Lernender.ch - Das Infoportal für Lernende Deutsches Kaiserreich 1871 trat das kleindeutsche Reich an die Stelle Preussens und wurde über Nacht stärkste Grossmacht auf dem Kontinent. In einem Europa ohne Bündnisse wollte Bismarck Bündnislosigkeit möglichst lange erhalten, damit das 1870/71 geschlagene Frankreich keinen Bündnispartner finden würde. Nach dem Berliner Kongress 1878 entschied sich Bismarck ein Jahr später mit em Zweibund für die Donaumonarchie als Bündnispartner gegen Russland, erweitert durch Italiens Beitritt zum Dreibund (1882). Bismarck vertiefte mit dem Kampf gegen „Reichsfeinde“ (Katholiken, Polen, Sozaildemokraten) innere Spaltungen im Reich.Europa vollendete seine Weltherrschaft, begünstigt durch Zersplitterung der übrigenWelt: Indien und China bildeten subkontinentale Machvakuen. Das Osmanische Reich setzte seit der Eröffung der Orientalischen Frage (1774) (um 1821 entstandener Begriff, der den Interessenkonflikt europäischer Großmächte im Zusammenhang mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches umreißt.) lokale und regionale Aufstände frei und machte den Balkan zum Pulverfass Europas. Zwischen 1900 und den beiden Balkankriegen (1912/13) verschärften Krisen und Bündnisse die Spannungen, das Attentat von Sarajevo (18.06.1914) lieferte den Funken zur Julikrise 1914 und zum ersten Weltkrieg. England vollendete die Eroberung Indiens (1856). Die Mittelmächte (Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Osmanisches Reich, Bulgarien) erkämpften gegen die Triple Entente (Dreierverband -> Frankreich, England, Russland) auf dem Kontinent ein Patt, unterlagen jedoch in Übersee und im uneingechränkten U-Bootkrieg (1917/18), der die USA in den Krieg zog.Nach Russlands Aussscheiden im Gefolge seiner beiden Revolutionen 1917 entschied der Kriegseintritt der USA 1917 gegen die Mittelmächte. Sie brachen nach schweren militärischen Niederlagen in revolutionären Wirren zusammen. Das Orthodoxe Russland blieb überwiegend agrarisch und autokratisch.(alleinbeherrscht) Reichsgründung und Reichsverfassung Die Reichsgründung von 1871 bleibt mit dem Namen Otto von Bismarck verbunden. Der Weg zur deutschen Einheit begann mit seiner Berufung zum preussischen Ministerpräsidenten 1862, mitten in einer Staatskrise. Die liberale Mehrheit verweigerte sich einer vom König gewünschten Heeresreform und legte die Regierung lahm. Bismarck (galt als ultrakonservativ) setzte sich über den Widerstand hinweg indem er sich auf eine angebliche Verfassunslücke berief: Es sei nicht vorgesehen, dass die eine Kammer ein Gesetz ablehne und zugleich die andere Kammer, das konservative Herrenhaus, es unterstütze. Mit seiner „Lückentheorie“ stiess Bismarck zunächst auf scharfe Ablehnung der liberalen Parlamentarier, zumal er in seiner ersten Rede im Amt 1862 Programmatisch erklärte, die „grossen Fragen der Zeit“ würden nicht durch „Reden und Majoritätsbeschlüsse“ entschieden, sondern durch „Eisen und Blut“. Bismarck wollte Preussen als europäische Grossmacht stärken, was nur durch Annexion (gewaltsame Besitzergreifung von Staatsgebiet) weiterer deutscher Gebiete möglich war, aber auf Österreichs Opposition im Deutschen Bund stiess. 1863 wollte die dänische Regierung Schleswig holstein annektieren, was zu einem Krieg zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark führte. Die Vormächte Österreich und Preussen zwangen den kleinen Nachbarstaat zum Verzicht auf SchleswigHolstein und verwalteten es nun gemeinsam in einem Kondominium (gemeinsames Eigentum). Bismarcks Bestreben war es, Österreichs Vorherrschaft im Deutschen Bund zu beenden. Dies war nur mit einer militärischen Entscheidung möglich. In der Schlacht von Königgrätz/Sadowa (1866) erlitt Österreich, das gleichzeitig von Italien Angegriffen wurde, eine schwere Niederlage und schloss rasch den Prager Frieden(Friedensvertrag zwischen Preussen und Österreich), in dem es ohne eigene