Vorlesung Sommersemester 2017: Geschichte der deutschen Literatur II: Goethezeit. Iphigenie und Penthesilea, Goethe oder Kleist Goethe: Landschaft bei Rom Goethes Italienische Reise: Begegnung mit der griechisch-römischen Antike mit der Renaissance (Benvenuto Cellini) mit der gegenwärtigen italienischen Volkskultur (Das römische Carneval) – auf Winckelmanns Spuren „Seine Frauen sind gut. Es ist aber auch das einzige Gefäß, was uns Neueren [d.h. Modernen, nicht mehr Antiken] noch geblieben ist, um unsere Idealität hineinzugießen. Mit den Männern ist nichts zu tun.“ Goethe zu Eckermann, 5. Juli 1827 über Lord Byrons Frauengestalten Iphigenie: „Ich bin so frei geboren als ein Mann.“ „Olympier … Rettet mich / Und rettet euer Bild in meiner Seele!“ ‚Alle Menschen werden Schwestern.‘ Goethes Prosa-Iphigenie (1779) nach Euripides und ihre Neufassung in Versen (1786/87) Februar / März 1779 Niederschrift 6. April 1779 Uraufführung, Weimarer Liebhabertheater 1780 Versuch einer Vers-Bearbeitung in Jamben 1781 neuer Versuch einer Prosa-Umarbeitung 1786 bereits vor der Abreise, von Herder ermutigt, Beginn der 4. Fassung; Ausarbeitung in Italien 1787 Fertigstellung der Versfassung in Rom Drei klassische Forschungsbeiträge: • Theodor W. Adorno, Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie • Wolfdietrich Rasch, Goethes „Iphigenie auf Tauris“ als Drama der Autonomie • Gerhard Neumann, „Reine Menschlichkeit“. Zur Humanisierung des Opfers in Goethes „Iphigenie“. Uraufführung der Iphigenie Weimar, 6. April 1779: Corona Schröter als Iphigenie, Goethe als Orest „Nie werde ich den Eindruck vergessen, den er als Orestes im griechischen Kostüm in der Darstellung seiner Iphigenia machte; man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit an einem Manne, als damals an Goethe.“ (Carl Wilhelm Hufeland) Shakespeare – Götz Euripides, Aischylos – Iphigenie Wandel der dramaturgischen Formensprache unter dem Einfluss Wielands und v. a. Herders, als Markierung historisch-kultureller Differenz: „Stimmen der Völker in Liedern“ Gluck 1799 nach Racine um 1670: Iphigène en Tauride, tragédie en cinq actes, tout à fait selon les règles Goethe vs. Racine: Griechen als Griechen, aber aus ‚moderner‘ (‚romantischer‘) Distanz – das Drama als Synthese aus Antike und Moderne, Mythos und Psychologie Die klassische Form – und der Prozess ihrer Erreichung „Personen: Iphigenie Thoas, König der Taurier Orest Pylades Arkas Schauplatz: Hain vor Dianens Tempel.“ Und kein Chor – also: keine ‚Öffentlichkeit‘. (Iphigenie als „Seelendrama“.) Iphigenie als Psychodrama: das Metrum als Medium semantisiert als Ausdruck labilen, gestörten und stabilisierten Gleichgewichts der Kräfte – der seelischen, sozialen, religiösen. Fünfhebige Jamben als (neues) ‚klassisch‘ konnotiertes Maß: ◡ – ◡ – ◡ – ◡ – ◡ – (◡) Iphigenie (I/1): Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil‘gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttin stilles Heiligtum, Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte, Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer steh ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele suchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brausend mir herüber. Orest (II/1) über den Geschlechterfluch der Tantaliden: Es ist der Weg des Todes, den wir treten: Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller. Als ich Apollen bat, das gräßliche Geleit der Rachegeister von der Seite Mir abzunehmen; schien er Hülf und Rettung Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester, Die über Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen, Gewissen Götterworten zu versprechen; Und nun erfüllet sich‘s, daß alle Not Mit meinem Leben völlig enden soll. Wie leicht wird‘s mir, dem eine Götterhand