Verborgene Dynamik

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Fas sa d e
| C l o s e d - C av i t y- Fa s s a d e
Verborgene Dynamik
Autor | Manuel Pestalozzi
Auf dem Richti-Areal, zwischen dem Bahnhof von Wallisellen/ZH
und dem Einkaufszentrum Glatt, ist ein neues Quartier entstanden.
Beim Kopfbau, einem 18-geschossigen Büroturm, sorgen vier Passerellen
für eine futuristische Torsituation. Es handelt sich um eine Stahlbaukonstruktion, die in Millimeterarbeit versetzt und anschliessend mit
Fassadenelementen verkleidet wurde. Spannend ist auch die
Fassade als solche: Im Zwischenraum dienen silberne Vorhänge dem
Sonnenschutz.
Die Bebauung des lange brachliegenden Richti-Areals erfolgte
Büros. Den Schlusspunkt setzt auf dem Baufeld VII, vis-à-vis
nach einem Richtprojekt des Architekten und ETH-Professors
des Einkaufszentrum Glatt, der 18-geschossige Büroturm. Er
Vittorio M. Lampugnani: Rund 20 Meter hohe, durch gerade
bildet zusammen mit dem gedrungenen Hochhaus des Ein-
Strassenzüge voneinander getrennte Blockrandbauten mit fünf
kaufszentrums das Erkennungszeichen des neuen Quartiers
Vollgeschossen und einem Attikageschoss fassen lärmge-
und prägt die Silhouette.
schützte und begrünte Innenhöfe ein. Die Bebauungsweise garantiert ein differenziertes und qualitativ hochstehendes Ange-
«Closed-Cavity»-Fassaden
bot öffentlicher Räume mit Plätzen, Alleen, Arkaden, Wohnstras-
Für die Hofrandbebauung des Baufeldes I und den Büroturm
sen, Innenhöfen. Im Uhrzeigersinn sind die Baufelder von I bis
auf dem Baufeld VII wurde derselbe Architekt beauftragt. Der
VI durchnummeriert, die Architektur stammt von verschiedenen
Niederländer Wiel Arets plante in den beiden Gebäuden für den
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Versicherungskonzern Allianz Suisse total rund 40 680 Quadratmeter Bürofläche. Dies erlaubt dem künftigen Mieter die Zusammenfassung seiner Direktionsdienste. Die Gestaltung der beiden Bauten, die durch den Escherweg voneinander getrennt
sind, ist identisch: Sie werden umhüllt von profillosen vorgehängten Glaspaneelen, die teilweise im Siebdruckverfahren mit
FLP
einem Bildmotiv – einer polierten Onyxwand – geschmückt wurden. Die vollkommen glatte, wie poliert wirkende Oberfläche
ist der äusserste Teil einer mehrschichtigen, sogenannten
Closed-Cavity-Fassade. Im Fassadenzwischenraum befinden
sich silberne Vorhänge, die den Sonnenschutz gewährleisten.
Am Escherweg, der vom Geleisefeld des Bahnhofs zum Verkehrskreisel beim Einkaufszentrum führt, finden sich somit mit
einem Abstand von etwas mehr als zwölf Metern zwei identische
Fassaden gegenüber. Auch die vier Passerellen, welche im
zweiten, dritten, vierten und fünften Obergeschoss angeordnet
sind, wurden in das Fassadenkonzept eingebunden. Dank dieser einheitlichen, modischen Bekleidung werden die beiden
Gebäude als Ensemble wahrgenommen, und beim Zugang zum
Areal ergibt sich eine Torsituation.
Passerellen zwischen Gebäuden sind zwar keine Seltenheit.
In diesem Fall es handelt sich aber um mehr als die pragmatische Lösung eines erschliessungstechnischen Problems. Die
im Grundriss unterschiedlich trapezförmigen, verhältnismässig
breiten Brückenkonstruktionen sind zueinander versetzt und als
1 Areal-Zugang in Form einer Torsituation: Vier Passerellen,
die im zweiten, dritten, vierten und fünften Obergeschoss
angeordnet sind, wurden in das Fassadenkonzept eingebunden.
(Foto: M. Pestalozzi/SZS
2 Blick auf den Escherweg, die Passage zwischen dem AllianzBürogebäude (links) und Hochhaus (rechts). Im Fassaden­
zwischenraum dienen silberne Vorhänge dem Sonnenschutz.
Foto: M. Pestalozzi/SZS
3 Die vier Passerellen zwischen den Gebäuden sind breiter
als notwendig. Sie dienen auch als Aufenthaltsräume.
Plan: Wiel Arets Architects
Einzelkörper freigespielt. Mit ihrem inszenierten Hin-und-Her
bilden sie ein Geflecht von Verbindungen, das von aussen je
nach Standort ein anderes Bild ergibt. Die spielerische Hommage an die zahlreichen Verkehrsebenen der Grossstadt erinnert an den berühmten Stummfilm «Metropolis» von Fritz Lang.