Territorialverluste gegenüber Preussen blieb. Lernender.ch - Das Infoportal für Lernende Deutsch-französischer Krieg und deutsche Kaiserproklamation Napoleon III. konnte sich aussenpolitische Prestigeverluste nicht leisten, ohne sein plebiszitäres Kaisertum (plebiszit=Volksbeschluss) zu gefährden. Frankreich fühlte sich vom Aufstieg Preussens bedroht. Der Konflikt brach über der spanischen Throndiktatur aus: Nch einem Bürgerkrieg boten die siegreichen Monarchisten Spaniens 1870 einem Hohenzollernprinzen die Krone an. Frankreich passte das nicht, da sie nicht von Deutschland und Spanien umklammert sein wollten. Die Emser Depesche (eine MitteilungWilhelms I. wurde gekürzt an die Presse weitergegeben, dass der Eindruck einer Schmähung (üble Nachrede) durch Frankreich eintrat) brachte Frankreich soweit, dass sie am 19.07.1870 Preussen den Krieg erklärten. Die Armeen des Norddeutschen Bundes und der Süddeutschen Monarchien schlugen in wenigen Wochen das Französische Heer. Das ging so schnell, dass andere Grossmächte nicht eingreifen konnten. Ihr Erfolg bei Sedan (02.09.1870) führte Napoleon III. in deutsche Gefangenschaft. (Sedan = So endete das Abenteuer Napoleons). Während des siegreichen Feldzuges erreichte Bismarck sein Hauptziel: Am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles proklamierten (proklamieren = öffentlich bekanntmachen) die versammelten deutschen Fürsten den preussischen König Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser und gründeten so das deutsche Reich, einen neuen Nationalstaat in Europa mit der Hauptstadt Berlin. Danach drängte Bismarck auf ein schleuniges Kriegsende. Reaktionen auf die Reichsgründung Die Reichsgründung traf in Deutschland auf breite Zustimmung in der Bevölkerung und rief Begeisterung gerade bei den Liberalen hervor, die lange Zeit für ein „einig deutsches Vaterland“ gekämpft hatten. Als zum Fürst erhobener „Reichsgründer“ genoss Bismarck den Zenit seines Ruhms. Allerdings: Auf dem linken Spektrum verurteilten die wenigen deutschen Sozialisten die herrschende Rolle von Adel und Militär und die Klassengesellschaft. Vielen linksliberalen wäre ein von Volk und Parlamenten getragenes Reich lieber gewesen. Für den elitären Philosophen Friedrich Nietzsche (geile siech!) bedeutete das Bismarckreich den Durchbruch des Massenzeitalters, das sich, statt an Geist und Bildung, an Macht und Äusserlichkeiten berauschte. Er sah die Exstirpation (Ausrottung) des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches hellsichtig voraus. In Frankreich sass der Schock tief: Bei nächster Gelegenheit sollte eine Revanche das verlorene Elsass-Lothringen zurückholen. Österreich-Ungarn sah sich endgültig aus Mitteleuropa verdrängt und wandte seine Interessen nach Südosten auf den Balkan. England begrüsste den Sieg des liberalen Preussen als Gegengewicht zum unruhigen Frankreich und autokratischen Russland, dessen Interesse an den türkischen Meerengen als Zugang zum Mittelmeer eine Konfliktlinie schuf. Italien nutzte den Krieg im Norden um sich im September 1870 des Kirchenstaates und damit seiner erträumten Hauptstadt Rom zu bemächtigen, die seit 1849 französische Soldaten geschützt hatten. Das Reich als eingeschränkt konstitutionelle Monarchie Der erste Reichstag von 1871 übernahm die neue Rechtsverfassung fast unverändert vom Norddeutschen Bund. Das Deutsche Reich war ein Bundesstaat mit 22 formal souveränen Fürsten und drei freien Stätden (Bremen, Hamburg, Lübeck). An der Spitze stand der Deutsche Kaiser, in Personalunion König von Preussen. Die Regierung bestand formal nur aus dem vom Kaiser ernannten Reichskanzler, dem Staatssekretäre als Leiter der Reichsämter unterstanden. Weitere Reichsorgane waren der Bundesrat als weisungsgebundene Vertretung der bundesstaatlichen Regierungen mit unterschiedlicher Stimmenzahl und der Reichstag, dessen Abgeordnete alle deutschen Männer über 25 Jahre