Prof. Dr. phil. habil. Helmut Willems Luxemburg, den 14.03.2012 Soziologie Université du Luxembourg Faculty of Language and Literature, Humanities, Arts and Education (FLSHASE) Vize Director of Integrative Research Unit on Social and Individual Development (INSIDE) Route de Diekirch L-7220 Walferdange Luxemburg Bestimmungsfaktoren und Probleme der politischen Partizipation von Migranten Stellungnahme für die Enquete-Kommission 16/2 “Bürgerbeteiligung” des Landtages Rheinland-Pfalz; Anhörung 10.03.2012 I. Konzeptionelle Vorbemerkungen Die in den letzten Jahren aufgekommene Forderung nach mehr Partizipationsmöglichkeiten für Migranten muss hinsichtlich der Analyse von Chancen und Grenzen eingebettet werden in die aktuelle Diskussion um Partizipation in westlichen Demokratien generell und die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Partizipationsforschung zu den Faktoren, die eine Partizipationsbereitschaft eher fördern oder eher hemmen. Die Partizipationsforschung hat die Frage nach der Entwicklung der politischen Partizipation in westlichen Demokratien in den letzten Jahren meist mit einem spürbar pessimistischen Unterton behandelt. Die Befunde sprechen einerseits von einem nachlassenden Interesse an Politik, von geringerer Wahlbeteiligung und einem generell geringeren Interesse an politischer Partizipation; andererseits aber auch von großen Unterschieden hinsichtlich der Ausprägung des politischen Interesses und der Partizipationsbereitschaften bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Insbesondere bei Frauen, bei Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, bei sozial schwach integrierten Personengruppen sowie bei Menschen mit Migrationshintergrund wird das Partizipationsverhalten als deutlich schwächer ausgeprägt beschrieben.1 Im Folgenden sollen zunächst zentrale Argumente für eine Stärkung der gesellschaftlichen und politischen Partizipation von Migranten dargestellt werden, bevor aus wissenschaftlicher Perspektive die zentralen Faktoren der Erklärung von Partizipation kurz dargelegt werden. 2 Vor diesem Hintergrund werden dann die Fragen der Enquete-Kommission beantwortet. 1 II. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Migranten – Argumente und Begründungen Partizipation von Die Förderung und Stärkung der politischen Partizipation gehört zum einen zu den zentralen Elementen liberaler Demokratien (Roth 1998)3 und ist damit Ausdruck der demokratischen Kultur und des demokratischen Selbstverständnis eines Landes. Sie ist aber zum anderen auch mit einer Reihe von konkreten Erwartungen und Hoffnungen verbunden, die in der Frage nach der Legitimation und gesellschaftlich Funktion von mehr Partizipation gebündelt werden. Im Folgenden sollen daher einige zentrale Argumente vorgestellt werden, die im Diskurs über die Förderung der politischen Partizipation von Migranten eine wichtige Rolle spielen. (Thränhardt 2010)4 Partizipation der Migranten als Antwort auf die veränderten Bevölkerungsstrukturen in der Einwanderungsgesellschaft Die Stärkung der Partizipation der Migranten ist als eine demokratisch notwendige Reaktion auf die veränderte, heterogene Bevölkerungsstruktur in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu sehen. Aufgrund des Übergangs von einer Zuwanderungs- zu einer Einwanderungsgesellschaft (Bade 2006)5 ist es heute mehr denn je erforderlich, dass Migranten stärker in die politischen und gesellschaftlichen Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Zugleich wächst die Einsicht, dass Migranten produktive Beiträge sowohl für die Entwicklung ihres sozialen Umfeldes als auch für die Entwicklung der Gesellschaft und der Demokratie liefern können. Partizipation als Menschenrecht Ein grundsätzliches Argument für die Förderung und Stärkung der Partizipation von Migranten basiert auf den allgemeinen Menschenrechten und Bürgerrechten. In Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten […] durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken“. Dieser Grundsatz macht die Universalität der Menschenrechte deutlich und liefert damit die umfassendste Form der Begründung der Partizipationsrechte auch von Migranten. Die demokratietheoretische Bedeutung der Partizipation von Migranten Der Partizipation von Migranten kommt auch aufgrund demokratietheoretischer Aspekte verstärkte Aufmerksamkeit zu. Dies insbesondere deshalb, weil sich das Verständnis von Demokratie und Teilhabe in den letzten Jahrzehnten weltweit nachhaltig verändert und weiterentwickelt hat. Konventionelle Formen politischer Partizipation, wie etwa die Teilnahme an Wahlen, wurden durch andere, unkonventionellere Formen wie Demonstrationen, Protestaktionen, Unterschriftensammlungen oder Petitionen erweitert. Auch die neuen Medien haben einen wesentlichen Beitrag zur Veränderung demokratischer Dialog- und Partizipationsformen geleistet. Inzwischen wird ein Großteil der Partizipationsideen und -programme weltweit durch Internetplattformen, Foren, Blogs oder Internetnetzwerke kommuniziert und auch praktisch umgesetzt und vernetzt („e2 partizipation“).6 Die Ausweitung der politischen Beteiligung und die Veränderung der Beteiligungsformen kann nach Roth und Olk (2007) als Teil eines Reformprozesses verstanden werden, der auf die Weiterentwicklung „liberaler Demokratien“ zielt.7 Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Idee, dass die Voraussetzung und die Bedingung für eine moderne, beteiligungsorientierte Demokratie aktive und interessierte Bürger sind. Das heute populäre Konzept der Bürgergesellschaft steht demzufolge für die Vision einer aktiven Gesellschaft, in der ein großer Teil der Bevölkerung sich politisch einmischt, Verantwortung übernimmt und solidarisch handelt. Auch die Migranten werden in diesem Zusammenhang dazu aufgefordert, als Akteure im politischen Gemeinwesen zu agieren, d.h. Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft zu übernehmen und aktiv an den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Gerade in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung, in denen Gesellschaften zunehmend heterogener werden, sich Traditionen und Kulturen stärker miteinander vermischen, ist die Beteiligung der Migranten ein wesentlicher Einflussfaktor für die Generierung einer gemeinsamen zivilen und demokratischen Identität. In diesem Sinne hat die EU die Verbesserung die Migrantenpartizipation als eines ihrer Kernziele definiert, um so die Ausgestaltung und Legitimierung europäischer Erweiterungs- und Erneuerungsprozesse auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen und dadurch zur Förderung und Stärkung einer europäischen Bürgerschaft und eines gemeinsamen europäischen Verständnisses beizutragen. (Cyrus 2008)8 Bildungstheoretische Begründungen der Partizipation von Migranten Die Notwendigkeit zur Förderung von mehr Partizipation für Migranten kann zudem mit pädagogischen und bildungstheoretischen Argumenten begründet werden. Insbesondere die frühe Partizipation von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenmilieus an gesellschaftlichen oder politischen Aktivitäten wird in der Pädagogik als eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung demokratischer und sozialer Kompetenzen und Orientierungen angesehen. Hier werden nicht nur wichtige Kenntnisse vermittelt, sondern auch das Selbstbewusstsein und die Kompetenz der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund entscheidend gestärkt. Die Einrichtungen und Institutionen der politischen Bildung sowie die Schulen und die Jugendarbeit sind besonders gefragt, wenn es um die Unterstützung dieser Lern- und Entwicklungsprozesse und deren Ausrichtung auf Migranten geht. Sie verfügen über ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um jungen Menschen ein zivilgesellschaftliches und demokratisches Selbstverständnis näher zu bringen. Stärkung der gesellschaftlicher Integration und sozialen Kohäsion durch Partizipation von Migranten Angesichts einer zunehmenden ethnisch kulturellen Heterogenität der Bevölkerung in modernen Gesellschaften hat Partizipation vor allem als Integrationsstrategie eine hohe Bedeutung. Der hohe Anteil von Migranten in Deutschland und auch in Rheinland Pfalz führt dazu, dass eine Vielfalt an Kulturen und Traditionen in einer Gesellschaft zusammenleben. Dies hat Folgen für das Zusammenwachsen in einer Gesellschaft und für die Entwicklung 3 eines gemeinsamen Verständnisses von demokratischen Werten. In der politischen Diskussion wurde diese Thematik lange aus einer Problemperspektive heraus diskutiert: Zentrale Themen waren die Gefahr der Bildung von Parallelgesellschaften9, die Aufweichung demokratischer Grundüberzeugungen sowie ethnisch-kulturelle Segregation und soziale Exklusion von gesellschaftlichen Teilgruppen, v.a. von Migranten. Die aktive Förderung der Partizipation von Migranten unterschiedlicher Herkunft (an den sie speziell betreffenden Fragen und Themen aber auch darüber hinaus an den Belangen des Gemeinwesens schlechthin) fördert deren gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung und stärkt damit insgesamt deren Integration. Durch die gemeinsame Erfahrung in demokratischen Partizipationsprozessen können daher die Grundlagen für die Integration der Migranten in die Gesellschaft und für die Entwicklung sozialer Kohäsion und gemeinsamer demokratischer Überzeugungen gelegt werden. Dabei ist soziale Integration nicht mit der einseitigen Anpassung der Migranten an einen bestehenden Wertekanon gleichzusetzen, sondern Ausdruck eines wechselseitigen Lernprozesses. (Willems et al. 2010)10 Damit Menschen unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkunft eine zivile Identität und ein gemeinschaftliches demokratisches Verständnis erwerben können, sind offene Bildungs- und Beteiligungsstrukturen von Nöten, die Wissen über demokratische Prozesse vermitteln und die einen Erfahrungsraum bieten, in dem sich Migranten als Bürger eines weltoffenen und demokratischen Landes wahrnehmen können. III. Partizipation als Untersuchungsgegenstand in Forschung und Wissenschaft – zentrale Faktoren der politischen Partizipation Die Grundfragestellungen der wissenschaftlichen Partizipationsforschung beziehen sich schwerpunktmäßig darauf zu erkunden, in welcher Form, unter welchen Voraussetzungen und aus welchen Gründen Bürger an politischen, aber auch an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen partizipieren. Dabei wird die Bedeutung von individuellen Ressourcen, Einstellungen und Erfahrungen einerseits (Mikroebene), sowie von rechtlichen, sozio-strukturellen und institutionellen Bedingungen andererseits (Makroebene) für die Erklärung unterschiedlich ausgeprägter politischer und gesellschaftlicher Partizipation in allen Studien sichtbar.11 Seit den Studien von Barnes & Kaase (1979) 12 und Jennings et al. (1990)13 werden traditionell-konventionelle Formen der politischen Partizipation (Wahlen, Parteimitgliedschaften usw.) und unkonventionelle Formen der politischen Partizipation (Proteste, Demonstrationen, Petitionen) als komplementäre Strategien der Teilhabe und Mitbestimmung an politischen und sozialen Entscheidungsprozessen behandelt. Dass die Bevölkerung heute über ein breites, über Wahlen weit hinausreichendes Beteiligungsreservoir verfügen, belegt die neuere Partizipationsforschung.14 Der Schwerpunkt der theoretischen Erklärungen zu politischer und gesellschaftlicher Partizipation liegt jedoch nicht in erster Linie bei den strukturellen Anreizen („Incentives“) und Herausforderungen, sondern bei den individuellen Ressourcen jedes Einzelnen. Das durch Verba, Nie und Kim, (1978)15 begründete sozioökonomische Standardmodell 4 politischer Partizipation („SES-Model“) und dessen weiterentwickelte Form („Civic Voluntarism Model“)16 dienen als Instrumente zur Klärung der Frage, inwiefern die individuelle Ressourcenausstattung als wesentliche Bedingung für die politische Beteiligung zu sehen ist. Neben kulturellen Prägungen