Die Partei ist westdeutsch

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DEUTSCHLAND
G r ün e
„Die Partei ist westdeutsch“
Der Magdeburger Bürgerrechtler Hans-Jochen Tschiche über Ost-West-Mißverständnisse
om Schmuddelkind der Nation mutierten die Gr ünen in den vergangenen Jahren im Westen der Bundesrepublik zum umworbenen Partner in
der politischen Landschaft. Sie kommen
respektabel daher in Kleidung und Gewicht. Graue Köpfe transportieren die
grüne Politik.
Sie und ihre Wählerinnen und Wähler
haben sich eingerichtet in den gutsituierten Vierteln der großen Städte. Sie gehören zum gehobenen Mittelstand und
leben wie typische Wohlstandsbürger
der westlichen Welt. Die Zahl der Singles ist unter ihnen ungewöhnlich hoch.
Sie werden demnächst die Häuser ihrer viel geschmähten und tief gehaßten
Eltern erben. Sie haben sich ausgesöhnt
mit ihnen und ihrem Besitz. Sie gehören
zur gebildeten Schicht im Lande. Akademiker haben das Sagen – bis auf
Joschka Fischer, den Epikureer aus
Frankfurt am Main.
Sie leben ein bißchen alternativ und
essen ein wenig ökologisch. Im übrigen
fahren viele ihre schnellen Autos und
fliegen zu fernen Urlaubszielen. Dabei
wird natürlich die Türkei gemieden, weil
Kurdenpolitik an Völkermord erinnert.
Für einen ostdeutschen Betrachter ist
die Spannung zwischen Anspruch und
Wirklichkeit schon beachtenswert. Der
Versuch, in der D D R eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, ist gerade daran
gescheitert, daß diese Spannung zum unerträglichen Widerspruch geworden ist.
1968, als wir im Osten unsere Hoffnungen begruben, als Panzer in Prag den
Frühling niederwalzten, machten sich
die rebellischen Studenten im Westen
auf, die Welt zu verändern. Die westdeutsche Gesellschaft geriet in Unruhe,
während Walter Ulbricht die östliche zementierte.
Die Gr üne Partei war und ist eine typisch westdeutsche Nachkriegspartei,
deren Interessen auf diesen Teil
Deutschlands und die westliche Welt
insgesamt konzentriert waren. Als die
Nachkriegszeit zu Ende ging, der Kalte
Krieg nicht mehr die Politik in Europa
maßgeblich bestimmte, die D D R sich
aus der Geschichte verabschiedete,
wuchs sich diese Konzentration auf den
Westen für sie zur politischen Katastrophe aus.
Die Revolutionäre von 1968 hatten
mit den so ganz anderen Revolutionären, mit uns in der D D R , nicht gerech-
V
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Hans-Jochen Tschiche
ist Chef der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt
– neben Berlin das einzige ostdeutsche
Landesparlament, in dem seine Partei
vertreten ist. Theologe Tschiche, 66,
im September 1989 Mitgründer des
Neuen Forums, gilt als einer der Archi-
net. Es war nicht unsere Absicht, aber
irgendwie haben wir sie aus dem Konzept gebracht. Sie hielten die deutsche
Vereinigung nicht für möglich und auch
nicht für wünschenswert.
Und so verschliefen sie eine historische Stunde. „Alle Welt redet von
Deutschland, laßt uns vom Klima reden“, das war ihre Überzeugung. Und
das war ihr Abschied für vier Jahre aus
dem Bonner Parlament.
Mit uns Ostdeutschen haben sie bis
heute ihre emotionalen Schwierigkeiten. Als im Spätherbst 1989 die ersten
westdeutschen Gr ünen bei mir auftauchten, erzählten sie mir, daß ihnen
gesagt worden sei, sie mögen doch mit
dem üblichen „Gr ün-Du“ bei uns vorsichtig sein, wir seien da komisch und
ständen auf „Sie“. Ostdeutschland blieb
für die Besucher zunächst ein fremder
Kontinent.
Den weltoffenen Westgrünen mußte
dieses Ostdeutschland wie ein miefiger
Kleinbürgerort erscheinen. Das gesellschaftliche Klima, aus dem sie hervorgegangen sind, hat es hier nie gegeben. Sie
tekten des „Magdeburger Modells“:
Seit 1994 stellen SPD und Bündnis
90/Die Grünen eine Minderheitsregierung, die von der PDS geduldet wird. Auf
ihrem Bundesparteitag in Mainz am
kommenden Wochenende wollen die
Grünen auch über den Umzug von Bonn
nach Berlin entscheiden, den vor allem
die Ost-Landesverbände fordern.
machten sehr schnell die Erfahrung, daß
die originären ostdeutschen Gr ünen wenig politisches Profil zeigten, und sie
schluckten sie einfach, so wie das auch
die anderen westdeutschen Parteien mit
ihren ostdeutschen Partnern taten.
Als sie dann plötzlich 1990 aus dem
Bundestag flogen und nur das Fähnlein
der acht Aufrechten aus Ostdeutschland
sie vertrat – aber doch nicht so ganz
richtig, wie sie sicher überzeugt waren –,
suchten sie nach einer Osterweiterung
ihrer Partei.
So wurde aus den Gr ünen dann Bündnis 90/Die Gr ünen. Aber die emotionale
Ferne und die politische Schwäche des
ostdeutschen Teils der Partei hat zur
Folge, daß die Gesamtpartei im wesentlichen immer noch westdeutsch ist. Bis
heute agiert sie aus ganz anderen politischen Zusammenhängen. Unsere Sorgen sind nicht ihre Sorgen.
