und Bündnissystem

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Wissenschaftliche Arbeit
zur Erlangung des Magister Artimums
der Shanghai International Studies University
Die Bedeutung des zaristischen Russlands im
Bismarckischen Vertrags- und Bündnissystem
——mit beiden Mittelmeer-Ententen und dem
Rückversicherungsvertrag als Beispiel
Betreut von Herrn Prof. Dr. Chen Xiaochun
Vorgelegt von Zhang Yi
Eingereicht am 10. 05. 2010
1
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im April 2010 abgeschlossen und im Mai 2010 der
deutschen Fakultät der Shanghai International Studies University als Abschlussarbeit
des Magisterstudiums vorgelegt.
An dieser Stelle möchte ich mich zuerst bei meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Chen
Xiaochun herzlich bedanken, der den Entstehungsprozess der vorliegenden Arbeit
stets mit Geduld und Bereitwilligkeit begleitet hat. Verbindlichsten Dank für seine
aufschlussreichen Anregungen und für die Zeit, die er sich für ausführliche
Diskussionen über die Arbeit genommen hat, auch für seine kritischen Korrekturen,
die mir die Qualität der Arbeit eindeutig besser gemacht haben.
Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Wei Maoping, Herrn Prof. Dr. Wang
Zhiqiang, Herrn Prof. Chen Zhuangying, Herrn Prof. Dr. Xiejianwen und Frau Sandra
Holtermann, die mir während des Magisterstudiums Forschungsmethoden für
wissenschaftliche Studien beigebracht und meine Deutschkenntnisse erweitert haben.
Mein Dank gilt auch meinen Studienkollegen und Freunden, die mir fortwährende
Unterstützung und ständigen Ansporn bei der Entstehung der Arbeit gegeben haben.
Nicht zuletzt möchte ich mich noch bei meinen Eltern bedanken, deren Verständnis
und Unterstützung im Studium mir eine wichtige Hilfe war.
Zhang Yi
Shanghai, 08.05. 2010
2
摘要
俾斯麦外交体系是德国建国后,俾斯麦在十几年间建立起来的条约联盟网
络。也是俾斯麦外交思想的集中体现。其中德俄关系是俾斯麦外交体系中最为
敏感的部分,也是俾斯麦外交体系的重要支撑点。
一方面,统一后的德意志帝国对俄国的关系部分继承了 1871 年前的对俄政
策。德国统一前,普鲁士与沙皇俄国关系的基本方向是亲密友好的。两者不仅
在经济、政治体制上有着诸多相似点,两国宫廷间的友好关系也是不可否认
的。尤其是 1866 年到 1871 年间俄国在普鲁士统一德国的进程中予以的支持与帮
助以及德国与西面邻国——法国不可调和的矛盾,使得俾斯麦在制定对俄外交
政策时不可能完全背弃普俄关系基础;另一方面俾斯麦也不断调整外交政策,
在有限的空间内调动资源,利用其他国家与俄国之间的利益冲突,限制俄国的
势力扩张。如果说德国统一前普鲁士一味满足俄国的外交诉求,在不对等的双
边关系中处于下方与被支配的地位的话,那么德国统一后,俾斯麦则试图改变
这一状况,为德国在双边关系中争取更多主动权和话语权。此外,俾斯麦对沙皇
俄国的个人态度也在一定程度上影响了德意志帝国的对俄政策:一直以来,俾斯
麦对沙皇俄国都心存戒心,多次表露出建国前普鲁士对俄政策的不满。
俾斯麦外交体系中的两次地中海协议与德俄签署的秘密协议《再保险条约》
就是俾斯麦这一时期对俄外交政策的集中体现。
两次地中海协议是意大利、英国与奥匈帝国以照会形式达成的非书面协
议,主要目的是联合遏制俄国在保加利亚的势力扩张。值得一提的是,德国并
没有直接参与地中海协议,而是间接方式促成了协议达成,并通过德奥同盟实
现了与地中海协议国的非同盟性联合。而两次地中海协议期间签署的《再保险条
约》却包含着与两次地中海协议相矛盾的内容。在此条约中,德国不仅承认俄国
在巴尔干半岛的权利,还允诺在必要时为俄国提供相应的帮助。
两次地中海协议与《再保险条约》的内容看似冲突,却并不违反俾斯麦外交
3
思想的本质。俾斯麦认为,外交政策的根本目的是维护国家外部的和平与安全。
通过签署《再保险条约》,德国成功地将沙皇俄国的关注由西方引导到了近
东地区,转移了俄国建立俄法同盟的注意力,避免了德国双线作战的困境。但俄
国在近东势力的进一步扩张会激化与其他欧洲大国如英国、奥匈帝国的矛盾,威
胁到俾斯麦苦心营造的欧洲均势。因此,俾斯麦必须通过另一协议遏制俄国在巴
尔干半岛的影响力。鉴于《再保险条约》,德意志帝国不能直接参与这一反俄同
盟。两次地中海协议恰好满足了德意志帝国的这一需求。
关键词:德俄关系,俾斯麦外交体系,地中海协议,再保险条约
4
Abstrakt
Die konkrete Verkörperung der Hauptgedanken von der Bismarckischen Außenpolitik
ist das Bismarckische System, ein Netz von Verträgen und Bündnissen. In diesem
System waren die deutsch-russischen Beziehungen ohne Zweifel das sensibelste Teil.