spielen vor allem soziodemografische Merkmale (wie das Geschlecht, die Altersstruktur), aber vor allem auch Bildungsniveau, Sprachkompetenzen, der soziale Status sowie die soziale und kulturelle Verwurzelung in der Gesellschaft und die damit einhergehende Integrationsbereitschaft eine zentrale Rolle. (Schneider/Willems 2009)17 Dabei spielt neben allgemeinen Faktoren wie Bildungsniveau und Sprachkompetenzen vor allem auch das politische Selbstvertrauen und Kompetenzbewusstsein („internal efficacy“), d. h. das Gefühl, wirkliche Einflussmöglichkeiten zu haben, sowie die Überzeugung von der Responsivität der Politik („external efficacy“) eine zentrale Rolle. (Millbrath 1977)18 Migrantenpopulationen unterscheiden sich hinsichtlich dieser partizipationsrelevanten Faktoren von der einheimischen Bevölkerung: Insbesondere das im Durchschnitt niedrigere Bildungsniveaus, der geringere soziale Status sowie Sprachprobleme und unvollendete soziale Integration spielen hierbei eine zentrale Rolle. Zugleich können wir beobachten, dass Menschen mit einem höheren politischen Selbstvertrauen, also solche, die ihre Einflussmöglichkeiten höher einschätzen, auch das politische System als zugänglicher betrachten. Im Umkehrschluss können soziale und politische Benachteiligungen oder die damit zusammenhängende Unzufriedenheit und Frustration als weniger bedeutsam für politische Beteiligung gewertet werden. Diesen Erklärungsmodellen entsprechend sind es also nicht die gesellschaftlichen Randgruppen oder sozial Benachteiligten und diskriminierten Gruppen, die sich überdurchschnittlich stark politisch beteiligen, sondern diejenigen, die ihr politisches Engagement als positive Erfahrung wahrnehmen.(Roller et al. 2006)19 Zentrale Faktoren zu Erklärung des geringer ausgeprägten Partizipationsverhaltens von Migranten können aber vor allem auf struktureller bzw. rechtlicher Ebene (seitens der Aufnahmegesellschaft) festgestellt werden. Zur Analyse der Partizipationsbereitschaften und Partizipationsprobleme bei Migrantengruppen spielen diese strukturellen Faktoren eine dominante Rolle. Denn Migranten werden in allen europäischen Demokratien nicht die vollen Bürgerrechte zu gestanden. Diese fehlende rechtliche Gleichstellung aufgrund fehlender Staatbürgerschaft reduziert die politischen Partizipationsmöglichkeiten erheblich und wirkt als Signal auch darüber hinaus. Nachdem diese rechtlichen Voraussetzungen mittelfristig nicht zu verändern sind spielen für eine grundlegende Mobilisierung von Migranten zu mehr Partizipation vor allem lokale Partizipationskulturen und die Offenheit administrativer gesellschaftlicher und politischer Institutionen für Migranten vor Ort eine wichtige Rolle. (Roth/Gesemann 2011)20 5 IV. Beantwortung der Fragen der Enquete-Kommission 1. Welche rechtlichen, sozialen, öknomischen und sonstigen Beteiligungshemmnisse sehen Sie hinsichtlich der politischen Partizipation von Einwohnern und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund? Wie können diese Beteiligungshemmnisse Ihrer Meinung nach aufgelöst oder reduziert werden? Welche Maßnamen sind hier zu empfehlen? Wie kann aus Ihrer Sicht der Anteil an Migrantinnen und Migranten in Parteien und Parlament erhöht werden? Rechtliche Hemmnisse und mögliche Maßnahmen Die fehlende Staatsbürgerschaft stellt für die Mehrzahl der Migranten in den jeweiligen Aufnahmeländern das wichtigste formale Hindernis für die Zuerkennung aller Bürgerschaftsrechte (citizenship rights) dar und ist damit das zentrale rechtliche Hemmnis für mehr demokratische und zivilgesellschaftliche Partizipation von Migranten (Thränhardt 2008)21. Dies kann angesichts z.T. großer und dauerhaft bestehender Diskrepanzen zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung hinsichtlich Ihrer politischen Teilhaberechte (in Luxemburg zum Beispiel haben über 43% der Wohnbevölkerung nicht die luxemburgische Nationalität und damit keine vollen Bürgerschaftsrechte) durchaus auch als Ausdruck eines Demokratiedefizits angesehen werden.22 Was sind die Folgen dieser Situation? In Deutschland haben nur eingebürgerte Migranten und deutschstämmige Zuwanderer (Spätaussiedler) das volle Wahlrecht auf allen Ebenen; eingewanderte Bürger aus anderen Ländern der europäischen Union haben es zumindest auf der Ebene der Kommunalwahlen. Migranten aus sog. Drittstaaten (ausserhalb der europäischen Union) ohne deutsche Staatsbürgerschaft besitzen keine politischen Wahlrechte, auch nicht auf kommunaler Ebene, und verfügen damit insgesamt nur über sehr eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten. Das Fehlen dieser Rechte kann in den Fällen, in denen es einen nennenswerten Anteil von Migranten aus Drittstaaten gibt, zu einer Einschränkung bzw. Schwächung der Legitimation der gewählten Repräsentanten der Migranten führen, da diese nicht von einer Mehrheit der Migranten gewählt wurden. 23 Weiterhin kann es zu Spannungen innerhalb der Migrantengruppen führen, wenn sozial integrierte Drittstaatler, die schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, politisch nicht teilhaben dürfen, während frisch eingewanderte EU Bürger politisch durchaus durchaus aktiv werden können. Dies kann Frustration und Resignation hervorrufen und den Integrationsprozess behindern. (Hunger 2010)24 Als Lösungsansatz wird von Ausländerbeiräten zum Beispiel das Anhängen des Kommunalwahlrechtes an die Rechtsstellung zur langfristgen Aufenthaltsberechtigung Drittstaatsangehöriger vorgeschlagen.25 Ein weiterer Lösungsansatz wäre, die Migranten ohne deutschen Pass verstärkt zu einer Einbürgerung zu bewegen. Dies kann zum durch eine verbesserte Mobilisierung und Ermunterung, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, 6 oder durch verbesserte Möglichkeiten einer Doppelstaatsangehörigkeit gelingen. 