Saquinavir hemmt selektiv HIV-Protease

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P O L I T I K
MEDIZINREPORT
Münchner AIDS-Tage
Saquinavir
hemmt
1:
selektiv HIV-Protease
Bisher konnten nur Nukleosidanaloga die Vermehrung von HI-Viren durch Hemmung der reversen
Transkriptase aufhalten. Inzwischen
ist es gelungen, einen Inhibitor für ein
zweites Schlüsselenzym im Vermehrungszyklus des AIDS-Erregers zu
entwickeln: Der Wirkstoff Saquinavir,
der in den USA seit Dezember 1995
(Invirase®, Hoffman-La Roche) und
in der Schweiz seit Januar 1996 zugelassen ist, blockiert die HIVProtease. Immunstatus und Virusbelastung der Infizierten
bessern sich, besonders unter
Kombinationstherapie
mit
den synergistisch wirkenden
Arzneistoffgruppen. Bisher
wurden etwa 10 000 Patienten
im Rahmen klinischer Studien
mit Saquinavir behandelt.
„Die Protease ist für die
HIV-Vermehrung unentbehrlich,
da sie die langen Polyproteinketten, die infizierte Zellen abgeben, an definierten Stellen spaltet“, erklärte Dr. David Clough, Forschungsleiter von Hoffmann-La Roche in
Welwyn Garden City (Großbritannien) während der 5. Münchner AIDSTage. Ist die Protease durch Saquinavir blockiert, kann die Virusreifung
nicht stattfinden. Chronisch HIV-infizierte Zellen produzieren nichtinfektiöse Viruspartikel; die Neuinfektion von Zellen unterbleibt. Nukleosidanaloga hingegen erschweren
zwar durch Hemmung der reversen
Transkriptase die Neuinfektion von
Zellen, bereits infizierte Zellen produzieren jedoch weiter infektiöse Viren.
In-vitro-Untersuchungen belegen, daß Saquinavir bereits in nanomolaren Konzentrationen die Vermehrung von HIV-1 und HIV-2
hemmt. Da wichtige menschliche Enzyme wie Renin und Pepsin, die wie
die HIV-Protease zur Gruppe der Aspartatproteasen gehören, sehr selten
N-terminal zu Prolin spalten, wirkt
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Saquinavir hochselektiv. Eine Hemmung humaner Proteasen wurde erst
in 10 000fach höheren Konzentrationen nachgewiesen. Die hohe Virusspezifität erklärt die große therapeutische Breite und die gute Ver-
Schematische Darstellung des HIV-1
Abbildung: Abbott
träglichkeit, die klinische Studien bestätigen. Nach Ergebnissen der italienischen Multicenterstudie V 3330 ist
eine Kombinationstherapie mit dreimal täglich 600 mg Saquinavir und 200
mg Zidovudin (AZT) der jeweiligen
Monotherapie überlegen.
Geringes
Resistenzpotential
Mehr Patienten (87 Prozent) sprachen auf die Kombination an, die
CD4-Helferzellzahl der Patienten
stieg deutlicher und länger anhaltend,
die Virusbelastung sank stärker. Resistenzen gegen Saquinavir und AZT
traten unter Kombinationstherapie
seltener auf. Eine Dreifachkombina-
(26) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 13, 29. März 1996
tion von täglich 600 mg AZT, 2,25 mg
Zalcitabin (ddC) und 1 800 mg Saquinavir konnte im Rahmen der
amerikanischen Studie ACTG 229
bei Nukleosidanaloga-vorbehandelten Patienten Viruslast und CD4Zellzahlen günstiger beeinflussen als
die Zweierkombinationen AZT/ddC
und AZT/Saquinavir. Derzeit prüft
die multikontinentale Phase-III-Studie SV 14604 den Effekt der Dreifachkombination AZT/ddC/Saquinavir bei 3 000 unvorbehandelten Patienten.