Die deutsch-russischen Beziehungen nach 1871 basieren zum Teil auf die
preußisch-russischen vor der Reichsgründung. Wegen vieler Ähnlichkeiten im
wirtschaftlichen und politischen System und der guten persönlichen Beziehungen
zwischen den Höfen waren die bilateralen Verhältnisse vor 1871 im Großen und
Ganzen in gutem Zustand. Die russische Unterstützung zwischen 1866 und 1871
sowie das wachsende Ressentiment aus Westen zählen auch zu den Gründen, dass die
deutsch-russischen
Beziehungen
nach
der
Reichsgründung
auf
die
preußisch-russischen hielten. Gleichzeitig versuchte Bismarck auch, die Stellung
eines Juniorpartners in den preußisch-russischen Beziehungen vor 1871 loszuwerden
und mehr Eigenständigkeit in der Behandlung der internationalen Angelegenheiten zu
gewinnen.
Als Beispiel für eine solche Außenpolitik gegenüber dem Zarenreich in diesem
Zeitraum gelten die beiden Mittelmeer-Ententen und der Rückversicherungsvertrag.
Die beiden Mittelmeer-Ententen, die Italien, England und Österreich-Ungarn in
Notenwechsel abgeschlossen haben, zielen auf Eindämmung der russischen
Machtexpansion in Bulgarien. Deutschland war zwar kein direktes Mitglied der
Ententen, galt aber als stiller Teilhaber der Mittelmeer-Entente, indem es sich durch
den Verbund mit Österreich-Ungarn an die Entente anschloss. Aber der Inhalt des
Rückverischerungsvertrags, den das Deutsche Reich und das Zarenreich in demselben
Jahr unterzeichneten, war ein Gegensatz zu dem der beiden Mittelmeer-Ententen. In
diesem Vertrag versprach Deutschland dem Zarenreich Unterstützung bei der
5
Wiederherstellung der regulären Regierung in Bulgarien und sicherte Russland
wohlwollende Neutralität und moralische und diplomatische Unterstützung zu, falls
der russische Herrscher es für notwendig halte.
Es scheint so zu sein, dass die beiden Mittelmeer-Ententen einen Gegensatz vom
Rückversicherungsvertrag bildeten und die parallele Existenz der drei Abkommen als
„politische Bigamie“ beurteilt werden kann. Aber es widerspricht dem Kernsinn der
Hauptgedanken der Bismarckischen Außenpolitik nicht.
Die Existenz des Rückversicherungsvertrag lenkt erfolgreich die Aufmerksamkeit
Russlands, eine antideutsche Koaltion mit Frankreich zu bilden, ab. Dadurch wird der
Alptraum der Deutschen, ein Zweifrontenkrieg, vermieden. Aber die zügellose
russische Machtexpansion auf dem Balkan würde die Interessen Großbritanniens und
Österreich-Ungarns beeinträchtigen und zum Krieg führen, was das Bestehen des von
Bismarck aufgestellten europäischen Mächtegleichgewichtes zerstören könnte.