26 Auf kommunaler Ebene kann das Schaffen einer offenen Willkommensatmosphäre zum Beispiel mit Einbürgerungsfeiern, motivierenden Briefe an langjährige Mitglieder der Gemeinde, die sie zur Einbürgerung ermutigen, hilfreich sein.27 Jedoch gibt es auf dem Weg zur Einbürgerung heute noch weitere Hindernisse. Migrantenorganisationen z.B. proklamieren den seit 2008 durchgeführten Einbürgerungstest als zusätzliches Hindernis.28 Eine weitere Stärkung der Partizipation von Migranten wird darin gesehen, dass den Ausländerbeiräten über ihre beratenden Kompetenzen hinaus direkte Teilhabe in der kommunalpolitischen Entscheidungsfindung zugestanden wird. (Hunger 2010)29 Sozioökonomische Hemmnisse und mögliche Maßnahmen Bislang liegen die Partizipationsraten von Migranten bei Kommunalwahlen meist deutlich unter den Werten für die einheimische Bevölkerung (siehe Abbildung 1: im Anhang). Obwohl sich viele wahlberechtigte Migrant/innen möglicherweise mit der Stadt, in der sie leben, verbunden fühlen, kann die geringere Wahlbeteiligung Ausdruck davon sein, dass sie sich politisch nicht als vollwertige Staatsbürger verstehen und ihnen entscheidende Ressourcen nicht im gleichen Ausmass zur Verfügung stehen wie deutschen Wahlberechtigten. Zentrale Voraussetzungen für Integration und Teilhabe sind das Beherrschen der Landessprache (Esser (2006)30 spricht sogar von “Sprache als Schlüssel der Integration”), kulturelle Kompetenzen und sozialer Status. Diese Voraussetzungen stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. (Esser 2006)31 Die Unterschiede im sozialen Status einer Gesellschaft entstehen durch die unterschiedliche Verteilung der Ressourcen Bildung, Beruf und Einkommen. (Kreckel 2004)32 Integration beginnt im lokalen Umfeld der Migranten, aus diesem Grund können vor allem auf dieser Ebene wichtige Hilfestellungen gegeben werden. Diese Hilfestellungen sollten die Teihabefähigkeit der Zuwanderer an der Gesellschaft fördern, zum Beispiel über Sprachekurse, Informationen oder Fördermaßnamen zum Beschäftigungszugang, Aufbau von Allgemein- und rechtlicher Bildung (z.B. Maßnahmen gegen Diskiminierung).33 Politische Partizipation baut auf der Erfahrung auf, als Einzelpersonen und Vertreter einer Interessengruppe die gesellschaftliche Realität und soziale Lebenswelten aktiv mitgestalten zu können. Viele, gerade junge Menschen mit Migrationshintergrund, haben diese Erfahrung in ihren Elternhäusern und Nachbarschaften nicht erlebt. Hier bedarf es eines verstärkten politischen Bildungsangebots für Migranten, in denen gelernt werden kann, Heterogenität und Unterschiedlichkeit konstruktiv zu bewältigen, gemeinsam etwas zu bewegen und ein neues Wir-Gefühl zu schaffen. Bei der Mobilisierung von Migranten für mehr soziales Engagement und politische Partizipation tragen vor allem auch die politischen Parteien gemeinsam eine hohe Verantwortung. Sie können sich stärker noch interkulturell öffnen und z.B. verstärkt Personal aus Migrantengruppen rekrutieren. Diese sollten auf allen politischen Ebenen aktiv 7 eingebunden werden, statt nur Experten auf dem Gebiet der Migration zu sein.34 Parteien können so besser auch Themen integrieren, die Eingewanderte ansprechen z.B. die Gleichstellung von Migranten in der Gesellschaft.35 Denn viele Migranten geben als Ursache für ihr geringes Engagement an, dass die Parteien ihre Themen zu wenig repräsentieren. (Hunger 2010)36 Zusätzlich sollte sowohl die Wahlbeteiligung von Deutschen mit Migrationshintergrund als auch der Anteil der Mandatsträger/innen mit Migrationshintergrund statistisch erfasst werden. (Monitoring) Diese Beobachtungsdaten sind für die Evaluation und Steuerung von Integrationsprozessen von großer Bedeutung. Das ehrenamtliche und bürgerliches Engagement von Migrantengruppen hat in einer Reihe von Städten in vielen Bereichen, wie zum Beispiel Kultur, Sport, Religion und Bildung die lokale Partizipationskultur vorangebracht. Durch eigene Aktivitäten und Organisationen aber auch durch vielfältige Kooperationen erwerben Migranten hier politische Kompetenz und erlangen praktischen Einfluss. Solche Kooperationen bieten zudem eine zusätzliche Beteiligungschance für die Migranten. Häufig scheitern Migrantenorganisationen aber an finanziellen Hürden und Förderauflagen. Um ein langfristiges, nachhaltigen Wirken dieser zivilgesellschaftlichen Akteure zu gewährleisten, sollen die Kommunen bei dem Aufbau professioneller Strukturen behilflich sein und neben der Projektfinanzierung auch eine Regelfinanzierung ins Auge fassen. Bei der Erfüllung von bestimmten Qualitätsstandards sollten diese Organisationen mit etablierten Vereinen und Wohlfahrtsverbänden gleichgestellt werden. 37 2. Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Reform der Ausländerbeiräte in Rheinland Pfalz zu Beiräten für Migration Integration? Halten Sie diese Auswirkungen für ausreichend? Kommunen sind in den meisten Fällen die erste Instanz politischer Beteiligung von Eingewanderten. Häufigste Formen der Partizipation sind Ausländer- und Migrationsbeiräte, die meist von gewählten Repräsentanten geführt werden; sowie Migrations- und Integrationsausschüsse, die eher durch ausgewählte, für qualifizierte befundene Migranten z.B. von Räten besetzt werden. Beide Formen haben Vor- und Nachteile. Während die demokratische Wahl nicht immer auch qualifizierte und damit effiziente und erfolgreiche Mandatsträger garantiert und die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß gering ist, hat die gesteuerte Auswahl eines Beratergremiums nur begrenzte Legitimation unter der ausländischen Bevölkerung. Gerade für Angehörige von Drittstaaten sind diese Institutionen oft aber die wichtigste Vertretungsinstanz ihrer Interessen. Die Funktionen und Augaben solcher Institutionen könnten ausgeweitet und klarer definiert werden. Wichtige Arbeitsbereiche könnten zum Beispiel die Ausarbeitung konkreter Handlungsziele für innerstädtische Integrationskonzepte sein. Durch solche Aufgaben würde die Akzeptanz dieser Organisationen ingesamt gesteigert 8 und das Interesse an ihrer Arbeit und dem gesellschaftlichen und politischen Geschehen gestärkt. Am 12. November 2008 wurde vom Landtag