Das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt, Dem schönen Licht der Sonne zu entsagen. … Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater Als Opfertier im Jammertode bluten: So sei es! … Iphigenie (III/1): Unglücklicher, ich löse deine Bande Zum Zeichen eines schmerzlichern Geschicks. Die Freiheit, die das Heiligtum gewährt, Ist, wie der letzte lichte Lebensblick Des schwer Erkrankten, Todesbote. Noch Kann ich es mir und darf es mir nicht sagen, Daß ihr verloren seid! Wie könnt ich euch Mit mörderischer Hand dem Tode weihen? Und niemand, wer es sei, darf euer Haupt, Solang ich Priesterin Dianens bin, Berühren. … Iphigenie: – Sage mir Vom Unglücksel‘gen! Sprich mir von Orest! – Orest: O könnte man von seinem Tode sprechen! Wie gärend stieg aus der Erschlagnen Blut Der Mutter Geist ◡ – ◡ – / – – – – Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu: „Laßt nicht den Muttermörder entfliehn! – ◡ ◡ – ◡ – ◡ ◡ – Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!“ ◡ – ◡ ◡ – ◡ ◡ – ◡ ◡– Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick Mit der Begier des Adlers um sich her. Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen, Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten, Der Zweifel und die Reue, leis herbei. … Iphigenie: Unseliger, du bist in gleichem Fall Und fühlst, was er, der arme Flüchtling, leidet! Orest: Was sagst du mir? Was wähnst du gleichen Fall? Iphigenie: Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir Vertraute dies dein jüngster Bruder schon. Orest: Ich kann nicht leiden, daß du große Seele Mit einem falschen Wort betrogen werdest. Ein lügenhaft Gewebe knüpf ein Fremder Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwischen uns Sei Wahrheit! – – – Ich bin Orest! und dieses schuld‘ge Haupt Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod; In jeglicher Gestalt sei er willkommen! … Iphigenie: Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen? Orest: Spar es für einen Freund der Götter auf. Iphigenie: Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht. Orest: Durch Rauch und Qualm seh ich den matten Schein Des Totenflusses mir zur Hölle leuchten. … Iphigenie: Soll nicht der reinen Schwester Segenswort Hülfreiche Götter vom Olympus rufen? … Iphigenie: Orest, ich bin‘s! Sieh Iphigenien! Ich lebe! Orest: Du! Iphigenie: Mein Bruder! Orest: Laß! Hinweg! ... Orest: Seid ihr auch schon herabgekommen? ◡ – ◡ – ◡ – ◡ – ◡ Wohl, Schwester, dir! Noch fehlt Elektra: Ein güt‘ger Gott send uns die eine Mit sanften Pfeilen auch schnell herab. ◡ – ◡ – ◡ ◡ – ◡ – Dich, armer Freund [Pylades], muß ich bedauern! Komm mit! komm mit! zu Plutos Thron, [: in die Totenwelt] Als neue Gäste den Wirt zu grüßen. Iphigenie: Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel Das schöne Licht bei Tag und Nacht herauf Den Menschen bringet und den Abgeschiednen Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geschwister! [Apoll und Diana]… Orest zu Iphigenien: Laß mich zum erstenmal mit freiem Herzen In deinen Armen reine Freude haben! ◡ – ◡ – ◡ – ◡ – ◡ – ◡ Die Versfassung der Iphigenie als Verwirklichung des Ideals der „Weimarer Klassik“ • Konflikte des „Sturm und Drang“ • werden im Rückgriff auf normativ gesetzte (aber tatsächlich aufklärerisch transformierte) klassisch-antike Modelle bearbeitet • in der Etablierung einer kommunikativen Ethik („zwischen uns sei Wahrheit“) in sozialer und psychologischer Perspektive, vgl. Stella • in der Humanisierung des Mythos („Alle menschlichen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit“, das Götterbild „in meiner Seele“) • in der Verbindung klassizistischer (Winckelmann) und pietistischer Leitbilder (die „schöne Seele“) • und in selbstreflexiver Funktionalisierung der Kunst selbst: die „ästhetische Erziehung“ (Schiller) wird in der Semantisierung der strengen Form implizit thematisiert (dabei ist die metrische Form ihrerseits ebenso modernisiert wie die dramaturgische: Blankverse statt klassisch-griechischer Metren, fünfaktiges Schauspiel mit gutem Ausgang anstelle der griechischen Tragödie – und gegen sie) Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht, Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen Und können sie brauchen, Wie‘s ihnen gefällt. Der fürchte sie doppelt, Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. Erhebet ein Zwist sich, So stürzen die Gäste Geschmäht und geschändet In nächtliche Tiefen Und harren vergebens, Im Finstern gebunden, Gerechten Gerichtes. → Iphigenies „Parzen-Lied“: Klassisches Echo der frühen Sturm-und-DrangHymnen Sie aber, sie bleiben In ewigen Festen An goldenen Tischen. Sie schreiten vom Berge Zu Bergen hinüber; Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Atem Erstickter Titanen, Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölke. Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge Von ganzen Geschlechtern Und meiden, im Enkel Die ehmals geliebten Still redenden Züge Des Ahnherrn zu sehn. → So sangen die Parzen; Es horcht der Verbannte In nächtlichen Höhlen, Der Alte, die Lieder, Denkt Kinder und Enkel Und schüttelt das Haupt. Selbstkritik Goethes am klassischen Programm der Iphigenie: „…es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolda hungerte.“ (An Charlotte von Stein, 6. März 1779.) „ganz verteufelt human“ (an Schiller, 19. Februar 1802) Heinrich von Kleist (Frankfurt/Oder 1777Berlin 1811) 1777 geb. in Frankfurt / Oder als Sohn eines Majors aus alter preußischer Adelsfamilie 1792 Beginn des Militärdienstes. 1799 Abschied vom Militär; Beginn des Studiums. 1800 Aufgabe des Studiums. Verlobung mit der Offizierstochter Wilhelmine von Zenge. 1802 Verlobung aufgelöst. 1801-02 Reisen nach Paris und in die Schweiz. 1802/03 Wieland, Weimar. Reisen, Bemühen um Aufnahme in Napoleons Armee. 1805-06 preußischer Beamter; Antrag auf Lebensgemeinschaft an Ernst von Pfuel. 1807 von Franzosen als Spion verhaftet, Festungshaft bis Juli. 1807-09 Schriftsteller in Dresden, Hg. des Phöbus, politische Arbeit (Geheimdienst?). 1808 Streit mit Goethe. 1809-11 nationalistischer Publizist in Berlin (Berliner Abendblätter). 1811 am 21. November Freitod mit Henriette Vogel. An Ulrike von Kleist: „die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. … am Morgen meines Todes / Dein Heinrich“ Lies: Günter Blamberger 2011. Kleists Über das Marionettentheater (1810, 4 T., Berliner Abendblätter) „… das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ „…so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches hindurchgegangen ist, die Grazie wieder ein“: in dem, „der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewusstsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.“ Die Anti-Iphigenie: Penthesilea (24 Szenen; 1806/07, gedruckt 1808) Die Oberpriesterin: Sprich, Grässliche! was ist geschehn? Meroe: Ihr wisst, Sie zog dem Jüngling, den sie liebt, entgegen, Sie, die fortan kein Name nennt – In der Verwirrung ihrer jungen Sinne, Den Wunsch, den glühenden, ihn zu besitzen, Mit allen Schrecknissen der Waffen rüstend. Von Hunden rings umheult und Elefanten, Kam sie daher, den Bogen in der Hand: Der Krieg, der unter Bürgern ras‘t, wenn er, Die blutumtriefte Graungestalt, einher, Mit weiten Schritten des Entsetzens geht, Die Fackel über blühnde Städte schwingend, Er sieht so wild und scheußlich nicht, als sie. Achilleus, der, wie man im Heer versichert, Sie bloß ins Feld gerufen, um freiwillig Im Kampf, der junge Tor, ihr zu erliegen: Denn er auch, o wie mächtig sind die Götter! Er liebte sie, gerührt von ihrer Jugend, Zu Dianas Tempel