Deshalb braucht das Deutsche Reich noch ein Bündnis, sich gegen Russland zu
wehren. Wegen der Existenz des Rückversicherungsvertrags kann Deutschland sich
nicht
direkt
an
diesem
antirussischen
Bündnis
beteiligen.
Die
beiden
Mittelmeer-Ententen helfen dem Bedürfnis des Deutschen Reiches ab.
Schlüsselwörter: die deutsch-russischen Beziehungen, das Bismarckischen Vertragsund
Bündnissystem,
die
Mittelmeer-Ententen,
der
Rückversicherungsvertrag
6
Inhaltsverzeichnis
Einleitung......................................................................................................... 9
Kapitel I
Überblick über das Bismarcksche System ................................ 6
1.1 Hintergrund des Bismarckischen Systems................................................................6
1.1.1 Politischer Hintergrund ...................................................................................7
1.1.2 Historischer Hintergrund ................................................................................7
1.1.3 Wirtschaftlicher Hintergrund ..........................................................................8
1.1.4 Geografischer Hintergrund ...........................................................................15
1.2 Hauptgedanken in der Bismarckischen Außenpolitik.............................................18
1.3 Zielvorstellung des Bismarckischen Systems.........................................................22
1.5 Nonplusultra des Bismarckischen Systems —— die Mittelmeer-Ententen und
der Rückversicherungsvertrag ......................................................................................25
1.5.1 Beide Mittelmeer-Ententen ...........................................................................25
1.5.2 Der Rückversicherungsvertrag......................................................................26
Kapitel II Hintergrund der beiden Mittelmeer-Ententen und des
Rückversicherungsvertrags ......................................................................... 27
2.1 Die Machtkonstellation in Europa ..........................................................................27
2.1.1 Großbritannien und seine Distanzierung auf Kontinent ...............................27
2.1.2 Frankreich mit Ehrgeiz als Oberherr über die Alte Welt...............................29
2.1.3 Russland mit der Bestrebung der beherrschenden Stellung in Europa
und Asien ...............................................................................................................30
2.1.4 Italien und Österreich-Ungarn ......................................................................31
2.2 Die europäischen Verhältnisse um Deutschland .....................................................33
2.2.1 Deutschlands Aufschwung............................................................................33
2.2.2 Europäische Reaktionen................................................................................33
Kapitel III Die deutsch-russischen Beziehungen ....................................... 36
7
3.1 Die deutsch-russischen Beziehungen vor der Reichsgründung ..............................36
3.2 Die deutsch-russischen Beziehungen nach der Reichsgründung............................38
3.2.1 Eskalation des deutsch-russischen Wirtschaftsantagonismus.......................39
3.2.2 Kontroverse Meinungen in der Politik..........................................................43
3.2.3 Stimmungsumschlag am russischen Hof ......................................................46
Kapitel Ⅳ
Auswirkungen der Mittelmeer-Ententen und des
Rückversicherungsvertrags ......................................................................... 47
4.1 Die erste Mittelmeer-Entente ..................................................................................47
4.1.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................47
4.1.2 Zielvorstellung ..............................................................................................50
4.1.3
Einfluss
und
Folgen
sowie
die
Bedeutung
der
ersten
Mittelmeer-Entente im Bismarckschen System.....................................................51
4.2 Die zweite Mittelmeer-Entente ...............................................................................52
4.2.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................52
4.2.2
Einfluss
und
Folgen
sowie
die
Bedeutung
der
zweiten
Mittelmeer-Entente im Bismarckschen System.....................................................53
4.3 Der Rückversicherungsvertrag................................................................................53
4.3.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................53
4.3.2 Zielvorstellung ..............................................................................................54
4.3.3
Einfluss
und
Folgen
sowie
die
Bedeutung
des
Rückversicherungsvertrags im Bismarckschen System.........................................55
4.4 Vergleich und Analyse der Zielvorstellung und Auswirkungen auf Russland
von den beiden Ententen und dem Rückversicherungsvertrag .....................................57
Schlusswort.................................................................................................... 62
8
Einleitung
1. Wahl des Themas
Es gibt kein europäisches Land als das Deutsche Reich, das so viel Aufmerksamkeit
und Wert auf die Balancierung der diplomatischen Beziehungen legt. Wegen seiner
zentralen Lage und der komplizierten und verwobenen äußerlichen Beziehungen
bemühte sich der deutsche Meister der Diplomatie, Otto von Bismarck, unermüdlich
darum, eine durch sich einander ablenkende Kräfte aller europäische Mächte eine
stabile Konstellation für das Deutsche Reich zu schaffen.
