Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Magister Artimums der Shanghai International Studies University Die Bedeutung des zaristischen Russlands im Bismarckischen Vertrags- und Bündnissystem ——mit beiden Mittelmeer-Ententen und dem Rückversicherungsvertrag als Beispiel Betreut von Herrn Prof. Dr. Chen Xiaochun Vorgelegt von Zhang Yi Eingereicht am 10. 05. 2010 1 Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im April 2010 abgeschlossen und im Mai 2010 der deutschen Fakultät der Shanghai International Studies University als Abschlussarbeit des Magisterstudiums vorgelegt. An dieser Stelle möchte ich mich zuerst bei meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Chen Xiaochun herzlich bedanken, der den Entstehungsprozess der vorliegenden Arbeit stets mit Geduld und Bereitwilligkeit begleitet hat. Verbindlichsten Dank für seine aufschlussreichen Anregungen und für die Zeit, die er sich für ausführliche Diskussionen über die Arbeit genommen hat, auch für seine kritischen Korrekturen, die mir die Qualität der Arbeit eindeutig besser gemacht haben. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Wei Maoping, Herrn Prof. Dr. Wang Zhiqiang, Herrn Prof. Chen Zhuangying, Herrn Prof. Dr. Xiejianwen und Frau Sandra Holtermann, die mir während des Magisterstudiums Forschungsmethoden für wissenschaftliche Studien beigebracht und meine Deutschkenntnisse erweitert haben. Mein Dank gilt auch meinen Studienkollegen und Freunden, die mir fortwährende Unterstützung und ständigen Ansporn bei der Entstehung der Arbeit gegeben haben. Nicht zuletzt möchte ich mich noch bei meinen Eltern bedanken, deren Verständnis und Unterstützung im Studium mir eine wichtige Hilfe war. Zhang Yi Shanghai, 08.05. 2010 2 摘要 俾斯麦外交体系是德国建国后,俾斯麦在十几年间建立起来的条约联盟网 络。也是俾斯麦外交思想的集中体现。其中德俄关系是俾斯麦外交体系中最为 敏感的部分,也是俾斯麦外交体系的重要支撑点。 一方面,统一后的德意志帝国对俄国的关系部分继承了 1871 年前的对俄政 策。德国统一前,普鲁士与沙皇俄国关系的基本方向是亲密友好的。两者不仅 在经济、政治体制上有着诸多相似点,两国宫廷间的友好关系也是不可否认 的。尤其是 1866 年到 1871 年间俄国在普鲁士统一德国的进程中予以的支持与帮 助以及德国与西面邻国——法国不可调和的矛盾,使得俾斯麦在制定对俄外交 政策时不可能完全背弃普俄关系基础;另一方面俾斯麦也不断调整外交政策, 在有限的空间内调动资源,利用其他国家与俄国之间的利益冲突,限制俄国的 势力扩张。如果说德国统一前普鲁士一味满足俄国的外交诉求,在不对等的双 边关系中处于下方与被支配的地位的话,那么德国统一后,俾斯麦则试图改变 这一状况,为德国在双边关系中争取更多主动权和话语权。此外,俾斯麦对沙皇 俄国的个人态度也在一定程度上影响了德意志帝国的对俄政策:一直以来,俾斯 麦对沙皇俄国都心存戒心,多次表露出建国前普鲁士对俄政策的不满。 俾斯麦外交体系中的两次地中海协议与德俄签署的秘密协议《再保险条约》 就是俾斯麦这一时期对俄外交政策的集中体现。 两次地中海协议是意大利、英国与奥匈帝国以照会形式达成的非书面协 议,主要目的是联合遏制俄国在保加利亚的势力扩张。值得一提的是,德国并 没有直接参与地中海协议,而是间接方式促成了协议达成,并通过德奥同盟实 现了与地中海协议国的非同盟性联合。而两次地中海协议期间签署的《再保险条 约》却包含着与两次地中海协议相矛盾的内容。在此条约中,德国不仅承认俄国 在巴尔干半岛的权利,还允诺在必要时为俄国提供相应的帮助。 两次地中海协议与《再保险条约》的内容看似冲突,却并不违反俾斯麦外交 3 思想的本质。俾斯麦认为,外交政策的根本目的是维护国家外部的和平与安全。 通过签署《再保险条约》,德国成功地将沙皇俄国的关注由西方引导到了近 东地区,转移了俄国建立俄法同盟的注意力,避免了德国双线作战的困境。但俄 国在近东势力的进一步扩张会激化与其他欧洲大国如英国、奥匈帝国的矛盾,威 胁到俾斯麦苦心营造的欧洲均势。因此,俾斯麦必须通过另一协议遏制俄国在巴 尔干半岛的影响力。鉴于《再保险条约》,德意志帝国不能直接参与这一反俄同 盟。两次地中海协议恰好满足了德意志帝国的这一需求。 关键词:德俄关系,俾斯麦外交体系,地中海协议,再保险条约 4 Abstrakt Die konkrete Verkörperung der Hauptgedanken von der Bismarckischen Außenpolitik ist das Bismarckische System, ein Netz von Verträgen und Bündnissen. In diesem System waren die deutsch-russischen Beziehungen ohne Zweifel das sensibelste Teil. Die deutsch-russischen Beziehungen nach 1871 basieren zum Teil auf die preußisch-russischen vor der Reichsgründung. Wegen vieler Ähnlichkeiten im wirtschaftlichen und politischen System und der guten persönlichen Beziehungen zwischen den Höfen waren die bilateralen Verhältnisse vor 1871 im Großen und Ganzen in gutem Zustand. Die russische Unterstützung zwischen 1866 und 1871 sowie das wachsende Ressentiment aus Westen zählen auch zu den Gründen, dass die deutsch-russischen Beziehungen nach der Reichsgründung auf die preußisch-russischen hielten. Gleichzeitig versuchte Bismarck auch, die Stellung