2.4. Wichtige elementare Funktionen 2.4 33 Wichtige elementare Funktionen Aus dem Vorrat der rationalen Funktionen, der trigonometrischen Funktionen, sowie der Exponentialfunktionen kann man durch Verknüpfung mithilfe der Grundrechenarten, durch Umkehrung, sowie durch Zusammensetzung neue Funktionen bilden. Dabei ist der Definitionsbereich eventuell geeignet zu verkleinern. Die so gebildeten Funktionen sind, die wie im vorigen Kapitel schon erwähnt, alle stetig. Man bezeichnet sie als elementare Funktionen. Einige wichtige elementare Funktionen werden wir uns jetzt genauer anschauen. Eine harmonische Schwingung wird durch eine Funktion der Form f (t) = A sin(ωt + ϕ) (t ∈ R) beschrieben. Dabei ist A > 0 die Amplitude, ω > 0 die Frequenz und ϕ die Phasenverschiebung der Schwingung. Zum Beispiel könnte f (t) die vertikale Auslenkung einer schwingenden Saite zum Zeitpunkt t angeben. Auch die Auslenkung einer Feder durch eine daran befestigte Masse wird durch eine solche Funktion beschrieben. Das exponentielle Wachstum oder auch der radioaktive Zerfall werden durch eine Exponentialfunktion beschrieben. Dazu müssen wir erst etwas ausholen. Ist a ∈ R, a > 1 vorgegeben, so definiert man die Exponentialfunktion ax zur Basis a zunächst rekursiv für natürliche Exponenten: a0 := 1, a1 := a, an+1 = a · an für n ∈ N. Dann dehnt man die Definition auf negative ganze Zahlen aus: a−n := 1 an für n ∈ N. Durch vollständige Induktion ergibt sich das bekannte Potenzgesetz: an+m = an · am für alle n, m ∈ Z. Und schliesslich setzt man für rationale Exponenten fest: p √ a q := ( q a)p für p ∈ Z, q ∈ N. Diese Festlegung hängt nicht davon der rationale Exponent dargestellt ist. √ ab, wie√ ′ ′ ′ Denn angenommen pq = pq′ , so ist ( q a)p = ( q a)p , wie man mithilfe der Potenzgesetze für ganze Exponenten und der Eindeutigkeit der Wurzeln zeigen kann. Ausserdem gilt p a q > 1 für alle p, q ∈ N. √ Denn da die Funktion fp : x 7→ xp und die Funktion gq : x 7→ q x√wie eben bemerkt √ q q beide streng monoton wachsend sind, folgt aus a > 1 zunächst a > 1 = 1 und p √ dann a q = ( q a)p > 1p = 1, wie behauptet. Die Potenzgesetze gelten auch für beliebige rationale Exponenten. Die Exponentialfunktion lässt sich sogar auf beliebige reelle Exponenten fortsetzen. Dazu halten wir zunächst fest, dass die Exponentialfunktion zur Basis a als 34 Kapitel 2. Differentialrechnung in einer Variablen Funktion auf der Menge der rationalen Zahlen Q → Q>0 , x 7→ ax , streng monoton steigend ist. Denn da ar > 1 für alle r ∈ Q>0 , folgt mit dem Potenzgesetz für rationale Exponenten: x<y ⇒ ax < ax · ay−x = ax+y−x = ay für alle x, y ∈ Q. Deshalb ist es sinnvoll, für x ∈ R \ Q zu definieren: ax := sup{at | t ∈ Q, t < x} . Das Supremum existiert, weil die Potenzfunktion streng monoton wachsend ist, und daher die Menge {at | t ∈ Q, t < x} zum Beispiel durch an nach oben beschränkt ist, wenn n eine natürliche Zahl ist, die grösser als x ist. Für jede reelle Zahl a > 1 erhalten wir eine streng monoton wachsende Funktion expa : R → R>0 , x 7→ ax , die auf ganz R definiert ist und nur positive Werte annimmt. Für beliebige Exponenten gilt das bekannte Potenzgesetz: a0 = 1 und ax+y = ax · ay für alle x, y ∈ R. Wie wir gleich genauer begründen werden, ist die Exponentialfunktion stetig und es gilt lim ax = ∞ und lim ax = 0 . x→∞ x→−∞ Eine besonders wichtige Rolle spielt die Exponentialfunktion zur Basis e, der sogenannten Eulerschen Zahl . Wie