Als Meister der Diplomatie strebte Bismarck aufgrund der Interessenkonflikte durch
hervorragende Strategie nach genügendem Lebensraum und verwob die anderen
Länder Europas in einem sich verbundenen Interessennetz und diplomatischen
System, das später als das Bismarckische System bezeichnet wird.
Als einer der gewichtigen Nachbarstaaten Deutschlands übte das zarische Russland
sowohl vor und als auch nach der Reichsgründung unübersichtliche Einflüsse auf alle
politischen Aspekte Deutschlands aus, deshalb schenkte auch Bismarck dem
Zarenreich in dem diplomatischen Plan mehr Aufmerksamkeit und Gewicht.
Dies ist auch an der Ambivalenz Bismarcks Russland gegenüber zu erkennen.
Einerseits betrachtete er Russland als unentbehrlichen Rückhalt für Deutschland und
legte großen Wert auf die freundlichen Beziehungen mit dem konservativen
zaristischen Kaiserreich; andererseits bewahrte er stets den klaren Kopf, dass es keine
ewige Freundschaft in Außenpolitik gab. Russland war für die Existenz sowie den
Frieden des Deutschen Reichs zwar von entscheidender Bedeutung, aber kein
zuverlässiger Freund, weil sich die Staatsinteressen in längerer Zeit gesehen über
persönliche Freundschaft stellten.
Auf dieser Grundlage stellte sich das Bismarckische Vertrags- und Bündnissystem ein
9
interessantes Interessennetz dar, in dem die Folgen eines Vertrages den eines anderen
widersprachen. Es scheint so, dass die diplomatischen Gedanken Bismarck
durcheinander waren. In der Tat war dies jedoch ein genialer Plan des
preußisch-deutschen Weichenstellers. Eine perfekte Verkörperung der diplomatischen
Gedanken Bismarcks waren die drei von Deutschland geförderten Bündnisse im Jahr
1887, nämlich die beiden Mittelmeer-Ententen und der Rückversicherungsvertrag.
2. Sammlung der Materialien
Die Materialien, die für diese Arbeit erforderlich sind, werden nach dem Inhalt
folgenderweise sortiert:
In dieser Arbeit geht es vorwiegend um drei Verträge, den Rückversicherungsvertrag
und die beiden Mittelmeer-Ententen, deshalb sind die Originaltexte und Kommentare
zu beiden Abmachungen erforderlich. Da sich die Analyse auch auf die internationale
Lage vor und nach der deutschen Reichsgründung in Europa und dem Nahen Osten
bezieht sowie die deutsch-russischen Beziehungen in diesem Zeitraum, sind Werke
über internationale Konstellation sowie die preußisch/deutsch-russischen Verhältnisse
im 19. Jahrhundert unentbehrlich. Ein weiterer Bestandteil der Materialien sind
Dokumente über deutsche Außenpolitik und das Bismarckische Vertrags- und
Bündnissystem.
3. Bedeutung der Arbeit
Seit langem setzt sich der akademische Kreis, der sich mit Bismarckscher Diplomatie
beschäftigt, mit der Bewertung der Außenpolitik Bismarcks nach der Reichsgründung
gegenüber Russland auseinander. Manche Akademiker bestehen darauf, dass
Deutschland vor und nach der Reichsgründung auf internationaler Arena stets als
Juniorpartner des russischen Zarenreiches auftrat. Wie Wang Pengfei in der Arbeit mit
dem Titel „Wie Bismarck als Untertan Russland in diplomatischer Hinsicht
10
diente?“ (《俾斯麦是如何充当俄国外交奴仆的?》) ausdrückte. Diese Ansicht ist
von langer Tradition, selbst vor hundert Jahren traten Karl Marx und Friedrich Engels
die Auffassung, dass das Deutsche Reich in Bismarck-Ära keine eigenständige
Außenpolitik betrieben, sondern sich ständig den russischen Interessen ergeben hätte.1
Die anderen argumentieren jedoch, dass Bismarck die Aufgaben, die Geschichte ihm
zugewiesen hat, hervorragend erfüllt habe.2
In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Bedeutung des zaristischen
Russlands im Bismarckschen Vertrags- und Bündnissystem. Der Zweck liegt darin,
auf der Basis der Fakten und vorherigen wissenschaftlichen Forschungen die
Außenpolitik Bismarcks Russland gegenüber nach der Reichsgründung objektiv und
gerecht zu beurteilen.
