Parlamentswahlen 2015 und Folgen für den Bundesrat

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Parlamentswahlen 2015 und Folgen für den Bundesrat
Referat vom 19. November 2015
vor dem Business Club Mittelland
Referent:
Claude Longchamp,
Politikwissenschafter/Historiker,
Institutsleiter gfs.bern
© gfs.bern, Politikforschung
Etwas Geschichte zu Erlisbach
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Das Dorf "Erlinsbach" gerät seit dem Spätmittelalter in den Bann der
Territorialbildung, von Solothurn und Aarau (zu Bern gehörend) betrieben, was
zur herrschaftlichen Teilung entlang des Dorfbaches führt.
Mit der Berner Reformation kommt es auch zur konfessionellen Teilung. Da
das Recht zur Pfarrereinsetzung bei Bern liegt, wird die Reformation 1529
auch in Erlinsbach vollzogen, allerdings unter kräftigem Widerstand im
solothurnischen Teils. Die verschiedenen konfessionell bestimmten Sippen
bespucken sich in der Folge über den Bach hinweg, was zum Uebernamen
"Speuz" führt.
Der Name wird bis etwa im "Speuzer Bier" des Restaurant Hirschen
gebraucht, ohne das man noch weiss, was der Hintergrund war.
Auch in der Schweizer Geschichte bildete die konfessionelle Spaltung mit der
industriellen die wichtigste Teilung. Aktuell wird beides durch die grossen
Globalisierungsfrage zwischen Integration und Abgrenzung über lagert.
Ueberwunden wurden die Spaltungen in der Schweiz mit dem
Konkordanzsystem, das ausgleichende Wirkungen hat. Dazu gehören auch
Bundesratswahlen.
In Erlinsbach herrscht heute Konkordanz ganz im Sinne der Suche nach
Uebereinstimmung über tiefreichende, historische Konflikte hinweg.
Fragen für das Referat?
• Wie lauten die Ergebnisse der Parlamentswahlen 2015?
• Wie kann man die Ergebnisse würdigen?
• Wie wirkt sich die neue Zusammensetzung des Parlaments auf
kommende Politiken aus?
• Was bestimmt das neue Parteiensystem?
• Wie wird die Zusammensetzung des neuen Bundesrats sein?
• Welche Konfliktlinien sind inskünftig entscheidend?
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Das Ergebnis im Nationalrat 2015
Verteilung
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Gewinne/Verluste nach Fraktionen
Rechtsrutsch?!
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Variabilität im Nationalrat
• SVP ist mit 29,4 Prozent stärkste Partei
• SVP stärkste Partei unter Proporzbedingungen seit je
• SVP, FDP gewinnen Wählerprozente hinzu, SP minim auch,
verliert aber Sitze (und Fraktionspräsident)
• SVP, FDP gewinnen zusammen 14 Sitze (+11 SVP, +3 FDP)
• SVP, FDP, Lega, MCG haben im Nationalrat neu eine knappe
Mehrheit von 101 Stimmen
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Das Ergebnis/die Aussichten im Ständerat
Zwischenstand nach 44 Sitzen Aussichten 2. Runde
CVP 13 (-) (1 Option)
SP 12 (+1) (0 Optionen)
FDP 11 (+2) (2 Optionen)
SVP 5 (-)
(2 Optionen)
GPS 1 (-1) (1 Option)
BDP 1 (-)
(0 Optionen)
Parteilos 1 (-) (0 Optionen)
GLP 0 (-2) (0 Optionen)
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Stabilität im Ständerat
Ständeratswahlen sind stabiler als Nationalratswahlen. Sie
folgen vier grossen Regeln:
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•
Bisherige, die wieder kandidieren, werden gewählt
(sehr gut belegt, einzige Abwahl 2015: Recordon VD/GPS)
•
Bei Bisherigen, die nicht wieder kandidieren, hat der Nachfolger aus
der gleichen Partei gute Chancen gewählt zu werden (CVP:
Rieder/VS, Vonlanthen/FR, Hegglin/ZG; FDP Caroni/ AR, Müller/LU,
noch offen: Noser/ZH, Müller, AG)
•
Bei Bisherigen, die nicht wieder kandidieren und nicht durch ihre
Partei ersetzt werden, haben eingemittete KandidatInnen die
grössten Chancen (Jositsch/ZH, Dittli/UR)
•
Vor allem in ganz kleinen Wahlkreise spielt die Person der
Bewerbung die wichtiger Rolle als die Partei (Ettlin/OW, Wicki/NW)
Positionen der KandidatInnen Wahlen
2007/11/15
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Weltanschauliche Positionierungen
Gewählte NationalrätInnen
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Fraktionen im Nationalrat
Folgen für die Politik?
Die unmittelbaren
Auswirkungen: Rentenreform
2020 und Energiewende 2050
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Die liberale Perspektive
Gemeinsame oder geteilte Rechte?