Lernender.ch - Das Infoportal für Lernende in allgemeinen, freien, geheimen und gleichen Wahlen wählen konnten. In Wahlkreisen galt das Mehrheitswahlrecht mit einer Stichwahl. Reichsgesetze und Budget bedurften der Zustimmung von Reichstag und Bundesrat. Einfluss auf die Regierungsbildung stand den legislativen Organen nicht zu, eine parlamentarische Verantwortung des Reichskanzlers gab es nicht, das heisst, er benötigte keine Mehrheit im Reichstag. Innere Entwicklungen unter Bismarcks Kanzlerschaft 1871-1890 Der gewonnene Krieg 1870/71 beschleunigte als Konjunkturlokomotive die Nachfrage nach Gütern und Investitionen, weiter angeheizt durch die französischen Reparationen. Über 40 neue banken und 500 neue AG’s lenkten in der „Gründerzeit“ Kapital in die Industrie. Doch im Oktober 1873 brach in der Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch die USA, schlagartig die überhitzte Konjunktur zusammen. Nach dem kräftigen Boom wirkte die Weltwirtschaftskrise auf die Zeitgenossen ernüchternd. 1895 steigen die ökonomischen Wachstumsraten wieder an und die Stimmung wurde besser. In den neuen Leitsektoren der „Zweiten Industriellen Revolution“ Chemie und Elektrotechnik (Siemens, AEG) Feinmechanik und Optik setzte sich die deutsche Industrie an die Weltspitze. Zentrumspartei Die deutschen Katholiken waren eine Minderheit von gut einem Drittel, die schon vor 1848 ihre konfessionellen Interessen in der Politik geltend machten. Aus Misstrauen gegen Protestantisches Preussentum und liberale Kirchenferne entstand seit 1866/67 mit Hilfe des Klerus eine Katholische Volksbewegung, die 1870 die Gründung der „Zentrumspartei“ im preussischen Abgeordnetenhaus nach sich zog. Die deutsche Zentrumspartei (1871) war die einzige Volkspartei im heutigen Sinn, denn sie repräsentierte vom Hochadel bis zu Kleinbauern und Arbeitern alle katholischen Schichten. Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus und Aufwertung der konservativen Zu den Überzeugungen des europäischen Wirtschaftsliberalismus gehörte der Freihandel: Möglichst freier Warentausch zwischen den Staaten fördere Produktion und Wohlstand am meisten im Interesse aller. Seit 1873 konnte in Deutschland Roheisen zollfrei eingeführt werden. Nationalliberale und „Fortschrittler“ unterstützten diesen Kurs. Aber im „Gründerkrach“ gleichen Jahres zerbrach der klassische Wirtschaftsliberalismus. Grosse Industrieverbände koordinierten wirtschaftliche und politischen Interessen: der Verein deutscher Eisen-und Stahlindustrieller und Centralverband deutscher Industrieller. 1875 begann ein internationaler Verfall der Getreidepreise unter dem Druck zunehmend kostengünstiger Produktion in Russland, den USA und Argentinien. Er traf die deutschen Grossgrundbesitzer in „Ostelbien“ besonders hart, weil die Verschuldung hier schon erheblich war und dennoch höhere Löhne die Abwanderung von Landarbeitern mindern mussten. Sozialdemokratie, „Sozialistengesetz“ und Bismarcks Sozialgesetzgebung Nach Lassalles Gründung einer Arbeiterpartei 1863 gewannen August Bebel und Wilhelm Liebknecht über die SDAP Einfluss au die deutsche Arbeiterbewegung. Anders als die „Lassalleaner“ lehnten die „ Eisenacher“ Bismarcks Kriegs- und Annexionspolitik zur deutschen Einheit ab und verurteilten die Reichsgründung als „fürstliche Versicherungsanstalt gegen die Demokratie“. Ihr Eintreten für Klassenkampf und Pariser Kommune trug Bebel und Liebknecht zwei Jahre Festungshaft wegen Hochverrats ein. Die beiden galten als gemeingefährliche „Reichsfeinde“. 1875 schlossen sich „Eisenacher“ und „Lassalleaner“ in Gotha zur sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen. Lernender.ch - Das Infoportal für Lernende Immer mehr Streiks zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen liessen sich organisieren. 