4. Gliederung des Hauptteils
Der Hauptinhalt der Arbeit gliedert sich hauptsächlich in vier Kapitel. Das erste
Kapitel gibt einen Überblick über das Bismarckische System. In diesem Zeitraum
wird der Schwerpunkt auf die Vorstellung der beiden Mittelmeer-Ententen und den
Rückversicherung gelegt. Im zweiten Kapitel geht es um den Hintergrund des
Bismarckischen Systems, nämlich die internationale politische Konstellation und die
politische Atmosphäre um das Deutsche Reich. Das dritte Kapitel hat die
deutsch-russichen Beziehungen zum Inhalt. Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen,
die jeweils die bilateralen Beziehungen vor und nach der Reichsgründung vorstellen.
Im letzten Kapitel werden auf die Zwecke und die Beeinflussung der
Mittelmeer-Ententen und des Rückversicherungsvertrag besonders auf den Spielraum
des Zarenreichs eingegangen. In diesem Teil wird auch die entgegengesetzten
Auswirkungen durch die sich einander einschränkenden Einstellungen gegenüber dem
zaristischen Russland in den drei Pakten herausgezogen.
1
2
参见《马克思恩格斯选集》第 3 卷,北京:人民出版社 1995 年版,第 2 页。
参见靳艳:《试析俾斯麦对俄外交政策的基础》,载于《历史月刊》,2007 年第 8 期,第 128-131 页。
11
Kapitel I
Überblick über das Bismarcksche System
1.1 Hintergrund des Bismarckischen Systems
1.1.1 Politischer Hintergrund
Die Bismarcksche Diplomatie gestaltete und vervollkommnte sich im 19. Jahrhundert,
wo sich ein wesentlicher Wandel der internationalen Verhältnisse auf dem
europäischen Boden ereignete.
Vorher basierte das europäische Mächtesystem in einem langen Zeitraum auf einem
„Ausgleich angelegten Gleichgewicht auf dem Wiener Kongress von 1815“, das von
einer anti-französischen Koalition gegründet wurde. Aber die Ausbalancierung von
mehreren Kräften setzte zwei Faktoren voraus: Festhalten von allen einbezogenen
mächtigen Nationalstaaten an dem Disziplin, den internationalen Frieden über die
eigenen Interessen zu stellen, und die gemeinsame moralische Auffassung zur
Erhaltung der konservativen Ströme. 3 Die beiden Faktoren bildeten nicht nur
Verstöße gegen die Zeitströmung des Nationalismus sowie der Demokratisierung,
auch in sich verbargen unlösbare Konflikte, so dass dieses diplomatische System
jederzeit vor Zusammenbruch stand.
Als sich die Industrialisierung und die demokratische Nationalrevolution weiter
entwickelten, häuften sich die Aufpralle verschiedener Nationalstaaten. Inzwischen
veränderte sich auch die Behandlungsweise der internationalen Verhältnisse, d. h. das
Wiener System verlor im Zeitlauf immer mehr an Bedeutung. Die Interessenstöße im
Osten und der Sieg Deutschlands über Frankreich führten zum Verzichten auf das
Prinzip der Koordination und löste die Notwendigkeit der Aufstellung einer neuen
Weltordnung aus.
Die Auflösung des Mächtegleichgewichts seit dem Wiener Kongress läutete einen
3
Vgl. Manfried Görtemaker, Geschichte Europas 1850-1918, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2002, S. 225
12
Wettbewerb der Diplomatie von neuem an, in dem sich alle Großmächte in Europa
um möglichst große Interessen bemühten. Während der Jagd nach der
Vorherrschungstellung
in
der
Alten
Welt
bemühten
sie
sich
nun,
das
Gleichgewichtsystem wieder herzustellen.