Nach Einschätzung Dr. Cloughs
wird Saquinavir in der antiretroviralen Therapie den Stellenwert eines
primären oder sekundären Kombinationspartners für Nucleosidanaloga
einnehmen. Die Selektion resistenter Viruspopulationen unter
Saquinavir-Monotherapie verläuft moderat: „Bei weniger als
50 Prozent von 33 Patienten,
die täglich mit 1 800 mg Saquinavir behandelt wurden,
sank die Empfindlichkeit auf
ein Zehntel des Ausgangswertes bei Behandlungsbeginn. Bei kombinierter Gabe
von Saquinavir mit Nucleosidanaloga waren nur bei 22 Prozent der Patienten resistente Viruspopulationen
nachzuweisen“,
berichtete Dr. Helmut Jacobsen von
Hoffmann-La Roche in Basel.
Außerdem ist das Potential Saquinavirs, Kreuzresistenzen mit
anderen Proteaseinhibitoren wie Indinavir oder Ritonavir auszulösen,
gering: Mutationen, die Resistenz gegen Saquinavir hervorrufen, betreffen Aminosäuren an Positionen
der HIV-Protease, die für die Resistenzausbildung gegen andere Proteasehemmer unbedeutend sind. Saquinavir ist schlecht ZNS-gängig und
weist ausgeprägte interindividuelle
Wirkunterschiede auf.
Problematisch ist auch die geringe Bioverfügbarkeit der oralen
Zubereitungsform von Saquinavir
bei einer Tagesdosis von dreimal 600
mg. Derzeit laufen klinische Studien
mit verbesserter Galenik der oralen
Formulierung. Eine weitere Möglichkeit, die Bioverfügbarkeit von Saquinavir durch Dosiserhöhung auf 3 600
beziehungsweise 7 200 mg täglich zu
verbessern, prüft eine Pilotstudie an
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20 Patienten. Neben einer Einnahme
nach dem Essen könnte auch die
kombinierte Gabe von Saquinavir
mit dem Proteaseinhibitor Ritonavir
die Bioverfügbarkeit von Saquinavir
erhöhen, da Ritonavir die hepatische
Metabolisierung von Saquinavir
hemmt. Durch die Inhibition mikrosomaler Leberenzyme sind jedoch
auch Wirkverstärkungen und -abschwächung anderer Arzneistoffe
vorhersehbar.
Orales
Ganciclovir
zur
2:
CMV-Primärprophylaxe
Bei HIV-infizierten Patienten
treten mit einer Inzidenz bis 40
Prozent Zytomegalievirus-(CMV-)induzierte Erkrankungen auf. Oral verfügbares Ganciclovir könnte als Alternative zur parenteralen Induktions- und Erhaltungstherapie mit Ganciclovir oder Foscarnet die Lebensqualität CMV-Infizierter verbessern
und eine Primärprophylaxe für CMVErkrankungen ermöglichen.
Dr. Albrecht Stoehr (Krankenhaus St. Georg in Hamburg) stellte
auf den 5. Münchner AIDS-Tagen aktuelle Studien vor, welche die Wirksamkeit peroraler Ganciclovir-Zubereitungen als primäre oder sekundäre
Prophylaxe für CMV-Erkrankungen
untersuchten. Problematisch ist die
geringe Bioverfügbarkeit solcher
Kapseln von sechs bis neun Prozent;
Einnahme mit Nahrung macht eine
20prozentige Steigerung möglich.
Grundvoraussetzung für Therapieerfolg mit oralem Ganciclovir ist deshalb die Compliance der Patienten,
zwölf Kapseln täglich einzunehmen.
Im Rahmen der AUI-034-Studie
zur Sekundärprophylaxe erhielten 159
Patienten nach parenteraler Induktionstherapie randomisiert sechsmal
täglich eine Erhaltungsdosis von
500 mg Ganciclovir oral oder 5 mg/kg
Körpergewicht parenteral. Obwohl die
Zeit bis zum Progreß einer Retinitis
bei parenteraler Gabe länger war, er-
Anhaltende Virämie
3: bei Hepatitis-C-Infektion
Hepatitis-C-Viren (HCV) sind
wie HI-Viren parenteral übertragbar.