folgen wollt‘ er ihr: 23. Auftritt Er naht sich ihr, voll süßer Ahndungen, Und lässt die Freunde hinter sich zurück. Doch jetzt, da sie mit solchen Gräulnissen Auf ihn herangrollt, ihn, der nur zum Schein Mit einem Spieß sich arglos ausgerüstet: Stutzt er, und dreht den schlanken Hals, und horcht, Und eilt entsetzt, und stutzt, und eilet wieder: Gleich einem jungen Reh, das im Geklüfft Fern das Gebrüll des grimmen Leu‘n vernimmt. Er ruft: Odysseus! mit beklemmter Stimme, Und sieht sich schüchtern um, und ruft: Tydide! Und will zurück noch zu den Freunden fliehn; Und steht, von einer Schar schon abgeschnitten, Und hebt die Händ‘ empor, und duckt und birgt In eine Fichte sich, der Unglückseel‘ge, Die schwer mit dunkeln Zweigen niederhangt. – Inzwischen schritt die Königin heran, Die Doggen hinter ihr, Gebirg‘ und Wald Hochher, gleich einem Jäger, überschauend; Und da er eben, die Gezweige öffnend, Zu ihren Füssen niedersinken will: Ha! sein Geweih verräth‘ den Hirsch, ruft sie, Und spannt mit Kraft der Rasenden, sogleich Den Bogen an, dass sich die Enden küssen, Und hebt den Bogen auf und zielt und schießt, Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals; er stürzt: Ein Siegsgeschrei schallt roh im Volk empor. Jetzt gleichwohl lebt der Ärmste noch der Menschen, Den Pfeil, den weit vorragenden, im Nacken, Hebt er sich röchelnd auf, und überschlägt sich, Und hebt sich wiederum und will entfliehn; Doch, hetz! schon ruft sie: Tigris! hetz, Leäne! Hetz, Sphynx! Melampus! Dirke! Hetz, Hyrkaon! Und stürzt – stürzt mit der ganzen Meut‘, o Diana! Sich über ihn, und reißt – reißt ihn beim Helmbusch, Gleich einer Hündin, Hunden beigesellt, Der greift die Brust ihm, dieser greift den Nacken, Dass von dem Fall der Boden bebt, ihn nieder! Er, in dem Purpur seines Bluts sich wälzend, Rührt ihre sanfte Wange an, und ruft: Penthesilea! meine Braut! was tust du? Ist dies das Rosenfest, das du versprachst? Doch sie – die Löwin hätte ihn gehört, Die hungrige, die wild nach Raub umher, Auf öden Schneegefilden heulend treibt; Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend, Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust, Sie und die Hunde, die wetteifernden, Oxus und Sphynx den Zahn in seine rechte, In seine linke sie; als ich erschien, Troff Blut von Mund und Händen ihr herab. (Pause voll Entsetzen) Vernahmt ihr mich, ihr Fraun, wohlan so redet, Und gebt ein Zeichen eures Lebens mir. (Pause) Die erste Priesterinn. (am Busen der Zweiten weinend) Solch eine Jungfrau, Hermia! So sittsam! In jeder Kunst der Hände so geschickt! So reizend, wenn sie tanzte, wenn sie sang! So voll Verstand und Würd‘ und Grazie! … 24. Auftritt. Penthesilea. – Die Leiche des Achills (mit einem roten Teppich bedeckt). – Prothoe und andere. Penthesilea. Küsst‘ ich ihn tot? Die erste Priesterinn. O Himmel! Penthesilea: Nicht? Küsst‘ ich nicht? Zerrissen wirklich? sprecht? Die Oberpriesterin: Weh‘! Wehe! ruf‘ ich dir. Verberge dich! Lass fürder ew‘ge Mitternacht dich decken! Penthesilea: – So war es ein Versehen. Küsse, Bisse, Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, Kann schon das Eine für das Andre greifen. Penthesilea: Denn jetzt steig‘ ich in meinen Busen nieder, Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, Mir ein vernichtendes Gefühl hervor. Dies Erz, dies läutr‘ ich in der Glut des Jammers Hart mir zu Stahl; tränk‘ es mit Gift sodann, Heißätzendem, der Reue, durch und durch; Trag‘ es der Hoffnung ew‘gem Amboss zu, Und schärf‘ und spitz es mir zu einem Dolch; Und diesem Dolch jetzt reich‘ ich meine Brust: So! So! So! So! Und wieder! – Nun ist‘s gut. (sie fällt und stirbt) Penthesilea: [Tanais] riss die rechte Brust sich ab, und taufte: Die Fraun, die den Bogen spannen würden, Und fiel zusammen, eh’ sie