Rheinland-Pfalz die Reform der Ausländerbeiräte beschlossen. Das Gesetz ist am 01.01.2009 in Kraft getreten. Die "neuen" Beiräte sind nunmehr nicht nur für die ausländischen, sondern auch für die Bevölkerung mit Migrationshintergrund (Eingebürgerte, Doppelstaatler, Spätaussiedler) Ansprechpartner und Interessenvertretung gegenüber der Kommune, in der sie wohnen. Die Anliegen von Migranten werden über diese Organe dem Stadtrat, der Verwaltung und auch der Öffentlichkeit dargelegt. Der Beirat für Migration und Integration kann über alle Angelegenheiten der Migration und Integration beraten.38 Die ursprünglichen Ausländerbeiräte entwickeln sich also in vielfältiger Form weiter: Positiv zu sehen ist, dass nun eingebürgerte Mitglieder der Migrantengruppen, die sich einbürgern lassen und häufig die kompetentesten und integriertesten Mitglieder im Migrantenmilieu darstellen, nicht für die Partizipation verloren gehen. Auch Personen mit Migrationshintergrund dürfen fortan nach ihrer Einbürgerung im Beirat aktiv bleiben. Auch bleiben Gruppen, wie z.B. die Spätaussiedler nicht weiter außen vor. Sie besitzen zwar einen deutschen Pass, haben jedoch genauso mit Integrationshürden zu kämpfen. Weiterhin werden die Beiräte im Hinblick auf ihre kommunale Aufgabe bestärkt und weiter verzahnt. Es sollen bessere Möglichkeiten für Migranten geschaffen werden sich politisch zu engagieren. Analog hat auch das Handlungsfeld der Beiräte zugenommen. Fortan kann über alle Belange von Migration und Integration beraten werden und nicht nur über Belange von Ausländern.39 Zur besseren Zusammenarbeit zwischen Institutionen der Kommune und den Beiräten besteht die Möglichkeit, zusätzlich zu den gewählten Mitgliedern weitere Beiratsmitglieder zu berufen, z.B. Gemeinderatsmitglieder. Diese Regelungen führen zu einer deutlichen Verbesserung der Position und Handlungsfähigkeit der Beiräte. Sie haben sich so aufgestellt, dass Ihre Funktion, selbst bei einer zukünftigen Ausweitung des kommunalen Wahlrechtes auf Drittstaaten, wichtig bleibt. Kritisiert wird aber dennoch, dass den Beiräten keine Entscheidungsrechte zugesprochen wurden, was als ein weiterer Schritt in Richtung multikulturelle Demokratie angesehen wird. 40 3. Wie ist aus Ihrer Sicht die Ausgestaltung der politischen Beteiligungsrechte von Migrantinnen und Migranten in Deutschland im internationalen Vergleich zu beurteilen? Die Zusammenarbeit in Einwanderungs- und Asylfragen stellt eines der Felder der europäischen Integrationspolitik dar und hat sich zu einem der Kernbereiche des europäischen Integrationsprojekts entwickelt. Aufgrund der Souveränitätsansprüche der Mitgliedsstaaten kam es jedoch nur vereinzelt zu gemeinsamen Politiken auf europäischer Ebene. Was die politischen Beteiligungsrechte von Migrangen angeht, so gibt es eine nach wie vor Vielzahl verschiedener Regelungen über die Mitgliedstaaten hinweg. (Koopman et 9 al. 2005)41 Die nachfolgenden Ausführungen sollen die Heterogenität in diesen Regelungen andeuten. Nach Artikel 19 Absatz 1 des EG-Vertrags und Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 94/80/EG können Mitgliedstaaten Ausnahmen von den im Vertag von Mastricht geregelten aktiven und passiven Wahlrechten für EU Bürger vorsehen, wenn der Anteil der Unionsbürger im Wahlalter, die ihren Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, 20% aller Unionsbürger im Wahlalter mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat überschreitet. Luxemburg hat unter Hinweis darauf, dass der Anteil der ausländischen Unionsbürger im Wahlalter mit Wohnsitz in Luxemburg mehr als 40% der Gesamtzahl der Wohnbevölkerung beträgt, als einziger Mitgliedstaat bislang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das Wahlrecht ist hier beschränkt auf ausländische Unionsbürger, die mindestens fünf Jahre vor Eintragung ihren rechtmäßigen Wohnsitz im luxemburgischen Hoheitsgebiet hatten. Seit dem Jahr 2005 dürfen aber auch Drittstaatler ihre Stimme bei Kommunalwahlen abgeben, vorausgesetzt, sie leben seit mindestens fünf Jahren im Großherzogtum. (Bauer 2008)42 In Luxemburg werden weiterhin soziale Wahlen durchgeführt, um die Bedürfnisse der hier arbeitenden, nicht luxemburgischen Staatsbürger, zu repräsentieren. In Fachkammern und Gesundheits- und Fürsorgefonds sind solche Wahlen üblich. Alle die in Luxemburg arbeiten, dürfen an diesen Wahlen teilnehmen, unabhängig von Nationalität und Ausfenthaltsdauer im Land. 43 In Belgien können Migranten aus Nicht-EU-Staaten, nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen, seit 2006 an allen Wahlen teilnehmen. Voraussetzung ist eine gültige Aufenthaltsgenehmigung für mindestens 1 bis 5 Jahre mit Verlängerungsoption. Weiterhin müssen sie sich 5 Jahre legal in Belgien aufgehalten haben. Vor den Wahlen versuchen die Migrantenorganisationen, die Migranten auf Ihre Rechte aufmerksam zu machen und zur Wahlbeteiligung motivieren. 44 In Italien gibt es zwei verschiedene Beteiligungsformen für Migranten auf lokaler Ebene. Erstens eine beratende Institution, deren Mitglieder von den ansässigen Migranten direkt gewählt werden. Sie beraten die Politik und können eingeladen werden, im Parlament zu beraten. Zweitens eine Art Ausländerbeirat (Consigliere Aggiunto), der an jeder Sitzung des kommunalen Parlamentes teilnehmen darf. Die Anzahl dieser Ausländerbeiräte ist abhängig von der Größe der Gemeinde und dem Anteil an Migranten in der Gemeinde.45 Die Niederlande führten 1985 ein neues Gesetz zur Staatsbürgerschaft ein. Dieses erleichterte das Erlangen der Staatsbürgerschaft für Migranten der zweiten Generation. Kinder von Zugewanderten, die in den Niederlanden geboren worden sind, können seitdem zwischen ihrem 18. und 25. Lebensjahr entscheiden, ob sie die niederländische Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Die dritte Generation von Einwanderern (somit die zweite Generation von Kindern, die in den Niederlanden geboren wurden) erhält die niederländische Staatsbürgerschaft