.
Es gilt die Funktionalgleichung
ln(𝑥 ⋅ 𝑦) = ln(𝑥) + ln(𝑦)
Es gilt
∀𝑥, 𝑦 ∈ ℝ+ .
𝑑
1
ln(𝑥) = für 𝑥 ∈ ℝ+ .
𝑑𝑥
𝑥
99
16.5
Mengenlehre und logische Verknüpfungen
Gegeben sei die nichtleere Menge 𝑋. Seien 𝐴, 𝐵 ⊂ 𝑋.
Wir schreiben 𝐴 ∪ 𝐵 für die Vereinigung
von 𝐴 und 𝐵.
Falls 𝑥 ∈ 𝐴 ∪ 𝐵, so bedeutet dies 𝑥 ∈ 𝐴
oder 𝑥 ∈ 𝐵.
Wir schreiben kurz 𝑥 ∈ 𝐴 ∨ 𝑥 ∈ 𝐵.
Wir beachten, das oder“ kein ausschlie”
ßendes Oder bedeutet. Wenn 𝑥 ∈ 𝐴 ∪ 𝐵,
dann kann 𝑥 auch in 𝐴 und 𝐵 liegen.
Wir schreiben 𝐴 ∩ 𝐵 für den Schnitt
von 𝐴 und 𝐵.
Falls 𝑥 ∈ 𝐴 ∩ 𝐵, so bedeutet dies 𝑥 ∈ 𝐴
und 𝑥 ∈ 𝐵.
Wir schreiben kurz 𝑥 ∈ 𝐴 ∧ 𝑥 ∈ 𝐵.
∨ und ∧ sind logische Verknüpfungen.
Wir haben folgende logische Verknüpfungen, es seien 𝐴 und 𝐵 jeweils Aussagen.
logische Verknüpfung
𝐶
𝐴
oder ¬𝐴
Aussage
bedeutet die Negation von 𝐴
𝐴⇒𝐵
aus 𝐴 folgt 𝐵
𝐴∨𝐵
𝐴 oder 𝐵, d.h entweder 𝐴 oder 𝐵 oder beide.
𝐴⇔𝐵
𝐴 und 𝐵 sind äquivalent
𝐴∧𝐵
sowohl 𝐴 als auch 𝐵
Die logischen Verknüpfungen von Aussagen korrespondieren zu Verknüpfungen
von Mengen. Es seien 𝐴, 𝐵 ⊂ 𝑋 Mengen.
Aussagenlogik
Mengenoperationen
𝐴⇒𝐵
𝐴⊂𝐵
𝐴∨𝐵
𝐴∪𝐵
𝐴⇔𝐵
𝐴∧𝐵
𝐴=𝐵
𝐴∩𝐵
Beispiele. Behauptung: Es seien 𝐴 und 𝐵 zwei Aussagen, dann gilt
¬(𝐴 ∨ 𝐵) ⇔ ¬𝐴 ∧ ¬𝐵
Es gibt zwei Möglichkeiten diese Aussage zu beweisen. Mit Hilfe der Aussagenlogik und der logischen Verknüpfungen kann eine Wahrheitstabelle angelegt
werden. Die andere Möglichkeit ist die Teilmengeninklusion. Wir führen den
Beweis in beiden Arten durch. Zunächst mit Hilfe einer Wahrheitstabelle.
100
Beweis.
𝐴
𝐵
𝐴∨𝐵
¬(𝐴 ∨ 𝐵)
¬𝐴
¬𝐵
¬𝐴 ∧ ¬𝐵
wahr
wahr
wahr
falsch
falsch
falsch
falsch
wahr
falsch
falsch
wahr
falsch
wahr
wahr
falsch
wahr
falsch
wahr
wahr
falsch
wahr
falsch falsch falsch wahr
wahr
wahr
wahr
Man sieht nun anhand der Wahrheitstabelle die Äquivalenz der beiden Aussagen.
Für die Teilmengeninklusion muss die Aussage zunächst in Mengenschreibweise
umgeschrieben werden. Wir erhalten die Aussage
(𝐴 ∩ 𝐵)𝐶 = 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶
Illustration durch Mengen:
Beweis. Wir führen eine Teilmengeninklusion durch und zeigen
(i) jedes Element das in (𝐴∩𝐵)𝐶 enthalten ist, ist auch in 𝐴𝐶 ∪𝐵 𝐶 enthalten,
d.h. (𝐴 ∩ 𝐵)𝐶 ⊆ 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶 .
(ii) jedes Element das in 𝐴𝐶 ∪𝐵 𝐶 enthalten ist, ist auch in (𝐴∩𝐵)𝐶 enthalten,
d.h. (𝐴 ∩ 𝐵)𝐶 ⊇ 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶 .
Zu (i): Sei 𝑥 ∈ (𝐴∩𝐵)𝐶 . Dann gilt 𝑥 ∈
/ 𝐴∩𝐵. Da 𝐴∩𝐵 = {𝑦 ∣ 𝑦 ∈ 𝐴 𝑢𝑛𝑑 𝑦 ∈ 𝐵}
folgt 𝑥 ∈
/ 𝐴 oder 𝑥 ∈
/ 𝐵. Falls 𝑥 ∈
/ 𝐴, so ist 𝑥 ∈ 𝐴𝐶 , und daher 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶 . Analog
𝑥∈
/ 𝐵, so ist 𝑥 ∈ 𝐵 𝐶 und daher 𝐴𝐶 ∪𝐵 𝐶 . Da 𝑥 beliebig gilt (𝐴∩𝐵)𝐶 ⊆ 𝐴𝐶 ∪𝐵 𝐶 .
Zu (ii): (durch Widerspruch)
Angenommen, es gibt ein 𝑥 ∈ 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶 mit 𝑥 ∈
/ (𝐴 ∩ 𝐵)𝐶 . Dann 𝑥 ∈ 𝐴 ∩ 𝐵,
𝐶
d.h. 𝑥 ∈ 𝐴 und 𝑥 ∈ 𝐵. Daraus folgt 𝑥 ∈
/ 𝐴 und 𝑥 ∈
/ 𝐵𝐶 .
𝐶
𝐶
Somit ist 𝑥 ∈
/ 𝐴 ∪ 𝐵 . Widerspruch zur Annahme.
Es folgt (𝐴 ∩ 𝐵)𝐶 ⊇ 𝐴𝐶 ∪ 𝐵 𝐶 .
Insgesamt folgt nun aus (i) und (ii) die Behauptung.
101
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