Während im Westen der erste grüne
Filz wächst, fehlt es bei uns noch an Mitgliedern. Winzige Landesverbände und
das Wiedererstarken der PDS, der
Kampf ums politische Überleben, das
DER SPIEGEL 9/1996
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Verschwinden aus fast allen Länderparlamenten – das alles ist für sie kein
Thema. Der abrupte Wechsel der Lebensumstände der Ostdeutschen und
ihr Kampf um die politische Gleichberechtigung im Machtzentrum Bonn
sind Erfahrungen, die sie nicht teilen.
Wir sind die Neuen in einer Gesellschaft, zu der sie längst gehören. Sie
sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
Das fällt mir immer wieder auf den
Parteitagen und ähnlichen Konferenzen auf. In Bonn war 1995 eine sogenannte Strategiekonferenz. Man mußte
ja annehmen, daß die ostdeutsche Situation bei solchen Überlegungen eine
Rolle spielt. Aber wir kamen einfach
nicht vor.
Dabei meinen unsere westdeutschen
Parteifreunde es wirklich gut mit uns.
Wir Magdeburger sind da noch privilegiert. Obwohl ich sagen muß, daß bei
einem Besuch von Bundesvorstand und
Fraktionsvorstand der Partei zwar der
sozialdemokratische Ministerpräsident
auf dem ursprünglichen Besuchsplan
war, aber nicht die Landtagsfraktion
von Bündnis 90/Die Gr ünen.
Eine Person vom Vorstand der Bundestagsfraktion büxte heimlich zur
PDS aus, aber die eigenwillige Rückkehr der Ostdeutschen zur gesamtdeutschen Politik, die sich im Machtdreieck
von SPD, Bündnis 90/Die Gr ünen und
PDS ausdrückt, wurde nicht politisch
gedeutet und aufgewertet. Diese Konstellation wird von Personen getragen,
war die Aussage.
Daß Gesamtdeutschland sich von
Ostdeutschland her ändern könnte,
wird gar nicht ins Kalkül einbezogen.
„Der Pastor Tschiche wird’s schon machen“, sagt der heimliche Parteivorsitzende Joschka.
So war es auch beim Strategiekongreß in Bonn. Wir Magdeburger durften zwar auf dem Podium sitzen und
Die Partei verliert
etwas von ihrem
aufrechten Pathos
reden. Wir waren wirklich nicht schlecht
in unserer Selbstdarstellung. Wir bekamen auch heftigen Beifall. Aber niemand hat wirklich mit politischem Interesse nachgefragt.
Ein Parteioberer schwebte, nachdem
er von Kameras und Journalisten umringt eingezogen war und mich entdeckt
hatte, vom Podium herab und fragte:
„Na, Euer Eminenz, wie geht es in Magdeburg?“ Zwei Sätze von mir, huldvolles Nicken von ihm, und er entschwand
wieder nach oben. Ich erzähle das nicht
aus Groll, nicht als Klage-Ossi, sondern
eher ein bißchen amüsiert.
Die Bonner Kampfhähne wollten sich
auf dem Kongreß in der Bosnien-Frage
in Stellung bringen. Dabei unterschieden sich die Realos und die Linken
mehr im Get öse als in der Grundposition. Daß die politische Zukunft der Partei im Osten wegbrechen und der westliche Teil damit auch in Gefahr geraten
könnte, kam und kommt ihnen gar nicht
in den Sinn.
Die Partei in Bonn bereitet sich auf
den Machtwechsel vor und ist bereit, dafür hohe Preise zu zahlen. Der große
Entwurf einer zivilen und naturfreundli-
Das Feuer, das von den
Grünen ausging,
droht zu verlöschen
chen Gesellschaft gerät dabei in Bedrängnis. Pragmatiker haben das Sagen.
Die Bosnien-Debatte belegt es, die Politik der Gr ünen in Nordrhein-Westfalen
zeigt das an. Ich finde die ja nicht unsympathisch. Schließlich bin ich selber
ein Pragmatiker, wie das Magdeburger
Modell zeigt.
Trotzdem kann ich ein gewisses Unbehagen nicht verschweigen. Die Partei
verliert etwas von ihrem aufrechten Pathos. Sie schwächt ihre Anziehungskraft
unter den jüngeren Bürgerinnen und
Bürgern, die ihr lange Zeit nahestanden. Ihr Weg zur Mitte und zur Macht
verwischt den früheren Unterschied zu
anderen Parteien.
Erste Anzeichen sprechen dafür, daß
auch an den westlichen Hochschulen die
PDS als linke Partei an Boden gewinnt.
Das Feuer, das von Gr ünen ausging und
die Gesellschaft aufscheuchte, droht zu
verlöschen. Positionskämpfe von Personen statt Ideen, Kompromisse statt Widerspruch bestimmen mehr und mehr
den politischen Alltag von Bündnis
90/Die Gr ünen.
Aber vielleicht sind die Mühen der
Ebene das Schicksal der politischen Kaste. Es könnte sein, daß wir in der Zeit
nach den großen Utopien leben. Das ist
sicher auch menschlicher. Aber der
Aufbruch einer Generation ist das nicht
mehr.
Dabei zeichnet sich im Osten ab, wie
es in Deutschland insgesamt weitergeht.
Hier hat sich der Zusammenbruch der
Industrie vollzogen. Hier wird sichtbar,
was im Westen in naher Zukunft geschehen wird: Der soziale Friede ist in Gefahr. Die Arbeitslosigkeit wird zur Massenerfahrung.
Wer für Bosnien eine Antwort findet,
aber das Wetterleuchten in Ostdeutschland aus den Augen verliert, ist nicht
einmal an dem Ort, wo Alternativen gedacht und gesellschaftliche Umgestaltungen politisch begleitet werden müssen.
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