Vierendeel-Träger
Die vier Passerellen sind Stahlbaukonstruktionen. Sie bestehen
aus HEB- und HEM-Trägern, die zu so genannten Vierendeel-
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Was ist eine «Closed-Cavity-Fassade»?
Die Closed-Cavity-Fassade ist eine Zweite-Haut-Fassade,
bei der der Zwischenraum zwischen Innen- und Aussenhaut
komplett geschlossen ist. Trockene, saubere Luft wird konstant dem Fassadenzwischenraum zugeführt, um Kondensat an der Fassade zu vermeiden. Das Aussenklima wird
ständig durch die Steuerelektronik überwacht und die erzeugte Trockenluftmenge entsprechend angepasst. Dadurch wird der Energieverbrauch auf ein Minimum reduziert.
Die Baltensperger AG hat die
Passerellen hergestellt, die
Träger­e lemente in der Werkstatt
vorgefertigt und vor Ort
zusammengeschraubt.
Perspektive
Baufeld VII
Fix Lager
Baufeld I
Trägern zusammengeschweisst und -geschraubt wurden.
und die divergierenden Schwingungen der unterschiedlich
Vierendeel-Träger, so benannt nach ihrem Erfinder, dem bel-
dimensionierten Gebäude zu berücksichtigen. Auch der Brand-
gischen Ingenieur Arthur Vierendeel, sind Tragelemente, die nur
schutz, der im Stahlbau immer grosse Aufmerksamkeit weckt,
horizontale Stäbe (Gurte) und vertikale, zueinander parallele
wurde unter der Regie der Baltensperger AG realisiert. Die Trag-
Riegel oder Pfosten besitzen. Sie werden in den Ecken zu
werke sind mit Gipsplatten der Feuerwiderstandsklasse EI 60
einem steifen Rahmen verbunden. Dabei entstehen viereckige
geschützt. An einem Ende der Passerelle befindet sich jeweils
Maschen, deren Anzahl nebeneinander beliebig sein kann. Die
die Grenze eines Brandabschnittes.
Eckverbindungen müssen biegesteif sein – die Herstellung von
Durch ihre Geräumigkeit sind die über dem Escherweg schwe-
derartigen biegesteifen Anschlüssen ist bei Stahlkonstruk­
benden Träger mehr als eine Brücke. Sie schliessen nahtlos an
tionen am einfachsten. Vierendeel-Träger sind innerlich statisch
Geschossebenen an und bieten den Nutzerinnen und Nutzern
unbestimmt, können aber äusserlich statisch bestimmt gelagert
als Treff- und Aussichtspunkt die Eigenschaften eines Aufent-
sein. Unter Architekten erfreut sich diese Trägerart einer be-
halts- und Pausenraums.
trächtlichen Beliebtheit, da man sich durch den Wegfall der
Diagonalen weniger mit räumlichen oder optischen Hindernis-
Kontakte
sen befassen muss. Der Auftrag zur Herstellung der Passerellen
Bauherrschaft und Totalunternehmen
Allreal Generalunternehmung AG, Eggbühlstrasse 15, 8050 Zürich
Fon +41 (0)44 319 11 11, Fax +41 (0)4444 319 11 12, [email protected]
www.allreal.ch
ging an die Baltensperger AG in Höri/ZH. Es kam ausschliesslich rezyklierter «Ökostahl» zur Anwendung. Die flächigen Trägerelemente wurden in Etappen in der Werkstatt vorgefertigt,
auf den Bauplatz transportiert und dort zu Kastenträgern zusammengeschraubt. In die Boden- und Dachebenen legte man
Verbundbleche ein, die im Falle des Bodens als verlorene
Schalung für den Belagsaufbau dienten. An zwei Tagen wurden
in einer zeitlichen Distanz von rund sechs Monaten mit einem
500 Tonnen-Kran je zwei Passerellen an ihre Position gehievt.
Das Absenken in die einbetonierten Einlageteile war eine Millimeterarbeit. Statisch sind die Passerellen auf einer Seite an
einem Fixpunkt befestigt, am anderen Ende mit einem Gleitlager
versehen. Es galt, die möglichen Bewegungen bei Erdbeben
Architektur
Wiel Arets Architects, Limmatstrasse 256, 8005 Zürich
Fon +41 (0)43 818 62 00, [email protected]
www.wielaretsarchitects.com
Passerellen
Baltensperger AG, Kaiserstuhlerstrasse 7, 8181 Höri
Fon +41 (0)44 872 76 76, Fax+41 (0)44 860 11 91
[email protected], www.baltensperger-stahl.ch
Fassadenbau
Josef Gartner GmbH, Gartnerstrasse 20, DE-89423 Gundelfingen
Fon +49 9073 84 0, Fax +49 9073 84 2100, [email protected]
josef-gartner.permasteelisagroup.com
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