6.1 Stetige Zufallsgro¨ßen

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Stetige Zufallsgrößen
191
6.1 Stetige Zufallsgrößen
6.1.1 Stetige Merkmale – Dichtefunktion einer stetigen Zufallsgröße
Aufgabe 1
Bei einem Glücksrad dreht sich ein Zeiger, der gegenüber einer festen Richtung (z. B.
horizontal nach rechts) beliebige Winkel 0 X < 2p annehmen kann. Wir betrachten
verschiedene Fälle der Zufallsgröße X: Stellung des Zeigers (beschrieben durch einen
Winkel von einer festgelegten Richtung aus)
(1) Das Glücksrad hat gleich große Sektoren
Mit welcher Wahrscheinlichkeit bleibt der Zeiger auf
den Sektoren 1, 2, 3, 4, 5 stehen?
Stelle die Verteilung der Zufallsgröße X mithilfe eines Histogramms dar.
Beachte: Bei Histogrammen werden Werte von Größen durch Flächeninhalte dargestellt.
(2) Das Glücksrad hat verschieden große Sektoren
Mit welcher Wahrscheinlichkeit bleibt der Zeiger auf
den Sektoren 1, 2, 3 stehen?
Stelle die Verteilung der Zufallsgröße X mithilfe eines Histogramms dar; dabei sollen die Rechtecke
gleiche Höhe haben, sich jedoch in der Breite unterscheiden. Welche Höhe müssen die Rechtecke haben?
(3) Das Glücksrad hat keine Sektoren
Ein Bereich zwischen den Winkeln a und b werde
markiert. Mit welcher Wahrscheinlichkeit tritt das Ereignis X mit a X b und 0 a < b 2p ein?
Stelle die Verteilung der Zufallsgröße X: Stellung des
Zeigers mithilfe eines Histogramms dar.
Hinweis: Man lege die feste Ursprungsrichtung so,
dass sie nicht durch den betrachteten Sektor verläuft.
Lösung
(1) Die Wahrscheinlichkeit ist für alle 5 Werte gleich groß: P(X ¼ 1) ¼ P(X ¼ 2)
1
¼ P(X ¼ 3) ¼ P(X ¼ 4) ¼ P(X ¼ 5) ¼ 5 . Das Histogramm besteht aus 5 Rechtecken,
1
2p
die alle jeweils die Höhe 2p und die Breite 5 haben.
192
S T E T I G E Z U F A L L S G R S S E N – N O R M A LV E R T E I L U N G
(2) Die Wahrscheinlichkeiten entsprechen der Größe der Winkel. Es gilt also:
P(X ¼ 1) ¼ 16 ; P(X ¼ 2) ¼ 13 ; P(X ¼ 3) ¼ 12 (wie man sich auch durch Einzeichnen
von 6 gleich großen Sektoren überlegen kann).
1
, jedoch die Breiten p3 ,
Die Rechtecke des Histogramms haben wie in (1) die Höhe 2p
2p
und p, sodass die Gesamtfläche wieder gleich 1 ist.
3
(3) Analog zu (1), (2) besteht das Histogramm aus 3 Rechtecken, die jeweils die Höhe
1
haben.
2p
Die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis P(a X b) ist daher:
a
P(a X b) ¼ b2p
Information (1) Stetige Verteilungen als Idealisierungen von diskreten Verteilungen
Mithilfe der Sterbetafeln von Seite 18 ist das folgende Histogramm erstellt worden. Aus
dem Diagramm ist ablesbar, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein männlicher Neugeborener im Lebensalter zwischen a Jahren und a þ 5 Jahren stirbt.
Analog kann man auch ein verfeinertes Histogramm zum gleichen Sachverhalt zeichnen,
wenn man eine Sterbetafel vorliegen hat, die in Abständen von 1 Jahr angibt, wie viele
von 100 000 Neugeborenen nach a Jahren noch leben.
Stetige Zufallsgrößen
193
Beachte:
Der Flächeninhalt
aller Rechtecke zusammen muss 1 sein.