bei der Geburt automatisch. Einwanderer können sich nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in den Niederlanden einbürgern lassen. Diese Zeit wird auf drei Jahre reduziert, wenn 10 eine Person, die eingebürgert werden möchte, mit einem niederländischen Staatsbürger verheiratet ist. Bis zum Jahre 2003 waren die EinbürgerungsAnforderungen an die Einwanderer äußerst gering: Antragsteller auf Einbürgerung mussten lediglich vorweisen, dass sie keine erheblichen Vorstrafen hatten und mussten einen verhältnismäßig anspruchslosen mündlichen Sprachtest absolvieren. Die niederländische Regierung förderte in den 1980er und 1990er Jahren nicht nur die Einbürgerung, sondern organisierte auch immer wieder öffentliche Kampagnen, welche die Einwanderer ermutigen sollten, sich einbürgern zu lassen. Im Zuge der allgemeinen Verschärfung der Zuwanderungspolitik in den letzten Jahren sind aber auch die Bedingungen, die an eine Einbürgerung geknüpft sind, strenger geworden. Die Anerkennung der Staatsangehörigkeit wird nicht mehr als ein Prozess betrachtet, der die Integration beschleunigt, sondern als Belohnung für Einwanderer, die sich durch eine bereits erfolgreiche Integration als der Staatsbürgerschaft würdig erwiesen haben. Um prüfen zu können, wie erfolgreich ein Antragsteller bereits in die Gesellschaft integriert ist, wurde 2003 ein offizieller Einbürgerungstest eingeführt. Nach Einführung dieses strengeren Einbürgerungstests ist die Einbürgerungsrate bis 2005 auf 3,1 % gesunken (siehe Abbildung 2: im Anhang) Im Januar 1992 wurde die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Dies führte zu einem Anstieg der Einbürgerungsrate. Dennoch blieb das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft höchst umstritten, und somit wurde im Oktober 1997 die Auflage wieder eingeführt, dass Einwanderer ihre alte Staatsbürgerschaft aufzugeben haben. Auch dies hatte ein Abfallen der Einbürgerungsrate zur Folge. Was die politischen Rechte angeht, so haben Zuwanderer, die keine niederländischen Staatsbürger sind, nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthaltes die Möglichkeit, an Wahlen auf kommunaler Ebene teilzunehmen. In den Niederlanden gibt es weiterhin eine große Zahl von Stadträten, in denen Abgeordnete mit Migrationshintergrund vertreten sind, unter ihnen auch einige, die keine niederländische Staatsbürgerschaft besitzen. 46 Schweden: Nach dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) ist primär die Staatsangehörigkeit der Eltern entscheidend dafür, welche Staatsangehörigkeit ihr Kind bei der Geburt bekommt. Dieses Abstammungsprinzip wird heute ergänzt um Elemente des Territorialprinzips (ius soli), sowie die Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit nachträglich zu erwerben. Wer als Ausländer seinen Wohnsitz seit mindestens fünf Jahren in Schweden hat, volljährig ist, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und keine Straftaten begangen hat, kann die schwedische Staatsangehörigkeit beantragen. Sprachkenntnisse, spezielle Kenntnisse der Staatsund Gesellschaftsordnung oder auch Einkommensnachweise werden nicht verlangt. Für bestimmte Nationalitäten gelten sogar Ausnahmen: Staatenlose Personen oder anerkannte Flüchtlinge können bereits nach vier Jahren einen Antrag auf die schwedische Staatsbürgerschaft stellen. Dänen, Finnen, Isländer und Norweger können dies sogar schon nach zwei Jahren Aufenthalt. Während das frühere schwedische Recht keine doppelten Staatsbürgerschaften zuließ, dürfen Ausländer seit 2001 ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft behalten, wenn sie die schwedische 11 annehmen. Viele Gemeinden halten heute feierliche "Einbürgerungszeremonien" am Nationalfeiertag ab. 47 Anders als in jedem anderen europäischen Staat hat Irland bis 2005 jedem die Staatsbürgerschaft erteilt, der auf seinem Staatsboden geboren wurde (das jus soliPrinzip). Nach dem 1. Januar 2005 jedoch hat ein in Irland geborenes Kind ausländischer Eltern nicht mehr automatisch ein Anrecht auf die irische Staatsbürgerschaft, wenn sich nicht mindestens ein Elternteil für mindestens drei Jahre vor der Geburt des Kindes legal in Irland aufgehalten hat. Alle ausländischen Staatsbürger in Irland können einen Einbürgerungsantrag stellen. Neben verschiedenen anderen Voraussetzungen müssen Antragsteller nachweisen, dass sie ein Jahr vor dem Antrag ohne Unterbrechung in Irland gelebt und sich während mindestens vier der acht vorhergehenden Jahre in Irland aufgehalten haben. Dabei liegt es allein im Ermessen des Justizministers, ob die Einbürgerung bewilligt wird oder nicht. Für die ausländischen Ehegatten von irischen Staatsbürgern sind die Bedingungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer weniger streng, aber ein absolutes Anrecht auf irische Staatsbürgerschaft durch Eheschließung wurde abgeschafft. Politisch erlaubt Irland seinen Zuwanderern eine weitreichende Teilnahme am politischen Leben auf Lokalebene. Irland gilt in dieser Hinsicht als beispielhaft. Alle ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Irland aufhalten (inklusive Arbeitserlaubnisinhaber, Asylbewerber und Studenten), dürfen an Kommunalwahlen teilnehmen, wenn sie am 1. September im Jahr vor der Wahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Irland hatten. Bei den letzten Wahlen 2009 hatten alle Parteien außer der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin auch Kandidaten mit Migrationshintergrund aufgestellt. 