eines Juniorpartners in den preußisch-russischen Beziehungen vor 1871 loszuwerden und mehr Eigenständigkeit in der Behandlung der internationalen Angelegenheiten zu gewinnen. Als Beispiel für eine solche Außenpolitik gegenüber dem Zarenreich in diesem Zeitraum gelten die beiden Mittelmeer-Ententen und der Rückversicherungsvertrag. Die beiden Mittelmeer-Ententen, die Italien, England und Österreich-Ungarn in Notenwechsel abgeschlossen haben, zielen auf Eindämmung der russischen Machtexpansion in Bulgarien. Deutschland war zwar kein direktes Mitglied der Ententen, galt aber als stiller Teilhaber der Mittelmeer-Entente, indem es sich durch den Verbund mit Österreich-Ungarn an die Entente anschloss. Aber der Inhalt des Rückverischerungsvertrags, den das Deutsche Reich und das Zarenreich in demselben Jahr unterzeichneten, war ein Gegensatz zu dem der beiden Mittelmeer-Ententen. In diesem Vertrag versprach Deutschland dem Zarenreich Unterstützung bei der 5 Wiederherstellung der regulären Regierung in Bulgarien und sicherte Russland wohlwollende Neutralität und moralische und diplomatische Unterstützung zu, falls der russische Herrscher es für notwendig halte. Es scheint so zu sein, dass die beiden Mittelmeer-Ententen einen Gegensatz vom Rückversicherungsvertrag bildeten und die parallele Existenz der drei Abkommen als „politische Bigamie“ beurteilt werden kann. Aber es widerspricht dem Kernsinn der Hauptgedanken der Bismarckischen Außenpolitik nicht. Die Existenz des Rückversicherungsvertrag lenkt erfolgreich die Aufmerksamkeit Russlands, eine antideutsche Koaltion mit Frankreich zu bilden, ab. Dadurch wird der Alptraum der Deutschen, ein Zweifrontenkrieg, vermieden. Aber die zügellose russische Machtexpansion auf dem Balkan würde die Interessen Großbritanniens und Österreich-Ungarns beeinträchtigen und zum Krieg führen, was das Bestehen des von Bismarck aufgestellten europäischen Mächtegleichgewichtes zerstören könnte. Deshalb braucht das Deutsche Reich noch ein Bündnis, sich gegen Russland zu wehren. Wegen der Existenz des Rückversicherungsvertrags kann Deutschland sich nicht direkt an diesem antirussischen Bündnis beteiligen. Die beiden Mittelmeer-Ententen helfen dem Bedürfnis des Deutschen Reiches ab. Schlüsselwörter: die deutsch-russischen Beziehungen, das Bismarckischen Vertragsund Bündnissystem, die Mittelmeer-Ententen, der Rückversicherungsvertrag 6 Inhaltsverzeichnis Einleitung......................................................................................................... 9 Kapitel I Überblick über das Bismarcksche System ................................ 6 1.1 Hintergrund des Bismarckischen Systems................................................................6 1.1.1 Politischer Hintergrund ...................................................................................7 1.1.2 Historischer Hintergrund ................................................................................7 1.1.3 Wirtschaftlicher Hintergrund ..........................................................................8 1.1.4 Geografischer Hintergrund ...........................................................................15 1.2 Hauptgedanken in der Bismarckischen Außenpolitik.............................................18 1.3 Zielvorstellung des Bismarckischen Systems.........................................................22 1.5 Nonplusultra des Bismarckischen Systems —— die Mittelmeer-Ententen und der Rückversicherungsvertrag ......................................................................................25 1.5.1 Beide Mittelmeer-Ententen ...........................................................................25 1.5.2 Der Rückversicherungsvertrag......................................................................26 Kapitel II Hintergrund der beiden Mittelmeer-Ententen und des Rückversicherungsvertrags ......................................................................... 