Es liegt nahe sich vorzustellen, dass man noch beliebig weiter verfeinern kann. Dies
stellt eine Idealisierung des Sachverhalts dar. Statt der treppenartigen Histogramme erhält man dann den Graphen einer stetigen Funktion, die so genannte Dichtefunktion
der Zufallsgröße X.
(2) Dichtefunktion einer stetigen Zufallsgröße
Zufallsgrößen, die beliebige Werte in einem Intervall annehmen können, bezeichnet
man als stetige Zufallsgrößen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer stetigen Zufallsgröße wird durch eine so genannte Dichtefunktion beschrieben.
Dichtefunktion einer stetigen Zufallsgröße
Eine Funktion f heißt Dichtefunktion einer stetigen Zufallsgröße X, wenn folgende
Eigenschaften erfüllt sind:
(1) Für alle x 2 R gilt: f(x) 0
Ðb
(2) P(a X b) ¼ f(x) dx
þ1
a
Ð
f(x) dx ¼ 1
(3)
1
Eine Zufallsgröße und deren Verteilung heißen stetig, falls es eine geeignete Dichtefunktion mit den Eigenschaften (1) bis (3) gibt.
194
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Die Eigenschaft (1) der Nicht-Negativität ist plausibel, da dann für die Wahrscheinlichkeit von beliebigen Ereignissen E folgt: P(E) ¼ P(a X b) 0.
Ebenso leuchtet die „Summeneigenschaft“ (3) ein, da auch bei den bisher behandelten
Verteilungen die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Ergebnisse gleich eins ist.
Ðb
f(x) dx.
Statt Eigenschaft (2) betrachtet man oft auch die Beziehung P(X b) ¼
1
Die zugehörige Funktion b 7! F(b) ¼ P(X b) wird als Verteilungsfunktion der Zufallsgröße X bezeichnet. Sie entspricht den kumulierten Verteilungen bei den bisher betrachteten Zufallsgrößen.
Hinweis: Man beachte, dass der Wert f(a) der Dichtefunktion an der Stelle a nicht mit
der Wahrscheinlichkeit für a verwechselt werden darf.
(3) Unmögliche Ereignisse bei diskreten Verteilungen – Ereignisse mit Wahrscheinlichkeit null bei stetigen Verteilungen
Die in den Kapiteln 1 bis 5 behandelten Zufallsgrößen waren so genannte diskrete Zufallsgrößen: Sie konnten nur endlich viele Werte oder höchstens abzählbar unendlich
viele Werte annehmen. Wenn ein bestimmter Wert bei einem Zufallsversuch nicht angenommen werden konnte, dann hatte er die Wahrscheinlichkeit null (unmögliches Ereignis).
Bei stetigen Größen ist dies anders: Die Zufallsgröße kann kontinuierlich alle Werte aus
einem Intervall annehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau der Wert a angenomÐa
men wird, berechnet sich gemäß Definition (2) als P(X ¼ a) ¼ P(a X a) ¼ f(x) dx.
a
Aus der Integralrechnung wissen wir, dass dies gleich null ist, d. h. für alle a 2 R gilt:
P(X ¼ a) ¼ 0.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Ereignis X ¼ a ein unmögliches Ereignis ist! (So
würde man bei diskreten Zufallsgrößen schließen!)
(4) Rechteckverteilung als Beispiel einer stetigen Verteilung
In der Einführung haben wir als Beispiel eine so genannte Rechteckverteilung kennen
gelernt. Die Bezeichnung rührt von der Form des Graphen her:
Für die Dichtefunktion f gilt offensichtlich:
für x < 0
1
2p
für 0 x 2p
0
für x > 2p
|fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl}
f(x) ¼
0
a
, sofern 0 a, b 2p
Damit gilt: P(a x b) ¼ b2p
Allgemein bezeichnet man jede Verteilung mit
|fflfflfflffl{zfflfflfflffl}
f(x) ¼
1
für
sr
0
r<x<s
ðÞ
ðÞ
für alle sonstigen
x2R
als Rechteckverteilung.
(5) Gausssche Dichtefunktion
In Abschnitt 4.2.3 (Seite 154) haben wir die Gausssche Dichtefunktion kennen gelernt,
mit deren Hilfe näherungsweise Wahrscheinlichkeiten bei Binomialverteilungen berechnet werden konnten (Näherungsformeln von Moivre und Laplace).