48 In Frankreich geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten mit vollendetem 18. Lebensjahr automatisch die französische Staatsangehörigkeit. Im Ausland geborene und in Frankreich lebende Personen können die französische Staatsangehörigkeit erwerben, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen einen Mindestaufenthalt von fünf Jahren vorweisen können und über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. (Bauer 2008)49 Alle Menschen, die im Vereinigten Königreich Großbritanniens als Kinder von dauerhaften Bewohnern oder anerkannten Flüchtlingen geboren werden, erhalten bei der Geburt die britische Staatsbürgerschaft. Alle anderen können sich nach drei Jahren Ehe mit einem britischen Staatsbürger oder nach fünf Jahren legalem Aufenthalt im Vereinigten Königreich einbürgern lassen. Das Prinzip der doppelten Staatsbürgerschaft ist akzeptiert. Im Jahr 2005 hatten schätzungsweise 61 % aller Menschen, die nicht im Vereinigten Königreich geboren wurden und dort mehr als sechs Jahre gelebt hatten, die britische Staatsbürgerschaft angenommen. Seit 2005 müssen zukünftige Staatsbürger sowohl einen Einbürgerungstest bestehen als auch einen Sprachtest. Seit dem Jahr 2007 müssen auch Zuwanderer, die sich um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bewerben, diese Anforderungen erfüllen.50 Die automatische Einbürgerung von im Land geborenen Kindern nach dem ius soli hat 12 dazu geführt, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht-britischer Abstammung bereits über die britische Staatsbürgerschaft verfügt. (Bauer 2008)51 Alle Personen, die in den USA geboren werden, erhalten automatisch die USStaatsbürgerschaft. Menschen, die keine gebürtigen US-Staatsbürger sind, können die Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erhalten, müssen jedoch eine Reihe von Kriterien erfüllen. Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein, mindestens fünf Jahre in den USA gelebt haben (drei Jahre, wenn die Person mit einem US-Staatsbürger verheiratet ist) und dürfen nicht vorbestraft sein. Außerdem muss ein Bewerber ausreichende Englischkenntnisse sowie Kenntnisse der Geschichte und des Regierungssystems der USA in einem Einbürgerungstest nachweisen.52 Kommunales Wahlrecht für nicht eingebürgerte Migranten ist in einigen Staaten erlaubt. (Thränhardt 2008)53 In Deutschland ist die Regelung der politischen Partizipationsrechte für Einwanderer aus Drittstaaten im europäischen Vergleich immer noch eher restriktiv. Für sie bleibt bist Dato der Ausländerbeirat oder Integrationsbeirat als einzige Partizipationsmöglichkeit. (Hunger 2010)54 Andere europäische Länder koppeln die kommunalen Wahlrechte jedoch nicht mehr an eine EU-Staatsbürgerschaft, sondern an eine bestimmte legale Aufenthaltsdauer im Land. Eine Lockerung der Beteiligungsregeln für nicht EU Bürger auf kommunaler Ebene ließe auf ein höheres Engagement seitens der Migranten hoffen. Eine weitere Erfahrung zeigt, dass immer dann, wenn die Vergabe der Staatsbürgerschaft an strengere Einbürgerungstests gebunden wird, die Einbürgerungsrate sinkt. Daher werden die Einbürgerungstests in Deutschland von den Ausländerbeiräten auch als Hemmnis ausgewiesen und kritisch hinterfragt. Die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft hat hingegen deutlich positive Effekte auf die Einbürgerungsrate55 , wie am Beispiel der Niederlande empirisch nachvollzogen werden kann. Obwohl die Geschichte der gegenwärtigen Migration in Deutschland vor mehr als 50 Jahren mit der Anwerbung der ersten “Gastarbeiter” beginnt haben wir eine mehr oder weniger systematische, nationale Integrationspolitik erst seit Ende der 90er Jahre. Mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 2000, dem Zuwanderungsgesetz von 2005, dem nationalen Integrationspaln von 2007, der Antidiskriminierungspolitik etc. lassen sich wichtige “Meilensteine” (Heckmann 2010)56 dieser Entwicklung benennen. Doch die jahrzehntelange Weigerung, eine reale Einwanderungssituation auch als solche zu akzeptieren, kann nicht mit einem völligen Fehlen jeder Integrationsanstrengung und Integrationspolitik gleichgesetzt werden. (Heckmann 2010)57 Sowohl auf der Ebene der sozialstaatlichen Politik wie auch auf betrieblicher, gewerkschaftlicher, kirchlicher und kommunaler Ebene sowie bei den Wohlfahrts-Verbänden wurden die Belange der Migranten aufgenommen und Unterstützungs- sowie Integrationsmassnahmen angeboten. Bade und Münz, (2000) 58 haben für diese paradoxe Situation, “dass positive Effekte sozialstaatlicher (und gesellschaftlicher; der Autor) Integration durch den Mangel an rechtlicher Integration ...kontakariert wurden”, (Heckmann 2010)59 die schöne Formel von der “appelativen Verweigerung und pragmatischen Integration” gefunden. Ihre Auswirkungen auf die Integrationsbereitschaft von Migranten wie von “Einheimischen” sind bis heute zu spüren. 13 Gleichwohl hat die Integrationspolitik und das Bewusstsein von ihrer Notwendigkeit in den letzten Jahren einen enormen Aufwind bekommen. Neben nationalen und europäischen Gesetzesvorgaben, Regelungen und Impulsen sind dabei insbesondere die Anstrengungen auf lokaler Ebene hervorzuheben. Mit einer Fülle von Massnahmen, Projekten, Initiativen und lokalen Aktionen hat die kommunale Integrationspolitik sich als eine tragende Säule der Integration erwiesen. Sie wird auch im Hinblick auf die politische Partizipation von Migranten am ehesten in der Lage sein, schnelle und hilfreiche Antworten auf diese drängende Frage zu geben. 14 Anhang: Abbildung 1: Kommunale Wahlbeteiligung in Deutschland Berlin 68 Hamburg 70 67 64 71 69 64 56 24 22 18 1995 1999 26 22 2001 2006 19 1997 2001 Bremen 63 62 59 2004 22 16 2003 2008 54 52 50 18 17 15 Stuttgart 27 1999 18 2007 Deutsche 1999 2004 15 2009 EU Ausländer Quelle: Eigene Erstellung anhand von Daten von Andreas Wüst (2010): Wahlrecht von Migranten bedeutet nicht automatisch bessere Integration. 15 Abbildung 2: Einbürgerungsrate in den Niederlanden Einführung doppelte Abschaffung doppelte Staatsbürgerschaft Staatsbürgerschaft Quelle: http://www.bpb.de/popup/popup_bild.html?guid=VBM0IR 16 Quellen: 1 Niedermayer, O.; Westle, B. (Hrsg.) (2000): Demokratie und Partizipation, Wiesbaden. 2 Für Unterstützung und kritische Kommentare möchte ich mich herzlich bedanken bei Dipl. Kfm. Jean Philippe Décieux, Prof. Dr. Dieter Ferring und Dipl. Soz. Andreas Heinen von der Universität Luxemburg. 3 Roth, (1998): Neue soziale Bewegungen und liberale Demokratie, in: Forschungsjournal neue Bewegungen, 1, 1998. 