27 2.1 Die Machtkonstellation in Europa ..........................................................................27 2.1.1 Großbritannien und seine Distanzierung auf Kontinent ...............................27 2.1.2 Frankreich mit Ehrgeiz als Oberherr über die Alte Welt...............................29 2.1.3 Russland mit der Bestrebung der beherrschenden Stellung in Europa und Asien ...............................................................................................................30 2.1.4 Italien und Österreich-Ungarn ......................................................................31 2.2 Die europäischen Verhältnisse um Deutschland .....................................................33 2.2.1 Deutschlands Aufschwung............................................................................33 2.2.2 Europäische Reaktionen................................................................................33 Kapitel III Die deutsch-russischen Beziehungen ....................................... 36 7 3.1 Die deutsch-russischen Beziehungen vor der Reichsgründung ..............................36 3.2 Die deutsch-russischen Beziehungen nach der Reichsgründung............................38 3.2.1 Eskalation des deutsch-russischen Wirtschaftsantagonismus.......................39 3.2.2 Kontroverse Meinungen in der Politik..........................................................43 3.2.3 Stimmungsumschlag am russischen Hof ......................................................46 Kapitel Ⅳ Auswirkungen der Mittelmeer-Ententen und des Rückversicherungsvertrags ......................................................................... 47 4.1 Die erste Mittelmeer-Entente ..................................................................................47 4.1.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................47 4.1.2 Zielvorstellung ..............................................................................................50 4.1.3 Einfluss und Folgen sowie die Bedeutung der ersten Mittelmeer-Entente im Bismarckschen System.....................................................51 4.2 Die zweite Mittelmeer-Entente ...............................................................................52 4.2.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................52 4.2.2 Einfluss und Folgen sowie die Bedeutung der zweiten Mittelmeer-Entente im Bismarckschen System.....................................................53 4.3 Der Rückversicherungsvertrag................................................................................53 4.3.1 Hintergrund und Abschlussverlauf ...............................................................53 4.3.2 Zielvorstellung ..............................................................................................54 4.3.3 Einfluss und Folgen sowie die Bedeutung des Rückversicherungsvertrags im Bismarckschen System.........................................55 4.4 Vergleich und Analyse der Zielvorstellung und Auswirkungen auf Russland von den beiden Ententen und dem Rückversicherungsvertrag .....................................57 Schlusswort.................................................................................................... 