Mit dieser Funktion und der zugehörigen Verteilung werden wir uns in Kapitel 6.2 besonders befassen.
Stetige Zufallsgrößen
195
bungsaufgaben
2.
Skizziere den Graphen der Dichtefunktion, die zur Sterbetafel für weibliche Neugeborene gehört. Entnimm dazu zunächst der Tabelle die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Neugeborene im Alter zwischen a und a þ 1 Jahren stirbt, skizziere dazu einen Polygonzug.
a
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Wahrsch.
0,00414
0,00040
0,00024
0,00017
0,00015
0,00010
0,00011
0,00012
0,00009
0,00010
0,00009
0,00010
0,00011
0,00012
0,00014
a Wahrsch. a Wahrsch. a Wahrsch. a Wahrsch. a Wahrsch.
15 0,00020 30 0,00038 45 0,00174 60 0,00551 75 0,02222
16 0,00024 31 0,00041 46 0,00189 61 0,00588 76 0,02446
17 0,00028 32 0,00045 47 0,00205 62 0,00653 77 0,02735
18 0,00037 33 0,00050 48 0,00224 63 0,00721 78 0,02912
19 0,00036 34 0,00055 49 0,00240 64 0,00794 79 0,03109
20 0,00033 35 0,00062 50 0,00264 65 0,00869 80 0,03208
21 0,00031 36 0,00069 51 0,00281 66 0,00951 81 0,03567
22 0,00029 37 0,00078 52 0,00304 67 0,01049 82 0,03887
23 0,00027 38 0,00085 53 0,00331 68 0,01163 83 0,04046
24 0,00030 39 0,00095 54 0,00349 69 0,01264 84 0,04202
25 0,00032 40 0,00105 55 0,00378 70 0,01388 85 0,04257
26 0,00031 41 0,00119 56 0,00396 71 0,01531 86 0,04282
27 0,00033 42 0,00128 57 0,00432 72 0,01698 87 0,04319
28 0,00036 43 0,00150 58 0,00451 73 0,01826 88 0,04242
29 0,00036 44 0,00157 59 0,00495 74 0,02014 89 0,04071
3.
Ein Zufallszahlengenerator liefere Zufallszahlen aus dem Intervall [0; 1[.
In der Abbildung ist das Histogramm einer Häufigkeitsverteilung für die Intervalle
[0; 0,01[, [0,01; 0,02[, [0,02; 0,03[, . . . dargestellt. Gib die Dichtefunktion der zugehörigen Zufallsgröße an und zeichne deren Graphen.
4.
Welchen Wert muss der Faktor k haben, sodass die Funktion f eine Dichtefunktion ist?
|fflffl{zfflffl}
f(x) ¼
kx
für 0 x < 1
0
für alle sonstigen
x2R
5.
Man zeige, dass die Funktion f mit f(x) ¼
1
, x 2 R eine Dichtefunktion ist (die so
pð1þx2 Þ
genannte Cauchy-Verteilung). Vergleiche den Graphen mit der Gaussschen Dichtefunktion (siehe Seite 154).
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S T E T I G E Z U F A L L S G R S S E N – N O R M A LV E R T E I L U N G
6.1.2 Erwartungswert und Varianz bei stetigen Zufallsgrößen
Information Bei diskreten Zufallsgrößen hatten wir definiert
. als Erwartungswert der Zufallsgröße X:
m
P
ai PðX ¼ ai Þ
(siehe Seite 97)
m ¼ EðXÞ ¼
i¼1
. Varianz der Zufallsgröße X:
m
P
ðai mÞ2 PðX ¼ ai Þ
s2 ¼ VðXÞ ¼
(siehe Seite 109)
i¼1
Analog führen wir diese Begriffe für stetige Zufallsgrößen ein:
Der Erwartungswert ist der gewichtete Mittelwert der möglichen Werte der Zufallsgröße; daher ergibt sich der Erwartungswert als Summe von Produkten der Form
ai
PðX ¼ ai Þ
Gewicht, mit dem dieser
Wert auftritt
Wert der
Zufallsgröße
Bei stetigen Zufallsgrößen tritt x an die Stelle der diskreten Werte ai, an die Stelle der
Wahrscheinlichkeiten P(X ¼ ai) tritt die Dichtefunktion f und das uneigentliche Integral
ersetzt die Summenbildung.