4 Thränhardt, D. (2010): Integrationsrealität und Integrationsdiskurs, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 46-47, 2010, S.16-21. 5 Bade, K. J. (2006) Integration und Politik - aus der Geschichte lernen?, in ApuZ, Aus Politik und Zeitgeschichte, 40-41, 2006. 6 Maier-Raber, U; Hartwig, C (2006): e-Partizipation-”Jugend aktiv”. Salzburg: ICT & S Center der Universität Salzburg. 7 Roth, R & Olk, T (2007): Mehr Partizipation wagen: Argumente für eine verstärkte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Gütersloh. 8 Cyrus, N. (2008):Politische Integration von Einwanderinnen und Einwanderern. 9 Parallelgesellschaften?, ApuZ Themenheft, Aus Politik und Zeitgeschichte 1-2/2006. 10 Willems et al (2010): Integrations und Partizipationsdefizite von Jugendlichen mit Mingrationshintergrund, in: Rapport national sur la situation de la jeunesse au Luxembourg / Nationaler Bericht zur Situation der Jugend in Luxemburg, Luxembourg, S.148ff. 11 Filsinger D. (2008): Bedingungen erfolgreicher Integration Integrationsmonitoring und Evaluation, Bonn, S.8ff. 12 Barnes, S.H., & Kaase, M. (1979): Political action: Mass participation in five western democracies, Beverly Hills. 13 Jennings, M. K.; van Deth, J. W. (1990): Continuities in Political Action: A Longitudinal Study of Political Orientations in Three Western Democracies, Berlin. 14 Jennings, M. K.; van Deth, J. W. (1990): Continuities in Political Action: A Longitudinal Study of Political Orientations in Three Western Democracies, Berlin. 15 Verba, S.; Nie, N. H.; Kim, J. O. (1978): Participation and Political Equality: A Seven-Nation Comparison, Cambrigde. 16 17 Verba et al (1995): Voice and Equality, Civic Voluarism in American Politics, Cambridge, S.605ff. Schneider, M.; Willems, H. (2009). Youth Participation, globalisation and democracy. coyote Youth Partnership, (14), S.39-42. 18 Milbrath, L. W.; Goel, M. (1977): Political Participation: How and Why Do People Get Involved in Politics, Chicago, S.57. 19 Roller, E.; Brettschneider, F.; van Deth, J. W. v. (2006): Jugend und Politik: “Voll normal!”: Der Beitrag der politischen Soziologie zur Jugendforschung. Wiesbaden. 20 Roth, R./Gesemann, F. (2011): Kommunale Integrationspolitik. Probleme, Konzepte, Strategien und Erfolge in der Integration von Zuwanderern in : Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, Bonn. 21 Thränhardt, D. (2008): Einbürgerung. Rahmenbedingungen , Motive und Perspektiven des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit, Bonn, 51 S. 22 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.9. 23 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.8f. 24 Hunger, Uwe (2010): Politische Partizipation der Migranten in der Bundesrepublik. Deutschland und über die deutschen Grenzen hinweg, Münster, S.16ff. 17 25 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.9. 26 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.10. 27 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.10. 28 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.9. 29 Hunger, Uwe (2010): Politische Partizipation der Migranten in der Bundesrepublik. Deutschland und über die deutschen Grenzen hinweg, Münster, S.16ff. 30 Esser (2006): Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Migration, Sprache und Integration, Berlin, S.1. 31 Esser (2001): Arbeitspapiere-Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: Integration und ethnische Schichtung, Nr.40, S.22ff. 32 (AKI). Kreckel (2004): Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt, S.100f. 33 Mitteilung der Kommision an das Europäische Parlament von 20.07.2011, Brüssel, S.5. 34 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.3. 35 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.7. 36 Uwe Hunger(2010): Expertise im Auftrag Citizenship&Partizipation, Münster, S.2. 37 Empfehlungen des kommunalen Qualitätszirkel zur Integrationspolitik “Politische Partizipation in Deutschland” Dezember 2010, Stuttgart, S.21. 38 http://www.integration-koblenz.de/index.php?id=entstehung 39 Rheinland Pfalz (2009): Treffpunkt, Magazin für Migration und Integration, Mainz, S.5. 40 Rheinland Pfalz (2009): Treffpunkt, Magazin für Migration und Integration, Mainz, S.5. 41 Koopmann, R. et al. (2005): Contested Citizenship: Immigration and Cultural Diversity in Europe. Minneapolis. 42 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Bauer (2008): Das kommunale Ausländerwahlrecht im europäischen Vergleich, Bonn, S.3ff. 43 NGO: Politicy briefing on the civic and political participation of Refugees and Migrants in Europe, S.4. 44 NGO: Politicy briefing on the civic and political participation of Refugees and Migrants in Europe, S.4. 45 NGO: Politicy briefing on the civic and political participation of Refugees and Migrants in Europe, S.4. 46 Bpb, Focus Migration (2007): Niederlande, Hamburg. 47 Bpb, Focus Migration (2009): Schweden, Hamburg. 48 Bpb, Focus Migration (2010): Irland, Hamburg. 49 Bauer (2008): Das kommunale Ausländerwahlrecht im europäischen Vergleich, Bonn. 50 Bpb, Focus Migration (2007): Vereinigtes Königreich. 51 Bauer (2008): Das kommunale Ausländerwahlrecht im europäischen Vergleich. 52 Bpb, Focus Migration (2006): Die Vereinigten Staaten von Amerika, Hamburg. 53 Thränhardt (2008): Komunales Wahlrecht für Ausländer, Anhörung des Deutschen Bundestages. 54 Hunger, Uwe (2010): Politische Partizipation der Migranten in der Bundesrepublik.Deutschland und über die deutschen Grenzen hinweg, Münster, S13. 18 55 Bpb, Migration und Integration (2010): Newsletter, Ausgabe 10, Berlin. 56 Heckmann, F. (2010): 50 Jahre Integrationspolitik in Deutschland?, in:efms paper 2010, 5. 57 Heckmann, F. (2010): 50 Jahre Integrationspolitik in Deutschland?, in:efms paper 2010, 5. 58 Bade, K.; Münz, R. (Hrsg.) (2000) : Migrationsreport 2000, Frankfurt. 59 Heckmann, F. (2010): 50 Jahre Integrationspolitik in Deutschland?, efms paper 2010, 5. 19