Die Risikogruppen für eine Infektion
überschneiden sich, so daß Doppelinfektionen relativ häufig auftreten.Wie
die HIV-Infektion den Krankheitsverlauf der Hepatitis C beeinflußt,
war Gegenstand der Diskussion im
Verlauf der 5. Münchner AIDS-Tage.
Die Infektion mit HIV und HCV
weist Parallelen auf: Beide Krankheiten verlaufen chronisch aggressiv. Die
kontinuierliche Virusreplikation löst
im Organismus fortwährend Immunantworten aus; daraufhin werden
zwar Antikörper gebildet, diese sind
jedoch ungenügend wirksam. Die Folge ist eine anhaltende Virämie.
Da HI-Viren das Immunsystem
unterdrücken, sind Doppelinfizierte
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mit größeren HCV-Konzentrationen
belastet. Daraus resultiert ein höheres
Ansteckungspotential für Kontaktpersonen.
Hepatitis-C-Viren können durch
lytische Vermehrung in den Hepatozyten Lebergewebe zerstören, wobei
das Ausmaß der Entzündung mit der
Menge viraler RNA in der Leber korreliert. Möglicherweise verursachen
auch virusspezifische zytotoxische TLymphozyten den Zelluntergang.
Welche Rolle Autoantikörper im
Krankheitsgeschehen spielen, ist noch
unklar. Der schubweise Anstieg der
Transaminasenwerte während einer
chronischen Hepatitis C geht oft einher mit erhöhter Konzentration an Virus-RNA im Serum; gleichzeitig tauchen neue Virusvarianten auf.
(28) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 13, 29. März 1996
wies sich auch oral verabreichtes Ganciclovir als wirksame Sekundärprophylaxe der CMV-Retinitis.
Mitentscheidend für das schlechtere Abschneiden der oralen Ganciclovir-Zubereitung war nach Meinung Stoehrs, daß bei einigen Patienten Malabsorptionen auftraten und
daß die Studie nicht verblindet werden konnte: Nichtbeteiligte Ophthalmologen ermittelten für beide Behandlungsarme kürzere rezidivfreie
Zeiten unter Angleichung beider
Gruppen. Dosiserhöhung könnte die
Wirksamkeit weiter steigern.
Nach Zwischenergebnissen der
ICM-GAN-1654-Studie traten bei
CMV-Infizierten (CD4-Lymphozytenzahl < 100/mcl und Vollbild AIDS
oder < 50/mcl ohne AIDS), die dreimal täglich eine Primärprophlaxe von
1 000 mg Ganciclovir peroral erhielten, deutlich seltener CMV-induzierte
Erkrankungen auf als bei der Placebogruppe.
„Durchsetzen wird sich die
Primärprophylaxe nur, wenn es gelingt, ihre Indikation einzugrenzen“,
glaubt Stoehr. Denkbar als Marker für
das Erkrankungsrisiko Infizierter ist
das CMV-Antigen pp65 oder die Polymerasekettenreaktion für CMV.
Internationale Studien belegen
für HIV/HCV-positive Patienten eine
erhöhte Rate an Leberversagen und
Blutungskomplikationen mit fortschreitendem Zusammenbruch des
Immunsystems. Inwieweit eine Interferon-alpha-Therapie die Leberkomplikationen verhindern kann, ist noch
unklar, da hohe HCV-Konzentrationen ein schlechteres Ansprechen auf
Interferon-alpha erwarten lassen.
In verschiedenen Studien sprachen Doppelinfizierte initial vergleichbar auf die Therapie mit Interferon-alpha an. Insbesondere bei
Patienten mit schlechtem Immunstatus traten jedoch häufiger unerwünschte Nebenwirkungen auf,
wurde in München berichtet. Umfassende Untersuchungen, wie häufig
Rückfälle auftreten, fehlen bisher. Ursodeoxycholsäure soll bei Doppelinfizierten mit cholestatischem Verlauf
der Hepatitis C beim Vollbild AIDS
klinische Symptome wie Juckreiz und
Ikterus lindern.
Birgit Strohmaier
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