noch vollendet: Die Amazonen oder Busenlosen! – … Wo ist der Sitz mir, der kein Busen ward, Auch des Gefühls, das mich zu Boden wirft? Penthesilea (zu Achill): Ach, Nereidensohn! – Sie ist mir nicht, Die Kunst vergönnt, die sanftere, der Frauen! … Im blut’gen Feld der Schlacht muss ich ihn suchen, Den Jüngling, den mein Herz sich auserkor, Und ihn mit ehrnen Armen mir ergreifen, Den diese weiche Brust empfangen soll. Diomedes (über Penthesilea): „die Kentaurin“ Odysseus (über Penthesilea): So viel ich weiß, gibt es in der Natur Kraft bloß und ihren Widerstand, nichts Drittes. Was Glut des Feuers löscht, lös’t Wasser siedend Zu Dampf nicht auf und umgekehrt. Doch hier Zeigt ein ergrimmter Feind von beiden sich, Bei dessen Eintritt nicht das Feuer weiß, Ob’s mit dem Wasser rieseln soll, das Wasser, Ob’s mit dem Feuer himmelan soll lecken. An Ernst von Pfuel, 7. Januar 1805: Du stelltest das Zeitalter der Griechen in meinem Herzen wieder her, ich hätte bei dir schlafen können, du lieber Junge; so umarmte dich meine ganze Seele! Ich habe deinen schönen Leib oft, wenn du in Thun vor meinen Augen in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. Ich hätte, wenn ich Einer gewesen wäre, vielleicht die Idee eines Gottes durch ihn empfangen. Dein kleiner, krauser Kopf, einem feisten Halse aufgesetzt, zwei breite Schultern, ein nerviger Leib, das Ganze ein musterhaftes Bild der Stärke, als ob du dem schönsten jungen Stier, der jemals dem Zevs geblutet, nachgebildet wärest. … Ich heirathe niemals, sei du die Frau mir, die Kinder, und die Enkel! An Iffland, 12. August 1810: …das Käthchen von Heilbronn … gefiele Ihnen nicht. Es tut mir leid, die Wahrheit zu sagen, daß es ein Mädchen ist; wenn es ein Junge gewesen wäre, so würde es Ew. Wohlgeboren wahrscheinlich besser gefallen haben. Wunsch am neuen Jahre 1800 für Ulrike von Kleist Amphibion du, das in zwei Elementen stets lebet, Schwanke nicht länger und wähle dir endlich ein sichres Geschlecht. Schwimmen und fliegen geht nicht zugleich, drum verlasse das Wasser, Versuch es einmal in der Luft, schüttle die Schwingen und fleuch! Christian Ernst Wünsch, Professor an der Universität zu Frankfurt an der Oder, Vorlesungen November 1799 bis April 1800 (u. a. über „Amphibien“ zwischen Wasser und Luft). 1808 Teil-Vorabdruck (Organisches Fragment) der Penthesilea in Kleists Zeitschrift Phöbus. Kleist an Goethe, 24. Januar 1808: „Es ist auf den Knien meines Herzens, dass ich (mit dem ersten Hefte des Phoebus) vor Ihnen erscheine.“ „Darum beuge ich nun die Knie meines Herzens und bitte dich, Herr, um Gnade.“ (Gebet des Manasse, Apokryphen zum Alten Testament) Weimar, 1. Februar 1808 Ew. Hochwohlgebornen bin ich sehr dankbar für das übersendete Stück des Phöbus. Die prosaischen Aufsätze, wovon mir einige bekannt waren, haben mir viel Vergnügen gemacht. Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden. Sie ist aus einem so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region, dass ich mir Zeit nehmen muss mich in beide zu finden. Auch erlauben Sie mir zu sagen (denn wenn man nicht aufrichtig sein sollte, so wäre es besser, man schwiege gar), dass es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Männer von Geist und Talent sehe, die auf ein Theater warten, welches da kommen soll. […] Verzeihen Sie mir mein Geradezu: es zeugt von meinem aufrichtigen Wohlwollen. Dergleichen Dinge lassen sich freilich mit freundlichern Tournüren und gefälliger sagen. Ich bin jetzt schon zufrieden, wenn ich nur etwas vom Herzen habe. Nächstens mehr. Goethe Goethes klassizistisches Versepos bürgerlichen Lebens – im Schatten der Französischen Revolution, von Flucht und Vertreibung: Hermann und Dorothea (Erstveröffentlichung 1797). Darüber Dr. Kai Sina am nächsten Mittwoch.