Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.1 Aufgabe 6.1 b g B A a Auf dem homogenen Prisma A, das auf einer horizontalen Fläche ruht, liegt ein zweites homogenes Prisma B. Die Querschnitte der Prismen sind rechtwinklige Dreiecke. Die Masse des Prismas A ist dreimal so groß wie die des Prismas B. Bestimmen Sie unter der Annahme, dass die Prismen sowie die horizontale Fläche ideal glatt sind, die Länge ∆x, um die sich das Prisma A verschoben hat, wenn das Prisma B beim Herabgleiten die horizontale Fläche erreicht. Aufgabe 6.2 Auf welche Mindestgeschwindigkeit muss man eine senkrecht aufsteigende Rakete in der Höhe h = 100 km (ab dieser Höhe sind Einflüsse der Restatmosphäre vernachlässigbar) gebracht haben, damit sie ohne weiteren Antrieb von hier nicht mehr zur Erde zurückkehrt, sondern in radialer Richtung weiterfliegt? Die Erdbeschleunigung g nimmt umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung vom Erdmittelpunkt ab. An der Erdoberfläche ist g = g0 = 9, 81 sm2 ; der Erdradius besitzt den Wert R = 6370 km . Aufgabe 6.3 y m r ω g ϕ x Eine Punktmasse (Masse m) bewegt sich unter dem Einfluß der Erdbeschleunigung in einem Rohr, das sich in einer vertikalen Ebene um eine feste horizontale Achse dreht. Die Winkelgeschwindigkeit ω sei konstant. Von Reibung kann abgesehen werden. Zum Zeitpunkt t = 0 gilt: r = r0 , ṙ = 0 und ϕ = 0. a) Bestimmen Sie r(t). b) Geben Sie die Führungskraft N des Rohres auf den Massenpunkt als Funktion der Zeit an. Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.2 Lösung zur Aufgabe 6.1 Das untere Prisma kann sich reibungsfrei auf der Unterlage bewegen, die Unterlage übt also keine Kraft in horizontaler Richtung auf das Prisma aus. Der Schwerpunktsatz wird auf die beiden Prismen als ein System für die horizontale Richtung angewandt. Die Masse des kleinen Prismas sei m, die Gesamtmasse des Systems beträgt also 4m: X 4m ẍS = Fhorizontal = 0 , d.h. ẋS = const. Da zu Beginn der Betrachtung beide Körper in Ruhe sind, gilt: ẋS0 = 0 ⇒ xS = const. In horizontaler Richtung behält der Gesamtschwerpunkt S also seine Lage (Koordinate xS ) bei. Betrachtet werden nun der Anfangszeitpunkt sowie der Zeitpunkt, an dem das obere Prisma die Unterlage erreicht. Da xS konstant ist, lässt sich die gesuchte Verschiebung ∆x aus geometrischen Überlegungen bestimmen. Die Entfernung des Schwerpunktes S vom festen Bezugspunkt O errechnet sich in Lage 1 durch b xS = SB S SA x O Lage 1 xS a 1 [mA xSA1 + mB xSB1 ] . mges Die Schwerpunkte der Dreiecke liegen bei 1/3 bzw. 2/3 ihrer Länge. Setzt man dies sowie die die Massen m und 3m ein, erhält man 1 2 2 xS = 3m · a + m a − b 4m 3 3 und in Lage 2 ∆x x Lage 2 SA S 1 [mA xSA2 + mB xSB2 ] mges b 1 2 = 3 m ∆x + a + m ∆x + 4m 3 3 xS = SB O xS Setzt man die beiden Ausdrücke gleich, so ergibt sich: ∆x = a−b . 