1.1.2 Historischer Hintergrund
Seit dem 17. Jahrhundert währte in politischer Hinsicht der Aufspaltungszustand im
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation beinahe dreihundert Jahre. Es existierten
hundert Herzogtümer, die sowohl politisch als auch ökonomisch eigenständig waren,
in dem Kaiserreich, wo kaiserliche Autorität nur dem Namen nach existierte.
Es gibt kein anderes Zeitalter, wo Deutschland inneren und äußeren Bedrohungen
ausgesetzt war. Einerseits konzentrierte sich der Kaiser mit der Eroberung von Italien,
während die Herzöge und Fürsten mit äußerster Energie nach Expansion strebte. Als
Folge davon verstärkten sich die Herzogtümer und Fürstentümer unaufhörlich,
während das Kaiserreich matt von dem jahrelangen Krieg gegen Italien und von
immer schlimmerem Zustand war. In den folgenden einigen Jahrhunderten
verschlechterten sich die Verhältnisse in Deutschland noch mehr. Andererseits
bemühten sich alle Nachbarmächte von Deutschland wie Großbritannien, Frankreich,
Russland unermüdlich um die Aufrechterhaltung der deutschen Aufspaltung, um ihre
traditionelle Vorherrscherposition in Europa zu wahren und ihre eigenen Interessen in
bedeutenden internationalen Angelegenheiten zu vertreten. Abgesehen von diesen
Bedrohungen von außen hatte Deutschland keine Selbstständigkeit beim Verfahren
innenpolitischer Fragen und diente zu jener Zeitpunkt nur als Pufferzone
internationaler Konflikte, deshalb war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation
nur ein geografischer Begriff.
Auf dem Wiener Kongress von 1815 versuchten die europäischen Großmächte
unveränderlich, die Zerbröckelungsverhältnisse in Deutschland zu bewahren. Nach
der Vereinbarung auf dem Kongress wurde die Vorherrschungsposition von Preußen
13
und
Österreich
unter
den
zahlreichen
germanischen
Herzogtümern
sowie
Fürstentümern festgelegt, was später die Konfrontation zwischen Preußen und
Österreich auslöste. Eine weitere direkte Folge der Tagung war die offensichtliche
Verstärkung Preußens, auf die die Vereinigung Deutschlands im Jahr 1871
zurückging.
1.1.3 Wirtschaftlicher Hintergrund
Der rasche Wirtschaftsaufschwung Preußens beschleunigte den Verlauf der
Vereinigung. Seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts erlebte die preußische
Industrie eine sprunghafte Entwicklung, die gleichzeitig auch die Agrarwirtschaft
beförderte. Dadurch trat die preußische Wirtschaft in einen günstigen Kreislauf. Die
gute Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in Preußen bildete eine solide
materielle Basis für die Vereinigung Deutschlands und die Gründung eines
wirtschaftlich starken germanischen Nationalstaates.
Geschichtlich gesehen vermochten entweder Österreich oder Preußen Deutschland zu
vereinigen. Obwohl die Habsburger unter den zahlreichen deutschen Herzogtümer in
vieler Hinsicht in führender Position lagen, war Preußen den Habsburgern
wirtschaftlich überlegen.
Anfang des 19. Jahrhunderts begann in Preußen eine von herrschender Schicht
angespornte Reform in Agrarwirtschaft, nachdem die preußischen Truppen im Krieg
gegen Napoleon vernichtend geschlagen worden waren. Als diese Reform sich am
Ende dieses Jahrhunderts im Großen und Ganzen vollendete, wandelte sich die
traditionelle Struktur der Agrarwirtschaft in eine neue mit deutscher Prägung, nämlich
eine Kombination von Landeswirtschaft und Industrie, genauer gesagt, die
Landeswirtschaft durch industrielle und kapitalistische Produktionsweise zu betreiben.
Die frühen Ansätze der Industrialisierung gewährten der preußischen Wirtschaft einen
raschen Aufschwung. Auf der Basis einer umgestalten Agrarwirtschaft liefen die
Industrie sowie der Handel Preußens in den folgenden Jahrzehnten auf Hochtouren, so
14
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