62 8 Einleitung 1. Wahl des Themas Es gibt kein europäisches Land als das Deutsche Reich, das so viel Aufmerksamkeit und Wert auf die Balancierung der diplomatischen Beziehungen legt. Wegen seiner zentralen Lage und der komplizierten und verwobenen äußerlichen Beziehungen bemühte sich der deutsche Meister der Diplomatie, Otto von Bismarck, unermüdlich darum, eine durch sich einander ablenkende Kräfte aller europäische Mächte eine stabile Konstellation für das Deutsche Reich zu schaffen. Als Meister der Diplomatie strebte Bismarck aufgrund der Interessenkonflikte durch hervorragende Strategie nach genügendem Lebensraum und verwob die anderen Länder Europas in einem sich verbundenen Interessennetz und diplomatischen System, das später als das Bismarckische System bezeichnet wird. Als einer der gewichtigen Nachbarstaaten Deutschlands übte das zarische Russland sowohl vor und als auch nach der Reichsgründung unübersichtliche Einflüsse auf alle politischen Aspekte Deutschlands aus, deshalb schenkte auch Bismarck dem Zarenreich in dem diplomatischen Plan mehr Aufmerksamkeit und Gewicht. Dies ist auch an der Ambivalenz Bismarcks Russland gegenüber zu erkennen. Einerseits betrachtete er Russland als unentbehrlichen Rückhalt für Deutschland und legte großen Wert auf die freundlichen Beziehungen mit dem konservativen zaristischen Kaiserreich; andererseits bewahrte er stets den klaren Kopf, dass es keine ewige Freundschaft in Außenpolitik gab. Russland war für die Existenz sowie den Frieden des Deutschen Reichs zwar von entscheidender Bedeutung, aber kein zuverlässiger Freund, weil sich die Staatsinteressen in längerer Zeit gesehen über persönliche Freundschaft stellten. Auf dieser Grundlage stellte sich das Bismarckische Vertrags- und Bündnissystem ein 9 interessantes Interessennetz dar, in dem die Folgen eines Vertrages den eines anderen widersprachen. Es scheint so, dass die diplomatischen Gedanken Bismarck durcheinander waren. In der Tat war dies jedoch ein genialer Plan des preußisch-deutschen Weichenstellers. Eine perfekte Verkörperung der diplomatischen Gedanken Bismarcks waren die drei von Deutschland geförderten Bündnisse im Jahr 1887, nämlich die beiden Mittelmeer-Ententen und der Rückversicherungsvertrag. 2. Sammlung der Materialien Die Materialien, die für diese Arbeit erforderlich sind, werden nach dem Inhalt folgenderweise sortiert: In dieser Arbeit geht es vorwiegend um drei Verträge, den Rückversicherungsvertrag und die beiden Mittelmeer-Ententen, deshalb sind die Originaltexte und Kommentare zu beiden Abmachungen erforderlich. Da sich die Analyse auch auf die internationale Lage vor und nach der deutschen Reichsgründung in Europa und dem Nahen Osten bezieht sowie die deutsch-russischen Beziehungen in diesem Zeitraum, sind Werke über internationale Konstellation sowie die preußisch/deutsch-russischen Verhältnisse im 19. Jahrhundert unentbehrlich. Ein weiterer Bestandteil der Materialien sind Dokumente über deutsche Außenpolitik und das Bismarckische Vertrags- und Bündnissystem. 3. Bedeutung der Arbeit Seit langem setzt sich der akademische Kreis, der sich mit Bismarckscher Diplomatie beschäftigt, mit der Bewertung der Außenpolitik Bismarcks nach der Reichsgründung gegenüber Russland auseinander. Manche Akademiker bestehen darauf, dass Deutschland vor und nach der Reichsgründung auf internationaler Arena stets als Juniorpartner des russischen Zarenreiches auftrat. Wie Wang Pengfei in der Arbeit mit dem Titel „Wie Bismarck als Untertan Russland in diplomatischer Hinsicht 10 diente?