4 Alternative Vorgehensweise: Betrachtung der Einzelkörper Es ist auch möglich, beide Prismen getrennt freizuschneiden und dann auf die beiden Teilkörper die Impulssätze anzuwenden. Die Masse des kleinen Prismas betrage wieder m und der kleinste Winkel der Dreiecke sei α. Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.3 yB α SB N1 mg a−b N1 SB xA xB SA SA N2 α 3mg Die eingezeichneten Koordinatensysteme sind ortsfest, d.h. in der gezeichneten Ausgangslage fallen die Schwerpunkte mit den Ursprüngen der jeweiligen Systeme zusammen. Die Schwerpunktsätze für die Einzelkörper lauten: Körper B: x-Richtung: y-Richtung: m ẍB = N1 sin α m ÿB = −mg + N1 cos α (1) (2) Körper A: x-Richtung: 3 m ẍA = N1 sin α (3) Außerdem wird noch eine kinematische Beziehung benötigt, welche die vertikale Bewegung des Prismas B durch die Verschiebungen der beiden Prismen in horizontaler Richtung ausdrückt. Es gilt: yB = − (xA + xB ) tan α (4) Anschaulich: Bewegt sich Prisma B um xB nach rechts und Prisma A um xA nach links, so senkt sich das obere Prisma um yB . Aus Gleichungen (1) und (3) folgt durch Elimination von N1 : ẍB = 3 ẍA (5) Zweifaches zeitliches Ableiten von (4) ergibt: ÿB = − tan α (ẍA + ẍB ) (6) Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.4 Mit diesen Beziehungen erhält man: (6) in (2): −m (ẍA + ẍB ) tan α = −mg + N1 cos α 3 m ẍA N1 = sin α 3 m ẍA −m (ẍA + 3ẍA ) tan α = −mg + cos α sin α 3m ẍA 4 m tan α + = mg tan α tan α ẍA = mg 4 m tan2 α + 3 m aus (3): (5),(8) in (7): ẍA = g (7) (8) sin α cos α sin2 α 4 cos 2α + 3 sin α cos α ẍA = g 2 3 sin α + cos2 α + sin2 α {z } | =1 sin α cos α (9) 3 + sin2 α sin α cos α (9) in (5): ẍB = 3 g (10) 3 + sin2 α Um xA (t) und xB (t) zu erhalten, werden (9) und (10) unter Berücksichtigung der Anfangsbedingungen ẋA (t = 0) = 0, xA (t = 0) = 0 bzw. ẋB (t = 0) = 0, xB (t = 0) = 0 zwei Mal bezüglich der Zeit t integriert: g sin α cos α 2 t xA (t) = (11) 2 3 + sin2 α 3 g sin α cos α 2 t (12) xB (t) = 2 3 + sin2 α ẍA = g E SB SA D a−b xB Da es sich bei beiden Prismen um Starrkörper handelt, führen alle Körperpunkte die gleichen translatorischen Bewegungen aus. Folglich verschiebt sich Körperpunkt E wie der Schwerpunkt SB und D wie der Schwerpunkt SA . Zum Zeitpunkt t1 erreicht das Prisma B die horizontale Fläche. Es gilt für diesen Zeitpunkt (siehe nebenstehende Skizze): xA (t1 ) + xB (t1 ) = a − b (13) xA (11), (12) in (13): 2 g sin α cos α 2 t1 = a − b 3 + sin2 α 2 (a − b) 3 + sin α t21 = 2 g sin α cos α (14) Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.5 (14) (11) liefert schließlich die gesuchte Verschiebung ∆x: ∆x = xA (t1 ) g sin α cos α (a − b) 3 + sin2 α · ∆x = 2 g sin α cos α 2 3 + sin2 α a−b . ∆x = 4 Lösung zur Aufgabe 6.2 Berücksichtigt man als äußere Kraft nur die Gewichtskraft (Vernachlässigung des Luftwiderstandes der Atmosphäre), so liefert der Schwerpunktsatz X ma = F = −m g(r) . (1) g v mg Die Raketenmasse m ist konstant (die Rakete soll ab hier ohne Antrieb weiterfliegen). Die Beschleunigung a = g(r) hängt vom Abstand r zum Erdmittelpunkt ab. Sie hat die Form g(r) = k . r2 R h r (2) Die Konstante k lässt sich bestimmen, indem man in (2) den Wert g(R) = g0 für die Beschleunigung an der Erdoberfläche einsetzt: g(R) = g0 = k R2 =⇒ g(r) = g0 R2 . r2 (3) Es ist nun also die Verzögerung der Rakete in Abhängigkeit vom Abstand zum Erdmittelpunkt bekannt. Um die Fragestellung zu beantworten benötigt man jedoch den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit der Rakete und Ort, also v(r). Diesen erhält man durch Separation der Variablen und Integration (Formelsammlung Eindimensionale Punktbewegung“). ” Mit der Umformung a= dv dr dv dv = · =v dt dr dt dr erhält man aus (1): dv R2 v = −g0 2 dr r =⇒ Zv ṽ dṽ = −g0 R v =⇒ v 2 = v02 + 2 g0 R2 0 2 Zr dr̃ r̃2 R+h 1 1 − r R+h (4) Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.6 Das folgende Diagramm zeigt den berechneten Verlauf der Geschwindigkeit in Abhängigkeit vom Abstand r zum Erdmittelpunkt. Mit steigender Höhe nimmt die Geschwindigkeit ab, bis die Rakete schließlich umkehrt. v/(km/s) 8 4 0 8 12 16 Für den Umkehrpunkt rum , an dem die Rakete die Geschwindigkeit v = 0 hat, gilt mit (4): 1 1 2 2 0 = v 0 + 2 g0 R − rum R + h v02 1 1 − (5) = rum R + h 2 g0 R 2 r/(1000 km) -4 -8 Damit die Rakete nicht mehr zur Erde zurückkehrt, muss dieser Umkehrpunkt im Unendlichen 1 liegen, d.h. es muss der Grenzübergang rum → ∞ bzw. rum → 0 betrachtet werden. Für die kritische Geschwindigkeit v0 folgt somit aus (5): r 2 g0 R 2 2 g0 R 2 2 v0 − =0 =⇒ v0 = (6) R+h R+h Zahlenwert: v0 = 11, 1 km s (≈ 2. kosmische Geschwindigkeit“) ” Lösung zur Aufgabe 6.3 y a) Der Impulssatz in Polarkoordinaten für die freigeschnittene Punktmasse (s. Skizze) lautet: P radial: m(r̈ − rϕ̇2 ) = P Kr = −mg sin ϕ transversal: m(2ṙϕ̇ + rϕ̈) = Kϕ = N − mg cos ϕ . Mit ϕ̇ = ω = const. folgt ϕ̈ = 0. N e~ϕ r mg e~r ϕ x Damit ergibt sich mit ϕ = ωt: r̈ − rω 2 = −g sin ωt 2mṙω = N − mg cos ωt (1) (2) Zur Bestimmung von r(t) muss die Differentialgleichung (1) gelöst werden. Es handelt sich um eine DGL zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten, linear und inhomogen. Mit Hilfe des Exponentialansatzes r(t) = eλt folgt für die homogene Lösung der DGL: r̈ − ω 2 r = 0 =⇒ λ2 − ω 2 = 0 ⇒ ωt −ωt rh = Ae + Be λ = ±ω (3) Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.7 Die partikuläre Lösung lässt sich mit einem Ansatz vom Typ der rechten Seite bestimmen: rp = C1 sin ωt + C2 cos ωt (4) Durch Ableiten und anschließendes Einsetzen von (4) in die inhomogene DGL (1) erhält man: −2 C1 ω 2 sin ωt − 2 C2 ω 2 cos ωt = −g sin ωt (5) Ein Koeffizientenvergleich liefert: g C2 = 0 . C1 = 2ω 2 Und somit: g rp = sin ωt 2ω 2 Die allgemeine Lösung der DGL ergibt sich damit zu g r(t) = rh + rp = Aeωt + Be−ωt + 2 sin ωt . 