Konservative Rechte
Liberale Rechte
Repolitisierung der konservativen
Rechten, vor allem wegen der
Bedrohung des Nationalstaates
durch supranationale Politiken
und Institutionen
 nationalkonservativ
Repolitisierung der liberalen
Rechten, vor allem wegen den
Bedrohungen des Individuums
durch in Wirtschaft und
Gesellschaft
 libertär
nationalkonservativ (starker
Bezug auf Nation, Fremde),
bisweilen rechtspopulistisch
(negativer Bezug auf Institutionen,
Eliten), selten rechtsextrem
(antidemokratisch, diktatorisch)
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Neue Parteienlandschaft: Profile der Parteien
(gemäss Wahltagsbefragung)
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Ökonomisch bedingte Erosion
Links/Rechts:
• typischer Konflikt der europäischen Industriegesellschaft,
• Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital resp. Arbeiterschaft und
Bürgertum mit unterschiedlichen Vorstellungen von Staat
(-swirtschaft) und Markt (-wirtschaft)
• In der Schweiz speziell, weil FDP Gründerin des Bundessstaates
ist, in den Konservative und Linke integriert wurden
• Polarisierung zwischen FDP/Bürgerliche und SP/Arbeiterschaft bis
Mitte der 80er Jahre des 20. Jh. Dominant, seither abnehmend
(ökonomische Erosion)
• Regelung durch Sozialpartnerschaft und Integration der SP in
Kantons- und Bundesregierung
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Aufbau neuer neue Konfliktlinien
Aufbau neuer Konfliktlinien
(Neo)Nationalismus
•
typischer Konflikt in der postindustriellen
Gesellschaft
•
typischer Konflikt in der postindustriellen
Gesellschaft
•
starke Betonung von Selbstentfaltungswerten, Lebensqualität und Umweltweltschutz
•
starke Betonung des Nationalen/
Schweizerischen
•
Gegensatz zwischen Materialismus und
Postmaterialismus
•
Gegensatz zwischen Nationalismus und
Internationalismus, Euroskeptizismus
und Euro-Euphorismus
•
in der Schweiz am Beispiel der GPS
beobachtbar, teilweise auch der SP, CVP,
GLP, BDP, EVP
•
In der Schweiz am Beispiel der SVP,
Lega, MCG beobachtbar, beschränkt
auch der FDP, CVP
•
Polarisierung zwischen SVP und anderen
Parteien
•
überschrittener Höhepunkt fraglich
•
Polarisierung zur SVP und FDP
•
Höhepunkt überschritten
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Zusammensetzung des Bundesrates 1848-2011
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Die grosse Auswahl
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Szenarien
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Vom übergeordneten Sinne der Konkordanz (1)
• Konkordanz als Integrationsmechanismus von oppositionellen
Minderheiten (KK/CVP resp. BGB/SVP resp. SP), 2 Mal geglückt,
bei SVP schliesslich offene Frage
• Konkordanz als Verteilschlüssel zwischen den Parteien (2:2:2:1
entlang der Grösse (Sitzverteilung/Parteistärke))
• Konkordanz als Möglichkeit, wechselnder Mehrheit in einer
stabilen Regierung (3 Rechte 2 FDP/1 SVP, 2 Mitte/CVP, 2
Linke/SP)
• Bundesratswahlen als Beiträge zu Mässigung von Konflikten
(konfessionelle Spaltung, Spaltung in der Arbeitswelt, Spaltung
zwischen Öffnung und Isolation)
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Schlussgedanke zur Lage der Nation
Drei aktuelle Deutungen der PolitologInnen
•
Adrian Vatter (2014): Die Schweiz ist durch das institutionelle Gefüge
(Föderalismus, direkte Demokratie) zur Konkordanz verpflichtet; es
braucht eine Anpassung der vorherrschenden politischen Kultur an die
Institutionen.
•
Pascal Sciarini (2015): Die politische Elite funktioniert längst nach
dem Konkurrenzmodus.Die Institutionen sind anzupassen, vor allem
mit einem Übergang zur kleinen Konkordanz mit nur einer Polpartei im
Bundesrat.
•
Silja Häusermann et al. (2015): Der breit geschmiedete Kompromiss
hat dem offenen Wettbewerb Platz gemacht. Entscheidend bleibt, ob
es in zentralen Fragen des Landes eine Konsens noch möglich ist.
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Thesen zum heute polarisierten Pluralismus
•
Das Parteiensystem der Schweiz hat zwei Eigenheiten: Es ist ein
aufgefächertes Mehrparteiensystem, was die Suche nach Allianzen
erforderlich macht; und es ist seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts
dabei, die jüngste Polarisierung zwischen Integration und Abgrenzung in die
EU zu verarbeiten.
•
Gegenwärtig gestärkt werden rechte Parteien und Positionen, allerdings
vorwiegend im Nationalrat. Dies wird Auswirkungen auf die
Bundesratszusammensetzung haben, auch auf die politische Agenda der
nächsten vier Jahre.
•
Starke Aenderungen sind allerdings nicht zu erwarten, denn das ZweikammerSystem mit dem Referendum korrigiert in aller Regel
Richtungsentscheidungen bei Wahlen mit einer gewissen Zeitverzögerung.
•
Zudem ist damit zu rechnen, dass die Wahlsieger in der zentralen Frage, dem
Verhältnis zur EU im Rahmen der Bilateralen keine grosse Gemeinsamkeit
finden werden.
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Auf Wiedersehen und danke für Ihre Aufmerksamkeit
www.gfsbern.ch
Claude Longchamp
gfs.bern
Verwaltungsratspräsident und
Institutsleiter gfs.bern
Lehrbeauftragter der Universitäten SG, ZH
und BE
[email protected]
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