“ (《俾斯麦是如何充当俄国外交奴仆的?》) ausdrückte. Diese Ansicht ist von langer Tradition, selbst vor hundert Jahren traten Karl Marx und Friedrich Engels die Auffassung, dass das Deutsche Reich in Bismarck-Ära keine eigenständige Außenpolitik betrieben, sondern sich ständig den russischen Interessen ergeben hätte.1 Die anderen argumentieren jedoch, dass Bismarck die Aufgaben, die Geschichte ihm zugewiesen hat, hervorragend erfüllt habe.2 In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Bedeutung des zaristischen Russlands im Bismarckschen Vertrags- und Bündnissystem. Der Zweck liegt darin, auf der Basis der Fakten und vorherigen wissenschaftlichen Forschungen die Außenpolitik Bismarcks Russland gegenüber nach der Reichsgründung objektiv und gerecht zu beurteilen. 4. Gliederung des Hauptteils Der Hauptinhalt der Arbeit gliedert sich hauptsächlich in vier Kapitel. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über das Bismarckische System. In diesem Zeitraum wird der Schwerpunkt auf die Vorstellung der beiden Mittelmeer-Ententen und den Rückversicherung gelegt. Im zweiten Kapitel geht es um den Hintergrund des Bismarckischen Systems, nämlich die internationale politische Konstellation und die politische Atmosphäre um das Deutsche Reich. Das dritte Kapitel hat die deutsch-russichen Beziehungen zum Inhalt. Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen, die jeweils die bilateralen Beziehungen vor und nach der Reichsgründung vorstellen. Im letzten Kapitel werden auf die Zwecke und die Beeinflussung der Mittelmeer-Ententen und des Rückversicherungsvertrag besonders auf den Spielraum des Zarenreichs eingegangen. In diesem Teil wird auch die entgegengesetzten Auswirkungen durch die sich einander einschränkenden Einstellungen gegenüber dem zaristischen Russland in den drei Pakten herausgezogen. 1 2 参见《马克思恩格斯选集》第 3 卷,北京:人民出版社 1995 年版,第 2 页。 参见靳艳:《试析俾斯麦对俄外交政策的基础》,载于《历史月刊》,2007 年第 8 期,第 128-131 页。 11 Kapitel I Überblick über das Bismarcksche System 1.1 Hintergrund des Bismarckischen Systems 1.1.1 Politischer Hintergrund Die Bismarcksche Diplomatie gestaltete und vervollkommnte sich im 19. Jahrhundert, wo sich ein wesentlicher Wandel der internationalen Verhältnisse auf dem europäischen Boden ereignete. Vorher basierte das europäische Mächtesystem in einem langen Zeitraum auf einem „Ausgleich angelegten Gleichgewicht auf dem Wiener Kongress von 1815“, das von einer anti-französischen Koalition gegründet wurde. Aber die Ausbalancierung von mehreren Kräften setzte zwei Faktoren voraus: Festhalten von allen einbezogenen mächtigen Nationalstaaten an dem Disziplin, den internationalen Frieden über die eigenen Interessen zu stellen, und die gemeinsame moralische Auffassung zur Erhaltung der konservativen Ströme. 3 Die beiden Faktoren bildeten nicht nur Verstöße gegen die Zeitströmung des Nationalismus sowie der Demokratisierung, auch in sich verbargen unlösbare Konflikte, so dass dieses diplomatische System jederzeit vor Zusammenbruch stand. Als sich die Industrialisierung und die demokratische Nationalrevolution weiter entwickelten, häuften sich die Aufpralle verschiedener Nationalstaaten. Inzwischen veränderte sich auch die Behandlungsweise der internationalen Verhältnisse, d. h. das Wiener System verlor im Zeitlauf immer mehr an Bedeutung. Die Interessenstöße im Osten und der Sieg Deutschlands über Frankreich führten zum Verzichten auf das Prinzip der Koordination und löste die Notwendigkeit der Aufstellung einer neuen Weltordnung aus. Die Auflösung des Mächtegleichgewichts seit dem Wiener Kongress läutete einen 3 Vgl. Manfried Görtemaker, Geschichte Europas 1850-1918, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2002, S. 225 12 Wettbewerb der Diplomatie von neuem an, in dem sich alle Großmächte in Europa um möglichst große Interessen bemühten. Während der Jagd nach der Vorherrschungstellung in der Alten Welt bemühten sie sich nun, das Gleichgewichtsystem wieder herzustellen. 