2ω Zur Anpassung an die Anfangsbedingungen benötigt man: (6) (7) (8) g (8) cos ωt ṙ = Aωeωt − Bωe−ωt + 2ω Einsetzen der gegebenen Anfangsbedingungen: ṙ(t = 0) = 0 r(t = 0) = r0 (8) ⇒ (9) ⇒ (9) Aω − Bω = − g 2ω A + B = r0 (10) (11) Aus dem linearen Gleichungssystem (10),(11) erhält man für A und B: g r0 A = − 2+ 4ω 2 g r0 B = + 4ω 2 2 (12) (13) Somit ergibt sich die angepasste Lösung der DGL durch (12) und (13) in (8): g r0 ωt g r0 −ωt g r(t) = − 2 + + e + e + 2 sin ωt 2 4ω 2 4ω 2 2ω g 1 ωt g 1 ωt −ωt −ωt e −e e +e +r0 + 2 sin ωt r(t) = − 2 2ω |2 |2 {z } {z } 2ω = sinh ωt = cosh ωt g r(t) = (sin ωt − sinh ωt) + r0 cosh ωt 2ω 2 b) ṙ(t) ergibt sich durch zeitliche Ableitung aus Gleichung (14): g (cos ωt − cosh ωt) + r0 ω sinh ωt ṙ(t) = 2ω (14) (15) (15) in (2) ergibt für die Führungskraft N : N = mg (2 cos ωt − cosh ωt) + 2mω 2 r0 sinh ωt (16) Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik III (aer, ee) ZÜ 6.8 Alternative Vorgehensweise: Darstellung im mitbewegten Relativsystem y y ′ N ω x′ ϕ O = O′ G = mg x Die Bewegung des Punktes im Rohr stellt eine Relativbewegung dar. Zu deren Beschreibung führt man ein mitbewegtes Koordinatensystem x′ y ′ z ′ ein, dessen x′ Achse mit dem Rohr und dessen z ′ -Achse mit der Drehachse zusammenfällt. Der Impulssatz lautet: X ~ν = G ~ +N ~ m~a = K (17) ν z = z′ Für die Auswertung des Impulssatzes benötigt man die absolute Beschleunigung ~a des Massepunktes: ~a = ~a0 + d′ ω ~ × ρ~ + ω ~ × (~ω × ρ~) + 2~ω × ~vrel + ~arel dt (18) d′ ω ~ Wegen O ≡ O′ ist ~r0 = ~0 und damit ~a0 = ~0 . Außerdem ist = ~0 , da ω ~ = const. dt Bei Komponentendarstellung müssen alle Vektoren im gleichen Koordinatensystem betrachtet werden. Für die einzelnen Größen folgt im x′ y ′ z ′ -System: 0 r̈ ṙ r , , ω ~ = 0 , ~arel = 0 , ~vrel = 0 ρ~ = 0 ω x′ y ′ z ′ 0 x′ y ′ z ′ 0 x′ y ′ z ′ 0 x′ y ′ z ′ 0 −mg sin ωt ~ = N ~ = −mg cos ωt . , N G 0 x′ y ′ z ′ 0 x′ y ′ z ′ e~x′ e~y′ e~z′ Coriolisbeschleunigung: 2~ω × ~vrel = 2 0 0 ω ṙ 0 0 0 , Zentripetalbeschleunigung: ω ~ × ρ~ = ωr 0 x′ y ′ z ′ 0 = 2ω ṙ , 0 x′ y ′ z ′ −ω 2 r , ω ~ × (~ω × ρ~) = 0 0 x′ y ′ z ′ d′ ω ~ d′ ω ~ ~ × ρ~ = ~0 , da = 0. dt dt Setzt man alle Größen in (17),(18) ein, so folgt für die Komponenten in x′ - und y ′ -Richtung: Eulerbeschleunigung: mr̈ − mω 2 r = −mg sin ωt 2mω ṙ = −mg cos ωt + N Die Gleichungen (19) und (20) sind äquivalent zu den Gleichungen (1) und (2). (19) (20)