1878 ging Bismarck in die Gegenoffensive. Er konstruierte einen Zusammenhang der Partei zu zwei missglückten Attentaten auf den Kaiser und erwirkte so in zwei Anläufen im Reichstag das Gesetz „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“: Die Partei und ihr nahestehende Gewerkschaften, alle Veranstaltungen und jede Öffentlichkeitsarbeit in Literatur und Presse wurden verboten, aber, aus verfassungsrechtlichen Gründen, nicht die Beteiligung an Wahlen. Die Partei arbeitete nur noch im Untergrund weiter. Doch die politische Unterdrückung beseitigte keine sozialen Probleme.1883 beschloss der Reichstag die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Alters- (ab 70 Jahren) und Invalidenversicherung. Das Reich im Europäischen System – Bismarck Kontinentalpolitik Bismark war sich über die gefährdete Stellung des Deutschen Reiches im klaren und wollte einen europäischen Krieg mit deutscher Beteiligung verhindern. Deshalb erklärte er Deutschland 1871 für „saturiert“ (= zufriedengestellt), ohne weitere expansive Ziele auf Kosten anderer, um sich die Zusammenarbeit mit allen Mächten zu eröffnen ausser Frankreich, das den Verlust Elsass-Lothringens nicht verwinden konnte, solange die „Reichslande“ nicht wenigstens volle Autonomie erhielten. So suchte Bismarck zunächst seine Partner im ohnehin befreundeten zaristischen Russland und beim geschonten Gegner Österreich-Ungarn.1873 schlossen der Zar sowie der Berliner und Wiener Kaiser das „DreiKaiser-Abkommen“ zur Garantie des Status quo (erreichter Zustand, der erhalten werden soll) in Europa. Chronische Unruhe ins Europäische System brachte der Balkan, denn die zunehmende Auflösung des Osmanischen Reiches erschütterte mit ihren Fernwirkungen ganz Europa. Aufstände in der Herzegowina und Bosnien sowie Niederlagen Serbiens und Montenegros, die zu Hilfe geeilt waren, riefen den „grossen slavischen Bruder“ Russland auf den Plan. Bismarck präsidierte als „ehrlicher Makler“ einem Grossmächtekongress in Berlin. Serbien, Montenegro, Rumänien wurden unabhängig, Bulgarien erheblich beschnitten, ÖsterreichUngarn durfte Bosnien-Herzegowina besetzten. Russlands öffentliche Meinug sah sich von Bismarck getäusch und spekulierte bereits über ein Zusammengehen mit Frankreich, erst recht seit den deutschen Getreideschutzzöllen und dem „Lombardverbot“ (Sperrung der Berliner Börse für russische Staatsanleihen). Trotzdem erneuerte Zar Alexander II. das DreiKaiser-Bündnis 1881, das gegenseitige Neutralität bei Verwicklungen mit einer vierten Macht zusagte. 1879 sicherten sich Deutschland und Österreich-Ungarn im Zweibund als Defensivallianz gegen Russland mit wohlwollender Neutralität. Italien trat dem Bündnis zum Schutz vor Frankreich bei (Dreibund 1882). Seit 1885 entwerteten neue Spannungen auf dem Balkan über Bulgarien das Drei-Kaiser-Bündnis. Bismarck ersetzte es durch den geheimen Rückversicherungsvertrag mit Russland um einen „ Draht nach St. Petersburg“ zu behalten und die Gefahr eines Zweifrontenkrieges zu vermindern. Der Vertrag legte gegenseitige Neutralität im Krieg mit Drittmächten fest, ausser bei einem deutschen Angriff auf Frankreich und einem russischen auf Österreich-Ungarn. Im „ganz geheimen“ Zusatzprotokoll unterstützte Deutschland ein russisches Ausgreifen auf die türkischen Meerengen, obwohl im gleichen Jahr mit Bismarcks Billigung Österreich-Ungarn, Italien und England in einer Mittelmeerallianz (Orientdreibund) die türkische Hoheit dort garantieren. Im Konfliktfall wäre Deutschland in arge Schwierigkeiten gekommen. Bismarcks Aussenpolitik blieb durchweg Kontinentalpolitik: Alle Aktionen – auch der Kolonialpolitik – standen unter der Leitlinie, keine Gefahren in der mitte Europas heraufzubeschwören und Deutschland nicht durch Provokationen zu isolieren. Offen bleibt die Frage, ob Bismarcks Bündnissystem langfristige Stabilität garantieren konnte. Nach Bismarcks Entlassung 1890 verlängerte Deutschland den Rückversicherungsvertrag nicht mehr, um einer möglichen peinlichen Blossstellung zu entgehen.