1.1.2 Historischer Hintergrund Seit dem 17. Jahrhundert währte in politischer Hinsicht der Aufspaltungszustand im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation beinahe dreihundert Jahre. Es existierten hundert Herzogtümer, die sowohl politisch als auch ökonomisch eigenständig waren, in dem Kaiserreich, wo kaiserliche Autorität nur dem Namen nach existierte. Es gibt kein anderes Zeitalter, wo Deutschland inneren und äußeren Bedrohungen ausgesetzt war. Einerseits konzentrierte sich der Kaiser mit der Eroberung von Italien, während die Herzöge und Fürsten mit äußerster Energie nach Expansion strebte. Als Folge davon verstärkten sich die Herzogtümer und Fürstentümer unaufhörlich, während das Kaiserreich matt von dem jahrelangen Krieg gegen Italien und von immer schlimmerem Zustand war. In den folgenden einigen Jahrhunderten verschlechterten sich die Verhältnisse in Deutschland noch mehr. Andererseits bemühten sich alle Nachbarmächte von Deutschland wie Großbritannien, Frankreich, Russland unermüdlich um die Aufrechterhaltung der deutschen Aufspaltung, um ihre traditionelle Vorherrscherposition in Europa zu wahren und ihre eigenen Interessen in bedeutenden internationalen Angelegenheiten zu vertreten. Abgesehen von diesen Bedrohungen von außen hatte Deutschland keine Selbstständigkeit beim Verfahren innenpolitischer Fragen und diente zu jener Zeitpunkt nur als Pufferzone internationaler Konflikte, deshalb war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nur ein geografischer Begriff. Auf dem Wiener Kongress von 1815 versuchten die europäischen Großmächte unveränderlich, die Zerbröckelungsverhältnisse in Deutschland zu bewahren. Nach der Vereinbarung auf dem Kongress wurde die Vorherrschungsposition von Preußen 13 und Österreich unter den zahlreichen germanischen Herzogtümern sowie Fürstentümern festgelegt, was später die Konfrontation zwischen Preußen und Österreich auslöste. Eine weitere direkte Folge der Tagung war die offensichtliche Verstärkung Preußens, auf die die Vereinigung Deutschlands im Jahr 1871 zurückging. 1.1.3 Wirtschaftlicher Hintergrund Der rasche Wirtschaftsaufschwung Preußens beschleunigte den Verlauf der Vereinigung. Seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts erlebte die preußische Industrie eine sprunghafte Entwicklung, die gleichzeitig auch die Agrarwirtschaft beförderte. Dadurch trat die preußische Wirtschaft in einen günstigen Kreislauf. Die gute Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in Preußen bildete eine solide materielle Basis für die Vereinigung Deutschlands und die Gründung eines wirtschaftlich starken germanischen Nationalstaates. Geschichtlich gesehen vermochten entweder Österreich oder Preußen Deutschland zu vereinigen. Obwohl die Habsburger unter den zahlreichen deutschen Herzogtümer in vieler Hinsicht in führender Position lagen, war Preußen den Habsburgern wirtschaftlich überlegen. Anfang des 19. Jahrhunderts begann in Preußen eine von herrschender Schicht angespornte Reform in Agrarwirtschaft, nachdem die preußischen Truppen im Krieg gegen Napoleon vernichtend geschlagen worden waren. Als diese Reform sich am Ende dieses Jahrhunderts im Großen und Ganzen vollendete, wandelte sich die traditionelle Struktur der Agrarwirtschaft in eine neue mit deutscher Prägung, nämlich eine Kombination von Landeswirtschaft und Industrie, genauer gesagt, die Landeswirtschaft durch industrielle und kapitalistische Produktionsweise zu betreiben. Die frühen Ansätze der Industrialisierung gewährten der preußischen Wirtschaft einen raschen Aufschwung. Auf der Basis einer umgestalten Agrarwirtschaft liefen die Industrie sowie der Handel Preußens in den folgenden Jahrzehnten auf Hochtouren, so 14