bereits erwähnt, können wir e definieren durch e := lim (1 + n→∞ Ausserdem gilt: 1 n ) n und ex = lim (1 + n→∞ x n ) n für x ∈ R . ∞ X 1 . e= k! k=0 Mithilfe der Exponentialfunktion können wir, wie schon erwähnt exponentielles Wachstum, aber auch Abklingvorgänge beschreiben. Zum Beispiel wird der Zerfall einer radioaktiven Substanz durch f (t) = K0 e−λt (t ≥ 0) beschrieben. Dabei ist t die Zeit, K0 bezeichnet die zum Zeitpunkt t = 0 vorliegende Menge und λ > 0 ist die Zerfallsrate. Ein Wachstumsprozess, bei dem eine Sättigung eintritt, lässt sich durch eine Funktion der folgenden Form modellieren: f (t) = a(1 − e−λt ) + b (t ≥ 0) . Hier handelt es sich um eine monoton steigende Funktion, die zum Zeitpunkt t = 0 mit dem Wert b startet und für t gegen ∞ den Grenzwert a + b hat. Eine Kombination von Sinus und Exponentialfunktion wird verwendet, um gedämpfte Schwingungen darzustellen: f (t) = Ae−λt sin(ωt + ϕ) (t ≥ 0) . 2.4. Wichtige elementare Funktionen 35 Hier ist λ > 0 eine Dämpfungsrate, und der Faktor e−λt sorgt für eine allmähliche Abnahme der Amplitude der Schwingung, während die Frequenz unverändert bleibt. Schliesslich sei noch die Gausssche Glockenkurve erwähnt. Die Funktion f (x) = a exp(−b(x − x0 )2 ) (x ∈ R) hat tatsächlich die Gestalt einer Glocke, erreicht den Maximalwert a bei x = x0 und konvergiert für x gegen ±∞ gegen 0. Sie wird in der Statistik häufig verwendet und beschreibt dort eine sogenannte Normalverteilung. Die Exponentialfunktion expa : R → R>0 für eine Basis a > 1 ist bijektiv und daher umkehrbar. Die Umkehrfunktion nennt man den Logarithmus loga zur Basis a. Die Funktion loga : R>0 → R ist nur definiert für positive Zahlen und es gilt: aloga (y) = y loga (ax ) = x für alle x ∈ R, y ∈ R>0 . und Der Logarithmus zur Basis e ist der sogenannte natürliche Logarithmus, den wir mit loge = ln bezeichnen. Durch Umkehrung der Potenzgesetze ergibt sich für Logarithmen folgendes Gesetz: loga (1) = 0 , loga (a) = 1 und loga (x · y) = loga (x) + loga (y) für alle x, y ∈ R>0 . Die Logarithmusfunktion ist streng monoton wachsend und es gilt: lim loga (x) = ∞ und x→∞ lim loga (x) = −∞ . x→0 2.4.1 Bemerkung Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Exponentialfunktionen ist folgender: Für jede Basis a > 1 gilt: ax = ex ln a für alle x ∈ R. Beweis. Dies folgt aus den Rechenregeln für Logarithmen, denn für x ∈ R gilt x ln(ax ) = x ln(a) und daher ax = eln(a ) = ex ln a wie behauptet. q.e.d. 2.4.2 Bemerkung Die Exponentialfunktionen und die Logarithmenfunktionen sind stetig. Beweis. Sei a > 1, und betrachten wir expa . Zeigen wir zunächst die Stetigkeit an der Stelle x = 0. In den Übungen wurde bereits gezeigt: √ 1 lim n a = lim a n = 1 . n→∞ n→∞ Sei jetzt (xk )k∈N eine beliebige Nullfolge und ǫ > 0. Dann gibt es einen Index n ∈ N 1 mit a n < 1 + ǫ, und zu diesem n wiederum einen Index k0 mit 0 ≤ |xk | < n1 für alle k ≥ k0 . Weil die Exponentialfunktion streng monoton wachsend ist, folgt daraus 1 1 = a0 ≤ a|xk | < a n < 1 + ǫ für alle k ≥ k0 . 36 Kapitel 2. Differentialrechnung in einer Variablen Das heisst aber gerade lim ax = 1 = a0 . x→0 Die Stetigkeit an einer beliebigen Stelle t ∈ R folgt nun aus dem Potenzgesetz, denn für a > 0 gilt: lim ax = lim at+h = lim (at · ah ) = at · a0 = at . x→t h→0 h→0 Also ist die Exponentialfunktion überall stetig, und dasselbe gilt auch für die Logarithmusfunktion zur Basis a, weil es die dazugehörige Umkehrfunktion ist. q.e.d.