m ¼ EðXÞ ¼
þ1
Ð
x fðxÞ dx
1
Erwartungswert einer stetigen Zufallsgröße X mit
Dichtefunktion f
Rechtfertigung der Festsetzung: Betrachtet
man statt der Dichtefunktion f einer stetigen Zufallsgröße näherungsweise die
Häufigkeitsverteilung einer zugehörigen
empirischen Verteilung mit m Werten,
dann liest man aus der Zeichnung ab:
Die Flächeninhalte der Rechtecke ergeben sich als Produkt aus dem Funktionswert f(xi) in der Intervallmitte und der
Breite Dxi der Intervalle.
Flächeninhalte
entsprechen
den relativen
Häufigkeiten
Also gilt für den Mittelwert: x m
P
i¼1
xi h(xi) ¼
m
P
xi f(xi) Dxi .
i¼1
Beim bergang von der Häufigkeitsverteilung zur Wahrscheinlichkeitsverteilung geht
þ1
Ð
x f(x) dx.
der Mittelwert x über in den Erwartungswert
1
Da die Varianz als mittlere quadratische Abweichung vom Erwartungswert definiert ist
(also V(X) ¼ E((X E(X))2), siehe Seite 109), wird hier festgelegt:
þ1
Ð
V(X) ¼
(x m)2 f(x) dx.
1
Bei diskreten Zufallsgrößen wurde gezeigt: V(X) ¼ E(X2) m2 (siehe Seite 109). Wenn
þ1
þ1
Ð 2
Ð 2
x f(x) dx existiert, gilt auch V(X) ¼
x f(x) dx m2 , siehe
das Integral
1
bungsaufgabe 3.
1
Stetige Zufallsgrößen
197
Erwartungswert und Varianz bei stetigen Zufallsgrößen
Sei f die Dichtefunktion einer stetigen Zufallsgröße X.
Dann heißt
þ1
Ð
x fðxÞ dx
Erwartungswert von X
EðXÞ ¼ m ¼
1
þ1
Ð
VðXÞ ¼ s2 ¼
ðx mÞ2 fðxÞ dx
Varianz von X
1
bungsaufgaben
1.
Bestimme E(X) und V(X) zur Dichtefunktion f einer Rechteckverteilung (siehe Information (4), Seite 194):
|fflfflfflffl{zfflfflfflffl}
f(x) ¼
1
ba
für a x < b
0
sonst
2.
Vergleiche V(X) für die Rechteckverteilungen:
|fflfflfflffl{zfflfflfflffl}
|ffl{zffl}
1 für 0 x < 1
0 sonst
f1 (x) ¼
f2 (x) ¼
1
2
für
1 x þ1
0 sonst
3.
Sei X eine stetige Zufallsgröße mit E(X) ¼ m.
þ1
þ1
Ð 2
Ð 2
x f(x) dx, dann ist V(X) ¼
x f(x) dx m2 .
Zeige: Existiert das Integral
1
1
4.
1
beBegründe: Für die Cauchy-Verteilung, deren Dichtefunktion durch f(x) ¼
pð1 þ x2 Þ
stimmt ist, lässt sich der Erwartungswert nicht berechnen.
5.
Bestimme E(X) und V(X) für die Dichtefunktion f mit
kx
0
|{z}
f(x) ¼
für 0 x < 1
sonst
wobei für k ein geeigneter Wert zu finden ist.
6.
a) Zeige, dass gilt:
1
Ð
0
1 2 x
x e ¼1
2
b) Gib eine Dichtefunktion an, deren Graph abschnittsweise mit dem rechts oben abgebildeten Graphen
übereinstimmt.
Bestimme für diese Funktion auch E(X) und V(X).
c) Verfahre wie in Teilaufgabe a) mit dem rechts unten
abgebildeten Graphen.
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